Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 236/17
vom
20. Dezember 2018
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
1. Eine Person befindet sich gemäß Sinne § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB in der Gewalt der
gegnerischen Konfliktpartei jedenfalls dann, wenn sie sich in einem von dieser
kontrollierten Gebiet aufhält.
2. Psychische Beihilfe zu Kriegsverbrechen nach §§ 8, 9 VStGB kann auch leisten,
wer bewusst daran mitwirkt, hierfür Bedingungen zu schaffen, die für den Tatentschluss
der die Kriegsverbrechen anordnenden Führungspersonen wesentlich
sind (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16,
BGHSt 61, 252).
ECLI:DE:BGH:2018:201218U3STR236.17.0
3. Für die Verantwortlichkeit sowohl wegen Befehls- als auch Führungsgewalt im Sinne des § 4 VStGB ist eine effektive Ausübung von Kontrolle durch den Vorgesetzten erforderlich. Er muss - prinzipiell - die Möglichkeit haben, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden. 4. Zu den Voraussetzungen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 VStGB
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 3 StR 236/17 - OLG Stuttgart

in der Strafsache gegen

1.


2.



wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 31. Oktober 2018 in der Sitzung am 20. Dezember 2018, an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Gericke als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg, Dr. Leplow als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof , Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin , Rechtsanwalt , Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten Mu. ,
Rechtsanwältin - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten Mu. und des Generalbundesanwalts wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. September 2015, soweit es diesen Angeklagten betrifft, aufgehoben; jedoch bleiben aufrechterhalten: – die Feststellungen auf den Seiten 18 bis 111 der Urteilsab- schrift einschließlich derjenigen, die den Ausführungen zur Beweiswürdigung auf den Seiten 316 bis 421 der Urteilsabschrift zum Verlauf der "Angriffe der FDLR auf die Siedlungen Kipopo, Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje" zu entnehmen sind, sowie – die Feststellungen auf den Seiten 113 bis 134 der Urteilsabschrift mit Ausnahme derjenigen auf Seite 127 unter Gliederungspunkt 4. von "Diese Propagandaarbeit diente ..." bis "... gegen die FDLR sein" sowie auf Seite 133 f. unter Gliederungspunkt V. von "Dem Angeklagten Mu. war bekannt ..." bis "... der getätigten Angriffe rechnete". Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieser Rechtsmittel , an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten Mu. und des Generalbundesanwalts denAngeklagten Mu. betreffend sowie die Revision des Angeklagten M. und die diesen betreffende Revision des Generalbundesanwalts werden verworfen. 3. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Kosten des den Angeklagten M. betreffenden Rechtsmittels des Generalbundesanwalts und die jenem hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten Mu. wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren , den Angeklagten M. wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Dagegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen. Mit einer gemeinsamen Revisionsbegründungsschrift beanstanden sie das Verfahren und machen unter anderem ein - aus Verfahrensmängeln resultierendes - Prozesshindernis geltend; zudem erheben sie die Sachbeschwerde. Sie beantragen die Aufhebung des Urteils und ihren Freispruch, hilfsweise die Einstellung des Verfahrens , hilfshilfsweise die Zurückverweisung der Sache. Der Generalbundesanwalt rügt mit seinen zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen die Verletzung materiellen Rechts. Hinsichtlich des Angeklagten Mu. beantragt er die Aufhebung des Urteils unter Aufrechterhaltung der Feststellungen, hinsichtlich des Angeklagten M. nach Beschränkung des Rechtsmittels die Aufhebung im Strafausspruch sowie jeweils die Zurückverweisung der Sache im Umfang der Aufhebung.
2
Die Revision des Angeklagten Mu. und die gegen diesen geführte Revision des Generalbundesanwalts haben den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet. Den Revisionen des Angeklagten M. und des Generalbundesanwalts den Angeklagten M. betreffend bleibt der Erfolg versagt.

A.

3
I. Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen waren die Angeklagten Mu. und M. bis zu ihrer Inhaftierung am 17. November 2009 in führenden Positionen - als Präsident und erster Vizepräsident - für die terroristische Vereinigung FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) tätig, deren armeeähnlich organisierte Miliz FOCA (Streitkräfte der Befreier) im Ost-Kongo operierte. Zu der Entstehung und Entwicklung der FDLR, deren Organisationsstruktur, ihren terroristischen Aktivitäten sowie den Funktionen, Betätigungen und Kenntnissen der Angeklagten ist Folgendes festgestellt :
4
1. Entstehung und Entwicklung
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In der mehrheitlich von Hutu sowie den Minderheiten der Tutsi und Twa bewohnten Republik Ruanda herrschte seit dem Jahr 1990 ein Bürgerkrieg zwischen dem Regime des ruandischen Präsidenten Habyarimana und den militärischen Verbänden der Rebellenbewegung RPF (Ruandische Patriotische Front), die von exilierten ruandischen Tutsi in Uganda gegründet worden war und von der ugandischen Regierung unterstützt wurde. Ziel der von dort nach Ruanda vorgerückten, von Tutsi dominierten RPF war, die hauptsächlich aus Hutu bestehende Regierung in Ruanda zu stürzen. Infolge des Bürgerkriegs setzte in Ruanda eine zunehmende Radikalisierung ein.
6
Als am 6. April 1994 das mit dem ruandischen und dem burundischen Staatspräsidenten besetzte Flugzeug bei dem Anflug auf den Flughafen Kigali abgeschossen wurde und hierbei beide Präsidenten ums Leben kamen, wurde vielerorts in Ruanda die Verantwortung dafür der RPF zugeschrieben. Von Seiten der ruandischen Machthaber kam es in der Folge zu einer systematischen Tötung von mindestens 500.000 in Ruanda lebenden Tutsi und ca. 10.000 oppositionellen gemäßigten Hutu, vor allem durch die ruandische Armee FAR sowie die milizartige Jugendorganisation Interahamwe. Die Massenmorde endeten erst im Juli 1994, als es der RPF unter der Führung des Tutsi Kagame - des heutigen Präsidenten Ruandas - gelang, nach Siegen über die staatliche Armee FAR sowie die Interahamwe-Miliz die Macht in Ruanda zu übernehmen. Dem folgte ein Massenexodus der Mitglieder der ruandischen Regierung, der Soldaten der ruandischen Armee und der Angehörigen der Interahamwe, aber auch hunderttausender ziviler Hutu ins Ausland. Insgesamt verließen weit mehr als eine Million Ruander ihre Heimat. Ein Großteil der Menschen suchte Zuflucht in den an Ruanda angrenzenden Provinzen Nord- und Süd-Kivu der damaligen Republik Zaire.
7
Nahe der Grenze zu Ruanda entstanden Lager, in denen sich die ruandischen Flüchtlinge reorganisierten. Die bewaffneten Kräfte formierten sich neu mit dem Ziel, gewaltsam die Macht im Heimatland wiederzuerlangen, und brachten die Flüchtlingslager unter ihre Kontrolle. Nachdem sie von den Lagern aus zahlreiche Angriffe auf ruandisches Territorium durchgeführt hatten, überschritten im Jahr 1996 ruandische Truppen die Staatsgrenze und zerstörten gemeinsam mit ihren Verbündeten die Lager, wobei Tausende Zivilisten getötet wurden. Nach dem anschließenden Machtwechsel in dem von Republik Zaire in Demokratische Republik Kongo umbenannten Staat bediente sich der neue Machthaber Laurent-Désiré Kabila der ruandischen Rebellen, um die Armee Ruandas und ihre Alliierten zu bekämpfen; er und seine Bündnispartner versorgten die Milizionäre mit Waffen und Logistik.
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Am 1. Mai 2000 wurde in der Demokratischen Republik Kongo mit Unterstützung der kongolesischen Regierung die FDLR gegründet. Die beiden in Deutschland lebenden Angeklagten nahmen an der Gründungsversammlung teil. Führer der ruandischen Milizionäre suchten nach einem organisatorischen Rahmen, unter dem sich diese neu formieren und ihren Kampf für einen Machtwechsel in Ruanda auf politischer Ebene effektiver weiterverfolgen konnten. Für eine "unbelastete" Organisation, die in der Lage war, auf internationaler Ebene als legitimer Verhandlungspartner aufzutreten, sollten als Funktionäre solche Politiker gewonnen werden, die nicht in den ruandischen Völkermord verwickelt waren und über ausreichend Einflussmöglichkeiten verfügten. Der Angeklagte Mu. erfüllte diese Anforderungen. Im Juni 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR bestimmt und im Dezember 2001 in Wahlen bestätigt. Die Truppenteile der ruandischen Milizionäre verschmolzen Anfang 2003 zur FOCA als vereinten militärischen Kräften der Organisation.
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In der Folgezeit setzte sich die FDLR in den Kivu-Gebieten fest. Ihrer Miliz gelang es, ganze Zonen unter ihre Kontrolle zu bringen, sodass insgesamt ungefähr die Hälfte der Fläche der Kivu-Provinzen unter ihrem Einfluss stand. Die Truppen errichteten in der Regel außerhalb der Siedlungen der kongolesischen Zivilbevölkerung Lager, die den Milizionären und dem dazugehörigen Truppenpersonal vorbehalten waren. In der Nähe ließen sich häufig ruandische Flüchtlinge nieder, unter ihnen viele Familienangehörige der Kämpfer.
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Nach internen Machtkämpfen innerhalb der FDLR im Jahr 2004 sprach sich der neu gewählte FOCA-Kommandant Mudacumura dafür aus, dass der Angeklagte Mu. weiterhin das "Amt" des Präsidenten der FDLR bekleide; dieser enthob daraufhin fünf Funktionäre ihrer "Ämter", unter anderem den ersten Vizepräsidenten, und ernannte stattdessen fünf andere Personen auf die Positionen, darunter den Angeklagten M. zum kommissarischen ersten Vizepräsidenten. Am 25. Juni 2005 wurden die Angeklagten zum Präsidenten und ersten Vizepräsidenten gewählt.
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In öffentlichen Bekundungen erklärte die FDLR ihre bewaffnete Präsenz in den Kivu-Provinzen als eine Etappe auf dem Weg zu einer Beteiligung an der Macht in Ruanda, bis die ruandische Regierung zu einem innerruandischen Dialog und zu politischen Konzessionen bereit sei. Intern wurde bis zuletzt die Übernahme der Macht in Ruanda als eigentliches Ziel genannt.
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2. Organisationsstruktur
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Die FDLR war nach ihren Regelwerken und nach den tatsächlichen Verhältnissen sowohl im politischen als auch im militärischen Teil hierarchisch gegliedert und wies differenzierte Führungs-, Entscheidungs- und Kommandostrukturen auf. An der Spitze der Vereinigung standen der Präsident und zwei Vizepräsidenten, von denen der erste Vizepräsident für den politischen und administrativen Bereich, der zweite Vizepräsident für Verteidigung und Sicherheit zuständig war. Die höchsten Gremien der FDLR stellten der Nationalkongress , das Nationale Widerstandskomitee und das Comité Directeur dar. Da in der instabilen Kriegsregion des Ost-Kongo größere Versammlungen von FDLRMitgliedern kaum möglich waren, war das Comité Directeur das faktisch oberste Entscheidungsgremium der Gesamtorganisation. Es war jeweils zur Hälfte aus Personen des politischen und des militärischen Teils der Vereinigung zusammengesetzt. Zu den Mitgliedern aus dem politischen Bereich zählten unter anderem der Präsident sowie die beiden Vizepräsidenten; die Mitglieder des militärischen Bereichs waren Angehörige des FOCA-Oberkommandos, regelmäßig - neben anderen - der FOCA-Kommandant und dessen Vertreter. Dem Comité Directeur untergeordnet war das Exekutivkomitee der FDLR, das für die Ausführung der Entscheidungen und für das Tagesgeschäft verantwortlich zeichnete. Diesem gehörten ebenfalls der Präsident und die beiden Vizepräsidenten an, daneben auch der Exekutivsekretär, der für die Koordination der Tätigkeiten zuständig war und die Funktion eines Berichterstatters einnahm.
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Die FOCA, die als bewaffneter Arm der FDLR in die Gesamtorganisation eingebunden war und formal deren verantwortlichen Gremien unterstand, war wie eine reguläre Armee aufgebaut und verfügte über eine bürokratische Struktur. Faktisch war das Militär der mächtige und bestimmende Teil der Gesamtvereinigung. Das höchste Organ auf militärischer Ebene stellte das FOCAOberkommando dar, das in Umsetzung der vom Comité Directeur vorgegebenen bindenden Leitlinien alle wichtigen Entscheidungen im militärischen Bereich traf. An der Spitze der bewaffneten Milizionäre standen der FOCA-Kommandant und dessen Vertreter. Der Kommandant war Führer der Miliz auf operativem Gebiet und für die Umsetzung der strategischen Vorgaben des Oberkommandos zuständig. Er und sein Vertreter waren zugleich Präsident und Vizepräsident des Oberkommandos. Die mehreren tausend - großteils mit Sturmgewehren ausgerüsteten - Kämpfer waren in Divisionen, Bataillone, Kompanien, Züge und Gruppen untergliedert.
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3. Terroristische Aktivitäten
16
a) Ihre wirtschaftliche Existenz sicherte die FDLR unter anderem durch von der kongolesischen Zivilbevölkerung erhobene Schutzsteuern, Zwangsabgaben und Wegezölle sowie vor allem durch sogenannte Verpflegungsoperationen ("opérations de revitaillement"), die schon vor dem Jahr 2008 und seither wiederkehrend durchgeführt wurden. Unter diesem Begriff wurde insbesondere das vom FOCA-Kommando befohlene oder genehmigte Plündern bei der lokalen Bevölkerung verstanden. Um Nahrungsmittel und Vieh, Kleidung, Bedarfsgegenstände , Medikamente sowie Geld zu erlangen, verübten die Milizionäre Überfälle auf Fahrzeuge, Geschäftseinrichtungen, Gehöfte und ganze Siedlungen. Solche Plünderungen stellten ein wesentliches Mittel dar, um in Zeiten bewaffneter Konflikte die Versorgung der Truppen mit dem notwendigen Lebensbedarf sicherzustellen.
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b) Nachdem noch von August bis November 2008 die FDLR die kongolesische Armee FARDC bei einer Militäroffensive gegen die CNPD, eine neue Rebellenbewegung dominiert von Tutsi, unterstützt hatte, kam es anschließend zu einer Annäherung der Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas. Die Präsidenten Joseph Kabila und Kagame trafen einen Kompromiss , wonach sich die ruandischen Streitkräfte an einer Militäroffensive gegen die FDLR beteiligen sollten und die CNPD eine neue politische Rolle im Nord-Kivu einnehmen sollte. Die Kämpfer der CNPD wurden daraufhin in die kongolesische Armee integriert.
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Am 20. Januar 2009 begann unter Beteiligung der ruandischen und der kongolesischen Streitkräfte die gegen die FDLR geführte militärische Offensive "Umoja Wetu", die bis zum 25. Februar 2009 andauerte. Ihr schloss sich die Folgeoffensive "Kimia II" der kongolesischen Streitkräfte mit Unterstützung der UN-Friedensmission MONUC vom 2. März bis Ende 2009 an. Die FOCA-Truppen gerieten unter starken militärischen Druck und zogen sich zurück. Da sich die FDLR von den kongolesischen Streitkräften ebenso verraten fühlte wie von Teilen der kongolesischen Zivilbevölkerung, die sich unter den Schutz des nunmehrigen militärischen Gegners stellte, entwickelte das FOCA-Kommando die Strategie der sogenannten Bestrafungsoperationen ("opérations punitives"). Darunter wurden Vergeltungsangriffe der FOCA gegen solche Siedlungen verstanden , von denen aus die FARDC oder verbündete bewaffnete Gruppierungen FOCA-Stellungen und ruandische Flüchtlinge attackiert hatten. Mit den Bestrafungsoperationen sollte in erster Linie an der FARDC und gegebenenfalls Verbündeten Rache geübt werden; sie sollten daran gehindert werden, weiter gegen die FDLR vorzugehen. Gleichzeitig dienten die Operationen aber auch dazu, die Zivilbevölkerung, die die feindlichen Truppen - tatsächlich oder vermeintlich - unterstützte, zu bestrafen und davon abzuschrecken, der FARDC und verbündeten Gruppierungen Hilfe zu leisten. Anders als die FDLR-Milizio- näre lebten die Soldaten der FARDC regelmäßig inmitten der Bevölkerung, nahmen oftmals deren Häuser für sich in Anspruch und ließen sich durch sie mit allem versorgen, was zum Bestreiten des täglichen Unterhalts der Truppen erforderlich war. Auch bedienten sich die kongolesischen Soldaten zum Auffinden des Gegners in der Regel Zivilisten als ortskundigen Führern. Die Teile der Bevölkerung, die unter solchen Umständen zusammen mit den FARDC-Soldaten in den Siedlungen blieben oder dort Schutz suchten, galten nach dem Verständnis der FOCA als "Feinde". Eine Unterscheidung zwischen Soldaten und Zivilisten war bei den Angriffen auf ganze Ortschaften nicht vorgesehen. Die FOCA-Führung ging davon aus, dass die Kämpfer Einwohner töteten und deren Häuser niederbrannten. Mit in den umkämpften Gebieten verteilten Flugblättern wurde den kongolesischen Zivilisten gedroht, sie würden im Fall einer Zusammenarbeit mit der kongolesischen Armee und deren Verbündeten wie diese als "Feinde" betrachtet.
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Während der Offensiven "Umoja Wetu" und "Kimia II" führte die FDLR folgende Vergeltungsangriffe, die sich gegen feindliche Einheiten, aber insbesondere auch gegen die Zivilbevölkerung richteten, auf in den Kivu-Gebieten gelegene Siedlungen durch: – UmVergeltung für einen Angriff der kongolesischen Armee auf ruandische Flüchtlinge zu verüben und die lokale Zivilbevölkerung zu bestrafen, die die Soldaten bei sich aufgenommen hatte, entschloss sich die FOCA zu einer Bestrafungsoperation gegen das Dorf Kipopo (Nord-Kivu). Diese fand am 13. Februar 2009 in der Nacht statt. Die Milizionäre drangen in den Ort ein und setzten mindestens hundert Holz- und Strohhäuser in Brand. In einigen der Häuser hatten sie zuvor Dorfbewohner eingesperrt, die infolgedessen bei lebendigem Leib verbrannten. Mindestens 13 Zivilisten wurden getötet. Ob sich zurzeit des Angriffs - wie von den FOCA- Kämpfern erwartet - tatsächlich FARDC-Soldaten in dem Dorf aufhielten, hat das Oberlandesgericht nicht festzustellen vermocht. – Um Vergeltung für Angriffe der FARDC auf FOCA-Kämpfer sowie für die Tötung ruandischer Flüchtlinge zu verüben und sich bei der "abtrünnigen" örtlichen Zivilbevölkerung zu rächen, die die ruandischen und kongolesischen Streitkräfte willkommen geheißen und unterstützt hatte, ordnete das FOCA-Kommando eine Bestrafungsoperation gegen das Dorf Mianga (Nord-Kivu) an. Nachdem die FDLR-Milizionäre die Soldaten der kongolesischen Armee am frühen Morgen des 12. April 2009 angegriffen und in die Flucht geschlagen hatten, gingen sie anschließend gezielt gegen die Bevölkerung vor. Sie drangen gewaltsam in das Haus des Dorfvorstehers ein und enthaupteten den in seinem Bett liegenden Mann mit einer Machete. Danach töteten sie drei andere Angehörige der zivilen Dorfverwaltung. Ferner erschossen, erschlugen und zerstückelten sie mindestens 41 weitere Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder, und brannten fast das ganze Dorf, mindestens aber 50 Häuser nieder. – Als Vergeltung für die insbesondere von der kongolesischen Armeevor- genommene brutale Tötung zahlreicher ruandischer Flüchtlinge ordnete das FOCA-Kommando einen Angriff auf die Ortschaft Busurungi (NordKivu ) an. Die Operation, die am 10. Mai 2009 nach 2 Uhr stattfand, diente auch dazu, die dort verbliebene Zivilbevölkerung für ihren "Verrat" durch Unterstützung des militärischen Gegners zu bestrafen. Nachdem die FARDC-Soldaten geflohen waren, gingen die FDLR-Milizionäre massiv gegen die ihnen schutzlos ausgelieferte Bevölkerung vor. Bei der Bestrafungsoperation töteten sie 96 Einwohner, insbesondere auch Frauen, Kinder und alte Menschen, indem sie sie erschossen, erschlugen, erstachen , zerstückelten, ihnen die Kehle durchschnitten oder sie in ihren Häusern verbrannten. Die Angreifer setzten die ganze Siedlung in Brand; 700 Gebäude, darunter Schulen, Kirchen und Gesundheitszentren, wurden zerstört. Zwei FOCA-Kämpfer entwendeten aus dem Haus eines Ehepaars Bargeld und alles sonstige Stehlenswerte. Die Ortschaft war nach dem Angriff unbewohnbar und wurde in den folgenden Jahren nicht wiederbesiedelt. – Nach Drohschreibendes Befehlshabers einer FOCA-Kompanie mit der Ankündigung, gegen die kongolesische Armee und die sie beherbergende Zivilbevölkerung vorzugehen, überfielen zwischen dem 25. unddem 27. Mai 2009 FOCA-Kämpfer das Dorf Chiriba (Süd-Kivu). Sie töteten mindestens vier Zivilisten und brannten mehr als hundert Häuser nieder. – Um die in dem Dorf Manje (Nord-Kivu) stationierten Streitkräfte der FARDC zu vertreiben und die dort verbliebene Zivilbevölkerung "zur Rechenschaft zu ziehen", nahm die FDLR in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 2009 eine Bestrafungsoperation gegen diese Ortschaft vor. Nachdem die kongolesischen Soldaten vertrieben waren, töteten die FDLR-Rebellen zumindest 16 Zivilisten, indem sie sie mit Macheten erschlugen oder in ihren Häusern verbrannten; insgesamt brannten die Milizionäre mindestens 182 Gebäude nieder.
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4. Funktionen und Betätigungen der Angeklagten
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a) Der Angeklagte Mu. nahm als Präsident der FDLR zahlreiche wichtige Aufgaben in der Verwaltung und Repräsentation der Organisation wahr, insbesondere folgende: Er war "oberste Autorität" der FDLR sowie deren Vertreter gegenüber Regierungen, anderen politischen Organen und internationalen Organisationen bei Verhandlungen und Eingaben. Er war Vorsitzender des Comité Directeur, dessen Versammlungen er vorbereitete und leitete, und gehörte dem Exekutivkomitee an. Er hatte formal den Oberbefehl über die Streitkräfte inne, ohne allerdings faktisch die Möglichkeit zu haben, auf Entscheidungen des FOCA-Kommandos - namentlich des Kommandanten Mudacumura - Einfluss zu nehmen und insbesondere Kriegsverbrechen der Milizionäre gegen den Willen der militärischen Führung zu verhindern.
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Der Angeklagte Mu. motivierte die Mitglieder der FDLR durch schriftliche Botschaften sowie Ansprachen. Er war maßgebend für die Öffentlichkeits- und Propagandaarbeit verantwortlich, die er im Wesentlichen in enger Absprache mit dem in Frankreich wohnhaften Exekutivsekretär Mb. und mit Unterstützung des Angeklagten M. leistete. Der Angeklagte Mu. verfasste Presseerklärungen und gab den Medien Interviews; die Öffentlichkeitsarbeit wurde im Jahr 2009 zunehmend ein Instrument, die Verantwortung der FDLR für die Kriegsverbrechen - ohne Nachprüfung - abzustreiten und sie dem militärischen Gegner anzulasten. Dies war den kämpfenden Einheiten und den FOCA-Führungskräften bekannt. Außerdem versorgte der Angeklagte diese von Dezember 2007 bis August 2009 18-mal mit Telefoneinheiten und Zubehör für Satellitentelefone, auf die die Führungskräfte für die Vorbereitung und Durchführung militärischer Operationen angewiesen waren.
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b) Der Angeklagte M. übte das "Amt" des ersten Vizepräsidenten aktiv aus und trat als solcher auf, insbesondere wie folgt: Er war Mitglied des Comité Directeur sowie des Exekutivkomitees. Zur Vorbereitung und Durchführung der Versammlungen des Comité Directeur standen die beiden Angeklagten in vertrautem Kontakt. Bei der letzten Versammlung im Januar 2009, die in enger Abstimmung zugleich in Europa und im Ost-Kongo stattfand, wirkte der Angeklagte M. an den Entscheidungen und Empfehlungen sowie der Ausformulierung der entsprechenden Texte mit. Überdies unterstützte er den Ange- klagten Mu. bei der Öffentlichkeits- und Propagandaarbeit und beriet sich dabei regelmäßig mit ihm. Insbesondere richtete er Schreiben an Politiker und Organisationen, diente als Ansprechpartner der Vereinigung, fertigte und unterzeichnete Presseerklärungen und nahm dabei Einfluss auf deren Inhalt. Gemeinsam mit dem Angeklagten Mu. sowie Mb. verfolgte er die Linie, gegenüber der FDLR erhobene Vorwürfe, ihre Angehörigen hätten Straftaten begangen, stets unverzüglich zu bestreiten.
24
5. Kenntnisse der Angeklagten
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Die Angeklagten hatten Kenntnis davon, dass die FDLR von der Zivilbevölkerung Wegezölle, Zwangsabgaben sowie Schutzsteuern erhob und die FDLR-Milizionäre vor und während der Offensiven "Umoja Wetu" und "Kimia II" "Kriegsverbrechen" begingen; der Angeklagte Mu. wusste positiv um die von der FOCA-Führung angeordneten und den Kämpfern durchgeführten sogenannten Verpflegungsoperationen. "Die Art und Weise des Vorgehens der FOCA gegen die lokale Zivilbevölkerung bei (Bestrafungs-)Operationen gegen kongolesische Siedlungen war beiden Angeklagten spätestens nach dem Angriff auf das Dorf Kipopo bekannt; zumindest akzeptierten und billigten sie dieses."
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II. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen folgende Wertungen vorgenommen :
27
Die Angeklagten hätten sich als Rädelsführer mitgliedschaftlich an der ausländischen terroristischen Vereinigung FDLR beteiligt (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Deren Tätigkeit sei, was beiden Angeklagten bekannt gewesen sei, darauf gerichtet gewesen, Kriegsverbrechen zu begehen. Zum einen hätten die FDLR-Milizionäre schon vor dem Jahr 2008 und seither wiederkehrend - als Verpflegungsoperationen bezeichnete - systemati- sche Plünderungen durchgeführt, die als Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 Variante 1 VStGB) zu beurteilen seien. Zum anderen hätten die Kämpfer ab Februar 2009 während der (Bestrafungs-)Operationen gegen die fünf kongolesischen Siedlungen Kipopo, Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje, von der Vorstellung der Angeklagten umfasst ab März 2009, weitere Kriegsverbrechen begangen. Dabei handele es sich jeweils um Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB) sowie gegen Eigentum und sonstige Rechte in Form des Zerstörens und - in einem Fall (Busurungi) - des Plünderns (§ 9 Abs. 1 Variante 1, 2 VStGB). Da beide Angeklagte maßgebliche Führungsrollen innerhalb der FDLR innegehabt und einen bestimmenden Einfluss auf die Organisation ausgeübt hätten, seien sie als Rädelsführer anzusehen.
28
Das Verhalten des Angeklagten Mu. sei darüber hinaus als zu der Rädelsführerschaft tateinheitlich hinzutretende "Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen" zu werten. Zu den Haupttaten, die die FDLR-Milizionäre in den fünf benannten Siedlungen begangen hätten, habe der Angeklagte durch eine einheitliche Tat (§ 2 VStGB, § 52 StGB) physisch und - "vor allem" (UA S. 573) - psychisch Beihilfe geleistet (§ 2 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB). Die physische Beihilfe habe darin bestanden, dass der Angeklagte die FOCA-Führung mit Telefoneinheiten und Zubehör für Satellitentelefone versorgt habe; psychische Beihilfe habe er mit seiner Propagandatätigkeit sowie - im Zusammenhang hiermit - den schriftlichen Botschaften geleistet. Den Gehilfenvorsatz in Bezug auf die Haupttaten hat das Oberlandesgericht nur teilweise bejaht. Hinsichtlich der zeitlich ersten Operation gegen Kipopo während der Offensive "Umoja Wetu" habe der Angeklagte - nicht ausschließbar - unvorsätzlich, hinsichtlich der weiteren vier Angriffe auf Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje nach Beginn der Folgeoffensive "Kimia II" dagegen mit Vorsatz gehandelt.
29
Indes sei eine Strafbarkeit der FDLR-Milizionäre wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) ebenso wie ein hierauf bezogener Vorsatz des Angeklagten Mu. zu verneinen. Auch bestehe keine täterschaftliche Verantwortlichkeit des Angeklagten für die Kriegsverbrechen gegen Personen sowie gegen Eigentum und sonstige Rechte, weder aufgrund - gegebenenfalls irrtümlich angenommener - militärischer Befehlshaberschaft (§ 4 VStGB bzw. §§ 2, 4 VStGB, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB) noch nach allgemeinem Strafrecht als mittelbarer Unterlassungstäter (§ 2 VStGB, § 13 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB).

B.

30
I. Revision des Angeklagten Mu.
31
Die Revision des Angeklagten Mu. führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, soweit es ihn betrifft, unter Aufrechterhaltung der oben in Ziffer 1 der Entscheidungsformel bezeichneten objektiven Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang.
32
1. Es besteht kein Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs.
33
a) Eine Verletzung des Ne-bis-in-idem-Grundsatzes (Art. 103 Abs. 3 GG) wäre deshalb denkbar, weil der Angeklagte Mu. mit Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 3. März 2009 i.V.m. dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. Juni 2009 rechtskräftig wegen Zuwiderhandlung gegen eine ausländerrechtliche vollziehbare Anordnung in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden war. Dem lag zugrunde, dass er in der Zeit von September 2007 bis November 2008 durch 13 Handlungen (etwa Presseerklärungen) im Rahmen der von ihm als Präsident der FDLR geleisteten Öffentlichkeitsarbeit das auf § 47 AufenthG gestützte Verbot der Stadt Mannheim vom 2. Mai 2006 missachtet hatte, sich für die Organisation politisch zu betätigen und Ämter in ihr auszuüben (s. Sachakten, Register 3, Ordner 2, Bl. 147 ff., 160 ff.). Damit waren Gegenstand dieser Vorverurteilung weitere mitgliedschaftliche Betätigungsakte für die FDLR, wobei damals die Verwirklichung des Tatbestands des § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB unberücksichtigt geblieben war.
34
b) Die der Vorstrafe zugrundeliegenden Taten sind indes nach der neueren Rechtsprechung des Senats gegenüber den in den Feststellungen des angefochtenen Urteils geschilderten, verfahrensgegenständlichen Taten materiellrechtlich wie im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO prozessual selbständig:
35
Wäre der Angeklagte damals - auf der Grundlage der nunmehr getroffenen Feststellungen der materiellen Rechtslage entsprechend - auch wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt worden, wäre bei allen 13 abgeurteilten Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG jeweils von Tateinheit mit dem Organisationsdelikt der § 129a Abs.1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB auszugehen. Weitere Betätigungsakte für die Vereinigung, die noch gegen andere Strafgesetze verstoßen (wie gegebenenfalls hier § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Variante 1, 2, § 2 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB durch die Zuwendungen von Mitteln für die Satellitentelefonie sowie durch die Öffentlichkeits- und Propagandaarbeit), stehen hierzu in Tatmehrheit. Gleiches gilt für Beteiligungshandlungen, die nicht gesondert strafbar sind (wie beispielsweise die Vorbereitung und Leitung von Versammlungen des Comité Directeur sowie Verhandlungen auf internationaler Ebene); diese werden durch das Organisationsdelikt als tatbestandliche Handlungseinheit zusammengefasst und treten in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§ 53 StGB) zu den auch andere Straftatbestände erfüllenden Betätigungsakten hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6; vom 8. November 2017 - AK 54/17, NStZ-RR 2018, 42, 43).
36
Da es sich bei den der Vorverurteilung zugrundeliegenden Taten um getrennte Lebensvorgänge handelt und sachlichrechtlich selbständige Taten grundsätzlich auch prozessual selbständig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, juris Rn. 47 [insoweit in BGHSt 60, 308 nicht abgedruckt ]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 264 Rn. 2, 6 mwN), ist hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Beteiligungshandlungen kein Strafklageverbrauch eingetreten. Das gilt unabhängig davon, inwieweit diese Handlungen noch gegen andere Strafgesetze verstoßen und solche Verstöße schwerer wiegen als die Verwirklichung des Tatbestands der § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB.
37
2. Die Verfahrensbeanstandungen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. August 2017 genannten Gründen ganz überwiegend nicht durch. Schon deshalb kann auch ein aus Mängeln des Verfahrens resultierendes Prozesshindernis nicht vorliegen. Lediglich für die Rüge "Unzureichender rechtlicher Hinweis zur 'Beihilfe'" (C. II. 5. der Revisionsbegründung ) lässt der Senat deren Zulässigkeit und Begründetheit dahinstehen (dazu unten b)). Näher einzugehen ist allein auf den Rügekomplex "Neuer Pflichtverteidiger für den Angeklagten Mu. ab dem 247. Haupt verhandlungstag" (C. I. der Revisionsbegründungsschrift; dazu nachfolgend a)).
38
a) Mit dem Rügekomplex "Neuer Pflichtverteidiger ..." hat der Angeklagte Mu. eine "Verletzung von §§ 141, 142 Abs. 1, 145 Abs. 1, 265 Abs. 4, 338 Nrn. 5 und 8 StPO und des Grundsatzes des fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG" geltend gemacht.
39
aa) Diesen Rügen liegen - im Wesentlichen - folgende Verfahrensgeschehnisse zugrunde:
40
Die Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht fand an 320 Hauptverhandlungstagen zwischen dem 4. Mai 2011 und dem 28. September 2015 statt. Ab dem 230. Hauptverhandlungstag am 12. Mai 2014 nahm Rechtsanwalt S. , den der Vorsitzende dem Angeklagten Mu. wegen des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens als zweiten Pflichtverteidiger neben Rechtsanwältin L. beigeordnet hatte, aus gesundheitlichen Gründen an der Hauptverhandlung nicht mehr teil.
41
Mit Verfügung vom 15. Juli 2014 gab der Vorsitzende bekannt, es sei beabsichtigt, für den Angeklagten Mu. zur Sicherung des Verfahrens einen weiteren Pflichtverteidiger zu bestellen, und gab dem Angeklagten Gelegenheit, bis spätestens zum 25. Juli 2014 einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen. Der Angeklagte bat daraufhin um Beiordnung von Rechtsanwalt R. oder Rechtsanwalt N. . Der Vorsitzende, der zwischenzeitlich Kontakt zu dem in Stuttgart ansässigen Rechtsanwalt E. aufgenommen hatte , teilte den Rechtsanwälten R. und N. mit Schreiben vom 25. und 30. Juli 2014 jeweils mit, dass eine Bestellung zum Pflichtverteidiger in Betracht komme, wenn sie künftig an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen teilnehmen könnten, ferner bereit seien, sich während der bevorstehenden einmonatigen Sommerunterbrechung bis zum 14. September 2014 in das Verfahren einzuarbeiten , und "daher keinen Aussetzungs- oder Unterbrechungsantrag zur Einarbeitung ... stellen" würden. Falls diese Zusagen nicht gemacht werden könnten, werde ein Stuttgarter Strafverteidiger beigeordnet, der seine Bereit- schaft zur Übernahme der Verteidigung unter den genannten Umständen erklärt habe.
42
Rechtsanwalt R. bekundete letztlich mit Schriftsatz vom 6. August 2014, dass eine Verteidigung am 15. August 2014 nicht möglich sei. Rechtsanwalt N. erklärte mit Schriftsatz vom selben Tag, er könne - mit ganz wenigen Ausnahmen - jeweils an den avisierten Terminstagen zur Verfügung stehen. Des Weiteren äußerten beide Zweifel, sich in der Sommerunterbrechung ausreichend in das Verfahren einarbeiten zu können, und verlangten vom Vorsitzenden unter Berufung auf die gerichtliche Fürsorgepflicht und das Gebot eines fairen Verfahrens, sie - über die schriftlichen Unterlagen hinausgehend - persönlich von dem Gang der Hauptverhandlung und den bisherigen Ergebnissen der Beweisaufnahme zu unterrichten. Schließlich sahen sie sich aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen außerstande, vorab auf Unterbrechungs - und Aussetzungsanträge zu verzichten.
43
Daraufhin bestellte der Vorsitzende am 7. August 2014 Rechtsanwalt E. zum dritten Pflichtverteidiger des Angeklagten Mu. . Dieser und Rechtsanwältin L. lehnten von Beginn an jede Kommunikation mit Rechtsanwalt E. ab. Der Angeklagte entband weder Rechtsanwältin L. noch Rechtsanwalt S. von der anwaltlichen Schweigepflicht gegenüber dem neuen Verteidiger.
44
Am auf die Beiordnungsentscheidung folgenden 252. Hauptverhandlungstag , dem 15. August 2014, beantragte Rechtsanwältin L. , Rechtsanwalt E. zu entpflichten und für den Fall, dass er nicht entpflichtet werde, das Verfahren gemäß § 265 Abs. 4 StPO auszusetzen. Zur Begründung führte sie an, die Beiordnung sei von unzulässigen und für den Angeklagten nachteiligen Bedingungen abhängig gemacht worden, sodass ein Vertrauensverhältnis zum Angeklagten nicht bestehe. Zudem sei Rechtsanwalt E. ungeeignet und nicht in das Verfahren eingearbeitet. Mit Schriftsätzen vom 19. August und 8. September 2014 beantragte Rechtsanwalt E. selbst, entpflichtet zu werden. Eine sachgerechte Verteidigung sei mangels Kommunikation mit dem Angeklagten nicht möglich. Dem schloss sich Rechtsanwältin L. jeweils schriftsätzlich an. Der Vorsitzende lehnte die Anträge am 253. Hauptverhandlungstag ab, dem ersten Verhandlungstag nach der Sommerunterbrechung am 15. September 2014, an dem auch Rechtsanwältin L. krankheitsbedingt fehlte.
45
Am 259. Hauptverhandlungstag, dem 13. Oktober 2014, erklärte Rechtsanwältin L. , der Angeklagte Mu. habe sie beauftragt mitzuteilen , dass für ihn Rechtsanwalt E. ein "Verbrecher" sei. Rechtsanwältin L. schloss sich dieser Äußerung ausdrücklich an und stellte sie in den Kontext der Zusagen, die Rechtsanwalt E. gegenüber dem Vorsitzenden abgegeben hatte. Mit Schriftsatz vom 7. November 2014 beantragte auch Rechtsanwalt E. erneut, seine Beiordnung aufzuheben. Zur Begründung führte er aus, dass das Vertrauensverhältnis endgültig und nachhaltig erschüttert sei, weil der Angeklagte ihn als "Verbrecher" bezeichnet und Rechtsanwältin L. sich dem angeschlossen habe. Wegen dieses Vorfalls habe er, Rechtsanwalt E. , Strafanzeige erstattet und Strafantrag gestellt.
46
Ab dem 252. Hauptverhandlungstag stellten sowohl der Angeklagte Mu. als auch Rechtsanwältin L. im Zusammenhang mit der Beiordnung von Rechtsanwalt E. eine Vielzahl weiterer Anträge, insbesondere auf dessen Entpflichtung und Bestellung von Rechtsanwalt N. sowie auf Aussetzung und/oder Unterbrechung der Hauptverhandlung. Sämtliche Anträge wurden abgelehnt, zuletzt mit Beschlüssen vom 25. März 2015.
47
bb) Wegen dieser Verfahrensgeschehnisse hat der Angeklagte Mu. mehrere Verfahrensrügen erhoben. Diese sind in der Revisionsbegründungsschrift in der Weise dargestellt, dass zunächst die tatsächlichen Vorgänge zusammenhängend in chronologischer Abfolge vorgetragen werden (S. 100 bis 236 zuzüglich Anlagen) und anschließend eine "rechtliche Würdigung" vorgenommen wird, in der - weitestgehend ohne ausdrückliche Bezugnahme auf konkrete Verfahrenshandlungen - mehrere Verfahrensverstöße unter verschiedenen rechtlichen Gesichtspunkten geltend gemacht werden (S. 237 bis 260).
48
Obgleich eine solche Form des Revisionsvortrags - insbesondere in Anbetracht des erheblichen Umfangs des Rügekomplexes - im Hinblick auf die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO grundsätzlichen Bedenken begegnet , vermag der Senat im Rahmen der gebotenen Auslegung einzelne Stoßrichtungen der Rügen noch hinreichend zu konkretisieren. Diesen Verfahrensbeanstandungen bleibt indes der Erfolg versagt:
49
(1) Soweit die Revision auf eine Verletzung der §§ 141, 142 Abs. 1 StPO gestützt ist, weil der Vorsitzende des erkennenden Strafsenats Rechtsanwalt E. , nicht Rechtsanwalt R. oder Rechtsanwalt N. zum Pflichtverteidiger bestellt habe, ist die Rüge jedenfalls aus einem anderen Grund unzulässig.
50
(a) Der Angeklagte Mu. hat die Beiordnung von Rechtsanwalt E. als rechtswidrig beanstandet, weil der Vorsitzende hiermit das Ziel verfolgt habe, eine Aussetzung oder Unterbrechung um jeden Preis zu vermeiden , wohingegen er die Verteidigungsinteressen völlig außer Betracht gelassen habe. Er habe sich über das Recht des Angeklagten, einen Verteidiger seines Vertrauens auswählen zu dürfen, ohne wichtigen Grund hinweggesetzt. Ein Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt E. , der nicht in das Verfahren einge- arbeitet gewesen sei, habe von Anfang an nicht zustande kommen können; denn dieser habe sich zu Unmöglichem, nämlich zu einer Einarbeitung in zu kurzer Zeit, bereit erklärt und zum Nachteil des Angeklagten vorab auf Aussetzungs - oder Unterbrechungsanträge verzichtet. Da der Vorsitzende seine Entscheidung auf das Beschleunigungsgebot gestützt habe, sei besonders in den Blick zu nehmen, dass er durch sein langes Zuwarten nach Bekanntwerden der Erkrankung von Rechtsanwalt S. die Zeitnot erst herbeigeführt habe; diese wäre bei rechtzeitigem Einschreiten nicht eingetreten.
51
(b) Den Erwägungen liegt ein unzutreffender Sachvortrag zugrunde, soweit eine selbstverschuldete Zeitnot behauptet worden ist. Dies macht die Rüge unzulässig, weil es dem Senat nicht möglich ist, die Beiordnungsentscheidung des Vorsitzenden allein auf der Grundlage des Revisionsvorbringens dahin zu prüfen, ob er sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.
52
Der Beschwerdeführer hat zu der behaupteten vom Vorsitzenden zu verantwortenden Zeitnot vorgetragen, nachdem der zweite Pflichtverteidiger Rechtsanwalt S. am 23. Mai 2014 mitgeteilt habe, dass er aufgrund Erkrankung nicht in der Lage sei, bis zum 6. Juni 2014 an der Hauptverhandlung teilzunehmen , sei "zwei Monate lang im Hinblick auf das Defizit der Verteidigung nichts" geschehen (S. 118). Wie der Generalbundesanwalt in seiner Gegenerklärung vom 21. April 2017 im Einzelnen dargelegt hat, entspricht dieses Vorbringen nicht den Tatsachen. Vielmehr fand im Anschluss an das benannte Telefax eine beachtliche schriftliche Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden und Rechtsanwalt S. statt, die darauf gerichtet war, eine Verteidigung des Angeklagten Mu. sicherzustellen. Erst mit seinem vierten Schriftsatz vom 15. Juli 2014, auf den der Vorsitzende sogleich mit der Anfrage an den Angeklagten initiativ wurde, teilte Rechtsanwalt S. mit, auf absehbare Zeit sei nicht mit der Wiederherstellung seiner Gesundheit zu rechnen. Ob er dauerhaft aus dem Verfahren ausscheiden werde, war auch zu diesem Zeitpunkt ungesichert. Noch eine amtsärztliche Stellungnahme vom 14. November 2014 stellte für Rechtsanwalt S. fest, die bei ihm in leichter Form vorliegende Erschöpfungssymptomatik habe sich nicht verschlechtert, die hausärztliche Krankschreibung habe "einen vorbeugend-schützenden Charakter" und zum künftigen gesundheitlichen Verlauf ließe sich keine sichere Aussage treffen. Seine Bestellung als - vom Angeklagten ausgewählter - Pflichtverteidiger wurde erst mit Beschluss vom 23. Februar 2015 zurückgenommen.
53
(c) Die derart verschwiegenen Verfahrenstatsachen sind für die revisionsrechtliche Beurteilung der Beiordnungsentscheidung vom 7. August 2014 wesentlich. Zwar scheint es rechtlich bedenklich, dass der Beschluss über die Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt E. auch damit begründet ist, nur dieser, nicht hingegen Rechtsanwalt R. oder Rechtsanwalt N. hätten zugesagt, keinen Aussetzungs- oder Unterbrechungsantrag zur Einarbeitung in das Verfahren zu stellen. Das macht die insbesondere zum Zweck der Verfahrenssicherung beschlossene Beiordnung jedoch nicht per se ermessensfehlerhaft. Dies ergibt sich aus Folgendem:
54
(aa) § 142 Abs. 1 StPO gibt dem Beschuldigten keinen Rechtsanspruch auf die Bestellung einer bestimmten - von ihm gewünschten - Person als Verteidiger (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 1146/08, juris Rn. 10; BGH, Beschluss vom 3. September 1986 - 3 StR 355/86, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 1). Bei der Auswahl des Pflichtverteidigers ist indes dem Interesse des Beschuldigten, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden, ausreichend Rechnung zu tragen. Grundsätzlich soll der Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Dezember 1958 - 1 BvR 449/55, BVerfGE 9, 36, 38; BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1 StR 781/96, BGHSt 43, 153, 154 f.). Dem Grundsatz des fairen Verfahrens ist insoweit zu entnehmen, dass einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung eines von ihm benannten Rechtsanwalts grundsätzlich zu entsprechen ist, es sei denn, wichtige Gründe stehen dem entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 - 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461; BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2000 - 5 StR 408/00, BGHR StPO § 142 Abs. 1 Auswahl 8). Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um die Bestellung eines Erst- oder Zweitverteidigers handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3696).
55
Bei der hiernach vorzunehmenden Interessensabwägung gewährt § 142 Abs. 1 StPO nur einen Rechtsanspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Das Revisionsgericht kann - anders als das Beschwerdegericht, welches sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Vorsitzenden der Vorinstanz setzen kann - die Beiordnungsentscheidung nur auf Ermessensfehler hin überprüfen und hat sie im Übrigen hinzunehmen. Ermessensfehlerhaft ist die Auswahlentscheidung dann, wenn sie von falschen oder sachwidrigen Voraussetzungen ausgeht, in Wahrheit nicht bestehende Bindungen annimmt ("Ermessensunterschreitung") oder wenn das Ermessen infolge des Überwiegens besonderer Umstände ausnahmsweise "auf Null reduziert" ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 1997 - 1 StR 781/96, BGHSt 43, 153, 155 f.).
56
(bb) Ausweislich der Begründung der Beiordnungsentscheidung erachtete der Vorsitzende hier das Beschleunigungsgebot in Haftsachen als einen wichtigen Grund für die Beiordnung von Rechtsanwalt E. . Der Vorsitzende wollte weiteren Unterbrechungen der Hauptverhandlung vorbeugen. Im Hinblick auf die besondere Verfahrenslage, die dadurch gekennzeichnet war, dass Rechtsanwalt S. drei Monate lang krankheitsbedingt nicht erschienen war, wegen einer Erkrankung von Rechtsanwältin L. bereits ein Hauptverhandlungstermin ausgefallen war und im Anschluss an den 252. Hauptverhandlungstag die fast einmonatige Sommerunterbrechung nahte, musste überdies ersichtlich die Gefahr bedacht werden, dass die - schon über drei Jahre andauernde - Hauptverhandlung hinsichtlich des Angeklagten Mu. nicht fortgesetzt, sondern wegen Überschreitung der Höchstunterbrechungsfristen (vgl. § 229 StPO) eine Aussetzung notwendig werden könnte. Dass der Vorsitzende , der zum damaligen Zeitpunkt noch beanstandungsfrei davon ausging, dass der Angeklagte zwei Verteidiger seines Vertrauens hatte, bei seiner Abwägung unter diesen besonderen Umständen dem Beschleunigungsgebot den Vorrang vor der Auswahl des Angeklagten einräumte, begründet für sich gesehen keinen Ermessensfehler.
57
(α)Das dem Interesse des Beschuldigten dienende und das gesamte Strafverfahren erfassende Beschleunigungsgebot unterliegt strengen verfassungsrechtlichen Vorgaben. Insbesondere in Haftsachen zwingt es dazu, dass die Hauptverhandlung so bald und so schnell wie möglich durchgeführt wird. Je länger die Untersuchungshaft andauert, desto mehr ist der Vorsitzende gehalten , auf eine straffe Terminierung hinzuwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 170/06, NJW 2006, 1336, 1337 f.; BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06, NStZ 2007, 163, 164, jeweils mwN). Dem Beschleunigungsgebot kommt eine besondere Bedeutung zu, wenn sich neben dem betroffenen Angeklagten noch weitere Mitangeklagte in Untersuchungshaft befinden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. März 2006 - 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461; vom 24. Juli 2008 - 2 BvR 1146/08, juris Rn. 11). Dem Gebot, die Hauptverhandlung in Haftsachen zügig durchzuführen, kann auch dadurch entsprochen werden, dass als Verteidiger nur der Rechtsanwalt beigeordnet wird, der zusichern kann, an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen teilzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. März 2006 - 2 BvQ 10/06, aaO; BGH, Beschluss vom 9. Januar 2007 - 3 StR 465/06, juris).
58
(β)Im Hinblick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen durfte der Vorsitzende in seiner Beiordnungsentscheidung darauf abstellen, dass Rechtsanwalt E. als einziger der drei in Betracht kommenden Verteidiger eine solche Erklärung abgegeben hatte. Ebenso wenig war es ihm verwehrt, der von Rechtsanwalt E. erklärten Bereitschaft, sich in der bevorstehenden Sommerunterbrechung vom 16. August bis zum 14. September 2014 in das Verfahren einzuarbeiten, Bedeutung beizumessen (zu den Hintergründen für die nur kurze Zeitspanne s. oben (b)). Sowohl der Vorsitzende als auch Rechtsanwalt E. (s. dessen Stellungnahme vom 8. September 2014, S. 4) durften davon ausgehen, dass auch nach der Fortsetzung der Hauptverhandlung im Anschluss an die Sommerunterbrechung am 15. September 2014 eine ergänzende Vorbereitung und vertiefte Erfassung des Akteninhalts zwischen den Sitzungsterminen möglich sein werde (s. hierzu BGH, Urteil vom 8. Dezember 1976 - 3 StR 363/76, juris Rn. 13; Beschluss vom 18. Februar 1981 - 3 StR 269/80, juris Rn. 5; KK-Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 145 Rn. 10), zumal der Angeklagte Mu. auch durch Rechtsanwältin L. verteidigt war. Für den letzten vor der Sommerunterbrechung terminierten Hauptverhandlungstag am 15. August 2014 hatte der Vorsitzende das Beweisprogramm gerade wegen der knappen Vorbereitungszeit auf die Verlesung der Übersetzung von vier - jederzeit nachlesbaren - E-Mails begrenzt.
59
Zwar hatten auch Rechtsanwalt R. und Rechtsanwalt N. einen Willen zur Einarbeitung in das Verfahren bekundet. Der Vorsitzende musste jedoch für den Fall deren Beiordnung hieran und damit an einer zügigen Durchführung der Hauptverhandlung ernstlich zweifeln. Im Zusammenhang mit einer etwaigen Pflichtverteidigerbestellung hatten beide insbesondere erklärt, sie sähen ihn dazu verpflichtet, sie - über die verschrifteten Vorgänge hinausgehend - von dem Gang der Hauptverhandlung und den bisherigen Ergebnissen der Beweisaufnahme zu informieren. Eine solche persönliche Unterrichtungspflicht bestand indes nicht, weder aufgrund der gerichtlichen Fürsorgepflicht noch gemäß dem Gebot des fairen Verfahrens. Vielmehrwäre Rechtsanwalt R. oder Rechtsanwalt N. für den Fall der Bestellung gegebenenfalls gehalten gewesen , solche zusätzlichen Informationen von den beiden anderen - weiterhin beigeordneten - Pflichtverteidigern oder zumindest einem von ihnen einzuholen. Auskünfte des Vorsitzenden sind hierfür ohnehin kein gleichwertiger Ersatz (vgl. auch LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 145 Rn. 27 mwN).
60
Das Beschleunigungsgebot hatte hier ein besonderes Gewicht, weil sich auch der Mitangeklagte M. seit mehr als viereinhalb Jahren in Untersuchungshaft befand. Das Revisionsvorbringen, der Angeklagte M. habe ebenfalls zum Ausdruck gebracht, dass ihm an einer wirkungsvollen Verteidigung des Angeklagten Mu. gelegen gewesen sei, vermag eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Zum einen lässt sich den im Zusammenhang mit der Beiordnung von Rechtsanwalt E. für den Angeklagten M. gestellten Befangenheitsanträgen ohnehin nicht entnehmen, dass dieser auf seinen Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist verzichtet hätte, sodass es auf die Frage der Beachtlichkeit einer solchen Erklärung nicht ankommt. Zum anderen sind diese Befangenheitsgesuche erst angebracht worden, als Rechtsanwalt E. bereits zum Pflichtverteidiger bestellt war.
61
(cc) Wenn nach alledem ein Rechtsfehler nicht schon darin zu sehen ist, dass der Vorsitzende bei seiner Auswahlentscheidung dem Beschleunigungsgebot Gewicht beigemessen hat, so gehören die weiteren Umstände, die die Fortsetzung des Verfahrens gefährden konnten, namentlich in welchem Umfang Rechtsanwalt S. arbeitsunfähig war und inwiefern sich der Vorsitzende insoweit um Aufklärung bemühte, zur Tatsachengrundlage der Ermessensentscheidung. Sie hätten daher wahrheitsgemäß und vollständig mitgeteilt werden müssen, um die Pflichtverteidigerbestellung auf Ermessensfehler überprüfen zu können.
62
(2) Soweit die Revision auf eine Verletzung der §§ 141, 142 Abs. 1 StPO gestützt ist, weil der Vorsitzende es rechtsfehlerhaft unterlassen habe, Rechtsanwalt E. zu entpflichten, ist die Rüge jedenfalls unbegründet.
63
(a) Der Angeklagte Mu. hat vorgebracht, der Vorsitzende habe mehrfach die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt E. abgelehnt , obwohl ein zur Entpflichtung zwingender wichtiger Grund vorgelegen habe ; denn zwischen diesem und dem Angeklagten habe kein Vertrauensverhältnis entstehen können. Der Vorsitzende, nicht der Angeklagte habe diese nachhaltige und endgültige Störung des Vertrauensverhältnisses schuldhaft herbeigeführt. Rechtsanwalt E. habe sich selbst zu einer sachgerechten Verteidigung außerstande gesehen. Zudem habe er Strafanzeige und Strafantrag gegen den Angeklagten und Rechtsanwältin L. wegen Beleidigung erstattet, ohne dass dies provoziert worden sei, um seine Entpflichtung zu bewirken.
64
(b) Diese Erwägungen können der Rüge nicht zum Erfolg verhelfen. Ein wichtiger Grund, der den Vorsitzenden dazu verpflichtet hätte, die Beiordnung von Rechtsanwalt E. aufzuheben, lag nicht vor.
65
Die Anforderungen an die Begründetheit vorgebrachter Einwände gegen den vom Gericht beigeordneten Verteidiger sind für die Entpflichtung höher als für die Bestellung. Die Aufhebung der Beiordnung ist - von den in § 143 StPO genannten Gründen abgesehen - nur zulässig und geboten, wenn der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährdet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3697; BGH, Beschluss vom 24. Februar 2016 - 2 StR 319/15, NStZ 2017, 59, 61). Zwar ist ein Pflichtverteidiger zu entpflichten, falls eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem Angeklagten eingetreten und daher zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. September 2001 - 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695, 3697; BGH, Urteil vom 26. August 1993 - 4 StR 364/93, BGHSt 39, 310, 314 f.). Maßstab hierfür ist - vergleichbar der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit - die Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 481/03, NStZ 2004, 632, 633). Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung kann jedoch regelmäßig nicht bejaht werden, wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist (vgl. BGH, Urteil vom 26. August 1993 - 4 StR 364/93, aaO, S. 315; Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR 649/07, StV 2009, 5, 7). Das gilt auch, wenn die Störung des Vertrauensverhältnisses darauf zurückzuführen ist, dass der Angeklagte ohne verständlichen Anlass den Kontakt verweigert (s. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 481/03, aaO). Selbst eine Strafanzeige des Verteidigers zwingt nicht zur Aufhebung der Beiordnung, falls der begründete Verdacht besteht, dass der Angeklagte den Verteidiger nur deshalb angegriffen hat, damit dieser Strafanzeige gegen ihn erstattet, um darauf gestützt die Entpflichtung zu betreiben (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 1993 - 4 StR 364/93, aaO, S. 316; vom 10. Dezember 1997 - 3 StR 441/97, NStZ 1998, 267). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn der Pflichtverteidiger selbst die Aufhebung seiner Beiordnung beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 1 StR 649/07, aaO).
66
In den Gründen der die Entpflichtung ablehnenden Entscheidungen des Vorsitzenden vom 15. September 2014, vom 3. November 2014, vom 11. Dezember 2014 und vom 25. März 2015 einschließlich der dort jeweils in Bezug genommenen Schriftstücke ist im Einzelnen dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung der Beiordnung nicht vorlagen. Mit der notwendigen Begründungstiefe ist dort dargetan, dass den Angeklagten Mu. das Verschulden an dem mangelnden Vertrauensverhältnis traf und nach dem tatsächlichen Verfahrensgang der Verdacht begründet war, dieser habe die Strafanzeige provoziert, um die Aufhebung der Beiordnung zu betreiben. Die Ausführungen lassen Rechts- bzw. Ermessensfehler nicht erkennen.
67
(3) Hinsichtlich des Rügekomplexes "Neuer Pflichtverteidiger ..." verweist der Senat im Übrigen, namentlich zu den Rügen der Verletzung der § 145 Abs. 1, § 265 Abs. 4 StPO, des § 338 Nr. 5 StPO sowie des § 338 Nr. 8 StPO und des Gebots eines fairen Verfahrens, auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. August 2017 (insbesondere S. 10 ff.).
68
b) Darüber, ob die Verfahrensrüge des Angeklagten Mu. zulässig und begründet ist, durch einen unzureichenden rechtlichen Hinweis des Oberlandesgerichts zur Beihilfestrafbarkeit seien § 265 StPO sowie das rechtliche Gehör verletzt und das Recht auf effektive Verteidigung beschränkt, braucht der Senat nicht zu befinden; denn der ihn betreffende Schuldspruch ist bereits auf die Sachbeschwerde aufzuheben (s. dazu sogleich B. I. 3.). Ein Erfolg dieser Verfahrensbeanstandung stünde auch der Entscheidung nicht entgegen , die im Urteilstenor bezeichneten Feststellungen bestehen zu lassen; denn die Rüge betrifft allein die Verurteilung wegen Beihilfe zu vier Kriegsver- brechen, während die aufrechterhaltenen Feststellungen ebenso für die rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung von Bedeutung sind.
69
3. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten Mu. hält der auf die Sachrüge gebotenen umfassenden Nachprüfung nicht stand. Während seine Verurteilung wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung für sich gesehen keinen rechtlichen Bedenken begegnet, erweist sich die Verurteilung wegen - hiermit idealkonkurrierender - Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen als zu seinem Nachteil rechtsfehlerhaft. Damit unterliegt der ihn betreffende Schuldspruch insgesamt der Aufhebung (§ 353 Abs. 1 StPO; s. BGH, Urteil vom 29. August 2007 - 5 StR 103/07, juris Rn. 51; vom 28. September 2017 - 4 StR 282/17, juris Rn. 14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 353 Rn. 7a).
70
a) Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten Mu. , tateinheitlich zur Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung hinzutretend, wegen einer Tat (§ 2 VStGB, § 52 StGB) der Beihilfe (§ 2 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB) zu vier Fällen des Kriegsverbrechens gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB) jeweils zugleich mit Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 Variante 1 und 2 VStGB: in Form des Zerstörens und - in einem Fall [Busurungi] - des Plünderns) verurteilt, wenngleich der Urteilstenor - entgegen § 260 Abs. 4 Satz 1, 2 StPO (vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, § 260 Rn. 22; KK-Ott, StPO, 7. Aufl., § 260 Rn. 29, jeweils mwN) - nicht zwischen diesen zwei Delikten des Völkerstrafgesetzbuches differenziert und lediglich die Abschnittsüberschrift "Kriegsverbrechen" (Teil 2 Abschnitt 2 des VStGB) als Bezeichnung für das tatbestandliche Unrecht anführt. Insbesondere aus der Liste der angewendeten Vorschriften und den Urteilsgründen ergibt sich, dass der erkennende Strafsenat den Ange- klagten für schuldig befunden hat, an der Verwirklichung beider Tatbestände als Gehilfe beteiligt gewesen zu sein.
71
b) Zwar ist das Oberlandesgericht auf der Grundlage der insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen zutreffend davon ausgegangen, die FDLR-Milizionäre hätten bei den Angriffen auf die kongolesischen Siedlungen Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje Kriegsverbrechen gegen Personen sowie solche gegen Eigentum und sonstige Rechte begangen. Die Ausführungen dazu, dass der Angeklagte Mu. an diesen Haupttaten als Gehilfe beteiligt gewesen sei, stoßen indes auf durchgreifende rechtliche Bedenken. Im Einzelnen:
72
aa) Im Rahmen der Operationen gegen die vier benannten Ortschaften verwirklichten die FDLR-Milizionäre jeweils in einer Vielzahl von Fällen den Straftatbestand des Kriegsverbrechens gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB).
73
(1) Bei den von der FDLR über Jahre hinweg in den Kivu-Provinzen geführten kriegerischen Auseinandersetzungen mit wechselnden Gegnern handelte es sich um einen bewaffneten Konflikt gemäß § 8 Abs. 1, 6 VStGB. Insbesondere auch die mit militärischen Waffen ausgetragenen Kämpfe während der Offensiven "Umoja Wetu" und "Kimia II" fallen unter diesen Begriff.
74
Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staats gegen organisierte bewaffnete Gruppierungen oder sol- che Gruppierungen untereinander kämpfen, sofern diese eine gewisse Organisationsstruktur aufweisen und die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 435/16, NStZ 2017, 699, 700). Die Erfordernisse der Organisationsstruktur der beteiligten Gruppierungen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 23 mwN; Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17, BGHSt 62, 272, 275). Aufgrund des Grades ihrer Organisationsstruktur war die FDLR taugliche Konfliktpartei eines bewaffneten Konflikts (s. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, aaO; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 111; ferner MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., Vorbem. zu § 8 VStGB Rn. 23).
75
Da seit Beginn von "Umoja Wetu" die kongolesischen und ruandischen Streitkräfte nicht gegeneinander, sondern mit militärischen Mitteln gemeinsam gegen die FOCA-Miliz als Teil der FDLR fochten, ist der bewaffnete Konflikt jedenfalls im Jahr 2009 als nichtinternational im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB zu beurteilen (noch offengelassen in BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Die ruandischen Streitkräfte kämpften zwar auf dem Staatsgebiet der Demokratischen Republik Kongo, intervenierten aber auf Seiten deren Regierung (s. zu dieser Konstellation MüKoStGB/Geiß/Zimmermann , 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 101). Dadurch, dass die FDLR in der Vergangenheit als nichtstaatliche Akteurin transnational agiert hatte, wurde die Auseinandersetzung nicht zu einem internationalen Konflikt (s.MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., Vorbem. zu § 8 VStGB Rn. 32 aE).
76
(2) Die FDLR-Milizionäre töteten bei den Angriffen auf die vier benannten Ortschaften jeweils eine Vielzahl kongolesischer Zivilisten. Die Opfer waren - bei jedem Angriff zumindest ganz überwiegend - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB, weil sie in dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnahmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befanden. Allein der letztgenannte Umstand bedarf der Erörterung:
77
(a) Die getöteten Zivilisten befanden sich in der Gewalt der FDLR.
78
(aa) Hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Sich-inder -Gewalt-Befindens gilt:
79
Durch die in § 8 Abs. 6 VStGB normierten Legaldefinitionen der nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person hat der Gesetzgeber ausdrücklich das Ziel verfolgt, eine Trennung zwischen Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 VStGB) und solchen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (§ 11 VStGB) vorzunehmen (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 30 ["Zu § 8 Abs. 6 Nr. 1" aE]; Werle/Nerlich, Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften 2002, 124, 130). Anders als nach internationalem Kriegsvölkerrecht (s. Art. 3 GK I bis IV sowie Art. 8 Abs. 2 Buchst. c IStGH-Statut) sind sogenannte Distanzangriffe gegen die Zivilbevölkerung nach deutschem Recht grundsätzlich nicht als Kriegsverbrechen gegen Personen zu ahnden. Sie unterfallen - allenfalls - dem Straftatbestand des § 11 Abs. 1 VStGB, sollten die Voraussetzungen einer der dort (insbesondere in Nr. 1) geregelten Tathandlungsvarianten vorliegen (vgl. MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 92, 129; Werle/Nerlich aaO; kritisch zum Wortlaut des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB Gropengießer/Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Band 1: Deutschland, 2003, S. 162 f.).
80
Mit der Einfügung des Zusatzes "und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden" hat der Gesetzgeber die für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt geltende Regelung des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB im Verhältnis zum internationalen Kriegsvölkerrecht damit bewusst eingeschränkt; dabei hat er sich an der den internationalen bewaffneten Konflikt betreffenden Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl. 1954 II, S. 917; fortan: GK IV) orientiert (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 30 [von § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB erfasster Personenkreis "spiegelbildlich zu" § 8 Abs. 6 Nr. 1 VStGB, der für den internationalen bewaffneten Konflikt tatbestandsbegrenzend unter anderem auf Art. 4 Abs. 1 GK IV verweist]; ferner Werle/Nerlich, Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften 2002, 124, 130; MüKoStGB /Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 91 f.).
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Für Art. 4 Abs. 1 GK IV ist anerkannt, dass das Erfordernis, fremder Gewalt unterworfen zu sein, in einem weiten Sinne zu verstehen ist. Es genügt, wenn sich das Opfer in einem von der gegnerischen Konfliktpartei kontrollierten Gebiet aufhält (vgl. MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 84, 92 ["Machtbereich"]; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1182, jeweils mwN). Dieses Verständnis ist auch für § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB maßgebend.
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(bb) In diesem Sinne befanden sich die in den vier benannten Ortschaften getöteten Zivilisten - jeweils zumindest allergrößtenteils - in der Gewalt der FDLR-Milizionäre: – Nach den auf tragfähiger Beweisgrundlage getroffenen Feststellungen setzten die Kämpfer bei den Vergeltungsangriffen auf Mianga, Busurungi und Manje nicht nur Schusswaffen ein, um die Siedlungen zu erstürmen und die FARDC-Soldaten zu bekämpfen. Vielmehr gingen die Milizionäre , nachdem sie die Soldaten bereits getötet oder vertrieben und somit die Kontrolle über die jeweilige Siedlung gewonnen hatten, massiv gegen die lokale Bevölkerung vor. Mit dem Verlust der Kontrolle durch die Soldaten übten die FOCA-Kämpfer faktisch die Gewalt über die verbliebenen Zivilisten aus. Dass der weit überwiegende Teil der Opfer erst in diesem Stadium der Operationen den Tod fand, lässt sich den Urteilsgründen hinreichend sicher entnehmen. – FürChiriba ist zwar in den Feststellungen kein entsprechender Tathergang beschrieben. Er ergibt sich aber aus den Ausführungen zur Beweiswürdigung. So haben die Mitarbeiterin von Human RightsWatch W. sowie die Experten der Vereinten Nationen Ma. und G. als Zeugen bekundet, ihre Untersuchungen hätten Folgendes ergeben: Die in Chiriba aufhältige kleine Einheit der FARDC sei nicht in der Lage gewesen, die Bevölkerung des Dorfs zu verteidigen. Die FDLRRebellen seien zuletzt von Haus zu Haus gegangen und hätten Feuer gelegt; sie hätten die Menschen aus ihren Häusern gezogen und die meisten ihrer (mindestens vier) Opfer mit Macheten getötet (vgl. UA S. 392 ff.). Von dem Wahrheitsgehalt dieser Angaben hat sich das Oberlandesgericht - nach "kritischer" und "zurückhaltender" Würdigung (UA S. 155, 158) - überzeugt. Das ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden , zumal auch die festgestellten Drohschreiben hiermit in Einklang stehen.
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(b) Die FDLR war im Verhältnis zu den getöteten Zivilisten eine gegnerische Partei.
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(aa) Hinsichtlich der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der gegnerischen Partei ist von Folgendem auszugehen:
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Nach der Vorschrift des § 4 Abs. 1 GK IV, an die sich § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB - wie dargelegt (s. soeben (a) (aa)) - anlehnt, ist geschützt, wer sich im Machtbereich einer an der Auseinandersetzung beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befindet, deren Angehöriger er nicht ist. Die Regelung, die auch inhaltlich auf den internationalen Konflikt zugeschnitten ist, knüpft im Grundsatz an die Staatsangehörigkeit der Person an, die fremder Gewalt unterworfen ist; das wird besonders deutlich an der englischen Fassung der Norm ("... in the hands of a Party ... or ... Power of which they are not nationals"). Da dieses formale Abgrenzungskriterium den Realitäten moderner mit militärischen Mitteln ausgetragener Auseinandersetzungen nicht mehr gerecht wird, haben es der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und - ihm folgend - der Internationale Strafgerichtshof an die neuen Gegebenheiten angepasst. Nach der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte kommt es darauf an, ob die Opfer bei materieller Betrachtung der jeweiligen Gegenseite zuzurechnen sind (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 21. Februar 2001 - 3 StR 372/00, BGHSt 46, 292, 300 f.; s. auch die Nachw. bei BT-Drucks. 14/8524, S. 30; Ambos, NStZ 2000, 71 f.; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 85).
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Für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt, an dem häufig nichtstaatliche Akteure derselben Nationalität beteiligt sind, erweist sich die Staatsangehörigkeit ohnehin zumeist nicht als sachgerechtes Kriterium, mit dem der Umfang eines Schutzes nach dem humanitären Völkerrecht sinnvoll festgelegt werden könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 26). Um zu bestimmen, wer als Gegner der Konfliktpartei im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt anzusehen ist, bietet es sich vielmehr an, darauf abzustellen, was die Auseinandersetzung prägt. Handelt es sich etwa um einen interethnischen Konflikt, so wird es auf die ethnische Zugehörigkeit ankommen; im Fall einer religiös motivierten Auseinandersetzung wird die konfessionelle und weltanschauliche Überzeugung von Bedeutung sein (vgl. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1186 f. m. Nachw. aus der Rechtsprechung der internationalen Strafgerichte zu Art. 4 Abs. 1 GK IV). Bei einer komplexen Bürgerkriegslage unter Beteiligung einer Vielzahl staatlicher und nichtstaatlicher Akteure mit unterschiedlichsten Interessen - wie etwa im Fall des syrischen Bürgerkriegs - kann bereits diejenige Person einem Gegner zuzurechnen sein, die den Absichten der Konfliktpartei entgegenstehende Ziele verfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, aaO).
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(bb) Unter Berücksichtigung dessen ist die FDLR im Verhältnis zu den getöteten kongolesischen Zivilisten als gegnerische Partei zu beurteilen; denn sie agierte mit Blick auf ihr Ziel, die Macht in Ruanda zu übernehmen oder zumindest daran teilzuhaben, wie eine fremde Besatzungsmacht. Die gegenständlichen militärischen Auseinandersetzungen hatten ihre Wurzel darin, dass Ruander massenhaft in das Staatsgebiet der damaligen Republik Zaire emigriert waren, sich dort - letztlich als FDLR - politisch und militärisch reorganisiert und weite Teile der Kivu-Provinzen unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die FDLR-Milizionäre lebten von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung, indem sie von dieser planmäßig Schutzsteuern, Zwangsabgaben sowie Wegezölle erhoben und bei ihr - als Verpflegungsoperationen bezeichnete - systematische Plünderungen vornahmen. Während der Offensive "Umoja Wetu" hatten die Teile der lokalen Bevölkerung, die von den Operationen der FDLR betroffen waren, die kongolesische Armee sowie verbündete Gruppierungen in ihre Siedlungen aufgenommen und sich unter deren Schutz gestellt.
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(3) Keiner näheren Erörterung bedarf, dass die an den kongolesischen Zivilisten verübten Tötungsdelikte, die der von der FOCA entwickelten Strategie der Bestrafungsoperationen entsprachen, in einem funktionalen Zusammenhang mit dem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt standen (s. hierzu BGH, Beschlüsse vom 11. August 2016 - AK 43/16, BGHR VStGB § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Zu schützende Person 1; vom 25. September 2018 - StB 40/18, juris Rn. 23; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl., § 8 VStGB Rn. 119 ff.).
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(4) Der Tod der Zivilisten wurde nicht durch im Einzelfall völkerrechtlich zulässige Kriegshandlungen verursacht. Hierfür kommt es nicht auf das - vom Oberlandesgericht erörterte (s. UA S. 558 ff.) - Verbot unterschiedsloser Angriffe gegen militärische und zivile Ziele gemäß Art. 51 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551; fortan: ZP I) an, das an das sog. Kombattantenprivileg des Art. 43 Abs. 2 ZP I anknüpft:
90
Für den jeweiligen Zeitraum nach der - sukzessiven - Vertreibung der FARDC-Soldaten, in dem der weit überwiegende Teil der Opfer getötet wurde, ist schon rein tatsächlich auszuschließen, dass aufgrund militärischer Erfordernisse (weitere) schwere Gewalttaten geboten gewesen wären. Selbst für diesen Fall wäre aus Rechtsgründen nicht ersichtlich, dass sich die FDLR als nichtstaatliche Gruppierung auf einen Kombattantenstatus berufen könnte, dessentwegen ihre Kämpfer für Kriegshandlungen nicht zur Verantwortung zu ziehen wären (s. Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1101). Das Kombattantenprivileg steht grundsätzlich nur Kämpfern in internationalen bewaffneten Konflikten zu. In diese bezieht Art. 1 Abs. 4 ZP I unter bestimmten Voraussetzungen allein solche nichtinternationalen bewaffneten Konflikte ein, in denen - anders als hier - Völker gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung oder ras- sistische Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13, BGHR StGB § 129b Rechtswidrigkeit 1; ferner Scheuß, ZStW 2018, 23 ff.; MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., Vorbem. zu § 8 VStGB Rn. 38 mwN).
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bb) Darüber hinaus verwirklichten die FDLR-Milizionäre bei den Angriffen auf die vier benannten Ortschaften - gleichfalls jeweils in einer Vielzahl von Fällen - den Straftatbestand des Kriegsverbrechens gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 Variante 1, 2 VStGB).
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Indem die Milizionäre in Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje zahlreiche Gebäude niederbrannten, zerstörten sie jeweils im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterlagen, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten war (zu den Voraussetzungen s. MüKoStGB/Ambos, 3. Aufl., § 9 VStGB Rn. 9 ff.). In Busurungi plünderten außerdem zwei Kämpfer dadurch, dass sie aus dem Haus eines Ehepaars Bargeld und alles sonstige Stehlenswerte entwendeten, im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt Sachen der gegnerischen Partei (zu den Voraussetzungen vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 167; vom 11. Januar 2018 - AK 75-77/17, juris Rn. 32; MüKoStGB/Ambos aaO, Rn. 6 ff.; ferner MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 125a Rn. 28; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 125a Rn. 13, jeweils mwN). Hinsichtlich des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts sowie der Auslegung der Begriffe "gegnerische Partei" und "Gewalt der eigenen Partei" kann - sinngemäß - auf die obigen Ausführungen verwiesen werden (s. B. I. 3. b) aa) (2) (a) (aa) sowie (b) (aa)). Der funktionale Zusammenhang zu dem Konflikt sowie die Völkerrechtswidrigkeit dieser jenseits militärischer Erfordernisse vorgenommenen Tathandlungen verstehen sich demgegenüber von selbst.
93
cc) Liegen damit grundsätzlich teilnahmefähige Haupttaten vor, so wird die Annahme, der Angeklagte Mu. habe zu den Kriegsverbrechen gegen Personen sowie gegen Eigentum und sonstige Rechte vorsätzlich Hilfe geleistet (§ 2 VStGB, § 27 Abs. 1 StGB), durch die Urteilsfeststellungen indes nicht belegt. Das gilt sowohl für die Versorgung der FOCA-Führung mit Telefoneinheiten und Zubehör für Satellitentelefone als auch für die auf Dementierung oder Bagatellisierung gerichtete Propagandatätigkeit und die die FDLRMilizionäre motivierenden schriftlichen Botschaften.
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(1) Im rechtlichen Ausgangspunkt gilt:
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Als Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB ist grundsätzlich jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert. Dass sie für den Eintritt des Erfolgs in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Form kausal wird, ist nicht notwendig (vgl. BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410; Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, 257). Objektiv gefördert oder erleichtert werden kann die Haupttat auch in der Form psychischer Beihilfe, wenn der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung - sei es bereits in seinem Tatentschluss - bestärkt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, 258). Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter die Beihilfehandlung zumindest als Billigung seines Tuns versteht und ihr Relevanz für seinen Willen zur (weiteren) Tatausführung beimisst (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - StB 18/17, NStZ-RR 2018, 72, 74); überdies muss sich der Hilfeleistende dessen bewusst sein (s. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 StR 344/15, NStZ-RR 2016, 136, 137). Für eine psychische Unterstützung bedarf es daher genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Beihilfehandlung und zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen sowie gegebenenfalls zu einer konkludenten Verständigung zwischen ihm und dem Haupttäter (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316  f.; ferner BGH, Beschlüsse vom 24. März 2014 - 5 StR 2/14, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 33; vom 13. September 2017 - 2 StR 161/17, NStZ-RR 2018, 40).
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An den Vorsatz des Gehilfen sind geringere Anforderungen als an denjenigen des Täters zu stellen. Wer lediglich eine fremde Tat fördert, braucht Einzelheiten dieser Tat nicht zu kennen und keine bestimmten Vorstellungen von ihr zu haben. Allerdings ist ein Mindestmaß an Konkretisierung erforderlich. Der Hilfeleistende muss die zentralen Merkmale der Haupttat, namentlich den wesentlichen Unrechtsgehalt und die wesentliche Angriffsrichtung, im Sinne bedingten Vorsatzes zumindest für möglich halten und billigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 1990 - 3 StR 448/89, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Vorsatz 6; vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399, 400; vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11, NStZ 2012, 264; vom 28. November 2017 - 3 StR 272/17, juris Rn. 34 f.).
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(2) Es ist nicht rechtsfehlerfrei dargetan, dass derAngeklagte Mu. die in Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje begangenen Kriegsverbrechen in dem Zeitraum, für den das Oberlandesgericht ein vorsätzliches Verhalten bejaht hat, objektiv förderte oder erleichterte.
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(a) Dass die Versorgung der FOCA-Führung mit Telefoneinheiten und Zubehör für Satellitentelefone die Kriegsverbrechen objektiv gefördert oder erleichtert hätte, ist nicht belegt. Die Urteilsausführungen zur Förderungswirkung leiden daran, dass kein konkreter Bezug der einzelnen Tätigkeiten des Angeklagten Mu. zu den Haupttaten und zu dessen hierauf bezogenem Vorsatz hergestellt wird.
99
Das Oberlandesgericht hat angenommen, der Angeklagte Mu. habe die Kommunikation unter den FOCA-Führungskräften sichergestellt , indem er ihnen Mittel für die Satellitentelefonie verschafft habe, auf die die Führungskräfte im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen angewiesen gewesen seien (UA S. 573). Es hat 18 einzelne Versorgungsakte des Angeklagten festgestellt, welche sich auf den Zeitraum von Dezember 2007 bis August 2009 erstreckten (s. UA S. 130 ff.). Die ersten zehn dieser Zuwendungen nahm er vor Beginn der Offensive "Kimia II" am 2. März 2009 vor, als ernicht ausschließbar - noch keinen Vorsatz in Bezug auf die Kriegsverbrechen hatte. Die letzten vier Zuwendungen fallen in die Monate Juli und August 2009, als die Haupttaten - bei drei der Zuwendungen sicher und bei einer von ihnen möglicherweise - bereits beendet waren. Das Oberlandesgericht hat daher weitgehend auf Versorgungsakte abgestellt, die aus Rechtsgründen für eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe nicht bedeutsam sein können.
100
Wie sich die verbleibenden vier Zuwendungen in den Monaten März bis Mai 2009 auf die abgeurteilten Kriegsverbrechen konkret auswirkten, hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Eine Förderung oder Erleichterung der Kriegsverbrechen gerade durch diese Versorgungsakte versteht sich auch nicht von selbst. Beides setzt zwar nicht voraus, dass die Mittel für die Satellitentelefonie , die der Angeklagte Mu. der FOCA in den Monaten März bis Mai 2009 verschaffte, bei Anordnung oder Durchführung der einzelnen Operationen eingesetzt wurden. Erforderlich wäre jedoch zumindest, dass diese Mittel hierfür konkret zur Verfügung standen (s. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 388). Dass der Angeklagte sie zwei FOCA-Führungskräften - dem FOCA-Kommandanten Mudacumura sowie dem Divisionsbefehlshaber Nt. - für militärische Zwecke verschaffte und die FOCA-Führung allgemein zur Vorbereitung und Durchführung von Militäroperationen auf die Versorgung mit Telefoneinheiten für Satellitentelefone angewiesen war (s. UA S. 129 f.), begründet nicht den erforderlichen Zusammenhang zu den konkreten Kriegsverbrechen.
101
(b) Dass der Angeklagte Mu. mit seiner Propagandatätigkeit und seinen schriftlichen Botschaften die Kriegsverbrechen objektiv gefördert oder erleichtert hätte, geht aus den Urteilsgründen ebenfalls nicht hervor. Von den im Urteil festgestellten, dem Angeklagten zugerechneten 14 Einzelakten , mit denen seine "Propagandaarbeit ... exemplarisch" dargestellt ist (UA S. 466), fallen lediglich sechs unzweifelhaft in den Zeitraum zwischen dem Beginn von "Kimia II" (Vorsatz) und dem Angriff auf Manje (Tatbeendigung), von den drei Botschaften immerhin zwei (s. UA S. 461 ff., 467 ff.). Im Übrigen ist für die - hier allein in Betracht kommende - psychische Beihilfe zu differenzieren zwischen einer Stärkung des Tatentschlusses der die Kriegsverbrechen ausführenden FDLR-Milizionäre und der die tatursächlichen Operationen anordnenden FOCA-Führung:
102
(aa) Zu einer psychisch vermittelten Wirkung der Propagandatätigkeit und der Botschaften auf die FDLR-Milizionäre ist festgestellt, diese Handlungen des Angeklagten Mu. hätten dazu beigetragen, die hohe Motivation der Kämpfer aufrechtzuerhalten (UA S. 126 f.). Darüber hinaus hätten die kämpfenden Einheiten als Folge der Propagandatätigkeit "gewusst", dass "die politische Führung ... Kriegsverbrechen", welche die FDLR zu verantworten habe , "entweder abstreiten oder dem Gegner anlasten werde und ... deshalb keine konkreten Konsequenzen zu befürchten" seien. Bei den Kämpfern sei "der Eindruck" entstanden, "wenn ihr Präsident in der BBC zu hören sei, dann könne man nicht weltweit gegen die FDLR sein" (UA S. 127).
103
Indes ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass - entsprechend den oben dargelegten rechtlichen Grundsätzen - die Milizionäre durch die Beiträge des Angeklagten Mu. in ihrem Willen bestärkt wurden, in den vier benannten Ortschaften die konkreten Kriegsverbrechen zu begehen, indem sie unabhängig von Gefechten mit den FARDC-Einheiten Zivilisten töteten, Häuser niederbrannten und plünderten. Der - durch Zeugenaussagen bestätigten (s. UA S. 463 f.) - Aufrechterhaltung einer hohen Motivation fehlt ein Bezug zum konkreten Tatentschluss. Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung angeführte generelle Steigerung von "Moral" und "Kampfkraft" der Milizionäre (UA S. 574) genügt ebenfalls nicht. Gleiches gilt für die Feststellung, durch die Propagandatätigkeit sei bei diesen "der Eindruck" hervorgerufen worden, die FDLR habe nicht nur Gegner. Für eine den die Kriegsverbrechen verübenden Kämpfern hierdurch vermittelte, den jeweiligen Willen zur Tatbegehung beeinflussende Überzeugung, "keine konkreten Konsequenzen" wegen dieser von FOCA-Führungskräften angeordneten Taten befürchten zu müssen, fehlt jeder Beleg.
104
Vielmehr ist zu besorgen, dass das Oberlandesgericht hinsichtlich einer Förderungswirkung lediglich eine pauschale Betrachtung bezogen auf die Gesamtheit der dem FOCA-Kommando unterstellten Milizionäre und der von einem Teil dieser Kämpfer begangenen zahlreichen Taten vorgenommen hat. Hierfür spricht auch, dass im Rahmen der in den Urteilsgründen dargelegten rechtlichen Würdigung die Förderungswirkung mit einer allgemeinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung begründet wird: Der "Tatbeitrag" des Angeklagten Mu. habe "sich ... in den Haupttaten nieder(geschlagen)", weil "durch die zugesagte Propagandaarbeit die Wahrscheinlichkeit erhöht" worden sei, "dass der Entschluss der FOCA-Verantwortlichen zur Begehung von Kriegsverbrechen durchgehalten" werde; "umgekehrt" sei "die ... Abstandnahme von den Kriegsverbrechen weniger wahrscheinlich" geworden (UA S. 574). Eine psychisch vermittelte konkrete Förderungs- oder Erleichterungswirkung wird dadurch nicht belegt.
105
(bb) Dem Urteil lässt sich eine psychisch vermittelte Wirkung der Propagandatätigkeit auf die FOCA-Führungskräfte nicht entnehmen.
106
In den Feststellungen fehlen Angaben hierzu. Allerdings ist im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, neben den kämpfenden Einheiten habe auch das FOCA-Kommando "gewusst", dass "die politische Führung ... Kriegsverbrechen ... abstreiten oder dem Gegner anlasten werde" (UA S. 464). Auch wird in der rechtlichen Würdigung das Verhalten des Angeklagten Mu. dahin gewertet, dass er während "Umoja Wetu" und "Kimia II" den FOCAFührungskräften durch die von ihm konkludent zugesagte und tatsächlich betriebene Propagandatätigkeit geholfen habe, die Kriegsverbrechen "vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen", was sich in den Taten niedergeschlagen habe (UA S. 573 f.).
107
Nach den Urteilsausführungen käme zwar eine Förderungswirkung bezogen auf die FOCA-Führungskräfte in Betracht, mit denen der Angeklagte - anders als mit den Kämpfern - in regem Austausch stand. Psychische Beihilfe kann auch leisten, wer bewusst daran mitwirkt, für Straftaten Bedingungen zu schaffen, die für den Tatentschluss der anordnenden Führungspersonen wesentlich sind (s. auch BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, 260 f.). Ausreichend wären insbesondere ein - auf der Grundlage der Feststellungen jedenfalls nicht fernliegendes (s. UA S. 128, 466) - Wissen der FOCA-Führungskräfte darum, dass der Angeklagte absprachegemäß bzw. stillschweigend einvernehmlich damit befasst gewesen wäre, den durch die Begehung schwerster Kriegsverbrechen hervorgerufenen Schaden für die politische Reputation der FDLR und deren strategische Ziele zu begrenzen, sowie die hierdurch hervorgerufene Festigung des Willens, weitere sogenannte Bestrafungsoperationen von den Milizionären durchführen zu lassen.
108
Jedoch lässt sich den Urteilsgründen, auch ihrem Gesamtzusammenhang nach, nicht entnehmen, inwieweit sich das Oberlandesgericht von solchen Formen einer psychischen Hilfeleistung - bezogen auf die Bestärkung des Tatentschlusses zu Kriegsverbrechen der die Bestrafungsoperationen anordnenden FOCA-Führungskräfte durch die Propagandatätigkeit desAngeklagten Mu. im tatrelevanten Zeitraum - überzeugt hat. An Feststellungen dazu, dass dem Angeklagten eine solche den Willen zur Begehung von Kriegsverbrechen bestärkende Wirkung seines Verhaltens auf die Führungskräfte bewusst war, mangelt es ebenfalls.
109
(3) Auch die Urteilsausführungen zum auf die Haupttaten bezogenen Gehilfenvorsatz des Angeklagten Mu. weisen Rechtsfehler auf.
110
Die diesbezüglichen Feststellungen sind auch im Zusammenhang mit den weiteren Erörterungen zur Beweiswürdigung und zur rechtlichen Würdigung unklar und nicht frei von Widersprüchen. Zudem lassen die Ausführungen besorgen, dass das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Verständnis der tatbestandlichen Voraussetzungen des Kriegsverbrechens gegen Personen ausgegangen ist. Im Ganzen betrachtet, sind in den Urteilsgründen zwar zahlreiche für die subjektive Tatseite potentiell relevante Beweisergebnisse (insbesondere gesicherte Telekommunikationsinhalte) dokumentiert ; es ist jedoch nicht ausreichend kenntlich gemacht, welche Schlüsse der erkennende Strafsenat daraus gezogen hat. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen , welche Vorstellungen der Angeklagte Mu. von den Taten hatte, die die FDLR-Milizionäre bei den Angriffen auf Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje begingen.
111
(a) Hinsichtlich des Vorsatzes in Bezug auf Kriegsverbrechen gegen Personen bleibt letztlich offen, ob das Oberlandesgericht die Überzeugung hat gewinnen können, der Angeklagte Mu. habe es auch für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, dass die Kämpfer jeweils - wie tatsächlich geschehen - in den vier Ortschaften aufhältige Zivilisten gezielt töteten , nachdem sie die Siedlungen mit der Vertreibung der Einheiten der kongolesischen Armee sukzessive unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Ebenso könnte das Oberlandesgericht lediglich angenommen haben, der Angeklagte habe allein damit gerechnet, dass die Milizionäre die Siedlungen in der Dunkelheit erstürmten und dabei mit automatischen Schusswaffen auf Menschen und Gebäude schießen, ohne in der Lage zu sein, zwischen verteidigungsfähigen Soldaten und wehrlosen Zivilisten zu unterscheiden. In der ersten Alternative bezöge sich der Gehilfenvorsatz - den obigen Ausführungen zufolge (s. B. I. 3. b) aa) (2) (a)) - auf sämtliche Tatbestandsmerkmale eines Kriegsverbrechens gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB, wohingegen in der zweiten Alternative das zentrale Merkmal des Sich-in-der-Gewalt-Befindens der Opfer (§ 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB) nicht vom Vorsatz des Angeklagten umfasst gewesen wäre.
112
(aa) Für eine Überzeugungsbildung des Oberlandesgerichts im Sinne der ersten Alternative - Vorsatz auch bezüglich gezielter Tötungen unabhängig von der Bekämpfung der Soldaten - spricht, dass in den Urteilsfeststellungen nach der Schilderung der Operationen gegen die Siedlungen pauschal festgestellt ist, dem Angeklagten Mu. sei ebenso wie dem Angeklagten M. die "Art und Weise des Vorgehens gegen die kongolesische Zivilbevölkerung ... spätestens nach dem Angriff auf ... Kipopo bekannt" gewesen, was sie "zumin- dest" gebilligt hätten (UA S. 112). Ähnliche allgemeine Darlegungen, die sich zumeist auf den gesamten Zeitraum der Offensiven "Umoja Wetu" und "Kimia II" erstrecken (und konsequenterweise auch für die gegen Kipopo gerichtete erste Bestrafungsoperation gelten müssten), finden sich für den Angeklagten Mu. in den Ausführungen zur Beweiswürdigung. So habe der Angeklagte "nach dem Beginn ... (von) 'Umoja Wetu' Ende Januar 2009 ... Kriegsverbrechen … für notwendig ... (gehalten) und daher zumindest billigend in Kauf" genommen (UA S. 453; s. auch UA S. 483, 494).
113
(bb) Für eine Überzeugungsbildung des Oberlandesgerichts im Sinne der zweiten Alternative - Vorsatz nur bezüglich Tötungen bei der beabsichtigten Bekämpfung der Soldaten - bestehen indes ebenfalls gewichtige Anhaltspunkte:
114
In den unter der Überschrift "Kenntnis des Angeklagten von den terroristischen Aktivitäten der FDLR" (UA S. 132) getroffenen Feststellungen ist dargelegt , dem Angeklagten Mu. sei spätestens mit dem Beginn von "Kimia II" - folglich noch nicht zur Zeit des Angriffs auf Kipopo - bekannt gewesen , dass sich die durch "Umoja Wetu" eingetretene dramatische militärische Lage der FOCA voraussichtlich nicht bessern und diese daher diverse Angriffe auf Stellungen des militärischen Gegners vornehmen würde (s. UA S. 133), obgleich er über solche Operationen, wenn überhaupt, erst im Nachhinein informiert worden sei (s. UA S. 445). Weiterhin habe er Kenntnis gehabt, dass sich die feindlichen Stellungen in bewohnten zivilen Ortschaften befänden und die Angriffe bei Dunkelheit vorgenommen würden. Ihm sei "somit bewusst" gewesen , dass es "zu zahlreichen Tötungen unbeteiligter Zivilisten ... kommen würde" , was er billigend in Kauf genommen habe (UA S. 133 f.). Die Ausführungen lassen erkennen, dass das Oberlandesgericht den Vorsatz des Angeklagten aus der Art und Weise der Durchführung von militärisch veranlassten Operationen der FOCA hergeleitet hat. Sie deuten darauf hin ("somit"), dass er nach Ansicht des erkennenden Strafsenats in der Vorstellung handelte, die Angriffe zielten auf den militärischen Gegner und Zivilisten würden hiervon deswegen betroffen sein, weil sie mit diesem zusammenlebten und Operationen im Dunkeln weniger präzise durchgeführt würden.
115
Eine solche Deutung steht zudem im Einklang mit der in den Urteilsgründen ausführlich dargelegten rechtlichen Beurteilung der Völkerrechtswidrigkeit des Vorgehens der FDLR-Milizionäre, die in erster Linie mit einem Verstoß gegen das "Unterscheidungsgebot" betreffend militärische und zivile Ziele (Art. 51 Abs. 4 ZP I) begründet wird (vgl. UA S. 558 ff.). Trotz des Wissens um die Anwesenheit von Zivilisten hätten FOCA-Kämpfer "bei den meisten Angriffen ... nachts im Dunkeln mit automatischen Waffen auf menschliche Ziele und Gebäude" gefeuert; sie hätten sich "um eine Unterscheidung" zwischen Soldaten und Einwohnern "nicht gekümmert und keine effektiven Maßnahmen zum Schutz" der - überdies als Feinde betrachteten - Zivilisten getroffen (UA S. 559).
116
Schließlich wird in den einzelnen an den Angeklagten gerichteten Nachrichten seiner "Gewährs- und Vertrauensleute" aus den Reihen der FOCA, die in der Beweiswürdigung zum Beleg für die Kenntnis von den Kriegsverbrechen gegen Personen wiedergegeben sind, der Tod der Zivilisten damit erklärt, dass diese mit gegnerischen Soldaten und Kämpfern zusammenlebten und die Angriffe nachts stattfänden (vgl. UA S. 500 f.). Dem Urteil lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass der Angeklagte im Einzelnen über die Strategie der Bestrafungsoperationen gerade auch gegen die lokale Bevölkerung informiert war (allgemein zu seiner Kenntnis von "Strafangriffen" auf den militärischen Gegner s. UA S. 299, 471).
117
(b) Hinsichtlich des Vorsatzes in Bezug auf Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte (§ 9 Abs. 1 Variante 1, 2 VStGB), der in der rechtlichen Würdigung unerwähnt bleibt (s. UA S. 574 f.), hat das Oberlandesgericht festgestellt, dem Angeklagten Mu. sei aufgrund seines Wissens um in der Dunkelheit durchgeführte Operationen gegen den in bewohnten Siedlungen befindlichen militärischen Gegner bewusst gewesen, dass es - neben der Tötung von zahlreichen Zivilisten - "zu ... Plünderungen und Brandschatzungen kommen würde" (UA S. 133). Der Schluss von dem Umstand , dass dem Angeklagten Anlass sowie Art und Weise des militärischen Vorgehens bekannt waren, auf die Kenntnis oder die billigende Inkaufnahme von hierdurch nicht gebotenen Gewaltexzessen lässt sich nicht ohne weiteres nachvollziehen. Zumindest der Vorsatz bezüglich des gezielten Niederbrennens zahlloser Gebäude wird auch nicht anderweitig belegt.
118
II. Revision des Angeklagten M.
119
Die Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten M. ergeben.
120
1. Den Verfahrensrügen bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 23. August 2017 genannten Gründen der Erfolg versagt.
121
2. Der Schuld- und Strafausspruch gegen den Angeklagten M. hält sachlichrechtlicher Nachprüfung stand.
122
a) Die Verurteilung des Angeklagten M. wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung erweist sich auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Ergebnis als zutreffend. Der Angeklagte beteiligte sich vorsätzlich als Rädelsführer an der ausländischen terroristischen Vereinigung FDLR (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB), deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet waren, Mord oder Totschlag sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte zu begehen.
123
aa) Die FDLR erfüllt den Vereinigungsbegriff des § 129a Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung (hierzu s. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 14 ff.) ebenso wie die Voraussetzungen der Legaldefinition des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB in der seit dem 22. Juli 2017 gültigen Fassung (vgl. § 2 Abs. 1, 3 StGB).
124
(1) Die FDLR stellte aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland nach altem Recht dar (vgl. zu den Voraussetzungen BGH, Urteile vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.; vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221).
125
Die FOCA war im Verhältnis zur FDLR kein getrennter, souveräner Personenverband ; vielmehr war sie in diese hierarchisch eingebunden und unterstand den für die Gesamtorganisation zuständigen Gremien. Hiervon hat sich das Oberlandesgericht beanstandungsfrei überzeugt (s. UA S. 222 ff.). Die Beurteilung als Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (s. hierzu im Einzelnen BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 173 f.; ferner Safferling, JZ 2010, 965, 968).
126
Der Beschwerdeführer hat eingewendet, bei der FOCA habe es sich um einen ihrerseits als Vereinigung zu qualifizierenden Personenverband innerhalb der Vereinigung FDLR gehandelt. Die FOCA habe ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufgewiesen und einen eigenen, von der FDLR unabhängigen Gesamtwillen bilden können; nach den Feststellungen seien überdies die Kriegsverbrechen allein von Angehörigen der FOCA angeordnet und ausgeführt worden, ohne dass die Hauptorganisation in die Entscheidungsprozesse eingebunden gewesen, um Zustimmung gebeten worden oder (im Einzelnen) informiert worden sei. Daher könnten die Kriegsverbrechen der FDLR nicht zugerechnet werden. Der Einwand, der sich augenscheinlich auf die zur Tatzeit geltende Fassung des § 129a Abs. 1 StGB bezieht, verfängt nicht:
127
(a) Ob die FOCA ihrerseits als eine Vereinigung im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB aF zu beurteilen ist, kann letztlich dahinstehen, ist allerdings zweifelhaft.
128
Eine Teilorganisation einer Vereinigung unterfällt nur dann selbst dem alten Vereinigungsbegriff, wenn sie für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Hieraus folgt unter anderem, dass die Teilorganisation einen eigenen, von der Gesamtorganisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass diese lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit in der Teilorganisation vollzieht. Aus diesem Grund wird das für die Annahme einer Vereinigung notwendige voluntative Element in Bezug auf eine Untergruppierung auch nicht allein dadurch hinreichend belegt, dass deren Mitglieder mittel- oder langfristig ein gemeinsames politisch-ideologisches Ziel verfolgen, wenn es von der Hauptgruppierung vorgegeben wird (vgl. - für die inländische Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung - BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28, 32 ff.; ferner BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042, 3044; Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160, 162).
129
Gegen die Annahme, die FOCA sei selbst eine Vereinigung nach altem Recht, spricht, dass sich den Feststellungen zufolge die Willensbildung im politischen Bereich nicht innerhalb dieser Teilorganisation, sondern auf der Ebene der Gesamtorganisation, namentlich im Comité Directeur, vollzog (s. etwa UA S. 232 f.). Diese Willensbildung betraf auch das gemeinsame übergeordnete Interesse, an der Macht in Ruanda teilzuhaben bzw. die Macht zu übernehmen (zur Bedeutung eines solchen Ziels für § 129 Abs. 1 StGB aF s. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 228 ff.). Die FOCA betrachtete sich selbst als bewaffneten Arm der FDLR, was auch die Revisionsbegründung nicht in Abrede stellt (zum Beispiel gemeinsame Begründungsschrift vom 10. Februar 2017, S. 311).
130
(b) Jedenfalls unterfällt die FDLR - ebenfalls - dem alten Vereinigungsbegriff. Selbst wenn die FOCA alle Vereinigungsmerkmale im Sinne des § 129a Abs. 1 StGB aF erfüllte, hinderte dies nicht, die FDLR ebenfalls als (Dach-)Vereinigung anzusehen, weil sich aus den Feststellungen ergibt, dass sich die FOCA-Angehörigen dem Willensbildungsprozess im politischen Bereich unterwarfen , der auf der Ebene der Gesamtorganisation stattfand (s. hierzu BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042, 3044; MüKoStGB /Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 17). Da die FOCA in die FDLR integriert war, waren die Angehörigen der Teilorganisation zugleich Mitglieder der Gesamtorganisation (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4 u. 5/01, BGHSt 46, 349, 354). Für die Zwecke und die Tätigkeit der FDLR im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB waren daher die von FOCA-Führungskräften befohlenen und/oder von FOCA-Kämpfern verübten Delikte unmittelbar bedeutsam, ohne dass es eines zusätzlichen Zurechnungsschritts bedarf.
131
(2) Da die seit dem 22. Juli 2017 gültige Fassung des § 129 Abs. 2 i.V.m. § 129a Abs. 1 StGB - mit Ausnahme des Erfordernisses des gemeinsamen übergeordneten Interesses, das hier vorliegt (s. oben (1) (a)) - geringere Anforderungen an die Vereinigung stellt als das alte Recht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207; Urteil vom 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17, NJW 2018, 2970, 2973), unterfällt die FDLR erst recht dem neuen Vereinigungsbegriff.
132
bb) Die Zwecke und die Tätigkeit der FDLR waren darauf gerichtet, Kriegsverbrechen gegen Personen, Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte sowie Mord und Totschlag zu begehen. Allerdings belegen die Feststellungen nur, dass sich der Vorsatz des Angeklagten M. auf die Straftatbestände der § 211 Abs. 2, § 212 Abs. 1 StGB, § 9 Abs. 1 VStGB, nicht auch auf denjenigen des § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB bezog. Im Einzelnen :
133
(1) Für die Zielsetzungen im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 1999 - StB 5/99, NStZ 1999, 503, 504); die Organisation muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 174; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129a Rn. 42).
134
Als Zielsetzungen hat das Oberlandesgericht die - als Verpflegungsoperationen bezeichneten - systematischen Plünderungen sowie die während der (Bestrafungs-)Operationen gegen die fünf kongolesischen Siedlungen begangenen Straftaten bewertet (s. UA S. 578 f.). Die "Verpflegungsoperationen" sind als Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte gemäß § 9 Abs. 1 Variante 1 VStGB zu bewerten; denn die FDLR-Milizionäre plünderten im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt Sachen der gegnerischen Partei (zu den Voraussetzungen s. oben B. I. 3. b) bb) i.V.m. aa) (2) (a) (aa) und (b) (aa)). Dass die Kämpfer in Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje eine Vielzahl von Kriegsverbrechen gegen Personen sowie von Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2, § 9 Abs. 1 Variante 1, 2 VStGB begingen, ist bereits im Einzelnen dargelegt worden (s. B. I. 3. b) aa) und bb)). Gleiches gilt für den Angriff auf Kipopo. Die Tötung der Zivilisten erfüllt dabei zugleich den Tatbestand des Mordes (§ 211 Abs. 2 StGB) oder des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB). Auf die Taten, auf deren Begehung die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung gerichtet sind, muss dabei deutsches Strafrecht nach den §§ 3 ff. StGB oder weitergehenden Sonderregelungen - wie hier § 1 VStGB für die Kriegsverbrechen - nicht anwendbar sein (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 66 f.; § 129b Rn. 16; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 47, § 129b Rn. 10 aE; S/SSternberg -Lieben, StGB, 30. Aufl., § 129b Rn. 4); denn es geht nicht um die strafrechtliche Ahndung dieser Taten.
135
(2) Der Vorsatz des Angeklagten M. - wie auch desAngeklagten Mu. - umfasste jedenfalls allgemein die Möglichkeit von vorsätzlichen Tötungsdelikten an Zivilisten sowie von Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte durch diverse gezielte Plünderungsaktionen.
136
Der Angeklagte M. hat ausgesagt, er habe aus Berichten vonMenschenrechtsorganisationen und der Vereinten Nationen sowie aus den Medien, beginnend bereits im Jahr 2008, Informationen über der FDLR angelastete Verbrechen erhalten, ihnen aber keinen Glauben geschenkt, weil er die Berichte für Propaganda und Falschmeldungen gehalten habe (vgl. UA S. 179 ff.). Das Oberlandesgericht hat sich mit rechtlich nicht zu beanstandender Begründung davon überzeugt, dass der Angeklagte M. tatsächlich annahm, es habe sich bei den Informationen nicht um schlicht wahrheitswidrige Behauptungen gehandelt (s. UA S. 142, 521 ff.). Aus - in der Beweiswürdigung exemplarisch wiedergegebenen (s. etwa UA S. 467 f., 524) - Berichten geht hervor, dass solche Informationen sowohl Tötungen von Zivilisten als auch Plünderungen betrafen. Ohne rechtliche Bedeutung ist insoweit, ob der Angeklagte auch über das systematische Vorgehen der FDLR im Wege der sogenannten Verpflegungsoperationen und deren Ausmaß informiert war.
137
Bezüglich der in den fünf kongolesischen Siedlungen begangenen zahlreichen Kriegsverbrechen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 und § 9 Abs. 1 VStGB handelte der Angeklagte M. indes - nicht ausschließbar - ohne Vorsatz. Für ihn gelten die diesbezüglichen Darlegungen betreffend den Angeklagten Mu. (s. oben B. I. 3. b) cc) (3)) sinngemäß, dies umso mehr, als der Angeklagte M. nur in geringerem Umfang mit den in der Demokratischen Republik Kongo lebenden FDLR-Mitgliedern in Kontakt stand und weniger Nachrichten aus den Kivu-Provinzen erhielt (vgl. UA S. 509). Freilich stellen diese Taten, soweit sie sich gegen das Leben von Zivilisten richteten, zugleich vorsätzliche Tötungsdelikte dar. Dass sich der Vorsatz des Angeklagten M. allgemein auf derartige Zielsetzungen erstreckte, hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Soweit sich der Angeklagte in seiner Einlassung auf fehlende Rechtskenntnis berufen hat (s. UA S. 181), ist dies unbeachtlich.
138
(3) Nach alledem kommt es nicht mehr darauf an, dass auch insoweit, als FDLR-Milizionäre bei bewaffneten Auseinandersetzungen den Zielsetzungen der FDLR entsprechend feindliche Soldaten und Kämpfer töteten, Tötungsdelikte im Sinne des § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB - ungeachtet im Einzelfall denkbarer Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe - vorliegen. Es ist nicht er- sichtlich, aus welchem Rechtsgrund sich die Milizionäre auf das sogenannte Kombattantenprivileg (s. oben B. I. 3. b) aa) (4)) berufen können sollten.
139
cc) Zutreffend hat das Oberlandesgericht den Angeklagten M. als Rädelsführer im Sinne des § 129a Abs. 4 StGB angesehen.
140
Rädelsführer ist, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt. Entscheidend ist dabei nicht der Umfang der geleisteten Beiträge, sondern das Gewicht, das diese für die Vereinigung haben. Besonders maßgebend ist eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen. Eine rein formale Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen nicht aus. Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein und sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke, -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur , oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160, 161 f.; ferner BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2014 - StB 25/14, NStZ-RR 2015, 221, 222; vom 12. November 2015 - AK 36/15, NStZ-RR 2016, 170, 171). Ist der Täter Rädelsführer, so sind alle mitgliedschaftlichen Beteiligungshandlungen einheitlich zu beurteilen. Es kommt allein darauf an, dass er diese Stellung innehat, nicht hingegen, bei welchem konkreten Betätigungsakt er als Rädelsführer agiert (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, juris Rn. 18).
141
Gemessen daran gehörte der Angeklagte M. auf der Grundlage der Feststellungen zu den Rädelsführern der FDLR. Dies ergibt sich zwar nicht schon allein aus der von ihm bekleideten formalen Position des ersten Vizeprä- sidenten. Wie vom Oberlandesgericht im Einzelnen festgestellt und belegt (s. UA S. 135 ff., 509 ff.), hatte der Angeklagte vielmehr materiell eine maßgebliche Führungsrolle innerhalb der Gesamtorganisation inne und übte einen beträchtlichen Einfluss auf diese aus. Insbesondere war er aktives Mitglied des Comité Directeur und des Exekutivkomitees. So wirkte er im Comité Directeur, dem faktisch obersten Entscheidungsgremium der FDLR, in dem namentlich die grundsätzlichen politischen Entscheidungen getroffen wurden, ebenso an der Vorbereitung von Versammlungen mit wie an den Entscheidungen und Empfehlungen , über die auf der letzten mehrtägigen Versammlung im Januar 2009 verhandelt und beschlossen wurde, sowie deren Ausformulierung. Daneben beteiligte er sich vor allem auch an der Öffentlichkeits- und Propagandaarbeit. Zwar waren der Angeklagte Mu. und der Exekutivsekretär Mb. auf diesem Gebiet federführend tätig; gleichwohl hatten die diesbezüglichen Beiträge des Angeklagten M. erhebliches Gewicht. Ungeachtet dessen, dass er gerade im Laufe des Jahres 2009 auch zahlreiche mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen vornahm, die nicht Ausfluss seiner Führungsrolle waren, war seine Stellung, insgesamt betrachtet, die einer Führungskraft.
142
Anders als die Revision geltend macht, ist die Rädelsführerschaft des Angeklagten M. nicht davon abhängig, dass dessen Betätigungen ein "eigenes Strafpotential" gehabt hätten, der von ihm ausgeübte wesentliche Einfluss auf die FDLR mithin die terroristischen Zielsetzungen selbst betroffen hätte. Nach den dargelegten rechtlichen Maßstäben genügt es, dass er - in enger Zusammenarbeit mit dem Angeklagten Mu. - die für die Organisation besonders bedeutsamen politisch-ideologischen Ziele einschließlich ihrer Außendarstellung mitbeherrschte.
143
b) Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten M. auf.
144
III. Revisionen des Generalbundesanwalts
145
1. Die vom Generalbundesanwalt gegen den Angeklagten Mu. geführte Revision deckt sowohl diesen begünstigende als auch ihn benachteiligende (§ 301 StPO) Rechtsfehler auf.
146
a) Allerdings hat das Oberlandesgericht auf der Grundlage der Feststellungen eine täterschaftliche Beteiligung des Angeklagten Mu. an den von Angehörigen der FDLR verübten völkerstrafrechtlichenDelikten zu Recht verneint, sei es nach der Sonderregelung des § 4 VStGB, sei es nach den - über § 2 VStGB anwendbaren - allgemeinen Regeln des StGB.
147
aa) Der Angeklagte Mu. ist hinsichtlich der Operationen gegen die fünf Ortschaften in den Kivu-Provinzen nicht als militärischer Befehlshaber oder anderer Vorgesetzter gemäß § 4 VStGB für Verstöße gegen das VStGB verantwortlich.
148
(1) Eine strafrechtliche Haftung des militärischen Befehlshabers für völkerstrafrechtswidriges Verhalten der Untergebenen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 VStGB setzt tatsächliche Befehlsgewalt voraus, die überdies auf einer rechtlichen Grundlage beruht. Unter tatsächlicher Befehlsgewalt ist die faktisch ausübbare Möglichkeit zu verstehen, den Befehlsunterworfenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und diese durchzusetzen (s. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 168). Es kennzeichnet die Befehlsgewalt, dass sie ihre Grundlage in einer der bewaffneten Einheit eigenen spezifisch militärischen Kommandostruktur hat (vgl. MüKoStGB/ Weigend, 3. Aufl., § 4 VStGB Rn. 29). Demgegenüber regelt § 4 Abs. 2 Satz 1 Alternative 1 VStGB die Verantwortlichkeit des De-facto-Anführers. Sie kann in der ausschließlich tatsächlichen - mithin nicht rechtlich abgesicherten - Befehlsgewalt begründet sein, etwa durch dem Vorgesetzten effektiv zur Verfügung stehende Machtmittel innerhalb einer im rechtlosen Raum agierenden Konfliktpartei (vgl. MüKoStGB/Weigend aaO, Rn. 18 f., 27 ff.). Für den De-factoAnführer kommt darüber hinaus nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 VStGB eine Haftung auch dann in Betracht, wenn er zwar keine Befehlsgewalt, aber tatsächliche Führungsgewalt innehat; diese kann namentlich an persönliche Merkmale anknüpfen, die seine Stellung als maßgebliche Autorität begründen (vgl. MüKoStGB/Weigend aaO, Rn. 29).
149
Für die Verantwortlichkeit sowohl wegen Befehls- als auch wegen Führungsgewalt ist eine effektive Ausübung von Kontrolle durch den Vorgesetzten erforderlich (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 VStGB). Er muss - prinzipiell - die Möglichkeit haben, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (s. BT-Drucks. 14/8524, S. 19). Allein ein Titel oder eine formale Position vermag eine Verantwortlichkeit nach § 4 VStGB nicht zu begründen (vgl. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 168 f.; Burghardt in Kreß [Hrsg.], 10 Jahre Arbeitskreis Völkerstrafrecht, 2015, S. 197, 223 f.; MüKoStGB/ Weigend, 3. Aufl., § 4 VStGB Rn. 20, 27, 30; s. auch BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17; Safferling, JZ 2010, 965, 967). In gleicher Weise verlangt der Internationale Strafgerichtshof für die Parallelregelung des Art. 28 Buchst. a IStGH-Statut eine "effective control", die die Fähigkeit einschließt, Straftaten zu verhindern und zu ahnden (s. die Nachweise bei Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 612).
150
(2) Hiernach kommt es für die Vorgesetztenverantwortlichkeit nach § 4 VStGB nicht entscheidend darauf an, dass der Angeklagte Mu. als Präsident der FDLR nach Art. 24 des Regelwerks "Reglement der inneren Ordnung der Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas - FDLR" den Oberbefehl über die Streitkräfte innehatte. Ebenso wenig ist von maßgebender Bedeutung , welche Rechtsnatur derartige organisationsinterne Regeln haben, die von den Organen der FDLR für die Vereinigung erlassen wurden, und inwieweit sie für deren Mitglieder überhaupt verbindlich sein können. Denn die Vorschrift des § 4 VStGB setzt - wie dargelegt (s. oben (1)) - die Ausübung effektiver Kontrolle voraus, gleichviel ob eine Verantwortlichkeit des Angeklagten Mu. als militärischer Befehlshaber oder als De-facto-Anführer mit tatsächlicher Befehls- oder mit tatsächlicher Führungsgewalt geprüft wird; erforderlich ist eine faktische Durchsetzungsmacht.
151
Von der Ausübung effektiver Kontrolle durch denAngeklagten Mu. hat sich das Oberlandesgericht indes nicht überzeugen können, ohne dass dagegen revisionsrechtlich etwas zu erinnern wäre. Der Angeklagte hatte keine Möglichkeit, auf Entscheidungen des FOCA-Kommandos Einfluss zu nehmen (s. UA S. 117, 123) oder den FOCA-Kommandeur Mudacumura "seines Amtes zu entheben" (UA S. 446, 567). In der Praxis erteilte er an die Milizionäre keine Befehle oder Anweisungen und sah sich hierzu auch, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend, nicht in der Lage (vgl. UA S. 441 ff.). Belegt ist dies etwa mit einer vom erkennenden Strafsenat für glaubhaft befundenen Zeugenaussage des ehemaligen Vizekommandanten des Bataillon Police Militaire Nz. , der Angeklagte sei "Zivilist", habe "beim Militär keine Rolle" gespielt und "keine Befehle geben" können; wenn er dies dennoch getan hätte, wären solche Direktiven aller Voraussicht nach nicht befolgt worden (UA S. 443 f.). Der Angeklagte war daher faktisch außerstande, verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts oder solche für konkrete Kampfmethoden oder -handlungen zu erteilen, zumal er über geplante militärische Operationen nicht im Voraus informiert wurde (s. UA S. 445, 566).
152
Soweit der Generalbundesanwalt - unter Berufung auf Schrifttum zum Schweizerischen Recht (Vest in Vest/Ziegler/Lindenmann/Wehrenberg, Die völkerstrafrechtlichen Bestimmungen des StGB, 2014, Art. 264k Rn. 4) - vorgebracht hat, es sei ausreichend, dass der Angeklagte Mu. die Möglichkeit gehabt habe, sich über Verstöße gegen das VStGB Bericht erstatten zu lassen und sie disziplinarisch zu ahnden, braucht der Senat nicht zu entscheiden , ob diese Kriterien im Einzelfall für § 4 VStGB genügen könnten. Deren Erfüllung ist jedenfalls hier nicht belegt. Vielmehr lässt es insbesondere der Inhalt der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Kommunikation zwischen dem Angeklagten und anderen FDLR- bzw. FOCA-Verantwortlichen als fernliegend erscheinen, dass dem Angeklagten die vom Generalbundesanwalt behauptete Kompetenz tatsächlich zur Verfügung gestanden hätte.
153
(3) Nach alledem kann dahinstehen, ob § 4 VStGB eine - vom Oberlandesgericht ebenfalls für erforderlich gehaltene - hypothetische Vermeidungskausalität dergestalt voraussetzt, dass die gebotenen und zumutbaren (einer realiter bestehenden Kompetenz gemäßen) Verhinderungsbemühungen mit Sicherheit Erfolg gehabt hätten. Die Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda sowie der Internationale Strafgerichtshof verlangen einen solchen Ursachenzusammenhang grundsätzlich nicht (vgl. Burghardt, Die Vorgesetztenverantwortlichkeit im völkerrechtlichen Straftatsystem , 2008, S. 205 ff.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 632, 639, jeweils mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 168 f., wo dies ebenfalls nicht gefordert wird, vielmehr dahingestellt bleibt, ob es, sollte § 4 VStGB anwendbar sein, zur Vermeidung der Strafbarkeit ausreichend ist, wenn der Vorgesetzte alle ihm möglichen, erforderlichen und an- gemessenen Verhinderungsbemühungen unternimmt, ohne dass die Straftat hierdurch abgewendet wurde). Rechtsdogmatisch wäre die hypothetische Vermeidungskausalität für § 4 VStGB verzichtbar, weil die Vorgesetztenverantwortlichkeit als verselbständigte Beihilfe durch Unterlassen mit der Rechtsfolge täterschaftlicher Bestrafung qualifiziert werden kann (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 18 f.; MüKoStGB/Weigend, 3. Aufl., § 4 VStGB Rn. 13) und die Beihilfe keine Kausalität, sondern lediglich eine Förderungs- oder Erleichterungswirkung voraussetzt (für einen Zusammenhang im Sinne einer conditio sine qua non im Wege der teleologischen Reduktion des § 4 VStGB s. Burghardt, ZIS 2010, 695, 707; ders. in Kreß [Hrsg.], 10 Jahre Arbeitskreis Völkerstrafrecht, 2015, S. 197, 226 ff.; Werle, JZ 2012, 373, 376 ["in Betracht zu ziehen"]; Werle /Jeßberger aaO, Rn. 643; ferner MüKoStGB/Weigend aaO, Rn. 53).
154
bb) Der Angeklagte Mu. war an den in den fünf kongolesischen Siedlungen begangenen Verstößen gegen das VStGB ebenso wenig nach allgemeinen Regeln täterschaftlich beteiligt, weder als mittelbarer Täter durch Unterlassen noch als Mittäter.
155
(1) Das Oberlandesgericht hat es mit rechtlich einwandfreier Begründung abgelehnt, den Angeklagten Mu. (in Anlehnung an BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77 [Politbüro]; s. zur Übertragbarkeit der rechtlichen Erwägungen Safferling/Hartwig-Asteroth/Scheffler, ZIS 2013, 447, 451 ff.) deshalb als mittelbaren Unterlassungstäter kraft organisatorischen Machtapparats (§ 2 VStGB, § 13 Abs. 1, § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB) zu beurteilen, weil er als Vorsitzender Mitglied des faktisch obersten Entscheidungsgremiums der FDLR, des Comité Directeur, war, das gegen die Taten nicht einschritt. Dieses Gremium hätte den jeweiligen tatbestandlichen Erfolg nicht abwenden können. Der erkennende Strafsenat hat beanstandungsfrei die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte nach Januar 2009 infolge der Bürgerkriegswirren im Ost-Kongo nicht mehr die Möglichkeit hatte, erfolgreich auf eine Versammlung des Comité Directeur hinzuwirken, und es für zweifelhaft gehalten, dass die FOCA-Führung eine Entscheidung umgesetzt hätte, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder von Kriegsverbrechen abzusehen (s. UA S. 568 ff.).
156
(2) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts sind dem Angeklagten Mu. die völkerstrafrechtlichen Verbrechen nicht als Mittäter (§ 2 VStGB, § 25 Abs. 2 StGB) zuzurechnen.
157
(a) Gemeinschaftlich im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen. Maßgebende Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, sodass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Beteiligten abhängen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 455/16, juris Rn. 4; vom 4. April 2017 - 3 StR 451/16, juris Rn. 7; vom 15. Mai 2018 - 3 StR 130/18, juris Rn. 13). Inwieweit dieser unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft Einfluss auf die Tatausführung nehmen kann, bestimmt sich nach dem Verhältnis seines Beitrags zu der eigentlichen tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung (s. BGH, Beschluss vom 19. April 2018 - 3 StR 638/17, NStZ-RR 2018, 271, 272 mwN).
158
(b) Ungeachtet der Frage eines - gegebenenfalls im Wege einer konkludenten Übereinkunft gefassten - gemeinsamen Tatplans tragen die Feststellungen nicht die Annahme von Mittäterschaft. Im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung fällt insbesondere ins Gewicht, dass der Angeklagte Mu. weder Tatherrschaft noch den Willen dazu hatte. Die tatbestandlichen Ausführungshandlungen selbst hatte er nicht in der Hand. Er nahm keinen Einfluss auf die militärischen Entscheidungen der FOCA-Führung. Weder war er an der Entwicklung der Strategie der Bestrafungsoperationen noch an der Anordnung einzelner Operationen beteiligt. Soweit er hierüber überhaupt informiert wurde, geschah dies erst im Nachhinein. Die in den Urteilsgründen wiedergegebenen, an ihn gerichteten Nachrichten seiner "Gewährs - und Vertrauensleute" aus den Reihen der FOCA zu den verfahrensgegenständlichen Angriffen auf die Siedlungen (s. UA S. 500 f.) beschönigten gerade das Geschehen.
159
Soweit der Generalbundesanwalt in eigener Würdigung der Beweisergebnisse einen relevanten Einfluss des Angeklagten Mu. auf die jeweilige Tatausführung selbst damit begründet hat (s. Revisionsbegründungsschrift vom 9. Februar 2017, S. 21 f.), dass die FDLR-Milizionäre dessen Durchhalteappelle "als eindeutige Aufforderung" hätten verstehen müssen, "ihr Treiben fortzusetzen", weil er trotz Aufforderung durch Dritte nicht zur Schonung von Zivilisten gemahnt habe, ist dies revisionsrechtlich unbeachtlich. Im Übrigen steht diese Würdigung nicht ohne weiteres in Einklang mit anderen Beweisergebnissen (s. UA S. 446 ff.), etwa der Zeugenaussage des ehemaligen Leiters des Informationsbüros des FOCA-Kommandos Se. , der Angeklagte habe in der Osterbotschaft 2009 zum Schutz kongolesischer Zivilisten aufgerufen, wohingegen nach den Anweisungen des FOCA-Kommandeurs Mudacumura jeder Kongolese als "Feind" der FDLR zu betrachten gewesen sei (UA S. 450 f.).
160
b) Das Urteil hält dagegen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Oberlandesgericht in den Kivu-Provinzen verübte Verbrechen gegen die Menschlichkeit verneint hat. Überdies sind die Darlegungen zum Gehilfenvorsatz mit den Angeklagten Mu. begünstigenden wie benachteiligenden Rechtsfehlern behaftet. Im Einzelnen:
161
aa) Entgegen der vom Oberlandesgericht vorgenommenen rechtlichen Bewertung belegen die Feststellungen die Strafbarkeit der FOCA-Führungskräfte und -kämpfer wegen - in Kipopo, Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje begangener - Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB.
162
(1) Die Operationen gegen die fünf Siedlungen waren Bestandteile eines vorsätzlich durchgeführten systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung gemäß § 7 Abs. 1 VStGB. Ob der Angriff daneben auch im Sinne dieser Regelung ausgedehnt war, braucht der Senat nicht zu entscheiden; denn es genügt, dass eines der beiden alternativen Tatbestandsmerkmale erfüllt ist (vgl. Gropengießer /Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Band 1: Deutschland, 2003, S. 119; Zimmermann, NJW 2002, 3068, 3069).
163
(a) Die von FOCA-Führungskräften angeordneten und den FOCA-Kämpfern ausgeführten Taten richteten sich gegen die Zivilbevölkerung als Ganze.
164
Bei einer Zivilbevölkerung handelt es sich um eine größere Gruppe von Menschen, die über gemeinsame Unterscheidungsmerkmale verfügen, aufgrund derer sie angegriffen werden. Es ist nicht notwendig, dass das Vorgehen auf die gesamte in einem bestimmten geografischen Gebiet ansässige Bevölkerung zielt. Ausreichend ist bereits, dass eine erhebliche Anzahl von Einzelpersonen angegriffen wird. Ein Angriff auf einige wenige, zufällig ausgewählte Menschen ist dagegen nicht tatbestandsmäßig (vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 21 mwN). Hier richteten sich die Tötungshandlungen gegen eine Vielzahl von Einwohnern eines Gebiets von 60 Quadratkilometern. Die Zivilisten wurden zu Opfern gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zur ortsansässigen Bevölkerung.
165
Soweit das Oberlandesgericht (offenbar mit Blick auf MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 16 aE) ein für § 7 Abs. 1 VStGB "taugliches Tatobjekt" verneint hat, weil es sich nicht die Überzeugung habe verschaffen können, dass in den fünf Ortschaften "der zivile Charakter der angegriffenen Personengruppe" überwogen habe (UA S. 561 f.), hat es seiner rechtlichen Beurteilung nicht den jeweils maßgeblichen Tatzeitpunkt zugrunde gelegt. Zur Zeit der Tötungshandlungen waren die Bewohner, wenngleich sie in der Vergangenheit gegnerische Soldaten und Kämpfer in ihre Siedlungen aufgenommen hatten, kein Teil einer organisierten, Gewalt anwendenden Macht (s. hierzu MüKoStGB/Werle aaO, Rn. 18 f.; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 926 ff.). Wie dargelegt (s. B. I. 3. b) aa) (2) (a) (bb)), wurde in Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje die weit überwiegende Anzahl der Tötungsdelikte an Zivilisten - ohne militärische Notwendigkeit - erst verübt, als die Ortschaften nicht mehr unter der Kontrolle der kongolesischen Soldaten standen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war die ortsansässige Zivilbevölkerung das primäre Ziel des gewaltsamen Vorgehens (s. Werle/Jeßberger aaO, Rn. 925), sodass der zivile Charakter der angegriffenen Personengruppe überwog. Das gilt ebenso für Kipopo. Zu dieser Operation ist festgestellt, dass die Milizionäre Dorfbewohner in Häuser einsperrten und diese in Brand setzten, wodurch ihre Opfer bei lebendigem Leib verbrannten. Selbst im Fall der Anwesenheit von FARDC-Soldaten - hierzu konn- ten keine Feststellungen getroffen werden - hätten sich derartige, nicht einmalige Handlungen nicht gegen diese gerichtet.
166
(b) Desgleichen lag ein systematischer Angriff vor. Ein gegen die Bevölkerung gerichteter Angriff ist ein Gesamtvorgang, in den sich die mehrfache Verwirklichung der Einzeltatbestände des § 7 Abs. 1 Nr. 1 bis 10 VStGB einfügt und hinter dem ein Staat oder eine Organisation, mithin ein Kollektiv, steht (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 164 f.; MüKoStGB /Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 23). Als systematisch ist der Angriff zu beurteilen , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (vgl. BGH aaO, S. 165; MüKoStGB /Werle aaO, Rn. 27).
167
Mit dem Oberlandesgericht ist aus der generalstabsmäßigen Planung, der Einbindung und Benachrichtigung des FOCA-Kommandos, der Betrachtung der Zivilisten als "Feinde" sowie dem Ausmaß der Tötungen, Brandstiftungen und Plünderungen der Schluss zu ziehen, es habe sich hierbei "um geplante, organisierte und geleitete Einzeltaten im Rahmen einer Gesamttat" gehandelt (UA S. 563). Den an den Ortsbewohnern verübten gezielten Tötungsdelikten lag die vom FOCA-Kommando entwickelte Strategie der sogenannten Bestrafungsoperationen zugrunde. Mit solchen Operationen verfolgte die FOCA unter anderem das Ziel, die Zivilbevölkerung, welche die feindlichen Truppen - auch nur vermeintlich - unterstützte, zu bestrafen und davon abzuschrecken, der kongolesischen Armee und mit dieser verbündeten Gruppierungen Hilfe zu leisten. Die Teile der Bevölkerung, die, nachdem die FARDC-Soldaten in den Siedlungen Stellungen eingenommen hatten, in diesen blieben oder sich dort niederließen , galten nach dem Verständnis der FOCA als "Feinde". Davon, dass die Kämpfer bei den Operationen Ortsbewohner töteten, ging die FOCA-Führung aus. Für Kipopo, Mianga, Busurungi und Manje hat das Oberlandesgericht ausdrücklich festgestellt, dass die Einzeldelikte im Rahmen von Bestrafungsoperationen ausgeführt wurden. Für Chiriba ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass diese Strategie den von den Kämpfern ausgeführten einzelnen Taten zugrunde lag. Das geht auch aus dem letzten Drohschreiben hervor. Derartige Schreiben waren Bestandteil der Strategie (s. UA S. 100).
168
(c) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Tatbestandsmerkmal des Angriffs im Sinne von § 7 Abs. 1 VStGB - in Anlehnung an Art. 7 Abs. 2 Buchst. a IStGH-Statut, der nach dem Willen des Gesetzgebers als Leitlinie für die Auslegung der Vorschrift dienen soll (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 20; Gropengießer /Kreicker in Eser/Kreicker [Hrsg.], Nationale Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen, Band 1: Deutschland, 2003, S. 119) - zusätzlich ein "Politikelement" enthält, wonach ein Angriff voraussetzt, dass er in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staats oder einer Organisation vorgenommen wird, die einen solchen Angriff zum Ziel hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 165; MüKoStGB/Werle, 3. Aufl., § 7 VStGB Rn. 30 ff.; zum "Politikelement" s. Ambos, Internationales Strafrecht, 5. Aufl., § 7 Rn. 186 f.); denn diese - auch vom Oberlandesgericht bejahten (s. UA S. 563) - Voraussetzungen liegen hier mit Blick auf die Strategie der Bestrafungsoperationen vor.
169
(2) Im Rahmen dieses systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung verursachten die Angehörigen der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod der in den fünf Siedlungen noch aufhältigen Einwohner (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB).
170
bb) Soweit die Urteilsausführungen zum auf die Haupttaten bezogenen Gehilfenvorsatz des Angeklagten Mu. Rechtsfehler aufweisen (s. B. I. 3. b) cc) (3)), haben sich diese nicht nur zu seinen Lasten (vgl. § 301 StPO), sondern auch zu seinen Gunsten ausgewirkt.
171
Da sich dem Urteil nicht entnehmen lässt, welche Vorstellungen der Angeklagte Mu. von den Taten hatte, welche die FDLR-Milizionäre während der Operationen gegen die kongolesischen Siedlungen begingen, lässt sich auch nicht entscheiden, inwieweit sich sein Vorsatz auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei zutreffender Auslegung und Anwendung dieses Straftatbestands (s. oben aa)) erstreckte. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung ist zwar ausgeführt, der erkennende Strafsenat habe sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte Mu. Kenntnis von einer Politik des militärischen Flügels gehabt hätte, systematisch und planmäßig mittels Tötungsdelikten gegen diejenige kongolesische Zivilbevölkerung vorzugehen, die mit dem militärischen Gegner der FDLR kooperiert oder ihn in den Ortschaften aufgenommen habe (s. UA S. 564, 566). Mit einem solchen partiellen Unwissen lässt sich jedoch schon nicht vereinbaren, dass dem Angeklagten die Art und Weise des Vorgehens der FOCA gegen die Zivilbevölkerung in den Siedlungen bekannt gewesen sein soll (s. zu den nicht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen oben B. I. 3. b) cc) (3) (a)); denn dieses Vorgehen war dadurch gekennzeichnet, dass die Kämpfer jeweils gezielt die Zivilbevölkerung angriffen und dabei wiederholt zahlreiche schutzlose Menschen töteten.
172
Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft die subjektiven Voraussetzungen der Beihilfe hinsichtlich der in Kipopo verübten Kriegsverbrechen gegen Personen sowie gegen Eigentum und sonstige Rechte abgelehnt. Auch diesbezüglich sind die Vorstellungen des Angeklagten, wie sich bereits aus den Darlegungen zu dessen Revision ergibt (s. insbesondere B. I. 3. b) cc) (3) (a) (aa)), nicht klar und widerspruchsfrei dargetan.
173
2. Die vom Generalbundesanwalt gegen den Angeklagten M. geführte , auf den Strafausspruch beschränkte Revision ist unbegründet. Insbesondere ist dem Generalbundesanwalt nicht darin zu folgen, dass sich die gegen jenen verhängte Freiheitsstrafe nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Der teilgeständige und unbestrafte Angeklagte hatte im Vergleich zum Angeklagten Mu. eine weniger gewichtige Führungsrolle innerhalb der FDLR inne und hat sich - nach den hinreichend belegten Feststellungen (s. UA S. 15) - während der erstinstanzlichen Hauptverhandlung von der Vereinigung losgesagt.

C.

174
I. Infolgedessen ist das Urteil, soweit es den Angeklagten Mu. betrifft, auf dessen Revision und diejenige des Generalbundesanwalts aufzuheben. Die im Urteilstenor unter 1. bezeichneten Feststellungen werden von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
175
II. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache erneuter Verhandlung und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass, sollte der nunmehr zur Entscheidung berufene Strafsenat den Angeklagten Mu. der Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie der Beihilfe zu Straftaten nach dem VStGB für schuldig befinden, für die Bewertung der Konkurrenzen Folgendes zu gelten hätte:
176
Zur Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung stünde die Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit und/oder zu Kriegsverbrechen in Tateinheit (§ 2 VStGB, § 52 StGB), soweit sich der Angeklagte Mu. mit der vorsätzlichen Hilfeleistung für die jeweiligen Straftaten nach dem VStGB (etwa Propagandatätigkeit) zugleich für die Vereinigung betätigt hätte. Hierzu träten weitere mitgliedschaftliche Beteiligungshandlungen , die nicht gegen ein anderes Strafgesetz als die §§ 129a, 129b StGB verstoßen (etwa Vorbereitung und Leitung von Versammlungen des Comité Directeur sowie Verhandlungen auf internationaler Ebene), als weitere materiell selbständige Tat (§ 2 VStGB, § 53 StGB) hinzu (s. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6; vom 8. November 2017 - AK 54/17, NStZ-RR 2018, 42, 43).
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(Völker-)Strafrecht: Psychische Beihilfe bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien

18.03.2021

Der Widerspruch des Beschuldigten ist grundsätzlich konstituierend für die gerichtliche Annahme eines Beweisverwertungsverbotes. Ein solcher muss rechtzeitig, d. h. bis zur Beendigung der Beweiserhebung nach § 257 StPO erfolgen. Sodann können die Beweise keinen Eingang in die Entscheidungsfindung des Gerichtes finden und werden „bedeutungslos“. Dies gilt aber grundsätzlich nicht für das Ermittlungs- und Zwischenverfahren – hier hat das Gericht Beweisverwertungsverbote von Amts wegen zu prüfen. Belastende Aussagen des Zeugen i. R. d. Zeugenvernehmung, die seine Beschuldigtenstellung begründen, dürfen noch verwertet werden. Wird der Beschuldigte nicht unmittelbar danach belehrt, so unterliegen die weiteren Aussagen einem Beweisverwertungsverbot – Dirk Streifler, Streifler & Kollegen, Rechtsanwalt für Strafrecht

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, 1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völ

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung


(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausg

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 95 Strafvorschriften


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,2. ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet a

Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils. (2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, gena

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 8 Kriegsverbrechen gegen Personen


(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,2. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,3. ein

Strafgesetzbuch - StGB | § 129 Bildung krimineller Vereinigungen


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstm

Strafprozeßordnung - StPO | § 229 Höchstdauer einer Unterbrechung


(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden. (2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat. (3) Hat eine Hauptverhandlun

Strafprozeßordnung - StPO | § 141 Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers


(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be

Strafprozeßordnung - StPO | § 142 Zuständigkeit und Bestellungsverfahren


(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzügli

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 9 Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte


(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der ge

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 11 Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung


(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten n

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 10 Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme


(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt 1. einen Angriff gegen Personen, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge richtet, die an einer humanitären Hilfsmission oder an einer friedense

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 7 Verbrechen gegen die Menschlichkeit


(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 1. einen Menschen tötet,2. in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die g

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 1 Anwendungsbereich


Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für Taten nach § 13, die im Ausland begangen wurd

Strafprozeßordnung - StPO | § 143 Dauer und Aufhebung der Bestellung


(1) Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach den §§ 423 oder 460. (2) Die Bestellung kann aufgehoben werden, wenn kein Fall notwen

Strafprozeßordnung - StPO | § 145 Ausbleiben oder Weigerung des Pflichtverteidigers


(1) Wenn in einem Falle, in dem die Verteidigung notwendig ist, der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleich einen anderen Ver

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 2 Anwendung des allgemeinen Rechts


Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 47 Verbot und Beschränkung der politischen Betätigung


(1) Ausländer dürfen sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften politisch betätigen. Die politische Betätigung eines Ausländers kann beschränkt oder untersagt werden, soweit sie 1. die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschlan

Völkerstrafgesetzbuch - VStGB | § 4 Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber und anderer Vorgesetzter


(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafg

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Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2018 - 3 StR 236/17 zitiert oder wird zitiert von 47 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Nov. 2016 - AK 54/16

bei uns veröffentlicht am 17.11.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 54/16 vom 17. November 2016 in dem Strafverfahren gegen wegen Kriegsverbrechen gegen Personen u.a. ECLI:DE:BGH:2016:171116BAK54.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwa

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17

bei uns veröffentlicht am 27.07.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 57/17 vom 27. Juli 2017 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja VStGB § 8 Abs. 1 Nr. 9 Zur Strafbarkeit von Leichenschändungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB. BGH, Urteil vom 27

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2011 - 3 StR 206/11

bei uns veröffentlicht am 25.10.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 206/11 vom 25. Oktober 2011 in der Strafsache gegen wegen Betruges u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2003 - 1 StR 481/03

bei uns veröffentlicht am 18.11.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 481/03 vom 18. November 2003 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2003 beschlossen : Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge- richts Mü

Bundesgerichtshof Beschluss, 24. März 2014 - 5 StR 2/14

bei uns veröffentlicht am 24.03.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR2/14 vom 24. März 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. 6. wegen schwerer Körperverletzung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2014 beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Ange

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Okt. 2010 - 3 StR 179/10

bei uns veröffentlicht am 28.10.2010

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 179/10 vom 28. Oktober 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB § 129, § 129a, § 129b 1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur da

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Okt. 2012 - StB 9/12

bei uns veröffentlicht am 08.10.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS __________ StB 9/12 vom 8. Oktober 2012 in dem Strafverfahren gegen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagt

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Feb. 2008 - 1 StR 649/07

bei uns veröffentlicht am 12.02.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 649/07 vom 12. Februar 2008 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2008 beschlossen : Di

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Feb. 2012 - 3 StR 243/11

bei uns veröffentlicht am 16.02.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 243/11 vom 16. Februar 2012 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StGB § 129a Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 Zur Rädelsführerschaft i

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Dez. 2009 - 3 StR 277/09

bei uns veröffentlicht am 03.12.2009

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 277/09 vom 3. Dezember 2009 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja _______________________________ StGB § 129 Abs. 1 1. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Ok

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Nov. 2002 - 5 StR 281/01

bei uns veröffentlicht am 06.11.2002

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung: ja StGB §§ 13, 25, 212 Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen Unterlassens von Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der SED für vorsätzliche Tötungen von Flüchtlingen durch Gr

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Aug. 2007 - 5 StR 103/07

bei uns veröffentlicht am 29.08.2007

5 StR 103/07 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 29. August 2007 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Bestechlichkeit u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. August 2007, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Mai 2018 - 3 StR 130/18

bei uns veröffentlicht am 15.05.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 130/18 vom 15. Mai 2018 in der Strafsache gegen wegen versuchter räuberischer Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:150518B3STR130.18.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalt

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Sept. 2018 - StB 40/18

bei uns veröffentlicht am 25.09.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 40/18 vom 25. September 2018 in dem Ermittlungsverfahren gegen alias: alias: alias: wegen Verdachts der Begehung von Kriegsverbrechen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) hier: Beschwerde des Beschuldigten vom 13. August 201

Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2018 - 3 StR 236/17

bei uns veröffentlicht am 20.12.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 236/17 vom 20. Dezember 2018 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ VStGB §§ 4, 7 Abs. 1 Nr. 1, § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2, § 9 Abs. 1 V

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Apr. 2010 - StB 5/10

bei uns veröffentlicht am 14.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS ________________ StB 5/10 vom 14. April 2010 BGHR: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja __________________________ StGB § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 1, § 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2 Haben sich Mitglieder einer ausländis

Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Aug. 2006 - 1 StR 285/06

bei uns veröffentlicht am 29.08.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 285/06 vom 29. August 2006 in der Strafsache gegen wegen Strafvereitelung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen : 1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung d

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juni 2010 - AK 3/10

bei uns veröffentlicht am 17.06.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS _____________ AK 3/10 vom 17. Juni 2010 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja _________________________________ VStGB § 4 1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausüb

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2017 - 3 StR 451/16

bei uns veröffentlicht am 04.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 451/16 vom 4. April 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2017:040417B3STR451.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Okt. 2000 - 5 StR 408/00

bei uns veröffentlicht am 25.10.2000

Nachschlagewerk : ja BGHSt : nein Veröffentlichung : ja StPO §§ 142 Abs. 1 Sätze 2 und 3, 336 Einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung eines von ihm benannten Rechtsanwalts ist grundsätzlich auch dann zu entsprec

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17

bei uns veröffentlicht am 14.06.2018

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja –––––––––––––––––––––––––– StGB § 127 1. Für eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB genügt eine Mindestanzahl von drei Gruppenmitgliedern jedenfalls dann, wenn sie an einem Ort zusammenwirke

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Apr. 2018 - 3 StR 638/17

bei uns veröffentlicht am 19.04.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 638/17 vom 19. April 2018 in der Strafsache gegen wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a. ECLI:DE:BGH:2018:190418B3STR638.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführer

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. März 2018 - StB 32/17

bei uns veröffentlicht am 22.03.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 32/17 vom 22. März 2018 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ECLI:DE:BGH:2018:220318BSTB32.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgeric

Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2017 - StB 18/17

bei uns veröffentlicht am 14.12.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS StB 18/17 vom 14. Dezember 2017 in dem Strafverfahren gegen 1. 2. wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung ECLI:DE:BGH:2017:141217BSTB18.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Nov. 2017 - 3 StR 272/17

bei uns veröffentlicht am 28.11.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 272/17 vom 28. November 2017 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Beihilfe zum Betrug zu 2.: Betruges ECLI:DE:BGH:2017:281117B3STR272.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Nov. 2017 - AK 54/17

bei uns veröffentlicht am 08.11.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 54/17 vom 8. November 2017 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:081117BAK54.17.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Sept. 2017 - 4 StR 282/17

bei uns veröffentlicht am 28.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 282/17 vom 28. September 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr u.a. ECLI:DE:BGH:2017:280917U4STR282.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2017 - 2 StR 161/17

bei uns veröffentlicht am 13.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 161/17 vom 13. September 2017 in der Strafsache gegen wegen schwerer Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:130917B2STR161.17.1 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts u

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2017 - 3 StR 455/16

bei uns veröffentlicht am 21.02.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 455/16 vom 21. Februar 2017 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2017:210217B3STR455.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts u

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2016 - 3 StR 355/16

bei uns veröffentlicht am 20.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 355/16 vom 20. Dezember 2016 in der Strafsache gegen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland ECLI:DE:BGH:2016:201216B3STR355.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgeric

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Dez. 2016 - 3 StR 435/16

bei uns veröffentlicht am 20.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 435/16 vom 20. Dezember 2016 in der Strafsache gegen alias: wegen Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung im Ausland u.a. ECLI:DE:BGH:2016:201216B3STR435.16.0 Der 3. Strafs

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2016 - 3 StR 49/16

bei uns veröffentlicht am 20.09.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 49/16 vom 20. September 2016 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ §§ 211, 27 StGB Beihilfe zum Mord durch Dienst im Konzentrationslager Auschwitz

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Aug. 2016 - AK 43/16

bei uns veröffentlicht am 11.08.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 43/16 vom 11. August 2016 in dem Strafverfahren gegen wegen Kriegsverbrechens gegen humanitäre Operationen ECLI:DE:BGH:2016:110816BAK43.16.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbu

Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16

bei uns veröffentlicht am 31.05.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 86/16 vom 31. Mai 2016 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung u.a. hier: Revisionen der Angeklagten M. und G. ECLI:DE:BGH:2016:310516B3STR86.16.0 Der 3. Strafsena

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2016 - 1 StR 344/15

bei uns veröffentlicht am 04.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 344/15 vom 4. Februar 2016 in der Strafsache gegen wegen Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2016:040216B1STR344.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlosse

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Nov. 2015 - AK 36/15

bei uns veröffentlicht am 12.11.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 36/15 vom 12. November 2015 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesan

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juli 2015 - 3 StR 537/14

bei uns veröffentlicht am 09.07.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 537/14 vom 9. Juli 2015 in der Strafsache gegen wegen Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2015:090715B3STR537.14.1 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalb

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2014 - StB 25/14

bei uns veröffentlicht am 18.12.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS S t B 2 5 / 1 4 vom 18. Dezember 2014 in dem Strafverfahren gegen wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbu

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Mai 2014 - 3 StR 265/13

bei uns veröffentlicht am 06.05.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 2 6 5 / 1 3 vom 6. Mai 2014 in der Strafsache gegen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach
8 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 20. Dez. 2018 - 3 StR 236/17.

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2020 - AK 64/19

bei uns veröffentlicht am 15.01.2020

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 64/19 vom 15. Januar 2020 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord ECLI:DE:BGH:2020:150120BAK64.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundes

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2019 - AK 12/19

bei uns veröffentlicht am 04.04.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS AK 12/19 vom 4. April 2019 in dem Ermittlungsverfahren gegen wegen Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte u.a. ECLI:DE:BGH:2019:040419BAK12.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörun

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juni 2019 - StB 14/19

bei uns veröffentlicht am 06.06.2019

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ StPO § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 VStGB § 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 Nr. 5 StGB § 27 Abs. 1, § 52 Abs. 1, §§ 223 ff. 1. Im Ermittlungsverfahren sind Beweisverw

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Aug. 2019 - 3 StR 189/19

bei uns veröffentlicht am 06.08.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 189/19 vom 6. August 2019 in der Strafsache gegen wegen Raubes mit Todesfolge ECLI:DE:BGH:2019:060819B3STR189.19.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhör

Referenzen

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Ausländer dürfen sich im Rahmen der allgemeinen Rechtsvorschriften politisch betätigen. Die politische Betätigung eines Ausländers kann beschränkt oder untersagt werden, soweit sie

1.
die politische Willensbildung in der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen im Bundesgebiet, die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet,
2.
den außenpolitischen Interessen oder den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen kann,
3.
gegen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere unter Anwendung von Gewalt, verstößt oder
4.
bestimmt ist, Parteien, andere Vereinigungen, Einrichtungen oder Bestrebungen außerhalb des Bundesgebiets zu fördern, deren Ziele oder Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind.

(2) Die politische Betätigung eines Ausländers wird untersagt, soweit sie

1.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet oder den kodifizierten Normen des Völkerrechts widerspricht,
2.
Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange öffentlich unterstützt, befürwortet oder hervorzurufen bezweckt oder geeignet ist oder
3.
Vereinigungen, politische Bewegungen oder Gruppen innerhalb oder außerhalb des Bundesgebiets unterstützt, die im Bundesgebiet Anschläge gegen Personen oder Sachen oder außerhalb des Bundesgebiets Anschläge gegen Deutsche oder deutsche Einrichtungen veranlasst, befürwortet oder angedroht haben.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 sich im Bundesgebiet aufhält,
2.
ohne erforderlichen Aufenthaltstitel nach § 4 Absatz 1 Satz 1 sich im Bundesgebiet aufhält, wenn
a)
er vollziehbar ausreisepflichtig ist,
b)
ihm eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist und
c)
dessen Abschiebung nicht ausgesetzt ist,
3.
entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 in das Bundesgebiet einreist,
4.
einer vollziehbaren Anordnung nach § 46 Abs. 2 Satz 1 oder 2 oder § 47 Abs. 1 Satz 2 oder Abs. 2 zuwiderhandelt,
5.
entgegen § 49 Abs. 2 eine Angabe nicht, nicht richtig oder nicht vollständig macht, sofern die Tat nicht in Absatz 2 Nr. 2 mit Strafe bedroht ist,
6.
entgegen § 49 Abs. 10 eine dort genannte Maßnahme nicht duldet,
6a.
entgegen § 56 wiederholt einer Meldepflicht nicht nachkommt, wiederholt gegen räumliche Beschränkungen des Aufenthalts oder sonstige Auflagen verstößt oder trotz wiederholten Hinweises auf die rechtlichen Folgen einer Weigerung der Verpflichtung zur Wohnsitznahme nicht nachkommt oder entgegen § 56 Abs. 4 bestimmte Kommunikationsmittel nutzt oder bestimmte Kontaktverbote nicht beachtet,
7.
wiederholt einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 oder Absatz 1c zuwiderhandelt oder
8.
im Bundesgebiet einer überwiegend aus Ausländern bestehenden Vereinigung oder Gruppe angehört, deren Bestehen, Zielsetzung oder Tätigkeit vor den Behörden geheim gehalten wird, um ihr Verbot abzuwenden.

(1a) Ebenso wird bestraft, wer vorsätzlich eine in § 404 Abs. 2 Nr. 4 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder in § 98 Abs. 3 Nr. 1 bezeichnete Handlung begeht, für den Aufenthalt im Bundesgebiet nach § 4 Abs. 1 Satz 1 eines Aufenthaltstitels bedarf und als Aufenthaltstitel nur ein Schengen-Visum nach § 6 Abs. 1 Nummer 1 besitzt.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 11 Absatz 1 oder in Zuwiderhandlung einer vollziehbaren Anordnung nach § 11 Absatz 6 Satz 1 oder Absatz 7 Satz 1
a)
in das Bundesgebiet einreist oder
b)
sich darin aufhält,
1a.
einer vollstreckbaren gerichtlichen Anordnung nach § 56a Absatz 1 zuwiderhandelt und dadurch die kontinuierliche Feststellung seines Aufenthaltsortes durch eine in § 56a Absatz 3 genannte zuständige Stelle verhindert oder
2.
unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder das Erlöschen oder die nachträgliche Beschränkung des Aufenthaltstitels oder der Duldung abzuwenden oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und der Absätze 1a und 2 Nr. 1 Buchstabe a ist der Versuch strafbar.

(4) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 2 Nr. 2 bezieht, können eingezogen werden.

(5) Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge bleibt unberührt.

(6) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und 3 steht einem Handeln ohne erforderlichen Aufenthaltstitel ein Handeln auf Grund eines durch Drohung, Bestechung oder Kollusion erwirkten oder durch unrichtige oder unvollständige Angaben erschlichenen Aufenthaltstitels gleich.

(7) In Fällen des Absatzes 2 Nummer 1a wird die Tat nur auf Antrag einer dort genannten zuständigen Stelle verfolgt.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.

(2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.

(3) § 52 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 537/14
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:090715B3STR537.14.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Januar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall B.VIII. der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an das Amtsgericht Wipperfürth - Strafrichter - zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Körperverletzung (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe) sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fall B.VIII. der Urteilsgründe) zu der Gesamt- geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Die auf die Rüge der Ver- letzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts rief der Angeklagte am 1. Mai 2011 zwischen 3.00 und 4.00 Uhr auf einer Maifeier in R. lauthals "Sieg Heil". Als ihn ein Besucher deswegen zur Rede stellen wollte, wiederholte er den Ausruf und "schlug dem Zeugen mit der flachen Hand die Brille aus dem Gesicht, ohne ihm dabei Schmerzen zuzufügen oder die Brille zu beschädigen". Anschließend entfernte sich der Angeklagte (Fall B.VIII. der Urteilsgründe).
3
Am 25. November 2011 kam es in W. außerhalb eines Schnellrestaurants zu einer Schlägerei, weswegen der Filialleiter die Polizei informierte. Als er bemerkte, dass die Kämpfenden den Ort des Geschehens verließen, hielt er den sich ebenfalls entfernenden Angeklagten, der in die Filiale gekommen war und zu einer der Gruppe der Kämpfenden gehörte, am Arm fest, um einen Zeugen vor Ort zu haben. Der Angeklagte riss sich los und rannte zur Tür. Als der Filialleiter ihm folgte, drehte sich der Angeklagte um, versetzte ihm einen Schlag mit der Faust ins Gesicht und floh anschließend vom Tatort (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe).
4
2. Die Verurteilung wegen Körperverletzung hinsichtlich des unter B.VII. 10. der Urteilsgründe geschilderten Sachverhalts hat Bestand. Soweit die Revision geltend macht, das Landgericht hätte eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr erörtern müssen, ergeben die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen , dass der Faustschlag des sich ohnehin im Gehen befindlichen Angeklagten jedenfalls nicht erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB war.
5
3. Demgegenüber wird der Schuldspruch wegen versuchter Körperverletzung hinsichtlich des Geschehens vom 1. Mai 2011 von den Feststellungen nicht getragen. Insofern fehlt es an Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten. Es mag zwar naheliegen, dass dessen Angriff nicht ausschließlich der Brille, sondern auch der körperlichen Integrität des Geschädigten galt oder dass der Angeklagte jedenfalls die Möglichkeit erkannte, diesen durch sein Vorgehen zu verletzen und dies billigend in Kauf nahm. Dies festzustellen ist indes Sache des Tatrichters. Darüber hinaus verhält sich das Urteil nicht zum Vorstellungsbild des Angeklagten unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, welches für die Beurteilung maßgeblich ist, ob der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB von einem etwaigen Versuch strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. zum Rücktrittshorizont BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f.).
6
Die deshalb gebotene Aufhebung des Urteils umfasst auch das in Tateinheit zur versuchten Körperverletzung stehende, für sich betrachtet rechtsfehlerfrei festgestellte Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN). Der Wegfall der Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
7
Nach Ausscheiden des die Zuständigkeit des Landgerichts begründenden Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB verweist der Senat das Verfahren im Umfang der Aufhebung an das für das Geschehen in R. örtlich zuständige Amtsgerichts Wipperfürth - Strafrichter - zurück (§ 354 Abs. 3 StPO).
8
4. Darüber hinaus stellt der Senat klar, dass entgegen den Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen des Landgerichts für einen Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Nr. 1 (12) der Anklage) kein Raum war, und sich dementsprechend der ausgeurteilte Teilfreispruch hierauf nicht erstreckt.
9
Allerdings war die Anklage mit Blick auf das Geschehen vom 1. Mai 2011 von zwei Taten (§ 53 StGB) - dem ersten Ruf "Sieg Heil" auf der einen, dem zweiten Ruf sowie dem Schlag gegen die Brille auf der anderen Seite - ausgegangen. In diesen Fällen ist ein Freispruch auch dann angezeigt, wenn das tatmehrheitlich angeklagte, indes nicht als erwiesen angesehene Geschehen mit dem abgeurteilten Teil eine natürliche Handlungseinheit bilden würde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 13 mwN). Dies gilt jedoch nicht, wenn - wie vorliegend - das gesamte angeklagte Geschehen abgeurteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 - 3 StR 220/12, NStZ-RR 2013, 6, 7). Denn in diesen Fällen ist für eine weitere materiellrechtliche Tat, die Gegenstand eines Freispruchs sein könnte, kein Raum mehr.
10
Ein Freispruch unterbleibt des Weiteren, wenn nicht wegen aller Taten verurteilt wird, die nach dem Eröffnungsbeschluss in Tateinheit zueinander stehen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1984 - 5 StR 270/84, NStZ 1985, 13, 15 f. bei Pfeiffer/Miebach). Deswegen kam ein Freispruch vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der als in Tateinheit zu der Körperverletzung vom 25. November 2011 stehend angeklagt worden war, nicht in Betracht.
Becker Pfister Mayer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 355/16
vom
20. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im
Ausland
ECLI:DE:BGH:2016:201216B3STR355.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. April 2016 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der näheren Erläuterung bedarf nur Folgendes:
3
Das Oberlandesgericht hat angenommen, eine "mehrfache Tatbestandsverwirklichung des § 129a StGB" komme auch nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308) zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung von Handlungen, die mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereini- gung darstellen und zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen , nicht in Betracht. Wenn und soweit der Angeklagte durch seine Beteiligungshandlungen zugleich gegen § 89a Abs. 1 und 2 StGB, gegen das Waffengesetz oder das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen hätte und diese Gesetzesverletzungen gegebenenfalls tateinheitlich zu der mitgliedschaftlichen Beteiligung hinzuträten, würde dies einer "tatbestandlichen Handlungseinheit im Rahmen des § 129a Abs. 1 StGB unter Wertungsgesichtspunkten nicht entgegen" stehen, weil es sich bei § 89a Abs. 1, 2 StGB um ein "gleichgelagertes Gefährdungsdelikt" handele; nichts anderes gelte "für (kriegs-)waffenrechtliche Gesetzesverstöße".
4
Dies ist rechtsfehlerhaft.
5
Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats werden mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen, nicht (mehr) zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst. Solche Handlungen stehen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (BGH aaO, S. 311 f.). Dies gilt auch für Akte, die sowohl eine mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung als auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat darstellen: Der Anwendungsbereich und der Strafgrund von § 89a Abs. 1, 2 StGB einerseits und §§ 129a, 129b StGB andererseits sind nicht deckungsgleich; Verstöße gegen diese Vorschriften stehen deshalb - was das Oberlandesgericht nicht in Zweifel gezogen hat - zueinander in Idealkonkurrenz (BGH, Beschluss vom 9. August 2016 - 3 StR 466/15, juris Rn. 3 f.). Da Handlungen, wie sie hier in Rede stehen (der Angeklagte absolvierte eine mehrwöchige Kampf- und Waffenausbildung, er leistete mit einem Sturmgewehr bewaffnet Wachdienste), in aller Regel jedenfalls die Schlagkraft der Organisation erhöhen, weisen sie als Beteiligungsakte, die zugleich den Tatbestand des § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2 StGB (und etwa den des § 22a Abs. 1 Nr. 2, 6 KWKG) erfüllen, nach der Rechtsprechung des Senats einen deutlich erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt auf und unterfallen deshalb nicht der tatbestandlichen Handlungseinheit. Vielmehr treten sie - hier idealkonkurrierend mit der eigenständigen, isolierten Erfüllung der §§ 129a, 129b StGB - neben die eine verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit und stehen in Tatmehrheit zu dieser (BGH aaO, S. 319 f.).
6
Diese konkurrenzrechtliche Beurteilung ändert sich nicht dadurch, dass die Strafverfolgung - wie hier gemäß § 154a Abs. 1, 2 StPO geschehen - auf Verstöße gegen § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB beschränkt wird (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, juris Rn. 17). Zur Verurteilung wegen nur einer Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland kann es in diesen Fällen deshalb in aller Regel nur kommen, wenn die zu der tatbestandlichen Handlungseinheit gemäß § 53 Abs. 1 StGB in Realkonkurrenz stehenden Taten zuvor nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO eingestellt worden sind. Nach allgemeinen Grundsätzen können sie nach entsprechendem Hinweis gleichwohl zu Lasten des Angeklagten verwertet werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 154 Rn. 25 mwN).
7
Durch den aufgezeigten Rechtsfehler ist der Angeklagte, der demgemäß nur wegen einer Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und nicht - wie es nach der Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1, 2 StPO rechtlich zutreffend gewesen wäre - wegen mehrerer Verstöße gegen § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB verurteilt worden ist, allerdings hier nicht beschwert.
Becker Schäfer Gericke
Berg Hoch

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 537/14
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:090715B3STR537.14.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Januar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall B.VIII. der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an das Amtsgericht Wipperfürth - Strafrichter - zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Körperverletzung (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe) sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fall B.VIII. der Urteilsgründe) zu der Gesamt- geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Die auf die Rüge der Ver- letzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts rief der Angeklagte am 1. Mai 2011 zwischen 3.00 und 4.00 Uhr auf einer Maifeier in R. lauthals "Sieg Heil". Als ihn ein Besucher deswegen zur Rede stellen wollte, wiederholte er den Ausruf und "schlug dem Zeugen mit der flachen Hand die Brille aus dem Gesicht, ohne ihm dabei Schmerzen zuzufügen oder die Brille zu beschädigen". Anschließend entfernte sich der Angeklagte (Fall B.VIII. der Urteilsgründe).
3
Am 25. November 2011 kam es in W. außerhalb eines Schnellrestaurants zu einer Schlägerei, weswegen der Filialleiter die Polizei informierte. Als er bemerkte, dass die Kämpfenden den Ort des Geschehens verließen, hielt er den sich ebenfalls entfernenden Angeklagten, der in die Filiale gekommen war und zu einer der Gruppe der Kämpfenden gehörte, am Arm fest, um einen Zeugen vor Ort zu haben. Der Angeklagte riss sich los und rannte zur Tür. Als der Filialleiter ihm folgte, drehte sich der Angeklagte um, versetzte ihm einen Schlag mit der Faust ins Gesicht und floh anschließend vom Tatort (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe).
4
2. Die Verurteilung wegen Körperverletzung hinsichtlich des unter B.VII. 10. der Urteilsgründe geschilderten Sachverhalts hat Bestand. Soweit die Revision geltend macht, das Landgericht hätte eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr erörtern müssen, ergeben die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen , dass der Faustschlag des sich ohnehin im Gehen befindlichen Angeklagten jedenfalls nicht erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB war.
5
3. Demgegenüber wird der Schuldspruch wegen versuchter Körperverletzung hinsichtlich des Geschehens vom 1. Mai 2011 von den Feststellungen nicht getragen. Insofern fehlt es an Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten. Es mag zwar naheliegen, dass dessen Angriff nicht ausschließlich der Brille, sondern auch der körperlichen Integrität des Geschädigten galt oder dass der Angeklagte jedenfalls die Möglichkeit erkannte, diesen durch sein Vorgehen zu verletzen und dies billigend in Kauf nahm. Dies festzustellen ist indes Sache des Tatrichters. Darüber hinaus verhält sich das Urteil nicht zum Vorstellungsbild des Angeklagten unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, welches für die Beurteilung maßgeblich ist, ob der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB von einem etwaigen Versuch strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. zum Rücktrittshorizont BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f.).
6
Die deshalb gebotene Aufhebung des Urteils umfasst auch das in Tateinheit zur versuchten Körperverletzung stehende, für sich betrachtet rechtsfehlerfrei festgestellte Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN). Der Wegfall der Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
7
Nach Ausscheiden des die Zuständigkeit des Landgerichts begründenden Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB verweist der Senat das Verfahren im Umfang der Aufhebung an das für das Geschehen in R. örtlich zuständige Amtsgerichts Wipperfürth - Strafrichter - zurück (§ 354 Abs. 3 StPO).
8
4. Darüber hinaus stellt der Senat klar, dass entgegen den Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen des Landgerichts für einen Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Nr. 1 (12) der Anklage) kein Raum war, und sich dementsprechend der ausgeurteilte Teilfreispruch hierauf nicht erstreckt.
9
Allerdings war die Anklage mit Blick auf das Geschehen vom 1. Mai 2011 von zwei Taten (§ 53 StGB) - dem ersten Ruf "Sieg Heil" auf der einen, dem zweiten Ruf sowie dem Schlag gegen die Brille auf der anderen Seite - ausgegangen. In diesen Fällen ist ein Freispruch auch dann angezeigt, wenn das tatmehrheitlich angeklagte, indes nicht als erwiesen angesehene Geschehen mit dem abgeurteilten Teil eine natürliche Handlungseinheit bilden würde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 13 mwN). Dies gilt jedoch nicht, wenn - wie vorliegend - das gesamte angeklagte Geschehen abgeurteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 - 3 StR 220/12, NStZ-RR 2013, 6, 7). Denn in diesen Fällen ist für eine weitere materiellrechtliche Tat, die Gegenstand eines Freispruchs sein könnte, kein Raum mehr.
10
Ein Freispruch unterbleibt des Weiteren, wenn nicht wegen aller Taten verurteilt wird, die nach dem Eröffnungsbeschluss in Tateinheit zueinander stehen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1984 - 5 StR 270/84, NStZ 1985, 13, 15 f. bei Pfeiffer/Miebach). Deswegen kam ein Freispruch vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der als in Tateinheit zu der Körperverletzung vom 25. November 2011 stehend angeklagt worden war, nicht in Betracht.
Becker Pfister Mayer Gericke Spaniol

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.

(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.

(3) Über die Bestellung entscheidet

1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist;
3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.

Nachschlagewerk : ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung eines
von ihm benannten Rechtsanwalts ist grundsätzlich auch dann zu entsprechen, wenn
zuvor nach Unterlassen der gebotenen Anhörung ein anderer Pflichtverteidiger bestellt
worden war.
BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2000 - 5 StR 408/00
LG Hamburg –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Oktober 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Z wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. März 2000, soweit es diesen Angeklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung des vom Angeklagten bezeichneten Verteidigers seines Vertrauens verletzte dessen Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 lit. c MRK, § 336 Satz 1 StPO).

I.


Wenige Tage nach seiner Verhaftung, am 29. November 1999, beantragte der Beschwerdeführer im Blick auf einen zuvor gestellten Haftprüfungsantrag , ihm “baldmöglichst” einen Pflichtverteidiger zu bestellen; einen bestimmten Verteidiger, dessen Beiordnung er wünschte, bezeichnete der Beschwerdeführer bei dieser Gelegenheit nicht. Die Haftprüfung wurde am 10. Dezember 1999, noch ohne Verteidiger, durchgeführt. Erst anschließend übermittelte die Staatsanwaltschaft die Akten zur Pflichtverteidigerbestellung (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, § 141 Abs. 3 StPO) an den im Ermittlungsverfahren zuständigen Strafkammervorsitzenden (§ 141 Abs. 4 StPO), der am 22. Dezember 1999 – unmittelbar, nachdem die Akten bei ihm eingegangen waren und ohne daß er dem Beschwerdeführer zuvor Gelegenheit gegeben hätte, einen Rechtsanwalt zu bezeichnen – Rechtsanwalt J z um Pflichtverteidiger bestellte. Der Beschluß wurde am 27. Dezember 1999 an den Beschwerdeführer übersandt. Ebenfalls am 27. Dezember 1999 hatte dieser Rechtsanwalt R als Verteidiger bevollmächtigt; dessen Meldeschriftsatz gelangte am 29. Dezember 1999 zu den Akten. Anlaß für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt J wurde nicht gesehen (vgl. § 143 StPO); dieser erhielt zunächst Akteneinsicht, danach auch Rechtsanwalt R .
Im Januar 2000 beantragte der Beschwerdeführer in zwei Schreiben unter Hinweis auf zeitliche Überschneidungen bei der Verteidigerbestellung, anstelle von Rechtsanwalt J Rechtsanwalt R zum Pflichtverteidiger zu bestellen, der ihn schon früher verteidigt und den er über die vorliegende Sache informiert habe, bevor er von der Beiordnung des Rechtsanwalts J erfahren habe. Nach der zwischenzeitlich erfolgten Anklageerhebung lehnte der nunmehr zuständige Strafkammervorsitzende diesen Antrag am 8. Februar 2000 ab, nachdem er geklärt hatte, daß Rechtsanwalt R – den der Beschwerdeführer selbst nicht honorieren konnte – die Verteidigung nicht als Wahlverteidiger durchführen werde; ein
wichtiger Grund, anstelle des Rechtsanwalts J Rechtsanwalt R zum Pflichtverteidiger zu bestellen, sei ”weder vorgetragen noch ersichtlich”. Bereits am 10. Februar 2000 erhob der Beschwerdeführer, dem Rechtsanwalt R inzwischen mitgeteilt hatte, er könne ihn zu seinem Bedauern “aufgrund der vorrangigen Bestellung eines anderen Verteidigers als Pflichtverteidiger” nicht verteidigen, Gegenvorstellung, die aus den genannten Gründen abgelehnt wurde.
In der am 27. März 2000 begonnenen Hauptverhandlung wurde der Beschwerdeführer von Rechtsanwalt J verteidigt. Am Schluß des ersten Verhandlungstages teilte der Beschwerdeführer dem Strafkammervorsitzenden nochmals mit, er wolle nicht weiter von Rechtsanwalt J verteidigt werden; er bat um Unterbrechung der Verhandlung, bis er einen Rechtsanwalt P erreicht habe. Der Vorsitzende lehnte außerhalb der Hauptverhandlung eine Entpflichtung von Rechtsanwalt J erneut ab. Die Hauptverhandlung wurde am 30. März 2000 unter Mitwirkung dieses Verteidigers bis zur Verkündung des angefochtenen Urteils abgeschlossen.

II.


Diese Verfahrensweise beanstandet die Revision mit Recht.
1. Schon der Vorlauf der Bestellung eines anderen Pflichtverteidigers war verfahrensrechtlich bedenklich. Dabei ist nämlich die Verfahrensvorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO unbeachtet geblieben, welche das im fairen Verfahren zu beachtende Interesse des Beschuldigten konkretisiert, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden (vgl. dazu Laufhütte in KK 4. Aufl. § 142 Rdn. 8 m.w.N.). Es lag kein begründeter Anlaß vor, von der vorgesehenen Anfrage beim Beschuldigten ausnahmsweise abzusehen : Eine besondere Eilbedürftigkeit ist dem erst nach über drei Wochen beschiedenen Antrag des inhaftierten Beschwerdeführers, dessen zugleich
erstrebte Haftprüfung noch ohne Verteidiger durchgeführt worden war, ersichtlich gerade nicht zuerkannt worden. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer in dem Antrag von sich aus keinen Rechtsanwalt als gewünschten Pflichtverteidiger benannt hatte, machte seine Anhörung nicht grundsätzlich entbehrlich; es war nicht ohne weiteres davon auszugehen, der Beschwerdeführer hätte sein Vorschlagsrecht gekannt, aber darauf verzichten wollen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 271).
2. Allein die Nichtbeachtung des § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO begründet allerdings noch nicht die Revision (vgl. BGHR StPO § 142 Abs. 1 – Auswahl 3). Der Beschwerdeführer sieht aber unter Berücksichtigung des anschließenden Verfahrensablaufs zutreffend einen durchgreifenden Ermessensfehler in der Ablehnung seines Begehrens, ihm in Abänderung der getroffenen Beiordnungsentscheidung den Verteidiger seiner Wahl zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Mit der ablehnenden Entscheidung hat der Strafkammervorsitzende die Bedeutung des Rechts des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren verkannt.
Danach ist bei der Auswahl des Pflichtverteidigers dem Interesse des Beschuldigten, von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigt zu werden , ausreichend Rechnung zu tragen; grundsätzlich soll der Beschuldigte mit der Beiordnung des Verteidigers seines Vertrauens demjenigen gleichgestellt werden, der sich auf eigene Kosten einen Verteidiger gewählt hat (vgl. BVerfGE 9, 36, 38; BGHSt 43, 153, 154 f.). Das bedeutet, daß einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch des Beschuldigten auf Beiordnung eines von ihm benannten Rechtsanwalts grundsätzlich zu entsprechen ist, es sei denn, wichtige Gründe stehen dem entgegen.
Die geschützte Interessenlage des Beschwerdeführers war hier schon durch die unterbliebene Anhörung nach § 142 Abs. 1 Satz 2 StPO vor der Pflichtverteidigerbestellung nicht in gebotener Weise beachtet worden. Nachdem anschließend gleichwohl der Wunsch des Beschwerdeführers, von
einem anderen Rechtsanwalt verteidigt zu werden, alsbald – noch bevor der bestellte Verteidiger maßgeblichen Arbeitsaufwand investiert hatte – aktenkundig geworden und anschließend vom Beschwerdeführer noch mit sachlichen Argumenten besonders begründet worden war, lag hier ein – v om Strafkammervorsitzenden zu Unrecht vermißter – wichtiger Grund für die begehrte Ä nderung der Pflichtverteidigerbestellung ersichtlich vor. Deren Ablehnung verletzte folglich das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren.
3. Daß der Beschwerdeführer sein Begehren nicht unmittelbar zu Beginn der Hauptverhandlung nochmals vorgebracht hat, stellt seine Rügebefugnis hier nicht in Frage. Nach dem Verfahrensvorlauf war ihm als Laien eine Wiederholung seines bereits mehrfach abgelehnten Wunsches, den er aus seiner Sicht für wenig aussichtsreich erachten mußte, nicht zuzumuten; die Hilfe seines amtierenden Verteidigers konnte er für sein Begehren nicht in Anspruch nehmen.
Der Beschwerdeführer hat auch nicht etwa über einen wesentlichen Zeitraum die Verteidigung durch Rechtsanwalt J widerspruchslos hingenommen, so daß seinem Verhalten auch nicht etwa eine nachträgliche Zustimmung zur Pflichtverteidigerbestellung, die dann im Revisionsverfahren nicht widerrufen werden könnte, zu entnehmen ist. Daß er in seinem nach Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Ablösung des Pflichtverteidigers nunmehr – nachdem eine Beiordnung von Rechtsanwalt R stets abgelehnt worden war – noch einen anderen Rechtsanwalt benannt hat, stellt die Revisibilität des gerügten Verfahrensfehlers ebenfalls nicht in Frage.
Ein Beruhen des Schuldspruchs auf dem gerügten Verfahrensverstoß läßt sich nicht ausschließen. Dies wäre bei der gegebenen Sachlage nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Beschwerdeführer von Anfang an umfassend geständig gewesen wäre. Dies ist indes nicht der Fall.
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Raum

(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.

(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.

(3) Über die Bestellung entscheidet

1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist;
3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange

1.
ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder
2.
eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit
nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 285/06
vom
29. August 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Strafvereitelung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. August 2006 beschlossen
:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag nach Versäumung
der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des
Landgerichts München II vom 19. Dezember 2005 Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
2. Die Beschlüsse des Landgerichts München II vom 13. April
und 2. Mai 2006, mit denen die Revision des Angeklagten gegen
das vorbezeichnete Urteil als unzulässig verworfen worden
ist, werden aufgehoben.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil
wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
G r ü n d e :
I .
1 Hinsichtlich der Wiedereinsetzung und der Aufhebung der Verwerfungsbeschlüsse
verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalbundesanwältin
in ihrem Antrag vom 12. Juni 2006.
II.
2 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Strafvereitelung zur Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensrüge
und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet
im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere auch die von der
Kammer vorgenommene Strafzumessung ist frei von Rechtsfehlern.
3 1. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Mitangeklagte F. in der
Nacht vom 28. auf den 29. Juni 2004 H. mit mehreren Hammerschlägen
auf den Kopf getötet und dessen Geldbörse an sich genommen. Der
Angeklagte sowie die Mitangeklagten B. und M. kamen noch in der
Tatnacht überein, zu Gunsten des F. einen alkoholbedingten Treppensturz
vorzutäuschen. Als dem Angeklagten Bedenken kamen, drohte M.
ihm, wenn er „etwas“ sage, werde er „einen Kopf kürzer“ gemacht. In der
Folgezeit berichteten der Angeklagte und B. gegenüber der Polizei dementsprechend
von einem Treppensturz, während M. wahrheitswidrig angab
, nichts mitbekommen zu haben. Das Tötungsdelikt blieb deshalb zunächst
unentdeckt. In der Nacht vom 30. auf den 31. August 2004 töteten die Mitangeklagten
F. und Br. sodann gemeinschaftlich E. , indem sie
ihm die Kehle durchschnitten; anschließend nahmen sie auch dessen Geldbörse
an sich.
4 Die Kammer hat bei der Strafzumessung strafschärfend berücksichtigt,
dass es zu einem zweiten Raubmord kam. Denn das weitere Tötungsdelikt hat
sie auch als Folge der Strafvereitelungstaten - kollusiv begangen durch Vortäuschen
eines Unfalls - gewertet. Das Urteil führt hierzu aus (bezüglich M.
): Wäre „der Mord an H. nicht vertuscht worden, wäre E. mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch am Leben“; und (bezüglich
des Angeklagten und Batov): „Der durch die Strafvereitelung verursachte ‚Schaden
’, dass es zu einem zweiten Mord unter Beteiligung desselben Täters gekommen
war, konnte durch das spätere Abrücken von der Darstellung als Unfall
nicht wieder gut gemacht werden“ (UA S. 67).
5 2. Gegen die Wertung der Kammer bestehen keine Bedenken. Nach
§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB können verschuldete Auswirkungen der Tat bei der
Strafzumessung berücksichtigt werden. Insoweit kommt es darauf an, ob die
Tatfolgen voraussehbar waren (vgl. BGH NStZ 2005, 156, 157; Tröndle/Fischer,
StGB 53. Aufl. § 46 Rdn. 34). Nicht erforderlich ist, dass der Angeklagte sie in
allen Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, dass sie in ihrer Art und ihrem
Gewicht im Wesentlichen erkennbar waren (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
Tatauswirkungen 3, 4; BGH, Beschluss vom 6. Mai 1998 - 2 StR 638/97 - Umdr.
S. 4).
6 Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass für den Angeklagten die
Gefahr einer weiteren schweren Gewalttat nicht außerhalb des Vorhersehbaren
lag. Schon das Tatbild des ersten Mordes an H. ließ es hier ohne weiteres
für möglich erscheinen, dass sich eine solche oder ähnliche Tat wiederholen
könnte. F. hatte H. in Anwesenheit von Br. getötet, ohne
dass es, wie der Angeklagte selbst wahrgenommen hatte, zuvor zu einem Streit
oder einer ernsthaften Auseinandersetzung gekommen war (UA S. 29 f.). Der
Angeklagte konnte ersichtlich nicht davon ausgehen, dass die Ursache für die
Tat - etwa im Sinne einer Beziehungstat - gerade in der Person des H.
begründet war. Vielmehr war ihm bewusst, dass F. ein finanzielles Motiv
hatte. Vor dem Hintergrund, dass F. und Br. am Monatsende üblicherweise
in Geldnot waren (UA S. 48), antwortete der Angeklagte bei einer polizeilichen
Vernehmung auf die Frage, was er über die Todesfälle denke: „Die
haben damals mitgekriegt, dass der (H. ) eine Riesennachzah-
lung bekommen hat und dann war´s Ende des Monats“ (UA S. 33). Darüber
hinaus ist den Urteilsfeststellungen zu entnehmen, dass der Angeklagte F.
und Br. auch tatsächlich für gefährlich hielt. Dies folgt aus den Angaben
des Angeklagten zu den Gründen, weswegen er F. anfänglich entlastet
habe. Nach den Urteilsfeststellungen äußerte er sich im Ermittlungsverfahren
und in der Hauptverhandlung insbesondere wie folgt: Er sei doch nicht „lebensmüde“
; er habe keine Lust, ein Messer in den Rücken zu bekommen; „die
Russen“ würden zusammen halten (UA S. 24). Daher ergab sich die Möglichkeit
einer weiteren schweren Gewalttat für den Angeklagten zum einen aus der
Gefährlichkeit des F. , zum anderen daraus, dass Anlässe für weitere Taten
abzusehen waren; denn der Beweggrund für die erste Tat, die Geldnot,
pflegte am Monatsende regelmäßig wiederzukehren.
7 Das Prinzip der Selbstverantwortung schließt die Würdigung der Tatfolge
hier nicht aus (in vergleichbarem Sinne mit Blick auf die Schutzrichtung der verletzten
Strafvorschrift G. Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 325
m.w.N.), sodass es darauf, dass der zweite Raubmord auf einem autonomen
Willensentschluss von F. und Br. beruhte, für die Strafzumessung
nicht ankommt.
Wahl Boetticher Kolz
Hebenstreit Elf

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.

(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.

(3) Über die Bestellung entscheidet

1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist;
3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.

(1) Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach den §§ 423 oder 460.

(2) Die Bestellung kann aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 gilt dies nur, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. Beruht der Freiheitsentzug in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 auf einem Haftbefehl gemäß § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, soll die Bestellung mit der Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls, spätestens zum Schluss der Hauptverhandlung, aufgehoben werden. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 soll die Bestellung mit dem Ende der Vorführung aufgehoben werden, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird.

(3) Beschlüsse nach Absatz 2 sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 481/03
vom
18. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts München I vom 15. Mai 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den
Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.


Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte seine Freundin am 24. April 2002 erwürgt, um sie zu „bestrafen“ , weil „sie sich seinem Willen widersetzte“. Er hatte, wie mehrere Zeugen bestätigt haben, schon länger angekündigt, sie „im Streit“ zu erwürgen und nach der Strafe für eine „Kurzschlusshandlung“ gefragt, wie er sie nach der Tat auch vergeblich vorzutäuschen versuchte.
Seine auf Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


Mit den Verfahrensrügen macht die Revision Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Verteidigung des Angeklagten geltend, insbesondere hätte der bestellte Verteidiger Rechtsanwalt K. von diesem Amt entbunden und an seiner Stelle Rechtsanwalt Dr. W. bestellt werden müssen.
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
Am 14. Mai 2002 legte Rechtsanwalt K. gegenüber der Schwurgerichtskammer eine Vollmacht des Angeklagten vor und beantragte, Pflichtverteidiger zu werden. Der Angeklagte (der nicht arbeitete) könne keinen Verteidiger bezahlen. Diesem Antrag kam der Vorsitzende am 16. Mai 2002 nach. Am gleichen Tag zeigten unabhängig voneinander die Rechtsanwälte B. und Dr. W. gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Vollmachten die Verteidigung des Angeklagten an.
Am 29. Januar 2003 wurden alle drei Verteidiger zu der für vier Tage geplanten Hauptverhandlung im Mai 2003 geladen. Rechtsanwalt B. ist, ohne dies zuvor mitzuteilen, nicht erschienen und hat sich auch sonst nicht erkennbar am Verfahren beteiligt. Rechtsanwalt Dr. W. ließ dem Gericht am 2. Mai 2003 fernmündlich mitteilen, er werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen. Rechtsanwalt K. teilte mit Schreiben vom 11. März 2003 mit, er sei an den beiden ersten Verhandlungstagen wegen unaufschiebbarer anderer Hauptverhandlungen verhindert. Er schlage für diese Tage (seinen Sozius) Rechtsanwalt G. – ausweislich des Briefkopfs ebenso wie er Fachanwalt für Strafrecht – als Verteidiger vor. Rechtsanwalt G. sei hierzu bereit.
Am ersten Hauptverhandlungstag am 5. Mai 2003 beantragte Rechtsanwalt G. sofort seine Beiordnung; daraufhin bestellte der Vorsitzende ihn an Stelle von Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger. Sodann verlas der Angeklagte einen vorformulierten Antrag, ihm an Stelle von Rechtsanwalt K. Rechtsanwalt Dr. W. beizuordnen. Er habe kein Vertrauen mehr zu Rechtsanwalt K. , weil nicht er, sondern Rechtsanwalt G. erschienen sei. Hiervon habe ihn Rechtsanwalt K. nicht selbst unterrichtet, sondern er habe es erst am 29. April 2003 bei einem Besuch von Rechtsanwalt G. im Gefängnis er- fahren. Bei diesem einzigen Besuch durch Rechtsanwalt G. habe seine Verteidigung nicht ordnungsgemäß besprochen werden können, so daß er zu ihm auch kein Vertrauen habe. Vertrauen habe er zu Rechtsanwalt Dr. W. , mit dem er in ständigem Kontakt stehe, allerdings könne er ihn nicht bezahlen.
Daraufhin hob der Vorsitzende die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. auf, da sie auf der unzutreffenden Annahme beruht habe, der Angeklagte sei mit einer Verteidigung durch Rechtsanwalt G. einverstanden.
Zu sonstigem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tag nicht.
Am nächsten Verhandlungstag erschien Rechtsanwalt K. . Der Angeklagte hielt den Antrag auf dessen Entpflichtung aufrecht, dieser gab eine Erklärung ab. Auch wenn sich dies – ebenso wie der Inhalt der Erklärung von Rechtsanwalt K. - nicht aus dem Protokoll ergibt, hat der Angeklagte offenbar inhaltlich ergänzend vorgetragen. Jedenfalls lehnte die Schwurgerichtskammer den Antrag ab und führte dabei aus, der Angeklagte behaupte, Rechtsanwalt K. habe ihn „nur 2 oder 3 Mal“ besucht. Rechtsanwalt K.
habe demgegenüber genaue Termine genannt, an denen sich der Angeklagte geweigert habe, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen.
Sodann wurde die Hauptverhandlung mit Rechtsanwalt K. als Verteidiger durchgeführt.
2. Dieser Verfahrensgang gefährdet den Bestand des Urteils nicht.

a) Allerdings haben etwa gleichzeitig mit der Bestellung des vom Angeklagten bevollmächtigten Rechtsanwalts K. noch weitere Verteidiger Vollmacht des Angeklagten vorgelegt; deshalb war die Bestellung von Rechtsanwalt K. aber nicht gemäß § 143 StPO rückgängig zu machen. Angesichts der Vermögensverhältnisse des Angeklagten war ohne weiteres absehbar, dass auch andere Verteidiger (ebenso wie Rechtsanwalt K. ) ihr Wahlmandat niederlegen und ihre Beiordnung beantragen würden (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207, 208; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 3 m. w. N.).

b) Bei den Entscheidungen vom ersten Verhandlungstag handelt es sich im Hinblick auf das Schreiben von Rechtsanwalt K. vom 11. März 2003 im Ergebnis um eine Vertreterbestellung für den vorübergehend verhinderten Rechtsanwalt K. (vgl. Meyer-Goßner StPO, 46. Aufl. § 142 Rdn. 15 m. w. N.) und um deren Rücknahme. Nachdem der Angeklagte im Ergebnis zu keinem Zeitpunkt von Rechtsanwalt G. verteidigt worden ist, kann das auf Rechtsanwalt G. und seine Bestellung bezogene Vorbringen auf sich beruhen.

c) Die Entscheidung vom zweiten Verhandlungstag, Rechtsanwalt K. nicht als Verteidiger zu entpflichten, hält rechtlicher Überprüfung stand.
aa) Allerdings hat entgegen § 141 Abs. 4 StPO die gesamte Schwurgerichtskammer und nicht allein der Vorsitzende entschieden. Ohne dass es auf weiteres ankäme, hält dies der Senat angesichts der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Verteidigung für unschädlich (im Ergebnis ebenso BVerwG NJW 1969, 2029; w. N., auch für die gegenteilige Auffassung, b. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 141 Rdn. 6; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Beschluss vom 27. August 2003 – 1 StR 324/03 m. w. N.). Außerdem macht die Revision eine Verletzung gerichtsinterner Zuständigkeitsregeln nicht geltend (zur Notwendigkeit einer Verfahrensrüge als Voraussetzung der Prüfung etwaiger Zuständigkeitsmängel vgl. allgemein BGHSt 43, 47, 53 m. w. N.).
bb) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (BGHSt 39, 310, 314 f m. w. N.). Maßstab hierfür ist, insoweit vergleichbar der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, die Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Müller in KMR § 141 Rdn. 20 m. w. N.).
Hieran gemessen erweist sich, zumal angesichts der hier gegebenen Beweislage, der Vorschlag von Rechtsanwalt K. , vorübergehend seinen Sozius Rechtsanwalt G. mit seiner Vertretung zu beauftragen, nicht als geeignet , das Verhältnis zwischen Angeklagten und Verteidiger zu erschüttern. Rechtsanwalt K. konnte die persönliche und fachliche Qualifikation von Rechtsanwalt G. zuverlässig beurteilen; die Gefahr, dass durch die vorgeschlagene Vorgehensweise für die Verteidigung wesentliche Erkenntnisse ins-
gesamt unbeachtet bleiben könnten, ist hier nicht erkennbar. Ebensowenig ist die Grundlage der von der Revision aufgezeigten Besorgnis erkennbar, aus dem gesamten Ablauf ergäbe sich, dass sich Rechtsanwalt K. insgesamt nicht hinlänglich vorbereitet hätte.
cc) Ob die Art der Information über die ins Auge gefasste zeitweilige Vertretung oder, was offenbar ebenfalls geltend gemacht worden ist, schon allein die Anzahl der Besuche von Rechtsanwalt K. im Gefängnis geeignet sein könnte, dessen Entpflichtung zu rechtfertigen, kann der Senat nicht prüfen. Ob das Verhalten eines Verteidigers geeignet ist, das Vertrauen des Angeklagten zu zerstören, kann regelmäßig ohne Kenntnis von Erklärungen des Verteidigers hierzu nicht beurteilt werden. Auch insoweit gilt vergleichbares wie bei der Ablehnung eines Richters, dessen dienstliche Erklärung je nach ihrem Inhalt zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ausräumen kann (vgl. BGHSt 4, 264, 269, 270; BGH wistra 2002, 267 m. w. N.). Dementsprechend sind solche Erklärungen eines Verteidigers, ebenso wie dienstliche Erklärungen eines Richters (vgl. BGH StV 1996, 2 m. w. N.), bei einer entsprechenden Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mitzuteilen. Die Revision beschränkt sich dagegen auf die – zutreffende – Feststellung, dass sich der Inhalt der von Rechtsanwalt K. in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung nicht aus dem Protokoll ergibt. Dies genügt nicht. Ist, wie hier, für die Beurteilung einer Verfahrensrüge die Kenntnis von Verfahrensgeschehen erforderlich, für das die absolute Beweiskraft des Protokolls nicht gilt, macht dies entsprechenden Tatsachenvortrag der Revision nicht entbehrlich. Vielmehr ist dann vom Revisionsgericht die tatsächliche Grundlage des Revisionsvorbringens anderweitig zu überprüfen, insbesondere an Hand dienstlicher Äußerungen,
auf deren Abgabe die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hinzuwirken hat (vgl. Nr. 162 Abs. 2 Satz 7 RiStBV).
dd) Selbst wenn hier aber der Revisionsvortrag als ausreichend zu werten wäre, weil sich aus dem Beschluss, mit dem die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. abgelehnt wurde, der Inhalt von dessen Erklärung genügend ergibt (für den Fall der Richterablehnung vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 47 m. w. N.), könnte dies am Ergebnis nichts ändern. Nach dem unbestrittenen Vortrag von Rechtsanwalt K. hat sich der Angeklagte wiederholt ohne erkennbaren Grund geweigert, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen. Unter diesen Umständen kann sich der Angeklagte bei verständiger Würdigung offensichtlich nicht darauf berufen, er könne Rechtsanwalt K. deshalb nicht mehr vertrauen, weil ihn dieser nicht genügend informiert oder besucht habe.

III.


Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 649/07
vom
12. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 31. Juli 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Verstößen gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag (Wertersatz) wurde für verfallen erklärt.
2
Die Revision des Angeklagten ist mit mehreren Verfahrensrügen (Revisionsbegründung von Rechtsanwältin G. ) und der näher ausgeführten Sachrüge (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Gi. ) begründet. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Zu den Verfahrensrügen:
4
1. Vergeblich wendet sich die Revision dagegen, dass ihr Antrag auf Aussetzung (Abbruch) der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolglos blieb.
5
a) Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
6
Mit Fax vom 6. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, den Termin vom 10. Juli 2007 abzusetzen. Wie ein Gutachten eines bestimmten Psychiaters der JVA Würzburg belegen werde, sei der Angeklagte verhandlungsunfähig. Außerdem solle das Gutachten auch belegen, dass der Angeklagte bei den Taten jedenfalls erheblich vermindert schuldfähig, wenn nicht schuldunfähig gewesen sei. Im Termin vom 10. Juli 2007 gab der Vorsitzende bekannt, nach fernmündlicher Auskunft des von der Verteidigerin benannten Sachverständigen sei der Angeklagte verhandlungsfähig; dieser selbst erklärte auf entsprechende Frage, es ginge ihm gut. Der Vorsitzende ordnete dann an, dass der Sachverständige im nächsten Hauptverhandlungstermin vom 31. Juli 2007 sein Gutachten erstatten solle. Zu nennenswertem weiterem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tage nicht mehr. Am 12. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, dass der Sachverständige schon vor der Hauptverhandlung vom 31. Juli 2007 ein schriftliches Vorgutachten vorlegen müsse, da sie sonst nicht prüfen könne, ob das Gutachten fehlerhaft und deswegen ein weiteres Gutachten einzuholen sei. Dies sei unfair. Deshalb müsse das Verfahren auch gemäß § 265 StPO ausgesetzt (abgebrochen ) werden. Sie mache nämlich vom 14. Juli bis 30. Juli 2007 Urlaub. Sie könne also das schriftliche Gutachten nicht angemessen prüfen, selbst wenn es ihr vorläge. Am 19. Juli 2007 legte der Sachverständige ein vorläufiges Gutachten vor, das der Verteidigung alsbald zur Verfügung gestellt wurde. In der Haupt- verhandlung vom 31. Juli 2007 wiederholte die Verteidigerin vergeblich die Anträge vom 12. Juli 2007, noch bevor der Sachverständige sein Gutachten erstattete.
7
b) Das Gericht hat hier einem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben. Die Auffassung der Revision, die Anordnung des Gerichts, ein Gutachten sei einzuholen, sei schon für sich genommen eine Änderung der Sachlage, die einen Aussetzungsanspruch begründe (§ 265 Abs. 4 StPO) trifft nicht zu, ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte.
8
c) Der Senat hat erwogen, ob unbeschadet der rechtlich unzutreffenden gegenteiligen Auffassung der Revision deren Vorbringen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könnte (Rechtsgedanke des § 300 StPO; vgl. auch BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Dies war zu verneinen :
9
(1) Gutachten zu für den Schuld- oder Strafausspruch wesentlichen Fragen sind stets mündlich in der Hauptverhandlung zu erstatten, Gutachten zu anderen Fragen (z.B. Verhandlungsfähigkeit) dann, wenn es das Gericht - wie hier - anordnet (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 82 Rdn. 3). Dabei ist der Gutachter stets berechtigt, auch ohne gerichtliche Anordnung ein vorläufiges schriftliches Gutachten zu den Akten zu bringen (BGH GA 1963, 18; Senge aaO). Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob die Verfahrensbeteiligten bei einem mündlich in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachten unabhängig von den Umständen des Einzelfalls stets einen Anspruch darauf haben, dass ihnen dieses Gutachten auch schriftlich vorgelegt wird (bejahend z.B. Krause in Löwe/Rosenberg , StPO 25. Aufl. § 82 Rdn. 5; verneinend z.B. Senge aaO) und ob dies gegebenenfalls schon vor Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu geschehen hat (vgl. G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1041), kann der Senat hier offen lassen. Hier hat nämlich der Sachverständige ein schriftliches Vorgutachten vorgelegt, das der Verteidigung mehr als zehn Tage vor dem nächsten Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung, an dem der Sachverständige sein Gutachten erstatten sollte, zur Verfügung gestellt wurde.
10
(2) Aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit und der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch erst in der Hauptverhandlung angefallene Erkenntnisse in das Gutachten einzubeziehen, folgt, dass allein der Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens maßgebend ist (vgl. Senge aaO; BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Nur hierauf kann die Entscheidung beruhen, nur dessen Mängel oder Unklarheiten - die sich im Einzelfall auch aus nicht ohne weiteres erklärlichen oder jedenfalls erläuterten Differenzen zu einem vorläufigen schriftlichen Gutachten ergeben können (vgl. G. Schäfer aaO) - können den Bestand des Urteils gefährden. Eine auf den - schon nicht näher mitgeteilten - Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens bezogene Verfahrensrüge ist hier jedoch nicht erhoben. Die Annahme der Verteidigung, der von ihr benannte Gutachter könne generell oder jedenfalls vorliegend zur Erstattung des von ihr beantragten Gutachtens nicht kompetent genug sein, hat keine erkennbaren konkreten Anknüpfungspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Verteidigung, im Hinblick auf die (antragsgemäße) Anordnung der Einholung eines Gutachtens könne die Verteidigung die Aussetzung (den Abbruch) der Hauptverhandlung verlangen, weil wegen zwar durch nichts belegter , theoretisch aber auch nicht ausschließbarer Inkompetenz des Gutachters das nächste Gutachten erforderlich werden könne, kann einen wie auch immer gearteten verfahrensrechtlichen Anspruch des Angeklagten nicht begründen.
11
(3) Schon daher geht auch der Hinweis auf den Urlaub der Verteidigerin ins Leere. Der Senat bemerkt jedoch, dass ein Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen muss, wenn er, wie die Verteidigerin hier, länger als eine Woche abwe- send ist (§ 53 Abs. 1 BRAO). Einem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Vertretenen zu (§ 53 Abs. 7 BRAO), die Bestellung des vertretenen Rechtsanwalts zum Verteidiger gilt auch für den vertretenden Rechtsanwalt (vgl. BGH NStZ 1992, 248; BGH, Beschl. vom 15. August 2007 - 1 StR 341/07 m.w.N.). Ohne dass es letztlich hier darauf ankäme, liegt es auch nicht nahe, dass ein Vertreter eines Rechtsanwalts nicht diejenigen Maßnahmen ergreift - hier: Überprüfung eines vorläufigen Sachverständigengutachtens zu in Strafverfahren nicht ungewöhnlichen Fragen auf elementare fachliche Mängel -, die nach Auffassung des vertretenen Rechtsanwalts voraussehbar innerhalb eines laufenden Verfahrens anfallen können und unverzüglich noch während seiner Abwesenheit durchgeführt werden müssen.
12
2. Die Revision macht weiter geltend, die Hauptverhandlung hätte auch noch aus einem anderen Grunde am 31. Juli 2007 abgebrochen werden müssen. Es sei unfair, dass stattdessen der Antrag der Verteidigerin, ihre Bestellung zu widerrufen, zurückgewiesen worden sei. Auch diese Rüge bleibt erfolglos.
13
a) Folgendes liegt zu Grunde:
14
Zunächst hatte der Angeklagte Rechtsanwalt Gi. als Verteidiger bevollmächtigt , ehe dieser antragsgemäß zum Verteidiger bestellt wurde. Ebenfalls antragsgemäß wurde er dann entpflichtet und Rechtsanwältin G. , die sich zwischenzeitlich als Wahlverteidigerin gemeldet hatte, zur Verteidigerin bestellt. Im Laufe der Hauptverhandlung schrieb der Angeklagte an das Gericht, er wolle, dass Rechtsanwalt Gi. (wieder) zum Pflichtverteidiger bestellt werde. Er habe kein Vertrauen zu Rechtsanwältin G. , die viel Geld erhalten habe, aber keine Leistung erbringe. Näher wollte er dies, wie die Strafkammer ausdrücklich feststellt , nicht erläutern. Am 31. Juli 2007, dem vierten (und letzten) Tag der Hauptverhandlung , beantragte Rechtsanwältin G. , ihre Bestellung zur Verteidigerin aufzuheben. Der Angeklagte habe sie „auf das Übelste beschimpft und mit unhaltbaren Vorwürfen überzogen“. Näher könne dies im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht ausgeführt werden. Auch habe er ihr näher gekennzeichnete Informationen vorenthalten. Sämtliche Anträge blieben erfolglos.
15
b) Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge versagt.
16
(1) Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie müsste auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH NStZ 1998, 311, 312; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 5 jew. m.w.N.). Die nicht näher ausgeführte Behauptung des Angeklagten , wegen der Leistungen von Rechtsanwältin G. entziehe er ihr sein Vertrauen und übertrage es auf Rechtsanwalt Gi. zurück, nachdem er es ihm früher entzogen und es auf Rechtsanwältin G. übertragen hatte, ist hierfür offensichtlich ungeeignet.
17
(2) Der Umstand, dass die Verteidigerin hier auch selbst ihre Entpflichtung beantragt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis (BGHSt 39, 310, 314 m.w.N.). Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers kann regelmäßig nicht bejaht werden , wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist (BGHSt aaO 315 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die Möglichkeit, einem Verteidiger Informationen vorzuenthalten, ihn „aufs Übelste zu beschimpfen“ und ihn mit „unhaltbaren Vorwürfen“ zu überziehen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGHSt aaO 313 m.w.N.). Ob und unter welchen besonderen Umständen Ausnahmen von alledem in Betracht kommen können, etwa weil der Verteidiger Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattet hat (vgl. BGH NStZ 1997, 401; BGHSt aaO 315 f. m.w.N.), kann hier offen bleiben, da Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten hier nicht ersichtlich sind. Ebenso wenig muss der Senat unter den gegebenen Umständen der Frage nachgehen, ob die anwaltliche Schweigepflicht näheren Darlegungen zu ungerechtfertigten Beschimpfungen des Angeklagten gegenüber der Verteidigerin notwendig entgegengestanden hätte, nachdem der Angeklagte gegenüber dem Gericht geltend gemacht hatte, diese erbringe keine Leistungen (vgl. BGH NStZ 2000, 326, 327).

II.

18
Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden. Nack Wahl Kolz RiBGH Dr. Graf ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Elf Nack

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 481/03
vom
18. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts München I vom 15. Mai 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den
Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.


Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte seine Freundin am 24. April 2002 erwürgt, um sie zu „bestrafen“ , weil „sie sich seinem Willen widersetzte“. Er hatte, wie mehrere Zeugen bestätigt haben, schon länger angekündigt, sie „im Streit“ zu erwürgen und nach der Strafe für eine „Kurzschlusshandlung“ gefragt, wie er sie nach der Tat auch vergeblich vorzutäuschen versuchte.
Seine auf Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


Mit den Verfahrensrügen macht die Revision Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Verteidigung des Angeklagten geltend, insbesondere hätte der bestellte Verteidiger Rechtsanwalt K. von diesem Amt entbunden und an seiner Stelle Rechtsanwalt Dr. W. bestellt werden müssen.
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
Am 14. Mai 2002 legte Rechtsanwalt K. gegenüber der Schwurgerichtskammer eine Vollmacht des Angeklagten vor und beantragte, Pflichtverteidiger zu werden. Der Angeklagte (der nicht arbeitete) könne keinen Verteidiger bezahlen. Diesem Antrag kam der Vorsitzende am 16. Mai 2002 nach. Am gleichen Tag zeigten unabhängig voneinander die Rechtsanwälte B. und Dr. W. gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Vollmachten die Verteidigung des Angeklagten an.
Am 29. Januar 2003 wurden alle drei Verteidiger zu der für vier Tage geplanten Hauptverhandlung im Mai 2003 geladen. Rechtsanwalt B. ist, ohne dies zuvor mitzuteilen, nicht erschienen und hat sich auch sonst nicht erkennbar am Verfahren beteiligt. Rechtsanwalt Dr. W. ließ dem Gericht am 2. Mai 2003 fernmündlich mitteilen, er werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen. Rechtsanwalt K. teilte mit Schreiben vom 11. März 2003 mit, er sei an den beiden ersten Verhandlungstagen wegen unaufschiebbarer anderer Hauptverhandlungen verhindert. Er schlage für diese Tage (seinen Sozius) Rechtsanwalt G. – ausweislich des Briefkopfs ebenso wie er Fachanwalt für Strafrecht – als Verteidiger vor. Rechtsanwalt G. sei hierzu bereit.
Am ersten Hauptverhandlungstag am 5. Mai 2003 beantragte Rechtsanwalt G. sofort seine Beiordnung; daraufhin bestellte der Vorsitzende ihn an Stelle von Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger. Sodann verlas der Angeklagte einen vorformulierten Antrag, ihm an Stelle von Rechtsanwalt K. Rechtsanwalt Dr. W. beizuordnen. Er habe kein Vertrauen mehr zu Rechtsanwalt K. , weil nicht er, sondern Rechtsanwalt G. erschienen sei. Hiervon habe ihn Rechtsanwalt K. nicht selbst unterrichtet, sondern er habe es erst am 29. April 2003 bei einem Besuch von Rechtsanwalt G. im Gefängnis er- fahren. Bei diesem einzigen Besuch durch Rechtsanwalt G. habe seine Verteidigung nicht ordnungsgemäß besprochen werden können, so daß er zu ihm auch kein Vertrauen habe. Vertrauen habe er zu Rechtsanwalt Dr. W. , mit dem er in ständigem Kontakt stehe, allerdings könne er ihn nicht bezahlen.
Daraufhin hob der Vorsitzende die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. auf, da sie auf der unzutreffenden Annahme beruht habe, der Angeklagte sei mit einer Verteidigung durch Rechtsanwalt G. einverstanden.
Zu sonstigem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tag nicht.
Am nächsten Verhandlungstag erschien Rechtsanwalt K. . Der Angeklagte hielt den Antrag auf dessen Entpflichtung aufrecht, dieser gab eine Erklärung ab. Auch wenn sich dies – ebenso wie der Inhalt der Erklärung von Rechtsanwalt K. - nicht aus dem Protokoll ergibt, hat der Angeklagte offenbar inhaltlich ergänzend vorgetragen. Jedenfalls lehnte die Schwurgerichtskammer den Antrag ab und führte dabei aus, der Angeklagte behaupte, Rechtsanwalt K. habe ihn „nur 2 oder 3 Mal“ besucht. Rechtsanwalt K.
habe demgegenüber genaue Termine genannt, an denen sich der Angeklagte geweigert habe, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen.
Sodann wurde die Hauptverhandlung mit Rechtsanwalt K. als Verteidiger durchgeführt.
2. Dieser Verfahrensgang gefährdet den Bestand des Urteils nicht.

a) Allerdings haben etwa gleichzeitig mit der Bestellung des vom Angeklagten bevollmächtigten Rechtsanwalts K. noch weitere Verteidiger Vollmacht des Angeklagten vorgelegt; deshalb war die Bestellung von Rechtsanwalt K. aber nicht gemäß § 143 StPO rückgängig zu machen. Angesichts der Vermögensverhältnisse des Angeklagten war ohne weiteres absehbar, dass auch andere Verteidiger (ebenso wie Rechtsanwalt K. ) ihr Wahlmandat niederlegen und ihre Beiordnung beantragen würden (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207, 208; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 3 m. w. N.).

b) Bei den Entscheidungen vom ersten Verhandlungstag handelt es sich im Hinblick auf das Schreiben von Rechtsanwalt K. vom 11. März 2003 im Ergebnis um eine Vertreterbestellung für den vorübergehend verhinderten Rechtsanwalt K. (vgl. Meyer-Goßner StPO, 46. Aufl. § 142 Rdn. 15 m. w. N.) und um deren Rücknahme. Nachdem der Angeklagte im Ergebnis zu keinem Zeitpunkt von Rechtsanwalt G. verteidigt worden ist, kann das auf Rechtsanwalt G. und seine Bestellung bezogene Vorbringen auf sich beruhen.

c) Die Entscheidung vom zweiten Verhandlungstag, Rechtsanwalt K. nicht als Verteidiger zu entpflichten, hält rechtlicher Überprüfung stand.
aa) Allerdings hat entgegen § 141 Abs. 4 StPO die gesamte Schwurgerichtskammer und nicht allein der Vorsitzende entschieden. Ohne dass es auf weiteres ankäme, hält dies der Senat angesichts der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Verteidigung für unschädlich (im Ergebnis ebenso BVerwG NJW 1969, 2029; w. N., auch für die gegenteilige Auffassung, b. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 141 Rdn. 6; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Beschluss vom 27. August 2003 – 1 StR 324/03 m. w. N.). Außerdem macht die Revision eine Verletzung gerichtsinterner Zuständigkeitsregeln nicht geltend (zur Notwendigkeit einer Verfahrensrüge als Voraussetzung der Prüfung etwaiger Zuständigkeitsmängel vgl. allgemein BGHSt 43, 47, 53 m. w. N.).
bb) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (BGHSt 39, 310, 314 f m. w. N.). Maßstab hierfür ist, insoweit vergleichbar der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, die Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Müller in KMR § 141 Rdn. 20 m. w. N.).
Hieran gemessen erweist sich, zumal angesichts der hier gegebenen Beweislage, der Vorschlag von Rechtsanwalt K. , vorübergehend seinen Sozius Rechtsanwalt G. mit seiner Vertretung zu beauftragen, nicht als geeignet , das Verhältnis zwischen Angeklagten und Verteidiger zu erschüttern. Rechtsanwalt K. konnte die persönliche und fachliche Qualifikation von Rechtsanwalt G. zuverlässig beurteilen; die Gefahr, dass durch die vorgeschlagene Vorgehensweise für die Verteidigung wesentliche Erkenntnisse ins-
gesamt unbeachtet bleiben könnten, ist hier nicht erkennbar. Ebensowenig ist die Grundlage der von der Revision aufgezeigten Besorgnis erkennbar, aus dem gesamten Ablauf ergäbe sich, dass sich Rechtsanwalt K. insgesamt nicht hinlänglich vorbereitet hätte.
cc) Ob die Art der Information über die ins Auge gefasste zeitweilige Vertretung oder, was offenbar ebenfalls geltend gemacht worden ist, schon allein die Anzahl der Besuche von Rechtsanwalt K. im Gefängnis geeignet sein könnte, dessen Entpflichtung zu rechtfertigen, kann der Senat nicht prüfen. Ob das Verhalten eines Verteidigers geeignet ist, das Vertrauen des Angeklagten zu zerstören, kann regelmäßig ohne Kenntnis von Erklärungen des Verteidigers hierzu nicht beurteilt werden. Auch insoweit gilt vergleichbares wie bei der Ablehnung eines Richters, dessen dienstliche Erklärung je nach ihrem Inhalt zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ausräumen kann (vgl. BGHSt 4, 264, 269, 270; BGH wistra 2002, 267 m. w. N.). Dementsprechend sind solche Erklärungen eines Verteidigers, ebenso wie dienstliche Erklärungen eines Richters (vgl. BGH StV 1996, 2 m. w. N.), bei einer entsprechenden Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mitzuteilen. Die Revision beschränkt sich dagegen auf die – zutreffende – Feststellung, dass sich der Inhalt der von Rechtsanwalt K. in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung nicht aus dem Protokoll ergibt. Dies genügt nicht. Ist, wie hier, für die Beurteilung einer Verfahrensrüge die Kenntnis von Verfahrensgeschehen erforderlich, für das die absolute Beweiskraft des Protokolls nicht gilt, macht dies entsprechenden Tatsachenvortrag der Revision nicht entbehrlich. Vielmehr ist dann vom Revisionsgericht die tatsächliche Grundlage des Revisionsvorbringens anderweitig zu überprüfen, insbesondere an Hand dienstlicher Äußerungen,
auf deren Abgabe die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hinzuwirken hat (vgl. Nr. 162 Abs. 2 Satz 7 RiStBV).
dd) Selbst wenn hier aber der Revisionsvortrag als ausreichend zu werten wäre, weil sich aus dem Beschluss, mit dem die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. abgelehnt wurde, der Inhalt von dessen Erklärung genügend ergibt (für den Fall der Richterablehnung vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 47 m. w. N.), könnte dies am Ergebnis nichts ändern. Nach dem unbestrittenen Vortrag von Rechtsanwalt K. hat sich der Angeklagte wiederholt ohne erkennbaren Grund geweigert, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen. Unter diesen Umständen kann sich der Angeklagte bei verständiger Würdigung offensichtlich nicht darauf berufen, er könne Rechtsanwalt K. deshalb nicht mehr vertrauen, weil ihn dieser nicht genügend informiert oder besucht habe.

III.


Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 649/07
vom
12. Februar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2008 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Nürnberg-Fürth vom 31. Juli 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Verstößen gegen das BtMG zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, ein Geldbetrag (Wertersatz) wurde für verfallen erklärt.
2
Die Revision des Angeklagten ist mit mehreren Verfahrensrügen (Revisionsbegründung von Rechtsanwältin G. ) und der näher ausgeführten Sachrüge (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt Gi. ) begründet. Sie bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Zu den Verfahrensrügen:
4
1. Vergeblich wendet sich die Revision dagegen, dass ihr Antrag auf Aussetzung (Abbruch) der Hauptverhandlung im Hinblick auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfolglos blieb.
5
a) Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
6
Mit Fax vom 6. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, den Termin vom 10. Juli 2007 abzusetzen. Wie ein Gutachten eines bestimmten Psychiaters der JVA Würzburg belegen werde, sei der Angeklagte verhandlungsunfähig. Außerdem solle das Gutachten auch belegen, dass der Angeklagte bei den Taten jedenfalls erheblich vermindert schuldfähig, wenn nicht schuldunfähig gewesen sei. Im Termin vom 10. Juli 2007 gab der Vorsitzende bekannt, nach fernmündlicher Auskunft des von der Verteidigerin benannten Sachverständigen sei der Angeklagte verhandlungsfähig; dieser selbst erklärte auf entsprechende Frage, es ginge ihm gut. Der Vorsitzende ordnete dann an, dass der Sachverständige im nächsten Hauptverhandlungstermin vom 31. Juli 2007 sein Gutachten erstatten solle. Zu nennenswertem weiterem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tage nicht mehr. Am 12. Juli 2007 beantragte die Verteidigerin, dass der Sachverständige schon vor der Hauptverhandlung vom 31. Juli 2007 ein schriftliches Vorgutachten vorlegen müsse, da sie sonst nicht prüfen könne, ob das Gutachten fehlerhaft und deswegen ein weiteres Gutachten einzuholen sei. Dies sei unfair. Deshalb müsse das Verfahren auch gemäß § 265 StPO ausgesetzt (abgebrochen ) werden. Sie mache nämlich vom 14. Juli bis 30. Juli 2007 Urlaub. Sie könne also das schriftliche Gutachten nicht angemessen prüfen, selbst wenn es ihr vorläge. Am 19. Juli 2007 legte der Sachverständige ein vorläufiges Gutachten vor, das der Verteidigung alsbald zur Verfügung gestellt wurde. In der Haupt- verhandlung vom 31. Juli 2007 wiederholte die Verteidigerin vergeblich die Anträge vom 12. Juli 2007, noch bevor der Sachverständige sein Gutachten erstattete.
7
b) Das Gericht hat hier einem Beweisantrag der Verteidigung stattgegeben. Die Auffassung der Revision, die Anordnung des Gerichts, ein Gutachten sei einzuholen, sei schon für sich genommen eine Änderung der Sachlage, die einen Aussetzungsanspruch begründe (§ 265 Abs. 4 StPO) trifft nicht zu, ohne dass dies weiterer Darlegung bedürfte.
8
c) Der Senat hat erwogen, ob unbeschadet der rechtlich unzutreffenden gegenteiligen Auffassung der Revision deren Vorbringen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben könnte (Rechtsgedanke des § 300 StPO; vgl. auch BGH, Beschl. vom 27. Juli 2006 - 1 StR 147/06). Dies war zu verneinen :
9
(1) Gutachten zu für den Schuld- oder Strafausspruch wesentlichen Fragen sind stets mündlich in der Hauptverhandlung zu erstatten, Gutachten zu anderen Fragen (z.B. Verhandlungsfähigkeit) dann, wenn es das Gericht - wie hier - anordnet (vgl. Senge in KK 5. Aufl. § 82 Rdn. 3). Dabei ist der Gutachter stets berechtigt, auch ohne gerichtliche Anordnung ein vorläufiges schriftliches Gutachten zu den Akten zu bringen (BGH GA 1963, 18; Senge aaO). Die unterschiedlich beurteilte Frage, ob die Verfahrensbeteiligten bei einem mündlich in der Hauptverhandlung zu erstattenden Gutachten unabhängig von den Umständen des Einzelfalls stets einen Anspruch darauf haben, dass ihnen dieses Gutachten auch schriftlich vorgelegt wird (bejahend z.B. Krause in Löwe/Rosenberg , StPO 25. Aufl. § 82 Rdn. 5; verneinend z.B. Senge aaO) und ob dies gegebenenfalls schon vor Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu geschehen hat (vgl. G. Schäfer, Praxis des Strafverfahrens 6. Aufl. Rdn. 1041), kann der Senat hier offen lassen. Hier hat nämlich der Sachverständige ein schriftliches Vorgutachten vorgelegt, das der Verteidigung mehr als zehn Tage vor dem nächsten Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung, an dem der Sachverständige sein Gutachten erstatten sollte, zur Verfügung gestellt wurde.
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(2) Aus den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit und der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch erst in der Hauptverhandlung angefallene Erkenntnisse in das Gutachten einzubeziehen, folgt, dass allein der Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens maßgebend ist (vgl. Senge aaO; BGH, Beschl. vom 12. September 2007 - 1 StR 407/07). Nur hierauf kann die Entscheidung beruhen, nur dessen Mängel oder Unklarheiten - die sich im Einzelfall auch aus nicht ohne weiteres erklärlichen oder jedenfalls erläuterten Differenzen zu einem vorläufigen schriftlichen Gutachten ergeben können (vgl. G. Schäfer aaO) - können den Bestand des Urteils gefährden. Eine auf den - schon nicht näher mitgeteilten - Inhalt des in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachtens bezogene Verfahrensrüge ist hier jedoch nicht erhoben. Die Annahme der Verteidigung, der von ihr benannte Gutachter könne generell oder jedenfalls vorliegend zur Erstattung des von ihr beantragten Gutachtens nicht kompetent genug sein, hat keine erkennbaren konkreten Anknüpfungspunkte. Die gegenteilige Auffassung der Verteidigung, im Hinblick auf die (antragsgemäße) Anordnung der Einholung eines Gutachtens könne die Verteidigung die Aussetzung (den Abbruch) der Hauptverhandlung verlangen, weil wegen zwar durch nichts belegter , theoretisch aber auch nicht ausschließbarer Inkompetenz des Gutachters das nächste Gutachten erforderlich werden könne, kann einen wie auch immer gearteten verfahrensrechtlichen Anspruch des Angeklagten nicht begründen.
11
(3) Schon daher geht auch der Hinweis auf den Urlaub der Verteidigerin ins Leere. Der Senat bemerkt jedoch, dass ein Rechtsanwalt für seine Vertretung sorgen muss, wenn er, wie die Verteidigerin hier, länger als eine Woche abwe- send ist (§ 53 Abs. 1 BRAO). Einem Vertreter stehen die anwaltlichen Befugnisse des Vertretenen zu (§ 53 Abs. 7 BRAO), die Bestellung des vertretenen Rechtsanwalts zum Verteidiger gilt auch für den vertretenden Rechtsanwalt (vgl. BGH NStZ 1992, 248; BGH, Beschl. vom 15. August 2007 - 1 StR 341/07 m.w.N.). Ohne dass es letztlich hier darauf ankäme, liegt es auch nicht nahe, dass ein Vertreter eines Rechtsanwalts nicht diejenigen Maßnahmen ergreift - hier: Überprüfung eines vorläufigen Sachverständigengutachtens zu in Strafverfahren nicht ungewöhnlichen Fragen auf elementare fachliche Mängel -, die nach Auffassung des vertretenen Rechtsanwalts voraussehbar innerhalb eines laufenden Verfahrens anfallen können und unverzüglich noch während seiner Abwesenheit durchgeführt werden müssen.
12
2. Die Revision macht weiter geltend, die Hauptverhandlung hätte auch noch aus einem anderen Grunde am 31. Juli 2007 abgebrochen werden müssen. Es sei unfair, dass stattdessen der Antrag der Verteidigerin, ihre Bestellung zu widerrufen, zurückgewiesen worden sei. Auch diese Rüge bleibt erfolglos.
13
a) Folgendes liegt zu Grunde:
14
Zunächst hatte der Angeklagte Rechtsanwalt Gi. als Verteidiger bevollmächtigt , ehe dieser antragsgemäß zum Verteidiger bestellt wurde. Ebenfalls antragsgemäß wurde er dann entpflichtet und Rechtsanwältin G. , die sich zwischenzeitlich als Wahlverteidigerin gemeldet hatte, zur Verteidigerin bestellt. Im Laufe der Hauptverhandlung schrieb der Angeklagte an das Gericht, er wolle, dass Rechtsanwalt Gi. (wieder) zum Pflichtverteidiger bestellt werde. Er habe kein Vertrauen zu Rechtsanwältin G. , die viel Geld erhalten habe, aber keine Leistung erbringe. Näher wollte er dies, wie die Strafkammer ausdrücklich feststellt , nicht erläutern. Am 31. Juli 2007, dem vierten (und letzten) Tag der Hauptverhandlung , beantragte Rechtsanwältin G. , ihre Bestellung zur Verteidigerin aufzuheben. Der Angeklagte habe sie „auf das Übelste beschimpft und mit unhaltbaren Vorwürfen überzogen“. Näher könne dies im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht nicht ausgeführt werden. Auch habe er ihr näher gekennzeichnete Informationen vorenthalten. Sämtliche Anträge blieben erfolglos.
15
b) Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge versagt.
16
(1) Die Behauptung, das Vertrauen zwischen Verteidiger und Angeklagten bestehe nicht mehr, kann für sich genommen einen Anspruch auf Widerruf der Bestellung eines Verteidigers nicht begründen. Sie müsste auf konkreten Tatsachenvortrag gestützt sein (BGH NStZ 1998, 311, 312; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 5 jew. m.w.N.). Die nicht näher ausgeführte Behauptung des Angeklagten , wegen der Leistungen von Rechtsanwältin G. entziehe er ihr sein Vertrauen und übertrage es auf Rechtsanwalt Gi. zurück, nachdem er es ihm früher entzogen und es auf Rechtsanwältin G. übertragen hatte, ist hierfür offensichtlich ungeeignet.
17
(2) Der Umstand, dass die Verteidigerin hier auch selbst ihre Entpflichtung beantragt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis (BGHSt 39, 310, 314 m.w.N.). Ein im Verhältnis des Angeklagten zum Verteidiger wurzelnder wichtiger Grund zur Entpflichtung eines bestellten Verteidigers kann regelmäßig nicht bejaht werden , wenn dieser Grund allein vom Angeklagten verschuldet ist (BGHSt aaO 315 m.w.N.). So verhält es sich hier. Die Möglichkeit, einem Verteidiger Informationen vorzuenthalten, ihn „aufs Übelste zu beschimpfen“ und ihn mit „unhaltbaren Vorwürfen“ zu überziehen, steht jedem Angeklagten faktisch unbegrenzt zur Verfügung. Könnte er damit die Auswechslung eines Verteidigers erzwingen, könnte er ein Verfahren ohne sachlichen Grund nahezu beliebig verzögern und blockieren (vgl. BGHSt aaO 313 m.w.N.). Ob und unter welchen besonderen Umständen Ausnahmen von alledem in Betracht kommen können, etwa weil der Verteidiger Strafanzeige gegen den Angeklagten erstattet hat (vgl. BGH NStZ 1997, 401; BGHSt aaO 315 f. m.w.N.), kann hier offen bleiben, da Anhaltspunkte für derartige Besonderheiten hier nicht ersichtlich sind. Ebenso wenig muss der Senat unter den gegebenen Umständen der Frage nachgehen, ob die anwaltliche Schweigepflicht näheren Darlegungen zu ungerechtfertigten Beschimpfungen des Angeklagten gegenüber der Verteidigerin notwendig entgegengestanden hätte, nachdem der Angeklagte gegenüber dem Gericht geltend gemacht hatte, diese erbringe keine Leistungen (vgl. BGH NStZ 2000, 326, 327).

II.

18
Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug, die durch die Erwiderung der Revision (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) nicht entkräftet werden. Nack Wahl Kolz RiBGH Dr. Graf ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Elf Nack

(1) Wenn in einem Falle, in dem die Verteidigung notwendig ist, der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleich einen anderen Verteidiger zu bestellen. Das Gericht kann jedoch auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.

(2) Wird der notwendige Verteidiger erst im Laufe der Hauptverhandlung bestellt, so kann das Gericht eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.

(3) Erklärt der neu bestellte Verteidiger, daß ihm die zur Vorbereitung der Verteidigung erforderliche Zeit nicht verbleiben würde, so ist die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen.

(4) Wird durch die Schuld des Verteidigers eine Aussetzung erforderlich, so sind ihm die hierdurch verursachten Kosten aufzuerlegen.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

51
b) Gleichwohl kann der Schuldspruch insgesamt keinen Bestand haben (§ 353 Abs. 1 StPO). Da das Landgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus zutreffend die im Vertragsschluss liegende Untreue und die hierin auch zu sehende Beihilfehandlung zum Bankrott als tateinheitliche Begehung gewertet hat, konnte der Schuldspruch wegen Beihilfe zum Bankrott nicht gesondert aufrecht erhalten bleiben. Bei Tateinheit steht nämlich die Einheitlichkeit einer Tat der Aufrechterhaltung des vom Rechtsfehler nicht betroffenen Teils entgegen (Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 353 Rdn. 7a). Allerdings bleiben sämtliche diesen Schuldspruch tragende Feststellungen aufrechterhalten. Erfolgt keine Verurteilung wegen der tateinheitlich angeklagten Untreue, wäre der Angeklagte R. ohne weiteres allein auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen erneut wegen Beihilfe zum Bankrott zu bestrafen.
14
2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Da zwischen einer möglichen Verurteilung wegen versuchten Mordes und der – an sich rechtsfehlerfreien – Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung Tatidentität bestünde, ist auch diese aufzuheben (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die damit verbundene Aufhebung der hierfür verhängten Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen kam mit Rücksicht auf die aufgezeigten Unklarheiten nicht in Betracht. Der Maßregelausspruch wird von der Aufhebung nicht berührt.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
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c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
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Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
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Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
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3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
24
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
25
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
26
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
27
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
29
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
32
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
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cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
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Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
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(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
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(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
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Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
44
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
45
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
46
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
47
(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
49
aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
51
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 435/16
vom
20. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für eine terroristische Vereinigung
im Ausland u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:201216B3STR435.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag und einstimmig - am 20. Dezember 2016 beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Kammergerichts vom 14. Juni 2016 auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.
Damit ist der Beschluss des Kammergerichts vom 22. September 2016, mit dem die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, gegenstandslos.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Der näheren Erörterung bedarf nur das Folgende: Der Verurteilung des Angeklagten wegen Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt ein mit dem Angeklagten geführtes Online-Interview zugrunde, in dem er zwei in Syrien von Mitgliedern des sog. Islamischen Staats (IS) vor laufender Kamera ausgeführte Tötungen von in dessen Gewalt befindlicher Gefangenen nachträglich guthieß. Zum einen handelt es sich um einen amerikanischen Journalisten, der im August 2014 geköpft worden war, zum anderen um einen jordanischen Militärpiloten, der im Februar 2015 bei lebendigem Leib verbrannt worden war. Das Kammergericht hat beide Tötungen als Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 VStGB, somit Katalogtaten nach § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB, bewertet. Diese rechtliche Beurteilung ist insoweit nicht frei von Bedenken, als § 8 Abs. 6 Nr. 1 VStGB allein den internationalen bewaffneten Konflikt betrifft. Darunter ist ein Krieg oder eine sonstige mit Waffengewalt ausgetragene Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten zu verstehen, während der nichtinternationale bewaffnete Konflikt solche Auseinandersetzungen erfasst , bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 23; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 98, 108, 115 ff. mwN). Danach war der Bürgerkrieg in Syrien zumindest anfänglich ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt. Dazu, ob und gegebenenfalls seit wann er durch das Eingreifen ausländischer Kräfte so weit "internationalisiert" worden ist, dass mittlerweile von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre (vgl. zur Internationalisierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, Rn. 101 ff.), verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Die für August 2014 und Februar 2015 vorzunehmende Beurteilung versteht sich auch nicht von selbst (vgl. Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, aaO Rn. 24: zumindest im Herbst 2012 noch kein internationaler bewaffneter Konflikt). Hierüber braucht der Senat allerdings nicht zu entscheiden. Hinsichtlich des jordanischen Piloten kann die Frage schon deshalb dahinstehen , weil er jedenfalls nach dem für beide Alternativen (internationaler oder nichtinternationaler bewaffneter Konflikt) geltenden § 8 Abs. 6 Nr. 3 VStGB taugliches Tatobjekt eines Kriegsverbrechens gegen Personen sein konnte. Ob der amerikanische Journalist für den Fall, dass die Kampfhandlungen in Syrien im August 2014 als ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt zu beurteilen wären, zu den nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Personen im Sinne von § 8 Abs. 6 VStGB zählt, bedarf hingegen näherer Betrachtung : Der Wortlaut des - insoweit allein in Betracht kommenden - § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB stellt unter anderem darauf ab, dass sich die Person, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnimmt, "in der Gewalt der gegnerischen Partei" befindet (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, aaO Rn. 26). Ob der IS im Verhältnis zu dem amerikanischen Journalisten als eine solche gegnerische Partei anzusehen ist, ist fraglich. In tatsächlicher Hinsicht lässt sich dem Urteil nicht hinreichend entnehmen, wie er in den Konflikt eingebunden war; es fehlen Feststellungen dazu, ob er nicht auch neutraler Kriegskorrespondent gewesen sein und keiner im Bürgerkrieg involvierten Gruppierung angehört haben kann. Die Auslegung der in § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB normierten Merkmale "in der Gewalt der gegnerischen Partei" ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt (vgl. auch BT-Drucks. 14/8524, S. 30: "in der gegnerischen Gewalt befindliche Zivilpersonen"). Den einschränkenden Zusatz hat der Gesetzgeber in Anlehnung an Art. 4 Abs. 1 des IV. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (BGBl. 1954 II, S. 917), auf den § 8 Abs. 6 Nr. 1 VStGB für den internationalen bewaffneten Konflikt tatbestandsbegrenzend verweist, in die Regelung des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB aufgenommen (vgl. MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, Rn. 91 f.). Art. 4 Abs. 1 des IV. Genfer Abkommens schützt in einem internationalen bewaffneten Konflikt Personen, die sich im Machtbereich einer hieran beteiligten Partei oder einer Besatzungsmacht befinden, "deren Angehörige sie nicht sind". Ob dementsprechend für den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt die Legaldefinition des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB sämtliche in der Gewalt einer Konfliktpartei befindliche Zivilpersonen erfasst, soweit sie ihr - im Sinne einer allein negativen Abgrenzung - nicht angehören (so MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, Rn. 93) oder ob etwa einer solchen Deutung der die äußerste Grenze jeder Auslegung bestimmende Wortsinn der Vorschrift ("der gegnerischen Partei") entgegensteht , kann der Senat hier indes ebenfalls offen lassen. Katalogtaten im Sinne des § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB sind nicht nur bestimmte Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch, sondern auch Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB). Nach den vom Kammergericht getroffenen Feststellungen begingen die Mitglieder des IS durch die Tötung des amerikanischen Journalisten jedenfalls einen Totschlag. Auf dieses - im Ausland von Ausländern an einem Ausländer begangene - Delikt ist zwar nach §§ 3 ff. StGB deutsches Strafrecht nicht anwendbar; die Vorschrift des § 1 VStGB, nach der der fehlende Inlandsbezug insoweit unschädlich ist, gilt nur für die dort in Bezug genommenen Tatbestände nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Taugliches Objekt der Billigung im Sinne von § 140 Nr. 2 StGB ist jedoch auch eine nicht dem Anwendungsbereich des deutschen Strafrechts unterfallende Auslandskatalogtat, wenn sie zur Störung des inländi- schen öffentlichen Friedens geeignet ist. Denn es geht hierbei nicht um die strafrechtliche Ahndung dieser Katalogtat. Die Verherrlichung von Auslandstaten kann in gleicher Weise wie die von Inlandstaten auch in Deutschland die allgemeine Bereitschaft zur Begehung ähnlicher Delikte fördern und das Vertrauen der Bevölkerung in die öffentliche Sicherheit erschüttern (zu den Schutzrichtungen des § 140 Nr. 2 StGB s. BGH, Urteil vom 9. August 1977 - 1 StR 74/77, NJW 1978, 58, 59). Für die Strafbarkeit wegen Billigung von Straftaten ist daher diese kriminogene Inlandswirkung einer Auslandstat erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Strafbarkeit scheidet demgegenüber aus, wenn auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Besonderheiten im Ausland (zum SüdtirolKonflikt s. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1968 - 1 StR 161/68, BGHSt 22, 282, 283 ff.) eine solche Wirkung ausgeschlossen erscheint (vgl. zum Ganzen - zumindest im Ergebnis wie hier - LG Berlin, Urteil vom 12. Mai 2004 - (563) 81 Js 1640/02 (20/03), juris Rn. 25; LK/Hanack, StGB, 12. Aufl., § 140 Rn. 10; MüKoStGB/Hohmann, 2. Aufl., § 140 Rn. 9; NK-StGB-Ostendorf, 4. Aufl., § 140 Rn. 10 f.; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 140 Rn. 2; offen gelassen von BGH, Urteil vom 17. Dezember 1968 - 1 StR 161/68, aaO; aA Fischer, StGB, 64. Aufl., § 140 Rn. 4; BeckOK StGB/Heuchemer, § 140 Rn. 9; SKStGB /Rudolphi/Stein, 68. Lfg., § 140 Rn. 5). Dass die Äußerungen des Angeklagten geeignet waren, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören, hat das Kammergericht im Einzelnen dargelegt (UA S. 46 ff.). § 265 StPO steht der Subsumtion einer der beiden vom Angeklagten gebilligten Taten unter den Straftatbestand des Totschlags nicht entgegen. Es handelt sich schon nicht um eine wesensverschiedene Tatbestandsalternative des § 140 Nr. 2 i.V.m. § 126 Abs. 1 Nr. 2 StGB (vgl. zum Kriterium der Wesensverschiedenheit bezüglich der Begehungsform BGH, Urteil vom 19. Januar 1984 - 4 StR 742/83, NStZ 1984, 328, 329; Beschluss vom 21. Januar 1997 - 5 StR 592/96, NStZ-RR 1997, 173; BeckOK StPO/Eschelbach, § 265 Rn. 9; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 25, jew. mwN). Darüber hinaus hätte sich der - geständige - Angeklagte bei einem entsprechenden Hinweis nicht anders oder gar besser als geschehen verteidigen können. Auch § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB setzt die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen voraus, was in der Anklageschrift der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 21. Dezember 2015 unter Punkt II. 5 des Wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen eindeutig ausgeführt ist.
Becker Schäfer Gericke Tiemann Berg
23
aa) Bei den im Tatzeitraum in Syrien stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden (vgl. zu allem BT-Drucks. 14/8524, S. 25; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1131, 1136, 1148 ff.; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 108 ff.).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 57/17
vom
27. Juli 2017
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Zur Strafbarkeit von Leichenschändungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB.
BGH, Urteil vom 27. Juli 2017 - 3 StR 57/17 - OLG Frankfurt am Main
in der Strafsache
gegen
wegen Kriegsverbrechens gegen Personen
ECLI:DE:BGH:2017:270717U3STR57.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juli 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Dr. Tiemann, Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Juli 2016 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
I. Das Oberlandesgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Ende des Jahres 2013 fasste der Angeklagte den Entschluss, sich "dem bewaffneten Jihad" in Syrien anzuschließen, um dort "den islamischen Brüdern" im Kampf gegen das Assad-Regime zu helfen und zum Aufbau eines islamischen Gottesstaates beizutragen. Er gelangte spätestens am 8. März 2014 nach Syrien und lebte in der Folgezeit in der Wohnung seinesBekannten V. in der Stadt Binnish in der Provinz Idlib. Der aus Offenbach stammende V. hielt sich zu dieser Zeit bereits seit anderthalb Jahren als Jihadist in Syrien auf, hatte dort eine Waffenausbildung absolviert und war entsprechend kampferfahren. Er gab dem Angeklagten ein Sturmgewehr des Typs AK 47 und unterwies ihn im Umgang mit Schusswaffen sowie in Kampftechniken.
4
In der Provinz Idlib sowie in vielen weiteren Teilen Syriens herrschte seinerzeit ein bis heute andauernder Bürgerkrieg, in dem die syrischen Regierungstruppen einer Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüberstanden , die zumeist islamistisch motiviert waren. Einige der oppositionellen Gruppen , insbesondere die "Freie Syrische Armee", die "Jabhat al-Nusra" und der damals noch so genannte Islamische Staat im Irak und in Syrien, die hierarchisch -militärisch strukturiert waren und über eine hohe Anzahl von Kämpfern verfügten, hatten bedeutende Landesteile unter ihre Kontrolle gebracht, insbesondere im Norden des Landes.
5
In der Zeit zwischen dem 8. März 2014 und dem 16. April 2014 griff eine Gruppe von bewaffneten jihadistischen Kämpfern, zu der auch V. gehörte , einen sog. Checkpoint in der Nähe von Binnish an, der von Streitkräften der syrischen Regierungstruppen gehalten wurde. Im Zuge der anschließenden Auseinandersetzung nahm die Gruppe um V. mindestens zwei gegnerische Soldaten gefangen und tötete sie. Während des Tötens oder danach enthaupteten Kämpfer der Gruppe die beiden Soldaten, spießten die abgetrennten Köpfe auf Metallstangen, an deren unteren Enden Beschwerungen angebracht waren, und stellten sie vor einer Schule in Binnish nebeneinander auf.
6
Der Angeklagte sah sich als Teil der Gruppe um V. ; die Getöteten , von denen er wusste, dass es sich um Angehörige der syrischen Regierungstruppen handelte, betrachtete er als "ungläubige" Alawiten. Er fasste den Entschluss, die beiden Opfer zu verhöhnen, sie in ihrer Totenehre herabzusetzen und sich dabei mit den trophäenartig zur Schau gestellten Köpfen fotografieren zu lassen.
7
Zu diesem Zweck posierte er - mit einem grünen tarnfleckgemusterten Oberteil und einer grünen Hose bekleidet - mit den Köpfen, indem er sich in unmittelbarer Nähe zu einem der aufgespießten Köpfe zwischen die beiden Metallstangen auf den Boden hockte und eine entspannte Haltung einnahm. Sodann ließ er sich in dieser Pose von vorn aus der Nähe fotografieren, so dass der abgetrennte Kopf eines der Opfer und dessen durch schwere Verletzungen entstelltes Gesicht gleichsam in Großaufnahme deutlich zu sehen waren. Außerdem gruppierte sich der Angeklagte gemeinsam mit V. , der eine AK 47 mit sich führte, und einer unbekannt gebliebenen Person, die ebenfalls eine militärische Tarnfleckkleidung trug, zwischen den aufgespießten Köpfen. Dabei hockte er sich wiederum auf den Boden, während V. und die weitere Person sich unmittelbar hinter den Angeklagten stellten. Die unbekannte Person legte ihren rechten Arm auf die Schulter von V. und dieser berührte mit seinem linken Arm den Angeklagten, um auf diese Weise Zusammengehörigkeit zu demonstrieren. In dieser Überlegenheit und Gnadenlosigkeit vermittelnden Pose ließen sich der Angeklagte und seine Mitstreiter zweimal ablichten. Auf einem der beiden Fotos ist der abgetrennte Kopf des anderen Opfers zu sehen, der in einer Weise, die eine Identifizierung ohne Weiteres zulässt, aufgenommen wurde. Auf dem anderen Foto sind beide aufgespießten Köpfe deutlich zu sehen.
8
Am 16. April 2014 veröffentlichte V. das Bild, auf dem der Angeklagte gemeinsam mit ihm und der unbekannten Person abgebildet und auf dem eines der Opfer zu sehen ist, zusammen mit einem weiteren Bild, das nur V. , eine AK 47 im Arm haltend, neben einem der aufgespießten Köpfe zeigt, im Internet. Der Angeklagte war bereits bei der Herstellung der Fotos von deren etwaiger Veröffentlichung im Internet durch einen der Beteiligten ausgegangen und damit einverstanden.
9
II. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
10
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen eines Kriegsverbrechens gegen Personen. Das Oberlandesgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch sein Verhalten im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend und erniedrigend behandelt hat (§ 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB).
11
1. Bei den im Tatzeitraum in Syrien, insbesondere in der Provinz Idlib, stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166; vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 23). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden (BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 23 mwN).
12
Die in Syrien, insbesondere in der Provinz Idlib, zwischen den syrischen Streitkräften und oppositionellen bewaffneten Gruppen stattfindenden Kämpfe gingen zur Tatzeit über bloße innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte oder vereinzelt auftretende Gewalttaten weit hinaus. Sie dauerten im Frühjahr 2014 bereits längere Zeit an und hatten nahezu das ganze Land erfasst. Zumindest solche Konfliktparteien wie die "Freie Syrische Armee", die "Jabhat alNusra" und der "Islamische Staat im Irak und in Syrien" waren zudem in hohem Maße organisiert: Sie waren hierarchisch strukturiert, verfügten über ein großes Ausmaß an militärischer Ausrüstung, kontrollierten weite Landesteile und waren in der Lage, ihre Kämpfer militärisch auszubilden sowie koordinierte Angriffe durchzuführen. Dementsprechend handelte es sich um einen bewaffneten Konflikt , der jedenfalls zur Tatzeit noch als nichtinternationaler anzusehen war. Ungeachtet dessen, ob der Bürgerkrieg durch das Eingreifen ausländischer Kräfte inzwischen soweit "internationalisiert" ist, dass mittlerweile von einem internationalen bewaffneten Konflikt auszugehen wäre (vgl. zur Internationalisierung nichtinternationaler bewaffneter Konflikte MüKoStGB/ Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 101), war dies zumindest im Frühjahr 2014 noch nicht der Fall.
13
2. Bei den Geschädigten handelte es sich auch um nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen. Das ergibt sich aus § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB, wonach in einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt insbesondere solche Personen als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende anzusehen sind, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden. Dazu gehören u.a. feind- liche Kämpfer, die "hors de combat", das heißt außer Gefecht gesetzt, sind (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 30; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 90; vgl. ferner - zu der § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB entsprechenden Regelung in Art. 8 Abs. 2 Buchst. c des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs [IStGH-Statut] - Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1189).
14
So verhielt es sich bei den beiden getöteten Soldaten. Es handelte sich um Angehörige der syrischen Regierungstruppen, die von der Gruppe bewaffneter jihadistischer Kämpfer, welcher auch V. angehörte, gefangen genommen worden waren. Sie waren mithin außer Gefecht gesetzt worden und befanden sich in der Gewalt einer gegnerischen Partei.
15
3. Die beiden Soldaten unterfielen auch nach ihrer Tötung dem Schutzbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB.
16
a) Die danach strafbewehrte schwerwiegende entwürdigende oder erniedrigende Behandlung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person erfasst auch Verstorbene; die Vorschrift dient insoweit dem Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen (BGH, Beschluss vom 8. September 2016 - StB 27/16, NJW 2016, 3604, 3606; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 204; vgl. auch Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1238).
17
Demgegenüber wird im Schrifttum vereinzelt die Auffassung vertreten, dass § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB Leichenschändungen nicht erfasse (Berster, ZIS 2017, 264). Diese Ansicht wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Gesetzgeber nur den gesicherten Bestand des Völkergewohnheitsrechts habe kodifizieren wollen, dem "die Strafbewehrtheit" von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten jedoch nicht zugerechnet werden könne. Deren völker- gewohnheitsrechtliche Verfestigung ergebe sich weder aus dem kodifizierten Konfliktvölkerrecht von Genf noch aus späterer Völkerrechtspraxis, insbesondere nicht aus den sog. Verbrechenselementen oder aus der internationalen Völkerrechtsprechung. Überdies verstoße die Subsumtion Verstorbener unter den Begriff der "Person" gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Schließlich sei die für Verstöße gegen § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB angedrohte Freiheitsstrafe von einem bis zu 15 Jahren im Hinblick auf Leichenschändungen schuldunangemessen hoch.
18
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
19
aa) Sie entspricht nicht der Intention des Gesetzgebers. Mit dem VStGB sollten die Strafvorschriften des IStGH-Statuts umgesetzt und es sollte sichergestellt werden, dass Deutschland stets in der Lage ist, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallenden Verbrechen selbst zu verfolgen. In der Orientierung an den Strafvorschriften des IStGH-Statuts sowie den dazu formulierten sog. Verbrechenselementen sah der Gesetzgeber einen wesentlichen Schritt zur Umsetzung gesicherten Völkergewohnheitsrechts in nationales Recht, denn er betrachtete das gesicherte Völkergewohnheitsrecht im Wesentlichen als im IStGH-Statut festgeschrieben (vgl. BT-Drucks. 14/8524, S. 12 f.; so auch Berster aaO, S. 265).
20
§ 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB orientiert sich an Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut (BT-Drucks. 14/8524, S. 28), wonach die entwürdigende und erniedrigende Behandlung geschützter Personen in internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen erfasst wird. Zur Auslegung der in Art. 8 IStGH-Statut enthaltenen Bestimmungen dienen nach Art. 9 IStGH-Statut die "Verbrechenselemente". Darin ist im Hinblick auf die Elemente, die Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH- Statut betreffen, jeweils in einer Fußnote ausgeführt, dass sich die Bestimmungen auch auf Tote erstrecken (Verbrechenselemente zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi), Ziffer 1 Fn. 49; zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. c (ii), Ziffer 1 Fn. 57). Gleichermaßen ist dementsprechend auch § 8 Abs. 1 Nr. 9 StGB zu verstehen (vgl. Werle /Jeßberger, aaO Rn. 1236, 1238; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 204).
21
bb) Daraus, dass Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGHStatut auch die entwürdigende und erniedrigende Behandlung Verstorbener als Kriegsverbrechen erfassen, folgt zugleich, dass der Einwand fehl geht, wonach die Strafbewehrtheit von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten nicht dem gesicherten Bestand des Völkergewohnheitsrechts zugerechnet werden könne. Denn das IStGH-Statut ist selbst eine zentrale Rechtsquelle des Völkerstrafrechts , die das nach Völkergewohnheitsrecht geltende Strafrecht weithin bestätigt und präzisiert (Werle/Jeßberger, aaO Rn. 189 f.; so auch Berster aaO, S. 265). Bei den Regelungen des Statuts handelt es sich teilweise um originär vertraglich begründetes Völkerrecht und teilweise um eine bloße deklaratorische Feststellung von bereits bestehendem Völkergewohnheitsrecht. Letzteres gilt insbesondere für die - u.a. in Art 8 IStGH-Statut - normierten Verbrechenstatbestände (vgl. zu allem Werle/Jeßberger, aaO Rn. 192).
22
(1) Dem kann nicht entgegen gehalten werden, dass es sich bei den Verbrechenselementen lediglich um "unverbindliche Interpretationshilfen" handele und sich die Erstreckung von Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) sowie Buchst. c (ii) IStGH-Statut auf tote Personen lediglich aus Fußnoten zu den betreffenden Verbrechenselementen ergebe (so aber Berster aaO, S. 266).
23
Unabhängig von der Frage der rechtlichen Verbindlichkeit der Verbrechenselemente ist festzuhalten, dass diese durch eine Arbeitsgruppe (sog.
PrepCom) formuliert wurden, die neben Vorschlägen verschiedener Mitgliedstaaten ihrer Ausarbeitung auch eine Studie des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) zugrunde legte. Diese Studie repräsentierte alle relevanten Quellen des Völkerrechts und basierte ihrerseits auf umfassenden Forschungen und Analysen, nicht zuletzt der maßgeblichen Entscheidungen internationaler und nationaler Kriegsverbrecherprozesse (Dörmann, in: Fischer/Kreß/Lüder [Hrsg.], International and National Prosecution of Crimes, Under International Law 2001, S. 95, 96). In der Studie sind zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) IStGH-Statut u.a. Verfahren aufgeführt, die sich mit der Verstümmelung toter Kriegsgefangener befassten (vgl. UN Doc. PCNICC/1999/WGEC/INF.2, S. 49; vgl. auch Dörmann, Elements of War Crimes, 2003, S. 314). Dies erhellt, dass das Verbot von Leichenschändungen aus Sicht des IKRK und der PrepCom zum Bestand des humanitären Völkergewohnheitsrechts zählte und dementsprechend in das IStGH-Statut aufgenommen werden sollte. Die Auffassung, dies könne die PrepCom "nicht ernsthaft" angenommen haben (Berster aaO, S. 267) bleibt demgegenüber ebenso spekulativ wie die Ansicht, die Erwähnung von "toten Personen" lediglich in Fußnoten der Verbrechenselemente lasse "vermuten", dass insoweit kein voller Konsens erzielt worden sei (Berster aaO, S. 266).
24
Schließlich besteht auch keine Veranlassung, das Kriegsverbrechen der schwerwiegenden entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung im internationalen bewaffneten Konflikt anders zu behandeln als im nichtinternationalen (so aber Berster aaO, S. 265 f.). Vielmehr sprachen sich sowohl das IKRK als auch die PrepCom für eine Gleichbehandlung aus (UN Doc. PCNICC/1999/WGEC/INF.2, S. 48; Dörmann, Elements of War Crimes, 2003, S. 404).
25
(2) Die völkergewohnheitsrechtliche Ächtung von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten ergibt sich überdies aus den vom IKRK veröffentlichten Regeln des humanitären Völkerrechts in internationalen und nichtinternationalen bewaffneten Konflikten (Customary International Humanitarian Law). Die völkergewohnheitsrechtliche Verankerung der vom IKRK zusammengefassten Regeln beruht auf einer entsprechenden weltweiten Staatenpraxis. Danach ist gemäß Regel Nr. 113 zum einen anerkannt, dass jede Konfliktpartei alle möglichen Maßnahmen treffen muss, um zu verhindern, dass die Toten ausgeplündert werden; zum anderen ist die Verstümmelung von Leichen verboten.
26
Die vom IKRK veröffentlichte Regel Nr. 113 des humanitären Völkergewohnheitsrechts steht in Einklang mit Art. 8 des II. Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nichtinternationaler bewaffneter Konflikte. Danach sind, "sobald die Umstände es zulassen, insbesondere aber nach einem Gefecht", unverzüglich alle durchführbaren Maßnahmen zu treffen, um unter anderem "die Toten zu suchen , ihre Beraubung zu verhindern und sie würdig zu bestatten".
27
(3) Die völkergewohnheitsrechtliche Strafbewehrtheit von Leichenschändungen in bewaffneten Konflikten hat zudem in Entscheidungen internationaler Gerichte ihren Niederschlag gefunden. So hat der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien die würdelose Behandlung, Verstümmelung, Bestattung in Massengräbern sowie "Wiederbestattung" von Getöteten als erniedrigend angesehen (vgl. JStGH, Urteil vom 1. September 2004 - Brđanin, IT99 -36-T, Nr. 1014 ff., 1019). Entsprechend beurteilt hat der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda das Einführen einer Flasche in die Vagina eines weiblichen Leichnams (vgl. RStGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - Bagosora u.a., ICTR-98-41-T, Nr. 2219, 2222; vgl. ferner Urteil vom 14. Dezember 2011 - Bagosora u.a., ICTR-98-41-A, Nr. 729).
28
cc) Es stellt auch keinen Verstoß gegen das Analogieverbot dar, Verstorbene als nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB anzusehen. Der Begriff "Person" ist nach allgemeinem Sprachgebrauch im Wesentlichen gleichbedeutend mit "Mensch" (vgl. www.duden.de/rechtschreibung/Person; www.woerterbuchnetz.de/dwb, "Person"). Er erfasst gleichermaßen lebende und tote Menschen; ob der betreffende Mensch lebendig oder tot ist, wird durch Beifügung des entsprechenden Adjektivs deutlich gemacht. Dem entspricht auch der Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs. Das zeigt sich am Beispiel des § 168 Abs. 1 StGB, in dem von einem "verstorbenen Menschen" die Rede ist. Gleichermaßen verhält es sich letztlich im internationalen Strafrecht, wie der Blick auf die bereits erörterten Verbrechenselemente zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut verdeutlicht. In der englischsprachigen Originalfassung heißt es dazu jeweils: "For this crime, 'persons' can include dead persons." Es wird mithin gleichermaßen durch Hinzufügung des entsprechenden Adjektivs klargestellt , dass eine verstorbene Person gemeint ist.
29
dd) In Anbetracht der Tatsache, dass das IStGH-Statut zum Schutz der Totenehre bzw. der über den Tod hinaus fortwirkenden Würde des Menschen auch die entwürdigende und erniedrigende Behandlung von verstorbenen, nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Personen in bewaffneten Konflikten als Kriegsverbrechen qualifiziert, kann es schließlich nicht zweifelhaft sein, dass es dem deutschen Gesetzgeber freisteht, in Umsetzung des IStGHStatuts einen entsprechenden Verbrechenstatbestand zu normieren.
30
Es ist dem Gesetzgeber grundsätzlich unbenommen, Art und Mindestmaß der Strafe zu bestimmen, die er für die Begehung einer Straftat androht. Die Festlegung eines Strafrahmens beruht auf einem nur in Grenzen rational begründbaren Akt gesetzgeberischer Wertung. Welche Sanktion für eine Straftat - abstrakt oder konkret - angemessen ist und wo die Grenzen einer an der Verfassung orientierten Strafdrohung zu ziehen sind, hängt von einer Fülle von Wertentscheidungen ab. Das Grundgesetz gesteht dem Gesetzgeber bei der Normierung von Strafdrohungen einen weiten Gestaltungsspielraum zu. Ein Verstoß gesetzlicher Strafdrohungen gegen den Schuldgrundsatz und das Übermaßverbot kommt deshalb nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung - gemessen an der Idee der Gerechtigkeit - zu schlechthin untragbaren Ergebnissen führt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 13. Februar 1973 - 2 BvL 8/71, BVerfGE 34, 261, 267; vom 16. Januar 1979 - 2 BvL 4/77, BVerfGE 50, 125, 133 f., 138, 140).
31
Es ist nicht ersichtlich, dass die gesetzliche Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB als solche die Grenzen des dem Gesetzgeber zustehenden Gestaltungsspielraums - auch soweit sie die entwürdigende oder erniedrigende Behandlung Verstorbener umfasst - überschreiten könnte. Dem im Vergleich mit anderen Kriegsverbrechen gegen Personen in der Regel geringeren Unrechts - und Schuldgehalt einer Leichenschändung kann im Einzelfall innerhalb des Strafrahmens hinreichend Rechnung getragen werden.
32
b) Der Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB steht auch nicht entgegen , dass sich die Handlung des Angeklagten lediglich auf die abgetrennten Köpfe der Soldaten bezog. Denn eine danach strafbewehrte entwürdigende oder erniedrigende Behandlung eines Verstorbenen kommt auch dann in Be- tracht, wenn sich die Tathandlung nur gegen Leichenteile richtet. Das gilt jedenfalls dann, wenn es sich dabei um den Kopf des Toten handelt.
33
Es ist insoweit ohne Bedeutung, dass § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB Leichenteile im Gegensatz zu § 168 Abs. 1 StGB nicht ausdrücklich als mögliche Tatobjekte benennt. Dass auch sie erfasst werden, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie dient ebenso wie Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut dem Schutz der persönlichen Würde; die Bestimmungen des IStGH-Statuts bringen dies in besonderem Maße dadurch zum Ausdruck, dass sie "die Beeinträchtigung der persönlichen Würde" in den Vordergrund stellen und eine entwürdigende und erniedrigende Behandlung lediglich beispielhaft anführen.
34
Die persönliche Würde eines Verstorbenen kann auch durch Verhaltensweisen beeinträchtigt werden, die lediglich seinen abgetrennten Kopf betreffen. Denn der Kopf ist das herausragende Identifikationsmerkmal eines Menschen und bestimmt die Außenwahrnehmung einer Person am meisten.
35
4. Das Verhalten des Angeklagten stellt sich auch als schwerwiegende entwürdigende und erniedrigende Behandlung der beiden getöteten Soldaten dar.
36
a) Der Angeklagte hat die Getöteten, indem er sich mit ihren abgetrennten und auf Stangen aufgespießten Köpfen fotografieren ließ, behandelt.
37
aa) Als "Behandeln" im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB kommt jedes unmittelbar auf das Opfer bezogene Verhalten in Betracht. Insoweit gilt:
38
(1) Es ist nicht erforderlich, dass der Täter physisch auf den Betroffenen einwirkt; vielmehr können selbst Beschimpfungen ausreichend sein (MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 201).
39
Das folgt schon aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. Danach wird unter "Behandeln" verstanden, dass mit jemandem bzw. etwas in bestimmter Weise umgegangen wird. Eine körperliche Einwirkung muss damit nicht verbunden sein (vgl. www.duden.de/rechtschreibung/Behandlung; vgl. auch www.woerterbuchnetz.de/dwb, "Behandeln").
40
Dem entspricht auch der juristische Sprachgebrauch (vgl. MüKoStGB/Hardtung, 2. Aufl., § 224 Rn. 36). So setzt eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden "Behandlung" im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht notwendig eine physische Einwirkung voraus. Sie kann auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 224 Rn. 12a) oder unter Umständen durch bloße Bedrohung (BGH, Urteil vom 26. November 1985 - 1 StR 393/85, NStZ 1986, 166).
41
Gleiches gilt für die entwürdigende Behandlung eines Untergebenen gemäß § 31 Abs. 1 WStG. Darunter wird jedes Verhalten eines Vorgesetzten verstanden, mit dem er den Untergebenen zu einem austauschbaren Objekt erniedrigt, ihn der Lächerlichkeit und Verachtung preisgibt und damit den sozialen Wert- und Achtungsanspruch missachtet, den der Untergebene allgemein als Mensch in der sozialen Gemeinschaft und im Besonderen als Soldat in der soldatischen Gemeinschaft besitzt (MüKoStGB/Dau, 2. Aufl., § 31 WStG Rn. 3; Erbs/Kohlhaas/Dau, Strafrechtliche Nebengesetze, 208. EL, WStG § 31 Rn. 3 mwN). Dementsprechend liegt eine entwürdigende Behandlung im Sinne von § 31 Abs. 1 WStG beispielsweise vor bei bloßen Äußerungen mit sexuellem Bezug gegenüber untergebenen weiblichen Sanitätsoffizieren oder bei Beleidi- gungen bloßstellenden, erniedrigenden oder sexuellen Charakters (Erbs/Kohlhaas/Dau, aaO Rn. 4).
42
Schließlich entspricht es auch internationalem Verständnis, dass eine entwürdigende und erniedrigende Behandlung keine körperliche Einwirkung auf das Opfer voraussetzt. So hat der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien insoweit bereits bloße Äußerungen für ausreichend erachtet (JStGH, Urteil vom 2. November 2001 - Kvočka u.a., IT-98-30/1-T, Nr. 172). Eine - nicht mit körperlicher Einwirkung verbundene - entwürdigende Behandlung hat er zudem in der permanenten Beleidigung von gefangenen bosnischen Muslimen gesehen, die gezwungen wurden, serbische Lieder zu singen, den "serbischen Gruß" zu entrichten und sich serbisch-nationalistischen Symbolen zu unterwerfen (JStGH, Urteil vom 1. September 2004 - Brđanin, IT-99-36-T, Nr. 1015); gleichermaßen bewertet hat er, dass Gefangene gezwungen wurden , sich in die eigene Kleidung zu erleichtern (JStGH, Urteil vom 2. November 2001 - Kvočka u.a., IT-98-30/1-T, Nr. 173) oder nackt auf dem Tisch zu tanzen (JStGH, Urteil vom 22. Februar 2001 - Kunarac u.a., IT-96-23-T & IT-96-23/1-T, Nr. 772 f., 781 f.). Auch der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda hat darin , dass ein - zuvor gewaltsam entkleidetes - weibliches Opfer ohne erneute körperliche Einwirkung gezwungen wurde, vor einer Gruppe von Tätern gymnastische Übungen auszuführen, eine entwürdigende Behandlung gesehen (RStGH, Urteil vom 2. September 1998 - Akayesu, ICTR-96-4-T, Nr. 688, 694,

697).


43
Dementsprechend soll auch nach der Intention des Gesetzgebers grundsätzlich "jede Art" von entwürdigender oder erniedrigender Behandlung zur Tatbestandserfüllung ausreichen, neben körperlichen Züchtigungen insbe- sondere auch "die Zurschaustellung von Gefangenen oder deren Beleidigung" (BT-Drucks. 14/8524, S. 28).
44
(2) Ein "Behandeln" im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB setzt auch keine psychische Einwirkung auf den Betroffenen voraus; die Behandlung muss vielmehr nicht einmal von ihm wahrgenommen werden. Dies folgt ebenfalls bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach es lediglich darauf ankommt , dass mit jemandem bzw. etwas in bestimmter Weise umgegangen wird. So kann eine Person beispielsweise "wie Luft behandelt" werden, ohne dies überhaupt zu bemerken.
45
(3) Erforderlich ist danach nur, dass sich das Verhalten unmittelbar auf die Person bezieht, weil anderenfalls nicht die Rede davon sein kann, dass mit ihr umgegangen wird. Dem entspricht, dass nach dem oben gefundenen Ergebnis Verstorbene, auf die psychisch nicht eingewirkt werden kann, in den Schutzbereich der Norm einbezogen sind.
46
bb) Hier bezog sich das Verhalten des Angeklagten unmittelbar auf die getöteten Soldaten, soweit er mit deren abgetrennten Köpfen posierte und sich mit ihnen fotografieren ließ. Demgegenüber bezog sich die spätere Veröffentlichung der Fotos im Internet nicht unmittelbar auf die getöteten Soldaten. Darin ist kein Umgang mit den Soldaten, sondern mit den Fotos zu sehen.
47
b) Die entwürdigende und erniedrigende Behandlung der getöteten Soldaten durch den Angeklagten war auch schwerwiegend im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB.
48
aa) Nach der Intention des Gesetzgebers sollen durch die Formulierung "in schwerwiegender Weise" insbesondere "Beleidigungen von nur geringer Schwere" vom Anwendungsbereich des Tatbestands ausgenommen werden (BT-Drucks. 14/8524, S. 28). Dieses Merkmal bedarf indes im Hinblick auf den Verbrechenscharakter des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB und die damit verbundene Mindeststrafandrohung von einem Jahr Freiheitsstrafe vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gebots schuldangemessenen Strafens einer einschränkenden Auslegung.
49
Der Ansatzpunkt dafür ergibt sich aus der englischsprachigen Originalfassung der Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi) und Buchst. c (ii) IStGH-Statut, an der sich § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB nach dem Willen des Gesetzgebers orientiert. Dort wird im Zusammenhang mit der als Kriegsverbrechen erfassten entwürdigenden und erniedrigenden Behandlung jeweils der Begriff "outrage" verwendet. Dieser Begriff lässt sich als "Frevel(tat)", "Gräuel(tat)" bzw. "Ungeheuerlichkeit" übersetzen (vgl. https://de.langenscheidt.com/englisch-deutsch/outrage). Als Kriegsverbrechen erfasst das IStGH-Statut mithin nur solche entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlungen, welche die Würde des Betroffenen in solchem Ausmaß verletzen, dass die betreffende Tat als Gräueltat anzusehen ist (so auch Werle/Jeßberger, aaO Rn. 1238). Ausschlaggebend ist insoweit ein objektiver Maßstab (Werle/Jeßberger, aaO mwN), bei dem - wie sich aus den Verbrechenselementen ergibt (vgl. Verbrechenselemente zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. b (xxi), Ziffer 1 Fn. 49; zu Art. 8 Abs. 2 Buchst. c (ii), Ziffer 1 Fn. 57) - der kulturelle Hintergrund des jeweiligen Opfers zu berücksichtigen ist (MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, aaO Rn. 202).
50
Dementsprechend ist auch der Anwendungsbereich des § 8 Abs. 1 Nr. 9 VStGB auf solche Taten zu beschränken, durch welche die Würde des Be- troffenen in einem Ausmaß verletzt wird, dass sich die Tat aus der Sicht eines objektiven Beobachters unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes des Opfers als Gräueltat darstellt. Dem Wortsinn entsprechend (vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Gräuel) ist das der Fall, wenn das Verhalten des Täters grauenhaft bzw. grauenerregend erscheint.
51
Dies kommt im Zusammenhang mit der entwürdigenden oder erniedrigenden Behandlung Verstorbener vor allem bei Verstümmelungen oder anderen körperlichen Einwirkungen in Betracht (vgl. RStGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 - Bagosora u.a., ICTR-98-41-T, Nr. 2219, 2222; vgl. ferner Urteil vom 14. Dezember 2011 - Bagosora u.a., ICTR-98-41-A, Nr. 729). Bloße Beschimpfungen , Beleidigungen oder sonstige nicht mit physischer Einwirkung verbundene entwürdigende oder erniedrigende Behandlungen Verstorbener sind demgegenüber grundsätzlich nicht geeignet, als Gräueltat angesehen zu werden. Etwas anderes kann nur gelten, wenn ein derartiges Verhalten ausnahmsweise gleichermaßen grauenhaft bzw. grauenerregend erscheint wie eine durch körperliche Einwirkung begangene Gräueltat.
52
bb) So verhält es sich indes hier.
53
Das Verhalten des Angeklagten, sich mehrfach in einer Pose, die Überlegenheit und Gnadenlosigkeit vermittelte, in unmittelbarer Nähe zu den abgetrennten , auf die Metallstangen gespießten und quasi als Trophäen zur Schau gestellten Köpfen der Soldaten fotografieren zu lassen, knüpfte an deren vorangegangene entwürdigende und erniedrigende Behandlung an, die in dem Aufspießen ihrer Köpfe und deren Zurschaustellung vor der Schule bestand. Die Leichname nicht beizusetzen oder an den Gegner zu überstellen, sondern stattdessen deren Köpfe auf Metallstangen aufzuspießen und öffentlich als Trophäen zu präsentieren, stellte fraglos eine schwerwiegende entwürdigende und erniedrigende Behandlung der Getöteten dar.
54
Gleiches gilt auch für das an die Zurschaustellung der aufgespießten Köpfe anschließende, selbst nicht mit körperlicher Einwirkung verbundene Verhalten des Angeklagten. Er hat die durch die vorangegangene Behandlung der Opfer geschaffene, diese außerordentlich entwürdigende Situation genutzt, um deren erniedrigende Behandlung weiter zu vertiefen. Sich in unmittelbarer Nähe zu den aufgespießten und zur Schau gestellten Köpfen in einer Pose fotografieren zu lassen, die Überlegenheit und Gnadenlosigkeit vermittelte, erscheint aus der Sicht eines objektiven Betrachters unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes der Opfer nicht minder grauenerregend als das Aufspießen und die Zurschaustellung der Köpfe. Denn der Angeklagte demonstrierte damit, dass ihn der entwürdigende Zustand der Opfer nicht zu Anteilnahme oder Scham veranlasste. Indem er sich alleine sowie gemeinsam mit V. und der unbekannten Person mit den abgetrennten und aufgespießten Köpfen in Szene setzte, brachten er und seine Mittäter vielmehr zum Ausdruck, dass ihnen die Köpfe als bloße Trophäen dienten, mit denen sie sich schmückten. Es ist insoweit bei objektiver Betrachtung ohne Bedeutung, dass der Angeklagte nicht zugleich körperlich auf die Opfer eingewirkt hat.
55
5. Schließlich hat der Angeklagte die Tat auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen. Der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konflikts für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich "bei Gelegenheit" des bewaffneten Konflikts begangen werden. Eine Tatausführung wäh- rend laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (vgl. zu allem BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 29; Werle/Jeßberger, aaO Rn.1163 ff.; BT-Drucks. 14/8524, S. 25).
56
Hier wäre die Tat des Angeklagten ohne den bewaffneten Konflikt praktisch nicht denkbar gewesen. Er hatte sich nach Syrien begeben, um sich einer Gruppe von jihadistischen Kämpfern anzuschließen und durch den bewaffneten Kampf gegen die syrischen Regierungstruppen zum Aufbau eines islamischen Gottesstaates beizutragen. Bei den Getöteten handelte es sich um Regierungssoldaten , die bei der Erstürmung des von ihnen gehaltenen Checkpoints gefangen genommen und getötet worden waren, und die anschließende Zurschaustellung ihrer abgetrennten Köpfe sowie das Posieren des Angeklagten mit den Köpfen diente gerade zu dem Zweck, die eigene Überlegenheit und Gnadenlosigkeit zu demonstrieren.
Becker Gericke Tiemann Berg Hoch

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
20
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
22
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
23
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
24
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
25
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
26
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
27
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
29
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
32
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
34
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
36
(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
37
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
38
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
39
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
40
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
43
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
44
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
45
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
46
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
47
(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
49
aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
51
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung als solche oder gegen einzelne Zivilpersonen richtet, die an den Feindseligkeiten nicht unmittelbar teilnehmen,
2.
mit militärischen Mitteln einen Angriff gegen zivile Objekte richtet, solange sie durch das humanitäre Völkerrecht als solche geschützt sind, namentlich Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, geschichtliche Denkmäler, Krankenhäuser und Sammelplätze für Kranke und Verwundete, unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnstätten oder Gebäude oder entmilitarisierte Zonen sowie Anlagen und Einrichtungen, die gefährliche Kräfte enthalten,
3.
mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Schutzschild einsetzt, um den Gegner von Kriegshandlungen gegen bestimmte Ziele abzuhalten,
5.
das Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegsführung einsetzt, indem er ihnen die für sie lebensnotwendigen Gegenstände vorenthält oder Hilfslieferungen unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht behindert,
6.
als Befehlshaber anordnet oder androht, dass kein Pardon gegeben wird, oder
7.
einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei meuchlerisch tötet oder verwundet,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. In minder schweren Fällen der Nummer 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(2) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 1 bis 6 den Tod oder die schwere Verletzung einer Zivilperson (§ 226 des Strafgesetzbuches) oder einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, wird er mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Führt der Täter den Tod vorsätzlich herbei, ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff weit reichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen wird, die außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

23
aa) Bei den im Tatzeitraum in Syrien stattfindenden Kämpfen zwischen der staatlichen syrischen Armee und oppositionellen Gruppierungen handelte es sich um einen nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend für das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts ist der Einsatz von Waffengewalt, die einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 166). Während ein internationaler bewaffneter Konflikt die Anwendung von Waffengewalt zwischen Staaten voraussetzt, sind unter einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt solche Auseinandersetzungen zu verstehen, bei denen Streitkräfte innerhalb eines Staates gegen organisierte bewaffnete Gruppen oder solche Gruppen untereinander kämpfen, sofern die Kampfhandlungen von einer gewissen Dauer und Intensität sind. Die Erfordernisse einer gewissen Organisationsstruktur der betreffenden Gruppen sowie der Intensität und Dauer der bewaffneten Auseinandersetzungen stellen sicher, dass bloße innere Unruhen, Spannungen, Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen nicht als bewaffnete Konflikte eingestuft werden (vgl. zu allem BT-Drucks. 14/8524, S. 25; Werle/Jeßberger, Völkerstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 1131, 1136, 1148 ff.; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 8 VStGB Rn. 96, 108 ff.).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 43/16
vom
11. August 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Kriegsverbrechens gegen humanitäre Operationen
ECLI:DE:BGH:2016:110816BAK43.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 11. August 2016 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde am 21. Januar 2016 festgenommen und befindet sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 14. Januar 2016 (4 BGs 10/16) in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Angeklagte habe zwischen dem 17. Februar 2013 und dem 16. Oktober 2013 im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Syrien einen Angriff gegen Personen, Einrichtungen , Material, Einheiten oder Fahrzeuge gerichtet, die an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt waren und Anspruch auf den Schutz hatten, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird (strafbar gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB).
3
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 21. Juni 2016 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart wegen dieses Vorwurfs Anklage erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 13. Juli 2016 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich gehalten und mit Beschluss vom 18. Juli 2016 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen sowie das Hauptverfahren eröffnet.
4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
5
1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.
6
a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:
7
aa) Die in Syrien seit Februar 2011 gegen die Regierung von Bashar alAssad schwelenden Proteste eskalierten ab dem 15. März 2011 aufgrund des repressiven und gewaltsamen Vorgehens syrischer Sicherheitskräfte, Milizen und Armee gegen Demonstranten und Oppositionelle. Die dadurch bewirkte Militarisierung der Protestbewegung entwickelte sich zu einem bewaffneten Aufstand, der Anfang 2012 schließlich weite Teile des Landes erfasste und sich zu einem großflächigen Bürgerkrieg ausweitete. Spätestens seit dieser Zeit herrscht in Syrien ein nichtinternationaler bewaffneter Konflikt.
8
Zu Beginn des Bürgerkrieges trat auf Seiten der bewaffneten Opposition die sog. Freie Syrische Armee als Hauptakteur in Erscheinung, die als Dachvereinigung eine Vielzahl inhomogener Kampfverbände und Gruppierungen mit unterschiedlichsten Motivationslagen zu vertreten versuchte. Im Laufe einer zunehmenden Radikalisierung der Proteste gegen das syrische Regime wurde die Freie Syrische Armee ab dem Jahr 2013 von nunmehr dominierenden is- lamistischen Milizen - u.a. von der "Jabhat al-Nusra" und dem sog. Islamischen Staat - bekämpft und aus großen Teilen der von ihr bis dahin kontrollierten Gebiete verdrängt. Dem syrischen Regime mit offizieller Armee, Polizei, Sicherheitskräften und zivilen Milizen steht gegenwärtig eine Vielzahl von kämpfenden Gruppierungen gegenüber, die zumeist islamistisch motiviert sind und ihrerseits keine einheitliche Front bilden, sondern sich in erheblichem Umfang auch untereinander bekämpfen.
9
Im Rahmen der intensiv geführten kriegerischen Auseinandersetzungen werden von allen Konfliktparteien schwerste Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen. Alle Konfliktparteien gehen teilweise unter Einsatz international geächteter Waffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung vor, und es finden schwerste Verbrechen sowie Massaker an Zivilisten, aber auch an kampfunfähigen gegnerischen Kämpfern statt.
10
bb) Der Angeklagte beteiligte sich zwischen dem 17. Februar und dem 16. Oktober 2013 an der Entführung des kanadischen Staatsangehörigen C. , der seit Juli 2010 hauptamtlich als Rechtsberater für die friedenserhaltende Mission der Vereinten Nationen auf den Golanhöhen (United Nations Disengagement Observer Force - UNDOF) tätig war. Nachdem C. am 17. Februar 2013 mit einem im Eigentum der Vereinten Nationen stehenden Fahrzeug vom Hauptquartier der UNDOF in Richtung Damaskus aufgebrochen war, um sich dort in ärztliche Behandlung zu begeben, wurde er in der Ortschaft Khan Alsheh nahe Damaskus an einer Straßensperre von Mitgliedern einer der Jabhat al-Nusra zuzurechnenden Personengruppe unter Vorhalt von Schusswaffen angehalten, zum Aussteigen gezwungen, verschleppt und gefangen gehalten, bis ihm am 16. Oktober 2013 die Flucht gelang.
11
Während C. sich in der Gewalt der bewaffneten Gruppe befand, erhoben die Entführer unter anderem gegenüber den Vereinten Nationen, gegenüber dem kanadischen Staat und gegenüber der Familie von C. erfolglos Lösegeldforderungen und sprachen in diesem Zusammenhang gegen C. gerichtete Todesdrohungen aus. Außerdem nahmen sie C. seine Uhr, Bargeld in Höhe von 450 US-Dollar und seinen UN-Ausweis weg. Das Fahrzeug, mit dem C. am Tage seiner Entführung unterwegs gewesen war, behielten die Entführer und verwendeten es für eigene Zwecke, nachdem sie den an beiden Seiten des Fahrzeugs befindlichen Aufdruck mit den Buchstaben "UN" sowie dessen UN-Kennzeichen entfernt hatten.
12
Der bewaffneten Gruppe gehörte auch der Angeklagte an. Er beteiligte sich jedenfalls in der Zeit von März bis Juni 2013 mindestens vier Wochen lang an der Bewachung von C. , der in verschiedenen Gebäuden in einem Raum eingeschlossen wurde und diesen nur verlassen durfte, um sich zur Toilette zu begeben oder Forderungen seiner Entführer nachzukommen. Beim Verlassen des Raumes wurden ihm die Augen verbunden und er wurde stets von einer bewaffneten Wachperson begleitet. Während der Angeklagte C. bewachte, begleitete er ihn bei Toilettengängen und brachte ihm das Essen. Er stellte sich C. dabei mit seinem Kampfnamen " A. " vor.
13
b) Der dringende Tatverdacht gegen den Angeklagten wird im Wesentlichen durch die Auswertung verschiedener "Facebook"-Profile und die Angaben des Zeugen C. belegt.
14
aa) Hinweise auf die Tatbeteiligung des Angeklagten ergeben sich zunächst aus der Auswertung des "Facebook"-Profils mit der Benutzeridentifikation "sl. ". Der Zeuge C. hatte den Inhaber dieses Profils nach seiner Flucht anhand von Bildern aus dem sozialen Netzwerk "Facebook" als einen seiner Entführer identifiziert, und ein Abgleich mit Daten aus dem Ausländerzentralregister hatte ergeben, dass es sich um das "Facebook"-Profil des Angeklagten handelte. Die Auswertung des Profils durch den islamwissenschaftlichen Sachverständigen S. führte zunächst zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte auch unter dem Namen " A. " bekannt ist, mit dem ihn mehrere Nutzer ansprachen, die ihm ersichtlich in Freundschaft verbunden waren. Außerdem ergab die Analyse des Profils Hinweise auf eine Verbindung des Angeklagten mit N. , der nach Ermittlungen des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz in K. ein Fahrzeuggeschäft betreibt , in dem der im Oktober 2014 in das Bundesgebiet eingereiste Angeklagte zeitweise arbeitete und unter dessen Anschrift der Angeklagte ausweislich des Melderegisters auch wohnhaft war.
15
Die Auswertung des von N. unter der Benutzeridentifikation "m. " in dem sozialen Netzwerk "Facebook" geführten Profils erbrachte Hinweise auf Kontakte des Angeklagten zu an dem Bürgerkrieg in Syrien teilnehmenden Personen, darunter einer Person mit Bezug zu der terroristischen Organisation Jabhat al-Nusra. So wurde etwa ein Lichtbild festgestellt, das N. , den Angeklagten, den Inhaber des "Facebook"-Profils " Q. " und eine Person namens "W. N. " zeigte, der ausweislich der zu dem Lichtbild "geposteten" Kommentare und einer Recherche bei dem Online-Video-Portal "Youtube" im August 2012 bei Kämpfen auf Seiten der Freien Syrischen Armee gegen staatliche syrische Streitkräfte getötet wurde. Eine Auswertung des Profils " Q. " ergab Hinweise auf eine Zugehörigkeit von dessen Inhaber zur Jabhat alNusra , da als Titelbild des Profils die Fahne dieser Organisation gespeichert war.
16
Nach den Ermittlungsergebnissen steht der Angeklagte außerdem über "Facebook" in freundschaftlichem Kontakt zu einer Person namens " F. " (zu Deutsch: " O. "), auf dessen Profil regelmäßig Inhalte mit einem Bezug zum islamistischen Terrorismus veröffentlich werden, unter anderem ein Lichtbild, auf dem Personen mit der Fahne der Jabhat alNusra zu sehen sind, die ihre Füße auf abgeschnittenen Köpfen platziert haben. Zu dieser Abbildung sowie einigen anderen hat der Angeklagte sog. Likes hinterlassen. Ein anderes Foto, auf dem neben der Fahne der al-Nusra-Front eine Holzablage mit diversen Kommunikationsgeräten (Handfunkgeräte, Mobiltelefone ) zu sehen ist und das am 13. März 2014 veröffentlicht wurde, kommentierte der Angeklagte am 24. März 2014 mit der Bemerkung "Wir beten zu Gott, dass er mich zu diesem Platz zurückbringt", was darauf schließen lässt, dass sich der Angeklagte früher bei der Jabhat al-Nusra aufgehalten hat.
17
bb) Der Zeuge C. hat bei seiner in der Zeit vom 4. bis zum 6. November 2015 durchgeführten staatsanwaltschaftlichen Vernehmung nicht nur die Umstände seiner Entführung im Einzelnen geschildert, sondern auch den Angeklagten bei einer sequentiellen Wahllichtbildvorlage, in die gemäß den Vorgaben von Nr. 18 RiStBV ein Lichtbild des Angeklagten sowie Lichtbilder von sieben weiteren Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung eingestellt waren, ohne Zögern eindeutig als denjenigen seiner Entführer wiedererkannt, der sich ihm gegenüber als " A. " bezeichnet hatte. Zu " A. " hat C. im Wesentlichen folgende Angaben gemacht:
18
" A. ", der zur Tatzeit ungefähr 1,65 m bis 1,68 m groß, durchschnittlich schlank und ungefähr 20 Jahre alt gewesen sei, sei ihm gegenüber erstmals im März oder April 2013 in Erscheinung getreten, und zwar für einen Zeitraum von maximal acht Wochen. Der Angeklagte habe ihn gelegentlich bewacht , z. B. auf dem Weg zur Toilette, und ihm das Essen gebracht. Der Angeklagte habe sich ihm gegenüber recht unfreundlich verhalten und als besonderes Merkmal eine Selbstmordgranate am Gürtel getragen.
19
Überdies erkannte C. auf dem von dem "Facebook"-Profil von N. stammenden Lichtbild, das neben N. und dem Angeklagten die Person namens "W. N. " sowie den Inhaber des "Facebook"-Profils " Q. " zeigt, außer dem Angeklagten auch den als Inhaber des "Facebook"-Profils " Q. " ermittelten Mann als einem anderen seiner Entführer "sehr ähnlich" wieder. Schließlich identifizierte er auf einem Lichtbild, das am 15. Juni 2013 in das "Facebook"-Profil " Q. " eingestellt worden war, das ihm entwendete Fahrzeug der UN sowie - im Hintergrund des Bildes - die in Al. gelegene Villa, in der er zunächst festgehalten wurde.
20
Die Angaben von C. sind auf der Grundlage des derzeitigen Erkenntnisstandes glaubhaft. Für ihre Richtigkeit spricht insbesondere, dass er den Angeklagten bei der Wahllichtbildvorlage eindeutig als die an seiner Bewachung beteiligte Person mit dem Namen " A. " wiedererkannt hat, mithin unter demjenigen Kampfnamen, unter dem der Angeklagte auch schon bei der islamwissenschaftlichen Auswertung seines "Facebook"-Profils aufgefallen war. Der Beweiswert des Wiedererkennens wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass dem Zeugen C. nach seiner Schilderung schon anlässlich seiner früheren Befragung durch den kanadischen Nachrichtendienst ein Foto von " A. " gezeigt worden war. Denn dabei hatte es sich den Angaben von C. zufolge nicht um die in die Wahllichtbildvorlage eingestellte Aufnahme oder eine vergleichbare "Polizeiaufnahme" gehandelt, sondern um ein Foto, auf dem der Angeklagte "in natürlicher Umgebung" zu sehen war. Zudem stimmen das von C. beschriebene äußere Erscheinungsbild von " A. " sowie dessen von ihm angegebenes ungefähres Alter mit den Eigenschaften des Angeklagten überein: Der Angeklagte war zur Tatzeit 21 bis 22 Jahre alt und ist - wie sich aus der Ausländerakte ergibt - 1,65 m groß.
21
Der gegen den Angeklagten bestehende Tatverdacht wird dadurch verstärkt , dass auf dem oben genannten Lichtbild in dem "Facebook"-Profil von N. neben dem Angeklagten auch der Inhaber des "Facebook"Profils " Q. " zu sehen ist, den C. als einem anderen seiner Entführer "sehr ähnlich" bezeichnet hat und auf dessen "Facebook"Profil nicht nur Anhaltspunkte für seine Mitgliedschaft in der Vereinigung Jabhat al-Nusra, sondern auch ein Lichtbild festgestellt werden konnte, auf dem das C. entwendete Fahrzeug und die Villa zu erkennen sind, in der C. zunächst festgehalten wurde.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.
23
c) Danach hat der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen begangen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB).
24
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB schützt Personen, Einrichtungen, Material , Einheiten und Fahrzeuge die an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der UN-Charta beteiligt sind. Charakteristisch für solche Missionen ist, dass sie mit Zustimmung der Konfliktparteien stattfinden, der Unparteilichkeit verpflichtet sind und Gewalt nur für Zwecke der Selbstverteidi- gung einsetzen dürfen. Häufig dienen sie der Absicherung eines Friedensvertrages oder Waffenstillstandsabkommens (vgl. Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 1401; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß, 2. Aufl., § 10 VStGB Rn. 6 ff.). Die Mission UNDOF weist diese Merkmale auf. Sie wurde nach dem Abschluss eines den Jom-Kippur-Krieg beendenden "Agreement on Disengagement" zwischen Israel und Syrien am 31. Mai 1974 aufgrund der Resolution 350 (1974) des UN-Sicherheitsrates errichtet. Ihre Aufgabe ist die Aufrechterhaltung des Waffenstillstands und die Überwachung der Umsetzung des zwischen Israel und Syrien geschlossenen Abkommens. Zwangsmaßnahmen sind nicht Teil des Mandats der UNDOF.
25
Der Zeuge C. war auch im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB an der friedenserhaltenden Mission UNDOF beteiligt. Der geschützte Personenkreis umfasst sowohl Angehörige von Streitkräften der an den friedenserhaltenden Missionen teilnehmenden Staaten als auch ziviles Hilfspersonal (MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, Rn. 10; BT-Drucks. 14/8524, S. 32). Der hauptamtlich als Rechtsberater für die Mission tätige C. gehörte dem zivilen Hilfspersonal der UNDOF an. Er war zum Zeitpunkt seiner Entführung sowie in der Folgezeit weder an Feindseligkeiten beteiligt noch handelte er außerhalb des Mandats der UNDOF, sodass er Anspruch auf den Schutz hatte, der Zivilpersonen nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird (vgl. dazu Werle aaO, Rn. 1405; BT-Drucks. 14/8524 aaO; Art. 13 Abs. 3 des II. Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte). Gleichermaßen war auch das von C. genutzte, im Eigentum der UN stehende Fahrzeug von dem Schutzbereich des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB umfasst.
26
Der Angeklagte hat sich an einem gegen C. gerichteten Angriff beteiligt. Der Begriff des Angriffs ist, angelehnt an Art. 9 des Übereinkommens über die Sicherheit von Personal der Vereinten Nationen und beigeordnetem Personal, weit auszulegen und erfasst jede Art der Gewaltanwendung unabhängig von der Art der dabei verwendeten Waffen; zu den typischen Angriffsformen gehören Nötigungen, Einschüchterungen, bewaffneter Raub, Entführungen , Geiselnahmen, Drangsalierungen, widerrechtliche Festnahmen und Inhaftierungen sowie Akte der Zerstörung und Plünderung des Eigentums humanitärer Missionen (vgl. Werle aaO, Rn. 1404; MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, Rn. 17 f.; BT-Drucks. 14/8524, S. 32). Hier ist C. unter Vorhalt von Schusswaffen zum Aussteigen aus dem Fahrzeug gezwungen, verschleppt und mehrere Monate lang in Gebäuden gefangen gehalten worden, die von bewaffneten Personen bewacht wurden. Dabei handelte es sich um ein gewaltsames Vorgehen, an dem sich der Angeklagte durch gelegentliche Bewachung von C. beteiligt hat. Der Angeklagte hat dadurch maßgeblich an der Fortdauer der Freiheitsentziehung von C. mitgewirkt.
27
Schließlich stand die Entführung von C. auch in einem funktionalen Zusammenhang mit dem zur Tatzeit auf dem Staatsgebiet der Arabischen Republik Syrien stattfindenden nichtinternationalen bewaffneten Konflikt. Ein derartiger Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen eines bewaffneten Konfliktes für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Entscheidung zur Tatbegehung, für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich "bei Gelegenheit" des bewaffneten Konflikts begangen werden (MüKoStGB/Zimmermann/Geiß aaO, § 10 VStGB Rn. 19 i.V.m. § 8 VStGB Rn. 119). Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (BT-Drucks.
14/8524, S. 25). Hier ist nach den derzeit vorliegenden Erkenntnissen davon auszugehen, dass der Angeklagte ebenso wie die anderen Entführer der Organisation Jabhat al-Nusra und damit einer der in den bewaffneten Konflikt verstrickten Konfliktparteien angehörte. Gerade der Umstand, dass sich C. in seiner Funktion als Rechtsberater der Vereinten Nationen bei der Mission UNDOF in der Gegend um Al. aufhielt, ermöglichte es der Gruppierung , sich seiner zu bemächtigen. Der Angeklagte verfügte zudem als Angehöriger der Gruppierung über die zur Bewachung von C. erforderlichen Waffen, und die Entführung sollte nach Lage der Dinge dazu dienen, Lösegeld zu erpressen, um damit den bewaffneten Kampf finanzieren und fortsetzen zu können.
28
2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Angeklagte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Insbesondere verfügt der Angeklagte in Deutschland über keine persönlichen und familiären Bindungen, die geeignet sind, den Fluchtanreiz zu relativieren. Nach den vorliegenden Erkenntnissen halten sich zwar sein Vater sowie zwei seiner Schwestern in Deutschland auf. Es ist aber nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte dadurch von einer Flucht abhalten ließe. Der Angeklagte geht keiner geregelten Arbeit nach, sondern ist den Ermittlungsergebnissen zufolge allenfalls stundenweise im Betrieb von N. tätig. Der Angeklagte verfügt zudem über Verbindungen ins Ausland, insbesondere nach Syrien sowie in die Türkei, wo sich den Ermittlungsergebnissen zufolge nach wie vor seine Mutter und eine seiner Schwestern aufhalten. Aus seinen Kontakten zu " Q. " und " F. " ergibt sich überdies, dass er Verbindungen zu der terroristischen Vereinigung Jabhat al-Nusra hat, bei der es sich jedenfalls zur Tatzeit um einen Ableger des Terrornetzwerks Al Qaida handelte. Schließlich steht der Angeklagte in Kontakt zu Schleppern, also Personen, die darauf spezialisiert sind, andere unter Umgehung von Kontrollmechanismen illegal über Ländergrenzen zu verbringen. So nutzte er seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge bereits für seine eigene Reise von Syrien nach Deutschland die Dienste von Schleppern, und die Auswertung verschiedener Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen hat ergeben, dass er sich der Hilfe von Schleppern auch bediente, um seinem Vater und zwei seiner Schwestern die Einreise in das Bundesgebiet zu ermöglichen.
29
In Anbetracht dessen ist zu erwarten, dass sich der Angeklagte, sollte er in Freiheit gelangen, dem weiteren Strafverfahren durch Flucht entziehen wird.
30
Der Haftzweck kann nur durch den Vollzug der Untersuchungshaft erreicht werden; weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO reichen nicht aus.
31
3. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen.
32
Im Zusammenhang mit der Festnahme des Angeklagten am 21. Januar 2016 wurden mehrere Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt und zahlreiche Beweismittel, zumeist Datenträger verschiedener Art, sichergestellt, deren Auswertung mehrere Monate in Anspruch nahm und erst im Mai 2015 abgeschlossen werden konnte. Zudem wurden nach der Festnahme des Angeklagten 14 weitere Zeugen vernommen. Die bereits unter dem 21. Juni 2016 fertiggestellte Anklageschrift ist am 27. Juni 2016 beim Oberlandesgericht Stuttgart eingegangen. Am 28. Juni 2017 hat der Vorsitzende des zuständigen 5. Strafsenats des Oberlandesgerichts die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten sowie dessen Verteidiger angeordnet und zugleich eine Erklärungsfrist gemäß § 201 Abs. 1 StPO bis zum 15. Juli 2016 verfügt. Das Oberlandesgericht hat sodann bereits mit Beschluss vom 18. Juli 2016 die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Schon im Vorfeld der Eröffnungsentscheidung wurden mit dem Verteidiger des Angeklagten vorsorglich Hauptverhandlungstermine ab dem 20. Oktober 2016 vereinbart; ein noch früherer Hauptverhandlungsbeginn im Oktober 2016 kam wegen einer Verhinderung des Verteidigers nicht in Betracht.
33
In Anbetracht dessen ist das Verfahren bislang mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden.
34
4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht schließlich auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Gericke Tiemann

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
einen Angriff gegen Personen, Einrichtungen, Material, Einheiten oder Fahrzeuge richtet, die an einer humanitären Hilfsmission oder an einer friedenserhaltenden Mission in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen beteiligt sind, solange sie Anspruch auf den Schutz haben, der Zivilpersonen oder zivilen Objekten nach dem humanitären Völkerrecht gewährt wird, oder
2.
einen Angriff gegen Personen, Gebäude, Material, Sanitätseinheiten oder Sanitätstransportmittel richtet, die in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht mit den Schutzzeichen der Genfer Abkommen gekennzeichnet sind,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. In minder schweren Fällen, insbesondere wenn der Angriff nicht mit militärischen Mitteln erfolgt, ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt die Schutzzeichen der Genfer Abkommen, die Parlamentärflagge oder die Flagge, die militärischen Abzeichen oder die Uniform des Feindes oder der Vereinten Nationen missbraucht und dadurch den Tod oder die schwere Verletzung eines Menschen (§ 226 des Strafgesetzbuches) verursacht, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

23
dd) Die Taten sind auch im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt begangen worden. Der insoweit erforderliche funktionale Zusammenhang ist gegeben, wenn das Vorliegen des bewaffneten Konflikts für die Fähigkeit des Täters, das Verbrechen zu begehen, für seine Einstellung zur Tatbegehung , für die Art und Weise der Begehung oder für den Zweck der Tat von wesentlicher Bedeutung war; die Tat darf nicht lediglich "bei Gelegenheit" des bewaffneten Konflikts begangen werden. Eine Tatausführung während laufender Kampfhandlungen oder eine besondere räumliche Nähe dazu sind hingegen nicht erforderlich (BGH, Beschluss vom 17. November 2016 - AK 54/16, juris Rn. 29).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 6 5 / 1 3
vom
6. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Mai 2014 gemäß
§§ 44, 46 Abs. 1, § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg vom 13. Februar 2013 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision macht der Angeklagte ein Verfahrenshindernis geltend und beanstandet die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Außerdem erstrebt er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge. Sämtliche Begehren bleiben ohne Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts übernahm der Angeklagte ab Mai 2007 als hauptamtlicher Kader die Aufgabe des Gebietsleiters der "Partiya Karkeren Kurdistan" ("Arbeiterpartei Kurdistans"; im Folgenden: PKK) bzw. deren Europaorganisation "Civaka Demokratik a Kurdistan" ("Kurdische Demokratische Gesellschaft"; im Folgenden: CDK) in Hamburg und von Juni 2007 bis April 2008 zusätzlich die neu eingerichtete Region Hamburg, der die Gebiete Hamburg, Kiel, Bremen und Oldenburg angehörten. Er kontrollierte und koordinierte die Aktivitäten der PKK in diesen Gebieten, indem er etwa Konflikte entschied, die Disziplinargewalt ausübte und die finanziellen Angelegenheiten sowie die Organisation von Demonstrationen, Veranstaltungen und Kadertreffen überwachte. Außerdem fungierte er als Bindeglied zu dem damaligen Deutschlandverantwortlichen der PKK. Im April 2008 begab sich der Angeklagte in den Nordirak und schloss sich dort der PKK-Guerilla in den Bergen des türkisch-irakischen Grenzgebietes an. Im September 2008 kehrte er nach Europa zurück.
3
1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung der Rüge der Verletzung des § 261 StPO durch Verwertung der Erkenntnisse aus der am 12. Oktober 2011 durchgeführten Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten ist unzulässig.
4
Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist nicht versäumt, da das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge und mehreren - in zulässiger Weise geltend gemachten - Verfahrensrügen begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 - 1 StR 5/51, BGHSt 1, 44, 46 f.; vom 3. September 1987 - 1 StR 386/87, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; vom 1. November 1988 - 5 StR 488/88, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3). Auch die in Rede stehende Rüge ist nicht verspätet, sondern allein in unvoll- ständiger Weise erhoben worden. Es widerspricht der Systematik des Revisionsverfahrens , in derartigen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur ergänzenden Begründung der Revisionsrüge zuzulassen, nachdem der Revisionsführer durch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft von der Formwidrigkeit seiner Verfahrensrüge erfahren hat. Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. September 1993 - 5 StR 162/93, BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.), liegt nicht vor.
5
2. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht; die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung liegt vor.
6
Das Bundesministerium der Justiz hat unter dem 6. September 2011 die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung bereits begangener und künftiger Taten mit Deutschlandbezug der Europaführung, des Deutschlandverantwortlichen und der jeweiligen Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden Sektoren bzw. Regionen und Gebiete der PKK und CDK erteilt. Mit Schreiben vom 29. April 2013 hat es mitgeteilt, dass diese Ermächtigung nicht zurückgenommen werde. Zudem hat es unter dem 4. Mai 2012 eine Verfolgungsermächtigung für Taten des Angeklagten im Zusammenhang mit dessen Tätigkeit für die PKK und CDK erteilt. Diese Ermächtigungen genügen den an sie zu stellenden Anforderungen.
7
Bezüglich der formellen Einwände der Revision wird auf die Darlegungen in dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 27. September 2012 und der Antragsschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
8
In der Sache bedarf es hier keiner Entscheidung, ob die Ermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB inhaltlich jeder gerichtlichen Kontrolle entzogen (vgl. BT-Drucks. 14/8893 S. 9; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129b Rn. 30; NK-StGB/Ostendorf, 4. Aufl., § 129b Rn. 12; Altvater, NStZ 2003, 179, 182; Stein, GA 2005, 433, 457 f.; Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland, 2007, S. 311) oder - ähnlich wie dies für einen von einer hoheitlich handelnden Behörde gestellten Strafantrag vertreten wird (vgl. SKStGB /Rudolphi/Wolter, 39. Lfg., § 77 Rn. 20; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 77 Rn. 17) - jedenfalls in begrenztem Maße auf Willkür überprüfbar ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 8. Mai 2007 - 6 St 1/07, NJW 2007, 2786, 2789; offen gelassen in MK/Schäfer, 2. Aufl., § 129b Rn. 26). Anhaltspunkte, die für eine willkürlich erteilte Verfolgungsermächtigung sprechen könnten, sind nicht zu erkennen. Die Ermächtigung vom 6. September 2011 ist allgemein bis zur Ebene der Gebietsverantwortlichen erteilt. Sie erfasst somit alle für die PKK in herausgehobener Funktion Tätigen, ohne in sachwidriger Weise zwischen einzelnen Mitgliedern zu differenzieren. Hinweise darauf, dass das Bundesministerium die Ermächtigung aus sonstigen Gesichtspunkten in willkürlicher Weise erteilt hat, sind nicht ersichtlich.
9
3. Die Verfahrensrügen dringen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegten Gründen nicht durch.
10
4. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht ergeben. Der ergänzenden Erörterung über die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts hinaus bedürfen lediglich die folgenden Gesichtspunkte :
11
a) Die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts ist nach dem im Revisionsrecht geltenden begrenzten Prüfungsmaßstab (BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326) rechtsfehlerfrei. Dies gilt insbesondere auch, soweit das Oberlandesgericht sich davon überzeugt hat, dass die Führung der PKK spätestens ab August 2004 die terroristischen Aktivitäten der Vereinigung gegen zivile Objekte und Personen durch den Deckmantel der vermeintlich eigenständig agierenden "TAK" (Teyrebazen Azadiya Kurdistan = Freiheitsfalken Kurdistan) zu verschleiern suchte und die in der Folgezeit verübten Anschläge, zu denen sich "TAK" bekannte, daher tatsächlich der PKK zuzurechnen sind.
12
b) Für die Straftaten, auf die die Tätigkeit der PKK gerichtet ist, besteht kein Rechtfertigungsgrund.
13
Dies betrifft ohne Weiteres diejenigen Attentate, die unter dem Deckmantel der "TAK" gegen zivile Objekte und Personen durchgeführt wurden. Auch diejenigen Anschläge, die durch die Unterorganisation HPG (Hezen Parastina Gel = Volksverteidigungskräfte) vor allem im Osten der Republik Türkei auf militärische, paramilitärische oder polizeiliche Einrichtungen verübt wurden , sind weder nach nationalem Recht noch gemäß den Regeln des Völkerrechts gerechtfertigt. Dies entspricht der langjährigen, ständigen Rechtsprechung der mit Staatsschutzstrafsachen befassten Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 - AK 1 und 2/12, BGHR StGB § 129b Vereinigung 2; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28, 29 ff.). Das Revisionsvorbringen bietet keinen Anlass, hiervon abzugehen; auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 2 GG ist nicht angezeigt. Das Oberlandesgericht hat in diesem Zusammenhang zu den von der Verteidigung aufgeworfenen völkerrechtlichen Fragestellungen sowohl in den schriftlichen Urteilsgründen als auch in seinem ausführlich begründeten Hinweisbeschluss vom 28. November 2012 zutreffend dargelegt, dass die der PKK zuzurechnenden Straftaten weder durch Völkervertrags- noch durch Völkergewohnheitsrecht gerechtfertigt sind. Der Senat schließt sich den dortigen Ausführungen einschließlich der umfangreichen Nachweise aus dem völkerrechtlichen Schrifttum vollumfänglich an und bemerkt auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen lediglich zusammenfassend bzw. ergänzend:
14
aa) Art. 43 i.V.m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 8. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551; im Folgenden: ZP I) kommt als Rechtfertigungsgrund nicht in Betracht; denn sowohl die formellen als auch die materiellen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit dieser Vorschriften sind nicht erfüllt.
15
Art. 43 ZP I statuiert das sog. Kombattantenprivileg, mithin das Recht der Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei, unmittelbar an Feindseligkeiten teilzunehmen. Dieses Recht umfasst auch die Tötung von militärischen Gegnern. Es steht allerdings grundsätzlich nur Kämpfern in internationalen Konflikten zu. In diese bezieht Art. 1 Abs. 4 ZP I indes solche bewaffnete Konflikte ein, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen, wie es in der Charta der Vereinten Nationen und in der Erklärung über Grundsätze des Völkerrechts betreffend freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt ist.
16
(1) Formelle Voraussetzung für die Anwendbarkeit des ZP I als Teil des Völkervertragsrechts wäre, dass sowohl die Republik Türkei als auch die PKK dem Zusatzprotokoll rechtswirksam beigetreten sind. Dies ist jedoch bereits deshalb nicht der Fall, weil die Republik Türkei bis heute eine entsprechende Beitrittserklärung nicht abgegeben hat. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob die PKK überhaupt als "Organ, das ein Volk vertritt" im Sinne des Art. 96 Abs. 3 ZP I angesehen werden kann und sich ihrerseits gemäß dieser Vorschrift durch eine an den Verwahrer gerichtete Erklärung verpflichtet hat, die Genfer Abkommen und das ZP I in Bezug auf den Konflikt mit der Türkischen Republik anzuwenden.
17
(2) Entgegen der Auffassung der Revision ist das ZP I im Rahmen der Anwendung deutschen (Straf-)Rechts auch nicht deshalb anwendbar, weil die Bundesrepublik Deutschland diesem Abkommen beigetreten ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Partei in dem Konflikt zwischen der Republik Türkei und der PKK. Ihr Beitritt zu dem ZP I kann deshalb für diese keine Rechtsfolgen bezüglich der Rechtfertigung von im Rahmen des Konflikts begangenen Straftaten bis hin zu Tötungshandlungen auslösen. Die völkervertragsrechtliche Regelung der Art. 43, Art. 1 Abs. 4 ZP I erlangt vielmehr nur Geltung, wenn die am Konflikt Beteiligten selbst Vertragspartner sind; durch die Ratifizierung des Abkommens durch einen unbeteiligten Staat können diesen keine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag auferlegt werden.
18
(3) Hinsichtlich der materiellen Anforderungen des Art. 1 Abs. 4 ZP I kann dahinstehen, ob auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen die Voraussetzungen "bewaffneter Konflikt" und "Volk" erfüllt sind (vgl. hierzu GBA, Verfügung vom 20. Juni 2013 - 3 BJs 7/12-4, NStZ 2013, 644, 645). Der türkisch-kurdische Konflikt stellt jedenfalls keinen Kampf der PKK gegen Kolonialherrschaft, fremde Besetzung oder ein rassistisches Regime dar.
19
Die Republik Türkei hat die überwiegend von Kurden bevölkerten Provinzen nicht zum Zwecke der wirtschaftlichen Ausbeutung oder aus anderen Gründen besetzt. Die Zugehörigkeit eines Teils der kurdischen Gebiete zur Republik Türkei ist letztlich ein Ergebnis des 1. Weltkrieges und des damit verbundenen Zusammenbruches des Osmanischen Reiches, nach dem die türkischen Staatsgrenzen neu bestimmt wurden. Die Auffassung der Revision, die Fremdheit türkischer Besetzung liege darin, dass die Entwicklung zu einem kurdischen Staat nach dem ersten Weltkrieg insbesondere durch den Vertrag von Sèvres vom 10. August 1920, in dem den Kurden unter den dort näher geregelten Voraussetzungen ein Recht auf Selbstbestimmung zugebilligt wurde, nur unterbrochen worden sei, geht fehl. Der Vertrag von Sèvres wurde bereits durch den Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 wieder aufgehoben. Die auf türkischem Hoheitsgebiet liegenden kurdischen Provinzen sind deshalb völkerrechtlich als Teil der Republik Türkei anzusehen; eine "fremde" Besetzung scheidet somit aus.
20
Die Republik Türkei ist schließlich kein rassistisches Regime im Sinne des Art. 1 Abs. 4 ZP I. Dieses Tatbestandsmerkmal ist eng auszulegen; nach der Entstehungsgeschichte des ZP I sollte es insbesondere das früher in Südafrika bestehende Apartheitsregime erfassen. Das Oberlandesgericht hat zwar festgestellt, dass die kurdische Bevölkerungsgruppe und ihre Repräsentanten in der Republik Türkei verschiedenen Repressionen ausgesetzt waren, was u.a. in mehreren Fällen zur Verurteilung der Republik Türkei durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führte. Die Voraussetzungen eines rassistischen Regimes im hier relevanten Sinne sind aber nicht schon dann gege- ben, wenn einzelne Bevölkerungsteile diskriminiert werden. Erforderlich ist vielmehr, dass diese vom politischen Prozess vollständig ausgeschlossen werden. Derart weitgehende Maßnahmen seitens der Republik Türkei sind nicht festgestellt.
21
bb) Die der PKK zuzurechnenden Straftaten sind auch nicht nach den Maßgaben des Völkergewohnheitsrechts gerechtfertigt.
22
Die Entstehung eines universell geltenden Völkerrechtssatzes setzt grundsätzlich eine in der Staatengemeinschaft hinreichend verfestigte Praxis und eine entsprechende Rechtsüberzeugung voraus. Zu den in Art. 1 Abs. 4 ZP I niedergelegten Grundsätzen hat sich bisher keine einhellige Staatenpraxis entwickelt. Es fehlt - auch mit Blick auf das von der Verteidigung angeführte Recht auf Selbstbestimmung nach Art. 1 Nr. 2 der UN-Charta (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65 - NJW 1966, 310) - an einer von einer ausreichend einhelligen Rechtsüberzeugung getragenen Praxis für ein ius ad bellum etwa nationaler Befreiungsbewegungen; ein kollektives Recht auf bewaffneten Widerstand zugunsten einer Bevölkerungsgruppe gegen die Regierung des eigenen Landes hat sich bisher im Völkergewohnheitsrecht nicht herausgebildet (zur nicht gegebenen Rechtfertigung vorsätzlicher Tötungen wegen menschenrechtswidriger Versagung der Ausreisefreiheit vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2000 - 5 StR 629/99, NJW 2000, 3079; BVerfG, Beschluss vom 30. November 2000 - 2 BvR 1473/00, NStZ 2001, 187; zu den neueren Entwicklungen des Völkerrechts in einem Bürgerkrieg vgl. Kreß, JZ 2014, 365). Im Übrigen besteht im hier konkret zu beurteilenden Fall gerade keine Überzeugung der Staatengemeinschaft dahin, der bewaffnete Kampf der PKK und ihrer Unterorganisationen und die damit verbundene Begehung von Straftaten sei gerechtfertigt. Die PKK wird vielmehr international weitgehend als terroristische Organisation eingeordnet (vgl. etwa aus dem Bereich der Europäischen Union in neuerer Zeit Beschluss 2014/72/GASP des Rates vom 10. Februar 2014 zur Aktualisierung und Änderung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften , für die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gelten, und zur Aufhebung des Beschlusses 2013/395/GASP, Anhang Ziffer 2.16. und 25., ABl. L 40/56; vgl. auch die Nachweise in BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10, BGHSt 56, 28,

39).


Becker RiBGH Hubert befindet sich Schäfer im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
20
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
22
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
23
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
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aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
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(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
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Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
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(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
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Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
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(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
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bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
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(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
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(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
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(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
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cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
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dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
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Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
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(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
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(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
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Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
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Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
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Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
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Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
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Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
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bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
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dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
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4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
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5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
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Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 49/16
vom
20. September 2016
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Beihilfe zum Mord durch Dienst im Konzentrationslager Auschwitz
BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16 - LG Lüneburg
in der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:200916B3STR49.16.0


wegen Beihilfe zum Mord
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. September 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision desAngeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den nicht revidierenden Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der Angeklagte hatte sich im Oktober 1940 als "überzeugter Nationalsozialist" freiwillig zur SS gemeldet, um dieser aus seiner damaligen Sicht "ruhmreichen Elite-Kaste" anzugehören. Da er nicht den an der Front kämpfenden Truppen der SS zugewiesen werden wollte, war er seinem Wunsch entspre- chend zunächst in verschiedenen Besoldungsstellen der SS als "Zahlmeister" eingesetzt worden. Im September 1942 wurde er schließlich im Rang eines "SS-Sturmmannes" zum Konzentrationslager Auschwitz versetzt, um dort bei der Realisierung der "Aktion Reinhard" mitzuwirken.
4
Diese nach dem Leiter des "Reichssicherheitshauptamtes" Reinhard Heydrich benannte Aktion war Teil der Umsetzung der spätestens Anfang 1942 von den nationalsozialistischen Machthabern beschlossenen "Endlösung der Judenfrage" durch systematische Tötung aller europäischen Juden im deutschen Einflussbereich und richtete sich gegen die jüdische Bevölkerung im besetzten Polen sowie der Ukraine. Die dort lebenden Juden sollten ausnahmslos deportiert und in den von der SS geleiteten sowie betriebenen Konzentrationsund Vernichtungslagern getötet werden, entweder unmittelbar nach ihrer Deportation oder im Wege der "Vernichtung durch Arbeit". Diesem Zweck dienten insbesondere die in Belzec, Treblinka und Sobibor errichteten Vernichtungslager sowie das Konzentrationslager Auschwitz.
5
Das Konzentrationslager Auschwitz war zunächst in einem Komplex ehemaliger Kasernengebäude errichtet worden (sog. Stammlager bzw. "Auschwitz I"). Das "Stammlager" bestand aus dem sog. Schutzhaftlager sowie Verwaltungsgebäuden, in denen unter anderem die sog. Häftlingseigentumsverwaltung und - als deren Unterabteilung - die "Häftlingsgeldverwaltung" ihren Sitz hatten. Es war bereits ab Oktober 1941 durch einen weitaus größeren Lagerkomplex in dem etwa drei Kilometer entfernten Dorf Birkenau erweitert worden ("Auschwitz II"). Im Rahmen der "Aktion Reinhard" wurde um die Jahreswende 1942/43 das Lager Auschwitz-Birkenau endgültig zum Vernichtungslager umfunktioniert, indem neben den anfangs in zwei ehemaligen Bauernhäusern provisorisch eingerichteten Gaskammern vier große Gaskammern mit an- geschlossenen Krematorien gebaut wurden, die im Laufe des Jahres 1943 in Betrieb genommen wurden, sodass schließlich pro Tag bis zu 5.000 Menschen getötet und verbrannt werden konnten.
6
Anfang März 1944 begann die SS damit, nach dem Vorbild der "Aktion Reinhard" die Vernichtung der in Ungarn lebenden jüdischen Bevölkerung (sog. Ungarn-Aktion) einzuleiten. Nachdem eine als "Kommando Eichmann" bezeichnete Gruppe von SS-Angehörigen bereits am 10. März 1944 speziell für die Vorbereitung dieses Vorhabens nach Ungarn gereist war, wurden die dort lebenden Juden nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen am 19. März 1944 in Ghettos zusammengetrieben und schließlich in der Zeit vom 16. Mai bis zum 11. Juli 1944 mit Zügen nach Auschwitz deportiert, um dort in gleicher Weise systematisch getötet zu werden wie die zuvor von der "Aktion Reinhard" betroffenen Juden.
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In Auschwitz-Birkenau hatte die SS die "Ungarn-Aktion" dadurch vorbereitet , dass ein neues Bahnanschlussgleis verlegt worden war, das im Gegensatz zu dem früher genutzten (sog. alte Rampe) innerhalb des Lagers endete und sich dort in drei Gleise auffächerte (sog. neue Rampe). Infolgedessen konnten die Züge mit den Deportierten nur wenige hundert Meter von den Gaskammern entfernt "entladen" werden. Im Übrigen entsprachen die Abläufe im Rahmen der "Ungarn-Aktion" denjenigen bei der "Aktion Reinhard":
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Die für die "Abwicklung" eines Transports eingeteilten Lagerangehörigen trieben die Deportierten aus den Waggons heraus und wiesen sie an, ihr Gepäck auf der Rampe stehen zu lassen. Um ihre Arglosigkeit aufrechtzuerhalten, teilten sie ihnen wahrheitswidrig mit, dass ihnen das Gepäck nachgebracht werde. Sodann trennte man die Deportierten nach Geschlechtern und trieb sie einem SS-Lagerarzt zu, der die sog. Selektion vornahm, indem er nach dem äußeren Eindruck und kurzer Befragung (insbesondere zu Alter und Beruf) darüber entschied, wer als "arbeitsfähig" oder "nicht arbeitsfähig" anzusehen sei. Die "Arbeitsfähigen" wurden in das Lager eingewiesen und anschließend zur Zwangsarbeit eingesetzt, um auf diese Weise der "Vernichtung durch Arbeit" zugeführt zu werden, alle anderen - durchschnittlich jeweils etwa 80 bis 90 Prozent - wurden direkt zu den Gaskammern geleitet. SS-Angehörige erklärten ihnen wahrheitswidrig, dass es "zum Duschen" gehe. Unmittelbar vor den Gaskammern befand sich ein Raum, der wie ein Umkleideraum gestaltet war. Dort wiesen die SS-Angehörigen die Deportierten an, sich vollständig zu entkleiden. Sie forderten diese - wiederum in der Absicht, ihre Arglosigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten - auf, sich die Stelle, an der sie ihre Kleidung abgelegt hatten, genau zu merken, damit sie ihre Sachen "nach dem Duschen" wiederfänden. Anschließend trieben sie sie in die Gaskammern, wo sie mittels des Schädlingsbekämpfungsmittels "Zyklon B" (Cyanwasserstoff, "Blausäure") qualvoll getötet wurden.
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Im Verlauf der "Ungarn-Aktion" kamen 141 Züge mit rund 430.000 aus Ungarn deportierten Menschen in Auschwitz an. Weil die zur sofortigen Tötung bestimmten Opfer dort nicht registriert wurden, konnte das Landgericht deren genaue Zahl nicht feststellen; zugunsten des Angeklagten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass zumindest 300.000 der Deportierten sofort getötet wurden.
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Das auf der Rampe zurückgelassene Gepäck der Deportierten entfernten sogenannte "Funktionshäftlinge" jeweils vor dem Eintreffen des nächsten Transportzuges und durchsuchten es nach Geld sowie Wertgegenständen. Beides brachten sie zwecks weiterer Verwertung zur "Häftlingseigentumsverwaltung".
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Dem Angeklagten war nach seiner Versetzung zum Konzentrationslager Auschwitz eine Stelle in der "Häftlingsgeldverwaltung" zugewiesen worden. Er war zwischenzeitlich zum "SS-Unterscharführer" befördert worden und in die "Ungarn-Aktion" in gleicher Weise eingebunden wie in die "Aktion Reinhard". So versah er während der "Ungarn-Aktion" an mindestens drei nicht mehr näher feststellbaren Tagen - uniformiert und mit einer Pistole bewaffnet - den sog. Rampendienst an der "neuen Rampe". Dabei hatte er in erster Linie die Aufgabe , während der Entladung der in Auschwitz ankommenden Züge das auf der Rampe abgestellte Gepäck zu bewachen und Diebstähle zu verhindern. Diebstähle von SS-Angehörigen waren in Auschwitz zwar an der Tagesordnung, und die Taten wurden zumeist auch nicht verfolgt, weil den Tätern ein Teil der "Beute" stillschweigend zugestanden wurde, um die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten. An der Rampe sollte jedoch unbedingt verhindert werden, dass das Gepäck - vor den Augen der Deportierten - geöffnet, durchsucht und geplündert wurde, um deren für den weiteren Ablauf der Selektion und Vergasung für unerlässlich gehaltene Arglosigkeit nicht zu gefährden und Unruhe zu verhindern. Zugleich war der Angeklagte bei der Ausübung seiner "Rampendienste" auch Teil der Drohkulisse, die jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim ersticken sollte.
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Neben den "Rampendiensten" hatte der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit in der "Häftlingsgeldverwaltung" die Aufgabe, das Geld der Deportierten nach Währungen zu sortieren, zu verbuchen, zu verwalten und nach Berlin zu transportieren. Dort lieferte er es in unregelmäßigen Abständen entweder bei dem "SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt" ab oder zahlte es unmittelbar auf ein Konto der SS bei der Reichsbank ein. Überdies oblag es dem Angeklagten während seiner Diensttätigkeit jederzeit, die Deportierten zu überwachen und Widerstand oder Fluchtversuche nötigenfalls mit Waffengewalt zu unterbinden.
13
Dem Angeklagten waren die Abläufe im Konzentrationslager Auschwitz schon seit seiner Beteiligung an der "Aktion Reinhard" in allen Einzelheiten bekannt. Er wusste insbesondere, dass die nach Auschwitz deportierten Juden dort massenweise unter bewusster Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit qualvoll getötet wurden. Ihm war ebenfalls bewusst, dass er die in Auschwitz betriebene Tötungsmaschinerie durch seine Tätigkeiten unterstützte. Er nahm dies indes zumindest billigend in Kauf, um nicht zu den kämpfenden SSEinheiten an die Front versetzt zu werden.
14
II. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
15
III. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
16
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen (§§ 211, 27 StGB). Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Konzentrationslager Auschwitz während der "Ungarn-Aktion" mindestens 300.000 Menschen heimtückisch und grausam getötet wurden. Die Annahme der Strafkammer , wonach der Angeklagte zu allen diesen Taten Hilfe geleistet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
17
1. Die rechtliche Bewertung der Handlungen des Angeklagten bemisst sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Danach gilt: Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist - bei Erfolgsdelikten - grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410 mwN). Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115; vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 389, jeweils mwN), selbst zu einem Zeitpunkt, in dem der Haupttäter zur Tatbegehung noch nicht entschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345 f.; Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11, NStZ 2012, 264); sie ist auch noch nach Vollendung der Tat bis zu deren Beendigung möglich (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1952 - 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40, 43 f.; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 StR 424/15, juris Rn. 13, jeweils mwN). Sie kommt auch in der Form sog. psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn dem Haupttäter Unterstützung bei der späteren Tatausführung oder der Verwertung der Tatbeute zugesagt wird (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2002 - 4 StR 208/02, NStZ 2003, 32, 33; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637).
18
Wird die Tat aus einem Personenzusammenschluss - etwa einer Bande oder einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung - heraus begangen, so kann sie dem einzelnen Banden- oder Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede oder seiner Zugehörigkeit zu der Vereinigung als eigene zugerechnet werden; es ist vielmehr hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, ob sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) beteiligt bzw. gegebenenfalls insoweit überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat (st. Rspr.; vgl. etwa zur Bande: BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 24. Juli 2008 - 3 StR 243/08, StV 2008, 575; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637; zur Vereinigung: BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447 f.; vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256, 257).
19
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die strafrechtliche Bewertung von Handlungen in Rede steht, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen vorgenommen werden. Bei ihrer Anwendung dürfen jedoch die Besonderheiten nicht außer Betracht bleiben, die sich bei derartigen Delikten in tatsächlicher Hinsicht ergeben. Diese bestehen bei einer Tatserie wie dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland darin, dass an jeder einzelnen bei dessen Verwirklichung begangenen Mordtat einerseits eine Vielzahl von Personen allein in politisch, verwaltungstechnisch oder militärischhierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt war, andererseits aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mitwirkte. Bei der rechtlichen Bewertung von Handlungen eines - wie hier - auf unterer Hierarchieebene und ohne eigene Tatherrschaft in die organisatorische Abwicklung des massenhaften Tötungsgeschehens eingebundenen Beteiligten muss daher in den Blick genommen werden, dass zu jeder einzelnen Mordtat Mittäter auf mehreren Ebenen in unterschiedlichsten Funktionen sowie mit verschiedensten Tathandlungen zusammenwirkten und daher zu prüfen ist, ob die Handlungen des allenfalls als Tatgehilfe in Betracht kommenden Beteiligten die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord täterschaftlich Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.
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2. Daran gemessen hat das Landgericht die Tätigkeiten des Angeklagten im Konzentrationslager Auschwitz rechtsfehlerfrei als Beihilfe zu den dort im Rahmen der "Ungarn-Aktion" begangenen Morden gewertet, bei denen die Opfer unmittelbar nach Ankunft und "Selektion" in den Gaskammern getötet wurden.
21
a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Opfer, bei deren Ankunft in Auschwitz-Birkenau der Angeklagte Rampendienste leistete. Insoweit bedarf es keiner näheren Erörterung, dass der Angeklagte den SS-Angehörigen, die durch die Selektion an der Rampe und die Ausführung der unmittelbaren Tötungshandlungen durch Einwerfen des "Zyklon B" in die Gaskammern täterschaftliche Mordtaten verübten, in ihrem Tun im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB Hilfe leistete, indem er einerseits durch die Bewachung des Gepäcks dazu beitrug , die Arglosigkeit der Angekommenen aufrechtzuerhalten, und andererseits als Teil der Drohkulisse dabei mitwirkte, jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim zu ersticken.
22
b) Aber auch bezüglich der Opfer, bei deren Eintreffen er keinen Rampendienst versah, hat sich der Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht. Zwar ist insoweit nicht festgestellt, dass die an der "Selektion" beteiligten "Ärzte" oder die die Tötungen eigenhändig ausführenden SS-Männer in ihrem unmittelbaren Tun durch die allgemeine Dienstausübung des abwesenden Angeklagten physisch oder psychisch unterstützt worden wären. Indes hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend darauf abgehoben, dass der Angeklagte durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz bereits den Füh- rungspersonen in Staat und SS Hilfe leistete, die im Frühjahr 1944 die "UngarnAktion" anordneten und in der Folge in leitender Funktion umsetzten bzw. umsetzen ließen (zur mittelbaren Täterschaft im Rahmen staatlicher Machtapparate vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218; vom 4. März 1996 - 5 StR 494/95, BGHSt 42, 65; vom 8. November 1999 - 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270). Dies ergibt sich aus Folgendem:
23
Voraussetzung für die Anordnung und rasche Durchführung der Ermordung der aus Ungarn zu deportierenden Juden war das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates, der auf der Basis seiner materiellen und personellen Ausstattung durch verwaltungstechnisch eingespielte Abläufe und quasi industriell ablaufende Mechanismen in der Lage war, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Mordtaten umzusetzen. Zu diesem Tötungsapparat zählte das Konzentrationslager Auschwitz, insbesondere das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, mit dem dort für diese Zwecke diensttuenden Personal. Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte "industrielle Tötungsmaschinerie" mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber und die führenden SS-Funktionäre überhaupt in der Lage, die "Ungarn-Aktion" anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen. Ihr Tatentschluss und ihre Anordnungen zur Umsetzung der Aktion waren daher wesentlich durch diese Voraussetzungen bedingt und wurden hierdurch maßgeblich gefördert.
24
An dieser Tatförderung hatte der Angeklagte Anteil. Er war Teil des personellen Apparats, der schon zum Zeitpunkt des Befehls zur "Ungarn-Aktion" in Auschwitz Dienst tat. Er war in die Organisation der Massentötungen eingebunden , indem er nach Dienstplan Aufgaben beim Eintreffen der Opfer an der Rampe wahrnahm und es ihm unabhängig hiervon durchgehend oblag, die De- portierten zu überwachen sowie Widerstand oder Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern. Letztlich war er darüber hinaus in die Verwertung der Vermögenswerte der Opfer eingebunden, durch die - sei es auch erst nach Beendigung der jeweiligen Mordtat - die SS aus den massenhaften Verbrechen noch Profit zog. Dass diese Funktionen im Konzentrationslager Auschwitz von dort tätigen Angehörigen der SS ausgefüllt wurden, war den Verantwortlichen bei Anordnung der "Ungarn-Aktion" bekannt und war für ihren Tatentschluss sowie ihre entsprechenden Anordnungen und Befehle von grundlegender Bedeutung. Dass sie dabei den Angeklagten nicht persönlich kannten, ist rechtlich ohne Belang. Es genügt ihr Wissen, dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen besetzt waren und dies eine reibungslose Umsetzung der "Ungarn-Aktion" garantierte.
25
All dies war nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch dem Angeklagten bewusst und wurde von ihm zumindest billigend in Kauf genommen. Er war schon kurz nach seinem Dienstantritt in Auschwitz über das dortige Geschehen in vollem Umfang informiert. Er fügte sich dennoch in seinem Bestreben, nicht an die Front versetzt zu werden, in die Organisation des Lagers ein und führte alle ihm erteilten Befehle aus. Daher war ihm klar, dass er durch seine Dienstausübung im Zusammenwirken mit anderen die Voraussetzungen dafür schuf, dass die Verantwortlichen in Staat und SS jederzeit eine in Auschwitz zu exekutierende Vernichtungsaktion beschließen und anordnen konnten, weil auf die dortige Umsetzung ihrer verbrecherischen Befehle Verlass war. Mehr ist für die Annahme eines Gehilfenbeitrags zu allen dem Angeklagten im angefochtenen Urteil zugerechneten Mordtaten aus der "Ungarn-Aktion" in subjektiver Hinsicht nicht erforderlich.
26
3. Die unter 2. b) dargelegte Rechtsauffassung des Senats steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs.
27
Allerdings hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (2 StR 280/67; abgedruckt bei Rüter/de Mildt, Justiz und NS-Verbrechen, Nr. 595b, Bd. XXI, S. 838 ff.; teilweise auch in NJW 1969, 2056) in anderem rechtlichen Zusammenhang (konkurrenzrechtliche Beurteilung von massenhaften Tötungen in durch große Zeiträume getrennten, wesentlich voneinander unterschiedenen und auf unterschiedlichsten Beweggründen beruhenden Tatkomplexen) ausgeführt, dass sich nicht "jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz eingegliedert" gewesen und dort "irgendwie anlässlich dieses Programms tätig" geworden sei, "objektiv an den Morden beteiligt" habe "und für alles Geschehene verantwortlich" sei (Unterstreichungen im Original). Denn dann wäre auch der Arzt, der zur Betreuung der Wachmannschaft bestellt war und sich streng auf diese Aufgabe beschränkt hat, der Beihilfe zum Mord schuldig. Das gälte sogar für den Arzt, der im Lager Häftlingskranke behandelt und sie gerettet hat. Nicht einmal wer an seiner Stelle dem Mordprogramm kleinere Hindernisse, wenn auch in untergeordneter Weise und ohne Erfolg, bereitet hätte, wäre straffrei (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056 f.).
28
Dem ist hier indes nicht näher nachzugehen; denn der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich deutlich von den vom 2. Strafsenat beispielhaft dargestellten Fallgestaltungen. Dem Angeklagten wird nicht "alles" zugerechnet, was in Auschwitz geschah; vielmehr geht es um die Frage, ob und wie der Angeklagte für die im Rahmen des fest umgrenzten Komplexes der "Ungarn-Aktion" durchgeführten Mordtaten strafrechtlich verantwortlich ist. Auch wurde der Angeklagte nicht "irgendwie anlässlich des Vernichtungspro- gramms" tätig, sondern es sind konkrete Handlungsweisen des Angeklagten mit unmittelbarem Bezug zu dem organisierten Tötungsgeschehen in Auschwitz schon im Vorfeld, aber auch im Verlauf der "Ungarn-Aktion" festgestellt; diese sind rechtlich zu bewerten. Für derartige Sachverhalte sieht sich der Senat vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 2. Strafsenats (s. etwa Urteile vom 22. März 1967 - 2 StR 279/66, JZ 1967, 643 f.; vom 27. Oktober 1969 - 2 StR 636/68, juris Rn. 9 und 51 [insoweit in BGHSt 23, 123 nicht abgedruckt]), die dieser auch in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056, 2057) nicht aufzugeben beabsichtigte.
29
4. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Unterstützungshandlungen des Angeklagten als eine einheitliche Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 52 StGB) zutreffend ist. Denn dass das Landgericht die Rampendienste des Angeklagten nicht als je tatmehrheitliche Beihilfehandlungen zum vielfachen Mord an den Opfern aus den entsprechenden Transporten bewertet hat, beschwert den Angeklagten hier jedenfalls nicht.
30
IV. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen der Nebenkläger B. , O. , Le. , Ko. , L. , W. , K. , S. , R. und Lef. im Revisionsverfahren findet wegen der gleichfalls erfolglosen Revisionen dieser Nebenkläger nicht statt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
Becker Schäfer Spaniol
Tiemann Berg

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 18/17
vom
14. Dezember 2017
in dem Strafverfahren
gegen
1.
2.
wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2017:141217BSTB18.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Angeschuldigten sowie ihrer Verteidiger am 14. Dezember 2017 gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 2 StPO beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft München gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Juli 2017 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse

Gründe:


1
Die Generalstaatsanwaltschaft München hat den beiden Angeschuldigten mit der zum Oberlandesgericht München erhobenen Anklage vorgeworfen, gemeinschaftlich handelnd die außereuropäische terroristische Vereinigung "Junud al-Sham" unterstützt zu haben, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 bis 3, § 25 Abs. 2 StGB. Das Oberlandesgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen abgelehnt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Generalstaatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde. Das Rechtsmittel ist unbegründet.

I.


2
1. Mit der Anklageschrift ist den Angeschuldigten folgende Tat zur Last gelegt worden:
3
Der rechtskräftig verurteilte P. hielt sich von Anfang Oktober 2013 bis Anfang März 2014 - unterbrochen durch einen kurzen Aufenthalt in der Türkei von Mitte November bis Anfang Dezember 2013 - in Syrien auf und beteiligte sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung Junud al-Sham. Spätestens ab dem 12. Dezember 2013 war er dort im sogenannten "Deutschen Haus" einquartiert, wo er an einem paramilitärischen Training teilnahm, um sich zum Kämpfer für die Organisation ausbilden zu lassen. Er erhielt eine Kalaschnikow sowie eine Schrotflinte und eine Handgranate. Außerdem leistete er regelmäßig Wachdienste.
4
Nachdem sich die Angeschuldigte S. am 17. November 2013 mit P. telefonisch über eine von ihr und der Angeschuldigten O. für ihn durchzuführenden "Spendensammlung" unterhalten hatte, beschaffte die Angeschuldigte S. in der Folgezeit einen Bargeldbetrag in Höhe von 275 €, den sie Ende Dezember 2013 der Angeschuldigten O. zur Weitergabe an P. überreichte. Diese reiste am 1. Januar 2014 mit dem Geld sowie von ihr gestellten Kleidungsstücken ihres Bruders, Nahrungsmitteln und Deodorant von Deutschland nach Syrien. Zwischen dem 2. und 9. Januar 2014 übergab sie dort P. die Geld- und Sachmittel.
5
Beiden Angeschuldigten war bekannt, dass sich P. der Junud alSham als noch auszubildender Kämpfer angeschlossen hatte. Sie teilten selbst die Ideologie des Dschihad, den sie durch ihr Tun - zumindest mittelbar durch Unterstützung eines Mitglieds der Vereinigung - fördern wollten.
6
2. In dem die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluss hat das Oberlandesgericht im Wesentlichen ausgeführt:
7
a) Die im Anklagesatz beschriebene Übergabe der Geld- und Sachmittel an P. sei - wenn nicht noch weitere Umstände hinzuträten - aus Rechtsgründen nicht als ein Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB zu beurteilen. Nach der Anklageschrift (einschließlich dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen) sei davon auszugehen, dass die Zuwendung allein P. zugutegekommen sei, während ein positiver Effekt für die Junud al-Sham nicht erkennbar sei. Hiernach fehle es am erforderlichen Organisationsbezug, nämlich an einer irgendwie gearteten Förderung der Gefährlichkeit der Vereinigung. Der Anklageschrift lasse sich nicht entnehmen, inwiefern die Organisation von den Geld- und Sachmitteln profitiert haben könnte. Wozu P. diese Gegenstände verwendet habe, sei nicht mitgeteilt. Eine positive Wirkung der Zuwendung auf die Organisation verstehe sich hier auch nicht von selbst. Es handele sich um eine sozialübliche Hilfeleistung für den allgemeinen Lebensunterhalt eines Mitglieds ohne Einfluss auf dessen mitgliedschaftliche Beteiligung. Der Geldbetrag sei "überschaubar"; bei Kleidung, Nahrungsmitteln und Deodorant handele es sich um Gegenstände des täglichen Lebensbedarfs.
8
Zwar erscheine es denkbar, dass eine durch eine Zuwendung zum Lebensunterhalt bewirkte bloße Steigerung des Wohlbefindens bei einem einzelnen Mitglied eine Unterstützung der Organisation darstellen könne, wenn damit zugleich dessen Fähigkeit und Bereitschaft zum Einsatz für deren Ziele erhöht werde. Wirksam werden könnten dabei auch die Mechanismen der psychischen Förderung. Jedoch "dürfte sich der erforderliche Organisationsbezug in einem solchen atypischen Fall nur bei einer objektivierbaren Verbesserung des 'Nutzens' des Mitglieds dieser Vereinigung begründen lassen, z.B. bei einer in zeitlichem Zusammenhang mit der Zuwendung stehenden Intensivierung seiner für die Organisation entfalteten Tätigkeiten". Ein solcher Vorteil für die Junud alSham sei hier nicht ersichtlich.
9
b) Ein positiver Effekt werde nicht nur in der Anklageschrift nicht dargetan , sondern sei nach dem Ermittlungsergebnis auch tatsächlich nicht nachweisbar. Den Sachakten seien keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Geld- und Sachmittel von P. für Zwecke der Organisation verwendet oder dieser zur Verfügung gestellt worden seien. Da es somit objektiv an einer ausreichenden Unterstützungswirkung fehle, komme es auf die "Motivationslage" der Angeschuldigten nicht an.

II.


10
Die gemäß § 210 Abs. 2, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige (vgl. § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft hat in der Sache keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat zu Recht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt.
11
Die gebotene vollumfängliche Prüfung der Voraussetzungen für die Eröffnung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. März 2009 - StB 20/08, BGHSt 53, 238, 243; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 16) hat ergeben, dass die Angeschuldigten der ihnen vorgeworfenen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, 2, § 25 Abs. 2 StGB nicht im Sinne des § 203 StPO hinreichend verdächtig sind. Denn bei vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des Ergebnisses der Ermittlungen ist ihre Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln nicht wahrscheinlich (zum Prüfungsmaßstab s. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2003 - StB 3/03, BGHR StPO § 210 Abs. 2 Prüfungsmaßstab 2; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, aaO).
12
Im Ergebnis zutreffend hat das Oberlandesgericht darauf erkannt, dass nach Aktenlage den Angeschuldigten die Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung voraussichtlich nicht wird nachgewiesen werden können. Der im Anklagesatz beschriebene Sachverhalt ist nicht als ein gemäß § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB tatbestandliches Unterstützen zu werten; nach dem Ergebnis der Ermittlungen sind auch nicht - darüber hinausgehend - tatsächliche Umstände beweisbar, auf Grund derer der Straftatbestand erfüllt wäre.
13
1. Für die Strafbarkeit wegen Unterstützung einer terroristischen (bzw. kriminellen) Vereinigung gilt:
14
Unter einem Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB (wie des § 129 Abs. 1 Satz 2 Variante 1 StGB nF) ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehöri- gen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979 - 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich gleichermaßen auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmitglieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO, S. 117 f.; Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.).
15
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn die Förderungshandlung an sich konkret wirksam, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendeinen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO, S. 116; Beschlüsse vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, aaO, S. 348 f.; vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6). In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83, BGHSt 32, 243, 244; vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt 33, 16, 17; Beschluss vom 17. August 2017 - AK 34/17, juris Rn. 6). Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - AK 13 u. 14/13, BGHSt 58, 318, 323 f.; vom 19. Oktober 2017 - AK 56/17, juris Rn. 18).
16
Fördert der Außenstehende die mitgliedschaftliche Beteiligung eines Mitglieds an der Vereinigung, so bedarf es für die Tathandlung des Unterstützens in der Regel nicht der Feststellung eines noch weitergehenden positiven Effekts der Handlungen des Nichtmitglieds für die Organisation. Da als Folge des Unterstützens ein irgendwie gearteter Vorteil für die Vereinigung ausreicht, liegt es nahe, dass bei einer Tätigkeit, die sich in der Sache als Beihilfe zur Beteiligung eines Mitglieds an der Vereinigung darstellt, grundsätzlich bereits hierin ein ausreichender Nutzen für die Organisation zu sehen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter die Erfüllung einer Aufgabe durch ein Mitglied fördert, die diesem von der Vereinigung aufgetragen worden ist, oder es in dessen Entschluss stärkt, die Straftaten zu begehen, die den Zwecken der terroristischen Vereinigung dienen oder ihrer Tätigkeit entsprechen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, aaO; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO, S. 117 f.; Beschluss vom 11. Juli 2013 - AK 13 u. 14/13, aaO, S. 326 f.).
17
2. Unter Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe haben die Angeschuldigten nach dem sich aus den Sachakten ergebenden Ermittlungsergebnis nicht die Junud al-Sham unterstützt, weder durch die Förderung der Tätigkeit und der terroristischen Bestrebungen der Organisation als solcher noch durch Beihilfehandlungen zu Betätigungsakten des Mitglieds P. .
18
a) Im Hinblick auf eine direkte Unterstützung der Junud al-Sham mangelt es nach der maßgebenden Verdachtslage an einem vereinigungsbezogenen Vorteil als Folge der Übergabe der Geld- und Sachmittel an P. . Die Zuwendung der Angeschuldigten ist als Förderungsleistung für die Organisation nicht wirksam geworden.
19
Der Anklagesatz verhält sich nicht dazu, wofür P. die Gegenstände nutzte, ob er sie etwa innerhalb der Vereinigung weitergab oder unmittelbar für ihre Zwecke verwendete. Beweismittel, mittels derer sich ein entsprechender Nachweis führen ließe, liegen nicht vor. Als einzige Erkenntnisquelle käme P. selbst in Betracht. Dieser hat angegeben, er habe das - in Deutschland "gesammelte" (EA II Bl. 199) - Geld "als persönliches Geschenk" und "nicht als für die Gruppe bestimmt" angesehen; er habe es für sich behalten und für seinen persönlichen Bedarf, im Wesentlichen zum Aufladen des Mobiltelefons sowie für Zigaretten und Schokolade, ausgegeben (EA I Bl. 86 f.). Zur Verwendung der Sachmittel hat P. keine Angaben gemacht: Bezüglich der Kleidung des Bruders der Angeschuldigten O. hat er sich lediglich insoweit erklärt, als diese zwar "warme Kleidung" mitgebracht (EA II Bl. 199), er die "Klamotten" aber nicht bestellt oder angefordert habe (EA I Bl. 86). Ein sonderliches Interesse hatte er hieran offenkundig nicht. Zu den Nahrungsmitteln und dem Deodorant hat er sich überhaupt nicht geäußert. Naheliegend hat er entweder der Zuwendung insoweit keine Bedeutung beigemessen oder sich diesbezüglich nicht mehr konkret erinnert.
20
Infolgedessen muss davon ausgegangen werden, dass der zugewendete Vorteil ausschließlich bei P. verblieb und nicht der Vereinigung als überindividuellem Personenverband zugutekam. Dass womöglich - ausweislich des Mitschnitts eines zwischen der Angeschuldigten S. und P. am 23. Januar 2014 geführten Telefongesprächs (Sonderband TKÜ II Bl. 43 f.) - die Angeschuldigten ihrerseits in Übereinstimmung mit ihrer dschihadistischen Gesinnung andere Vorstellungen hatten, mit einer Weitergabe der Gegenstände durch P. innerhalb der Junud al-Sham rechneten und dies billigten, berührt die objektiv fehlende Wirksamkeit der Unterstützungshandlung nicht. Nach allgemeinen Grundsätzen könnte dies lediglich einen - nach geltendem Recht straflosen (vgl. §§ 12, 23 Abs. 1 StGB) - Unterstützungsversuch begründen.
21
b) Im Hinblick auf eine indirekte Unterstützung der Junud al-Sham durch Förderung der mitgliedschaftlichen Beteiligung des P. sind nach Aktenlage taugliche Förderungshandlungen ebenfalls nicht nachweisbar.
22
aa) Nach dem oben Ausgeführten liegt auch dann eine tatbestandliche Unterstützung der terroristischen Vereinigung gemäß § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB vor, wenn der Täter die mitgliedschaftlichen Betätigungsakte eines ihrer Mitglieder fördert, jedenfalls dann, wenn das Mitglied die Handlungen auftragsgemäß vornimmt. Solche von P. im Auftrag der Junud al-Sham ausgeführten Betätigungsakte sind hier die Teilnahme am paramilitärischen Training in Vorbereitung einer Tätigkeit als Kämpfer sowie das Ableisten der Wachdienste. Hätten die Angeschuldigten diese Beteiligungshandlungen physisch oder psychisch gefördert, so wäre schon deshalb ein tatbestandliches Unterstützen gegeben. Allein darin wäre ein hinreichender Nutzen für die Junud al-Sham zu sehen, ohne dass in einer Hauptverhandlung weitergehende Feststellungen zu einem Organisationsbezug zu treffen wären.
23
bb) Die Angeschuldigten sind indes nicht hinreichend verdächtig, die mitgliedschaftlichen Betätigungsakte durch die Zuwendung der Geld- und Sachmittel gefördert zu haben. Diesbezüglich kann auf die Grundsätze der Beihilfe (§ 27 Abs. 1 StGB) zurückgegriffen werden. Im Einzelnen:
24
(1) Eine physische Förderung dieser Beteiligungshandlungen durch die Zuwendung ist nach Aktenlage nicht ersichtlich. Weder zum Training noch zu den Wachdiensten besteht ein sachlicher Zusammenhang. Es sind keine An- haltspunkte dafür gegeben, dass die Geld- und Sachmittel hierfür verwendet wurden, etwa indem P. von dem Geld Munition für ein Schießtraining erwarb oder die Kleidung speziell bei Wachdiensten trug.
25
Wenngleich die beiden Angeschuldigten zuzurechnenden Handlungen als solche - die Fahrt nach Syrien sowie die dort getätigte unentgeltliche Übergabe von Bargeld und anderen Gegenständen an einen in einem Ausbildungslager aufhältigen Kampfrekruten - nicht als sozialüblich zu bewerten sind, liegt den entsprechenden Erwägungen des Oberlandesgerichts der zutreffende Gedanke zugrunde, dass die Zuwendung nach Art und Umfang keinen spezifischen Bezug zur Tätigkeit und den Zwecken der Junud al-Sham aufweist und sich insoweit als für sich gesehen "neutral" darstellt; vielmehr trugen die übergebenen Geld- und Sachmittel in relativ geringem Umfang - nicht widerlegbar - allein zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs des P. bei.
26
(2) Auch eine von den Angeschuldigten bewirkte psychische Förderung der Beteiligungshandlungen ist nicht wahrscheinlich. Hierfür ist erforderlich, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts aber auch ausreichend, dass - analog zur psychischen Beihilfe - die Zuwendung P. in seinem Entschluss bestärkte, sich dem paramilitärischen Training zu unterziehen und die Wachdienste zu leisten. Eine im Nichteröffnungsbeschluss verlangte "objektivierbare Verbesserung des 'Nutzens' des Mitglieds für die Vereinigung" ist hingegen nicht notwendig.
27
Eine psychische Förderung der mitgliedschaftlichen Betätigung P. s setzt dabei einerseits voraus, dass die Angeschuldigten mit der Willensrichtung handelten, ihn in seinem Tatentschluss zu bestärken, andererseits aber auch, dass die Zuwendung tatsächlich eine P. s Tatenschluss för- dernde Funktion hatte. Wenngleich die Zuwendung nicht - im Sinne einer conditio sine qua non - kausal für seine (weiteren) Betätigungsakte gewesen zu sein braucht, so muss er sie zumindest als Billigung seines Tuns verstanden und ihr Relevanz für seinen Tatentschluss beigemessen haben (zur psychischen Beihilfe s. BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316 f.; vom 24. März 2014 - 5 StR 2/14, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 33; vom 13. September 2017 - 2 StR 161/17, juris Rn. 10; MüKoStGB/ Joecks, 3. Aufl., § 27 Rn. 9 ff., 42 f.; S/S-Heine/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 27 Rn. 15).
28
Dass der Beweis einer tatsächlichen psychischen Beeinflussung des P. geführt werden kann, ist unwahrscheinlich. Gegen die Relevanz der Zuwendung für seinen Tatentschluss spricht hier, dass der Geldbetrag mit 275 € relativ gering war und P. ihn offensichtlich nicht benötigte. Nach seinen Angaben hatte er 2.000 € aus Deutschland nach Syrien mitgenommen und von seinem Bruder weitere 500 € erhalten; 1.500 € habe er später wieder nach Deutschland zurückgebracht (EA I Bl. 87). Die Finanzermittlungen haben ergeben, dass er sogar 1.200 € von seinem Bruder erhalten hatte (EA I Bl. 13). Im Übrigen liegen von seinen Angaben abweichende Erkenntnisse nicht vor. Bei den Sachmitteln handelte es sich um offensichtlich wenig werthaltige Gegenstände des täglichen Bedarfs; namentlich in Anbetracht der Bekundungen des P. besteht kein hinreichender Anhalt, dass ihr Besitz für ihn von Bedeutung war. Hiernach liegt es vorliegend genauso nahe, dass er die Zuwendung als eine Form der Sympathiebekundung verstand, die er bloß - ob ihres Umfangs - mehr oder minder innerlich befriedigt entgegennahm. Unter diesen Umständen lässt sich - entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft München sowie des Generalbundesanwalts - eine über P. vermittelte Unterstützung der Junud al-Sham nicht darauf stützen, dass er sich zum Zweck der Vorbereitung der Teilnahme am bewaffneten Kampf dieser Vereinigung in deren Ausbildungslager aufhielt und er - eigenen Angaben zufolge (EA I Bl. 86) - glaubte, ihm sei das Bargeld mit Blick auf seine Zugehörigkeit zu der Organisation zugewendet worden.
29
Nach alledem ließe sich in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich der Nachweis nicht führen, dass die Angeschuldigten P. in seinem Tatentschluss zu den Betätigungsakten oder gar in demjenigen zu einer späteren Teilnahme an Kampfhandlungen (s. hierzu oben II. 1. aE) bestärkt hätten. Dass dort überlegene Erkenntnismittel zur Verfügung stünden, die eine abweichende Beurteilung ermöglichen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - StB 27/09, BGHSt 54, 275, 289; LR/Stuckenberg, StPO, 26. Aufl., § 203 Rn. 13), ist nicht ersichtlich.
Becker Schäfer Spaniol
Berg Hoch

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 344/15
vom
4. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:040216B1STR344.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. Oktober 2014
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei schuldig ist, sowie
b) im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die weiteren Mitangeklagten hat es jeweils wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen und in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
2
Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte Mitglied der Gruppierung „Red Legion“, die am Tatabend aus mindestens 26 Personen bestand. Diese der „Red Legion“ zugehörigen Personen hattenelf Angehörige der gegnerischen Gruppierung „Black Jackets“ aus einer Bar gelockt und umstellt , um sie ohne Vorwarnung in Überzahl plötzlich und brutal anzugreifen und erheblich zu verletzen. Nachdem der neben dem Angeklagten stehende A. den Anführer der gegnerischen Gruppierung mit dem Messer angegriffen und ihm zwei Stiche in den Bauch versetzt hatte, begann „explosionsartig“ der Angriff. Der Angeklagte, der den Einsatz des Messers gesehen hatte, blieb bis zum Ende des Kampfgeschehens bei den Angreifern. Konkrete Angriffshandlungen des Angeklagten konnten nicht festgestellt werden. Der Angeklagte erlitt jedoch im Zuge seiner Verwicklung in Kampfhandlungen selbst eine Stichverletzung.
4
Ein weitergehender Tatplan der Angreifer, der das Mitführen von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen umfasste und sich darauf erstreckte, mit diesen die Gegner lebensgefährlich zu verletzen oder zu töten, konnte nicht festgestellt werden. Jedem Angreifer war aber bewusst, dass es bei den Angegriffenen auch zu tödlichen Verletzungen kommen könnte.
5
Tatsächlich wurde im Rahmen des Kampfgeschehens ein Mitglied der „Black Jackets“ durch Stiche mit einem Messer getötet. Wer das Messer auf diese Weise eingesetzt hatte, der genaue Zeitpunkt im Kampfgeschehen, die zeitliche Abfolge und die sonstigen Umstände der Messerstiche konnten nicht aufgeklärt werden. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob der Angreifer, der die tödlichen Messerstiche gesetzt hatte, zuvor den Messerangriff des Angeklagten beobachtet hatte.
6
Die Strafkammer hat in der rechtlichen Würdigung ausgeführt, der Angeklagte müsse sich die tödlichen Messerstiche als Mittäter zurechnen lassen. Er sei bei dem Aufspüren der „Black Jackets“ und deren Herausholen aus der Bar an vorderster Stelle und Sprecher gewesen und habe den Handlungsablauf federführend gestaltet. Er habe ein erhebliches Interesse an der Konfrontation gehabt. Ihm sei bewusst gewesen, dass A. das Messer im Laufe der Auseinandersetzung möglicherweise erneut in lebensgefährlicher Weise einsetzen würde und dass auch weitere Tatgenossen bewaffnet sein oder ansonsten von tödlicher Gewalt Gebrauch machen könnten. Trotz dieser Erkenntnis habe er bewusst und willentlich an den weiteren Kampfhandlungen teilgenommen, hierdurch mögliche tödliche Folgen auf Seiten des Gegners billigend in Kauf genommen und dies durch seine Mitwirkung auch unterstützt.

II.

7
Der zu der rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen tateinheitlich hinzutretende Schuldspruch wegen Mordes hat keinen Bestand.
8
1. Die tödlichen Stiche können dem Angeklagten auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht als Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden.
9
Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 336/15, NStZ-RR 2016, 6 f. und vom 2. Juli 2008 – 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26; Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254). Voraussetzung für die Zurechnung späteren fremden Handelns als eigenes mittäterschaftliches Tun ist ein zumindest konkludentes Einvernehmen der Mittäter.
10
An dieser Zurechnungsgrundlage fehlt es. Die Tathandlung des Angeklagten wurde nach den Feststellungen nicht von einem gemeinsamen Tatplan hinsichtlich des Mitführens von Waffen und der Tötung eines Gegners getragen. Sie ist auch nicht Teil einer späteren konkludenten Erweiterung des Tatplans durch bewusstes und gewolltes Zusammenwirken des Angeklagten mit dem für die tödlichen Stiche verantwortlichen Angreifer.
11
Der vor Beginn des Kampfgeschehens gefasste gemeinsame Tatplan sah keine Bewaffnung und keine Tötung der Gegner vor. Für den Angeklagten, der den Einsatz des Messers durch A. beobachtet, ist dessen Handeln ein Exzess. Feststellungen über eine Erweiterung des Tatplans unter Einbindung des die tödlichen Stiche setzenden Angreifers sind nicht getroffen worden. Eine mögliche einseitige Zustimmung des Angeklagten zur todbringenden Verwendung mitgeführter Messer durch andere Angreifer würde ohnehin nicht genügen. Ein zumindest konkludentes wechselseitiges Einvernehmen hätte zunächst vorausgesetzt, dass der die Tat unmittelbar Ausführende die das Kampfgeschehen eröffnende Messerattacke und eine hierauf bezogene Billigung durch den Angeklagten überhaupt wahrgenommen hat. Dies alles ist nicht festgestellt. Damit entbehrt der Schluss des Landgerichts, auch der tödliche Messerstich sei aufgrund einer konkludenten Erweiterung des ursprünglichen Tatplans dem Angeklagten zuzurechnen, einer tragfähigen Grundlage.
12
2. Eine Verurteilung wegen Beihilfe scheidet nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ebenfalls aus.
13
Als Gehilfe wird gemäß § 27 Abs. 1 StGB bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet. Diese Hilfeleistung muss sich auf die Begehung der Haupttat zwar nicht kausal auswirken; erforderlich ist aber, dass sie die Haupttat zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen Versuchsbeginn und Beendigung in irgendeiner Weise erleichtert oder fördert (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 2 StR 58/15, NStZRR 2015, 343, 344; Urteil vom 16. Januar 2008 – 2 StR 535/07, NStZ 2008, 284 mwN). Dies belegen die Feststellungen nicht.
14
Auch eine psychische Beihilfe scheidet aus. Die bloße Anwesenheit am Tatort in Kenntnis einer Straftat reicht selbst bei deren Billigung dazu nicht aus (vgl. dazu BGH, Urteil vom 24. Oktober 2001 – 3 StR 237/01, NStZ 2002, 139, 140 mwN). Die Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB kann zwar auch in der Billigung der Tat bestehen, wenn sie gegenüber dem Täter zum Ausdruck gebracht und dieser dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt wird und der Gehilfe sich dessen bewusst ist. Das hätte vorausgesetzt, dass der die Tat unmittelbar Ausführende den Angeklagten und dessen Billigung eines Tötungsdelikts wahrgenommen hat und dadurch in seinem Tatentschluss bestärkt oder ihm zumindest ein erhöhtes Sicherheitsgefühl vermittelt wurde. Beides ist indes nicht festgestellt. Nach der umfassenden und besonders sorgfältigen Beweiswürdigung ist auszuschließen, dass das Landgericht noch weitere Feststellungen treffen könnte.
15
3. Der Angeklagte war nach der rechtsfehlerfreien Wertung der Strafkammer Mittäter der begangenen gefährlichen Körperverletzung in acht tateinheitlichen Fällen.
16
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen auch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB), der nach dem Wegfall der Verurteilung wegen Mordes nicht mehr zurücktritt.
17
Die tödlichen Messerstiche wurden durch die vorsätzlich begangene, gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung verursacht. Nach den Feststellungen erfolgten sie im Rahmen des Kampfgeschehens, das durch einen plötzlichen Angriff der äußerst aggressiv gestimmten und sich in Überzahl befindenden Angreifer eröffnet worden war, nachdem sie ihre Gegner umzingelt hatten. Darin war die spezifische Gefahr einer Eskalation mit tödlichem Ausgang angelegt. Der hinsichtlich der qualifizierenden Tatfolge erforderlichen Vorhersehbarkeit steht dabei nicht entgegen, dass der Angeklagte vor dem Beginn des Kampfgeschehens nichts von dem Mitführen eines Messers gewusst hatte. Denn es reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente aus, wenn der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte voraussehen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).
18
Der Angeklagte hat sich darüber hinaus auch wegen Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
19
4. Der Senat konnte den Schuldspruch entsprechend ändern (§ 354 Abs. 1 StPO). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 206/11
vom
25. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
25. Oktober 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 31. Januar 2011, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen II. 1. c) Fall 30 (Fallakte 85) und II. 1. c) Fall 32 (Fallakte 87) der Urteilsgründe ;
b) im Ausspruch über die jeweilige Einzelstrafe in den Fällen II. 1. c) Fall 2 (Fallakte 6), II. 1. c) Fall 29 (Fallakte 84) und II. 1. c) Fall 34 (Fallakte 94 bzw. 95) der Urteilsgründe sowie über die Gesamtstrafe; jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in zwei Fällen und Beihilfe zur Untreue in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt sowie bestimmt, dass von dieser acht Monate wegen "überlanger Verfahrensdauer" als vollstreckt gelten. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch wegen Beihilfe zur Untreue in den Fällen II. 1. c) Fall 30 (Fallakte 85) und II. 1. c) Fall 32 (Fallakte 87) der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Feststellungen belegen in diesen Fällen kein Hilfeleisten des Angeklagten im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB zu den von dem Mitangeklagten N. begangenen Haupttaten.
3
Nach ständiger Rechtsprechung ist als Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB grundsätzlich jede Handlung anzusehen, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt des Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 16. November2006 - 3 StR 139/06, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 27). Eine solche Unterstützung kann auch in der Form der psychischen Beihilfe geleistet werden. Voraussetzung ist dann allerdings ein konkreter Tatbeitrag des Gehilfen, durch den der Haupttäter in seinem Tatentschluss bestärkt wird. Die Annahme allein psychischer Beihilfe bedarf genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen sowie gegebenenfalls zu einer konkludenten Verständigung zwischen Haupttä- ter und diesem. Zudem ist eine Beihilfe nach Beendigung der Haupttat ausgeschlossen ; möglich sind dann allenfalls Anschlussdelikte nach den §§ 257 ff. StGB (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 27 Rn. 6, 10 jeweils mwN). Gemessen hieran tragen die Urteilsgründe die Annahme einer Beihilfe nicht.
4
a) Im Fall II. 1. c) Fall 30 (Fallakte 85) der Urteilsgründe war die ursprüngliche Haupttat im Jahr 2004 vollendet und beendet; denn mit der Auszahlung bzw. Überweisung des Darlehensbetrages auf das Konto des als Darlehensnehmer vorgeschobenen B. sowie an den Notar H. war bei der geschädigten D. Bank ein endgültiger Vermögensverlust eingetreten. Der Angeklagte erstellte erst nach diesem Zeitpunkt eine unrichtige Verdienstbescheinigung für B. . Die Handlung des Angeklagten könnte sich deshalb allenfalls fördernd im Sinne einer Beihilfe auf die Erhöhung des Darle- hensbetrages von 200.000 € auf 215.000 € Mitte des Jahres 2005 ausgewirkt haben; Näheres zu dieser möglichen Haupttat sowie dem Einfluss der unzutreffenden Verdienstbescheinigung hierauf lässt sich den Feststellungen jedoch nicht entnehmen.
5
b) Soweit die Strafkammer in beiden genannten Fällen im Übrigen darauf abstellt, der Angeklagte habe den Haupttäter N. psychisch unterstützt, belegen die Feststellungen ein tatbestandsmäßiges Hilfeleisten gemäß § 27 Abs. 1 StGB ebenfalls nicht. Danach handelte der Haupttäter N. bei der Beschaffung der Kredite, die letztlich der A. GmbH zukommen sollten, "in Absprache" mit dem Angeklagten sowie dem Mitangeklagten Ha. . Der Inhalt dieser "Absprache" bleibt allerdings im Dunkeln. Die Feststellungen lassen deshalb - entgegen der von der Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung vorgenommenen Wertung - nicht erkennen, auf welche konkrete Weise gerade der Angeklagte den Tatentschluss des N. bestärkte, den Finanzbe- darf der A. GmbH auf unlautere Weise zu decken. Allein die Einbindung des Angeklagten in das von N. errichtete Firmengeflecht reicht hierfür nicht aus.
6
2. In den Fällen II. 1. c) Fall 2 (Fallakte 6), II. 1. c) Fall 29 (Fallakte 84) und II. 1. c) Fall 34 (Fallakte 94 bzw. 95) der Urteilsgründe, in denen das Landgericht den Angeklagten ebenfalls wegen Beihilfe zur Untreue verurteilt hat, begegnet der Strafausspruch durchgreifenden materiellrechtlichen Bedenken. In diesen Fällen ist die Strafkammer - rechtsfehlerfrei - jeweils von einem besonders schweren Fall nach § 266 Abs. 2, § 263 Abs. 3 StGB ausgegangen. Sie hat den sich hieraus ergebenden Strafrahmen sodann gemäß § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemildert. Jedoch hat sie rechtsfehlerhaft eine weitere Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht gezogen.
7
a) Die Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB ist ein strafbarkeitsbegründendes besonderes persönliches Merkmal nach § 28 Abs. 1 StGB. Bei einem Gehilfen, der - wie der Angeklagte - im Zeitpunkt der Unterstützungshandlung nicht selbst in einem Treueverhältnis zu der Geschädigten steht, ist eine Strafmilderung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB neben der Milderung nach § 27 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB zu erörtern, es sei denn, das Tatgericht hätte allein wegen des Fehlens des Treueverhältnisses Beihilfe statt Täterschaft angenommen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1988 - 2 StR 111/88, BGHR StGB § 28 Abs. 1 Merkmal 2; Beschluss vom 1. März 2005 - 2 StR 507/04, NStZ-RR 2006, 109; Beschluss vom 26. November 2008 - 5 StR 440/08, NStZ-RR 2009, 102).
8
b) Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, ob das Landgericht den Tatbeitrag des Angeklagten an sich nur als den eines Gehilfen gewertet oder ob es den Angeklagten nur deshalb als Gehilfen angesehen hat, weil er nicht in einem Treueverhältnis zu der Geschädigten stand. § 28 Abs. 1 StGB findet in den Entscheidungsgründen keine Erwähnung.
9
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die in den genannten Fällen verhängten Einzelstrafen auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruhen. Er hält eine Entscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO nicht für angezeigt. Aufgrund der teilweisen Aufhebung des Schuldspruchs sowie der Einzelstrafen hat auch die Gesamtstrafe keinen Bestand. Die Strafzumessungstatsachen, die das Landgericht festgestellt hat, werden allerdings von den dargelegten Rechtsfehlern nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind zulässig.
10
3. Die Kompensationsentscheidung wird von der Teilaufhebung des Urteils nicht erfasst (BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135). Der Angeklagte ist durch die rechtsfehlerhaft überhöhte Entschädigung - acht Monate Freiheitsstrafe bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und drei Monaten - nicht beschwert. Mit Blick auf die Ausführungen der Revision und des Generalbundesanwalts weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Höhe der im Falle einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zu gewährenden Entschädigung sich nicht nach der Höhe der Strafe richtet, auf die das Tatgericht erkannt hat. Die im Wege des sog. Vollstreckungsmodells vorzunehmende Kompensation koppelt den Ausgleich für das erlittene Verfahrensunrecht vielmehr von vornherein von Fragen des Tatunrechts , der Schuld und der Strafhöhe ab. Der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert worden ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. schon BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138; s. auch BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, aaO, 138).
Becker von Lienen Hubert
Schäfer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR2/14
vom
24. März 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2014 beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten U. , F. und M. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. April 2013, soweit es sie betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten Mo. wird
a) das genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung sowie Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt ist, sowie im Strafausspruch,
b) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO auf Kosten der Staatskasse eingestellt, soweit der Angeklagte wegen Diebstahls oder Hehlerei verurteilt ist.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten U. , F. , M. und Mo. , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten Mo. und die Revisionen der Angeklagten T. und A. werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
5. Auf die sofortigen Beschwerden der Angeklagten T. und A. werden die sie betreffenden Kostenentscheidungen des genannten Urteils aufgehoben. Es wird davon abgesehen , ihnen Kosten und gerichtliche Auslagen in beiden Rechtszügen aufzuerlegen. Sie haben jedoch insoweit die dem Nebenkläger S. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen, der Angeklagte A. außerdem die dem Nebenkläger Ta. entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten U. wegen Beihilfe zur schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Angeklagten F. , M. undT. hat es wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt. Gegen F. hat das Landgericht unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung eine Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verhängt; gegen M. hat es auf eine Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, gegen T. auf eine solche von einem Jahr und vier Monaten erkannt und deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten A. hat die Jugendkammer wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperver- letzung und Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung sie ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt hat. Den Angeklagten Mo. hat das Landgericht wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei, wegen Körperverletzung sowie wegen Diebstahls oder Hehlerei zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt.
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten U. hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten F. und M. führen entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts aufgrund zweier Verfahrensrügen zum Erfolg. Die Revision des Angeklagten Mo. erzielt in Übereinstimmung mit dem Antrag des Generalbundesanwalts mit den gleichen Verfahrensrügen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Sie führt darüber hinaus zu einer Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO und ist im Übrigen, ebenso wie die Revisionen der Angeklagten T. und A. , unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begaben sich die Angeklagten am 21. Februar 2011 zur Wohnung des Nebenklägers S. . F. , M. , T. , A. und Mo. wollten den Nebenkläger vor seinem Wohnhaus abpassen und angreifen. Hintergrund war ein Streit zwischen dem Nebenkläger und dem Angeklagten Mo. um einen Hundewelpen. U. begleitete die übrigen Angeklagten, „um aufzupassen, dass nichts Schlimmeres passiert“ (UA S. 32). Als der Nebenkläger eintraf, bildetenF. , M. und A. eine halbkreisförmige Reihe hinter dem Angeklagten Mo. , der sich mit einem sichtbar in der Hand gehaltenen Messer dem Nebenkläger zu- wandte. „Etwas abseits, in ca. zwei Schritten Entfernung, erkennbar getrennt von dieser Personengruppe“ (UA S. 33), stand der Angeklagte U. , der in die sich dann entwickelnde Auseinandersetzung nicht eingriff. Einer der Angeklagten , nämlich entweder F. , M. , T. oder A. , versetzte sodann dem Nebenkläger einen Schlag in das Gesicht. Anschließend schlugen und traten die Angeklagten – mit Ausnahme des Angeklagten U. – gemeinsam auf den Nebenkläger ein, wobei Mo. diesem im Verlauf der Auseinandersetzung zwei Messerstiche zufügte, durch die der Nebenkläger einen Durchstich des linken Oberarms – mit der Folge einer dauerhaften Gebrauchsunfähigkeit der linken Hand – und einen Einstich in den Rücken mit einer Durchtrennung der fünften Rippe, Verletzung der Lunge und Ausbildung einer Spannungsluft- und Blutluftbrust erlitt.
4
2. Zur Revision des Angeklagte U. :
5
a) Zu Recht beanstandet der Beschwerdeführer, dass er entgegen § 265 StPO nicht auf die Möglichkeit einer Verurteilung wegen Beihilfe an Stelle der angeklagten Mittäterschaft hingewiesen wurde. Der Senat muss nicht entscheiden , ob das Urteil auf diesem Verstoß beruht, denn die Revision führt mit der Sachrüge zur umfassenden Aufhebung des Urteils.
6
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte U. habe sich der Beihilfe zu der von den übrigen Angeklagten begangenen schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und zur Beteiligung an einer Schlägerei schuldig gemacht, wird von den Feststellungen nicht getragen.
7
Das Landgericht hat eine strafbare Hilfeleistung des Angeklagten U. darin erblickt, dass er die übrigen Angeklagten durch seine Anwesenheit am Tatort in ihrem Tatentschluss bestärkt habe. Auch die Beihilfe in Form psychischer Unterstützung setzt indessen voraus, dass die Tatbegehung objektiv gefördert oder erleichtert wurde und dass dies dem Gehilfen bewusst war (BGH, Beschluss vom 30. April 2013 – 3 StR 85/13, NStZ-RR 2013, 249; Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR 84/95, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 14). Zum Beleg einer solchen sogenannten psychischen Beihilfe bedarf es genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zu der entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen (BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316).
8
Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zwar kann eine Förderung der Haupttat unter Umständen auch darin gesehen wer- den, dass der Hilfeleistende seine Anwesenheit am Tatort „einbringt“, um den Haupttäter in seinem Tatentschluss zu bestärken und ihm das Gefühl erhöhter Sicherheit zu geben (BGH, Beschluss vom 17. März 1995 – 2 StR 84/95, aaO). Die für eine solche Annahme erforderlichen Feststellungen lässt das Urteil jedoch vermissen. Ohne nähere Feststellungen zu zwischen U. und den übrigen Angeklagten getroffenen Absprachen ist schon nicht ersichtlich, inwiefern der Angeklagte U. die fünf übrigen, gegen ein nach ihrer Vorstellung auf sich allein gestelltes Opfer vorgehenden Angeklagten durch seine passive Anwesenheit – noch dazu in einigen Schritten Entfernung, von allen übrigen Akteuren erkennbar getrennt – in ihrem Tatentschluss bestärkt und ihnen ein Gefühl erhöhter Sicherheit gegeben haben soll. Gegen eine entsprechende Willensrichtung des Angeklagten U. spricht zudem entscheidend, dass dieser nach den ausdrücklichen Feststellungen des Landgerichts mitgekommen ist, um „aufzupassen, dass nichts Schlimmeres passiert“ (UA S. 32, 128). Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann dies nur so verstanden werden, dass er verhindern wollte, dass die übrigen Angeklagten bei ihrem Übergriff zu weit gingen. Einen Hinweis darauf, dass er zum Schutz der Angeklagten mitgegangen wäre, enthalten die Urteilsfeststellungen hingegen nicht. Auch bleibt offen, ob die übrigen Angeklagten sein Verhalten in dem zuletzt genannten Sinne gedeutet haben. Allein in dem Umstand, dass der Angeklagte U. dem Tun der anderen nicht entgegengetreten ist, kann kein die Tat fördernder Beitrag gesehen werden.
9
3. Zu den Revisionen der Angeklagten F. , M. und Mo. :
10
a) Die Angeklagten F. , M. und Mo. machen hinsichtlich des Vorfalls zum Nachteil des Nebenklägers S. vom 21. Februar 2011 in gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässiger Weise und zu Recht geltend, das Landgericht habe durch die Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen D. gerichteten Beweisantrags gegen § 245 Abs. 2 StPO und durch die Zurückweisung des auf die Vernehmung des Zeugen St. gerichteten Beweisantrags gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO verstoßen.
11
aa) Beweisantrag D.
12
(1) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
13
Die Verteidigerin des Angeklagten M. stellte einen Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. zum Beweis der Tatsache, dass das Einsatzfahrzeug , in dem sich der als Zeuge vernommene Polizeibeamte E. befand , mit dem Heck in Richtung Innenhof einer Toreinfahrt stand. Hierdurch sollte sich letztlich erweisen, dass die Aussage E. s, der angegeben hatte, den Beginn der auf der Straße stattfindenden Auseinandersetzung durch die Heckscheibe des Fahrzeugs beobachtet zu haben, nicht der Wahrheit entsprechen konnte. Die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. schlossen sich dem Antrag an. Diesen Beweisantrag wies das Landgericht wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO zurück. Daraufhin ließ die Verteidigerin des Angeklagten Mo. dem Zeugen D. durch den Gerichtsvollzieher eine Ladung zum folgenden Hauptverhandlungstermin zustellen. In der Ladung formulierte sie unter anderem: „... in der Strafsache ... lade ich Sie hiermit in meiner Eigenschaft als Verteidigerin des Herrn M. als Zeugen ...“. Als Vorschuss für etwaige Entschädigungsansprüche des Zeu- gen hinterlegte die Verteidigerin 100 € bei der zuständigen Stelle. Aufgrund der Ladung erschien der Zeuge D. zum Hauptverhandlungstermin am 21. März 2013. Die Verteidigerin des Angeklagten M. stellte daraufhin erneut den Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen D. . Die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. schlossen sich an. Diesen Antrag wies die Jugendkammer mit Beschluss vom 21. März 2013 unter Bezugnahme auf den Beschluss vom 14. März 2013 wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit zurück und führte aus, der Antrag sei „mangels ordnungsgemäßer Ladung durch den Angeklagten M. “ als Beweisantrag gemäß § 244 Abs. 3 StPO zu bescheiden. Der Zeuge D. wurde weder an diesem Verhandlungstag noch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung vernommen.
14
(2) Mit dieser Begründung durfte das Landgericht den Beweisantrag nicht zurückweisen. Bei dem Zeugen D. handelte es sich um einen vom Angeklagten vorgeladenen und erschienenen Zeugen im Sinne des § 245 Abs. 2 StPO. Dabei kommt es nicht darauf an, ob § 245 Abs. 2 StPO außer auf die dort genannten Fälle der Ladung durch den Angeklagten oder die Staatsanwaltschaft über den Wortlaut hinaus auch auf Ladungen sämtlicher anderer antragsberechtigter Verfahrensbeteiligter, wie etwa auch des Nebenklägers, Anwendung findet. Unabhängig davon folgt nämlich das Recht des Verteidigers zur Vorladung von Zeugen mit den sich daraus ergebenden Wirkungen des § 245 Abs. 2 StPO aus seiner grundsätzlich bestehenden Befugnis, die dem Angeklagten zustehenden prozessualen Rechte in seiner Eigenschaft als dessen Beistand aus eigenem Recht und in eigenem Namen wahrzunehmen (vgl. etwa Fischer in KK-StPO, 7. Aufl., Einleitung Rn. 244). Das Ladungsrecht gemäß § 220 Abs. 1 StPO, an das § 245 Abs. 2 StPO anknüpft, dient unmittelbar der Vorbereitung der Verteidigung des Angeklagten und zählt daher – anders als etwa der Verzicht auf die Ladungsfrist gemäß § 217 Abs. 3 StPO oder der Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen gemäß § 233 Abs. 1 StPO – nicht zu denjenigen Befugnissen des Angeklagten, die der Verteidiger nur kraft besonderer Vertretungsvollmacht für ihn ausüben kann.
15
Der Beweisantrag hätte mithin nur aus einem der in § 245 Abs. 2 Satz 3 StPO bezeichneten Gründe zurückgewiesen werden dürfen. Die Ablehnung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit, wie sie das Landgericht in dem in Bezug genommenen Beschluss vom 14. März 2013 vorgenommen hat, genügt diesen Anforderungen nicht. Mit Recht ist das Landgericht in diesem Beschluss selbst nicht vom Fehlen eines Zusammenhangs zwischen der Beweistatsache und dem Gegenstand der Urteilsfindung ausgegangen. Vielmehr hat es darauf abgehoben, die Beweistatsache lasse keine zwingenden, sondern nur mögliche Schlüsse zu, die das Gericht nicht ziehen wolle. Dies stellt indessen keinen zulässigen Ablehnungsgrund gemäß § 245 Abs. 2 StPO dar.
16
Auf dem Verfahrensfehler beruht die Verurteilung der Angeklagten F. , M. und Mo. wegen des Vorfalls vom 21. Februar 2011. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Landgericht aufgrund der Vernehmung des Zeugen D. die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen E. , auf die es seine Überzeugung vom für die rechtliche Bewertung bedeutsamen Beginn der Auseinandersetzung unter anderem gestützt hat, anders bewertet und damit zu einem anderen Beweisergebnis gelangt wäre.
17
bb) Beweisantrag St.
18
(1) Folgendes liegt zugrunde:
19
Am 22. Februar 2013 stellte die Verteidigerin des AngeklagtenM. einen Beweisantrag auf Vernehmung des Polizeibeamten St. als Zeugen, dem sich unter anderem die Verteidiger der Angeklagten F. und Mo. anschlossen. In dem Beweisantrag hieß es unter anderem:
20
„Der Beamte wird die folgenden Tatsachen bekunden: Im Rahmen des Polizeieinsatzes J. straße am Spätnachmittag des 21. Februar 2011 konnte ich beobachten, wie ein mit einer roten Hose bekleideter Mann auf eine Personengruppe zulief und eine andere Person aus dieser Gruppe in das Gesicht schlug. Daraufhin entwickelte sich eine körperliche Auseinandersetzung zwischen dem Mann mit roter Hose und mehreren anderen Personen. Die Auseinandersetzung wurde durch den Schlag, den der Mann in der roten Hose der anderen Person versetzte, ausgelöst.“
21
Diesen Beweisantrag wies das Landgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2013 zurück. Zur Begründung führte es aus, bei dem Antrag handele es sich nicht um einen Beweisantrag im formellen Sinn, weil es an der notwendigen Konnexität zwischen Beweismittel und Beweisbehauptung fehle. Es sei „unter Berücksichtigung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnah- me nicht ersichtlich, weshalb der Zeuge St. die unter Beweis gestellten Beobachtungen vom Tatgeschehen gemacht haben können soll.“ Dafür, dass der Zeuge sich bereits zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung derart in Tatortnähe befunden haben könnte, dass er die unter Beweis gestellten Beobachtungen hätte machen können, fehle es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten. Zudem werde in dem Antrag keine Beweistatsache vorgetragen, sondern lediglich ein Beweisziel. Eine Wahrnehmung, die der Zeuge St. gemacht haben soll, werde in dem Antrag nicht mitgeteilt. Anlass, dem Antrag gemäß § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen der Aufklärungspflicht nachzugehen, bestehe nicht.
22
Dementsprechend wurde der Zeuge St. nicht vernommen.
23
(2) Zu Unrecht hat das Landgericht dem Antrag auf Vernehmung des Zeugen St. die Qualität eines Beweisantrages im Sinne des § 244 Abs. 3 und 6 StPO abgesprochen.
24
(aa) Der Antrag enthält nach der rechtlich gebotenen, am Gesamtzusammenhang orientierten Auslegung eine hinreichend bestimmte Beweistatsache. Bewiesen werden sollte, dass – wie der benannte Zeuge beobachtet habe – die verfahrensgegenständliche Auseinandersetzung damit begann, dass ein mit einer roten Hose bekleideter Mann auf eine Personengruppe zulief und dann einer anderen Person aus dieser Gruppe in das Gesicht schlug. Hierbei handelte es sich nicht lediglich um das Beweisziel, sondern um eine konkrete Tatsache, aus der sodann – wie in der Antragsbegründung näher dargelegt – gegebenenfalls Schlussfolgerungen zu Gunsten der Angeklagten hätten gezogen werden können.
25
(bb) Dem Antrag mangelt es auch nicht an der erforderlichen Konnexität zwischen Beweisbehauptung und Beweismittel. Zwar kann einem Antrag auf Beweiserhebung die Eigenschaft eines formellen Beweisantrags im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO fehlen, wenn die Wahrnehmungssituation eines benannten Zeugen nicht konkret genug bezeichnet wird. Hierzu kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – je nach der bei Antragstellung vorgefundenen Beweislage – geboten sein, das die Wahrnehmungssituation betreffende bisherige Beweisergebnis in die Antragstellung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284). Erforderlich, aber auch ausreichend ist die Darlegung der Umstände, aus denen sich ergibt, warum es dem Zeugen möglich sein kann, die Beweistatsache zu bekunden (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299, 1300).
26
Auch unter Beachtung dieser Grundsätze ist jedoch die Wahrnehmungssituation des Zeugen St. in dem hier in Rede stehenden Beweisantrag hinreichend konkret beschrieben. Aus der Antragsbegründung geht eindeutig die Aussage hervor, dass der Zeuge St. die Wahrnehmung habe machen können, weil er in seiner Eigenschaft als Leiter einer Einheit von Zivilfahndern am Tatort gewesen sei. Der in der Antragsbegründung dargelegte Schluss, dass der Zeuge, der später in die Auseinandersetzung eingriff, schon deren Beginn beobachtet haben kann, ist nachvollziehbar und plausibel. Es ist nicht ersichtlich, dass das bisherige Beweisergebnis einer solchen Annahme in einer Weise entgegengestanden haben könnte, die eine nähere Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsmöglichkeiten des Zeugen zu Beginn der Auseinandersetzung erforderlich gemacht hätte. Auch aus den in der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses erwähnten Aussagen der bis dahin vernommenen Polizeibeamten, die nicht berichtet hatten, St. während der Auseinandersetzung in Tatortnähe gesehen zu haben, geht nicht hervor, dass danach eine Anwesenheit des Zeugen St. in Sichtweite des Tatgeschehens auszuschließen oder nur von vornherein als unrealistisch einzustufen wäre. Der vorliegende Fall unterscheidet sich danach wesentlich von demjenigen, der dem Senatsurteil vom 10. Juni 2008 zugrunde lag. Anders als dort ging es in dem hier in Frage stehenden Beweisantrag um die Vernehmung eines – dem Antrag zufolge – unmittelbaren Tatzeugen, der – wie sich auch aus der Begründung des Zurückweisungsbeschlusses ergibt – im zeitlichen Zusammenhang mit dem Tatgeschehen am Tatort war und dessen Wahrnehmungsmöglichkeit – soweit ersichtlich – von keinem bisher vernommenen Zeugen ausgeschlossen worden war. Vor dem Hintergrund des Beweisergebnisses zum Zeitpunkt der Antragstellung waren somit die Umstände, aus denen sich die Wahrnehmungsmöglichkeit des Zeugen St. ergeben konnte, in der Antragsbegründung ausreichend dargelegt.
27
Auf der danach rechtsfehlerhaften Zurückweisung des Antrags gemäß § 244 Abs. 2 StPO beruht das Urteil, soweit es die Beteiligung der Angeklagten F. , M. und Mo. an dem Vorfall vom 21. Februar 2011 betrifft. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht im Falle der Vernehmung des Zeugen St. zu dem beantragten Beweisthema den Angaben des Zeugen S. zum Beginn der Auseinandersetzung nicht gefolgt wäre und deshalb insgesamt abweichende Feststellungen getroffen hätte.
28
b) Aufgrund beider Verfahrensrügen unterliegt das Urteil damit, soweit es die Angeklagten F. und M. betrifft, insgesamt der Aufhebung. Hinsichtlich des Angeklagten Mo. gilt dies lediglich für den Vorfall vom 21. Februar 2011. Bezüglich der Verurteilung aufgrund einer Wahlfeststellung (Diebstahl oder Hehlerei) hat der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Hinsichtlich der Verurtei- lung des Angeklagten Mo. wegen Körperverletzung hat die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
29
c) Das neue Tatgericht wird die Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2014 zur unzureichenden Prüfung eines Rücktritts des Angeklagten Mo. vom Versuch des Totschlags, denen der Senat folgt, zu beachten haben.
30
4. Die Revisionen der Angeklagten T. und A. sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Allerdings haben ihre Kostenbeschwerden aus Gründen der Billigkeit Erfolg (§ 74 JGG).
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(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 161/17
vom
13. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:130917B2STR161.17.1

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. September 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 21. Dezember 2016, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen trafen am Abend des 20. Dezember 2015 der Mitangeklagte D. S. , der ältere Bruder des Angeklagten, und der stark alkoholisierte Nebenkläger an der U. in S. aufeinander. Möglicherweise kam es zwischen den beiden Männern zu einer verbalen Auseinandersetzung.
3
In der Folge erhielt der Angeklagte von D. S. einen Anruf, in dem dieser ihn aufforderte, ihm den Baseballschläger zu bringen, den er, D. S. , im Ankleidezimmer seiner Wohnung aufbewahre. Der Angeklagte folgte dem Ansinnen und begab sich mit dem Baseballschläger zu dem wenige Meter entfernten Kinderspielplatz an der U. . Er traf dort, wie verabredet, auf seinen Bruder und übergab ihm den Baseballschläger, damit dieser ihn gegen den Nebenkläger verwenden konnte. Über den geplanten Einsatz des Baseballschlägers hatte D. S. den Angeklagten zuvor am Telefon informiert.
4
Nachdem der Angeklagte seinem Bruder den Baseballschläger übergeben hatte, schlug dieser mit voller Wucht einmal auf den Kopf des Nebenklägers , der sofort zu Boden ging. Der Angeklagte und sein Bruder verließen den Tatort. D. S. veranlasste kurze Zeit später die Zeugin W. , einen Krankenwagen zu verständigen.
5
Der Schlag mit dem Baseballschläger war potentiell lebensgefährlich. Der Nebenkläger erlitt durch den Schlag eine Trümmerfraktur des Gehirn- und Gesichtsschädels sowie den dauerhaften Verlust des linken Augenlichts. Er musste längere Zeit stationär behandelt und mehrfach operiert werden. Bis heute leidet er physisch und psychisch unter den Folgen der Tat.

II.

6
Der Schuldspruch wegen „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5, 226 Abs. 1 Nr. 1, 1. Var., 25 Abs. 2, 52 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungsoder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen. Wesentliche Anhaltspunkte können dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betroffenen abhängt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 11. Juli 2017 - 2 StR 220/17, juris Rn. 6; BGH, Beschlüsse vom 23. Mai 2017 - 4 StR 617/16, juris Rn. 13; vom 22. März 2017 - 3 StR 475/16, juris Rn. 12; vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26; Urteil vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254).
8
2. Gemessen hieran begegnet die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar weist die Strafkammer zutreffend darauf hin, dass in dem Überbringen und der Übergabe des als Tatwerkzeug verwendeten Baseballschlägers durch den Angeklagten ein wesentlicher Tatbeitrag zu sehen ist, der die anschließende Tatausführung durch D. S. überhaupt erst ermöglichte und maßgeblich prägte. Zudem war der Angeklagte am Tatort anwesend. Beides vermag aber, auch unter Berücksichtigung des tatrichterlichen Beurteilungsspielraumes (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 4 StR 617/16, juris Rn. 13), die Annahme von Mittäterschaft nicht zu rechtfertigen. Denn der Angeklagte hat weder die Tat initiiert, noch hat er an der unmittelbaren Tatausführung mitgewirkt. Auf die Auswahl des Tatopfers bzw. die Art der Tatausführung hatte er keinen Einfluss. Ein maßgebliches Tatinteresse ist nicht festgestellt.
9
Soweit die Strafkammer die Mittäterschaft mit dem „gemeinsamen Tatplan“ begründet, wird diese Annahme nicht durch die Feststellungen belegt. Denn der Mitangeklagte D. S. hatte im Zeitpunkt des Anrufes beim Angeklagten den Tatplan bereits gefasst und begehrte lediglich die Unterstützung seines Bruders durch Übergabe des Tatwerkzeugs.
10
Die Annahme der Kammer ein weiterer, die bisherige Tathandlung ergänzender, mittäterschaftlicher Tatbeitrag des Angeklagten habe darin gelegen, seinen Bruder am Tatort psychisch zu unterstützen, wird durch die Feststellungen ebenfalls nicht getragen. Die psychische Unterstützung eines Tatgenossen setzt voraus, dass die Tatbegehung objektiv gefördert oder erleichtert wird und dass dies dem unterstützenden Tatgenossen bewusst ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2014 - 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351, 352; vom 30. April 2013 - 3 StR 85/13, NStZ-RR 2013, 249; Senat, Beschluss vom 17. März 1995 - 2 StR 84/95, BGHR StGB § 27 Abs. 1 Hilfeleisten 14). Zum Beleg einer psychischen Unterstützung bedarf es genauer Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zu der entsprechenden Willensrichtung des Tatgenossen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 2014 - 5 StR 2/14, NStZ 2014, 351, 352; vom 25. Oktober 2011 - 3 StR 206/11, NStZ 2012, 316).
11
Den Feststellungen ist weder zu entnehmen, dass die Anwesenheit des Angeklagten am Tatort die Tathandlung seines Bruders psychisch förderte, noch, dass der Angeklagte mit einer entsprechenden Willensrichtung am Tatort verblieb. Es versteht sich keineswegs von selbst, dass D. S. von seinem jüngeren Bruder jenseits der Übergabe des Baseballschlägers eine weitere Unterstützung erbeten hätte. Denn der mit einem Baseballschlägerbewaffnete D. S. brauchte angesichts des hochgradig alkoholisierten Nebenklägers, der „ein leichtes“ und „weitgehend schutzloses Opfer“ war, für die geplante körperliche Attacke erkennbar keine weitergehende Unterstützung.
12
Letztlich wird auch die Annahme der Kammer, der Angeklagte habe ein „nicht unwesentliches“ eigenes Interesse am Taterfolg gehabt,nicht durch die Feststellungen getragen. Dass es dem Angeklagten darum ging, „die gekränkte Familienehre wieder herzustellen“, hat die Kammer nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Dies lässt sich insbesondere nicht aus der „problematischen Vorgeschich- te im Zusammenhang mit dem Geschädigten“ schließen. Denn die Feststellungen belegen weder, dass der Nebenkläger gegenüber einem Familienmitglied noch gegenüber den Hunden der Familie S. übergriffig geworden ist. Hinsicht- lich des „vermeintlichen“ Übergriffs auf die Schwester istlediglich festgestellt, dass es im Dezember 2015 zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Nebenkläger auf der einen und den Zeuginnen De. S. - der Schwester des Angeklagten - und deren Freundin L. -C. auf der anderen Seite gekommen war, in deren Folge der Nebenkläger mindestens einer der Damen mit der Hand einen „Klaps“ auf den Hinterkopf versetzt hatte.
13
Ob der nachtatlichen Behauptung des Angeklagten gegenüber der Zeugin W. , der Nebenkläger habe nach dem Hund des D. S. getreten, ein realer Tritt gegen den Hund zu Grunde lag, bleibt offen. Mit der naheliegenden Möglichkeit, dass diese Behauptung falsch war und allein zur Rechtfertigung der Tat vor der Zeugin W. diente, hat die Strafkammer sich nicht auseinandergesetzt. Dies hätte aber nahegelegen, zumal keiner der beiden Angeklagten im Rahmen der Einlassung einen tatsächlichen Tritt des Nebenklägers gegen den Hund des D. S. geschildert hat.
14
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen zwar eine Beihilfe des Angeklagten zu einer gefährlichen Körperverletzung in den festgestellten drei Tatmodalitäten sowie zu einer tateinheitlich hierzu begangenen schweren Körperverletzung durch den Mitangeklagten D. S. (§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Var., 4 und 5, 226 Abs. 1 Nr. 1, 25 Abs. 2, 27 StGB). Eine Schuldspruchberichtigung kommt gleichwohl nicht in Betracht, da nicht auszuschließen ist, dass bei erneuter Verhandlung der Sache weitere Feststellungen getroffen werden können, die möglicherweise die Annahme von Mittäterschaft rechtfertigen.
Appl Krehl Zeng Grube Schmidt

(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.

(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.

34
Hat der Gehilfe bestimmte Vorstellungen, so ist es unschädlich, wenn diese in den Einzelheiten unzutreffend sind, sofern der Unrechtsgehalt und die Angriffsrichtung der vorgestellten und der begangenen fremden Tat im Wesentlichen übereinstimmen. Dabei kommt es nicht notwendig darauf an, ob die tatsächlich verwirklichte Haupttat ihrer rechtlichen Beurteilung nach dieselbe ist, auf die sich die Vorstellung des Hilfeleistenden bezieht (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 1957 - 5 StR 505/57, BGHSt 11, 66). Der Gehilfenvorsatz wird nicht allein durch eine solche unterschiedliche rechtliche Einordnung in Frage gestellt, soweit es sich nicht um gänzlich verschiedene Taten im beschriebenen Sinne handelt; das gilt insbesondere auch für das Verhältnis von Beihilfe zum Betrug und zur Untreue (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - 3 StR 420/10, NStZ 2011, 399, 400; vom 28. Februar 2012 - 3 StR 435/11, wistra 2012, 302; ferner Fischer, StGB, 65. Aufl., § 27 Rn. 22; BeckOK StGB/Kudlich, § 27 Rn. 18).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 49/16
vom
20. September 2016
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Beihilfe zum Mord durch Dienst im Konzentrationslager Auschwitz
BGH, Beschluss vom 20. September 2016 - 3 StR 49/16 - LG Lüneburg
in der Strafsache
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:200916B3STR49.16.0


wegen Beihilfe zum Mord
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. September 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision desAngeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2015 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den nicht revidierenden Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der Angeklagte hatte sich im Oktober 1940 als "überzeugter Nationalsozialist" freiwillig zur SS gemeldet, um dieser aus seiner damaligen Sicht "ruhmreichen Elite-Kaste" anzugehören. Da er nicht den an der Front kämpfenden Truppen der SS zugewiesen werden wollte, war er seinem Wunsch entspre- chend zunächst in verschiedenen Besoldungsstellen der SS als "Zahlmeister" eingesetzt worden. Im September 1942 wurde er schließlich im Rang eines "SS-Sturmmannes" zum Konzentrationslager Auschwitz versetzt, um dort bei der Realisierung der "Aktion Reinhard" mitzuwirken.
4
Diese nach dem Leiter des "Reichssicherheitshauptamtes" Reinhard Heydrich benannte Aktion war Teil der Umsetzung der spätestens Anfang 1942 von den nationalsozialistischen Machthabern beschlossenen "Endlösung der Judenfrage" durch systematische Tötung aller europäischen Juden im deutschen Einflussbereich und richtete sich gegen die jüdische Bevölkerung im besetzten Polen sowie der Ukraine. Die dort lebenden Juden sollten ausnahmslos deportiert und in den von der SS geleiteten sowie betriebenen Konzentrationsund Vernichtungslagern getötet werden, entweder unmittelbar nach ihrer Deportation oder im Wege der "Vernichtung durch Arbeit". Diesem Zweck dienten insbesondere die in Belzec, Treblinka und Sobibor errichteten Vernichtungslager sowie das Konzentrationslager Auschwitz.
5
Das Konzentrationslager Auschwitz war zunächst in einem Komplex ehemaliger Kasernengebäude errichtet worden (sog. Stammlager bzw. "Auschwitz I"). Das "Stammlager" bestand aus dem sog. Schutzhaftlager sowie Verwaltungsgebäuden, in denen unter anderem die sog. Häftlingseigentumsverwaltung und - als deren Unterabteilung - die "Häftlingsgeldverwaltung" ihren Sitz hatten. Es war bereits ab Oktober 1941 durch einen weitaus größeren Lagerkomplex in dem etwa drei Kilometer entfernten Dorf Birkenau erweitert worden ("Auschwitz II"). Im Rahmen der "Aktion Reinhard" wurde um die Jahreswende 1942/43 das Lager Auschwitz-Birkenau endgültig zum Vernichtungslager umfunktioniert, indem neben den anfangs in zwei ehemaligen Bauernhäusern provisorisch eingerichteten Gaskammern vier große Gaskammern mit an- geschlossenen Krematorien gebaut wurden, die im Laufe des Jahres 1943 in Betrieb genommen wurden, sodass schließlich pro Tag bis zu 5.000 Menschen getötet und verbrannt werden konnten.
6
Anfang März 1944 begann die SS damit, nach dem Vorbild der "Aktion Reinhard" die Vernichtung der in Ungarn lebenden jüdischen Bevölkerung (sog. Ungarn-Aktion) einzuleiten. Nachdem eine als "Kommando Eichmann" bezeichnete Gruppe von SS-Angehörigen bereits am 10. März 1944 speziell für die Vorbereitung dieses Vorhabens nach Ungarn gereist war, wurden die dort lebenden Juden nach der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen am 19. März 1944 in Ghettos zusammengetrieben und schließlich in der Zeit vom 16. Mai bis zum 11. Juli 1944 mit Zügen nach Auschwitz deportiert, um dort in gleicher Weise systematisch getötet zu werden wie die zuvor von der "Aktion Reinhard" betroffenen Juden.
7
In Auschwitz-Birkenau hatte die SS die "Ungarn-Aktion" dadurch vorbereitet , dass ein neues Bahnanschlussgleis verlegt worden war, das im Gegensatz zu dem früher genutzten (sog. alte Rampe) innerhalb des Lagers endete und sich dort in drei Gleise auffächerte (sog. neue Rampe). Infolgedessen konnten die Züge mit den Deportierten nur wenige hundert Meter von den Gaskammern entfernt "entladen" werden. Im Übrigen entsprachen die Abläufe im Rahmen der "Ungarn-Aktion" denjenigen bei der "Aktion Reinhard":
8
Die für die "Abwicklung" eines Transports eingeteilten Lagerangehörigen trieben die Deportierten aus den Waggons heraus und wiesen sie an, ihr Gepäck auf der Rampe stehen zu lassen. Um ihre Arglosigkeit aufrechtzuerhalten, teilten sie ihnen wahrheitswidrig mit, dass ihnen das Gepäck nachgebracht werde. Sodann trennte man die Deportierten nach Geschlechtern und trieb sie einem SS-Lagerarzt zu, der die sog. Selektion vornahm, indem er nach dem äußeren Eindruck und kurzer Befragung (insbesondere zu Alter und Beruf) darüber entschied, wer als "arbeitsfähig" oder "nicht arbeitsfähig" anzusehen sei. Die "Arbeitsfähigen" wurden in das Lager eingewiesen und anschließend zur Zwangsarbeit eingesetzt, um auf diese Weise der "Vernichtung durch Arbeit" zugeführt zu werden, alle anderen - durchschnittlich jeweils etwa 80 bis 90 Prozent - wurden direkt zu den Gaskammern geleitet. SS-Angehörige erklärten ihnen wahrheitswidrig, dass es "zum Duschen" gehe. Unmittelbar vor den Gaskammern befand sich ein Raum, der wie ein Umkleideraum gestaltet war. Dort wiesen die SS-Angehörigen die Deportierten an, sich vollständig zu entkleiden. Sie forderten diese - wiederum in der Absicht, ihre Arglosigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten - auf, sich die Stelle, an der sie ihre Kleidung abgelegt hatten, genau zu merken, damit sie ihre Sachen "nach dem Duschen" wiederfänden. Anschließend trieben sie sie in die Gaskammern, wo sie mittels des Schädlingsbekämpfungsmittels "Zyklon B" (Cyanwasserstoff, "Blausäure") qualvoll getötet wurden.
9
Im Verlauf der "Ungarn-Aktion" kamen 141 Züge mit rund 430.000 aus Ungarn deportierten Menschen in Auschwitz an. Weil die zur sofortigen Tötung bestimmten Opfer dort nicht registriert wurden, konnte das Landgericht deren genaue Zahl nicht feststellen; zugunsten des Angeklagten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass zumindest 300.000 der Deportierten sofort getötet wurden.
10
Das auf der Rampe zurückgelassene Gepäck der Deportierten entfernten sogenannte "Funktionshäftlinge" jeweils vor dem Eintreffen des nächsten Transportzuges und durchsuchten es nach Geld sowie Wertgegenständen. Beides brachten sie zwecks weiterer Verwertung zur "Häftlingseigentumsverwaltung".
11
Dem Angeklagten war nach seiner Versetzung zum Konzentrationslager Auschwitz eine Stelle in der "Häftlingsgeldverwaltung" zugewiesen worden. Er war zwischenzeitlich zum "SS-Unterscharführer" befördert worden und in die "Ungarn-Aktion" in gleicher Weise eingebunden wie in die "Aktion Reinhard". So versah er während der "Ungarn-Aktion" an mindestens drei nicht mehr näher feststellbaren Tagen - uniformiert und mit einer Pistole bewaffnet - den sog. Rampendienst an der "neuen Rampe". Dabei hatte er in erster Linie die Aufgabe , während der Entladung der in Auschwitz ankommenden Züge das auf der Rampe abgestellte Gepäck zu bewachen und Diebstähle zu verhindern. Diebstähle von SS-Angehörigen waren in Auschwitz zwar an der Tagesordnung, und die Taten wurden zumeist auch nicht verfolgt, weil den Tätern ein Teil der "Beute" stillschweigend zugestanden wurde, um die Moral der Truppe aufrechtzuerhalten. An der Rampe sollte jedoch unbedingt verhindert werden, dass das Gepäck - vor den Augen der Deportierten - geöffnet, durchsucht und geplündert wurde, um deren für den weiteren Ablauf der Selektion und Vergasung für unerlässlich gehaltene Arglosigkeit nicht zu gefährden und Unruhe zu verhindern. Zugleich war der Angeklagte bei der Ausübung seiner "Rampendienste" auch Teil der Drohkulisse, die jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim ersticken sollte.
12
Neben den "Rampendiensten" hatte der Angeklagte im Rahmen seiner Tätigkeit in der "Häftlingsgeldverwaltung" die Aufgabe, das Geld der Deportierten nach Währungen zu sortieren, zu verbuchen, zu verwalten und nach Berlin zu transportieren. Dort lieferte er es in unregelmäßigen Abständen entweder bei dem "SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt" ab oder zahlte es unmittelbar auf ein Konto der SS bei der Reichsbank ein. Überdies oblag es dem Angeklagten während seiner Diensttätigkeit jederzeit, die Deportierten zu überwachen und Widerstand oder Fluchtversuche nötigenfalls mit Waffengewalt zu unterbinden.
13
Dem Angeklagten waren die Abläufe im Konzentrationslager Auschwitz schon seit seiner Beteiligung an der "Aktion Reinhard" in allen Einzelheiten bekannt. Er wusste insbesondere, dass die nach Auschwitz deportierten Juden dort massenweise unter bewusster Ausnutzung ihrer Arg- und Wehrlosigkeit qualvoll getötet wurden. Ihm war ebenfalls bewusst, dass er die in Auschwitz betriebene Tötungsmaschinerie durch seine Tätigkeiten unterstützte. Er nahm dies indes zumindest billigend in Kauf, um nicht zu den kämpfenden SSEinheiten an die Front versetzt zu werden.
14
II. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
15
III. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten ergeben.
16
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen (§§ 211, 27 StGB). Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass im Konzentrationslager Auschwitz während der "Ungarn-Aktion" mindestens 300.000 Menschen heimtückisch und grausam getötet wurden. Die Annahme der Strafkammer , wonach der Angeklagte zu allen diesen Taten Hilfe geleistet hat, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
17
1. Die rechtliche Bewertung der Handlungen des Angeklagten bemisst sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Danach gilt: Hilfeleistung im Sinne des § 27 StGB ist - bei Erfolgsdelikten - grundsätzlich jede Handlung, welche die Herbeiführung des Taterfolges durch den Haupttäter objektiv fördert oder erleichtert; dass sie für den Eintritt dieses Erfolges in seinem konkreten Gepräge in irgendeiner Weise kausal wird, ist nicht erforderlich (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. März 2001 - 4 StR 453/00, NJW 2001, 2409, 2410 mwN). Beihilfe kann schon im Vorbereitungsstadium der Tat geleistet werden (vgl. BGH, Urteile vom 1. August 2000 - 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, 115; vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 389, jeweils mwN), selbst zu einem Zeitpunkt, in dem der Haupttäter zur Tatbegehung noch nicht entschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 1952 - 3 StR 48/52, BGHSt 2, 344, 345 f.; Beschluss vom 8. November 2011 - 3 StR 310/11, NStZ 2012, 264); sie ist auch noch nach Vollendung der Tat bis zu deren Beendigung möglich (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1952 - 1 StR 316/51, BGHSt 3, 40, 43 f.; Beschluss vom 4. Februar 2016 - 1 StR 424/15, juris Rn. 13, jeweils mwN). Sie kommt auch in der Form sog. psychischer Beihilfe in Betracht, indem der Haupttäter ausdrücklich oder auch nur konkludent in seinem Willen zur Tatbegehung, sei es auch schon in seinem Tatentschluss, bestärkt wird. Dies ist etwa der Fall, wenn dem Haupttäter Unterstützung bei der späteren Tatausführung oder der Verwertung der Tatbeute zugesagt wird (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2002 - 4 StR 208/02, NStZ 2003, 32, 33; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637).
18
Wird die Tat aus einem Personenzusammenschluss - etwa einer Bande oder einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung - heraus begangen, so kann sie dem einzelnen Banden- oder Vereinigungsmitglied nicht allein aufgrund der von ihm getroffenen Bandenabrede oder seiner Zugehörigkeit zu der Vereinigung als eigene zugerechnet werden; es ist vielmehr hinsichtlich jeder Tat nach den allgemeinen Kriterien zu prüfen, ob sich das betreffende Mitglied daran als Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) oder Gehilfe (§ 27 StGB) beteiligt bzw. gegebenenfalls insoweit überhaupt keinen strafbaren Tatbeitrag geleistet hat (st. Rspr.; vgl. etwa zur Bande: BGH, Beschlüsse vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265, 267; vom 24. Juli 2008 - 3 StR 243/08, StV 2008, 575; vom 1. Februar 2011 - 3 StR 432/10, NStZ 2011, 637; zur Vereinigung: BGH, Beschlüsse vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 447 f.; vom 7. Februar 2012 - 3 StR 335/11, NStZ-RR 2012, 256, 257).
19
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die strafrechtliche Bewertung von Handlungen in Rede steht, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen vorgenommen werden. Bei ihrer Anwendung dürfen jedoch die Besonderheiten nicht außer Betracht bleiben, die sich bei derartigen Delikten in tatsächlicher Hinsicht ergeben. Diese bestehen bei einer Tatserie wie dem systematischen Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland darin, dass an jeder einzelnen bei dessen Verwirklichung begangenen Mordtat einerseits eine Vielzahl von Personen allein in politisch, verwaltungstechnisch oder militärischhierarchisch verantwortlicher Position ohne eigenhändige Ausführung einer Tötungshandlung beteiligt war, andererseits aber auch eine Mehrzahl von Personen in Befolgung hoheitlicher Anordnungen und im Rahmen einer hierarchischen Befehlskette unmittelbar an der Durchführung der einzelnen Tötungen mitwirkte. Bei der rechtlichen Bewertung von Handlungen eines - wie hier - auf unterer Hierarchieebene und ohne eigene Tatherrschaft in die organisatorische Abwicklung des massenhaften Tötungsgeschehens eingebundenen Beteiligten muss daher in den Blick genommen werden, dass zu jeder einzelnen Mordtat Mittäter auf mehreren Ebenen in unterschiedlichsten Funktionen sowie mit verschiedensten Tathandlungen zusammenwirkten und daher zu prüfen ist, ob die Handlungen des allenfalls als Tatgehilfe in Betracht kommenden Beteiligten die Tathandlung zumindest eines der an dem Mord täterschaftlich Mitwirkenden im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB gefördert haben.
20
2. Daran gemessen hat das Landgericht die Tätigkeiten des Angeklagten im Konzentrationslager Auschwitz rechtsfehlerfrei als Beihilfe zu den dort im Rahmen der "Ungarn-Aktion" begangenen Morden gewertet, bei denen die Opfer unmittelbar nach Ankunft und "Selektion" in den Gaskammern getötet wurden.
21
a) Dies gilt zunächst hinsichtlich der Opfer, bei deren Ankunft in Auschwitz-Birkenau der Angeklagte Rampendienste leistete. Insoweit bedarf es keiner näheren Erörterung, dass der Angeklagte den SS-Angehörigen, die durch die Selektion an der Rampe und die Ausführung der unmittelbaren Tötungshandlungen durch Einwerfen des "Zyklon B" in die Gaskammern täterschaftliche Mordtaten verübten, in ihrem Tun im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB Hilfe leistete, indem er einerseits durch die Bewachung des Gepäcks dazu beitrug , die Arglosigkeit der Angekommenen aufrechtzuerhalten, und andererseits als Teil der Drohkulisse dabei mitwirkte, jeden Gedanken an Widerstand oder Flucht bereits im Keim zu ersticken.
22
b) Aber auch bezüglich der Opfer, bei deren Eintreffen er keinen Rampendienst versah, hat sich der Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord strafbar gemacht. Zwar ist insoweit nicht festgestellt, dass die an der "Selektion" beteiligten "Ärzte" oder die die Tötungen eigenhändig ausführenden SS-Männer in ihrem unmittelbaren Tun durch die allgemeine Dienstausübung des abwesenden Angeklagten physisch oder psychisch unterstützt worden wären. Indes hat das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend darauf abgehoben, dass der Angeklagte durch seine allgemeine Dienstausübung in Auschwitz bereits den Füh- rungspersonen in Staat und SS Hilfe leistete, die im Frühjahr 1944 die "UngarnAktion" anordneten und in der Folge in leitender Funktion umsetzten bzw. umsetzen ließen (zur mittelbaren Täterschaft im Rahmen staatlicher Machtapparate vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218; vom 4. März 1996 - 5 StR 494/95, BGHSt 42, 65; vom 8. November 1999 - 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270). Dies ergibt sich aus Folgendem:
23
Voraussetzung für die Anordnung und rasche Durchführung der Ermordung der aus Ungarn zu deportierenden Juden war das Bestehen eines organisierten Tötungsapparates, der auf der Basis seiner materiellen und personellen Ausstattung durch verwaltungstechnisch eingespielte Abläufe und quasi industriell ablaufende Mechanismen in der Lage war, in kürzester Zeit eine Vielzahl von Mordtaten umzusetzen. Zu diesem Tötungsapparat zählte das Konzentrationslager Auschwitz, insbesondere das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, mit dem dort für diese Zwecke diensttuenden Personal. Nur weil ihnen eine derart strukturierte und organisierte "industrielle Tötungsmaschinerie" mit willigen und gehorsamen Untergebenen zur Verfügung stand, waren die nationalsozialistischen Machthaber und die führenden SS-Funktionäre überhaupt in der Lage, die "Ungarn-Aktion" anzuordnen und in der geschehenen Form auch durchführen zu lassen. Ihr Tatentschluss und ihre Anordnungen zur Umsetzung der Aktion waren daher wesentlich durch diese Voraussetzungen bedingt und wurden hierdurch maßgeblich gefördert.
24
An dieser Tatförderung hatte der Angeklagte Anteil. Er war Teil des personellen Apparats, der schon zum Zeitpunkt des Befehls zur "Ungarn-Aktion" in Auschwitz Dienst tat. Er war in die Organisation der Massentötungen eingebunden , indem er nach Dienstplan Aufgaben beim Eintreffen der Opfer an der Rampe wahrnahm und es ihm unabhängig hiervon durchgehend oblag, die De- portierten zu überwachen sowie Widerstand oder Fluchtversuche mit Waffengewalt zu verhindern. Letztlich war er darüber hinaus in die Verwertung der Vermögenswerte der Opfer eingebunden, durch die - sei es auch erst nach Beendigung der jeweiligen Mordtat - die SS aus den massenhaften Verbrechen noch Profit zog. Dass diese Funktionen im Konzentrationslager Auschwitz von dort tätigen Angehörigen der SS ausgefüllt wurden, war den Verantwortlichen bei Anordnung der "Ungarn-Aktion" bekannt und war für ihren Tatentschluss sowie ihre entsprechenden Anordnungen und Befehle von grundlegender Bedeutung. Dass sie dabei den Angeklagten nicht persönlich kannten, ist rechtlich ohne Belang. Es genügt ihr Wissen, dass alle im Rahmen der Tötungsmaschinerie auszufüllenden Funktionen mit zuverlässigen, gehorsamen Untergebenen besetzt waren und dies eine reibungslose Umsetzung der "Ungarn-Aktion" garantierte.
25
All dies war nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auch dem Angeklagten bewusst und wurde von ihm zumindest billigend in Kauf genommen. Er war schon kurz nach seinem Dienstantritt in Auschwitz über das dortige Geschehen in vollem Umfang informiert. Er fügte sich dennoch in seinem Bestreben, nicht an die Front versetzt zu werden, in die Organisation des Lagers ein und führte alle ihm erteilten Befehle aus. Daher war ihm klar, dass er durch seine Dienstausübung im Zusammenwirken mit anderen die Voraussetzungen dafür schuf, dass die Verantwortlichen in Staat und SS jederzeit eine in Auschwitz zu exekutierende Vernichtungsaktion beschließen und anordnen konnten, weil auf die dortige Umsetzung ihrer verbrecherischen Befehle Verlass war. Mehr ist für die Annahme eines Gehilfenbeitrags zu allen dem Angeklagten im angefochtenen Urteil zugerechneten Mordtaten aus der "Ungarn-Aktion" in subjektiver Hinsicht nicht erforderlich.
26
3. Die unter 2. b) dargelegte Rechtsauffassung des Senats steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs.
27
Allerdings hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (2 StR 280/67; abgedruckt bei Rüter/de Mildt, Justiz und NS-Verbrechen, Nr. 595b, Bd. XXI, S. 838 ff.; teilweise auch in NJW 1969, 2056) in anderem rechtlichen Zusammenhang (konkurrenzrechtliche Beurteilung von massenhaften Tötungen in durch große Zeiträume getrennten, wesentlich voneinander unterschiedenen und auf unterschiedlichsten Beweggründen beruhenden Tatkomplexen) ausgeführt, dass sich nicht "jeder, der in das Vernichtungsprogramm des Konzentrationslagers Auschwitz eingegliedert" gewesen und dort "irgendwie anlässlich dieses Programms tätig" geworden sei, "objektiv an den Morden beteiligt" habe "und für alles Geschehene verantwortlich" sei (Unterstreichungen im Original). Denn dann wäre auch der Arzt, der zur Betreuung der Wachmannschaft bestellt war und sich streng auf diese Aufgabe beschränkt hat, der Beihilfe zum Mord schuldig. Das gälte sogar für den Arzt, der im Lager Häftlingskranke behandelt und sie gerettet hat. Nicht einmal wer an seiner Stelle dem Mordprogramm kleinere Hindernisse, wenn auch in untergeordneter Weise und ohne Erfolg, bereitet hätte, wäre straffrei (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056 f.).
28
Dem ist hier indes nicht näher nachzugehen; denn der hier zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich deutlich von den vom 2. Strafsenat beispielhaft dargestellten Fallgestaltungen. Dem Angeklagten wird nicht "alles" zugerechnet, was in Auschwitz geschah; vielmehr geht es um die Frage, ob und wie der Angeklagte für die im Rahmen des fest umgrenzten Komplexes der "Ungarn-Aktion" durchgeführten Mordtaten strafrechtlich verantwortlich ist. Auch wurde der Angeklagte nicht "irgendwie anlässlich des Vernichtungspro- gramms" tätig, sondern es sind konkrete Handlungsweisen des Angeklagten mit unmittelbarem Bezug zu dem organisierten Tötungsgeschehen in Auschwitz schon im Vorfeld, aber auch im Verlauf der "Ungarn-Aktion" festgestellt; diese sind rechtlich zu bewerten. Für derartige Sachverhalte sieht sich der Senat vielmehr in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 2. Strafsenats (s. etwa Urteile vom 22. März 1967 - 2 StR 279/66, JZ 1967, 643 f.; vom 27. Oktober 1969 - 2 StR 636/68, juris Rn. 9 und 51 [insoweit in BGHSt 23, 123 nicht abgedruckt]), die dieser auch in seinem Urteil vom 20. Februar 1969 (Rüter/de Mildt aaO, S. 882; NJW 1969, 2056, 2057) nicht aufzugeben beabsichtigte.
29
4. Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob die vom Landgericht vorgenommene Bewertung der Unterstützungshandlungen des Angeklagten als eine einheitliche Beihilfe zum Mord in 300.000 rechtlich zusammentreffenden Fällen (§ 52 StGB) zutreffend ist. Denn dass das Landgericht die Rampendienste des Angeklagten nicht als je tatmehrheitliche Beihilfehandlungen zum vielfachen Mord an den Opfern aus den entsprechenden Transporten bewertet hat, beschwert den Angeklagten hier jedenfalls nicht.
30
IV. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StPO. Eine Erstattung der notwendigen Auslagen der Nebenkläger B. , O. , Le. , Ko. , L. , W. , K. , S. , R. und Lef. im Revisionsverfahren findet wegen der gleichfalls erfolglosen Revisionen dieser Nebenkläger nicht statt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
Becker Schäfer Spaniol
Tiemann Berg

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 277/09
vom
3. Dezember 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
1. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität führt nicht zu einer Änderung der
bisherigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne des
2. Verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung durch koordiniertes Handeln nicht nur
kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten
hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, so
belegt dies regelmäßig den für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendigen
übergeordneten Gemeinschaftswillen.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. Oktober 2009 in der Sitzung am 3. Dezember 2009, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Peter W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Tom W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Teilfreispruchs der Angeklagten T. und Tom W. vom Vorwurf der Volksverhetzung ; jedoch werden die Feststellungen zu dem jeweiligen objektiven Tatgeschehen in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe bezüglich aller Angeklagten aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Der Antrag des Angeklagten T. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. Diese Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Tom W. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie die Angeklagten T. und Peter W. jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Es hat folgende Jugendstrafen verhängt: gegen den Angeklagten Tom W. eine solche von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten Peter W. eine solche von drei Jahren sowie gegen den Angeklagten T. eine solche von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung sowie die Angeklagten G. und R. insgesamt freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, die sich auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind; das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg. Der Angeklagte T. begehrt Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge und beanstandet ebenso wie die Angeklagten Tom und Peter W. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Diese Rechtsmittel sind unbegründet.
2
A. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich ab dem Jahre 2005 eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher aus M. , die sich den Namen "Division Sächsischer Sturm" gegeben hatte und zu der auch die Angeklagten gehörten. Im Herbst 2005 wurde eine Halle in einem Bauhof zum festen täglichen Treffpunkt. Man spielte Musik mit rechtsradikalen Texten und stattete die Räumlichkeiten u. a. mit Reichskriegsflaggen aus. Zwischen dieser Gruppe und anderen Personen in der Umgebung kam es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei sich die Angriffe der Gruppenmitglieder bevorzugt gegen Punker, "Linke" und "Kiffer" richteten.
3
Anfang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen. Im Januar 2006 trafen sich etwa 20 ausgewählte Personen, darunter auch die Angeklagten Tom W. , T. und R. . Es wurde besprochen , dass die Kameradschaft einen Namen und ein Abzeichen bekommen sollte; man dachte auch über eine einheitliche Kleidung nach, um nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Bauhof sollte Ordnung geschaffen und die Teilnahme an rechtsorientierten Veranstaltungen organisiert werden. Hauptziel der Kameradschaft war jedoch, M. durch die Schaffung einer sog. nationalbefreiten Zone "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Dies bedeutete , dass gegen alle Personen, die keine rechtsorientierte politische Gesinnung hatten, mit Gewalt vorgegangen werden sollte. Der Angeklagte Tom W. beabsichtigte , ein "Sammelbecken von Nationalisten" zu schaffen, in dem er Hooligans und Skinheads zusammenführen wollte. Es sollten weiterhin sog. Skinheadkontrollrunden durchgeführt werden, bei denen die Teilnehmer nach missliebigen Personen Ausschau hielten. Wurden solche angetroffen, organisierte und formierte man eine größere Einheit und ging gewalttätig gegen sie vor. An diesen Aktionen sollten nach Möglichkeit alle im Bauhof anwesenden Männer teilnehmen.
4
Nach dieser Vorbesprechung entwickelte der Angeklagte G. nach Recherchen in der Geschichte des Nationalsozialismus den Namen "Kameradschaft Sturm 34". Am ersten Wochenende im März 2006 wurde eine der üblichen Zusammenkünfte im Bauhof spontan zur Gründungsveranstaltung genutzt. Neben anderen Personen hielt der Angeklagte G. eine Rede und erklärte den 30 bis 50 anwesenden Personen den vorherigen Absprachen ent- sprechend, wie eine Kameradschaft zu funktionieren habe, wie es zu dem Namen "Kameradschaft Sturm 34" komme und welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden sollten. Die Anwesenden taten ihre Zustimmung kund und waren sich einig, dass damit die "Kameradschaft Sturm 34" gegründet war. Der Vorschlag , eine Mitgliederliste aufzulegen, wurde u. a. deshalb nicht umgesetzt, weil der Angeklagte R. einwandte, dass eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen nachteilig wäre.
5
Der Angeklagte Tom W. nahm in der Folgezeit in der Gruppierung eine Anführerstellung ein. Er bildete mit den Angeklagten Peter W. , T. und G. sowie weiteren Personen den "harten Kern" der Kameradschaft. Die Beteiligten waren sich einig, dass ihre Ziele nur mittels Gewaltanwendung durchgesetzt werden konnten. Lediglich dem Angeklagten G. schwebte eine gewaltfreie Kameradschaft vor; er schied später aus der Gruppierung aus. Bei einer Veranstaltung am 27. Juni 2006 wurde ein Vorstand gewählt; dieser bestand aus dem Angeklagten Tom W. und drei weiteren Personen, unter denen sich mit H. auch ein weibliches Mitglied befand. Eine schriftliche Satzung wurde in der Folgezeit nicht niedergelegt, einheitliche Kleidung nicht angeschafft. Offizielle Regeln, nach denen die Entscheidungen getroffen werden sollten, wurden nicht aufgestellt. Man legte auch nicht ausdrücklich fest, wer als Mitglied der Kameradschaft anzusehen war. Die Teilnahme an den Aktionen gegen "Zecken" und andere war den im Bauhof Anwesenden freigestellt. Der Angeklagte Tom W. gab in der Regel den Ton an; seine Anweisungen wurden indes nicht allgemein akzeptiert. Der Austritt aus der Kameradschaft war ohne Weiteres möglich; auch das Ausscheiden des Angeklagten G. wurde ohne Diskussion hingenommen.
6
Dem Angeklagten R. waren die ständigen Gewalttaten zuwider; er fürchtete, es könnten Personen zu Tode kommen. Um dies zu verhindern, nahm er Kontakt zu den Polizeibehörden auf und verfasste als Informant Berichte über den Verband. Durch Verfügung vom 22. April 2007 verbot das Sächsische Staatsministerium des Innern die "Kameradschaft Sturm 34" und löste diese auf, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
7
Nach Gründung der "Kameradschaft Sturm 34" kam es zu folgenden Straftaten:
8
Am 12. Mai 2006, dem Himmelfahrtstag, stellten der Angeklagte Tom W. und der gesondert Verfolgte He. bei einer "Skinheadkontrollrunde" fest, dass sich an der Torfgrube M. eine Gruppe sog. Ökos aufhalte. Fast alle am Bauhof Anwesenden, darunter die Angeklagten Tom und Peter W. , machten sich daraufhin mit Handschuhen, die mit Quarzsand gefüllt waren, sowie Springerstiefeln auf den Weg zu der Torfgrube. Eingedenk entsprechender früherer Aktionen gingen sie in unausgesprochenem Einvernehmen davon aus, dass die dort befindliche Gruppe - bei der es sich um acht Schüler und Studenten handelte - zunächst gemeinsam provoziert und sodann gewaltsam vertrieben werden sollte. In Ausführung dieses Vorhabens schlugen und traten sie auf zwei Opfer ein; einem der beiden Jugendlichen wurde zudem eine Bierflasche in das Gesicht geschlagen. Nach der Rückkehr in den Bauhof wurde die Aktion gemeinsam ausgewertet (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
9
In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2006 nahmen zahlreiche Mitglieder der Kameradschaft, darunter alle Angeklagten, an einer Feier teil, bei der ein präpariertes Holzkreuz angezündet wurde. Danach begaben sie sich zu einer Tankstelle, um dort eine Schlägerei mit einer Gruppe junger Leute anzuzetteln. Der Angeklagte G. wollte sich an den Gewalttätigkeiten nicht beteiligen und blieb außerhalb des Tankstellengeländes zurück. Die Teilnahme des Ange- klagten R. an den Tätlichkeiten hat das Landgericht ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Mehrere sonstige Mitglieder der Kameradschaft schlugen den Geschädigten K. zusammen und traten mit Springerstiefeln auf das am Boden liegende Opfer mit "wie beim Fußball ausgeführten Tritten" ein. Die Angeklagten T. und Peter W. beschädigten zudem einen PKW (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
10
In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 2006 fand in B. ein Dorffest statt. Unter den Gästen befanden sich auch drei Punker. Nach einem Streit wurde der Angeklagte Tom W. informiert, von dem bekannt war, dass man ihn jederzeit anrufen konnte, wenn es Probleme gab und man Verstärkung brauchte. Er befand sich auf dem Bauhof, wo sich schnell herumsprach, dass politisch Gleichgesinnte die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert hatten. Mit mindestens sechs voll besetzten Fahrzeugen begaben sich die anwesenden Mitglieder der Kameradschaft, unter ihnen die Angeklagten Tom W. und T. , sodann nach B. , wo sie in militärischer Formation zum Festzelt zogen. Dort begannen sie eine Schlägerei, bei der elf Personen teilweise erheblich verletzt wurden. Nach dem Befehl "Geordneter Rückzug" entfernten sich die Täter, kehrten zum Bauhof nach M. zurück und werteten dort die Aktion aus (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
11
B. Revision der Staatsanwaltschaft
12
I. Zum Umfang der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils durch die Revision der Staatsanwaltschaft gilt:
13
Den Angeklagten ist u. a. vorgeworfen worden, eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Straftaten zu begehen, und sich an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 Abs. 1 StGB), wobei der Angeklagte Tom W. Rädelsführer (§ 129 Abs. 4 StGB) gewesen sein soll. Mit ihrer Revision beantragt die Staatsanwaltschaft , das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben. Ausweislich der Begründung richtet sich das Rechtsmittel dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Außerdem rügt die Beschwerdeführerin die Fassung des Urteilstenors , weil in diesem nicht zum Ausdruck gebracht werde, in wie vielen tateinheitlichen Fällen die jeweilige gefährliche Körperverletzung begangen worden sei. Sie meint, aus diesem Grunde sei auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft.
14
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich somit in der Sache trotz des umfassenden Aufhebungsantrags nicht gegen den Freispruch der Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung. Die hierin liegende Beschränkung der Revision ist wirksam; denn ein Rechtsmittel kann auf solche Beschwerdepunkte beschränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach deren innerem Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbstständig geprüft und beurteilt werden können, ohne dass eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich ist (st. Rspr.; s. BGHSt 47, 32, 35 m. w. N.). Dies ist bei dem gegen die Angeklagten Tom W. und T. erhobenen Vorwurf der Volksverhetzung der Fall, weil es sich hierbei nicht um eine Straftat handelt, die in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangen wurde, und die deshalb zu dem in Rede stehenden De likt der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB im Verhältnis der Tatmehrheit steht.
15
2. Die Staatsanwaltschaft erhebt zwar ebenfalls keine ausdrücklichen Einwände gegen den Freispruch des Angeklagten R. von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2.
der Urteilsgründe. Insoweit kommt eine wirksame Beschränkung der Revision jedoch nicht in Betracht; denn zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten R. an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und den im Fall II. 2. der Urteilsgründe angeklagten Delikten wäre Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen (vgl. BGHSt 29, 288, 290; BGH NStZ 1982, 517, 518). Bei tateinheitlich begangenen Straftaten ist eine beschränkte Nachprüfung des Schuldspruchs grundsätzlich nicht möglich (BGHSt 21, 256, 258; 24, 185, 189). Die Besonderheiten des § 129 StGB als Organisationsdelikt, das über lange Zeiträume ganz verschiedene Verhaltensweisen zu einer materiellrechtlichen Einheit zusammenfasst, führen jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht zu einer anderen Bewertung.
16
Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und schwerer wiegende Straftaten trotz der Annahme materiellrechtlicher Tateinheit unter besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer getrennten Aburteilung zugänglich sind (BGHSt 29, 288, 292 ff.; BGH StV 1999, 352, 353), es rechtfertigen kann, eine Beschränkung der Revision auf in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt stehende schwerere Straftaten als wirksam anzusehen (Paul in KK 6. Aufl. § 318 Rdn. 6 a; zur Zulässigkeit der Revisionsbeschränkung auf einen Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung, wenn diese mit dem Dauerdelikt der Zuhälterei tateinheitlich zusammentrifft, s. BGHSt 39, 390). Dagegen könnte sprechen, dass sich der Schuldumfang des Organisationsdelikts ohne Berücksichtigung der damit im Zusammenhang begangenen Taten nicht beurteilen lässt und umgekehrt (Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn.

66).

17
Dies bedarf indes keiner näheren Betrachtung. Denn eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung käme danach allenfalls in Bezug auf ein mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes schwereres Delikt in Betracht, dessen Strafklage mit der Aburteilung des Organisationsdelikts nicht verbraucht wäre. Im vorliegenden Fall steht aber nicht die Wirksamkeit der Beschränkung der Revision auf ein gewichtigeres, mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes weiteres Delikt in Rede; denn die Staatsanwaltschaft greift mit ihrem Rechtsmittel nicht einen Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch, sondern die unterbliebene Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung an. Die Beschränkung der Revision auf dieses Organisationsdelikt scheidet aus. Denn anders als im umgekehrten Fall wäre insoweit die Strafklage durch die Aburteilung des tateinheitlich verwirklichten schwereren Delikts verbraucht; damit entfällt der wesentliche Gesichtspunkt, der für die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf das in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt gewichtigere Delikt sprechen könnte.
18
3. Aus denselben Gründen umfasst das Rechtsmittel schließlich auch den Schuldspruch der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. wegen gefährlicher Körperverletzung in den drei Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe (vgl. BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Auch diese Straftaten stünden in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt nach § 129 StGB. Damit steht ebenfalls die unterbliebene Verurteilung dieser Angeklagten in Bezug auf den Anklagevorwurf jeweils tateinheitlich mit den gefährlichen Körperverletzungen begangenen Landfriedensbruchs zur revisionsgerichtlichen Überprüfung.
19
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt hat. Die Wertung des Landgerichts, nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen seien die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB nicht gegeben, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist die "Kameradschaft Sturm 34" nach den Feststellungen als kriminelle Vereinigung in diesem Sinne anzusehen. Im Einzelnen:
20
1. Die Strafkammer stützt ihre Beurteilung maßgeblich auf folgende Erwägungen :
21
Die Angeklagten hätten sich zwar mit anderen zu der "Kameradschaft Sturm 34" zusammengeschlossen, um einen Zusammenhalt herzustellen und ihre politische Gesinnung mittels der Begehung von Straftaten durchzusetzen. Die Kameradschaft sei jedoch allenfalls als Bande, nicht aber als kriminelle Vereinigung zu bezeichnen. Es habe an verbandsinternen Entscheidungsstrukturen zur Herausbildung eines Gruppenwillens gefehlt, dem sich die Mitglieder verbindlich zu unterwerfen gehabt hätten. Auch die Wahl eines Vorstandes ändere hieran nichts, zumal mit H. auch ein weibliches Vorstandsmitglied gewählt worden sei. Dies deute darauf hin, dass dieser Akt nicht in Verbindung mit den aus der Gruppe heraus begangenen Straftaten stehe; denn grundsätzlich sollten Mädchen in gewaltsame Aktionen nicht einbezogen werden. Eine Satzung sei zwar geplant gewesen, bis zu der Verbotsverfügung jedoch nicht konkret in Angriff genommen worden. Auch der Umstand, dass innerhalb der Kameradschaft eine gewisse Hierarchie erkennbar gewesen sei, kennzeichne die Gruppierung allenfalls als Bande. Trotz der genannten Strukturen habe sich das Kameradschaftsleben eher zwanglos gestaltet; es habe keine Mitgliedschaftsliste, Mitgliedsbeiträge, feste Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten , Verpflichtung zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung und insbesondere keine Verpflichtung gegeben, sich an den durchgeführten konkreten Straftaten zu beteiligen. Auch der "harte Kern" der Gruppe sei nicht als kriminelle Vereinigung aufgetreten.
22
2. Mit dieser Bewertung hat das Landgericht die Frage, ob die "Kameradschaft Sturm 34" die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung erfüllt, zumindest teilweise unter Heranziehung von Kriterien beurteilt, die für das Bestehen einer Vereinigung keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Bedeutung haben. Außerdem hat es festgestellte, für das Bestehen einer Vereinigung sprechende Umstände nicht in seine Würdigung einbezogen. Damit hat sich die Strafkammer insgesamt den Blick dafür verstellt, welche Tatsachen für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung relevant sind, und damit den festgestellten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewertet.
23
a) Das Vorliegen einer Vereinigung hängt nach bisher in der Rechtsprechung gebräuchlicher Definition von verschiedenen personellen, organisatorischen , voluntativen sowie zeitlichen Kriterien ab. Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist danach der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen , die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGH NJW 2009, 3448, 3459, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; s. auch BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35; BGH NJW 2005, 1668; 2006, 1603; BGHR StGB § 129 Vereinigung 3).
24
Der Senat hält - mit gewissen Modifikationen beim Willenselement - an dieser Bestimmung des Begriffs der Vereinigung für den Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB fest.
25
aa) Der Begriff der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung wird in mehreren europarechtlichen Regelungen näher definiert (vgl. etwa Art. 1 der bis zum 10. November 2008 gültigen Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Eu- ropäischen Union vom 21. Dezember 1998, ABl. EG 1998 Nr. L 351 S. 1; Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42; Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung , ABl. EG 2002 Nr. L 164 S. 3, geändert durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2008, ABl. EG 2008 Nr. L 330 S. 21; jeweils i. V. m. EUV-Lissabon, Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen ). Vor dem Hintergrund der dortigen Umschreibungen wird in der Literatur insbesondere für die terroristische Vereinigung (§§ 129 a, 129 b StGB) teilweise die Auffassung vertreten, der bisher verwendete Vereinigungsbegriff sei "europarechtsfreundlich" zu interpretieren; deshalb sei er dahin zu modifizieren, dass die Anforderungen an die organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen herabgesetzt werden (Krauß in LK 12. Aufl. § 129 a Rdn. 26; Kress JA 2005, 220; v. Heintschel-Heinegg in FS für Schroeder S. 799; krit. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 Rdn. 6 b). Diese Auffassung ist von den Instanzgerichten teilweise übernommen worden (OLG Düsseldorf, Urt. vom 5. Dezember 2007 - IIIVI 10/05).
26
bb) Der Senat hat eine derartige Neubestimmung des Vereinigungsbegriffs für den Bereich der terroristischen Vereinigung ebenfalls zunächst grundsätzlich in den Blick genommen, ohne sich indes im Einzelnen hierzu zu verhalten (BGH NJW 2006, 1603). Insbesondere für die kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB hat er jedoch vor dem Hintergrund des abgestuften Systems der Strafbarkeit von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshandlung, der erforderlichen Abgrenzbarkeit der Vereinigung von einer Bande oder nur mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen, der prozessualen Folgewirkungen sowie des Strafzwecks der §§ 129 ff. StGB in späteren Entscheidungen erhebliche Bedenken geäußert (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; s. auch für die terroristische Vereinigung BGH NJW 2009, 3448, 3460; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der vorliegende Fall gibt Anlass klarzustellen, dass es für den hier relevanten Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB für alle in Betracht kommenden Gruppierungen einheitlich bei der bisher in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition der Vereinigung zu verbleiben hat. Hierzu gilt:
27
Nach Art. 1 Ziffer 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42) bezeichnet der Ausdruck kriminelle Vereinigung einen auf Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind. Art. 1 Ziffer 2 des Rahmenbeschlusses umschreibt einen organisierten Zusammenschluss in diesem Sinne als einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung eines Verbrechens gebildet wird und der auch nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder , eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.
28
Diese Begriffsbestimmungen können nicht unmittelbar für die §§ 129 ff. StGB übernommen werden. Zwar sind bei der Auslegung des deutschen Rechts auch die in Rahmenbeschlüssen des Rates der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben grundsätzlich zu berücksichtigen; denn die nationalen Gerichte haben ihre Auslegung des innerstaatlichen Rechts auch an deren Wortlaut und Zweck auszurichten (Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung, s. EuGH NJW 2005, 2839 - Pupino). Diese Verpflichtung der nationalen Gerichte besteht jedoch nicht uneingeschränkt; sie wird vielmehr durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grund- satz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt (EuGH aaO S. 2841). Einer Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB, die sich an den zitierten Begriffsbestimmungen des Rahmenbeschlusses orientiert, stehen derartige allgemeine Rechtsgrundsätze des deutschen Strafrechts entgegen:
29
Die Übertragung der Definition einer kriminellen Vereinigung in Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 in das nationale Recht würde zu einem unauflösbaren Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken des Systems der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht. Die Umschreibung einer kriminellen Vereinigung nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 unterscheidet sich in ihrem inhaltlichen Gehalt allenfalls nur noch in unwesentlichen Randbereichen von derjenigen einer Bande, wie sie in der neueren Rechtsprechung (BGHSt 46, 321) vorgenommen wird. Eine Bande ist danach gekennzeichnet durch den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen; ein gefestigter Bandenwille und ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse sind demgegenüber nicht mehr erforderlich (BGHSt 46, 321, 325 ff.). Nach deutschem Recht ist indes allein die Mitgliedschaft in einer Bande nicht strafbar; vielmehr führt das Handeln als Bandenmitglied (lediglich) dazu, dass der Täter nicht nur einen strafrechtlichen Grundtatbestand erfüllt, sondern ein Qualifikationsmerkmal (s. etwa § 146 Abs. 2, § 244 Abs. 1 Nr. 2, § 244 a Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 2, § 263 Abs. 5, § 267 Abs. 4 StGB, § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30 a Abs. 1 BtMG) bzw. ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (s. etwa § 263 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 303 b Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB) verwirklicht. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist deshalb kein strafbegründendes, sondern ein strafschärfendes Merkmal. Demgegenüber stellt § 129 Abs. 1 StGB mit Blick auf vereinigungsspezifische Gefährdungen gewichtiger Rechtsgüter bereits u. a. die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als solche unter Strafe. Dieser grundlegende Unterschied ginge bei einer Übernahme des europarechtlichen Begriffs der kriminellen Vereinigung verloren, denn in diesem Fall wäre bereits die Mitgliedschaft in einer Gruppierung strafbar, die lediglich die Voraussetzungen einer Bande erfüllt.
30
Hieraus und aus den weiteren, bereits in den Entscheidungen des Senats vom 20. Dezember 2007 (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3) sowie 14. August 2009 (BGH NJW 2009, 3448, 3460) näher dargelegten Gründen folgt, dass eine "europarechtsfreundliche" Modifikation des bisherigen Begriffs der kriminellen Vereinigung durch die Rechtsprechung nicht möglich ist. Sie wäre vielmehr allein Sache des Gesetzgebers (für die kriminelle Vereinigung im Ergebnis ebenso Krauß aaO § 129 Rdn. 49), der bei einer Neuregelung allerdings auch dafür Sorge zu tragen hätte, dass das deutsche materielle Strafrechtsgefüge insgesamt in sich stimmig bleibt.
31
b) Nach den Feststellungen ist nicht zweifelhaft, dass sich in der "Kameradschaft Sturm 34" mindestens drei Personen für eine gewisse Dauer zusammenschlossen und somit die Anforderungen an eine Vereinigung in personeller und zeitlicher Hinsicht erfüllt sind.
32
c) Zu den maßgebenden Gesichtspunkten bezüglich der Organisation der "Kameradschaft Sturm 34" gilt:
33
aa) Eine Vereinigung ist in struktureller Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass ein Mindestmaß an fester Organisation mit einer gegenseitigen Verpflichtung der Mitglieder besteht (BGHSt 31, 202, 206; 31, 239, 242). Diese innere Organisation muss so stark sein, dass sich die Durchsetzung der Ziele der Ver- einigung nach bestimmten Gruppenregeln vollzieht und der individuelle Gestaltungseinfluss des Einzelnen dahinter zurücktritt. Die Straftaten und Aktionen, die von den Mitgliedern der Vereinigung geplant und begangen werden, müssen vor diesem Hintergrund stattfinden. Erforderlich ist dabei ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung (BGH NJW 1992, 1518).
34
bb) Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen gegeben; diesen ist zu entnehmen, dass innerhalb der "Kameradschaft Sturm 34" eine ausreichende organisatorische Struktur vorhanden war, um die gemeinsam verfolgten Ziele - Schaffung einer "national-befreiten Zone" in der Gegend um M. usw. - zu verwirklichen (zu den für einen ausreichenden organisatorischen Zusammenschluss sprechenden Indizien zusammenfassend Krauß aaO § 129 Rdn. 25 m. w. N.).
35
Die Mittel, deren sich die Mitglieder der Kameradschaft hierfür bedienen wollten, waren von Beginn an festgelegt. Insbesondere die Durchführung der sog. Skinheadkontrollrunden und gegebenenfalls die sich unmittelbar an diese anschließenden Aktionen gegen missliebige Personen erforderten ein beachtliches Maß an Koordination zwischen den Beteiligten. Auch die mit einem nicht unerheblichen logistischen Aufwand verbundene Art und Weise, in der die konkreten Straftaten begangen wurden, belegt eine intensive vorherige Abstimmung zwischen den Mitgliedern der Organisation (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 300, 301). In dem Bauhof war ein ständiger Gruppentreff und damit ein räumlicher Fixpunkt eingerichtet (Krauß aaO § 129 Rdn. 25), von dem die gewalttätigen Aktionen ausgingen und zu dem die Teilnehmer an den konkreten Straftaten nach deren Begehung jeweils zurückkehrten. Die dort sodann - jedenfalls in den Fällen II. 1. und 3. der Urteilsgründe - vorgenommene gemeinsame Aus- wertung der gewalttätigen Aktionen lässt ein bemerkenswertes Maß an Planung und personeller Geschlossenheit erkennen; sie ist deshalb ebenfalls ein gewichtiges Indiz für den organisatorischen Zusammenhalt der Gruppenmitglieder. Hinzu kommt, dass die Bestimmung der Ziele der Gruppe und der zu deren Erreichung eingesetzten Mittel auf einer gemeinsamen politisch-ideologischen Grundhaltung der Beteiligten beruhte (vgl. zu diesem Kriterium auch den Sachverhalt , welcher der Entscheidung BGHSt 41, 47 zugrunde liegt). Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" einte eine politisch im extrem rechten Bereich zu verortende Überzeugung, welche Grundlage der Straftaten war, auf deren Begehung die Gruppierung gerichtet war. All diese Umstände belegen einen hohen Organisationsgrad der Gruppierung, der den Anforderungen genügt, die in organisationsspezifischer Hinsicht an eine Vereinigung zu stellen sind.
36
d) Auch das erforderliche Willenselement der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
37
aa) Nach bisher ständiger Rechtsprechung ist wesentlich für eine Vereinigung die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb grundsätzlich bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbindet diese noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung , weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibt. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; maßgeblich ist allein, dass sie von den Mitgliedern der Vereinigung übereinstimmend anerkannt wird. Die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem Demokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein. Die Annahme einer Vereinigung scheidet indes aus, wenn die Mitglieder einer Gruppierung sich nur jeweils der autoritären Führung einer Person unterwerfen, ohne dass dies vom Gruppenwillen abgeleitet wird (BGHSt 31, 239, 240; 45, 26, 35; BGH NJW 1992, 1518; 2009, 3448, 3460, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
38
Der Bundesgerichtshof hat in Anwendung dieser Grundsätze in mehreren , vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ergangenen Entscheidungen hohe Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen hinsichtlich des Zustandekommens des Gruppenwillens in einer Vereinigung gestellt und auf dieser Grundlage den jeweiligen Urteilsgründen ausreichende Tatsachen, die das voluntative Element einer Vereinigung belegen, nicht zu entnehmen vermocht (vgl. etwa BGHSt 31, 202; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3; BGH NJW 1992, 1518; NStZ 2004, 574; 2007, 31). Der Senat hat allerdings in Entscheidungen zum Staatsschutzstrafrecht im engeren Sinne im Hinblick auf die zugrunde liegenden besonderen, für den Staatsschutzbereich typischen Fallgestaltungen auch weniger detaillierte tatrichterliche Feststellungen zur Art und Weise der Willensbildung innerhalb einer Organisation als ausreichend bewertet. So hat er etwa in dem Urteil vom 10. März 2005 (NJW 2005, 1668), welches die Strafbarkeit der Mitglieder einer Musikgruppe zum Gegenstand hatte, die auf die Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts ausgerichtet war, ausgeführt, das Tatgericht habe zwar nicht festgestellt, dass sich die Angeklagten verbindliche Regeln gegeben hätten, nach denen sämtliche Entscheidungen innerhalb der Gruppe zu treffen gewesen seien. Dies sei indessen auch nicht erforderlich gewesen; denn aus dem erfolgreichen Zusammenwirken über mehrere Jahre ergebe sich ohne Weiteres, dass sich jedes einzelne Gruppenmitglied dem vom gemeinsamen Willen getragenen Ziel untergeordnet haben müsse (BGH aaO S. 1670). In seinem Beschluss vom 28. November 2007 (NJW 2008, 86), bei dem es um politisch motivierte Brandstiftungen ging, hat er darauf hingewiesen, dass zwar die inneren Strukturen der Gruppe nicht aufgedeckt seien. Der Inhalt der veröffentlichten Schriften zeige jedoch hinreichend deutlich, dass die Mitglieder der Gruppe ihre Aktivitäten an den ideologischen Vorgaben und der daraus entwickelten Strategie der Organisation ausrichteten und sich somit dem aus der internen Meinungsbildung entspringenden Gruppenwillen unterordneten (BGH aaO S. 87). In dem Urteil vom 14. August 2009 (NJW 2009, 3448, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) hat der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen die Al Qaida als Vereinigung im Sinne der §§ 129 a, 129 b StGB gewürdigt. Bei der Bewertung des Willenselements hat er u. a. darauf abgestellt, deren Mitglieder hätten im dortigen Tatzeitraum die gemeinsame politisch-ideologische Grundhaltung des gewaltbereiten extremistischen Islamismus geteilt. Die Gruppierung habe mit dem "Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" bis zur Zerstörung der USA und ihrer Verbündeten über eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende , von allen Mitgliedern getragene Zielsetzung verfügt.
39
bb) An der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Tendenz , bei der Beurteilung des notwendigen voluntativen Elements der Vereinigung den Schwerpunkt der Betrachtung weniger auf die Regeln zu legen, nach denen sich die Willensbildung vollzieht, vielmehr vor allem die Zielsetzung der Vereinigung und den Gemeinschaftswillen selbst in den Blick zu nehmen, hält der Senat fest; er präzisiert diesen Ansatz wie folgt:
40
Verfolgen die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und handeln sie hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammen, so belegt dies regelmäßig für sich bereits hinreichend, dass innerhalb des Verbands der für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendige übergeordnete Gemeinschaftswille besteht und von den Mitgliedern anerkannt wird; denn die nachhaltige, aufeinander abgestimmte gemeinsame Verfolgung einer derartigen übergeordneten Zielsetzung ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Mitglieder der Gruppierung sich unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen einem auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Gruppenwillen unterordnen. In diesen Fällen ist das Bestehen ausdrücklicher, verbindlicher Regeln, nach denen die Entscheidungen innerhalb der Gruppierung zu treffen sind, für das voluntative Element der Vereinigung nicht konstitutiv; deshalb erübrigen sich nähere Feststellungen dazu, auf welche formale Art und Weise der gemeinschaftliche Wille gebildet wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Sachverhalt ausnahmsweise Besonderheiten aufweist, die aus der Verfolgung des gemeinsamen übergeordneten Ziels keinen ausreichenden Schluss auf die Existenz eines den individuellen Interessen der Einzelnen vorgehenden Gemeinschaftswillens zulassen.
41
Dieses Verständnis ergibt sich insbesondere aus einer an Sinn und Zweck des § 129 StGB orientierten Auslegung des Vereinigungsbegriffs; denn vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vereinigungsdelikte kommt es - jedenfalls in den Fällen, in denen die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende Zielsetzung verfolgen - wesentlich auf die Existenz dieses Gemeinschaftswillens, nicht aber darauf an, nach welchen verbindlichen Regeln sich die Willensbildung im Einzelfall vollzieht. § 129 StGB soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer ausreichend festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet und die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGHSt 28, 147, 148 f.; BGH NJW 1992, 1518). Für die so verstandene spezifisch vereinigungsbezogene Gefährlichkeit ist die konkrete Ausgestaltung der Art und Weise der Bildung des gemeinschaftlichen Willens jedenfalls in den Fallgestaltungen ohne erheblichen Belang, in denen die in Rede stehende Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt werden kann, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles verbunden fühlen. Dies rechtfertigt es, in den Fällen, in denen die Beteiligten sich zusammengeschlossen haben und tätig werden, um ein über die Begehung konkreter Straftaten hinausgehendes Ziel zu erreichen, regelmäßig vom Bestehen eines für die Qualifikation des Zusammenschlusses als Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ausreichenden Gruppenwillen auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten bereits eine längere Zeit zusammengewirkt und sich dabei Verhaltensmuster herausgebildet haben, die einen jeweils neuen ausdrücklichen Prozess zur Bildung eines Gemeinschaftswillens - etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung oder Begehung vereinigungsspezifischer Straftaten - entbehrlich machen.
42
Ein derartiges übergeordnetes Ziel verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung typischerweise etwa in den Fällen politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivierter Kriminalität. Solche Fallgestaltungen erscheinen jedoch darüber hinaus auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität denkbar. Dort wird es indes regelmäßig an der Verfolgung eines übergeordneten gemeinschaftlichen Ziels fehlen; denn bei Wirtschaftsstraftaten steht typischerweise das persönliche Gewinnstreben des einzelnen Täters im Vordergrund. In diesen Fällen sind die hergebrachten Grundsätze zur Feststellung des Gruppenwillens weiterhin maßgebend; deshalb sind hier nach wie vor Feststellungen dazu erforderlich , nach welchen Regeln sich der gemeinschaftliche Wille der Gruppie- rung bildet, denen die einzelnen Mitglieder folgen, weil sie sie als verbindlich ansehen. Aus den dargelegten Gründen kommt es auch vor dem Hintergrund der Regelungen in dem Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Oktober 2008, der ersichtlich vor allem wirtschaftskriminelle Gruppierungen in den Blick nimmt, nicht in Betracht, die inhaltlichen Anforderungen an eine kriminelle Vereinigung speziell für diesen Bereich zu mindern. Es verstieße im Übrigen gegen fundamentale Auslegungsgrundsätze, wollte man das Tatbestandsmerkmal der kriminellen Vereinigung abhängig von den tatsächlichen Feststellungen zu den Zielsetzungen des Personenzusammenschlusses unterschiedlich interpretieren; der Begriff der kriminellen Vereinigung kann deshalb nur insgesamt einheitlich verstanden werden.
43
cc) Auch wenn man in den Fällen der koordinierten Verfolgung eines übergeordneten Ziels durch die Gruppenmitglieder bei der Bewertung des Willenselements der Vereinigung maßgeblich auf die Existenz eines Gruppenwillens als solchen und nicht auf die Art seines Zustandekommens abstellt, unterscheidet sich die Vereinigung hinreichend sicher von anderen Formen des strafbaren Zusammenwirkens mehrerer.
44
Dies gilt zunächst im Verhältnis zu der Begehung von Straftaten durch die Mitglieder einer Bande. Der Senat verkennt nicht, dass bei einer Herleitung des maßgebenden Gemeinschaftswillens aus der gemeinsamen Verfolgung eines übergeordneten Ziels wesentlich auf ein tatsächliches Element abgestellt wird, das Ähnlichkeiten zu dem übergeordneten Interesse aufweist, welches die frühere Rechtsprechung als für eine Bande konstitutives Merkmal angesehen hatte (BGHSt 42, 255, 259; BGH NStZ 1997, 90, 91; BGHR BtMG § 30 a Bande 8). Mit diesem Erfordernis war die Bandentat allerdings ohnehin bereits in die Nähe des Organisationsdelikts nach § 129 StGB gerückt worden (BGHSt 46, 321, 327). Entscheidend ist jedoch, dass - wie bereits aufgezeigt - nach neue- rem Verständnis der Rechtsprechung ein derartiges übergeordnetes Interesse für eine Bande nicht mehr notwendig ist. Die Mitglieder einer Bande können - und werden regelmäßig - ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung sowie Beute- und Gewinnerzielung verfolgen (BGHSt 46, 321, 329 f.). Gerade hierin besteht - auch nach dem dargelegten Verständnis des Senats - neben den bedeutend geringeren Anforderungen an die Organisation der Gruppierung ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einer Vereinigung.
45
Die Abgrenzung zu mittäterschaftlichem Zusammenwirken ist ebenfalls weiterhin trennscharf möglich; denn diese ist von einem gemeinsamen Willen mehrerer Personen zur Tat und einer gemeinsamen Tatherrschaft gekennzeichnet. Darüber hinaus muss keines der für eine Vereinigung konstitutiven Elemente vorliegen (Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 a Rdn. 35).
46
dd) Gemessen an den dargelegten Maßstäben wird hier der erforderliche Gruppenwille durch die Feststellungen hinreichend belegt. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" verfolgten ein von einem gemeinschaftlichen Bestreben getragenes Ziel, das über die Begehung der einzelnen strafbaren Gewalttätigkeiten hinausging; sie einte das in gemeinsamer rechtsgerichteter politisch -ideologischer Überzeugung wurzelnde, von übereinstimmenden Vorstellungen getragene Vorhaben, M. und Umgebung durch die Vertreibung politisch Andersdenkender "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Die Umsetzung dieses Ziels durch die Begehung gewalttätiger Straftaten war ebenfalls vom Gruppenwillen umfasst, ohne dass es insoweit einer jeweils ausdrücklichen Form des Willensbildungsprozesses bedurfte. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" wirkten planvoll und zielgerichtet zusammen; ihr bereits längere Zeit vor der Gründung der Kameradschaft und nach diesem Zeitpunkt praktiziertes Vorgehen gegen missliebige Personen folgte einem einge- schliffenen Verhaltensmuster. Dies belegt ein nicht unbeträchtliches Maß an gemeinschaftlicher Willensbildung, der sich die einzelnen Mitglieder der Gruppierung unter Zurückstellung der jeweiligen Vorstellungen des Einzelnen unterordneten ; denn anderenfalls wäre die gemeinsame Durchführung der gewalttätigen Aktionen in der festgestellten Form nicht möglich gewesen. Unter diesen Umständen waren detaillierte Feststellungen zur Art und Weise der Bildung des Gemeinschaftswillens hier nicht erforderlich.
47
Für das Bestehen eines verbindlichen übergeordneten Gruppenwillens spricht auch, dass der Angeklagte G. sein Ziel einer gewaltfreien Kameradschaft nicht durchsetzen konnte und später aus dem Verband ausschied. Die Strafkammer hat schließlich selbst im Rahmen der Strafzumessung sowohl dem Angeklagten T. als auch dem Angeklagten Peter W. ausdrücklich zu Gute gehalten, sie hätten sich der durch die "Kameradschaft Sturm 34" entstehenden Gruppendynamik nicht entziehen können.
48
Dass bei den Mitgliedern der Kameradschaft das Bewusstsein bestand, einem organisatorisch ausreichend fest gefügten, auf die Begehung von Straftaten gerichteten Verband anzugehören, ergibt sich schließlich auch aus den Feststellungen zu Fall II. 3. der Urteilsgründe. Nach diesen hatten außerhalb der Gruppierung stehende, politisch gleichgesinnte Personen die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert; dies löste bei den auf dem Bauhof anwesenden Personen keine Zweifel darüber aus, wer hiermit gemeint war.
49
e) Soweit die Strafkammer demgegenüber zur Begründung ihrer Auffassung , die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung seien nicht gegeben, darauf abgestellt hat, dass eine Satzung noch nicht erstellt war, eine Mitgliederliste nicht geführt wurde, keine Mitgliedsbeiträge erhoben wurden und keine festen Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten sowie Verpflichtungen zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung bestanden, hat sie die Bedeutung dieser Kriterien verkannt. Diese Umstände sind zwar, wenn sie festzustellen sind, Indizien, die für das Vorliegen einer Vereinigung sprechen. Sie sind jedoch für eine kriminelle Vereinigung nicht konstitutiv; allein aus ihrem Fehlen kann deshalb nicht geschlossen werden, dass die Voraussetzungen einer Vereinigung nicht gegeben sind.
50
Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht seine Beurteilung auf die Erwägung gegründet hat, dass die einzelnen Mitglieder der Kameradschaft nicht zur Beteiligung an den konkreten Gewalttätigkeiten verpflichtet waren. Auch dieser Umstand findet als Voraussetzung für das Bestehen einer Vereinigung im Gesetz keine Stütze. Die §§ 129 ff. StGB setzen als Vorfelddelikte nach ihrer Struktur nicht voraus, dass überhaupt von den Mitgliedern der Vereinigung konkrete Straftaten begangen werden, solche müssen noch nicht einmal konkret geplant oder vorbereitet sein (vgl. BGH NJW 2005, 80, 81). Erst recht ist es nicht notwendig, dass bei den einzelnen Taten alle oder jeweils dieselben Mitglieder der Vereinigung aktiv werden; vielmehr ist auch eine Begehung in wechselnder Besetzung möglich (BGHSt 31, 202, 206). Mit Blick auf den Strafzweck der Vereinigungsdelikte (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51) ist es erforderlich , aber auch ausreichend, dass die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung solcher Delikte gerichtet ist.
51
Ebenso wenig hängt die Bewertung der Kameradschaft als kriminelle Vereinigung davon ab, ob eine ausdrückliche Festlegung dahin existierte, wer als Mitglied der Kameradschaft gelten sollte. Nach den Feststellungen sind jedenfalls diejenigen als Mitglied der Kameradschaft - das heißt als Person, die sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet - anzusehen , die regelmäßig die Treffen im Bauhof besuchten. Es liegt nahe, dass dies auch für diejenigen anzunehmen ist, die an der Gründungsveranstaltung teilnahmen oder sich an der Wahl des Vorstands beteiligten. Somit lassen sich die Mitglieder der Kameradschaft auch ohne ausdrückliche Regelung hinreichend sicher von solchen Personen abgrenzen, die nicht auf Dauer oder zumindest längere Zeit am "Kameradschaftsleben" teilnahmen. Im Übrigen ist im Randbereich die Abgrenzung von Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten einer Vereinigung häufig im Einzelfall problematisch; dies stellt jedoch nicht per se deren Existenz in Frage.
52
Zur Abgrenzung einer Vereinigung von sonstigem strafbaren Verhalten mehrerer Personen untauglich ist schließlich die Erwägung des Landgerichts, in dem gewählten Vorstand habe sich ein weibliches Mitglied befunden, Mädchen hätten jedoch an den Gewalttätigkeiten nicht teilnehmen sollen. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Abgrenzungskriterien erschließt sich dem Senat der Sinn dieser Argumentation nicht.
53
3. Einen weiteren Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) der Angeklagten deckt die Revision nicht auf.
54
III. Für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bedeutet dies:
55
1. Obwohl die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung belegen, kann der Senat nicht selbst in der Sache dahin entscheiden, dass die Angeklagten sich nach § 129 StGB strafbar gemacht haben.
56
Für die Angeklagten G. und R. folgt dies bereits daraus, dass diese vom Landgericht insgesamt freigesprochen worden sind. In solchen Fällen ist für eine entsprechende Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO regelmäßig kein Raum, wenn sich die Revision der Staatsanwaltschaft erfolgreich gegen den Freispruch eines Angeklagten wendet. Denn die auf einen Freispruch zugeschnittenen und daher bereits ihrer Natur nach ergänzungsbedürftigen Feststellungen bieten dem Revisionsgericht vor allem deshalb keine verlässliche Grundlage für eine den Angeklagten belastende Sachentscheidung, weil sie von Verfahrensfehlern betroffen sein können, die der Angeklagte nur aus dem Grund nicht rügen konnte, weil er durch sie nicht beschwert war. Ein Ausnahmefall , in dem die Aufhebung des Freispruchs durch das Revisionsgericht mit einem Schuldspruch verbunden werden kann, liegt hier nicht vor (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 13 m. w. N.).
57
Entsprechendes gilt auch für die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. . Da das Vergehen nach § 129 StGB mit den vom Landgericht abgeurteilten gefährlichen Körperverletzungen in Tateinheit stünde, hat die Strafkammer die genannten Angeklagten zwar zu Recht insoweit nicht formal - teilweise - freigesprochen. In der Sache konnten sich indes auch diese Angeklagten gegen die Feststellungen in dem sie nicht beschwerenden Teil des Urteils nicht angemessen zur Wehr setzen.
58
Hinzu kommt, dass allen Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft nicht nur die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, sondern auch deren Gründung zur Last gelegt worden ist. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt. Seine frühere Auffassung , die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung umfasse auch die Beteiligung des Mitglieds an der Gründung der Vereinigung mit der Folge, dass in diesen Fällen der Schuldspruch nur wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Vereinigung zu ergehen habe (BGH NStZ 2004, 385), gibt der Senat auf. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung weist einen im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied selbstständigen Unrechtsgehalt auf. Dieser ist nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Rechtsklarheit gebietet es vielmehr, bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass der Angeklagte über die mitgliedschaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Zu den Einzelheiten des Gründungsvorgangs und dabei insbesondere den Tatbeiträgen der Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht in dem für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts erforderlichen Umfang. Dies ist zwar vor dem Hintergrund der rechtlichen Auffassung des Landgerichts nachvollziehbar, die "Kameradschaft Sturm 34" sei nicht als kriminelle Vereinigung anzusehen und der Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB sei bereits aus diesem Grunde nicht verwirklicht. Dem Senat ist es auf dieser ungenügenden tatsächlichen Grundlage jedoch verwehrt, in der Sache durchzuerkennen.
59
2. Die somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft gebotene Aufhebung des Urteils betrifft alle Angeklagten. Sie umfasst die angefochtene Entscheidung insoweit, als sie nicht wegen des Vergehens nach § 129 StGB verurteilt bzw. ausdrücklich freigesprochen worden sind. Miterfasst von der Aufhebung sind damit auch die abgeurteilten Taten (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe); denn diese stünden im Falle einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Organisationsdelikt nach § 129 Abs. 1 StGB in Tateinheit (BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Hieraus folgt auch, dass der Freispruch des Angeklagten R. vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Überfall an der Esso-Tankstelle in S. ) keinen Bestand haben kann.
60
Bereits aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft von der Aufhebung nicht umfasst ist demgegenüber der Freispruch der Angeklagten T. und Tom W. vom gegenüber § 129 StGB selbstständigen Tatvorwurf der Volksverhetzung.
61
3. Die Feststellungen zu den einzelnen Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies betrifft auch die Feststellungen, die dem Freispruch des Angeklagten R. im Fall II. 2. der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten, der seine Beteiligung an dieser Tat bestritten hat, sowie der erhobenen Beweise lässt revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler (vgl. BGH NJW 2005, 2322, 2326) nicht erkennen.
62
C. Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten T.
63
Der Angeklagte T. hat seine Revision form- und fristgerecht eingelegt und mit der Sachrüge und einer verfahrensrechtlichen Beanstandung begründet. Er beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel, eine im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht fristgerecht vorgelegte Seite eines Gerichtsbeschlusses nachreichen zu können.
64
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen (MeyerGoßner , StPO 52. Aufl. § 44 Rdn. 7 b m. w. N.). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist bereits deshalb nicht versäumt, weil das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist. Aber auch die in Rede stehende Verfahrensrüge ist nicht verspätet, sondern allein in einer der gesetzlichen Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Weise erhoben worden, weil der Beschluss des Landgerichts vom 4. Juli 2008 nicht vollständig mitgeteilt worden ist. Es widerspricht im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens, in derartigen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur formgerechten Begründung der Revisionsrüge zuzulassen, nachdem der Beschwerdeführer durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts (vgl. § 349 Abs. 2 und 3 StPO) von der Formwidrigkeit seiner Verfahrensrüge erfahren hat (BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 28/08 - Rdn. 3; Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - Rdn. 5). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Meyer-Goßner aaO § 44 Rdn. 7 ff.), liegt nicht vor.
65
Im Übrigen bliebe die Rüge gemäß den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache ohne Erfolg.
66
D. Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W.
67
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; deren Rechtsmittel sind deshalb unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
68
E. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
69
I. Die Feststellungen, die das neue Tatgericht insbesondere zum Tatvorwurf nach § 129 StGB zu treffen haben wird, dürfen die zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe aufrecht erhaltenen Feststellungen ergänzen, diesen aber nicht widersprechen.
70
II. Das neue Tatgericht wird ggf. bei der Bestimmung der angemessen Sanktion für den Angeklagten Tom W. zu bedenken haben, ob nach den § 105 Abs. 1, § 31 JGG eine einheitliche Jugendstrafe in Betracht kommt. Dabei wird es erforderlich sein, ergänzend den Vollstreckungsstand hinsichtlich der mitgeteilten Vorverurteilungen dieses Angeklagten festzustellen; dieser lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.
71
III. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. hätten sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, ist als solche rechtsfehlerfrei. Dies gilt ebenfalls für die Wertung der Strafkammer, ein Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichten Landfriedensbruchs (§§ 125, 125 a StGB) scheide aus. Schließlich lässt ihre Würdigung, auf der Grundlage der Feststellungen zur Tat II. 2. der Urteilsgründe sei der Angeklagte R. insoweit nicht wegen einer strafbaren Beteiligung an der gewalttätigen Auseinandersetzung zu verurteilen, Rechtsfehler nicht erkennen.
72
IV. Gelangt das neue Tatgericht zu der Auffassung, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. seien der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, u. U. in Tateinheit mit deren Gründung, schuldig und hätten sich daneben in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, wären die Konkurrenzen wie folgt zu beurteilen:
73
Die mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. an der kriminellen Vereinigung und die von den Angeklagten begangenen gefährlichen Körperverletzungen stünden zueinander jeweils im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB); denn es handelte sich bei den Körperverletzungsdelikten um Straftaten, welche die Angeklagten als Mitglieder der kriminellen Vereinigung in Verfolgung von deren Zielen begingen (BGHSt 29, 288, 290). Da die gefährlichen Körperverletzungen nach § 224 StGB schwerer wiegen als das Vergehen nach § 129 Abs. 1 StGB, würden die einzelnen Gewalt- delikte nicht nach den Grundsätzen der Klammerwirkung durch die Organisationsstraftat zu einer materiellrechtlich insgesamt einheitlichen Tat verbunden (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 52 Rdn. 28 ff.); sie stünden vielmehr zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).
74
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls, um das Konkurrenzverhältnis bei gleichartiger Tateinheit im Sinne des § 52 StGB kenntlich zu machen, in der Entscheidungsformel anzugeben haben, wie oft der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung jeweils verwirklicht wurde (vgl. Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 26).
75
V. Mit Blick darauf, dass die Angeklagten G. und R. mit dem gewaltsamen Vorgehen der Kameradschaftsmitglieder nicht einverstanden waren und der Angeklagte R. sich den Polizeibehörden als Informant zur Verfügung stellte, erscheint jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen die Wertung nicht völlig unbedenklich, beide hätten sich als Mitglied an der Vereinigung beteiligt. Denn dies erfordert, dass der Täter sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH NStZ 1993, 37, 38).
Sollte das neue Tatgericht diese Voraussetzungen feststellen und eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 129 Abs. 1 StGB bejahen, wird es bei der Bestimmung der Rechtsfolgen jedenfalls die in § 129 Abs. 5 und 6 StGB enthaltenen Regelungen bzw. die hinter diesen Vorschriften stehen Rechtsgedanken nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
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Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
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Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
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Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
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3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
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aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
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(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
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Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
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(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
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Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
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(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
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bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
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(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
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(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
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(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
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cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
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dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
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Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
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(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
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(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
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Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
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Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
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Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
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Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
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Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
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Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
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b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
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Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
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bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
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cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
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dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
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4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
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5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
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Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
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Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 179/10
vom
28. Oktober 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist
nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a
StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung
notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen
Voraussetzungen erfüllt.
2. Hieraus folgt, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer
Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen
(Haupt-)Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen
muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die
Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich
dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass
sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess
in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht.
BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 179/10 - OLG Frankfurt am Main
in der Strafsache
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 1. Dezember 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte beanstandet mit seiner hiergegen gerichteten Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
2
1. Der Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Angeklagte von Juli 2004 bis Juni 2007 in Deutschland nacheinander insgesamt drei Gebiete der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) leitete.
3
Im Einzelnen hat das Oberlandesgericht hierzu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Ziel der im Jahre 1978 gegründeten PKK war es zunächst, in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran einen sozialistischen kurdischen Nationalstaat unter ihrer alleinigen Führung zu errichten. Sie verstand sich als straff organisierte, zentralistisch geführte, den Zielen des Marxismus/Leninismus verpflichtete Kaderorganisation und erachtete die Anwendung "revolutionärer Gewalt" als legitim. Im Jahre 1984 begann sie einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Die Auseinandersetzungen wurden von beiden Seiten mit großer Härte geführt und forderten insbesondere unter der Zivilbevölkerung zahlreiche Opfer.
5
Nachdem die Kämpfe die PKK ihrem Ziel nicht entscheidend näher gebracht hatten, erklärte ihr Führer Abdullah Öcalan 1996/1997, es sei auch ein "bundesstaatliches Modell nach Schweizer Vorbild" vorstellbar. Öcalan wurde im Februar 1999 festgenommen. Aus diesem Anlass wurden die Parteiziele weiter modifiziert; es sollte nunmehr nur noch die Wahrung der kurdischen Identität durch Erhaltung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der kurdischen Bevölkerung innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei in friedlichem Ausgleich mit dem türkischen Staat und auf demokratischem Wege erreicht werden. Im Juni 1999 wurde Öcalan in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Im August 1999 erklärte die PKK den Guerillakampf einseitig für beendet und ordnete den Rückzug ihrer Verbände aus der Türkei an. Die bewaffneten Einheiten zogen sich daraufhin vor allem in den Nordirak zurück und gliederten sich als "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel - HPG) neu. Diese "Friedenslinie" diente vorrangig dazu, das Leben Öcalans zu retten.
6
Im April 2002 wurde der "Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans" (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane - KADEK) gegründet, der sich unter Aufrechterhaltung von Strukturen und Zielen der PKK als deren Nachfolger verstand. Die gegen Öcalan verhängte Todesstrafe wurde im Oktober 2002 in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Der KADEK beschloss im Oktober 2003 seine Auflösung; gebildet wurde nunmehr der "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA-GEL), dessen politischen Willen die HPG unterstellt wurden. Diese kündigten den "Waffenstillstand" mit der Türkei zum 1. Juni 2004 auf. In der Folgezeit eskalierten die gewalttätigen Auseinandersetzungen und forderten auf beiden Seiten vermehrt Todesopfer.
7
Im April 2005 bildete sich nach den Vorgaben Öcalans eine "neue PKK", die sich als ideologische und philosophische Bewegung verstand und die ebenfalls von Öcalan entwickelte Idee eines "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" mit Hilfe des KONGRA-GEL umsetzen wollte. Hierzu wurde im Mai 2005 die "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) gegründet; die KKK-Vereinbarung vom 17. Mai 2005 enthält grundlegende Regelungen in Form einer Verfassung. U. a. werden in Art. 19 die "Gebiete Europa und GUS" als Landesteile behandelt. Im Jahre 2007 verstärkten sich die militärischen Auseinandersetzungen zwischen den HPG und der türkischen Armee erneut. Der KKK benannte sich in "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) um; die KKK-Verein-barung wurde durch das KCK-Abkommen vom 25. Mai 2007 fortgeschrieben.
8
Die PKK verlegte schon wenige Jahre nach ihrer Gründung zahlreiche Aktivitäten ins Ausland, um dem massiven Verfolgungsdruck in der Türkei auszuweichen. Sie warb in Deutschland und anderen Regionen Westeuropas um Mitglieder und Sympathisanten, die zur finanziellen Unterstützung der Partei und ihrer Kader verpflichtet wurden, und betrieb intensiv die Rekrutierung von Nachwuchs sowohl für Kader als auch für die in der Türkei operierende Guerilla. Zur Organisierung ihrer in Europa lebenden Anhänger und zur Propagierung ihrer Ziele gründete die PKK im Jahre 1985 die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK). Der Europaführung der PKK gelang es, eine straffe Organisationsstruktur zu errichten und viele der in Europa lebenden Kurden für die Ziele der Partei zu gewinnen. Ihren uneingeschränkten Führungs- und Alleinvertretungsanspruch setzte die PKK vor allem zwischen 1984 und 1988 auch durch die Begehung von Tötungsdelikten an sog. Verrätern bzw. Abweichlern um.
9
Der hierdurch hervorgerufene Verfolgungsdruck sowie der Wunsch nach einer Stärkung der Effizienz der Parteiarbeit veranlasste die PKK zu Beginn der 1990er Jahre, die Organisation in Europa noch fester und straffer zu gliedern. Träger war ein aus professionellen Kadern bestehender Funktionärskörper mit der "Europäischen Frontzentrale" (Avrupa Cephe Merkezi - ACM) an der Spitze. Im Jahre 2000 wurde die ERNK aufgelöst und durch die "Kurdische Demokratische Volksunion" (Yekitiya Demokratika Gele Kurd - YDK) ersetzt; an deren Stelle trat 2004 die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft" (Koordinasyon Civata Demokratik a Kurdistan - CDK).
10
Dementsprechend folgten auf den ACM zunächst der YDK-Rat und sodann der CDK-Rat bzw. die CDK-Koordinierung. Diesem Gremium stand die sog. Zentrale oder auch Exekutive vor, die aus dem Europaverantwortlichen sowie einigen weiteren engen Vertrauten Öcalans bestand und für die Leitung der laufenden Geschäfte zuständig war. Ihr oblag es, die Ziele, Vorgaben und Personalentscheidungen der Parteiführung gegenüber den nachgeordneten Einheiten durch individuelle und generelle Anweisungen durchzusetzen. Unterhalb dieser Führungsebene war Europa überwiegend in Regionen (Eyalet), Gebiete (Bölge), Räume (Alan) und Stadtteile (Semt) eingeteilt. Für jede Organisationseinheit wurde von der Führung ein Verantwortlicher eingesetzt, für Regionen und Gebiete waren dies in der Regel durch die Partei alimentierte professionelle Kader. Diese wechselten regelmäßig ihre Funktionen und verhielten sich in hohem Maße konspirativ.
11
In Deutschland gab es seit 2002 mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 2007 drei Sektoren (Süd, Mitte und Nord), denen etwa 25 Gebiete nachgeordnet waren; zeitweise übte ein Sektorleiter auch die Funktion eines sog. Deutschlandkoordinators aus. Die Tätigkeit der PKK in Deutschland war von Beginn an auf die Unterstützung der militärischen und politischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtet. Hierfür stellten die Organisationseinheiten der PKK in Europa die Finanzmittel, rekrutierten Nachwuchs für den Guerillakampf und betrieben Propaganda, um die öffentliche Meinung zu Gunsten der PKK zu beeinflussen. Es wurden verschiedene Aufgabenbereiche (Finanzen, Außenbeziehungen, Öffentlichkeitsarbeit u.a.) gebildet, die ihre Aufgaben nach den Vorgaben der Europazentrale zu erfüllen hatten.
12
Besondere Bedeutung kam dabei dem Bereich Finanzen zu. Die erforderlichen Geldmittel erzielte die Organisation vor allem durch eine jährlich durchgeführte "Spendenkampagne". Die zu leistenden Zahlungen wurden auf der Grundlage verbindlicher Zielvorgaben der Europaführung für die einzelnen Strukturebenen nach der finanziellen Leistungsfähigkeit des Einzelnen festgelegt ; in der Regel wurde ein Monatsgehalt verlangt. Die führenden Funktionäre und Kader führten die Aktionen durch, überwachten sie und hatten dafür zu sorgen, dass die Vorgaben der Europaführung erfüllt wurden. Raumverantwortliche und "Frontarbeiter" suchten die ortsansässigen Kurden in Deutschland auf und forderten die Gelder ein. Aufgrund der hohen Planvorgaben standen vor allem die Gebietsleiter sowie die sonstigen Kader und Aktivisten an der Front unter erheblichem Erfolgsdruck. Die eingesammelten Gelder sowie weitere Beiträge und Einnahmen aus Publikationen waren an das unmittelbar an die Europaführung angebundene "Wirtschafts- und Finanzbüro" (Ekonomi Razi Buroya Iliskin - EMB) zu übermitteln.
13
Im November 1993 gingen Mitglieder und Sympathisanten der PKK weisungsgemäß dazu über, in Deutschland Brandanschläge auf türkische Geschäfte , Banken, Vereinslokale und ähnliche Versammlungsstätten zu verüben. Diese Aktivitäten führten dazu, dass der PKK und der ERNK die Betätigung in Deutschland durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 22. November 2002 vereinsrechtlich verboten wurde; das Verbot wurde später auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. In der Folge kam es zu von der Europaführung zentral gesteuerten Protestwellen mit gewalttätigen Ausschreitungen, Autobahnblockaden , Brandanschlägen und Verwüstungsaktionen. Öcalan bezeichnete noch in der ersten Hälfte des Jahres 1996 Deutschland als den "Feind Nr. 2" nach der türkischen Republik.
14
Nachdem die Führung der PKK erkannt hatte, dass diese Aktivitäten in Deutschland den Zielen der Partei abträglich waren, stellte Öcalan das gewaltsame Vorgehen in Deutschland als einen auf einem Missverständnis seiner Anordnungen beruhenden Fehler dar und wies seine Organisation im August 1996 an, alle Gewaltaktionen in Westeuropa einzustellen. Diese Anweisung wurde in der Folgezeit - mit Ausnahme von Besetzungsaktionen im Februar 1999 im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans - befolgt.
15
Die Organisationsstruktur der Partei und deren Ziele bestanden allerdings fort. Die von Öcalan in der Öffentlichkeit verkündete "Garantie", die Mitglieder der PKK würden sich künftig in Deutschland gesetzestreu verhalten, wurde nicht eingelöst:
16
Es wurde ein Arbeitsbereich "heimatgerichtete Aktivitäten" gebildet, dem vor allem die Unterstützung der Guerillakämpfer und der Parteigliederungen in den Heimatgebieten, die Rekrutierung von Nachwuchs, die Beschaffung von Ausrüstungsgegenständen sowie die Organisierung eines Kurierdienstes und von Reisen oblag. Die Grundentscheidungen über diese Aktivitäten traf die Europaführung , die entsprechende Anweisungen an das "Heimatbüro" sowie an die Leiter der Sektoren, Regionen und der Basisorganisationen erließ. Die Europaführung ihrerseits war Adressat von Anordnungen der Parteiführung in der Heimat, die etwa Reisen von Kadern und sonstigen Parteimitgliedern nach Europa zum Gegenstand hatten. Die systematische Durchführung grenzüberschreitender Reisebewegungen wurde mit Hilfe von Straftaten der Urkundenfälschung insbesondere in Form der Verfälschung von Ausweisen und Pässen und solchen des Einschleusens von Ausländern begangen.
17
Daneben nahm die PKK für sich eine Strafgewalt in Anspruch und setzte diese über die Strukturen der Organisation um. Es entwickelte sich bereits in den 1980er Jahren eine Disziplinierungs- und Bestrafungspraxis. Opfer waren zum einen sog. Verräter oder Abweichler, d. h. Angehörige der Organisation oder außenstehende Personen, die durch ein als parteischädigend bewertetes Verhalten aufgefallen waren. Zum anderen maßte sich die PKK eine Strafgewalt im Zusammenhang mit dem Eintreiben von "Spenden" und sonstigen Geldern an und ging mit Drohungen und Gewalt gegen Zahlungsunwillige und Säumige vor. Bei den begangenen Straftaten handelte es sich vor allem um Körperverletzungen, Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Ab den Jahren 1993/1994 wurde das Strafsystem ausgeweitet; bis 1999 kam es in Deutschland zu zahlreichen Bestrafungsaktionen bis hin zu (versuchten) Tötungsdelikten. Auch nach der Festnahme Öcalans wurde die angemaßte Strafgewalt bis in das Jahr 2007 weiterhin ausgeübt. Formale Grundlage war ein von der PKK auf verschiedenen Parteikongressen beschlossenes und modifiziertes Strafsystem, das mehrere Kategorien von Straftaten vorsah und diese in verschiedene Schweregrade unterteilte.
18
Der Angeklagte war unter dem Decknamen "D. " von Juli 2004 bis Juni 2007 ununterbrochen als hauptamtlicher Kader mit der Funktion eines Gebietsverantwortlichen für die PKK tätig. In der Zeit von Juli 2004 bis Ende Mai 2005 leitete er das Gebiet N. . Anschließend war er in der Zeit von Juni 2005 bis Juni 2006 für das Gebiet M. zuständig. Von Juli 2006 bis Juni 2007 fungierte er als Leiter des Gebiets Da. . Er nahm die für einen Gebietsverantwortlichen typischen Leitungsaufgaben wahr und regelte die organisatorischen , finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten seines jeweiligen Zuständigkeitsbereichs. Z. B. war er in erheblichem Umfang damit befasst, Veranstaltungen der PKK und Zusammenkünfte ihrer Mitglieder und Sympathisanten zu organisieren und zu koordinieren; außerdem stellte er sicher, dass die in seinem Gebiet ansässigen Kurden sich auch an überregionalen Veranstaltungen beteiligten. Er koordinierte die Arbeit der ihm nachgeordneten Kader und Aktivisten; außerdem berichtete er den ihm übergeordneten Kadern - etwa dem damaligen Finanzverantwortlichen der PKK für Europa "S. " - und befolgte deren Anweisungen. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehörte das Eintreiben und Weiterleiten von "Spendengeldern" und sonstigen finanziellen Mitteln. Er war in die Bestrafungs- und Disziplinierungsmaßnahmen der Organisation eingebunden und gab Anweisungen zum Vorgehen gegen säumige oder unwillige "Spendenzahler".
19
b) Das Oberlandesgericht hat dieses Verhalten des Angeklagten rechtlich als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB gewürdigt. Im Tatzeitraum habe ein in Deutschland auf Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von Funktionären der PKK bestanden, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsam kriminelle Zwecke verfolgten und kriminelle Tätigkeiten entfalteten. Zwecke und Tätigkeiten dieser Vereinigung seien darauf gerichtet gewesen, das Erscheinungsbild nach außen prägende und nicht nur un- tergeordnete Straftaten zu begehen, namentlich im Bereich "heimatgerichtete Aktivitäten" Urkundendelikte und Vergehen nach dem Asylverfahrens- und Aufenthaltsgesetz sowie im Bereich Bestrafungs- und Disziplinierungswesen Körperverletzungen , Freiheitsberaubungen, Nötigungen und Bedrohungen. Personelle Träger der kriminellen Vereinigung seien die Mitglieder der Europazentrale , die Sektor- und Gebietsleiter sowie weitere mit Sonderzuständigkeiten ausgestattete Kader gewesen; der Angeklagte habe als Gebietsverantwortlicher zu diesem Kreis gezählt.
20
2. Diese Wertung hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass die in Deutschland tätigen Führungskader der PKK im Tatzeitraum eine - im Verhältnis zur Gesamtorganisation eigenständige - kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB bildeten.
21
a) Die rechtliche Einordnung des inländischen Funktionärskörpers der PKK durch das Oberlandesgericht entspricht allerdings der bisherigen ständigen Rechtsprechung. Danach galt:
22
aa) Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; s. aus neuerer Zeit BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; Urteil vom 10. März 2005 - 3 StR 233/04, NJW 2005, 1668; Beschluss vom 10. Januar 2006 - 3 StR 263/05, NJW 2006, 1603; Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 107 ff.). Das notwendige voluntative Element ist regelmäßig hinreichend belegt, wenn festgestellt ist, dass die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel verfolgen, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammenwirken (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216).
23
Der Senat hat in der jüngeren Vergangenheit in mehreren Entscheidungen deutlich gemacht, dass auch mit Blick auf Rechtsakte der Europäischen Union an dieser Umschreibung einer kriminellen Vereinigung festzuhalten ist und es gegebenenfalls dem Gesetzgeber obliegt, als erforderlich angesehene Modifikationen vorzunehmen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 110 f.; Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 f.). Dies gilt fort.
24
bb) Vor Inkrafttreten des durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) in das Strafgesetzbuch eingefügten § 129b StGB am 30. August 2002 war ein organisationsbezogenes Verhalten mit Blick auf den räumlichen Geltungsbereich des Verbots nach Art. 9 Abs. 2 GG, an das die §§ 129, 129a StGB anknüpfen, nur dann nach diesen Vorschriften strafbar, wenn es sich auf eine Vereinigung bezog, die innerhalb der Bundesrepublik Deutschland bestand (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschlüsse vom 5. Januar 1982 - StB 53/81, BGHSt 30, 328; vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 35; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01). Hierfür reichte es indes aus, dass eine ausländische Gruppierung eine Teilorganisation in Deutschland unterhielt, die ihrerseits die Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllte. Nicht erforderlich war es jedoch, dass sich auch die gruppeninterne Willensbildung autonom innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzog; vielmehr genügte es, wenn deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen, sie mithin von der ausländischen (Haupt-)Vereinigung "gelenkt" wurden (BGH, Urteil vom 12. Oktober 1965 - 3 StR 15/65, NJW 1966, 310, 311; Beschluss vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01).
25
cc) In Anwendung dieser Maßstäbe wurden die in Deutschland agierenden Führungskader der PKK als eigenständige Vereinigung angesehen (s. etwa BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 - AK 10, 11/99, BGHR StGB § 129 Straftaten 1; vom 20. Dezember 2001 - AK 21/01, BGHR StGB § 129 Straftaten 2; vom 10. Januar 2002 - AK 22/01; vom 18. Januar 2002 - AK 1/02). Für die Zeit von November 1993 bis August 1996 galt die Gruppierung als terroristische Vereinigung nach § 129a StGB aF, da ihre Zwecke und Tätigkeit insbesondere auch auf die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, etwa Brandstiftungsdelikte, gerichtet waren (s. etwa BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07). Für die Zeit danach wurde der führende inländische Funktionärskörper der PKK als kriminelle Vereinigung nach § 129 StGB eingestuft, wobei die Zwecke und Tätigkeit sich bis etwa Ende 1999 auf drei Bereiche von Straftaten richteten, namentlich demonstrative Gewalttaten und Delikte im Zusammenhang mit den Aktivitäten des "Heimatbüros" sowie mit der angemaßten Strafgewalt. Ab Anfang 2000 bezogen sich die Zwecke und Tätigkeit der in Deutschland agierenden Führungsebene jedenfalls noch auf Straftaten in den Bereichen "Heimatbüro" und Strafsystem (BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268).
26
dd) Die Strafverfolgungspraxis hat diese Maßstäbe auch nach Inkrafttreten des § 129b StGB angewendet und den im Inland tätigen führenden Funktio- närskörper der PKK bzw. deren Nachfolge- und Unterorganisationen weiterhin als inländische Vereinigung bewertet. Der Senat hat diese Würdigung bisher in mehreren Entscheidungen (s. etwa BGH, Urteil vom 21. Oktober 2004 - 3 StR 94/04, BGHSt 49, 268, 274; Beschlüsse vom 11. November 2004 - AK 13/04, insoweit in BGHR StGB § 129 Strafzumessung 1 nicht abgedruckt; vom 2. Oktober 2007 - AK 15/07; vom 12. Februar 2009 - AK 1/09; vom 9. April 2009 - AK 7/09) - darunter auch einem Haftfortdauerbeschluss in dem vorliegenden Verfahren (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - AK 16/08) - auf der jeweiligen Grundlage der tatgerichtlichen Feststellungen bzw. der Ermittlungsergebnisse gebilligt.
27
b) Hieran hält der Senat nicht länger fest. Er sieht sich vielmehr vor allem mit Blick auf die durch die Einfügung des § 129b StGB in das Strafgesetzbuch veränderte Rechtslage zu folgender neuen rechtlichen Bewertung veranlasst (s. schon BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - StB 5/10, NJW 2010, 3042):
28
Eine in Deutschland tätige Teilorganisation einer ausländischen Vereinigung ist nur dann als eigenständige inländische Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB anzusehen, wenn die Gruppierung für sich genommen alle für eine Vereinigung notwendigen personellen, organisatorischen, zeitlichen und voluntativen Voraussetzungen erfüllt. Hieraus folgt insbesondere auch, dass die inländische Teilgruppierung ein ausreichendes Maß an organisatorischer Selbstständigkeit aufweisen und einen eigenen, von der ausländischen (Haupt )Organisation unabhängigen Willensbildungsprozess vollziehen muss, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Hierfür reicht es nicht aus, dass die Mitglieder der inländischen Teilgruppe lediglich Einigkeit darüber erzielen, sich dem Willen der Gesamtorganisation unterzuordnen; erforderlich ist vielmehr, dass sich der für eine Vereinigung konstitutive, auf deren Zwecke bezogene Willensbildungsprozess in seiner Gesamtheit in der inländischen Gruppierung vollzieht. Aus die- sem Grund wird das für die Annahme einer Vereinigung notwendige voluntative Element in Bezug auf die Teilorganisation auch nicht allein dadurch hinreichend belegt, dass die Mitglieder dieser Gruppe mittel- oder langfristig ein gemeinsames , politisch/ideologisches Ziel verfolgen, wenn dieses Ziel von der Gesamtorganisation vorgegeben wird.
29
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
30
aa) § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB bestimmt, dass die §§ 129, 129a StGB auch für Vereinigungen im Ausland gelten. Die Vorschrift erfasst - soweit hier von Bedeutung - jede Beteiligung an einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit, ohne dass es darauf ankommt, ob in Deutschland Organisationsstrukturen der ausländischen Vereinigung vorhanden sind. Das Handeln des Täters im Inland wird typischerweise durch seine Einbindung in die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen bestimmt. Dabei macht es für die Strafbarkeit wegen der Tätigkeit für eine ausländische Vereinigung keinen Unterschied, ob es bei dem isolierten Handeln eines Einzelnen verbleibt oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken bedingen; denn allein aus einer solchen gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten inländischen Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129a StGB, die neben die ausländische Organisation tritt, nicht ableiten.
31
bb) Bilden die in Deutschland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129b StGB erfassten hinausgeht. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung und Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte abstrakte Gefährlichkeit für wichtige Güter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - 3 StR 583/94, BGHSt 41, 47, 51). Diese größere Personenzusammenschlüsse kennzeichnende Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 1978 - 3 StR 105/78, BGHSt 28, 147, 148 f.). Für das Entstehen dieser typischerweise von den einzelnen Mitgliedern der Vereinigung nicht mehr voll steuerbaren Eigendynamik sind vor allem die eine bestimmte Festigkeit aufweisende innere Organisationsstruktur sowie die auf Dauer angelegte organisierte Willensbildung von Belang. Besteht eine ausländische, diese Merkmale aufweisende kriminelle oder terroristische Vereinigung, so wird deshalb der vereinigungsspezifische Unrechtsgehalt der Tat bereits durch deren Ahndung unter diesem Gesichtspunkt erfasst. Für eine zusätzliche - gegebenenfalls tateinheitlich neben den Schuldspruch nach § 129b StGB tretende - Verurteilung nach § 129 oder § 129a StGB ist daher kein Raum. Sie ist mit Blick auf die Betätigung für eine inländische Gruppierung nur dann gerechtfertigt, wenn diese eigenständig alle Voraussetzungen einer Vereinigung erfüllt und aus diesem Grunde die abstrakte Gefahr für die Allgemeinheit erhöht.
32
cc) § 129b Abs. 1 Satz 2 StGB erfordert für die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und damit die Erfüllung einer besonderen Prozessvoraussetzung. Dies gilt auch dann, wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Zweck des Ermächtigungsvorbehalts ist es insbesondere, der Exekutive die Möglichkeit einzuräumen, auf die Durchführung eines Strafverfahrens zu verzichten, wenn dieses unverhältnismäßige außenpo- litische Nachteile mit sich bringen würde (BT-Drucks. 14/8893 S. 17; Altvater NStZ 2003, 179, 181). Es entspricht somit der Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland berührt sein können. Dieses Erfordernis würde umgangen, wollte man bei einer inländischen Teilorganisation einer ausländischen Gruppierung auf die für eine eigenständige Vereinigung konstitutiven Voraussetzungen auch nur teilweise verzichten.
33
c) Gemessen an diesem Maßstab wird das Bestehen einer eigenständigen inländischen, aus den in Deutschland agierenden Führungskadern der PKK zusammengesetzten kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB durch die vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen nicht belegt; denn diese Gruppierung vollzog nicht einen eigenen, auf die Zwecke der Vereinigung gerichteten Willensbildungsprozess. Damit ist das Willenselement einer Vereinigung nicht gegeben. Der festgestellte Sachverhalt trägt auch nicht die Bewertung , bei der Europaführung der PKK handele es sich um eine eigenständige Vereinigung. Er lässt es vielmehr nahe liegend erscheinen, dass die PKK insgesamt die Voraussetzungen einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland erfüllt, bei welcher der maßgebende Vereinigungswille außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gebildet wird und der Schwerpunkt der Strukturen sowie das eigentliche Aktionsfeld in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran liegen (zu den maßgeblichen Abgrenzungskriterien für die Entscheidung der Frage, ob eine Vereinigung, die sowohl in der Bundesrepublik Deutschland als auch in anderen Staaten Tätigkeiten entfaltet, als in- oder ausländische Vereinigung zu bewerten ist, vgl. Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 523). Im Einzelnen:
34
aa) Die PKK war insgesamt zentralistisch und hierarchisch organisiert. In diesen Aufbau war die Organisation in Deutschland nahtlos eingegliedert. Die in Deutschland agierenden Kader verfolgten aufgrund der gemeinsamen politisch /ideologischen Überzeugung und dem auf dieser Basis unterhaltenen, nach Art, Inhalt und Intensität engem Beziehungsgeflecht zu den im Ausland tätigen Kadern jeweils diejenigen über den bloßen Zweckzusammenhang hinausreichenden politisch/ideologischen Zielsetzungen, die von der Gesamtorganisation vorgegeben wurden. Von deren jeweiligen Vorstellungen abweichende Ziele der inländischen Gruppierung sind nicht festgestellt. Die Endziele der PKK wurden vielmehr von deren Führern entwickelt bzw. auf deren Versammlungen beschlossen. Sie waren für die in Deutschland tätigen Kader verbindlich. Deren hauptsächliche Aufgabe bestand vor allem darin, die von den übergeordneten Führungsebenen erteilten Direktiven umzusetzen und auf diese Weise die PKK insgesamt zu unterstützen. Die wesentlichen Grundsätze der Art und Weise der Umsetzung wurden dabei ebenfalls von der Spitze der PKK vorgegeben. Die enge Verbindung zwischen der im Ausland tätigen Gruppierung und den hiesigen Kadern tritt auch im Hinblick auf die umfangreichen Berichtspflichten zu Tage, mit denen u.a. der wesentliche Einfluss der übergeordneten Funktionäre und Gremien abgesichert wurde. Eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der PKK bezogene Willensbildung der Kader in Deutschland fand demgegenüber weder bezüglich der - sich im Laufe der Zeit nach den Vorgaben der Gesamtorganisation ändernden - Zielsetzung noch der Wahl der verwendeten Mittel bzw. der durchgeführten Aktionsformen statt. Dies wird deutlich etwa im Bereich der Finanzen, bei dem sich die in Deutschland handelnden Führungsfunktionäre streng nach den ihnen erteilten Direktiven zu richten hatten. Aber z. B. auch in dem Bereich der "heimatgerichteten Aktivitäten" war die inländische Organisation nicht eigenständig tätig. Sie befolgte vielmehr auch hier die Anweisungen der Leitung der Gesamtorganisation, die teilweise sogar Schleusungen im Einzelfall betrafen.
35
Danach verblieb für die inländische Teilorganisation ein Bereich eigenverantwortlicher Entscheidungen nur im Rahmen der Ausführung der vorgegebenen Direktiven; allein dieser limitierte Entscheidungsspielraum konnte durch eine eigenständige Willensbildung der inländischen Unterorganisation ausgefüllt werden. Dies genügt für die Bejahung des Willenselements der Vereinigung nicht.
36
bb) Entsprechendes gilt, soweit man - den Ausführungen des Generalbundesanwalts folgend - über das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hinaus den führenden Funktionärskörper der PKK in Westeuropa in den Blick nimmt. Auch diese Gruppierung erfüllt nach den bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen einer eigenständigen (Teil-)Vereinigung nicht. Die auf Europaebene tätigen Funktionäre - bei denen es sich jedenfalls zeitweise überwiegend um enge Weggefährten Öcalans handelte - waren zwar den nationalen Teilen der Organisation in Westeuropa übergeordnet und insoweit weisungsbefugt. Sie erhielten ihre Direktiven indes von der Spitze der Gesamtorganisation und waren in deren zentralistisches und hierarchisches System integriert. Für eine ausreichend eigenständige, auf die Zwecke der Vereinigung bezogene Willensbildung der europäischen Führungsgruppe ergeben die bisherigen Feststellungen ebenfalls nichts.
37
cc) Die - auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen erfolgte - Neubewertung der PKK trägt schließlich zu einer insgesamt harmonischeren, in sich stimmigeren Rechtsanwendung in dem Bereich der Vereinigungskriminalität bei; denn im Gegensatz zu der bisher zur PKK vertretenen Auffassung würdigt die Strafverfolgungspraxis Organisationen, die in ihrer Struktur der PKK ähnlich sind, nach Inkrafttreten des § 129b StGB rechtlich insgesamt als terroristische Vereinigung im Ausland. So ist etwa - wie dem Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist - die DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front), eine marxistisch-leninistisch orientierte, wie die PKK hierarchisch und zentralistisch aufgebaute Gruppierung, die das Ziel verfolgt, durch "bewaffneten Kampf" einen Umsturz der politischen Verhältnisse in der Türkei herbeizuführen und dort eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, auch außerhalb der Türkei, insbesondere in Westeuropa, aktiv. Aufgabe der vor allem auch in Deutschland bestehenden Organisationseinheiten ist es - ähnlich der PKK -, finanzielle Mittel zu beschaffen, Nachwuchs zu rekrutieren sowie einen Rückzugsraum für Mitglieder der Organisation zu bilden. Das Bundesministerium der Justiz hat am 29. Juli 2003 die nach § 129b Abs. 1 Satz 3 und 4 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung erteilt. Eine auf den Vorwurf gegründete Strafverfolgung, die in Deutschland aktiven Führungsfunktionäre bildeten eine selbstständige inländische Vereinigung nach den §§ 129, 129a StGB, findet, soweit für den Senat ersichtlich, jedenfalls in den Fällen nicht statt, in denen die Tatzeit nach Inkrafttreten des § 129b StGB liegt. Zwar sollen die Unterschiede zwischen der PKK und der DHKP-C nicht verkannt werden. So sind etwa die jeweiligen Strukturen nicht völlig deckungsgleich und die Funktionäre und Aktivisten der DHKP-C nach der Gewaltverzichtserklärung vom Februar 1999 in Deutschland zunächst nicht mehr nach den §§ 129, 129a StGB, sondern nur wegen eines Verstoßes gegen das Vereinsgesetz strafrechtlich verfolgt worden. Auch genießt die PKK in der Öffentlichkeit eine größere Aufmerksamkeit und die Anzahl ihrer Mitglieder und Sympathisanten ist deutlich größer als bei der DHKP-C. Jedoch rechtfertigen allein diese Umstände eine ungleiche Bewertung der Organisationen als ausländische Vereinigung jedenfalls nach Inkrafttreten des § 129b StGB nicht. Insbesondere wäre eine unter- schiedliche rechtliche Einordnung, die sich im Wesentlichen lediglich auf die verschiedene Größe und Bedeutung der Gruppierung gründen würde, mit den gesetzlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren; diese gelten für alle Organisationen in gleicher Weise.
38
3. Eine eigene Sachentscheidung des Senats scheidet aus.
39
Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Feststellungen vor dem Hintergrund der vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen rechtsfehlerfrei getroffen worden sind (vgl. zur Frage der Gerichtskundigkeit KK-Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 137 ff.; LR-Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 208 ff., jeweils mwN). Die Umstellung des Schuldspruchs auf eine Beteiligung des Angeklagten als Mitglied an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129, § 129a jeweils i.V.m. § 129b StGB kommt nicht in Betracht, weil die Feststellungen, die das Oberlandesgericht mit Blick auf eine inländische kriminelle Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB getroffen hat, keine hinreichende Grundlage für die Bewertung der Organisation als kriminelle oder terroristische Vereinigung im Ausland bilden. Dies gilt sowohl für die PKK insgesamt als auch für deren Organisation in Europa. Soweit sich die Tat möglicherweise auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union bezieht, fehlt es darüber hinaus an der für eine Verfolgung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderlichen Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz; eine solche ist bisher bezüglich der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen nicht erteilt worden. Im Übrigen ist eine Verurteilung nach § 129 Abs. 1 StGB durch ein neues Tatgericht nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen; denn das Oberlandesgericht hat sich erkennbar an den Maßstäben der bisherigen Rechtsprechung ausgerichtet und bei der Ermittlung des Sachverhalts die nunmehr maßgeblichen Gesichtspunkte nicht im Blick gehabt. Denkbar erscheint es ebenso , dass nach neu zu treffenden Feststellungen die mitgliedschaftliche Be- teiligung an einer kriminellen inländischen Vereinigung in Tateinheit zu einer Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland steht; denn eine Gruppierung kann sich etwa auch in der Art organisieren und strukturieren, dass neben einzelnen regionalen Vereinigungen eine übergeordnete Dach-Vereinigung besteht, und beide Gruppierungen die Kriterien einer Vereinigung erfüllen. Einzelne Mitglieder können sich dann sowohl an der regionalen als auch an der Dach-Vereinigung und damit gegebenenfalls an zwei Vereinigungen beteiligen (BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4, 5/01, BGHSt 46, 349, 354). Schließlich steht einer Umstellung des Schuldspruchs auch § 265 StPO entgegen; denn der Angeklagte hatte vor dem Hintergrund des Anklagevorwurfs, welcher der bisherigen Rechtsprechung entsprach, ohne einen diesbezüglichen Hinweis keine ausreichende Möglichkeit, sich gegen den Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland angemessen zu verteidigen. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
40
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
41
a) Die Verfolgungsermächtigung nach § 129b Abs. 1 Satz 3, 4 StGB ist als Prozessvoraussetzung einzuordnen (Altvater NStZ 2003, 179, 182); sie kann deshalb auch noch während des laufenden Strafverfahrens wirksam erteilt werden.
42
b) Der möglichen Beteiligung des Angeklagten an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied stünde gegebenenfalls nicht grundsätzlich entgegen, dass er sich im Inland und damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufhielt. In einem solchen Fall bedürfen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft zwar besonderer Prüfung (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 112 f.); dies bedeutet indes nicht, dass sie von vornherein ausgeschlossen sind. Maßstab sind auch in diesen Fallkonstellationen die allgemeinen Kriterien für eine mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung (BGH aaO).
43
5. Obwohl es sich nach den bisherigen Feststellungen bei dem Angeklagten um einen Gebietsverantwortlichen und damit um einen Führungskader der Organisation handelte, sieht der Senat vorsorglich Anlass zu folgender Bemerkung :
44
Anhaltspunkte dafür, dass bezüglich der Mitgliedschaft in der Vereinigung zwischen einem Kreis herausgehobener Funktionäre bzw. Kadern einerseits und den sonstigen Angehörigen zu differenzieren ist, sind den bisherigen Feststellungen in Ansehung der Struktur der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen nicht zu entnehmen. Der Senat hat die entsprechende Unterscheidung zwar bisher gebilligt und entschieden, dass dann, wenn nur ein Kern der Gruppierung strafrechtlich relevante Ziele verfolgt, lediglich dieser eine kriminelle Vereinigung bildet; die außenstehenden weiteren Mitglieder der Gruppierung können dann aber Unterstützer der Vereinigung sein (BGH, Beschluss vom 17. März 1999 - 3 ARs 2/99, BGHSt 45, 26, 36 = NJW 1999, 1876, 1878). Es ist jedoch kein ausreichender sachlicher Grund dafür erkennbar, denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied der Vereinigung einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 214/10). Dies entspräche auch nicht den Vorstellungen und dem Willen des Gesetzgebers, der etwa anlässlich der Einfügung des § 153c Abs. 1 Nr. 3 StPO als Beispiel für untergeordnete , den Tatbestand gleichwohl erfüllende Beteiligungshandlungen die Entrichtung von Mitgliedsbeiträgen oder die Vornahme einfacher Hilfsdienste, mit- hin Tätigkeiten mit weit geringerem Gewicht als die Ausübung einer Führungsfunktion , genannt hat (BT-Drucks. 14/8893, S. 10; LK-Krauß, 12. Aufl., § 129b Rn. 38). Die Einstufung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL als terroristische Vereinigung durch die Europäische Union (vgl. aus der neueren Zeit Gemeinsamer Standpunkt 2009/ 468/GASP des Rates vom 15. Juni 2009 zur Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung des Gemeinsamen Standpunkts 2009/67/GASP, Anhang Ziffer 2. 25., ABl. L 151/49; Beschluss 2010/386/GASP des Rates vom 12. Juli 2010 zur Aktualisierung der Liste der Personen, Vereinigungen und Körperschaften, auf die die Artikel 2, 3 und 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus Anwendung finden, Anhang Ziffer 2. 16., ABl. L 178/28) enthält ebenfalls keine Einschränkung auf einen bestimmten Personenkreis innerhalb der Organisation. Der Senat verkennt mit Blick auf die große Zahl der in Deutschland für die PKK und ihre Nachfolgesowie Teilorganisationen aktiven Personen zwar nicht, dass nach dieser Maßgabe der Kreis potentieller Beschuldigter unter Umständen deutlich größer werden und der Unrechtsgehalt der Tat sowie das Maß des Verschuldens stark unterschiedlich zu bewerten sein kann. Diesen Umständen wird - gegebenenfalls etwa durch Anwendung der § 129 Abs. 5, § 129a Abs. 6 StGB, §§ 153b, 153c StPO - im Einzelfall angemessen Rechnung zu tragen sein.
Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
________________
StB 5/10
vom
14. April 2010
BGHR: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
__________________________
StGB § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 1, § 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2
Haben sich Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung
im Inland zu einer organisatorischen Struktur zusammengeschlossen,
deren Zwecke oder Tätigkeit der Zielsetzung der ausländischen Vereinigung
entsprechen, so können sie sich nur dann tateinheitlich auch wegen Mitgliedschaft
in einer inländischen kriminellen Vereinigung strafbar machen, wenn ihre
inländische Organisation einen eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung
unabhängigen Gesamtwillen bildet.
BGH, Beschl. vom 14. April 2010 - StB 5/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
hier: Haftbeschwerde des Beschuldigten
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 14. April 2010 gemäß § 304 Abs. 5
StPO beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009 aufgehoben und durch den nachfolgenden Haftbefehl ersetzt: Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft zu nehmen. Er ist dringend verdächtig, sich jedenfalls in der Zeit zwischen Juli 2008 und Januar 2009 den srilankischen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) angeschlossen und deren auf die Begehung von Mord oder Totschlag gerichtete Tätigkeit durch seine Mitarbeit im Büro des von ihnen eingerichteten "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. gefördert zu haben, indem er in deren Angelegenheiten Telefonanrufe entgegengenommen , ihm mitgeteilte Informationen an die zuständigen Personen weitergeleitet und begehrte Auskünfte erteilt hat; strafbar als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch eine in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Tätigkeit (§ 129 b Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
2. Dieser Haftbefehl wird aufgehoben werden, wenn das Bundesministerium der Justiz nicht binnen einer Woche nach Zugang dieses Beschlusses gegenüber dem Bundesgerichtshof - 3. Strafsenat - die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt (§ 130 StPO, § 129 b Abs. 1 Satz 3, § 77 e StGB).
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
4. Der Antrag des Beschuldigten, die Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009 auszusetzen, ist damit gegenstandslos.

Gründe:

I.


1
Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 16. Dezember 2009 angeordnet, den Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen. Er hat den Beschuldigten für dringend verdächtig gehalten, sich jedenfalls ab Sommer 2008 als "Führungskader" des "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. mit mindestens sechs weiteren Personen zu dem Zweck zusammengeschlossen zu haben, von Deutschland aus den "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) in Sri Lanka Vermögensund Sachwerte zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden Gelder von tamilischen Immigranten in Deutschland mit teilweise erpresserischen Mitteln einfordern zu lassen (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 StGB).
2
Nach der Festnahme des Beschuldigten am 3. März 2010 hat der Ermittlungsrichter mit Beschluss vom selben Tage den Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Mit seiner gegen die Entscheidungen des Ermittlungsrichters gerichteten Beschwerde begehrt er die Aufhebung des Haftbefehls. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen; der Generalbundesanwalt tritt ihr entgegen.

II.


3
Auf die zulässige Beschwerde des Beschuldigten ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters aufzuheben und durch den aus der Beschlussformel ersichtlichen Haftbefehl zu ersetzen.
4
1. Die gegenwärtigen Erkenntnisse ergeben nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte als Mitglied einer inländischen kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB angeschlossen hat. Der Beschuldigte ist indes dringend verdächtig, sich durch seine Mitarbeit im "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - den srilankischen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) - durch eine in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Tätigkeit als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 b Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
5
a) Nach den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich im Sinne eines dringenden Tatverdachts folgender Sachverhalt:
6
aa) Allgemeinkundig entstanden die LTTE im Jahre 1976 durch den Zusammenschluss verschiedener tamilischer Bewegungen in Sri Lanka, deren gemeinsames Ziel die Loslösung des mehrheitlich von Tamilen besiedelten Nord- und Ostteils der Insel vom singhalesisch geprägten Reststaat war. Hierarchisch auf die Person ihres Führers Vellupillai Prabhakaran und dessen Ideologie ausgerichtet, verfolgten sie ihr Ziel eines selbständigen "Tamil Eelam" in erster Linie durch bewaffneten Kampf, der sich nicht nur gegen die srilankischen Regierungstruppen, sondern auch gegen rivalisierende Gruppierungen richtete. Bis 1986 gelang es ihnen, neben der Halbinsel Jaffna weite Teile der Nord- und der Ostprovinzen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie nach und nach eigene staatsähnliche Strukturen schufen. Ab 2002 wurden dort ein zentrales "politisches Büro" mit Sitz in Kilinochchi sowie "Ministerien" für Justiz, Polizei, Finanzen und Verteidigung errichtet. Der zudem erhobene Alleinvertretungsanspruch für alle Tamilen weltweit führte in der Zuständigkeit eines "Außenministeriums" zur Entwicklung von Organisationsstrukturen auch über Sri Lanka hinaus. Der Finanzierung der LTTE dienten die in den besetzten Gebieten erhobenen "Steuern" und die "Spendengeldsammlungen" unter den Auslandstamilen.
7
Militärisch verfügten die LTTE über Infanterieeinheiten ("Tigers") sowie über eine Anzahl zu Kampfzwecken umgerüsteter Schnellboote ("Sea Tigers") und Flugzeuge ("Air Tigers"). Daneben unterhielten sie eine Spezialeinheit ("Black Tigers"), deren Aufgabe neben militärischen Kommandoaktionen auch Anschläge auf zivile Ziele waren. Ihren auf insgesamt mehr als 200 geschätzten Selbstmordattentaten fielen unter anderem am 21. Mai 1991 bei Madras der indische Premierminister Rajiv Ghandi und am 1. Mai 1993 in Colombo der srilankische Staatspräsident Ranasinghe Premadasa zum Opfer.
8
Im Guerillakampf mit ihrem abtrünnigen Kommandeur Muralitharan ("Karuna" ) verloren die LTTE ab 2004 zunächst die Ostprovinzen. Verstärkte Offensiven der Armee ab 2007 drängten sie weiter zurück, bis es im Frühjahr 2009 zu ihrer militärischen Zerschlagung kam. Ihr Führer Vellupillai Prabhakaran wurde am 18. Mai 2009 von srilankischen Regierungstruppen getötet.
9
bb) Die Strukturen des TCC erhellen sich in erster Linie aus den Angaben ihm unterstellter Gebietsverantwortlicher in mehreren Gesprächen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zwischen März 2006 und Januar 2007. Danach galt das TCC als die "LTTE in Deutschland" und dessen Leiter Sr. alias V. als der "Chef der LTTE für Deutschland". Zuständig war das TCC insbesondere für die politische Öffentlichkeitsarbeit und für die Geldsammlungen unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Tamilen. Seine Vorgaben und Befehle erhielt es unmittelbar aus der Zentrale der LTTE in Kilinochchi. Bei seiner Arbeit stützte sich das TCC auf ein bundesweites, hierarchisch aufgebautes Netz aus Gebiets-, Stadt- und Raumverantwortlichen. Diese waren - wie die mindestens sechs weiteren im Büro des TCC in O. tätigen Personen - an die Weisungen des V. gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig. Gleichermaßen hat der im O. er Büro für Pressearbeit und Behördenkontakte zuständige W. das TCC in einer Zeugenaussage beim Polizeipräsidium D. am 8. Mai 2007 als "politische Abteilung der LTTE für Deutschland" bezeichnet.
10
Bestätigt werden diese Angaben durch Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz aus der Überwachung des Post- und Telefonverkehrs des TCC im Rahmen von G 10 - Maßnahmen. Ein Telefongespräch belegt, dass die Funktionäre der LTTE in Sri Lanka Immigranten in Deutschland bei Fragen an das TCC verweisen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 97). Tamilen in Deutschland, die sich schriftlich an das TCC wandten, bezeichneten dieses regelmäßig als "LTTE Deutschland" und dessen Leiter V. als "Verwalter" oder "Verantwortlichen" der "LTTE Deutschland" (Bl. 177, 183, 191, 198, 205, 209, 217, 235, 262). Andere Telefongespräche bestätigen die umfassenden Direktionsbefugnisse V. s innerhalb des TCC (Bl. 124, 126, 214 ff., 217).
11
cc) Der Beschuldigte hat sich, wie seine eigenen Äußerungen gegenüber Dritten belegen, gegenüber den LTTE zur Mitarbeit bereiterklärt, um die Freilassung seiner in Sri Lanka zwangsrekrutierten Schwester zu erreichen. Er wurde von den LTTE deshalb - ohne nennenswerte Bezahlung - dem Büro der TCC in O. zugewiesen, um dort zu "lernen"; danach sollte er nach Sri Lanka zurückkehren und sich dort anstelle der Schwester einer kämpfenden Einheit anschließen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 113 - 116). Unter der Aliaspersonalie M. diente er als telefonischer Ansprechpartner nach außen, nahm Informationen für das Büro entgegen und erteilte Auskünfte allgemeiner Art, etwa zu Besprechungsterminen oder zum Undiyal-Banking, dem vom TCC organisierten privaten Geldtransfer hier wohnhafter Tamilen in die Heimat (Bl. 97, 132, 140, 147, 148).
12
Die Identität des M. mit dem Beschuldigten ergibt sich aus zwei Telefongesprächen , die vom Festnetzanschluss der TCC aus geführt wurden. Am 30. Juli 2008 rief ein R. seinen Vater an; der Angerufene führt den Namen S. (Bl. 108). Am 20. August 2008 sprach M. mit einer Verwandten , die ihn R. nannte; sie gab das Gespräch an eine andere Person weiter, die ihn als R. begrüßte (Bl. 115).
13
b) Danach ist das dem Beschuldigten vorgeworfene Tatgeschehen rechtlich wie folgt zu bewerten:
14
aa) Die LTTE waren - jedenfalls bis zu ihrer mutmaßlichen Zerschlagung durch die srilankischen Regierungstruppen im Frühjahr 2009 - eine Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit (auch) darauf gerichtet waren, Mord oder Totschlag zu begehen (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Sie bestand im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), denn der Schwerpunkt ihrer organisatorischen Strukturen und ihr eigentliches Aktionsfeld befanden sich in Sri Lanka. Allein der Umstand, dass die Strukturen und Aktivitäten einer Vereinigung teilweise in die Bundesrepublik Deutschland hereinreichen - hier: Einrichtung eines "Büros" als Kontaktstelle für Unterstützer und zur Vermittlung der Ziele in der Öffentlichkeit; Aufbau eines Netzes zur Erschließung von Finanzierungsquellen - macht sie noch nicht zu einer Vereinigung (auch) im Inland.
15
bb) Das TCC war keine selbständige Teilorganisation der LTTE in Deutschland; entgegen der Auffassung des Ermittlungsrichters und des Generalbundesanwalts bildeten dessen Mitglieder deshalb keine - neben die LTTE tretende - Vereinigung gemäß § 129 StGB.
16
(1) Eine Vereinigung im Sinne der Vorschriften der §§ 129 ff. StGB ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 116 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des TCC nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt. Denn die bisherigen Erkenntnisse er- geben nicht, dass sich innerhalb der TCC eine eigenständige, von der ausländischen Vereinigung abgrenzbare Willensbildung vollzog.
17
Die Beziehungen der im TCC tätigen Personen untereinander erschöpften sich vielmehr in der gemeinsamen Mitgliedschaft in der LTTE. Das TCC war nicht nur eingegliedert in deren Hierarchie, sondern nach den Angaben des Beschuldigten oblag es allein der Entscheidung der LTTE, ob Personen in einer Einrichtung wie dem TCC oder in einer kämpfenden Einheit eingesetzt wurden. Auch nach außen hin trat das TCC auf als Repräsentanz der LTTE in Deutschland. Sein Leiter V. war zwar weisungsberechtigt gegenüber den anderen Mitarbeitern im TCC sowie den nachgeordneten Gebiets-, Stadt- und Raumverantwortlichen , unterstand aber selbst unmittelbar dem politischen Büro in Kilinochchi und war abhängig von dessen Weisungen. Gerade im Hinblick auf die Spendensammlungen verfügte das TCC nicht über Freiräume, aus denen sich die Gesamtorganisation zurückgezogen hätte. Die LTTE hatte die Beitreibung von Spenden in Deutschland nicht etwa aus ihrem Organisationsbereich ausgegliedert. Vielmehr gab es in Sri Lanka Zuständige für die "Auslandsfinanzen" (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 22). Die eigene Nähe der LTTE zu den "Spendensammlungen" wird aber vor allem dadurch belegt, dass sie angebliche Zahlungspflichten in Deutschland lebender Tamilen ausschließlich mittels Verschleppung oder Zwangsrekrutierung von Familienangehörigen in Sri Lanka durchzusetzen trachtete (Bl. 11, 25, 93). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kam dem TCC damit lediglich die Funktion zu, die Entscheidungsprozesse der ausländischen Kernorganisation bei gleichzeitiger Unterordnung unter deren Willensbildung im Inland umzusetzen und zu vollstrecken. Angesichts dieser Umstände sind dringende Anhaltspunkte für einen eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung unabhängigen Willensbildungsprozess der TCC nicht ersichtlich.

18
(2) Eine eigene Willensbildung ist jedoch für eine Strafbarkeit nach § 129 StGB auch dann nicht entbehrlich, wenn sich im Inland organisatorische Strukturen zur Unterstützung der Ziele einer ausländischen Vereinigung gebildet haben. Zwar ist der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen von einer Anwendbarkeit der §§ 129, 129 a StGB ausgegangen, wenn die ausländische Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland existierte und diese ihrerseits die Voraussetzungen der §§ 129, 129 a StGB erfüllte, wobei in diesen Fallkonstellationen nicht verlangt wurde, dass sich die organisierte Willensbildung innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzog. Es genügte vielmehr, dass deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen oder internationalen Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen (vgl. BGH NJW 1966, 310, 312; BGH, Beschl. vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01; Krauß in LK 12. Aufl. § 129 Rdn. 36; Schmidt NStZ-RR 2002, 161).
19
An dieser Auffassung kann aber mit Blick auf die Einführung des § 129 b StGB durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 nicht mehr festgehalten werden. Die hierdurch veränderte Rechtslage lässt vielmehr die Verfolgung eines Mitglieds oder Unterstützers einer ausländischen Vereinigung (auch) unter dem Gesichtspunkt der Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer inländischen Teilorganisation nach §§ 129, 129 a StGB nur noch dann zu, wenn die inländische Teilorganisation unabhängig von der ausländischen Gesamtorganisation auch einen eigenen Willensbildungsprozess vollzieht, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
20
§ 129 b StGB erfasst - soweit hier von Belang - nunmehr jede Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit. Auf das Vorhandensein von Organisationsstrukturen der Vereinigung im Inland kommt es dabei nicht an. Es ist gerade die für § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB typische Fallgestaltung, dass das Handeln des Täters im Inland bestimmt wird durch seine Einbindung in die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es bei isoliertem Handeln eines Einzelnen verbleibt oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken des Täters mit anderen Beteiligten im Inland bedingen, denn allein aus einer gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a StGB nicht ableiten.
21
Bilden die im Inland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB erfassten hinausginge. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre spezifische Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH NJW 1992, 1518). Ohne eine organisierte und auf Dauer angelegte Bildung eines Gesamtwillens , dem sich die einzelnen Mitglieder unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwerfen, kann sich eine solche Eigendynamik indes nicht entfalten (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 Rdn. 4). Mangelt es der inländischen Gruppierung also an einer eigenständigen organisierten Willensbildung, so kann sie die bereits von der Gesamtorganisation ausgehende (abstrakte) Gefährdung der Allgemeinheit nicht noch weiter intensivieren.
22
Des weiteren knüpft § 129 b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch dann an eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und damit an eine besondere Prozessvoraussetzung (Krauß aaO Rdn. 31), wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Das Ermächtigungserfordernis dient der Wahrung der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland; so können gegen eine "undifferenzierte" Strafverfolgung dann durchgreifende Bedenken bestehen, wenn ein Prozess der Verständigung zwischen den Beteiligten an einem bewaffneten Konflikt im Ausland eingeleitet wurde (BTDrucks. 14/8893 S. 8). Es entspricht damit einer gesetzgeberischen Grundentscheidung , die Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob solche Belange im Einzelfall berührt sein können. Diese würde umgangen, nähme man unter Verzicht auf das Merkmal der eigenständigen Willensbildung gleichzeitig eine inländische Vereinigung an.
23
cc) Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich den LTTE als Mitglied angeschlossen zu haben.
24
(1) Der Beteiligung an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied steht - anders als der Generalbundesanwalt nunmehr in der Erwiderung auf die Beschwerde meint - nicht entgegen, dass sich der Täter ausschließlich im Inland und damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufgehalten hat; in einem solchen Falle bedürfen nur die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft besonderer Prüfung (BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 128). Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt allgemein voraus , dass der Täter sich, getragen von beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele entfaltet (BGH aaO Rdn. 123). Nach den oben dargelegten Erkenntnissen sind diese Voraussetzungen gegeben, denn der Beschuldigte hat sich willentlich in die nach Deutschland hineinreichende Hierarchie der LTTE eingegliedert und dort die ihm von der Organisation zugedachten Funktionen übernommen.
25
(2) Zwar hat sich der Beschuldigte zur Mitarbeit bei den LTTE nur deshalb bereiterklärt, weil er die Entlassung seiner in Sri Lanka zwangsrekrutierten Schwester erreichen wollte. Es spricht aber nichts für eine solche Zwangslage des Beschuldigten, dass er sich ohne willentliche Übereinstimmung mit der Organisation lediglich dem autoritären Verlangen ihrer Verantwortlichen unterworfen hätte. Der Mitgliedschaft steht auch nicht entgegen, dass die Tätigkeit des Beschuldigten von untergeordneter Art blieb, denn er hat dennoch den Zusammenhalt der Organisation gestärkt und zur Verwirklichung ihrer Ziele beigetragen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass beide Umstände die Tat in milderem Licht erscheinen lassen und die Straferwartung deutlich einschränken.
26
2. Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Nach den Umständen ist zu besorgen, dass ohne die Festnahme des Beschuldigten die Verfolgung der Tat gefährdet wäre. Trotz der eingeschränkten Straferwartung bleibt eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, dem weiteren Strafverfahren durch Ausreise entziehen wird.
Er ist srilankischer Staatsangehöriger, hat in Sri Lanka familiäre Bindungen und ist nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Weniger einschneidende Maßnahmen können den Zweck der Untersuchungshaft nicht erreichen (§ 116 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte ist nach den vorliegenden Erkenntnissen eingebunden in die nach Deutschland hereinreichenden Strukturen der LTTE und verfügt so über ein Netzwerk von Unterstützern, das ihm auch entgegen möglichen Auflagen und Weisungen ein Untertauchen wesentlich erleichtert.
27
3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist noch verhältnismäßig. Erteilt das Bundesministerium der Justiz die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung (nachfolgend 4.), wird das Verfahren indes, auch wegen der eingeschränkten Straferwartung, alsbald zum Abschluss zu bringen sein. Weitere Ermittlungsansätze, die zur Vertiefung des Tatvorwurfs gegen den Beschuldigten führen könnten, sind gegenwärtig nicht ersichtlich. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Anklage noch vor der Haftprüfung nach § 121 Abs. 1 StPO erhoben werden kann.
28
4. Der Anordnung der Untersuchungshaft steht nicht entgegen, dass das Bundesministerium der Justiz am 28. Oktober 2009 erklärt hat, die nach § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen. Ein endgültiges Verfahrenshindernis ist damit nicht eingetreten, denn nach dem Wortlaut der Erklärung hat das Bundesministerium der Justiz auf eine Ermächtigung nicht verzichtet. Es ist lediglich davon ausgegangen, eine Strafverfolgung werde auch ohne Ermächtigung möglich sein.
29
Indes ist dem Bundesministerium der Justiz nunmehr gemäß § 130 StPO eine Erklärungsfrist zu setzen, denn der Haftbefehl lässt sich nach den bisherigen Ermittlungen ausschließlich auf den dringenden Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung stützen. Insbesondere haben sich über das Organisationsdelikt hinaus keine Hinweise auf konkrete dem Beschuldigten zuzurechnende Ausführungstaten ergeben.
Sost-Scheible Pfister Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 243/11
vom
16. Februar 2012
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zur Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11 - OLG Düsseldorf
in der Strafsache
gegen
wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Dezember 2010, soweit es sie betrifft, aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagte wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision beanstandet die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war die Angeklagte während des Tatzeitraums von Ende August 2002 bis November 2008 eine hochrangige Funktionärin der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front, im Folgenden: DHKP-C). Sie leitete zunächst die DHKP-C-Region Westfalen, zu der u.a. die Gebiete Köln, Dortmund und Duisburg gehörten. Spätestens im Juli 2007 übernahm sie die Funktion der Deutschlandverantwortlichen und übte diese bis zum November 2008 aus.
3
In diesem Tatzeitraum verfolgte die DHKP-C als marxistisch-leninistisch orientierte Gruppierung das Ziel, durch bewaffneten Kampf das verfassungsmäßige Regierungssystem in der Türkei im Wege eines revolutionären Umsturzes zu beseitigen und durch ein kommunistisches "Regime" zu ersetzen. Sie verübte seit dem Jahr 1994 zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge, die insbesondere gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mitglieder türkischer Justizbehörden und Angehörige der türkischen Armee gerichtet waren.
4
Die Organisation war streng hierarchisch und zentralistisch aufgebaut. Sie bestand aus einem politischen Bereich, der DHKP, und einem militärischen Arm, der DHKC. Die DHKP bestimmte die politischen Leitlinien der Organisation und überwachte bzw. koordinierte die Durchführung der Parteibeschlüsse. Das höchste Organ war der Parteikongress, der als Leitungsgremium den Generalsekretär sowie die Mitglieder des Zentral- und Generalkomitees bestimmte. Das Zentralkomitee hatte als "Befehlshaber des Krieges" über "politische Vorgehensweisen und Taktiken" zu beschließen. Der an seiner Spitze stehende Generalsekretär war faktisch nicht absetzbar und mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Ihm oblag die Kontrolle sämtlicher Organe der DHKP und DHKC. Das Generalkomitee war zur Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Zentralkomitees berufen. In außerordentlichen (Krisen-)Situationen konnte es auch anstelle des Parteikongresses vorläufige Anordnungen treffen. Darüber hinaus war die Partei in Form von Komitees und Zellen organisiert, die sowohl nach geographischen Gesichtspunkten als auch nach Sach- bzw. Arbeitsbereichen gegliedert waren. Die Frontorganisation DHKC führte den bewaffneten Kampf in der Türkei. Sie bestand im Wesentlichen aus "bewaffneten Propagandaabteilungen" und Milizverbänden, war hierarchisch der DHKP nachgeordnet und hatte die in deren Gremien getroffenen Entscheidungen auszuführen.
5
Die DHKP-C war auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, aktiv. Die hier bestehende "Rückfront" bzw. "Hinterfront" diente der Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei. Die Organisationseinheiten hatten insbesondere die Aufgabe, die für die Aktivitäten in der Türkei erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen. Daneben rekrutierten sie "Kämpfer" für Anschläge in der Türkei und sorgten für deren Ausstattung; ebenso schafften sie Rückzugsräume für Mitglieder. Innerhalb der "Rückfront" war Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanziellen Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Für die Organisation betätigten sich im Jahre 2008 bundesweit etwa 650 Aktivisten.
6
Die DHKP-C baute in Europa festgefügte, hierarchisch gegliederte Strukturen auf. Die aus mehreren Personen bestehende Europaführung hatte die Aufgabe, die Organisation nach den vom Zentralkomitee bzw. Generalsekretär erteilten Weisungen zu leiten und die praktische Umsetzung einzelner Anordnungen in eigener Verantwortung sicherzustellen. Als höchste Hierarchieebene in der Europaorganisation war der/die Europaverantwortliche unmittelbar der Partei- bzw. Organisationsführung unterstellt und weisungsgebunden. Der Eu- ropaführung nachgeordnet waren nationale Organisationseinheiten in den verschiedenen , zur "Rückfront" gehörenden Staaten, die jeweils durch Einzelpersonen oder durch innerhalb mehrköpfiger Länder-Komitees agierende Länderverantwortliche geführt wurden. Dabei war zuletzt der - von der Europaführung eingesetzte - Deutschlandverantwortliche zugleich den Funktionären in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Österreich vorgesetzt. In Deutschland war die Organisation in Regionen und Gebiete aufgeteilt, die von professionellen Führungskadern, den sog. Regions- bzw. Gebietsverantwortlichen, geleitet wurden. Daneben bestanden besondere, nach sachlichen Kriterien abgegrenzte Arbeitsgebiete bzw. Organisationseinheiten, etwa die Jugendorganisation "Devrimci Genclik" ("Revolutionäre Jugend") oder der Bereich Nachschub und Logistik. Die als Gebietsleiter, Regions- und Deutschlandverantwortliche tätig gewesenen Funktionäre waren durch ein Berichts- und Kontrollsystem fest in die hierarchischen Strukturen der Organisation eingebunden; sie unterstanden der einheitlichen Führung durch den Generalsekretär, das Zentralkomitee und die Europaführung.
7
1. Der Schuldspruch wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 StGB) hält auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei seiner rechtlichen Würdigung hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, die Angeklagte sei als Deutschlandverantwortliche und damit als herausgehobene, die Bestrebungen der Organisation in Europa entscheidend fördernde Führungskraft aufgrund ihres maßgebenden Einflusses auf deren Tätigkeiten Rädelsführerin der DHKP-C gewesen, ohne dass in diesem Zusammenhang von Belang sei, dass sie selbst von Weisungen der nächsthöheren Hierarchieebenen abhängig war. Damit hat der Strafsenat nicht alle Gesichtspunkte in den Blick genommen, die für die Beurteilung der Rädelsführerschaft von Bedeutung sind.
8
a) Nach gefestigter, ursprünglich zu § 90a StGB aF entwickelter und später auf die §§ 129, 129a StGB übertragener Rechtsprechung ist Rädelsführer, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt. Entscheidend ist dabei nicht der Umfang, sondern das Gewicht, das der geleistete Beitrag für die Vereinigung hat. Besonders maßgebend ist eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter, falls er nicht schon selbst zu den Führungskräften gehört, doch durch sein Tun gleichsam an der Führung mitwirkt (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1963 - 3 StR 34/63, BGHSt 19, 109, 110). Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123 f.). Eine rein formale Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen noch nicht aus (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173 mwN). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, so wird die Rädelsführerschaft andererseits nicht schon dadurch ausgeschlossen , dass der Täter von Weisungen abhängig ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 1956 - 6 StR 100/55, bei Wagner GA 1960, 235).
9
b) Der Senat hält an den dargestellten Grundsätzen fest. Er präzisiert sie dahin, dass der bestimmende Einfluss des Täters als Führungskraft bzw. als gleichsam an der Führung der Organisation mitwirkende Person sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke , -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen muss. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals ist geboten aufgrund von dessen Sinn und Zweck, die dahin gehen, "Drahtzieher" (BGH, Urteil vom 12. Mai 1954 - 6 StR 30/54, BGHSt 6, 129, 130 mwN), Führungskräfte und solche Personen zu erfassen, die kraft einer Schlüsselstellung einen bestimmenden Einfluss haben (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173), der hohen, im Vergleich zum jeweiligen Grundtatbestand deutlich gesteigerten Strafdrohung des § 129a Abs. 4 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren in den Fällen des § 129a Abs. 1 und 2, Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren in den Fällen des § 129a Abs. 3 StGB) sowie der gesetzlichen Gleichstellung des Rädelsführers mit dem Hintermann. Für letzteren ist kennzeichnend, dass er zwar - im Unterschied zum Rädelsführer - nicht Mitglied der Vereinigung ist, gleichwohl aber die Vereinigung als Außenstehender dadurch wesentlich fördert, dass er geistig oder wirtschaftlich maßgebenden Einfluss auf die Führung der Vereinigung hat (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123).
10
c) Diese Grundsätze gelten auch bei Betätigungen für Vereinigungen im Ausland, die seit Einfügung des § 129b in das Strafgesetzbuch durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) unter Strafe gestellt sind; denn § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB verweist insoweit ohne Einschränkung auf die §§ 129 und 129a StGB. In diesen Fällen ist den gesetzlichen Anforderungen deshalb nicht ohne Weiteres allein dadurch Genüge getan, dass der Täter auf eine möglicherweise bestehende inländische Teilorganisation der Vereinigung (zur Abgrenzung zwischen in- und ausländischer Vereinigung vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325) maßgebenden Einfluss hat, mag dieser auch in dem Gesamtgefüge der Vereinigung eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter in dem näher umschriebenen Sinne als Führungskraft der Gesamtorganisation anzusehen ist oder durch sein Tun in sonstiger Weise gleichsam an der Führung der Gesamtvereinigung teilnimmt.
11
d) Gemessen an diesen Maßstäben belegen die bisherigen Feststellungen die Rädelsführerschaft der Angeklagten nicht. Dies gilt auch für denjenigen Zeitraum, in dem die Angeklagte die Funktion der Deutschlandverantwortlichen der DHKP-C ausübte.
12
aa) Die in Deutschland und anderen Teilen Westeuropas agierenden Führungsfunktionäre waren vollständig in die streng hierarchischen Strukturen der DHKP-C eingebunden. Der Angeklagten waren danach gleich mehrere Ebenen, namentlich der Generalsekretär, das Zentralkomitee, der Europaverantwortliche sowie die weiteren Mitglieder der Europaführung übergeordnet. Die Funktionäre der DHKP-C waren zwar innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs für sämtliche Angelegenheiten organisatorischer, personeller, finanzieller und sonstiger Art verantwortlich. Sie schuldeten den übergeordneten Kadern indes jederzeit unbedingten Gehorsam und nahmen deren Befehle und Anweisungen verbindlich entgegen. So hatte die - über der Angeklagten stehende - Europaführung die Aufgabe, die DHKP-C nach den vom Generalsekretär bzw. dem Zentralkomitee erteilten Weisungen zu führen. Lediglich die praktische Umsetzung der einzelnen Anordnungen war von der Europaführung in eigener Verantwortung sicherzustellen. Entsprechendes gilt für das Verhältnis zwischen der Europaführung und dem Deutschlandverantwortlichen. Mit Blick auf diese Umstände erscheint es bereits zweifelhaft, ob die Angeklagte allein aufgrund ihrer Stellung in der Organisation einen für die Annahme der Rädelsführerschaft ausreichenden Einfluss auf die Gesamtorganisation als solche ausüben konnte.
13
bb) Jedenfalls wird ein derartiger maßgeblicher Einfluss der Angeklagten von den Feststellungen zu den konkreten Aufgaben und Tätigkeiten der einzelnen Parteiorgane nicht belegt. Aus diesen ergibt sich vielmehr, dass die für die Vereinigung wesentlichen Belange von der Partei- und Europaführung bestimmt und geprägt wurden, ohne dass ein für die Rädelsführerschaft ausreichender Einfluss der Angeklagten auf die diesbezüglichen Entscheidungen ersichtlich ist. Hierzu im Einzelnen:
14
(1) Wichtigste Aufgabe der an der "Rückfront" eingesetzten Funktionäre war die Geldbeschaffung zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes in der Türkei. Die Haupteinnahmequelle stellten Spendensammlungen dar, die nach festen, streng überwachten Regeln durchgeführt wurden. Der jeweilige Zeitraum dieser Sammlungen, die Mindesthöhe der erwarteten Spendengelder, die Verbringung und Verwendung der vereinnahmten Spenden sowie die bei der Sammlung eingesetzten Propagandamittel wurden zentral von der Parteiführung vorgegeben. Zudem waren von den ausführenden Funktionären Berichte zu fertigen, die über die Europaführung an die Parteiführung weitergeleitet wurden. Die Gesamtverantwortung für weitere, der Geldbeschaffung dienende kommerzielle Veranstaltungen wie etwa Konzerte oder das jährliche Parteifest trug der Europaverantwortliche. Dieser legte die Rahmenbedingungen fest und erteilte den nachgeordneten Funktionären konkrete Handlungsanweisungen zur Vorbereitung sowie Durchführung der betreffenden Veranstaltung.
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Die in Deutschland und anderen Ländern der Rückfront agierenden Parteikader waren zudem spätestens seit dem Jahr 1998 an der Bereitstellung von Nachschub und Logistik für den bewaffneten Kampf in der Türkei beteiligt. Die mit diesen Aktivitäten betrauten hochrangigen Parteifunktionäre waren indes unmittelbar der Parteiführung unterstellt. Nach deren Weisungen oblag den Verantwortlichen die Bereitstellung von Fahrzeugen und die Einweisung der Kurierfahrer. Als Kuriere geeignete Personen waren der Europaführung zu benennen.
16
Mitteilungen der DHKP-C wurden unter der Kontrolle der Europaführung herausgegeben. Maßnahmen zur Kaderschulung wurden ebenfalls zentral ge- steuert. Die Europaführung legte auch fest, welche zukünftigen Funktionäre in den einzelnen Gebieten Ausbildungsaufgaben wahrzunehmen hatten. Die Inhalte der Schulungen waren an den Vorgaben des Parteiprogramms orientiert und wurden von der Organisationsführung vorgegeben. Die Entscheidungen, ob, wann und in welcher Weise Schleusungen durchgeführt wurden, um Funktionäre vor Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, traf die Parteiführung. Lediglich die entsprechende Ausführung oblag der Europaführung und den nachgeordneten Funktionären.
17
Die Angeklagte war schließlich nicht direkt in die Planung oder die Durchführung der von der Vereinigung in der Türkei verübten Anschläge und damit nicht in die Straftaten eingebunden, auf deren Begehung die Zwecke und Tätigkeit der DHKP-C vor allem gerichtet waren.
18
(2) Vor diesem Hintergrund belegen die Feststellungen, die Angeklagte sei mit Befehlsgewalt über sämtliche Funktionäre und Kader in Deutschland ausgestattet, mit Schulungsaufgaben befasst sowie für sämtliche Angelegenheiten organisatorischer, personeller, finanzieller und sonstiger Art zuständig gewesen, die in den von ihr jeweils geleiteten Bereichen angefallen seien, nicht den für die Rädelsführerschaft erforderlichen maßgeblichen Einfluss auf die Führung der ausländischen Gesamtorganisation. Dabei ist weder die große Bedeutung Deutschlands für die DHKP-C noch die Vielzahl durchaus gewichtiger Aufgaben zu verkennen, welche die Angeklagte in konspirativer Vorgehensweise zu erfüllen hatte. Diese Umstände vermögen indessen nichts daran zu ändern , dass alle wesentlichen Entscheidungen mit für die DHKP-C grundsätzlicher Bedeutung von Parteiorganen getroffen wurden, die der Angeklagten übergeordnet waren. Die Angeklagte war demgegenüber in Bezug auf alle Aktivitäten , die ihr als DHKP-C Funktionärin oblagen, etwa der Gebietsarbeit, dem Mitwirken an Spendenkampagnen, beim Verkauf von Publikationen, bei kom- merziellen Veranstaltungen, Schulungen und Demonstrationen gegenüber dem bzw. der Europaverantwortlichen berichtspflichtig. Ihre Tätigkeit war somit vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie für die höheren Parteiorgane nachvollziehbar dafür Sorge zu tragen hatte, die von den ihr übergeordneten Führungsebenen ausgegebenen Direktiven in dem jeweils von ihr geleiteten Bereich umzusetzen.
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2. Eine Schuldspruchänderung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Angeklagte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar ist, kommt nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hat die Feststellungen zwar rechtsfehlerfrei getroffen ; die hiergegen erhobenen verfahrensrechtlichen Einwendungen der Revision dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Der Inhalt der knappen Ausführungen des Oberlandesgerichts im Rahmen der rechtlichen Würdigung deutet jedoch darauf hin, dass der Strafsenat die Frage, welchen Einfluss die Angeklagte auf die wesentlichen Belange der ausländischen Gesamtorganisation nahm, jedenfalls nicht ausreichend im Blick hatte. Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen kann, welche die Rädelsführerschaft der Angeklagten in der DHKP-C nach Maßgabe der dargelegten Anforderungen belegen.
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3. Die bisherigen Feststellungen insbesondere zu Aufbau und Struktur der DHKP-C sowie den Tätigkeiten der Angeklagten sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen - etwa zum Einfluss der Angeklagten auf die Führung der Gesamtorganisation - treffen, die allerdings den bisherigen nicht widersprechen dürfen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.

(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.

(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,

1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.

(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.

(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.

(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter

1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 277/09
vom
3. Dezember 2009
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_______________________________
1. Der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008
zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität führt nicht zu einer Änderung der
bisherigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne des
2. Verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung durch koordiniertes Handeln nicht nur
kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten
hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, so
belegt dies regelmäßig den für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendigen
übergeordneten Gemeinschaftswillen.
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09 - LG Dresden
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
wegen gefährlicher Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
8. Oktober 2009 in der Sitzung am 3. Dezember 2009, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten T. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Peter W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten Tom W.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G.
- nur in der Verhandlung vom 8. Oktober 2009 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 6. August 2008 mit den Feststellungen aufgehoben mit Ausnahme des Teilfreispruchs der Angeklagten T. und Tom W. vom Vorwurf der Volksverhetzung ; jedoch werden die Feststellungen zu dem jeweiligen objektiven Tatgeschehen in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe bezüglich aller Angeklagten aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
2. Der Antrag des Angeklagten T. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung einer Verfahrensrüge wird zurückgewiesen.
3. Die Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. gegen das vorgenannte Urteil werden verworfen. Diese Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten Tom W. der gefährlichen Körperverletzung in drei Fällen sowie die Angeklagten T. und Peter W. jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, schuldig gesprochen. Es hat folgende Jugendstrafen verhängt: gegen den Angeklagten Tom W. eine solche von drei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten Peter W. eine solche von drei Jahren sowie gegen den Angeklagten T. eine solche von zwei Jahren, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Im Übrigen hat es die Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung sowie die Angeklagten G. und R. insgesamt freigesprochen. Mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, die sich auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts stützt, wendet sich die Staatsanwaltschaft insbesondere dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind; das Rechtsmittel hat insoweit Erfolg. Der Angeklagte T. begehrt Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer Verfahrensrüge und beanstandet ebenso wie die Angeklagten Tom und Peter W. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Diese Rechtsmittel sind unbegründet.
2
A. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf sich ab dem Jahre 2005 eine Gruppe politisch rechtsorientierter Jugendlicher aus M. , die sich den Namen "Division Sächsischer Sturm" gegeben hatte und zu der auch die Angeklagten gehörten. Im Herbst 2005 wurde eine Halle in einem Bauhof zum festen täglichen Treffpunkt. Man spielte Musik mit rechtsradikalen Texten und stattete die Räumlichkeiten u. a. mit Reichskriegsflaggen aus. Zwischen dieser Gruppe und anderen Personen in der Umgebung kam es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei sich die Angriffe der Gruppenmitglieder bevorzugt gegen Punker, "Linke" und "Kiffer" richteten.
3
Anfang 2006 kam innerhalb der Gruppe die Idee auf, eine Kameradschaft zu gründen. Im Januar 2006 trafen sich etwa 20 ausgewählte Personen, darunter auch die Angeklagten Tom W. , T. und R. . Es wurde besprochen , dass die Kameradschaft einen Namen und ein Abzeichen bekommen sollte; man dachte auch über eine einheitliche Kleidung nach, um nach außen Geschlossenheit zu demonstrieren. Im Bauhof sollte Ordnung geschaffen und die Teilnahme an rechtsorientierten Veranstaltungen organisiert werden. Hauptziel der Kameradschaft war jedoch, M. durch die Schaffung einer sog. nationalbefreiten Zone "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Dies bedeutete , dass gegen alle Personen, die keine rechtsorientierte politische Gesinnung hatten, mit Gewalt vorgegangen werden sollte. Der Angeklagte Tom W. beabsichtigte , ein "Sammelbecken von Nationalisten" zu schaffen, in dem er Hooligans und Skinheads zusammenführen wollte. Es sollten weiterhin sog. Skinheadkontrollrunden durchgeführt werden, bei denen die Teilnehmer nach missliebigen Personen Ausschau hielten. Wurden solche angetroffen, organisierte und formierte man eine größere Einheit und ging gewalttätig gegen sie vor. An diesen Aktionen sollten nach Möglichkeit alle im Bauhof anwesenden Männer teilnehmen.
4
Nach dieser Vorbesprechung entwickelte der Angeklagte G. nach Recherchen in der Geschichte des Nationalsozialismus den Namen "Kameradschaft Sturm 34". Am ersten Wochenende im März 2006 wurde eine der üblichen Zusammenkünfte im Bauhof spontan zur Gründungsveranstaltung genutzt. Neben anderen Personen hielt der Angeklagte G. eine Rede und erklärte den 30 bis 50 anwesenden Personen den vorherigen Absprachen ent- sprechend, wie eine Kameradschaft zu funktionieren habe, wie es zu dem Namen "Kameradschaft Sturm 34" komme und welche gemeinsamen Ziele verfolgt werden sollten. Die Anwesenden taten ihre Zustimmung kund und waren sich einig, dass damit die "Kameradschaft Sturm 34" gegründet war. Der Vorschlag , eine Mitgliederliste aufzulegen, wurde u. a. deshalb nicht umgesetzt, weil der Angeklagte R. einwandte, dass eine solche Liste im Falle polizeilicher Ermittlungen nachteilig wäre.
5
Der Angeklagte Tom W. nahm in der Folgezeit in der Gruppierung eine Anführerstellung ein. Er bildete mit den Angeklagten Peter W. , T. und G. sowie weiteren Personen den "harten Kern" der Kameradschaft. Die Beteiligten waren sich einig, dass ihre Ziele nur mittels Gewaltanwendung durchgesetzt werden konnten. Lediglich dem Angeklagten G. schwebte eine gewaltfreie Kameradschaft vor; er schied später aus der Gruppierung aus. Bei einer Veranstaltung am 27. Juni 2006 wurde ein Vorstand gewählt; dieser bestand aus dem Angeklagten Tom W. und drei weiteren Personen, unter denen sich mit H. auch ein weibliches Mitglied befand. Eine schriftliche Satzung wurde in der Folgezeit nicht niedergelegt, einheitliche Kleidung nicht angeschafft. Offizielle Regeln, nach denen die Entscheidungen getroffen werden sollten, wurden nicht aufgestellt. Man legte auch nicht ausdrücklich fest, wer als Mitglied der Kameradschaft anzusehen war. Die Teilnahme an den Aktionen gegen "Zecken" und andere war den im Bauhof Anwesenden freigestellt. Der Angeklagte Tom W. gab in der Regel den Ton an; seine Anweisungen wurden indes nicht allgemein akzeptiert. Der Austritt aus der Kameradschaft war ohne Weiteres möglich; auch das Ausscheiden des Angeklagten G. wurde ohne Diskussion hingenommen.
6
Dem Angeklagten R. waren die ständigen Gewalttaten zuwider; er fürchtete, es könnten Personen zu Tode kommen. Um dies zu verhindern, nahm er Kontakt zu den Polizeibehörden auf und verfasste als Informant Berichte über den Verband. Durch Verfügung vom 22. April 2007 verbot das Sächsische Staatsministerium des Innern die "Kameradschaft Sturm 34" und löste diese auf, weil ihre Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderliefen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten.
7
Nach Gründung der "Kameradschaft Sturm 34" kam es zu folgenden Straftaten:
8
Am 12. Mai 2006, dem Himmelfahrtstag, stellten der Angeklagte Tom W. und der gesondert Verfolgte He. bei einer "Skinheadkontrollrunde" fest, dass sich an der Torfgrube M. eine Gruppe sog. Ökos aufhalte. Fast alle am Bauhof Anwesenden, darunter die Angeklagten Tom und Peter W. , machten sich daraufhin mit Handschuhen, die mit Quarzsand gefüllt waren, sowie Springerstiefeln auf den Weg zu der Torfgrube. Eingedenk entsprechender früherer Aktionen gingen sie in unausgesprochenem Einvernehmen davon aus, dass die dort befindliche Gruppe - bei der es sich um acht Schüler und Studenten handelte - zunächst gemeinsam provoziert und sodann gewaltsam vertrieben werden sollte. In Ausführung dieses Vorhabens schlugen und traten sie auf zwei Opfer ein; einem der beiden Jugendlichen wurde zudem eine Bierflasche in das Gesicht geschlagen. Nach der Rückkehr in den Bauhof wurde die Aktion gemeinsam ausgewertet (Fall II. 1. der Urteilsgründe).
9
In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2006 nahmen zahlreiche Mitglieder der Kameradschaft, darunter alle Angeklagten, an einer Feier teil, bei der ein präpariertes Holzkreuz angezündet wurde. Danach begaben sie sich zu einer Tankstelle, um dort eine Schlägerei mit einer Gruppe junger Leute anzuzetteln. Der Angeklagte G. wollte sich an den Gewalttätigkeiten nicht beteiligen und blieb außerhalb des Tankstellengeländes zurück. Die Teilnahme des Ange- klagten R. an den Tätlichkeiten hat das Landgericht ebenfalls nicht festzustellen vermocht. Mehrere sonstige Mitglieder der Kameradschaft schlugen den Geschädigten K. zusammen und traten mit Springerstiefeln auf das am Boden liegende Opfer mit "wie beim Fußball ausgeführten Tritten" ein. Die Angeklagten T. und Peter W. beschädigten zudem einen PKW (Fall II. 2. der Urteilsgründe).
10
In der Nacht vom 3. zum 4. Juni 2006 fand in B. ein Dorffest statt. Unter den Gästen befanden sich auch drei Punker. Nach einem Streit wurde der Angeklagte Tom W. informiert, von dem bekannt war, dass man ihn jederzeit anrufen konnte, wenn es Probleme gab und man Verstärkung brauchte. Er befand sich auf dem Bauhof, wo sich schnell herumsprach, dass politisch Gleichgesinnte die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert hatten. Mit mindestens sechs voll besetzten Fahrzeugen begaben sich die anwesenden Mitglieder der Kameradschaft, unter ihnen die Angeklagten Tom W. und T. , sodann nach B. , wo sie in militärischer Formation zum Festzelt zogen. Dort begannen sie eine Schlägerei, bei der elf Personen teilweise erheblich verletzt wurden. Nach dem Befehl "Geordneter Rückzug" entfernten sich die Täter, kehrten zum Bauhof nach M. zurück und werteten dort die Aktion aus (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
11
B. Revision der Staatsanwaltschaft
12
I. Zum Umfang der Anfechtung des landgerichtlichen Urteils durch die Revision der Staatsanwaltschaft gilt:
13
Den Angeklagten ist u. a. vorgeworfen worden, eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet waren, Straftaten zu begehen, und sich an dieser Vereinigung als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 Abs. 1 StGB), wobei der Angeklagte Tom W. Rädelsführer (§ 129 Abs. 4 StGB) gewesen sein soll. Mit ihrer Revision beantragt die Staatsanwaltschaft , das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben. Ausweislich der Begründung richtet sich das Rechtsmittel dagegen, dass die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt worden sind. Außerdem rügt die Beschwerdeführerin die Fassung des Urteilstenors , weil in diesem nicht zum Ausdruck gebracht werde, in wie vielen tateinheitlichen Fällen die jeweilige gefährliche Körperverletzung begangen worden sei. Sie meint, aus diesem Grunde sei auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft.
14
1. Die Staatsanwaltschaft wendet sich somit in der Sache trotz des umfassenden Aufhebungsantrags nicht gegen den Freispruch der Angeklagten Tom W. und T. vom Vorwurf der Volksverhetzung. Die hierin liegende Beschränkung der Revision ist wirksam; denn ein Rechtsmittel kann auf solche Beschwerdepunkte beschränkt werden, die losgelöst von dem nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach deren innerem Zusammenhang rechtlich und tatsächlich selbstständig geprüft und beurteilt werden können, ohne dass eine Prüfung des Urteils im Übrigen erforderlich ist (st. Rspr.; s. BGHSt 47, 32, 35 m. w. N.). Dies ist bei dem gegen die Angeklagten Tom W. und T. erhobenen Vorwurf der Volksverhetzung der Fall, weil es sich hierbei nicht um eine Straftat handelt, die in Verfolgung der Ziele der Vereinigung begangen wurde, und die deshalb zu dem in Rede stehenden De likt der Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB im Verhältnis der Tatmehrheit steht.
15
2. Die Staatsanwaltschaft erhebt zwar ebenfalls keine ausdrücklichen Einwände gegen den Freispruch des Angeklagten R. von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2.
der Urteilsgründe. Insoweit kommt eine wirksame Beschränkung der Revision jedoch nicht in Betracht; denn zwischen der mitgliedschaftlichen Beteiligung des Angeklagten R. an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und den im Fall II. 2. der Urteilsgründe angeklagten Delikten wäre Tateinheit im Sinne des § 52 StGB anzunehmen (vgl. BGHSt 29, 288, 290; BGH NStZ 1982, 517, 518). Bei tateinheitlich begangenen Straftaten ist eine beschränkte Nachprüfung des Schuldspruchs grundsätzlich nicht möglich (BGHSt 21, 256, 258; 24, 185, 189). Die Besonderheiten des § 129 StGB als Organisationsdelikt, das über lange Zeiträume ganz verschiedene Verhaltensweisen zu einer materiellrechtlichen Einheit zusammenfasst, führen jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation nicht zu einer anderen Bewertung.
16
Es kann dahinstehen, ob der Umstand, dass die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB und schwerer wiegende Straftaten trotz der Annahme materiellrechtlicher Tateinheit unter besonderen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen einer getrennten Aburteilung zugänglich sind (BGHSt 29, 288, 292 ff.; BGH StV 1999, 352, 353), es rechtfertigen kann, eine Beschränkung der Revision auf in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt stehende schwerere Straftaten als wirksam anzusehen (Paul in KK 6. Aufl. § 318 Rdn. 6 a; zur Zulässigkeit der Revisionsbeschränkung auf einen Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung, wenn diese mit dem Dauerdelikt der Zuhälterei tateinheitlich zusammentrifft, s. BGHSt 39, 390). Dagegen könnte sprechen, dass sich der Schuldumfang des Organisationsdelikts ohne Berücksichtigung der damit im Zusammenhang begangenen Taten nicht beurteilen lässt und umgekehrt (Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 318 Rdn.

66).

17
Dies bedarf indes keiner näheren Betrachtung. Denn eine wirksame Rechtsmittelbeschränkung käme danach allenfalls in Bezug auf ein mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes schwereres Delikt in Betracht, dessen Strafklage mit der Aburteilung des Organisationsdelikts nicht verbraucht wäre. Im vorliegenden Fall steht aber nicht die Wirksamkeit der Beschränkung der Revision auf ein gewichtigeres, mit dem Organisationsdelikt in Tateinheit stehendes weiteres Delikt in Rede; denn die Staatsanwaltschaft greift mit ihrem Rechtsmittel nicht einen Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch, sondern die unterbliebene Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung an. Die Beschränkung der Revision auf dieses Organisationsdelikt scheidet aus. Denn anders als im umgekehrten Fall wäre insoweit die Strafklage durch die Aburteilung des tateinheitlich verwirklichten schwereren Delikts verbraucht; damit entfällt der wesentliche Gesichtspunkt, der für die Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung auf das in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt gewichtigere Delikt sprechen könnte.
18
3. Aus denselben Gründen umfasst das Rechtsmittel schließlich auch den Schuldspruch der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. wegen gefährlicher Körperverletzung in den drei Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe (vgl. BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Auch diese Straftaten stünden in Tateinheit mit dem Organisationsdelikt nach § 129 StGB. Damit steht ebenfalls die unterbliebene Verurteilung dieser Angeklagten in Bezug auf den Anklagevorwurf jeweils tateinheitlich mit den gefährlichen Körperverletzungen begangenen Landfriedensbruchs zur revisionsgerichtlichen Überprüfung.
19
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg, soweit das Landgericht die Angeklagten nicht wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung verurteilt hat. Die Wertung des Landgerichts, nach den - rechtsfehlerfrei getroffenen - Feststellungen seien die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB nicht gegeben, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Vielmehr ist die "Kameradschaft Sturm 34" nach den Feststellungen als kriminelle Vereinigung in diesem Sinne anzusehen. Im Einzelnen:
20
1. Die Strafkammer stützt ihre Beurteilung maßgeblich auf folgende Erwägungen :
21
Die Angeklagten hätten sich zwar mit anderen zu der "Kameradschaft Sturm 34" zusammengeschlossen, um einen Zusammenhalt herzustellen und ihre politische Gesinnung mittels der Begehung von Straftaten durchzusetzen. Die Kameradschaft sei jedoch allenfalls als Bande, nicht aber als kriminelle Vereinigung zu bezeichnen. Es habe an verbandsinternen Entscheidungsstrukturen zur Herausbildung eines Gruppenwillens gefehlt, dem sich die Mitglieder verbindlich zu unterwerfen gehabt hätten. Auch die Wahl eines Vorstandes ändere hieran nichts, zumal mit H. auch ein weibliches Vorstandsmitglied gewählt worden sei. Dies deute darauf hin, dass dieser Akt nicht in Verbindung mit den aus der Gruppe heraus begangenen Straftaten stehe; denn grundsätzlich sollten Mädchen in gewaltsame Aktionen nicht einbezogen werden. Eine Satzung sei zwar geplant gewesen, bis zu der Verbotsverfügung jedoch nicht konkret in Angriff genommen worden. Auch der Umstand, dass innerhalb der Kameradschaft eine gewisse Hierarchie erkennbar gewesen sei, kennzeichne die Gruppierung allenfalls als Bande. Trotz der genannten Strukturen habe sich das Kameradschaftsleben eher zwanglos gestaltet; es habe keine Mitgliedschaftsliste, Mitgliedsbeiträge, feste Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten , Verpflichtung zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung und insbesondere keine Verpflichtung gegeben, sich an den durchgeführten konkreten Straftaten zu beteiligen. Auch der "harte Kern" der Gruppe sei nicht als kriminelle Vereinigung aufgetreten.
22
2. Mit dieser Bewertung hat das Landgericht die Frage, ob die "Kameradschaft Sturm 34" die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung erfüllt, zumindest teilweise unter Heranziehung von Kriterien beurteilt, die für das Bestehen einer Vereinigung keine bzw. allenfalls eine untergeordnete Bedeutung haben. Außerdem hat es festgestellte, für das Bestehen einer Vereinigung sprechende Umstände nicht in seine Würdigung einbezogen. Damit hat sich die Strafkammer insgesamt den Blick dafür verstellt, welche Tatsachen für das Bestehen einer kriminellen Vereinigung relevant sind, und damit den festgestellten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewertet.
23
a) Das Vorliegen einer Vereinigung hängt nach bisher in der Rechtsprechung gebräuchlicher Definition von verschiedenen personellen, organisatorischen , voluntativen sowie zeitlichen Kriterien ab. Als Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB ist danach der auf eine gewisse Dauer angelegte, freiwillige organisatorische Zusammenschluss von mindestens drei Personen zu verstehen , die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGH NJW 2009, 3448, 3459, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; s. auch BGHSt 28, 147; 31, 202, 204 f.; 31, 239 f.; 45, 26, 35; BGH NJW 2005, 1668; 2006, 1603; BGHR StGB § 129 Vereinigung 3).
24
Der Senat hält - mit gewissen Modifikationen beim Willenselement - an dieser Bestimmung des Begriffs der Vereinigung für den Tatbestand der Bildung krimineller Vereinigungen nach § 129 StGB fest.
25
aa) Der Begriff der kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung wird in mehreren europarechtlichen Regelungen näher definiert (vgl. etwa Art. 1 der bis zum 10. November 2008 gültigen Gemeinsamen Maßnahme des Rates der Eu- ropäischen Union vom 21. Dezember 1998, ABl. EG 1998 Nr. L 351 S. 1; Art. 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42; Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung , ABl. EG 2002 Nr. L 164 S. 3, geändert durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 28. November 2008, ABl. EG 2008 Nr. L 330 S. 21; jeweils i. V. m. EUV-Lissabon, Art. 9 des Protokolls Nr. 36 über die Übergangsbestimmungen ). Vor dem Hintergrund der dortigen Umschreibungen wird in der Literatur insbesondere für die terroristische Vereinigung (§§ 129 a, 129 b StGB) teilweise die Auffassung vertreten, der bisher verwendete Vereinigungsbegriff sei "europarechtsfreundlich" zu interpretieren; deshalb sei er dahin zu modifizieren, dass die Anforderungen an die organisatorischen und voluntativen Voraussetzungen herabgesetzt werden (Krauß in LK 12. Aufl. § 129 a Rdn. 26; Kress JA 2005, 220; v. Heintschel-Heinegg in FS für Schroeder S. 799; krit. Rudolphi/Stein in SK-StGB § 129 Rdn. 6 b). Diese Auffassung ist von den Instanzgerichten teilweise übernommen worden (OLG Düsseldorf, Urt. vom 5. Dezember 2007 - IIIVI 10/05).
26
bb) Der Senat hat eine derartige Neubestimmung des Vereinigungsbegriffs für den Bereich der terroristischen Vereinigung ebenfalls zunächst grundsätzlich in den Blick genommen, ohne sich indes im Einzelnen hierzu zu verhalten (BGH NJW 2006, 1603). Insbesondere für die kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB hat er jedoch vor dem Hintergrund des abgestuften Systems der Strafbarkeit von Tatvollendung, Versuch und Vorbereitungshandlung, der erforderlichen Abgrenzbarkeit der Vereinigung von einer Bande oder nur mittäterschaftlichen Zusammenschlüssen, der prozessualen Folgewirkungen sowie des Strafzwecks der §§ 129 ff. StGB in späteren Entscheidungen erhebliche Bedenken geäußert (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3; s. auch für die terroristische Vereinigung BGH NJW 2009, 3448, 3460; zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Der vorliegende Fall gibt Anlass klarzustellen, dass es für den hier relevanten Begriff der kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 StGB für alle in Betracht kommenden Gruppierungen einheitlich bei der bisher in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition der Vereinigung zu verbleiben hat. Hierzu gilt:
27
Nach Art. 1 Ziffer 1 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (ABl. EG 2008 Nr. L 300 S. 42) bezeichnet der Ausdruck kriminelle Vereinigung einen auf Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die, um sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen, in Verabredung handeln, um Straftaten zu begehen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung im Höchstmaß von mindestens vier Jahren oder einer schwereren Strafe bedroht sind. Art. 1 Ziffer 2 des Rahmenbeschlusses umschreibt einen organisierten Zusammenschluss in diesem Sinne als einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung eines Verbrechens gebildet wird und der auch nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder , eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.
28
Diese Begriffsbestimmungen können nicht unmittelbar für die §§ 129 ff. StGB übernommen werden. Zwar sind bei der Auslegung des deutschen Rechts auch die in Rahmenbeschlüssen des Rates der Europäischen Union enthaltenen Vorgaben grundsätzlich zu berücksichtigen; denn die nationalen Gerichte haben ihre Auslegung des innerstaatlichen Rechts auch an deren Wortlaut und Zweck auszurichten (Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung, s. EuGH NJW 2005, 2839 - Pupino). Diese Verpflichtung der nationalen Gerichte besteht jedoch nicht uneingeschränkt; sie wird vielmehr durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grund- satz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt (EuGH aaO S. 2841). Einer Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB, die sich an den zitierten Begriffsbestimmungen des Rahmenbeschlusses orientiert, stehen derartige allgemeine Rechtsgrundsätze des deutschen Strafrechts entgegen:
29
Die Übertragung der Definition einer kriminellen Vereinigung in Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 in das nationale Recht würde zu einem unauflösbaren Widerspruch zu wesentlichen Grundgedanken des Systems der Strafbarkeit mehrerer zusammenwirkender Personen führen, auf dem das deutsche materielle Strafrecht beruht. Die Umschreibung einer kriminellen Vereinigung nach Art. 1 des Rahmenbeschlusses vom 24. Oktober 2008 unterscheidet sich in ihrem inhaltlichen Gehalt allenfalls nur noch in unwesentlichen Randbereichen von derjenigen einer Bande, wie sie in der neueren Rechtsprechung (BGHSt 46, 321) vorgenommen wird. Eine Bande ist danach gekennzeichnet durch den Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbstständige, im Einzelnen noch ungewisse Straftaten zu begehen; ein gefestigter Bandenwille und ein Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse sind demgegenüber nicht mehr erforderlich (BGHSt 46, 321, 325 ff.). Nach deutschem Recht ist indes allein die Mitgliedschaft in einer Bande nicht strafbar; vielmehr führt das Handeln als Bandenmitglied (lediglich) dazu, dass der Täter nicht nur einen strafrechtlichen Grundtatbestand erfüllt, sondern ein Qualifikationsmerkmal (s. etwa § 146 Abs. 2, § 244 Abs. 1 Nr. 2, § 244 a Abs. 1, § 250 Abs. 1 Nr. 2, § 263 Abs. 5, § 267 Abs. 4 StGB, § 30 Abs. 1 Nr. 1, § 30 a Abs. 1 BtMG) bzw. ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall (s. etwa § 263 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 303 b Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB) verwirklicht. Die Mitgliedschaft in einer Bande ist deshalb kein strafbegründendes, sondern ein strafschärfendes Merkmal. Demgegenüber stellt § 129 Abs. 1 StGB mit Blick auf vereinigungsspezifische Gefährdungen gewichtiger Rechtsgüter bereits u. a. die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung als solche unter Strafe. Dieser grundlegende Unterschied ginge bei einer Übernahme des europarechtlichen Begriffs der kriminellen Vereinigung verloren, denn in diesem Fall wäre bereits die Mitgliedschaft in einer Gruppierung strafbar, die lediglich die Voraussetzungen einer Bande erfüllt.
30
Hieraus und aus den weiteren, bereits in den Entscheidungen des Senats vom 20. Dezember 2007 (BGHR StGB § 129 Vereinigung 3) sowie 14. August 2009 (BGH NJW 2009, 3448, 3460) näher dargelegten Gründen folgt, dass eine "europarechtsfreundliche" Modifikation des bisherigen Begriffs der kriminellen Vereinigung durch die Rechtsprechung nicht möglich ist. Sie wäre vielmehr allein Sache des Gesetzgebers (für die kriminelle Vereinigung im Ergebnis ebenso Krauß aaO § 129 Rdn. 49), der bei einer Neuregelung allerdings auch dafür Sorge zu tragen hätte, dass das deutsche materielle Strafrechtsgefüge insgesamt in sich stimmig bleibt.
31
b) Nach den Feststellungen ist nicht zweifelhaft, dass sich in der "Kameradschaft Sturm 34" mindestens drei Personen für eine gewisse Dauer zusammenschlossen und somit die Anforderungen an eine Vereinigung in personeller und zeitlicher Hinsicht erfüllt sind.
32
c) Zu den maßgebenden Gesichtspunkten bezüglich der Organisation der "Kameradschaft Sturm 34" gilt:
33
aa) Eine Vereinigung ist in struktureller Hinsicht dadurch gekennzeichnet, dass ein Mindestmaß an fester Organisation mit einer gegenseitigen Verpflichtung der Mitglieder besteht (BGHSt 31, 202, 206; 31, 239, 242). Diese innere Organisation muss so stark sein, dass sich die Durchsetzung der Ziele der Ver- einigung nach bestimmten Gruppenregeln vollzieht und der individuelle Gestaltungseinfluss des Einzelnen dahinter zurücktritt. Die Straftaten und Aktionen, die von den Mitgliedern der Vereinigung geplant und begangen werden, müssen vor diesem Hintergrund stattfinden. Erforderlich ist dabei ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung (BGH NJW 1992, 1518).
34
bb) Diese Voraussetzungen sind nach den Feststellungen gegeben; diesen ist zu entnehmen, dass innerhalb der "Kameradschaft Sturm 34" eine ausreichende organisatorische Struktur vorhanden war, um die gemeinsam verfolgten Ziele - Schaffung einer "national-befreiten Zone" in der Gegend um M. usw. - zu verwirklichen (zu den für einen ausreichenden organisatorischen Zusammenschluss sprechenden Indizien zusammenfassend Krauß aaO § 129 Rdn. 25 m. w. N.).
35
Die Mittel, deren sich die Mitglieder der Kameradschaft hierfür bedienen wollten, waren von Beginn an festgelegt. Insbesondere die Durchführung der sog. Skinheadkontrollrunden und gegebenenfalls die sich unmittelbar an diese anschließenden Aktionen gegen missliebige Personen erforderten ein beachtliches Maß an Koordination zwischen den Beteiligten. Auch die mit einem nicht unerheblichen logistischen Aufwand verbundene Art und Weise, in der die konkreten Straftaten begangen wurden, belegt eine intensive vorherige Abstimmung zwischen den Mitgliedern der Organisation (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 300, 301). In dem Bauhof war ein ständiger Gruppentreff und damit ein räumlicher Fixpunkt eingerichtet (Krauß aaO § 129 Rdn. 25), von dem die gewalttätigen Aktionen ausgingen und zu dem die Teilnehmer an den konkreten Straftaten nach deren Begehung jeweils zurückkehrten. Die dort sodann - jedenfalls in den Fällen II. 1. und 3. der Urteilsgründe - vorgenommene gemeinsame Aus- wertung der gewalttätigen Aktionen lässt ein bemerkenswertes Maß an Planung und personeller Geschlossenheit erkennen; sie ist deshalb ebenfalls ein gewichtiges Indiz für den organisatorischen Zusammenhalt der Gruppenmitglieder. Hinzu kommt, dass die Bestimmung der Ziele der Gruppe und der zu deren Erreichung eingesetzten Mittel auf einer gemeinsamen politisch-ideologischen Grundhaltung der Beteiligten beruhte (vgl. zu diesem Kriterium auch den Sachverhalt , welcher der Entscheidung BGHSt 41, 47 zugrunde liegt). Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" einte eine politisch im extrem rechten Bereich zu verortende Überzeugung, welche Grundlage der Straftaten war, auf deren Begehung die Gruppierung gerichtet war. All diese Umstände belegen einen hohen Organisationsgrad der Gruppierung, der den Anforderungen genügt, die in organisationsspezifischer Hinsicht an eine Vereinigung zu stellen sind.
36
d) Auch das erforderliche Willenselement der Vereinigung liegt nach den Feststellungen vor:
37
aa) Nach bisher ständiger Rechtsprechung ist wesentlich für eine Vereinigung die subjektive Einbindung der Beteiligten in die kriminellen Ziele der Organisation und in deren entsprechende Willensbildung unter Zurückstellung individueller Einzelmeinungen. Innerhalb der Vereinigung müssen deshalb grundsätzlich bestimmte, von ihren Mitgliedern anerkannte Entscheidungsstrukturen bestehen; dieser organisierten Willensbildung müssen sich die Mitglieder als für alle verbindlich unterwerfen. Der bloße Wille mehrerer Personen, gemeinsam Straftaten zu begehen, verbindet diese noch nicht zu einer kriminellen Vereinigung , weil der Wille des Einzelnen maßgeblich bleibt und die Unterordnung unter einen Gruppenwillen unterbleibt. Die Art und Weise der Willensbildung ist allerdings gleichgültig; maßgeblich ist allein, dass sie von den Mitgliedern der Vereinigung übereinstimmend anerkannt wird. Die für alle Mitglieder verbindlichen Regeln können etwa dem Demokratieprinzip entsprechen oder auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut sein. Die Annahme einer Vereinigung scheidet indes aus, wenn die Mitglieder einer Gruppierung sich nur jeweils der autoritären Führung einer Person unterwerfen, ohne dass dies vom Gruppenwillen abgeleitet wird (BGHSt 31, 239, 240; 45, 26, 35; BGH NJW 1992, 1518; 2009, 3448, 3460, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt).
38
Der Bundesgerichtshof hat in Anwendung dieser Grundsätze in mehreren , vor allem im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts ergangenen Entscheidungen hohe Anforderungen an die tatrichterlichen Feststellungen hinsichtlich des Zustandekommens des Gruppenwillens in einer Vereinigung gestellt und auf dieser Grundlage den jeweiligen Urteilsgründen ausreichende Tatsachen, die das voluntative Element einer Vereinigung belegen, nicht zu entnehmen vermocht (vgl. etwa BGHSt 31, 202; BGHR StGB § 129 Gruppenwille 3; BGH NJW 1992, 1518; NStZ 2004, 574; 2007, 31). Der Senat hat allerdings in Entscheidungen zum Staatsschutzstrafrecht im engeren Sinne im Hinblick auf die zugrunde liegenden besonderen, für den Staatsschutzbereich typischen Fallgestaltungen auch weniger detaillierte tatrichterliche Feststellungen zur Art und Weise der Willensbildung innerhalb einer Organisation als ausreichend bewertet. So hat er etwa in dem Urteil vom 10. März 2005 (NJW 2005, 1668), welches die Strafbarkeit der Mitglieder einer Musikgruppe zum Gegenstand hatte, die auf die Veröffentlichung von Liedern mit Texten strafbaren Inhalts ausgerichtet war, ausgeführt, das Tatgericht habe zwar nicht festgestellt, dass sich die Angeklagten verbindliche Regeln gegeben hätten, nach denen sämtliche Entscheidungen innerhalb der Gruppe zu treffen gewesen seien. Dies sei indessen auch nicht erforderlich gewesen; denn aus dem erfolgreichen Zusammenwirken über mehrere Jahre ergebe sich ohne Weiteres, dass sich jedes einzelne Gruppenmitglied dem vom gemeinsamen Willen getragenen Ziel untergeordnet haben müsse (BGH aaO S. 1670). In seinem Beschluss vom 28. November 2007 (NJW 2008, 86), bei dem es um politisch motivierte Brandstiftungen ging, hat er darauf hingewiesen, dass zwar die inneren Strukturen der Gruppe nicht aufgedeckt seien. Der Inhalt der veröffentlichten Schriften zeige jedoch hinreichend deutlich, dass die Mitglieder der Gruppe ihre Aktivitäten an den ideologischen Vorgaben und der daraus entwickelten Strategie der Organisation ausrichteten und sich somit dem aus der internen Meinungsbildung entspringenden Gruppenwillen unterordneten (BGH aaO S. 87). In dem Urteil vom 14. August 2009 (NJW 2009, 3448, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt) hat der Senat auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen die Al Qaida als Vereinigung im Sinne der §§ 129 a, 129 b StGB gewürdigt. Bei der Bewertung des Willenselements hat er u. a. darauf abgestellt, deren Mitglieder hätten im dortigen Tatzeitraum die gemeinsame politisch-ideologische Grundhaltung des gewaltbereiten extremistischen Islamismus geteilt. Die Gruppierung habe mit dem "Jihad gegen Juden und Kreuzzügler" bis zur Zerstörung der USA und ihrer Verbündeten über eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende , von allen Mitgliedern getragene Zielsetzung verfügt.
39
bb) An der in diesen Entscheidungen zum Ausdruck kommenden Tendenz , bei der Beurteilung des notwendigen voluntativen Elements der Vereinigung den Schwerpunkt der Betrachtung weniger auf die Regeln zu legen, nach denen sich die Willensbildung vollzieht, vielmehr vor allem die Zielsetzung der Vereinigung und den Gemeinschaftswillen selbst in den Blick zu nehmen, hält der Senat fest; er präzisiert diesen Ansatz wie folgt:
40
Verfolgen die Mitglieder der Organisation nicht nur kurzfristig ein gemeinsames Ziel, das über die Begehung der konkreten Straftaten hinausgeht, auf welche die Zwecke oder Tätigkeit der Gruppe gerichtet sind, und handeln sie hierbei - etwa im Rahmen der Vorbereitung oder der Verwirklichung dieser Straftaten - koordiniert zusammen, so belegt dies regelmäßig für sich bereits hinreichend, dass innerhalb des Verbands der für eine Vereinigung im Sinne der §§ 129 ff. StGB notwendige übergeordnete Gemeinschaftswille besteht und von den Mitgliedern anerkannt wird; denn die nachhaltige, aufeinander abgestimmte gemeinsame Verfolgung einer derartigen übergeordneten Zielsetzung ist in der Regel nur dann möglich, wenn die Mitglieder der Gruppierung sich unter Zurückstellung ihrer individuellen Einzelmeinungen einem auf die Erreichung des gemeinsamen Ziels gerichteten Gruppenwillen unterordnen. In diesen Fällen ist das Bestehen ausdrücklicher, verbindlicher Regeln, nach denen die Entscheidungen innerhalb der Gruppierung zu treffen sind, für das voluntative Element der Vereinigung nicht konstitutiv; deshalb erübrigen sich nähere Feststellungen dazu, auf welche formale Art und Weise der gemeinschaftliche Wille gebildet wird. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Sachverhalt ausnahmsweise Besonderheiten aufweist, die aus der Verfolgung des gemeinsamen übergeordneten Ziels keinen ausreichenden Schluss auf die Existenz eines den individuellen Interessen der Einzelnen vorgehenden Gemeinschaftswillens zulassen.
41
Dieses Verständnis ergibt sich insbesondere aus einer an Sinn und Zweck des § 129 StGB orientierten Auslegung des Vereinigungsbegriffs; denn vor dem Hintergrund des Normzwecks der Vereinigungsdelikte kommt es - jedenfalls in den Fällen, in denen die Mitglieder der Organisation eine über den bloßen Zweckzusammenhang der Vereinigung hinausreichende Zielsetzung verfolgen - wesentlich auf die Existenz dieses Gemeinschaftswillens, nicht aber darauf an, nach welchen verbindlichen Regeln sich die Willensbildung im Einzelfall vollzieht. § 129 StGB soll die erhöhte kriminelle Intensität erfassen, die in der Gründung oder Fortführung einer ausreichend festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet und die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre besondere Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGHSt 28, 147, 148 f.; BGH NJW 1992, 1518). Für die so verstandene spezifisch vereinigungsbezogene Gefährlichkeit ist die konkrete Ausgestaltung der Art und Weise der Bildung des gemeinschaftlichen Willens jedenfalls in den Fallgestaltungen ohne erheblichen Belang, in denen die in Rede stehende Eigendynamik vor allem dadurch in Gang gesetzt werden kann, dass die Beteiligten sich in der Verfolgung eines gemeinsamen Zieles verbunden fühlen. Dies rechtfertigt es, in den Fällen, in denen die Beteiligten sich zusammengeschlossen haben und tätig werden, um ein über die Begehung konkreter Straftaten hinausgehendes Ziel zu erreichen, regelmäßig vom Bestehen eines für die Qualifikation des Zusammenschlusses als Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ausreichenden Gruppenwillen auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Beteiligten bereits eine längere Zeit zusammengewirkt und sich dabei Verhaltensmuster herausgebildet haben, die einen jeweils neuen ausdrücklichen Prozess zur Bildung eines Gemeinschaftswillens - etwa im Zusammenhang mit der Vorbereitung oder Begehung vereinigungsspezifischer Straftaten - entbehrlich machen.
42
Ein derartiges übergeordnetes Ziel verfolgen die Mitglieder einer Gruppierung typischerweise etwa in den Fällen politisch, ideologisch, religiös oder weltanschaulich motivierter Kriminalität. Solche Fallgestaltungen erscheinen jedoch darüber hinaus auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität denkbar. Dort wird es indes regelmäßig an der Verfolgung eines übergeordneten gemeinschaftlichen Ziels fehlen; denn bei Wirtschaftsstraftaten steht typischerweise das persönliche Gewinnstreben des einzelnen Täters im Vordergrund. In diesen Fällen sind die hergebrachten Grundsätze zur Feststellung des Gruppenwillens weiterhin maßgebend; deshalb sind hier nach wie vor Feststellungen dazu erforderlich , nach welchen Regeln sich der gemeinschaftliche Wille der Gruppie- rung bildet, denen die einzelnen Mitglieder folgen, weil sie sie als verbindlich ansehen. Aus den dargelegten Gründen kommt es auch vor dem Hintergrund der Regelungen in dem Rahmenbeschluss des Rates vom 24. Oktober 2008, der ersichtlich vor allem wirtschaftskriminelle Gruppierungen in den Blick nimmt, nicht in Betracht, die inhaltlichen Anforderungen an eine kriminelle Vereinigung speziell für diesen Bereich zu mindern. Es verstieße im Übrigen gegen fundamentale Auslegungsgrundsätze, wollte man das Tatbestandsmerkmal der kriminellen Vereinigung abhängig von den tatsächlichen Feststellungen zu den Zielsetzungen des Personenzusammenschlusses unterschiedlich interpretieren; der Begriff der kriminellen Vereinigung kann deshalb nur insgesamt einheitlich verstanden werden.
43
cc) Auch wenn man in den Fällen der koordinierten Verfolgung eines übergeordneten Ziels durch die Gruppenmitglieder bei der Bewertung des Willenselements der Vereinigung maßgeblich auf die Existenz eines Gruppenwillens als solchen und nicht auf die Art seines Zustandekommens abstellt, unterscheidet sich die Vereinigung hinreichend sicher von anderen Formen des strafbaren Zusammenwirkens mehrerer.
44
Dies gilt zunächst im Verhältnis zu der Begehung von Straftaten durch die Mitglieder einer Bande. Der Senat verkennt nicht, dass bei einer Herleitung des maßgebenden Gemeinschaftswillens aus der gemeinsamen Verfolgung eines übergeordneten Ziels wesentlich auf ein tatsächliches Element abgestellt wird, das Ähnlichkeiten zu dem übergeordneten Interesse aufweist, welches die frühere Rechtsprechung als für eine Bande konstitutives Merkmal angesehen hatte (BGHSt 42, 255, 259; BGH NStZ 1997, 90, 91; BGHR BtMG § 30 a Bande 8). Mit diesem Erfordernis war die Bandentat allerdings ohnehin bereits in die Nähe des Organisationsdelikts nach § 129 StGB gerückt worden (BGHSt 46, 321, 327). Entscheidend ist jedoch, dass - wie bereits aufgezeigt - nach neue- rem Verständnis der Rechtsprechung ein derartiges übergeordnetes Interesse für eine Bande nicht mehr notwendig ist. Die Mitglieder einer Bande können - und werden regelmäßig - ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung sowie Beute- und Gewinnerzielung verfolgen (BGHSt 46, 321, 329 f.). Gerade hierin besteht - auch nach dem dargelegten Verständnis des Senats - neben den bedeutend geringeren Anforderungen an die Organisation der Gruppierung ein weiterer wesentlicher Unterschied zu einer Vereinigung.
45
Die Abgrenzung zu mittäterschaftlichem Zusammenwirken ist ebenfalls weiterhin trennscharf möglich; denn diese ist von einem gemeinsamen Willen mehrerer Personen zur Tat und einer gemeinsamen Tatherrschaft gekennzeichnet. Darüber hinaus muss keines der für eine Vereinigung konstitutiven Elemente vorliegen (Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 a Rdn. 35).
46
dd) Gemessen an den dargelegten Maßstäben wird hier der erforderliche Gruppenwille durch die Feststellungen hinreichend belegt. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" verfolgten ein von einem gemeinschaftlichen Bestreben getragenes Ziel, das über die Begehung der einzelnen strafbaren Gewalttätigkeiten hinausging; sie einte das in gemeinsamer rechtsgerichteter politisch -ideologischer Überzeugung wurzelnde, von übereinstimmenden Vorstellungen getragene Vorhaben, M. und Umgebung durch die Vertreibung politisch Andersdenkender "zeckenfrei" und "braun" zu machen. Die Umsetzung dieses Ziels durch die Begehung gewalttätiger Straftaten war ebenfalls vom Gruppenwillen umfasst, ohne dass es insoweit einer jeweils ausdrücklichen Form des Willensbildungsprozesses bedurfte. Die Mitglieder der "Kameradschaft Sturm 34" wirkten planvoll und zielgerichtet zusammen; ihr bereits längere Zeit vor der Gründung der Kameradschaft und nach diesem Zeitpunkt praktiziertes Vorgehen gegen missliebige Personen folgte einem einge- schliffenen Verhaltensmuster. Dies belegt ein nicht unbeträchtliches Maß an gemeinschaftlicher Willensbildung, der sich die einzelnen Mitglieder der Gruppierung unter Zurückstellung der jeweiligen Vorstellungen des Einzelnen unterordneten ; denn anderenfalls wäre die gemeinsame Durchführung der gewalttätigen Aktionen in der festgestellten Form nicht möglich gewesen. Unter diesen Umständen waren detaillierte Feststellungen zur Art und Weise der Bildung des Gemeinschaftswillens hier nicht erforderlich.
47
Für das Bestehen eines verbindlichen übergeordneten Gruppenwillens spricht auch, dass der Angeklagte G. sein Ziel einer gewaltfreien Kameradschaft nicht durchsetzen konnte und später aus dem Verband ausschied. Die Strafkammer hat schließlich selbst im Rahmen der Strafzumessung sowohl dem Angeklagten T. als auch dem Angeklagten Peter W. ausdrücklich zu Gute gehalten, sie hätten sich der durch die "Kameradschaft Sturm 34" entstehenden Gruppendynamik nicht entziehen können.
48
Dass bei den Mitgliedern der Kameradschaft das Bewusstsein bestand, einem organisatorisch ausreichend fest gefügten, auf die Begehung von Straftaten gerichteten Verband anzugehören, ergibt sich schließlich auch aus den Feststellungen zu Fall II. 3. der Urteilsgründe. Nach diesen hatten außerhalb der Gruppierung stehende, politisch gleichgesinnte Personen die "Kameraden vom Sturm 34" angefordert; dies löste bei den auf dem Bauhof anwesenden Personen keine Zweifel darüber aus, wer hiermit gemeint war.
49
e) Soweit die Strafkammer demgegenüber zur Begründung ihrer Auffassung , die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung seien nicht gegeben, darauf abgestellt hat, dass eine Satzung noch nicht erstellt war, eine Mitgliederliste nicht geführt wurde, keine Mitgliedsbeiträge erhoben wurden und keine festen Veranstaltungstermine, Teilnahmepflichten sowie Verpflichtungen zur einheitlichen Kleidung oder Tätowierung bestanden, hat sie die Bedeutung dieser Kriterien verkannt. Diese Umstände sind zwar, wenn sie festzustellen sind, Indizien, die für das Vorliegen einer Vereinigung sprechen. Sie sind jedoch für eine kriminelle Vereinigung nicht konstitutiv; allein aus ihrem Fehlen kann deshalb nicht geschlossen werden, dass die Voraussetzungen einer Vereinigung nicht gegeben sind.
50
Entsprechendes gilt, soweit das Landgericht seine Beurteilung auf die Erwägung gegründet hat, dass die einzelnen Mitglieder der Kameradschaft nicht zur Beteiligung an den konkreten Gewalttätigkeiten verpflichtet waren. Auch dieser Umstand findet als Voraussetzung für das Bestehen einer Vereinigung im Gesetz keine Stütze. Die §§ 129 ff. StGB setzen als Vorfelddelikte nach ihrer Struktur nicht voraus, dass überhaupt von den Mitgliedern der Vereinigung konkrete Straftaten begangen werden, solche müssen noch nicht einmal konkret geplant oder vorbereitet sein (vgl. BGH NJW 2005, 80, 81). Erst recht ist es nicht notwendig, dass bei den einzelnen Taten alle oder jeweils dieselben Mitglieder der Vereinigung aktiv werden; vielmehr ist auch eine Begehung in wechselnder Besetzung möglich (BGHSt 31, 202, 206). Mit Blick auf den Strafzweck der Vereinigungsdelikte (BGHSt 31, 202, 207; 41, 47, 51) ist es erforderlich , aber auch ausreichend, dass die Zwecke oder Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung solcher Delikte gerichtet ist.
51
Ebenso wenig hängt die Bewertung der Kameradschaft als kriminelle Vereinigung davon ab, ob eine ausdrückliche Festlegung dahin existierte, wer als Mitglied der Kameradschaft gelten sollte. Nach den Feststellungen sind jedenfalls diejenigen als Mitglied der Kameradschaft - das heißt als Person, die sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet - anzusehen , die regelmäßig die Treffen im Bauhof besuchten. Es liegt nahe, dass dies auch für diejenigen anzunehmen ist, die an der Gründungsveranstaltung teilnahmen oder sich an der Wahl des Vorstands beteiligten. Somit lassen sich die Mitglieder der Kameradschaft auch ohne ausdrückliche Regelung hinreichend sicher von solchen Personen abgrenzen, die nicht auf Dauer oder zumindest längere Zeit am "Kameradschaftsleben" teilnahmen. Im Übrigen ist im Randbereich die Abgrenzung von Mitgliedern, Unterstützern und Sympathisanten einer Vereinigung häufig im Einzelfall problematisch; dies stellt jedoch nicht per se deren Existenz in Frage.
52
Zur Abgrenzung einer Vereinigung von sonstigem strafbaren Verhalten mehrerer Personen untauglich ist schließlich die Erwägung des Landgerichts, in dem gewählten Vorstand habe sich ein weibliches Mitglied befunden, Mädchen hätten jedoch an den Gewalttätigkeiten nicht teilnehmen sollen. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Abgrenzungskriterien erschließt sich dem Senat der Sinn dieser Argumentation nicht.
53
3. Einen weiteren Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) der Angeklagten deckt die Revision nicht auf.
54
III. Für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft bedeutet dies:
55
1. Obwohl die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts die Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung belegen, kann der Senat nicht selbst in der Sache dahin entscheiden, dass die Angeklagten sich nach § 129 StGB strafbar gemacht haben.
56
Für die Angeklagten G. und R. folgt dies bereits daraus, dass diese vom Landgericht insgesamt freigesprochen worden sind. In solchen Fällen ist für eine entsprechende Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO regelmäßig kein Raum, wenn sich die Revision der Staatsanwaltschaft erfolgreich gegen den Freispruch eines Angeklagten wendet. Denn die auf einen Freispruch zugeschnittenen und daher bereits ihrer Natur nach ergänzungsbedürftigen Feststellungen bieten dem Revisionsgericht vor allem deshalb keine verlässliche Grundlage für eine den Angeklagten belastende Sachentscheidung, weil sie von Verfahrensfehlern betroffen sein können, die der Angeklagte nur aus dem Grund nicht rügen konnte, weil er durch sie nicht beschwert war. Ein Ausnahmefall , in dem die Aufhebung des Freispruchs durch das Revisionsgericht mit einem Schuldspruch verbunden werden kann, liegt hier nicht vor (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 354 Rdn. 13 m. w. N.).
57
Entsprechendes gilt auch für die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. . Da das Vergehen nach § 129 StGB mit den vom Landgericht abgeurteilten gefährlichen Körperverletzungen in Tateinheit stünde, hat die Strafkammer die genannten Angeklagten zwar zu Recht insoweit nicht formal - teilweise - freigesprochen. In der Sache konnten sich indes auch diese Angeklagten gegen die Feststellungen in dem sie nicht beschwerenden Teil des Urteils nicht angemessen zur Wehr setzen.
58
Hinzu kommt, dass allen Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft nicht nur die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, sondern auch deren Gründung zur Last gelegt worden ist. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB steht zu der weiteren Tatbestandsalternative der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der Vereinigung jedenfalls dann im Verhältnis der Tateinheit, wenn sich die Beteiligung als Mitglied wie hier unmittelbar an das Gründen der Vereinigung anschließt. Seine frühere Auffassung , die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung umfasse auch die Beteiligung des Mitglieds an der Gründung der Vereinigung mit der Folge, dass in diesen Fällen der Schuldspruch nur wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der Vereinigung zu ergehen habe (BGH NStZ 2004, 385), gibt der Senat auf. Das Gründen einer kriminellen Vereinigung weist einen im Verhältnis zur Beteiligung als Mitglied selbstständigen Unrechtsgehalt auf. Dieser ist nicht nur bei der Bewertung des Schuldumfangs im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Das Erfordernis der Rechtsklarheit gebietet es vielmehr, bereits im Schuldspruch zu verdeutlichen, dass der Angeklagte über die mitgliedschaftliche Beteiligung hinaus eine weitere, eigenständige Tathandlung des § 129 Abs. 1 StGB verwirklicht hat. Zu den Einzelheiten des Gründungsvorgangs und dabei insbesondere den Tatbeiträgen der Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht in dem für eine Sachentscheidung des Revisionsgerichts erforderlichen Umfang. Dies ist zwar vor dem Hintergrund der rechtlichen Auffassung des Landgerichts nachvollziehbar, die "Kameradschaft Sturm 34" sei nicht als kriminelle Vereinigung anzusehen und der Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB sei bereits aus diesem Grunde nicht verwirklicht. Dem Senat ist es auf dieser ungenügenden tatsächlichen Grundlage jedoch verwehrt, in der Sache durchzuerkennen.
59
2. Die somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft gebotene Aufhebung des Urteils betrifft alle Angeklagten. Sie umfasst die angefochtene Entscheidung insoweit, als sie nicht wegen des Vergehens nach § 129 StGB verurteilt bzw. ausdrücklich freigesprochen worden sind. Miterfasst von der Aufhebung sind damit auch die abgeurteilten Taten (II. 1. bis 3. der Urteilsgründe); denn diese stünden im Falle einer Verurteilung wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Organisationsdelikt nach § 129 Abs. 1 StGB in Tateinheit (BGHR StGB § 129 Konkurrenzen 1). Hieraus folgt auch, dass der Freispruch des Angeklagten R. vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Landfriedensbruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Überfall an der Esso-Tankstelle in S. ) keinen Bestand haben kann.
60
Bereits aufgrund der wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft von der Aufhebung nicht umfasst ist demgegenüber der Freispruch der Angeklagten T. und Tom W. vom gegenüber § 129 StGB selbstständigen Tatvorwurf der Volksverhetzung.
61
3. Die Feststellungen zu den einzelnen Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Dies betrifft auch die Feststellungen, die dem Freispruch des Angeklagten R. im Fall II. 2. der Urteilsgründe zugrunde liegen. Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten, der seine Beteiligung an dieser Tat bestritten hat, sowie der erhobenen Beweise lässt revisionsrechtlich relevante Rechtsfehler (vgl. BGH NJW 2005, 2322, 2326) nicht erkennen.
62
C. Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten T.
63
Der Angeklagte T. hat seine Revision form- und fristgerecht eingelegt und mit der Sachrüge und einer verfahrensrechtlichen Beanstandung begründet. Er beantragt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Ziel, eine im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge nicht fristgerecht vorgelegte Seite eines Gerichtsbeschlusses nachreichen zu können.
64
Der Antrag hat keinen Erfolg. Die Wiedereinsetzung zur Ergänzung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge ist grundsätzlich ausgeschlossen (MeyerGoßner , StPO 52. Aufl. § 44 Rdn. 7 b m. w. N.). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) ist bereits deshalb nicht versäumt, weil das Rechtsmittel fristgerecht mit der Sachrüge begründet worden ist. Aber auch die in Rede stehende Verfahrensrüge ist nicht verspätet, sondern allein in einer der gesetzlichen Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügenden Weise erhoben worden, weil der Beschluss des Landgerichts vom 4. Juli 2008 nicht vollständig mitgeteilt worden ist. Es widerspricht im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens, in derartigen Fällen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur formgerechten Begründung der Revisionsrüge zuzulassen, nachdem der Beschwerdeführer durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts (vgl. § 349 Abs. 2 und 3 StPO) von der Formwidrigkeit seiner Verfahrensrüge erfahren hat (BGH, Beschl. vom 9. April 2008 - 3 StR 28/08 - Rdn. 3; Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - Rdn. 5). Eine besondere Verfahrenslage, bei der ausnahmsweise zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) eine Wiedereinsetzung unerlässlich ist (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; Meyer-Goßner aaO § 44 Rdn. 7 ff.), liegt nicht vor.
65
Im Übrigen bliebe die Rüge gemäß den Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache ohne Erfolg.
66
D. Revisionen der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W.
67
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigungen hat aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben; deren Rechtsmittel sind deshalb unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
68
E. Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
69
I. Die Feststellungen, die das neue Tatgericht insbesondere zum Tatvorwurf nach § 129 StGB zu treffen haben wird, dürfen die zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe aufrecht erhaltenen Feststellungen ergänzen, diesen aber nicht widersprechen.
70
II. Das neue Tatgericht wird ggf. bei der Bestimmung der angemessen Sanktion für den Angeklagten Tom W. zu bedenken haben, ob nach den § 105 Abs. 1, § 31 JGG eine einheitliche Jugendstrafe in Betracht kommt. Dabei wird es erforderlich sein, ergänzend den Vollstreckungsstand hinsichtlich der mitgeteilten Vorverurteilungen dieses Angeklagten festzustellen; dieser lässt sich den bisherigen Feststellungen nicht entnehmen.
71
III. Die Würdigung des Landgerichts, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. hätten sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu den Taten II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, ist als solche rechtsfehlerfrei. Dies gilt ebenfalls für die Wertung der Strafkammer, ein Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichten Landfriedensbruchs (§§ 125, 125 a StGB) scheide aus. Schließlich lässt ihre Würdigung, auf der Grundlage der Feststellungen zur Tat II. 2. der Urteilsgründe sei der Angeklagte R. insoweit nicht wegen einer strafbaren Beteiligung an der gewalttätigen Auseinandersetzung zu verurteilen, Rechtsfehler nicht erkennen.
72
IV. Gelangt das neue Tatgericht zu der Auffassung, die Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. seien der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, u. U. in Tateinheit mit deren Gründung, schuldig und hätten sich daneben in den Fällen II. 1. bis 3. der Urteilsgründe jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB strafbar gemacht, wären die Konkurrenzen wie folgt zu beurteilen:
73
Die mitgliedschaftliche Beteiligung der Angeklagten T. sowie Tom und Peter W. an der kriminellen Vereinigung und die von den Angeklagten begangenen gefährlichen Körperverletzungen stünden zueinander jeweils im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB); denn es handelte sich bei den Körperverletzungsdelikten um Straftaten, welche die Angeklagten als Mitglieder der kriminellen Vereinigung in Verfolgung von deren Zielen begingen (BGHSt 29, 288, 290). Da die gefährlichen Körperverletzungen nach § 224 StGB schwerer wiegen als das Vergehen nach § 129 Abs. 1 StGB, würden die einzelnen Gewalt- delikte nicht nach den Grundsätzen der Klammerwirkung durch die Organisationsstraftat zu einer materiellrechtlich insgesamt einheitlichen Tat verbunden (Rissing-van Saan in LK 12. Aufl. § 52 Rdn. 28 ff.); sie stünden vielmehr zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB).
74
Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls, um das Konkurrenzverhältnis bei gleichartiger Tateinheit im Sinne des § 52 StGB kenntlich zu machen, in der Entscheidungsformel anzugeben haben, wie oft der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung jeweils verwirklicht wurde (vgl. Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 26).
75
V. Mit Blick darauf, dass die Angeklagten G. und R. mit dem gewaltsamen Vorgehen der Kameradschaftsmitglieder nicht einverstanden waren und der Angeklagte R. sich den Polizeibehörden als Informant zur Verfügung stellte, erscheint jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen die Wertung nicht völlig unbedenklich, beide hätten sich als Mitglied an der Vereinigung beteiligt. Denn dies erfordert, dass der Täter sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der Ziele der Organisation entfaltet (BGHSt 18, 296, 299 f.; BGH NStZ 1993, 37, 38).
Sollte das neue Tatgericht diese Voraussetzungen feststellen und eine Strafbarkeit der Angeklagten nach § 129 Abs. 1 StGB bejahen, wird es bei der Bestimmung der Rechtsfolgen jedenfalls die in § 129 Abs. 5 und 6 StGB enthaltenen Regelungen bzw. die hinter diesen Vorschriften stehen Rechtsgedanken nicht aus dem Blick verlieren dürfen. Becker von Lienen Sost-Scheible Schäfer Mayer

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
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StB 5/10
vom
14. April 2010
BGHR: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
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StGB § 129 Abs. 1, § 129 a Abs. 1, § 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2
Haben sich Mitglieder einer ausländischen kriminellen oder terroristischen Vereinigung
im Inland zu einer organisatorischen Struktur zusammengeschlossen,
deren Zwecke oder Tätigkeit der Zielsetzung der ausländischen Vereinigung
entsprechen, so können sie sich nur dann tateinheitlich auch wegen Mitgliedschaft
in einer inländischen kriminellen Vereinigung strafbar machen, wenn ihre
inländische Organisation einen eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung
unabhängigen Gesamtwillen bildet.
BGH, Beschl. vom 14. April 2010 - StB 5/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
hier: Haftbeschwerde des Beschuldigten
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts am 14. April 2010 gemäß § 304 Abs. 5
StPO beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009 aufgehoben und durch den nachfolgenden Haftbefehl ersetzt: Der Beschuldigte ist in Untersuchungshaft zu nehmen. Er ist dringend verdächtig, sich jedenfalls in der Zeit zwischen Juli 2008 und Januar 2009 den srilankischen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) angeschlossen und deren auf die Begehung von Mord oder Totschlag gerichtete Tätigkeit durch seine Mitarbeit im Büro des von ihnen eingerichteten "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. gefördert zu haben, indem er in deren Angelegenheiten Telefonanrufe entgegengenommen , ihm mitgeteilte Informationen an die zuständigen Personen weitergeleitet und begehrte Auskünfte erteilt hat; strafbar als mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch eine in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Tätigkeit (§ 129 b Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
2. Dieser Haftbefehl wird aufgehoben werden, wenn das Bundesministerium der Justiz nicht binnen einer Woche nach Zugang dieses Beschlusses gegenüber dem Bundesgerichtshof - 3. Strafsenat - die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt (§ 130 StPO, § 129 b Abs. 1 Satz 3, § 77 e StGB).
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
4. Der Antrag des Beschuldigten, die Vollziehung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2009 auszusetzen, ist damit gegenstandslos.

Gründe:

I.


1
Auf Antrag des Generalbundesanwalts hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs am 16. Dezember 2009 angeordnet, den Beschuldigten in Untersuchungshaft zu nehmen. Er hat den Beschuldigten für dringend verdächtig gehalten, sich jedenfalls ab Sommer 2008 als "Führungskader" des "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. mit mindestens sechs weiteren Personen zu dem Zweck zusammengeschlossen zu haben, von Deutschland aus den "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) in Sri Lanka Vermögensund Sachwerte zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden Gelder von tamilischen Immigranten in Deutschland mit teilweise erpresserischen Mitteln einfordern zu lassen (Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 StGB).
2
Nach der Festnahme des Beschuldigten am 3. März 2010 hat der Ermittlungsrichter mit Beschluss vom selben Tage den Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt. Seitdem befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Mit seiner gegen die Entscheidungen des Ermittlungsrichters gerichteten Beschwerde begehrt er die Aufhebung des Haftbefehls. Der Ermittlungsrichter hat der Beschwerde nicht abgeholfen; der Generalbundesanwalt tritt ihr entgegen.

II.


3
Auf die zulässige Beschwerde des Beschuldigten ist der Haftbefehl des Ermittlungsrichters aufzuheben und durch den aus der Beschlussformel ersichtlichen Haftbefehl zu ersetzen.
4
1. Die gegenwärtigen Erkenntnisse ergeben nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte als Mitglied einer inländischen kriminellen Vereinigung nach § 129 Abs. 1 StGB angeschlossen hat. Der Beschuldigte ist indes dringend verdächtig, sich durch seine Mitarbeit im "Tamil Coordination Committee" (TCC) in O. an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union - den srilankischen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) - durch eine in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübte Tätigkeit als Mitglied beteiligt zu haben (§ 129 b Abs. 1 Satz 2, § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
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a) Nach den vorliegenden Erkenntnissen ergibt sich im Sinne eines dringenden Tatverdachts folgender Sachverhalt:
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aa) Allgemeinkundig entstanden die LTTE im Jahre 1976 durch den Zusammenschluss verschiedener tamilischer Bewegungen in Sri Lanka, deren gemeinsames Ziel die Loslösung des mehrheitlich von Tamilen besiedelten Nord- und Ostteils der Insel vom singhalesisch geprägten Reststaat war. Hierarchisch auf die Person ihres Führers Vellupillai Prabhakaran und dessen Ideologie ausgerichtet, verfolgten sie ihr Ziel eines selbständigen "Tamil Eelam" in erster Linie durch bewaffneten Kampf, der sich nicht nur gegen die srilankischen Regierungstruppen, sondern auch gegen rivalisierende Gruppierungen richtete. Bis 1986 gelang es ihnen, neben der Halbinsel Jaffna weite Teile der Nord- und der Ostprovinzen des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen, wo sie nach und nach eigene staatsähnliche Strukturen schufen. Ab 2002 wurden dort ein zentrales "politisches Büro" mit Sitz in Kilinochchi sowie "Ministerien" für Justiz, Polizei, Finanzen und Verteidigung errichtet. Der zudem erhobene Alleinvertretungsanspruch für alle Tamilen weltweit führte in der Zuständigkeit eines "Außenministeriums" zur Entwicklung von Organisationsstrukturen auch über Sri Lanka hinaus. Der Finanzierung der LTTE dienten die in den besetzten Gebieten erhobenen "Steuern" und die "Spendengeldsammlungen" unter den Auslandstamilen.
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Militärisch verfügten die LTTE über Infanterieeinheiten ("Tigers") sowie über eine Anzahl zu Kampfzwecken umgerüsteter Schnellboote ("Sea Tigers") und Flugzeuge ("Air Tigers"). Daneben unterhielten sie eine Spezialeinheit ("Black Tigers"), deren Aufgabe neben militärischen Kommandoaktionen auch Anschläge auf zivile Ziele waren. Ihren auf insgesamt mehr als 200 geschätzten Selbstmordattentaten fielen unter anderem am 21. Mai 1991 bei Madras der indische Premierminister Rajiv Ghandi und am 1. Mai 1993 in Colombo der srilankische Staatspräsident Ranasinghe Premadasa zum Opfer.
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Im Guerillakampf mit ihrem abtrünnigen Kommandeur Muralitharan ("Karuna" ) verloren die LTTE ab 2004 zunächst die Ostprovinzen. Verstärkte Offensiven der Armee ab 2007 drängten sie weiter zurück, bis es im Frühjahr 2009 zu ihrer militärischen Zerschlagung kam. Ihr Führer Vellupillai Prabhakaran wurde am 18. Mai 2009 von srilankischen Regierungstruppen getötet.
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bb) Die Strukturen des TCC erhellen sich in erster Linie aus den Angaben ihm unterstellter Gebietsverantwortlicher in mehreren Gesprächen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zwischen März 2006 und Januar 2007. Danach galt das TCC als die "LTTE in Deutschland" und dessen Leiter Sr. alias V. als der "Chef der LTTE für Deutschland". Zuständig war das TCC insbesondere für die politische Öffentlichkeitsarbeit und für die Geldsammlungen unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Tamilen. Seine Vorgaben und Befehle erhielt es unmittelbar aus der Zentrale der LTTE in Kilinochchi. Bei seiner Arbeit stützte sich das TCC auf ein bundesweites, hierarchisch aufgebautes Netz aus Gebiets-, Stadt- und Raumverantwortlichen. Diese waren - wie die mindestens sechs weiteren im Büro des TCC in O. tätigen Personen - an die Weisungen des V. gebunden und ihm gegenüber rechenschaftspflichtig. Gleichermaßen hat der im O. er Büro für Pressearbeit und Behördenkontakte zuständige W. das TCC in einer Zeugenaussage beim Polizeipräsidium D. am 8. Mai 2007 als "politische Abteilung der LTTE für Deutschland" bezeichnet.
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Bestätigt werden diese Angaben durch Erkenntnisse des Bundesamts für Verfassungsschutz aus der Überwachung des Post- und Telefonverkehrs des TCC im Rahmen von G 10 - Maßnahmen. Ein Telefongespräch belegt, dass die Funktionäre der LTTE in Sri Lanka Immigranten in Deutschland bei Fragen an das TCC verweisen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 97). Tamilen in Deutschland, die sich schriftlich an das TCC wandten, bezeichneten dieses regelmäßig als "LTTE Deutschland" und dessen Leiter V. als "Verwalter" oder "Verantwortlichen" der "LTTE Deutschland" (Bl. 177, 183, 191, 198, 205, 209, 217, 235, 262). Andere Telefongespräche bestätigen die umfassenden Direktionsbefugnisse V. s innerhalb des TCC (Bl. 124, 126, 214 ff., 217).
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cc) Der Beschuldigte hat sich, wie seine eigenen Äußerungen gegenüber Dritten belegen, gegenüber den LTTE zur Mitarbeit bereiterklärt, um die Freilassung seiner in Sri Lanka zwangsrekrutierten Schwester zu erreichen. Er wurde von den LTTE deshalb - ohne nennenswerte Bezahlung - dem Büro der TCC in O. zugewiesen, um dort zu "lernen"; danach sollte er nach Sri Lanka zurückkehren und sich dort anstelle der Schwester einer kämpfenden Einheit anschließen (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 113 - 116). Unter der Aliaspersonalie M. diente er als telefonischer Ansprechpartner nach außen, nahm Informationen für das Büro entgegen und erteilte Auskünfte allgemeiner Art, etwa zu Besprechungsterminen oder zum Undiyal-Banking, dem vom TCC organisierten privaten Geldtransfer hier wohnhafter Tamilen in die Heimat (Bl. 97, 132, 140, 147, 148).
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Die Identität des M. mit dem Beschuldigten ergibt sich aus zwei Telefongesprächen , die vom Festnetzanschluss der TCC aus geführt wurden. Am 30. Juli 2008 rief ein R. seinen Vater an; der Angerufene führt den Namen S. (Bl. 108). Am 20. August 2008 sprach M. mit einer Verwandten , die ihn R. nannte; sie gab das Gespräch an eine andere Person weiter, die ihn als R. begrüßte (Bl. 115).
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b) Danach ist das dem Beschuldigten vorgeworfene Tatgeschehen rechtlich wie folgt zu bewerten:
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aa) Die LTTE waren - jedenfalls bis zu ihrer mutmaßlichen Zerschlagung durch die srilankischen Regierungstruppen im Frühjahr 2009 - eine Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit (auch) darauf gerichtet waren, Mord oder Totschlag zu begehen (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Sie bestand im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129 b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB), denn der Schwerpunkt ihrer organisatorischen Strukturen und ihr eigentliches Aktionsfeld befanden sich in Sri Lanka. Allein der Umstand, dass die Strukturen und Aktivitäten einer Vereinigung teilweise in die Bundesrepublik Deutschland hereinreichen - hier: Einrichtung eines "Büros" als Kontaktstelle für Unterstützer und zur Vermittlung der Ziele in der Öffentlichkeit; Aufbau eines Netzes zur Erschließung von Finanzierungsquellen - macht sie noch nicht zu einer Vereinigung (auch) im Inland.
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bb) Das TCC war keine selbständige Teilorganisation der LTTE in Deutschland; entgegen der Auffassung des Ermittlungsrichters und des Generalbundesanwalts bildeten dessen Mitglieder deshalb keine - neben die LTTE tretende - Vereinigung gemäß § 129 StGB.
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(1) Eine Vereinigung im Sinne der Vorschriften der §§ 129 ff. StGB ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter freiwilliger organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen (st. Rspr.; zuletzt BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 116 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des TCC nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit belegt. Denn die bisherigen Erkenntnisse er- geben nicht, dass sich innerhalb der TCC eine eigenständige, von der ausländischen Vereinigung abgrenzbare Willensbildung vollzog.
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Die Beziehungen der im TCC tätigen Personen untereinander erschöpften sich vielmehr in der gemeinsamen Mitgliedschaft in der LTTE. Das TCC war nicht nur eingegliedert in deren Hierarchie, sondern nach den Angaben des Beschuldigten oblag es allein der Entscheidung der LTTE, ob Personen in einer Einrichtung wie dem TCC oder in einer kämpfenden Einheit eingesetzt wurden. Auch nach außen hin trat das TCC auf als Repräsentanz der LTTE in Deutschland. Sein Leiter V. war zwar weisungsberechtigt gegenüber den anderen Mitarbeitern im TCC sowie den nachgeordneten Gebiets-, Stadt- und Raumverantwortlichen , unterstand aber selbst unmittelbar dem politischen Büro in Kilinochchi und war abhängig von dessen Weisungen. Gerade im Hinblick auf die Spendensammlungen verfügte das TCC nicht über Freiräume, aus denen sich die Gesamtorganisation zurückgezogen hätte. Die LTTE hatte die Beitreibung von Spenden in Deutschland nicht etwa aus ihrem Organisationsbereich ausgegliedert. Vielmehr gab es in Sri Lanka Zuständige für die "Auslandsfinanzen" (Sachakte Bd. II Reiter Erkenntnisse BfV Bl. 22). Die eigene Nähe der LTTE zu den "Spendensammlungen" wird aber vor allem dadurch belegt, dass sie angebliche Zahlungspflichten in Deutschland lebender Tamilen ausschließlich mittels Verschleppung oder Zwangsrekrutierung von Familienangehörigen in Sri Lanka durchzusetzen trachtete (Bl. 11, 25, 93). Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kam dem TCC damit lediglich die Funktion zu, die Entscheidungsprozesse der ausländischen Kernorganisation bei gleichzeitiger Unterordnung unter deren Willensbildung im Inland umzusetzen und zu vollstrecken. Angesichts dieser Umstände sind dringende Anhaltspunkte für einen eigenständigen, von der ausländischen Vereinigung unabhängigen Willensbildungsprozess der TCC nicht ersichtlich.

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(2) Eine eigene Willensbildung ist jedoch für eine Strafbarkeit nach § 129 StGB auch dann nicht entbehrlich, wenn sich im Inland organisatorische Strukturen zur Unterstützung der Ziele einer ausländischen Vereinigung gebildet haben. Zwar ist der Bundesgerichtshof in früheren Entscheidungen von einer Anwendbarkeit der §§ 129, 129 a StGB ausgegangen, wenn die ausländische Vereinigung zumindest in Form einer Teilorganisation auch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland existierte und diese ihrerseits die Voraussetzungen der §§ 129, 129 a StGB erfüllte, wobei in diesen Fallkonstellationen nicht verlangt wurde, dass sich die organisierte Willensbildung innerhalb der inländischen Teilorganisation vollzog. Es genügte vielmehr, dass deren Mitglieder in die Willensbildung der ausländischen oder internationalen Organisation integriert waren und sich den auf dieser Ebene getroffenen Entschlüssen gegebenenfalls unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwarfen (vgl. BGH NJW 1966, 310, 312; BGH, Beschl. vom 12. Oktober 2001 - AK 14/01; Krauß in LK 12. Aufl. § 129 Rdn. 36; Schmidt NStZ-RR 2002, 161).
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An dieser Auffassung kann aber mit Blick auf die Einführung des § 129 b StGB durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 nicht mehr festgehalten werden. Die hierdurch veränderte Rechtslage lässt vielmehr die Verfolgung eines Mitglieds oder Unterstützers einer ausländischen Vereinigung (auch) unter dem Gesichtspunkt der Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer inländischen Teilorganisation nach §§ 129, 129 a StGB nur noch dann zu, wenn die inländische Teilorganisation unabhängig von der ausländischen Gesamtorganisation auch einen eigenen Willensbildungsprozess vollzieht, dem sich ihre Mitglieder unterwerfen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
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§ 129 b StGB erfasst - soweit hier von Belang - nunmehr jede Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit. Auf das Vorhandensein von Organisationsstrukturen der Vereinigung im Inland kommt es dabei nicht an. Es ist gerade die für § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB typische Fallgestaltung, dass das Handeln des Täters im Inland bestimmt wird durch seine Einbindung in die ausländische Organisation und seine Unterwerfung unter die auf deren Ebene getroffenen Entscheidungen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es bei isoliertem Handeln eines Einzelnen verbleibt oder ob die Vorgaben der Gesamtorganisation ein Zusammenwirken des Täters mit anderen Beteiligten im Inland bedingen, denn allein aus einer gemeinschaftlichen Beteiligungshandlung im Inland lässt sich das Bestehen einer gesonderten Vereinigung im Sinne der §§ 129, 129 a StGB nicht ableiten.
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Bilden die im Inland handelnden Mitglieder einer ausländischen Vereinigung keinen eigenständigen Gesamtwillen, so weist die Tat auch keinen Unrechtsgehalt auf, der über den bereits von § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB erfassten hinausginge. Strafgrund der §§ 129 ff. StGB ist die erhöhte kriminelle Intensität, die in der Gründung oder Fortführung einer festgefügten Organisation ihren Ausdruck findet, die kraft der ihr innewohnenden Eigendynamik eine erhöhte Gefährlichkeit für wichtige Rechtsgüter der Gemeinschaft mit sich bringt (BGHSt 31, 202, 207). Diese für größere Personenzusammenschlüsse typische Eigendynamik hat ihre spezifische Gefährlichkeit darin, dass sie geeignet ist, dem einzelnen Beteiligten die Begehung von Straftaten zu erleichtern und bei ihm das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen (BGH NJW 1992, 1518). Ohne eine organisierte und auf Dauer angelegte Bildung eines Gesamtwillens , dem sich die einzelnen Mitglieder unter Zurückstellung ihrer individuellen Meinungen unterwerfen, kann sich eine solche Eigendynamik indes nicht entfalten (vgl. Miebach/Schäfer in MünchKomm-StGB § 129 Rdn. 4). Mangelt es der inländischen Gruppierung also an einer eigenständigen organisierten Willensbildung, so kann sie die bereits von der Gesamtorganisation ausgehende (abstrakte) Gefährdung der Allgemeinheit nicht noch weiter intensivieren.
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Des weiteren knüpft § 129 b Abs. 1 Satz 2 und 3 StGB die Verfolgung der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch dann an eine Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und damit an eine besondere Prozessvoraussetzung (Krauß aaO Rdn. 31), wenn die Tat durch eine im Inland ausgeübte Tätigkeit begangen wird. Das Ermächtigungserfordernis dient der Wahrung der außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland; so können gegen eine "undifferenzierte" Strafverfolgung dann durchgreifende Bedenken bestehen, wenn ein Prozess der Verständigung zwischen den Beteiligten an einem bewaffneten Konflikt im Ausland eingeleitet wurde (BTDrucks. 14/8893 S. 8). Es entspricht damit einer gesetzgeberischen Grundentscheidung , die Verfolgung einer Tat im Sinne des § 129 b Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB von der Prüfung abhängig zu machen, ob solche Belange im Einzelfall berührt sein können. Diese würde umgangen, nähme man unter Verzicht auf das Merkmal der eigenständigen Willensbildung gleichzeitig eine inländische Vereinigung an.
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cc) Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich den LTTE als Mitglied angeschlossen zu haben.
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(1) Der Beteiligung an einer ausländischen Vereinigung als Mitglied steht - anders als der Generalbundesanwalt nunmehr in der Erwiderung auf die Beschwerde meint - nicht entgegen, dass sich der Täter ausschließlich im Inland und damit außerhalb des unmittelbaren Betätigungsgebiets der Kernorganisation aufgehalten hat; in einem solchen Falle bedürfen nur die tatbestandlichen Voraussetzungen der Mitgliedschaft besonderer Prüfung (BGHSt 54, 69 = NJW 2009, 3448 Rdn. 128). Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt allgemein voraus , dass der Täter sich, getragen von beiderseitigem übereinstimmendem Willen und angelegt auf eine gewisse Dauer, in die Organisation eingliedert, sich ihrem Willen unterordnet und eine aktive Tätigkeit zur Förderung ihrer Ziele entfaltet (BGH aaO Rdn. 123). Nach den oben dargelegten Erkenntnissen sind diese Voraussetzungen gegeben, denn der Beschuldigte hat sich willentlich in die nach Deutschland hineinreichende Hierarchie der LTTE eingegliedert und dort die ihm von der Organisation zugedachten Funktionen übernommen.
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(2) Zwar hat sich der Beschuldigte zur Mitarbeit bei den LTTE nur deshalb bereiterklärt, weil er die Entlassung seiner in Sri Lanka zwangsrekrutierten Schwester erreichen wollte. Es spricht aber nichts für eine solche Zwangslage des Beschuldigten, dass er sich ohne willentliche Übereinstimmung mit der Organisation lediglich dem autoritären Verlangen ihrer Verantwortlichen unterworfen hätte. Der Mitgliedschaft steht auch nicht entgegen, dass die Tätigkeit des Beschuldigten von untergeordneter Art blieb, denn er hat dennoch den Zusammenhalt der Organisation gestärkt und zur Verwirklichung ihrer Ziele beigetragen. Gleichwohl ist festzuhalten, dass beide Umstände die Tat in milderem Licht erscheinen lassen und die Straferwartung deutlich einschränken.
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2. Es besteht der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Nach den Umständen ist zu besorgen, dass ohne die Festnahme des Beschuldigten die Verfolgung der Tat gefährdet wäre. Trotz der eingeschränkten Straferwartung bleibt eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass sich der Beschuldigte, auf freien Fuß gesetzt, dem weiteren Strafverfahren durch Ausreise entziehen wird.
Er ist srilankischer Staatsangehöriger, hat in Sri Lanka familiäre Bindungen und ist nur für einen von vornherein begrenzten Zeitraum in der Bundesrepublik Deutschland eingereist. Weniger einschneidende Maßnahmen können den Zweck der Untersuchungshaft nicht erreichen (§ 116 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte ist nach den vorliegenden Erkenntnissen eingebunden in die nach Deutschland hereinreichenden Strukturen der LTTE und verfügt so über ein Netzwerk von Unterstützern, das ihm auch entgegen möglichen Auflagen und Weisungen ein Untertauchen wesentlich erleichtert.
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3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist noch verhältnismäßig. Erteilt das Bundesministerium der Justiz die erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung (nachfolgend 4.), wird das Verfahren indes, auch wegen der eingeschränkten Straferwartung, alsbald zum Abschluss zu bringen sein. Weitere Ermittlungsansätze, die zur Vertiefung des Tatvorwurfs gegen den Beschuldigten führen könnten, sind gegenwärtig nicht ersichtlich. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Anklage noch vor der Haftprüfung nach § 121 Abs. 1 StPO erhoben werden kann.
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4. Der Anordnung der Untersuchungshaft steht nicht entgegen, dass das Bundesministerium der Justiz am 28. Oktober 2009 erklärt hat, die nach § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen. Ein endgültiges Verfahrenshindernis ist damit nicht eingetreten, denn nach dem Wortlaut der Erklärung hat das Bundesministerium der Justiz auf eine Ermächtigung nicht verzichtet. Es ist lediglich davon ausgegangen, eine Strafverfolgung werde auch ohne Ermächtigung möglich sein.
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Indes ist dem Bundesministerium der Justiz nunmehr gemäß § 130 StPO eine Erklärungsfrist zu setzen, denn der Haftbefehl lässt sich nach den bisherigen Ermittlungen ausschließlich auf den dringenden Verdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung stützen. Insbesondere haben sich über das Organisationsdelikt hinaus keine Hinweise auf konkrete dem Beschuldigten zuzurechnende Ausführungstaten ergeben.
Sost-Scheible Pfister Mayer

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 32/17
vom
22. März 2018
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen
Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2018:220318BSTB32.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2018 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Generalbundesanwalts gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Oktober 2017 (2 BGs 936/17) wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.


1
1. Der Generalbundesanwalt führt gegen die Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, sich in der Zeit von März 2016 bis Mitte August 2017 dem sog. Islamischen Staat (IS) und damit einer ausländischen Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) sowie Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder 12 VStGB) zu begehen, als Mitglied angeschlossen und sich anschließend mitgliedschaftlich betätigt zu haben, strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB.
2
a) In tatsächlicher Hinsicht legt der Generalbundesanwalt der Beschuldigten im Wesentlichen Folgendes zur Last:
3
Die Beschuldigte reiste am 1. März 2016 gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten B. aus Deutschland aus, nachdem B. sich im Internet über Reisemöglichkeiten zum IS informiert und eine Kontaktperson ausfindig gemacht hatte. Die Beschuldigte und B. , die seit 2015 nach muslimischem Recht verheiratet sind, flogen in die Türkei und gelangten von dort aus mit Hilfe eines Schleusers nach Syrien. Sie wurden zunächst an verschiedene vom IS kontrollierte Orte in Syrien und später in den Irak nach Mossul gebracht.
4
Nachdem sie anfangs getrennt voneinander untergebracht worden waren , lebten sie in Mossul seit Mitte/Ende März 2016 zusammen in der Wohnung einer Person namens "A. ", der als Bürge fungierte. Das hatte der IS als Voraussetzung dafür verlangt, dass B. seinem Wunsch entsprechend als Krankenpfleger in einem vom IS verwalteten Krankenhaus arbeiten durfte. Im Juli 2015 bezogen beide eine Wohnung im vom IS kontrollierten Tal Afar, wo B. wiederum eine Stelle als Pflegekraft in einem Krankenhaus antrat.
5
Für seine Arbeit in den Krankenhäusern erhielt B. aufgrund des vom IS festgelegten Bezahlsystems monatlich jeweils 50 US-Dollar pro Familienmitglied , für sich selbst und für die Beschuldigte mithin insgesamt 100 USDollar. Während B. seiner Tätigkeit als Krankenpfleger nachging, kümmerte sich die Beschuldigte um den Haushalt und erledigte die für ihre gemeinsame Lebensführung notwendigen Einkäufe. Aus der Beziehung der Beschuldigten mit B. ging ein am 2. November 2016 geborener Sohn hervor, den sie "J. " (Armee bzw. Heer Gottes) nannten.
6
Während der folgenden Monate wechselten die Beschuldigte und B. mit Rücksicht auf die jeweilige Sicherheitslage wiederholt ihren Aufenthaltsort. Schließlich entschlossen sie sich dazu, sich in ein von den kurdischen "Peschmerga" kontrolliertes Gebiet zu begeben, was ihnen Mitte August 2017 mit Hilfe eines Schleusers gelang. Dort wurden sie festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war die Beschuldigte erneut schwanger.
7
b) Der Generalbundesanwalt stützt seine Auffassung, wonach sich die Beschuldigte mitgliedschaftlich am IS beteiligt hat, im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:
8
Die Beschuldigte habe sich bereits dadurch in das Verbandsleben der Vereinigung integriert und diese von innen heraus gefördert, dass sie sich in das Herrschaftsgebiet des IS begeben und dort gemeinsam mit ihrem Mann gelebt habe. Durch ihre Anwesenheit im Gebiet des IS, ihre Unterwerfung unter das mit der Einreise verbundene Aufnahmeprozedere und durch ihre Teilnahme am Verbandsleben der Vereinigung habe sie diese gefördert, der Vorstellung des IS von einem "Kalifat", einem Staat nach islamischem Vorbild, neben anderen Verbandsmitgliedern "Leben eingehaucht" und die Vereinigung damit in ihrer personellen Ausdehnung sowie in deren "Sogwirkung" insbesondere auf Gleichgesinnte in Europa unterstützt.
9
Der Annahme ihrer Mitgliedschaft stehe nicht entgegen, dass die Beschuldigte während ihrer Anwesenheit keine die terroristische Zwecksetzung der Vereinigung unmittelbar fördernde Handlung verübt habe. Denn auch die Erledigung allgemeiner Aufgaben sei als mitgliedschaftliche Betätigung anzusehen , sofern der Täter sie zur Förderung der Zwecke oder Tätigkeiten der Organisation entfalte, sie Ausfluss seiner Mitgliedschaft seien und in deren Interesse vorgenommen würden. Dies sei hier der Fall, weil Frauen nach dem Rollenverständnis des IS ein fester Bestandteil des dortigen "Staatsgebildes" seien, deren Aufgabe sich zuvörderst auf klassische Hausarbeiten wie Kochen, Waschen und Kindererziehung beschränke. Den verheirateten Frauen im IS komme im Wesentlichen die Aufgabe zu, Kinder zu gebären, sie von klein auf im Sinne der Ideologie des IS zu erziehen und den Haushalt zu führen. Vor diesem Hintergrund seien Frauen für den Fortbestand des IS unentbehrlich und von grundlegender Bedeutung. Diese ihr als Frau von der Vereinigung zugewiesene Rolle habe die Beschuldigte im Interesse des IS erfüllt, indem sie ihre "häuslichen Pflichten" erfüllt habe, während B. seiner Tätigkeit für die Vereinigung als Pfleger im Krankenhaus nachgegangen sei. Überdies habe sie durch die Geburt eines Kindes im Herrschaftsgebiet des IS sowie durch ihre erneute Schwangerschaft "aktiv einen mitgliedschaftlichen Beitrag" zur personellen Stärkung des "Staatsvolkes" der Organisation geleistet.
10
Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung seien auch tatsächliche Umstände feststellbar, die ein organisationsseitiges Interesse an der Mitwirkung der Beschuldigten an der Vereinigung sowie den einvernehmlichen Willen zu ihrer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben belegten. Insbesondere komme "das beiderseitige Einvernehmen der Anwesenheit und Eingliederung der Beschuldigten im IS" darin zum Ausdruck, dass die Beschuldigte seitens der Vereinigung in Form eines "Familienzuschlags" alimentiert worden sei.
11
Die Beschuldigte habe auch eine Stellung in der Vereinigung eingenommen , die sie als zum Kreis der Mitglieder gehörend gekennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar gemacht habe. So habe sie mit dem für den IS mitgliedschaftlich tätigen B. , mit dem sie nach muslimischem Recht verheiratet sei, als westeuropäische und daher allein schon sprachlich deutlich erkennbare Ausländerin im Herrschaftsgebiet des IS gelebt. Während die überwiegenden Teile der syrischen Bevölkerung den IS als eine Art Besatzungsmacht erlebt hätten, habe die Beschuldigte als Ausländerin vor Ort eine Art Repräsentationsfunktion wahrgenommen, weil ihrer Anwesenheit im vom IS proklamierten Kalifat für alle ersichtlich die bewusste Entscheidung vorausgegangen sei, sich zum IS zu begeben und sich zu ihm zu bekennen sowie in dessen Herrschaftsgebiet leben und die terroristische Vereinigung in ihrem Bestand fördern zu wollen.
12
2. Mit dem angefochtenen Beschluss hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag des Generalbundesanwalts, einen Haftbefehl gegen die Beschuldigte zu erlassen, zurückgewiesen, weil es aus rechtlichen Gründen an der die Annahme eines dringenden Tatverdachts rechtfertigenden hohen Wahrscheinlichkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) dafür fehle, dass die Beschuldigte sich mitgliedschaftlich am IS beteiligt oder die Vereinigung unterstützt habe. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts hat keinen Erfolg.

II.


13
Auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsergebnisses hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Antrag des Generalbundesanwalts auf Erlass eines Haftbefehls gegen die Beschuldigte zu Recht abgelehnt.
14
1. Entgegen der vom Generalbundesanwalt vertretenen Auffassung ist die Beschuldigte derzeit aus rechtlichen Gründen nicht dringend verdächtig, sich als Mitglied am IS beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
15
a) Das gilt sowohl unter Zugrundelegung des zur überwiegenden Tatzeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblichen Vereinigungsbegriffs als auch auf der Grundlage des durch das Vierundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 17. Juli 2017 (BGBl. I Nr. 48) in § 129 Abs. 2 StGB legal definierten.
16
aa) Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs galt:
17
Eine Vereinigung ist ein auf gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und unter sich derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 221 mwN). Dementsprechend beteiligt sich als Mitglied , wer sich unter Eingliederung in die Organisation deren Willen unterordnet und eine Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet. Notwendig ist dafür eine auf Dauer oder zumindest auf längere Zeit angelegte Teilnahme am Verbandsleben (vgl. etwa BGH, Urteile vom 20. März 1963 - 3 StR 5/63, BGHSt 18, 296, 299 f.; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 111). In Betracht kommt etwa ein organisationsförderndes oder ansonsten vereinigungstypisches Dauerverhalten von entsprechendem Gewicht (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 129 Rn. 82 mwN).
18
Die mitgliedschaftliche Beteiligung setzt eine gewisse formale Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Sie kommt nur in Betracht, wenn der Täter die Vereinigung von innen und nicht lediglich von außen her fördert. Insoweit bedarf es zwar keiner förmlichen Beitrittserklärung oder einer förmlichen Mitgliedschaft. Notwendig ist aber, dass der Täter eine Stellung innerhalb der Vereinigung einnimmt, die ihn als zum Kreis der Mitglieder gehörend kennzeichnet und von den Nichtmitgliedern unterscheidbar macht. Dafür reicht allein die Tätigkeit für die Vereinigung, mag sie auch besonders intensiv sein, nicht aus; denn ein Außenstehender wird nicht allein durch die Förderung der Vereinigung zu deren Mitglied (vgl. zu allem BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 113 mwN).
19
Die Mitgliedschaft setzt ihrer Natur nach eine Beziehung voraus, die einer Vereinigung nicht aufgedrängt werden kann, sondern ihre Zustimmung erfordert. Ein auf lediglich einseitigem Willensentschluss beruhendes Unterordnen und Tätigwerden genügt nicht, selbst wenn der Betreffende bestrebt ist, die Vereinigung und ihre kriminellen Ziele zu fördern. Die Annahme einer mitgliedschaftlichen Beteiligung scheidet daher aus, wenn die Unterstützungshandlungen nicht von einem einvernehmlichen Willen zu einer fortdauernden Teilnahme am Verbandsleben getragen sind (vgl. zu allem BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 113 mwN).
20
bb) Demgegenüber definiert die Neuregelung in § 129 Abs. 2 StGB den Begriff der Vereinigung in Anlehnung an den Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates der Europäischen Union vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität als einen auf längere Dauer angelegten, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängigen organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses. Erklärtes Ziel der gesetzlichen Regelung ist es, den Vereinigungsbegriff auszuweiten, indem die Anforderungen an die Organisationsstruktur und die Willensbildung abgesenkt werden. Es sollen nicht nur Personenzusammenschlüsse erfasst werden, deren Mitglieder sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen, sondern auch hierarchisch organisierte Gruppierungen mit bloßer Durchsetzung eines autoritären Anführerwillens ohne "Gruppenidentität" (BT-Drucks. 18/11275, S. 7, 11). Auch nach der Legaldefinition handelt es sich bei einer Vereinigung indes um einen organisierten Zusammenschluss von Personen, was zumindest eine gewisse Organisationsstruktur sowie in gewissem Umfang instrumentelle Vorausplanung und Koordinierung erfordert; not- wendig ist darüber hinaus das Tätigwerden in einem übergeordneten gemeinsamen Interesse (BT-Drucks. aaO).
21
Auch wenn die Mitgliedschaft in einer Vereinigung auf der Grundlage der Legaldefinition nicht erfordert, dass sich der Täter in das "Verbandsleben" der Organisation integriert und sich deren Willen unterordnet, so setzt die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer Vereinigung auch danach eine gewisse, einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Organisation voraus. Nach wie vor ist erforderlich, dass er eine organisationsbezogene Tätigkeit zur Förderung der kriminellen Ziele der Vereinigung entfaltet, durch die er diese von innen und nicht nur von außen her fördert.
22
b) Daran gemessen kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Beschuldigte als Mitglied am IS beteiligt hat. Die bisherigen Ermittlungsergebnisse belegen nicht, dass sie die terroristischen Bestrebungen des IS von innen her gefördert hat. Dies folgt nicht ohne Weiteres daraus, dass sich die Beschuldigte gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten B. im Einvernehmen des IS in dessen Herrschaftsgebiet begeben hat, um dort zu leben. Dadurch ist sie nicht Mitglied der Organisation geworden. Insoweit gilt:
23
Das Alltagsleben im Herrschaftsgebiet des IS ist nicht gleichzusetzen mit der Vereinigung als solcher. Wer mit dem IS sympathisiert und sich deshalb im Einvernehmen der Organisation in deren Herrschaftsgebiet begibt, um dort den Vorstellungen des IS entsprechend zu leben, wird dadurch nicht ohne Weiteres in die Organisation integriert und damit zu deren Mitglied.
24
Dementsprechend stellt das alltägliche Leben derartiger Personen im "Kalifat" als solches keine mitgliedschaftliche Betätigung für den IS dar. Der Umstand, dass es den Interessen der Organisation entspricht, ausländische Sympathisanten dafür zu gewinnen, sich in sein Herrschaftsgebiet zu begeben und dort zu leben, ändert daran nichts. Das gilt insbesondere in Bezug auf Anhängerinnen des IS, die sich dazu entschließen, im "Kalifat" mit einem Mitglied der Vereinigung zusammenzuleben, und ein aus der Beziehung herrührendes Kind austragen. Dadurch betätigen sie sich - ungeachtet des organisationsseitigen Interesses an einer Vergrößerung des im Herrschaftsbereich des IS lebenden "Staatsvolkes" - nicht mitgliedschaftlich.
25
Die Tätigkeiten der Beschuldigten gingen über alltägliche Verrichtungen nicht hinaus. Darin, dass sie den "häuslichen Pflichten" nachkam, die sich aus ihrem Zusammenleben mit B. ergaben, kann keine Erfüllung einer ihr seitens des IS übertragenen organisationsbezogenen Aufgabe gesehen werden. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beschuldigte in irgendeiner Weise in die Organisation integriert war und ihr übertragene organisationsbezogene Tätigkeiten ausübte, sind bislang nicht ersichtlich.
26
Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beschuldigte bei der Bemessung der Entlohnung, die der IS dem Mitbeschuldigten B. für die von ihm geleistete Arbeit als Krankenpfleger gewährte, berücksichtigt wurde. B. erhielt ersichtlich deshalb einen Zuschlag, weil er nicht nur für seinen eigenen Lebensunterhalt aufzukommen hatte, sondern auch denjenigen seiner Frau. Eine Bezahlung der Beschuldigten für eine von ihr geleistete organisationsbezogene Tätigkeit kommt darin hingegen nicht zum Ausdruck.
27
Schließlich folgt die Mitgliedschaft der Beschuldigten im IS nicht daraus, dass sie aus der Sicht anderer leicht als Ausländerin erkennbar war, die der Ideologie des IS nahe stand. Dies ging notwendigerweise damit einher, dass sie sich als Sympathisantin des IS für ein Leben im "Kalifat" entschieden hatte. Ihre Integration in das Verbandsleben der Organisation und die Übertragung einer organisationsbezogenen "Repräsentationsfunktion" lässt sich dem jedoch nicht entnehmen. Anhaltspunkte dafür, dass ihr seitens der Vereinigung spezifische Propaganda- oder Verwaltungstätigkeiten übertragen worden waren, liegen nicht vor.
28
2. Aufgrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse ist die Beschuldigte auch nicht dringend verdächtig, den IS und damit eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB).
29
a) Unter einem Unterstützen im Sinne von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds zu verstehen, das die innere Organisation der Vereinigung und ihren Zusammenhalt unmittelbar fördert, die Realisierung der von ihr geplanten Straftaten - wenngleich nicht unbedingt maßgebend - erleichtert oder sich sonst auf deren Aktionsmöglichkeiten und Zwecksetzung in irgendeiner Weise positiv auswirkt und damit die ihr eigene Gefährlichkeit festigt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 117). Dies kann zum einen dadurch geschehen, dass ein Außenstehender mitgliedschaftliche Betätigungsakte eines Angehörigen der Vereinigung fördert; in diesem Sinne handelt es sich beim Unterstützen um eine zur Täterschaft verselbständigte Beihilfe zur Mitgliedschaft (vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Oktober 1979 - 3 StR 264/79, BGHSt 29, 99, 101). Zum anderen greift der Begriff des Unterstützens einer Vereinigung über ein im strengeren Sinne des § 27 Abs. 1 StGB auf die Förderung der Tätigkeit eines Vereinigungsmitglieds beschränktes Verständnis hinaus; denn er bezieht sich auch und - wie schon der Wortlaut des Gesetzes zeigt - sogar in erster Linie auf die Vereinigung als solche, ohne dass im konkreten Fall die Aktivität des Nichtmit- glieds zu einer einzelnen organisationsbezogenen Tätigkeit eines Organisationsmitglieds hilfreich beitragen muss (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO, S. 117 f.; Beschluss vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 350 f.).
30
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, wenn die Förderungshandlung an sich konkret wirksam, für die Organisation objektiv nützlich ist und dieser mithin irgendeinen Vorteil bringt; ob der Vorteil genutzt wird und daher etwa eine konkrete, aus der Organisation heraus begangene Straftat oder auch nur eine organisationsbezogene Handlung eines ihrer Mitglieder mitprägt, ist dagegen ohne Belang (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 116; Beschlüsse vom 16. Mai 2007 - AK 6/07, BGHSt 51, 345, 348 f.; vom 27. Oktober 2015 - 3 StR 334/15, BGHR StGB § 129a Abs. 5 Unterstützen 6). In diesem Sinne muss der Organisation durch die Tathandlung kein messbarer Nutzen entstehen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Januar 1984 - 3 StR 526/83, BGHSt 32, 243, 244; vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, BGHSt 33, 16, 17; Beschluss vom 17. August 2017 - AK 34/17, juris Rn. 6). Die Wirksamkeit der Unterstützungsleistung und deren Nützlichkeit müssen indes stets anhand belegter Fakten nachgewiesen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. Juli 2013 - AK 13 u.14/13, BGHSt 58, 318, 323 f.; vom 19. Oktober 2017 - AK 56/17, juris Rn. 18).
31
Fördert der Außenstehende die mitgliedschaftliche Beteiligung eines Mitglieds an der Vereinigung, so bedarf es für die Tathandlung des Unterstützens in der Regel nicht der Feststellung eines noch weitergehenden positiven Effekts der Handlungen des Nichtmitglieds für die Organisation. Da als Folge des Unterstützens ein irgendwie gearteter Vorteil für die Vereinigung ausreicht, liegt es nahe, dass bei einer Tätigkeit, die sich in der Sache als Beihilfe zur Beteiligung eines Mitglieds an der Vereinigung darstellt, grundsätzlich bereits hier- in ein ausreichender Nutzen für die Organisation zu sehen ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Täter die Erfüllung einer Aufgabe durch ein Mitglied fördert , die diesem von der Vereinigung aufgetragen worden ist, oder es in dessen Entschluss stärkt, die Straftaten zu begehen, die den Zwecken der terroristischen Vereinigung dienen oder ihrer Tätigkeit entsprechen (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juli 1984 - 3 StR 62/84, aaO; vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, aaO S. 117 f.; Beschluss vom 11. Juli 2013 - AK 13 u. 14/13, aaO S. 326 f.).
32
b) Daran gemessen hat die Beschuldigte den IS auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse nicht unterstützt, weder durch Förderung der Tätigkeit und der terroristischen Bestrebungen der Organisation als solcher noch durch Beihilfehandlungen zu etwaigen mitgliedschaftlichen Betätigungsakten des Mitbeschuldigten B. .
33
aa) Im Hinblick auf eine direkte Unterstützung des IS ist ein vereinigungsbezogener Vorteil des Handelns der Beschuldigten bislang nicht ersichtlich. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, dass sich ihr Verhalten zumindest mittelbar vorteilhaft auf die terroristischen Ziele oder Tätigkeiten der Vereinigung ausgewirkt hat. Allein ihre Anwesenheit und ihr alltägliches Zusammenleben mit dem Mitbeschuldigten B. im Herrschaftsgebiet des IS reichen dafür nicht aus. Dadurch hat sie die Organisation als solche weder von innen noch von außen her gefördert. Insoweit gelten die Ausführungen zur Mitgliedschaft der Beschuldigten in der Vereinigung entsprechend.
34
bb) Gleichermaßen fehlt es an tatsächlichen Hinweisen dafür, dass die Beschuldigte etwaige mitgliedschaftliche Betätigungshandlungen des Mitbeschuldigten B. konkret gefördert hat. Insoweit kann auf die Grundsätze der Beihilfe zurückgegriffen werden (BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2017 - StB 18/17, NStZ-RR 2018, 72, 74). Hier sind indes weder für physische noch für psychische Beihilfe ausreichende Anhaltspunkte ersichtlich.
35
Als mitgliedschaftliche Betätigung des Mitbeschuldigten B. , welche die Beschuldigte gefördert haben könnte, kommt nach Lage der Dinge allenfalls dessen Tätigkeit als Krankenpfleger in den vom IS verwalteten Krankenhäusern in Betracht. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Beschuldigte ihn dabei physisch unterstützt hat. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge beschränkte sich ihr Verhalten darauf, sich um den Haushalt zu kümmern und die für die gemeinsame Lebensführung erforderlichen Einkäufe zu erledigen. Ein sich daraus ergebender konkret wirksamer Vorteil in Bezug auf die Arbeiten, die B. als Krankenpfleger erbrachte, ist nicht erkennbar.
36
Auch eine psychische Unterstützung von B. bei seiner etwaigen mitgliedschaftlichen Betätigung ist nicht durch konkrete Fakten belegt. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschuldigte ihn in seinem Entschluss bestärkt haben könnte, sich dem IS anzuschließen und als Krankenpfleger in von der Organisation verwalteten Krankenhäusern zu arbeiten. Becker Spaniol Tiemann
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
1. Für eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB genügt eine Mindestanzahl von drei
Gruppenmitgliedern jedenfalls dann, wenn sie an einem Ort zusammenwirken. In
diesem Fall muss die Personenmehrheit weder eine Organisationsstruktur aufweisen
noch auf längere Zeit angelegt sein; ausreichend ist ein spontaner Zusammenschluss
für eine einmalige Unternehmung.
2. Eine Gruppe verfügt gemäß § 127 StGB nur dann über Waffen oder andere gefährliche
Werkzeuge, wenn die Ausstattung mit derartigen Gegenständen für den
gemeinsamen Gruppenzweck wesentlich ist und zugleich nach deren Art und
Gefährlichkeit den Charakter des Personenzusammenschlusses (mit-)bestimmt.
Für die Beurteilung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge kommt es -
neben ihrer objektiven Beschaffenheit - darauf an, ob ihnen nach dem Gruppenzweck
für den Fall der Verwendung eine waffengleiche Funktion zukommt.
BGH, Urteil vom 14. Juni 2018 - 3 StR 585/17 - LG München II
ECLI:DE:BGH:2018:140618U3STR585.17.1
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 585/17
vom 14. Juni 2018 in der Strafsache gegen

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.


wegen zu 1., 2., 4. und 6.: gefährlicher Körperverletzung u.a. zu 3., 5., 7. und 8.: Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung u.a. hier: Revision des Angeklagten N.

ECLI:DE:BGH:2018:140618U3STR585.17.0
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 8. März 2018 in der Sitzung am 14. Juni 2018, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch, Dr. Leplow als beisitzende Richter
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizamtsinspektor - in der Verhandlung -, Justizfachangestellte - bei der Verkündung - als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts München II vom 10. August 2017, auch soweit es die Angeklagten Gr. , G. , B. , C. , S. , R. und E. betrifft,
a) im Schuldspruch zu den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe dahin geändert, dass schuldig sind - die Angeklagten N. , Gr. , B. und S. zweier tateinheitlicher Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung, mit Sachbeschädigung sowie mit Bildung bewaffneter Gruppen , - die Angeklagten G. , C. , R. und E. der Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung, mit Beihilfe zur Sachbeschädigung sowie mit Bildung bewaffneter Gruppen,
b) im Strafausspruch zu den Fällen 4 und 5 sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten N. und den nichtrevidierenden Angeklagten Gr. jeweils wegen Volksverhetzung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen sowie drei tateinheitlicher Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Sachbeschädigung verurteilt, den Angeklagten N. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten , den Angeklagten Gr. zu einer solchen von zwei Jahren und vier Monaten. Die nichtrevidierenden Angeklagten B. und S. hat es der Bildung bewaffneter Gruppen sowie dreier tateinheitlicher Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen und für beide auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung erkannt. Die nichtrevidierenden Angeklagten G. , C. , R. und E. hat das Landgericht wegen Bildung bewaffneter Gruppen sowie wegen Beihilfe zu drei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung verurteilt; gegen den Angeklagten G. hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt, gegen den Angeklagten C. eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 €, gegen den Angeklagten R. eine solche von 90 Tagessätzen zu je 15 € sowie gegen den Angeklagten E. eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten.
2
Gegen die Verurteilung im Fall 4 der Urteilsgründe (Bildung bewaffneter Gruppen) wendet sich der Angeklagte N. mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er hat erklärt, das Rechtsmittel auf den Schuldspruch zu diesem Fall zu beschränken. Die Revision erfasst indes auch den von Fall 4 nicht trennbaren Schuldspruch zum Fall 5 der Urteilsgründe (drei tateinheitliche Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Sachbeschädigung). In diesem Umfang der Anfechtung hat das Rechtsmittel - gemäß § 357 StPO auch zugunsten der sieben nichtrevidierenden Angeklagten - den aus dem Urteilstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

I.


3
Zu den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
1. Fall 4:
5
Nachdem die Angeklagten N. und Gr. vor dem am Ausgang des Bahnhofs Eb. gelegenen Döner-Imbiss gemeinschaftlich den Nebenkläger M. tätlich angegriffen hatten (Fall 3), begaben sie sich in die etwa 400 Meter entfernte gemeinsame Wohnung. Im Rahmen dieser vorangegangenen Auseinandersetzung war N. s T-Shirt im Ausschnitt eingerissen ; bei Gr. hatte sich sturzbedingt eine am Vortag provisorisch eingesetzte Zahnbrücke gelockert. Beide berichteten den in der Wohnung sukzessive eintreffenden sechs weiteren Angeklagten G. , B. , C. , S. , R. und E. wahrheitswidrig, sie seien von "Immigranten" vor dem DönerImbiss zusammengeschlagen worden. Nach einiger Zeit gaben N. und Gr. in der Absicht, sich an "den Ausländern" zu rächen, welche die in der Wohnung Anwesenden am Döner-Imbiss vermuteten, die Parole aus, dass "man jetzt runter gehe". N. bewaffnete sich mit einem circa einen Meter langen Baseballschläger, Gr. mit einer etwa 1,20 Meter langen Vorhangstange aus Holz und B. mit einem Schlosserhammer.
6
Anschließend brachen sämtliche Angeklagte - jeweils in Kenntnis der Bewaffnung einzelner von ihnen - zu dem Döner-Imbiss auf, um dort im Rahmen einer "Vergeltungsaktion", insbesondere unter Verwendung der mitgeführten Gegenstände, zu randalieren, zu drohen und zu prügeln. Vorneweg marschierten N. und Gr. , die gut erkennbar Baseballschläger und Holzstange in der Hand trugen, sowie B. , der den Hammer in eine Gesäßtasche seiner Hose gesteckt hatte, und S. . Die vier weiteren Angeklagten folgten jeweils in Zweierstärke versetzt, zunächst G. und E. , dann C. und R. . Auf dem Weg zum Bahnhof wurden aus der in dieser Weise angeordneten Formation - keinem Einzelnen zuordenbar - immer wieder aggressive Rufe laut, etwa "Denen zeigen wir's!", "Die machen wir fertig!" und "Die kauf' ich mir jetzt!".
7
2. Fall 5:
8
Am Bahnhof angekommen, betraten N. , B. und S. den Döner-Imbiss, um im einvernehmlichen Zusammenwirken den geplanten "Racheakt" durchzuführen. Beim Betreten zerschlug N. mit dem Baseballschläger die Glasfüllung der Eingangstür. Hierdurch aufgeschreckt, rannte ein (unbekannt gebliebener) dunkelhäutiger Mann davon. Gr. , der gerade den drei anderen folgen wollte, lief dem Flüchtenden in Umsetzung des gemeinsamen Tatentschlusses hinterher und traf ihn kurz danach mit einem mittels der Vorhangstange ausgeführten Schlag auf den Fuß, so dass der Mann zu Boden stürzte und einige Meter die Straße "hinunterkugelte"; dabei erlitt er zumindest Schmerzen. Im Gastraum des Imbiss schlug derweil N. dem Nebenkläger Sh. zunächst mit dem Baseballschläger - potentiell lebensbedrohlich - auf den Hinterkopf, sodann gegen die Rippen und auf das rechte Knie. Anschließend versetzte er ihm weitere Schläge und Tritte. Als der Zeuge Z. aus dem Küchenbereich zu Hilfe kam, schlug N. diesem, nachdem B. ihn durch einen Wurf des Schlosserhammers abgelenkt hatte, mit dem Baseballschläger auf den Rücken. Während des Angriffs äußerte S. lautstark Beleidigungen und Bedrohungen, unter anderem "Wir lassen euch brennen!", was die beiden Geschädigten ernst nahmen. Nach dem Schlag gegen den Zeugen Z. verließen N. , B. und S. den Imbiss ; N. kehrte allerdings noch einmal um und zertrümmerte mit dem Baseballschläger eine Glasvitrine. Durch ihre jederzeitige Eingriffsbereitschaft bestärkten G. , C. , R. und E. die tatausführenden Angeklagten in ihrem Tun.
9
Der Nebenkläger Sh. trug unter anderem eine Kopfplatzwunde, ein Schädel-Hirn-Trauma sowie Wirbelsäulen-, Brustkorb- und Knieprellungen davon. Der Zeuge Z. litt einige Tage an starken Rückenschmerzen.

II.


10
1. Der Angeklagte N. hat die Revision nicht wirksam auf den Schuldspruch zu Fall 4 der Urteilsgründe beschränkt. Vielmehr erstreckt sie sich auf den Schuldspruch zu Fall 5 der Urteilsgründe, weil die in diesen beiden Fällen verwirklichten Delikte miteinander idealkonkurrieren (dazu un- ten II. 2. c)). Die Beschränkung der Revision auf einzelne Straftaten ist unwirksam , soweit zwischen ihnen Tateinheit (§ 52 StGB) gegeben ist. Für die Bewertung der Konkurrenzverhältnisse ist dabei nicht eine irrtümliche Ansicht des Tatgerichts, sondern die zutreffend beurteilte Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 1954 - 4 StR 310/54, BGHSt 6, 229, 230; vom 26. Mai 1967 - 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 258; Urteil vom 17. Oktober 1995 - 1 StR 372/95, NStZ 1996, 203; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 344 Rn. 21). In Teilrechtskraft erwachsen sind daher nur der Schuld- und Strafausspruch zu den Fällen 1 bis 3 der Urteilsgründe.
11
2. Die aufgrund der Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils hinsichtlich der Fälle 4 und 5 der Urteilsgründe führt zur Änderung des diesbezüglichen Schuldspruchs. Auf der Grundlage der vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte N. wegen zwei tateinheitlicher Fälle der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung, mit Sachbeschädigung sowie mit Bildung bewaffneter Gruppen strafbar gemacht.
12
a) Im Fall 4 der Urteilsgründe hat die Strafkammer das Verhalten des Angeklagten N. zutreffend als Bildung bewaffneter Gruppen nach § 127 StGB beurteilt. Indem er und die sieben Nichtrevidenten sich - auf seine und Gr. s Initiative - zusammenschlossen und sich beide sowie B. mit Baseballschläger, Holzstange und Schlosserhammer ausrüsteten, um unmittelbar anschließend zu acht miteinander bzw. in räumlicher Nähe hintereinander zum Zweck einer "Vergeltungsaktion" zum Bahnhof zu marschieren, bildete er mit den anderen unbefugt eine Gruppe, die über gefährliche Werkzeuge verfügte. Entgegen der Auffassung der Strafkammer befehligte er die Gruppe indes nicht.
13
aa) Für die Auslegung der hier fraglichen Tatbestandsmerkmale - Gruppe , Verfügen über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, Bilden sowie Befehligen - gilt:
14
(1) Unter einer "Gruppe" im Sinne des § 127 StGB ist eine Mehrheit von Personen zu verstehen, die sich zu einem gemeinsamen - identitätsstiftenden - Zweck zusammengeschlossen haben. Eine räumliche Verbindung der Personen ist nicht erforderlich. Wirken sie - wie hier - an einem Ort zusammen, sind keine weitergehenden Anforderungen an die Personenmehrheit zu stellen; sie muss insbesondere nicht eine Organisationsstruktur aufweisen oder auf längere Zeit angelegt sein. Ein spontaner Zusammenschluss für eine einmalige Unternehmung reicht aus. Jedenfalls im Fall eines solchen räumlichen Zusammenwirkens genügt eine Mindestanzahl von drei Mitgliedern. Dies ergibt sich aus Folgendem:
15
(a) Durch das Sechste Gesetz zur Reform des Strafrechts (6. StrRG) vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 164) hat der Gesetzgeber die Strafnorm des § 127 StGB sachlich erweitert. In dem Bestreben, die Rechtsgüter des inneren Rechtsfriedens sowie des staatlichen Gewaltmonopols wirksamer zu schützen (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 18, 28), hat er mit dem Tatbestandsmerkmal "Gruppe" - anstatt "Haufen" und "Mannschaft" - bewusst einen Begriff in die Vorschrift aufgenommen, der bereits zuvor im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs Verwendung fand. Die Gesetzesmaterialien zu dem geänderten § 127 StGB nennen ausdrücklich das auch in § 88 StGB normierte Merkmal "Gruppe" und nehmen Bezug auf dessen Auslegung, wonach eine Gruppe der nicht notwendigerweise auf Dauer angelegte Zusammenschluss mehrerer Personen zu einem gemeinsamen Zweck sei; es genüge - in der Regel - eine Mindestanzahl von drei Mitgliedern (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 57, 80; zu § 88 StGB s. nur Fischer, StGB, 65. Aufl., § 88 Rn. 5; LK/Laufhütte/Kuschel, StGB, 12. Aufl., § 88 Rn. 7; MüKoStGB/Steinmetz, 3. Aufl., § 88 Rn. 4). Dieses Verständnis hat der Reformgesetzgeber - nach anfänglichen Zweifeln (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28) - auch der Änderung des § 127 StGB zugrunde gelegt (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 57, 80; BT-Drucks. 13/9064, S. 9). Des Weiteren ist er davon ausgegangen, dass sich die Gruppe vom "Haufen" dadurch unterscheide, dass sie keine "räumliche Zusammenfassung" der Personen erfordere , von der "Mannschaft" dadurch, dass es nicht auf einen bestimmten Grad von Organisation ankomme (BT-Drucks. 13/8587, S. 28).
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(b) Bei Auslegung der Vorschrift ist dem dargelegten gesetzgeberischen Willen, der im Gesetzeswortlaut hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, Rechnung zu tragen. Dem entspricht es, dass das Vorliegen einer "Gruppe" neben der Voraussetzung eines Zusammenschlusses von mindestens drei Personen zu einem gemeinsamen Zweck nicht von weitergehenden inhaltlichen Kriterien abhängig gemacht wird.
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(aa) Eine Organisationsstruktur oder eine auf einen gemeinsamen Zweck ausgerichtete organisierte Willensbildung - analog § 129 StGB in der bis zum 21. Juli 2017 gültigen Fassung (zu § 129 Abs. 2 StGB nF [BGBl. I S. 2440] s. BT-Drucks. 18/11275, S. 11, wonach sich auch die nunmehr legaldefinierte Vereinigung "durch eine - möglicherweise nur rudimentäre - Organisationsstruktur" von der Bande unterscheidet) - ist für die Gruppe nicht erforderlich. Soweit im Schrifttum eine abweichende Auslegung damit begründet wird, dass die Tathandlungsvarianten "befehligen" und "versorgen" eine solche Struktur voraussetzten (so Fischer, StGB, 65. Aufl., § 127 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 3; NK-StGB-Ostendorf, 5. Aufl., § 127 Rn. 8), widerspricht dies nicht nur dem Willen des Gesetzgebers (ebenso LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 7; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 10, 12). Vielmehr ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass bei jedem von § 127 StGB erfassten Personenzusammenschluss die Verwirklichung sämtlicher im Tatbestand normierter Tathandlungsvarianten möglich sein muss (s. Lenckner, GS Keller, 2003, S. 151, 157 f.); hierauf lässt sich ein dem gesetzgeberischen Willen zuwiderlaufendes Verständnis nicht gründen.
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(bb) Ebenso wenig muss die Gruppe auf Dauer angelegt sein. Dem Tatbestandsmerkmal unterfallen auch Personenmehrheiten für einmalige Unternehmungen , selbst wenn sie spontan gebildet werden (sogenannte Ad-hocGruppen ; ebenso OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. August 2014 - 2 Ss 444/14, NStZ 2015, 398, 399; SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 2; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 8; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 14; S/S-Sternberg -Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 2). Zwar folgt aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht zwingend, dass der Gesetzgeber prinzipiell jede Einschränkung des Gruppenbegriffs unter einem zeitlichen Aspekt abgelehnt hat. Sie deuten jedoch auf ein solches Verständnis hin (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28, wonach - in Abgrenzung zur Bande - der Wille, "für eine gewisse Dauer Straftaten zu begehen", nicht erforderlich ist). Auch dem Wortsinn und dem Gesetzeszweck ist eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Soweit in der Literatur eine "gewisse Stabilität" der Gruppe in dem Sinne verlangt wird, dass über die gemeinsame Einzelunternehmung hinaus "eine Fortexistenz von wenigstens einigen Tagen zu erwarten" ist (so SK-StGB/Stein/Rudolphi, 141. Lfg., § 127 Rn. 4), ist dem nicht zu folgen. Ein Bedürfnis für eine derartige einschränkende Auslegung besteht unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes nicht. Versammeln sich etwa Bewaffnete zur Ausübung von "Lynchjustiz" , so ist kein Grund dafür ersichtlich, die Strafbarkeit nach § 127 StGB davon abhängig zu machen, dass die betreffenden Waffenbesitzer noch geraume Zeit danach miteinander in Verbindung bleiben.
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(cc) Im Hinblick auf die erforderliche Anzahl von Gruppenmitgliedern wird vielfach - mit Blick auf den ersten (freilich überholten) Reformentwurf (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 28) - vertreten, ein Mindestquorum könne nicht allgemeingültig festgelegt werden. Dieses sei vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der von § 127 StGB geschützten Rechtsgüter zu bestimmen. Es komme darauf an, ob der Gruppe in ihrer Zusammensetzung schon ein erhebliches Gefahrpotential für den inneren Rechtsfrieden zukomme, was - neben der zahlenmäßigen Größe - vom verfolgten Zweck, der Organisationsform , der Art der Ausrüstung, der Einsatzbereitschaft der Mitglieder sowie davon abhänge, ob es sich um eine räumlich zusammengeschlossene oder um eine weit verstreute Gruppe Einzelner handele (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. August 2014 - 2 Ss 444/14, NStZ 2015, 398, 399; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 10 f.; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 13).
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Der Senat vermag diese Auffassung nicht zu teilen. Ihr steht nicht nur der Wille des Reformgesetzgebers im weiteren Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens entgegen (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 57, 80; BT-Drucks. 13/9064, S. 9), sondern sie läuft auch den Prinzipien der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit zuwider, indem sie einen rechtlich nicht gebotenen weiten Spielraum für subjektive Bewertungen eröffnet. Dass die Auffassung dem gesetzgeberischen Willen nicht entspricht, ergibt sich außerdem aus Folgendem: In dem ursprünglichen Entwurf war das gesetzliche Merkmal vorgesehen, die Gruppe müsse zur Störung des öffentlichen Friedens geeignet sein (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 4, 28). In dem weiteren Gesetzgebungsverfahren ist hierauf verzichtet worden; denn der anstelle dessen eingefügte Begriff "unbefugt" sei das - tauglichere - entscheidende Kriterium, um unbedenkliche Personenmehrheiten auszuschließen (vgl. BT-Drucks. 13/8587, S. 56 f., 80; BT-Drucks. 13/9064, S. 9). Grundsätzlich ist es daher verfehlt, die bewusst nicht normierte Eignung zur Friedensstörung im Hinblick auf die Mindestanzahl der Mitglieder in den Gruppenbegriff des § 127 StGB hineinzulesen.
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(c) Die - dergestalt definierte - Gruppe im Sinne des § 127 StGB fügt sich in das System anderer im Strafgesetzbuch normierter Personenmehrheiten ein, weil sie sich von diesen hinreichend abgrenzen lässt und eigenständige Bedeutung behält (skeptisch im Hinblick auf den neuen, europarechtlich geprägten Vereinigungsbegriff des § 129 Abs. 2 StGB nF hingegen MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 12). An die Gruppe sind geringere Anforderungen zu stellen als an die - strafbarkeitsbegründende - Vereinigung sowohl nach § 129 Abs. 1 StGB aF als auch § 129 Abs. 1, 2 StGB nF und an die - strafbarkeitsqualifizierende - Bande etwa nach § 232 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 oder § 244 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
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Während die Vereinigung nach altem Recht (§ 129 Abs. 1 StGB aF) auf eine gewisse Dauer angelegt sein musste (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325 f.) und eine Organisationsstruktur der Art erforderte, dass ein mitgliedschaftliches Zusammenwirken zu einem gemeinsamen Zweck mit verteilten Rollen und einer abgestimmten, koordinierten Aufgabenverteilung erforderlich war (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - 3 StR 233/14, NJW 2015, 1540), hängt das Bestehen einer Gruppe nicht von diesen Kriterien ab. Auch die Vereinigung nach § 129 Abs. 2 StGB nF muss nach der dortigen Legaldefinition auf - sogar - "längere" Dauer angelegt sein und erfordert hiernach ("organisierter Zusammenschluss") wie nach der Gesetzesbegründung eine gewisse - wenngleich rudimentäre - Organisationsstruktur (vgl. BT-Drucks. 18/11275, S. 11; ferner BGH, Beschluss vom 22. März 2018 - StB 32/17, NStZ-RR 2018, 206, 207). Außerdem verlangt § 129 Abs. 2 StGB nF erstmals, dass die Vereinigung ein über die Straftaten hinausgehendes "übergeordnetes gemeinsames Interesse" verfolgen muss (zum alten Recht vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - 3 StR 277/09, BGHSt 54, 216, 228 ff., wonach ein weitergehendes Ziel nicht zwingend erforderlich war, dessen Existenz aber regelmäßig den notwendigen übergeordneten Gemeinschaftswillen belegte). Von der Bande unterscheidet sich die Gruppe jedenfalls dadurch, dass erstere auf gewisse Dauer ausgerichtet sein muss (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2001 - GSSt 1/00, BGHSt 46, 321).
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Sowohl die Vereinigung als auch die Bande muss auf die Begehung von - bestimmten - Straftaten gerichtet sein, wohingegen die Gruppe das spezifische unrechtsbegründende Gepräge durch das Erfordernis ihrer "Bewaffnung" erhält, das die anderen Personenzusammenschlüsse nicht kennen.
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(d) Inwieweit eine Mehrheit von Personen, wenn diese nicht räumlich zusammenwirken , noch weitere Kriterien - etwa im Hinblick auf die Mindestanzahl oder die Organisationsstruktur - erfüllen muss, damit sie als Gruppe im Sinne des § 127 StGB zu beurteilen ist (s. etwa OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. August 2014 - 2 Ss 444/14, NStZ 2015, 398, 399 ["gewisses Maß an Organisation" ]; S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 2), braucht der Senat hier nicht zu entscheiden.
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(2) Die Gruppe verfügt gemäß § 127 StGB über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, wenn die Mitglieder imstande sind, auf die Gegenstände ungehindert Zugriff zu nehmen, um sie dem - identitätsstiftenden - Gruppenzweck entsprechend einsetzen zu können. Die "Bewaffnung" muss den Charakter der Gruppe (mit-)bestimmen. Während mit Waffen solche im technischen Sinn gemeint sind (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 15 mwN), kommt es für die Beurteilung von Gegenständen als gefährliche Werkzeuge - neben deren objektiver Beschaffenheit - darauf an, ob ihnen nach dem Gruppenzweck im Fall der Verwendung eine waffengleiche Funktion zukommt.
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(a) Die Gruppe verfügt über Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge, wenn die Mitglieder jederzeit Zugriff auf sie haben oder ohne großen Aufwand erlangen können (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 17). Dass der Gesetzeswortlaut auf das Verfügen seitens der Gruppe, nicht der Mitglieder abstellt , bedeutet nicht, dass die Gegenstände zentral aufbewahrt werden müssen ; vielmehr genügt es, wenn sie im Besitz einzelner Gruppenangehöriger sind (vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 19).
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Aus dem Merkmal des Verfügens durch die Gruppe selbst folgt indes das Erfordernis, dass eine solche Ausstattung mit Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen dem gemeinsamen Gruppenzweck dient. Die "Bewaffnung" muss für diesen Zweck wesentlich sein und zugleich nach Art und Gefährlichkeit der Gegenstände ein wesentliches Merkmal des Personenzusammenschlusses darstellen. Alleiniger Zweck oder Endziel des Sich-Zusammenschließens braucht sie hingegen nicht zu sein (vgl. auch LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 18; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 17).
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§ 127 StGB verlangt kein Mindestquorum von mit Waffen bzw. gefährlichen Werkzeugen ausgerüsteten Gruppenmitgliedern, das abstrakt festzulegen wäre (anders SK-StGB/Stein/Rudolphi, 141. Lfg., § 127 Rn. 5b, die allerdings lediglich die "Bewaffnung" der für den Gruppenbegriff erforderlichen Mindestanzahl an Mitgliedern ["normalerweise also drei"] fordern). Ebenso wenig ist erforderlich, dass von den Gruppenangehörigen eine erhebliche Anzahl (vgl. indes SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 5) oder gar die Mehrzahl (so aber Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 6; NK-StGB-Ostendorf, 5. Aufl., § 127 Rn. 10) "bewaffnet" ist. Derartige quantitative Anforderungen sind schon deshalb nicht zu stellen, weil die Sachherrschaft über die Gegenstände - etwa im Fall einer zentralen Aufbewahrung - nicht durch die einzelnen Gruppenmitglieder ausgeübt werden muss. Hinzu kommt, dass das von der Gruppe ausgehende Gefahrenpotential nicht entscheidend von der Anzahl der "Bewaffneten" abhängig sein muss. Es verringert sich jedenfalls nicht mit einem zunehmenden "Überschuss" an "Unbewaffneten".
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(b) Inwieweit Gegenstände als gefährliche Werkzeuge zu beurteilen sind, richtet sich nach der Art und Weise der nach dem Gruppenzweck bestimmten Verwendung.
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Zwar hat der Reformgesetzgeber die Ansicht vertreten, für das Tatbestandsmerkmal "andere gefährliche Werkzeuge" könne "auf die Rechtspre- chungsgrundsätze … (zur) gefährlichen Körperverletzung ... zurückgegriffen" werden. Die Gegenstände müssten "nach ihrer objektiven Beschaffenheit und nach der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet" sein, "erheblichere Körperverletzungen zuzufügen" (BT-Drucks. 13/9064, S. 9). Jedoch hat der Gesetzgeber dabei verkannt, dass für § 127 StGB eine tatsächliche Verwendung nicht erforderlich ist.
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Die Rechtsprechung zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB, wonach im Ergebnis zur Bestimmung der Gefährlichkeit allein auf objektive Umstände abzustellen ist (s. nur BGH, Beschluss vom 3. Juni 2008 - 3 StR 246/07, BGHSt 52, 257, 269), kann ebenfalls nicht unbesehen übernommen werden (vgl. Lenckner, GS Keller, 2003, S. 151, 158 f.; für ein einheitliches Verständnis hingegen SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 4; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 127 Rn. 4; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 5, wobei allerdings die jeweils favorisierte Auslegung nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspricht). Bei diesen Qualifikationstatbeständen erhöht allein das Bei-sich-Führen von Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen die abstrakte Gefährlichkeit schon für sich gesehen strafbewehrter Handlungen. Beim Tatbestand des § 127 StGB betrifft demgegenüber die bloße Verfügungsgewalt über derartige Gegenstände den die Strafsanktion legitimierenden Unrechtskern. Eine bloß abstrakte Gefährlichkeit ist indes zur Eingrenzung strafwürdigen Verhaltens nicht geeignet; hiernach wäre etwa auch eine ihren Sport ausübende Baseballmannschaft erfasst.
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Vielmehr kann allein in der Verwendungsbestimmung ein taugliches Abgrenzungskriterium gesehen werden. Maßgebend ist, wie die Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen geeignet sind, gegebenenfalls eingesetzt werden sollen. Auch in den Gesetzesmaterialien ist ausgeführt, mit der Formulierung "andere gefährliche Werkzeuge" würden solche Gegenstände erfasst, "die - wie z.B. Baseballschläger - ihre Bestimmung zur Verletzung von Personen erst unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls" erhielten (BT-Drucks. 13/9064, S. 9).
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Da die Gruppe über die gefährlichen Werkzeuge verfügen muss, hängt es von der Bestimmung durch die Gruppe und nicht durch das einzelne Mitglied ab, welche Funktion den zu beurteilenden Gegenständen im Fall ihrer Verwendung zukommen soll (s. Lenckner, GS Keller, 2003, S. 151, 160; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 16). Dies richtet sich nach dem Gruppenzweck, der durch die "Bewaffnung" gefördert werden und für den diese - wie unter (a) ausgeführt - wesentlich sein muss. Ausreichend ist dabei die Bereitschaft der Gruppe, die Gegenstände wie eine Waffe für den gemeinsamen Zweck einzusetzen (vgl. S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 2 aE; ferner SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 4: vorgestellte Verwendung; LK/Krauß aaO: in Aussicht genommene Benutzung). Ein Verwendungswille zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen bei Menschen ist dagegen nicht erforderlich. Etwa auch dann, wenn die Gegenstände dazu vorgesehen sind, Gewalt gegen andere anzudrohen, kommt ihnen eine waffengleiche Funktion zu; denn aus verständiger Sicht eines potentiellen Opfers sind sie für derartige Verletzungshandlungen bestimmt (s. auch SK-StGB/Stein/Rudolphi, 141. Lfg., § 127 Rn. 5a, die auf einen naheliegenden Missbrauch für den Fall des Scheiterns oder der Bedrängnis abstellen).
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(c) Ob umgekehrt Waffen aus dem Anwendungsbereich des § 127 StGB ausgenommen sind, wenn sie nach dem Gruppenzweck nicht zu einem Einsatz gegenüber Menschen bestimmt sind (vgl. Lenckner, GS Keller, 2003, S. 151, 159), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Eine derartige Einschränkung ließe sich indes damit begründen, dass die "Bewaffnung" - wie unter (a) dargelegt - nach Art und Gefährlichkeit ein wesentliches Merkmal der Gruppe darstellen muss. Die Gefährlichkeit dürfte sich dabei wiederum nach der gemäß dem gemeinsamen Zweck im Einzelfall vorgesehenen Verwendung richten. Für die vorliegende Entscheidung kommt es auf diese Frage allerdings nicht an.
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(3) Der Straftatbestand des § 127 StGB sieht unterschiedliche Tathandlungsvarianten vor. In Betracht kommen hier das Bilden und das Befehligen einer Gruppe, während ein Unterstützen - wie bei § 129 Abs. 1 Satz 2, § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB - nur durch ein Nichtmitglied begangen werden kann (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 23; NK-StGB-Ostendorf, 5. Aufl., § 127 Rn. 15; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 29).
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(a) Eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB bildet, wer als späteres Mitglied oder Nichtmitglied dafür sorgt, dass sich "bewaffnete" Personen in der erforderlichen Anzahl zu dem gemeinsamen Zweck zusammenschließen, oder als Mitglied eine Personenmehrheit, die nicht über die notwendigen Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeuge verfügt, hiermit ausrüstet. Diese Tathandlungsvariante können auch die sich zu einer Gruppe zusammenschließenden Personen mittäterschaftlich begehen (vgl. SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 6; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 20; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 9; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 20 f.; S/S-SternbergLieben , StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 3). Ob auch derjenige eine Gruppe bildet, der als Außenstehender eine bestehende Gruppe erstmals mit Waffen oder anderen gefährlichen Werkzeugen ausstattet (so die Kommentarliteratur; vgl. nur SK-StGB/Stein/Rudolphi, 141. Lfg., § 127 Rn. 6 mwN), oder ob dieses Verhalten unter die Tathandlungsvarianten des Versorgens mit Waffen bzw. des ("sonst") Unterstützens fällt, kann hier dahinstehen.
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(b) Eine Gruppe im Sinne des § 127 StGB befehligt derjenige, dessen Anweisungen sich die Mitglieder unterordnen und der - als Mitglied, gegebenenfalls gleichberechtigt mit weiteren Befehlshabern - die tatsächliche Kommandogewalt innehat. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich die Gruppe rein tatsächlich den Anweisungen des Täters unterwirft. Vollendung liegt mit dem Erteilen des Befehls vor, solange der Täter über eine Position in der Gruppe verfügt, in der seine Befehle in der Regel befolgt werden (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 21; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 10; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl., § 127 Rn. 22 f., 42). In diesem Sinne kann das Befehligen auch damit umschrieben werden, dass derjenige, der innerhalb der Gruppe "das Sagen hat" und dem sich die anderen Gruppenmitglieder unterordnen , einseitige - als verbindlich betrachtete - Anweisungen erteilt (ähnlich S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 4).
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bb) Gemessen an den dargelegten rechtlichen Maßstäben hat der Angeklagte N. nach den Feststellungen den Tatbestand des § 127 StGB erfüllt , zwar nicht in der Variante des Befehligens, aber in derjenigen des Bildens:
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Für die Annahme einer - ad hoc gebildeten - Gruppe genügt der Zusammenschluss der acht Angeklagten in dem Zeitpunkt, in dem sich die Beteiligten über den gemeinsamen Zweck einer "Vergeltungsaktion" endgültig einigten. Sie waren hierzu fest entschlossen, als sie die Wohnung in Richtung des Bahnhofs verließen. Wenngleich die Gruppenmitglieder versetzt losmarschierten, wirkten sie in räumlicher Hinsicht zusammen.
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Der Baseballschläger, die Holzstange und der Schlosserhammer stellten gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 127 StGB dar. Sie wurden in waffengleicher Funktion mit entsprechender Gebrauchsbereitschaft mitgeführt; sie waren nach dem übereinstimmenden Willen der acht Angeklagten zum Randalieren, Drohen und Prügeln bei dem beabsichtigten "Racheakt" bestimmt. Ohne dass es entscheidend darauf ankommt, wurde der Schläger, nachdem die Gruppe bereits gebildet war, tatsächlich dem Gruppenzweck entsprechend bei einer Körperverletzungshandlung als gefährliches Werkzeug gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingesetzt. Dass die Stange (dazu unten II. 2. b) aa) (1)) und der Hammer später nicht nach dieser Strafvorschrift verwendet wurden, nimmt ihnen - nach den dargelegten rechtlichen Maßstäben (s. II. 2. a) aa) (2) (b)) - nicht zugleich die Eigenschaft als gefährliche Werkzeuge im Sinne des § 127 StGB. Nach Art und Gefährlichkeit der drei - offen zur Schau getragenen - Gegenstände sind diese als ein wesentliches Gruppenmerkmal anzusehen.
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Der Angeklagte N. hat die Gruppe gebildet, indem er, gemeinschaftlich handelnd, deren Mitglieder zum Zweck der "Vergeltungsaktion" zusammenführte. Zudem sorgte er dafür, dass die in der Wohnung vorhandenen gefährlichen Gegenstände in die Verfügungsgewalt der Gruppenmitglieder gelangten. Dagegen lässt sich - entgegen der rechtlichen Würdigung des Landgerichts - den Feststellungen nicht entnehmen, dass der Angeklagte N. die Gruppe auch befehligte. Sie belegen nicht, dass er gleichsam die tatsächliche Kommandogewalt innehatte und einseitig Anweisungen erteilte. Hierfür genügt nicht, dass er zusammen mit Gr. der Ideengeber und Initiator des "Racheakts" war. Dass beide, "weiterhin unterstützt von ihren Freunden (den weite- ren Nichtrevidenten), … die Parole" ausgaben, "dass man jetzt 'runter gehe'" (UA S. 32), kann nicht ohne weiteres als eine von den Nichtrevidenten für verbindlich gehaltene Anweisung angesehen werden, auch wenn sie sich auf die Parole hin wunschgemäß verhielten. Das Voranschreiten beim Marschieren und das Gewicht der Tatbeiträge im Rahmen der nachfolgenden gemeinschaftlichen Deliktsbegehung haben für ein Befehligen ohnehin keine maßgebende Bedeutung.
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Dass der Angeklagte N. im Sinne des § 127 StGB unbefugt handelte , bedarf keiner Begründung, so dass auch dahinstehen kann, ob es sich bei diesem Merkmal um einen Hinweis auf das allgemeine Rechtswidrigkeitserfordernis oder ein zusätzliches sachliches Kriterium zur Eingrenzung des tatbestandlichen Unrechts handelt (zum Streitstand s. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 29 ff.; SK-StGB/Stein/Rudolphi, 141. Lfg., § 127 Rn. 5f; S/S-Sternberg -Lieben, StGB, 29. Aufl., § 127 Rn. 3 f.).
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b) Im Fall 5 der Urteilsgründe hat die Strafkammer zutreffend die diversen Gewalthandlungen des Angeklagten N. zum Nachteil des Nebenklägers Sh. als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 StGB, seinen Schlag gegen den Zeugen Z. als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 StGB, die dem Tatplan entsprechende Ver- brechensandrohung durch S. als - gegenüber beiden Geschädigten tateinheitlich begangene - Bedrohung nach § 241 Abs. 1, § 52 StGB und das Zerschlagen der Glasfüllung der Tür sowie der Glasvitrine durchden Angeklagten N. als Sachbeschädigung gemäß § 303 Abs. 1 StGB gewertet. Näherer Betrachtung bedarf lediglich die von Gr. vorgenommene Misshandlung des unbekannten Flüchtenden:
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aa) Diese dem gemeinsamen Tatplan entsprechende, demAngeklagten N. als Mittäter zuzurechnende Tat stellt weder eine mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) noch eine mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) begangene, sondern lediglich eine einfache Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) dar.
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(1) Die Feststellungen belegen nicht, dass Gr. bei dem Flüchtenden den Körperverletzungserfolg mittels der Vorhangstange als gefährlichem Werkzeug hervorrief. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt. Wird eine Person durch einen gezielten Hieb mit einem Schlagwerkzeug zu Fall gebracht, kann der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur erfüllt sein, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens ausgelöst wird. Erst mittelbar, infolge eines anschließenden Sturzes erlittene Schäden sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Schlagwerkzeug und Körper zurückzuführen, so dass eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung allein hierauf nicht gestützt werden kann (vgl. KG, Beschluss vom 13. Mai 2011 - 1 Ss 20/11, NStZ 2012, 326, 327; S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 224 Rn. 3a; ferner - entsprechend für einen Anstoß mit dem Kraftfahrzeug - BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 292/12, juris Rn. 10 f.; vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37; vom 4. November 2014 - 4 StR 200/14, NStZ-RR 2015, 244). Den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass schon Gr. s Schlag mit der Vorhangstange auf den Fuß des Weglaufenden für diesen schmerzhaft war; vielmehr deuten sie darauf hin, dass der Einsatz der Stange zum Stolpern führte und die Schmerzen erst sturzbedingt eintraten.
46
(2) Auf der Grundlage der Feststellungen liegt auch eine gemeinschaftliche Begehungsweise nicht vor. Eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB ist nur gegeben, wenn Täter und weiterer Beteiligter bei der Begehung der Körperverletzung einverständlich zusammenwirken, wobei es bereits genügt, wenn ein am Tatort anwesender Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 3 StR 158/12, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 4 mwN). Daran fehlt es indes, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden. Denn in einem solchen Fall stehen dem jeweiligen Opfer die Beteiligten gerade nicht gemeinschaftlich gegenüber. Damit mangelt es an dem Grund für die Strafschärfung des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, der in der erhöhten abstrakten Gefährlichkeit der Tat liegt, wenn einem Geschädigten mehrere Angreifer körperlich gegenüberstehen und er deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit objektiv oder aus seiner subjektiven Sicht eingeschränkt ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 - 3 StR 171/15, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 5; vom 25. Juli 2017 - 3 StR 93/17, NStZ-RR 2017, 339; ferner BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572, 573). Da den Feststellungen zufolge N. , B. sowie S. im Tatzeitpunkt darin begriffen waren, den Döner-Imbiss zu betreten, und der unbekannte Flüchtende , nachdem er sich bereits einige Meter entfernt hatte, allein dem gesonderten Angriff Gr. s ausgesetzt war, lag ein gemeinschaftliches Zusammenwirken mehrerer Personen zum Nachteil dieses Geschädigten nicht vor.
47
bb) Für eine eventuelle Verurteilung des Angeklagten N. wegen einer zum Nachteil des unbekannten Flüchtenden tateinheitlich verwirklichten Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB mangelt es an der Verfahrensvoraussetzung des § 230 Abs. 1 StGB; weder liegt ein Strafantrag vor, noch hat die Staatsanwaltschaft in Bezug auf diese Tat das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
48
cc) Der Senat kann hinsichtlich des Schuldspruchs analog § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst dahin entscheiden, dass diese Verurteilung des Angeklagten N. wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des unbekannten Flüchtenden ersatzlos in Wegfall gerät. Denn in einer neuen Hauptverhandlung sind keine weitergehenden Feststellungen zum Einsatz der Holzstange als gefährliches Werkzeug zu erwarten. Gleiches gilt für einen hierauf bezogenen Vorsatz des Angeklagten Gr. , der zu einer - dem Angeklagten N. zurechenbaren - Strafbarkeit wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung führte.
49
c) Hinsichtlich der Konkurrenzen hat die Strafkammer zutreffend angenommen , dass sämtliche Taten im Fall 5 der Urteilsgründe aufgrund natürlicher Handlungseinheit miteinander idealkonkurrieren (§ 52 StGB). Die Tatausführenden verübten die Delikte aufgrund des zuvor gefassten einheitlichen Tatentschlusses in engem zeitlichen, räumlichen und situativen Zusammenhang. Die Handlungen fanden zum Teil zeitgleich statt; im Übrigen gingen sie unmittelbar ineinander über. Wenngleich eine natürliche Handlungseinheit regelmäßig nicht naheliegt, falls mehrere höchstpersönliche Rechtsgüter unterschiedlicher Rechtsgutsträger verletzt werden, ist sie doch auch in derartigen Fällen ausnahmsweise gerechtfertigt, wenn - wie hier - eine Aufspaltung in Einzeltaten wegen des außergewöhnlich engen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2000 - 4 StR 354/00, NJW 2001, 838, 839 mwN; Urteil vom 29. März 2012 - 3 StR 422/11, StV 2013, 382, 383). Ohnehin beschwert die Annahme von Tateinheit den Angeklagten N. nicht.
50
Entgegen der Auffassung der Strafkammer steht auch die Tat im Fall 4 der Urteilsgründe in Idealkonkurrenz zu der Gesamtheit der Delikte im Fall 5 der Urteilsgründe. Sofern der Tatbestand des § 127 StGB in der Tathandlungsvariante des Bildens verwirklicht wird, ist im Verhältnis zu einer von einem Gruppenmitglied in Realisierung des Gruppenzwecks ausgeführten Tat zwar grundsätzlich Tatmehrheit anzunehmen (vgl. SSW-StGB/Fahl, 3. Aufl., § 127 Rn. 15; BeckOK StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 127 Rn. 16; LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 127 Rn. 39; Matt/Renzikowski/Kuhli, StGB, § 127 Rn. 27). Das gilt jedoch - abhängig von den konkreten Umständen - nicht, wenn es sich um einen für die strafbare Einzelunternehmung spontan gebildeten, nur für kurze Zeit existierenden Personenzusammenschluss (Ad-hoc-Gruppe) handelt. Hier formierte sich die Gruppe, als sich die Mitglieder über die "Vergeltungsaktion" abschließend einigten; zu den Straftaten (dem Randalieren, Drohen, Prügeln vor und in dem Döner-Imbiss), in denen sich der Gruppenzweck erschöpfte, waren sie fest entschlossen , als sie die Wohnung in Richtung des Bahnhofs verließen.
51
3. Die Änderung des Schuldspruchs hinsichtlich der Fälle 4 und 5 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der für diese Fälle verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Die zugehörigen Feststellungen bleiben von den allein den Schuldspruch betreffenden Wertungsmängeln unberührt und können somit bestehen bleiben (s. § 353 Abs. 2 StPO).
52
4. Die Schuldspruchänderung hinsichtlich der Fälle 4 und 5 sowie die Aufhebung des diesbezüglichen Straf- und des Gesamtstrafenausspruchs sind gemäß § 357 StPO auf die sieben nichtrevidierenden Angeklagten zu erstrecken , weil die dargelegten Rechtsfehler sie gleichermaßen betreffen.
53
Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung.
Becker Ri‘inBGH Dr. Spaniol befindet Berg sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Hoch Leplow

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
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c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
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Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
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Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
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Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
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3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
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aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
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(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
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Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
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(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
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Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
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(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
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bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
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(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
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(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
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(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
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cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
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dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
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Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
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(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
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(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
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Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
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Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
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Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
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Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
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Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
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Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
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b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
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Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
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bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
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cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
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dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
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4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
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5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
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Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
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Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
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Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist. Für Taten nach § 13, die im Ausland begangen wurden, gilt dieses Gesetz unabhängig vom Recht des Tatorts, wenn der Täter Deutscher ist oder die Tat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland richtet.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person als Geisel nimmt,
3.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behandelt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
4.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person sexuell nötigt oder vergewaltigt, sie zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
5.
Kinder unter 15 Jahren für Streitkräfte zwangsverpflichtet oder in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen eingliedert oder sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet,
6.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person, die sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er sie unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
7.
gegen eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person eine erhebliche Strafe, insbesondere die Todesstrafe oder eine Freiheitsstrafe verhängt oder vollstreckt, ohne dass diese Person in einem unparteiischen ordentlichen Gerichtsverfahren, das die völkerrechtlich erforderlichen Rechtsgarantien bietet, abgeurteilt worden ist,
8.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung bringt, indem er
a)
an einer solchen Person Versuche vornimmt, in die sie nicht zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat oder die weder medizinisch notwendig sind noch in ihrem Interesse durchgeführt werden,
b)
einer solchen Person Gewebe oder Organe für Übertragungszwecke entnimmt, sofern es sich nicht um die Entnahme von Blut oder Haut zu therapeutischen Zwecken im Einklang mit den allgemein anerkannten medizinischen Grundsätzen handelt und die Person zuvor nicht freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
c)
bei einer solchen Person medizinisch nicht anerkannte Behandlungsmethoden anwendet, ohne dass dies medizinisch notwendig ist und die Person zuvor freiwillig und ausdrücklich eingewilligt hat, oder
9.
eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person in schwerwiegender Weise entwürdigend oder erniedrigend behandelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummer 2 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen der Nummern 6 bis 8 mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in den Fällen der Nummer 9 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt einen Angehörigen der gegnerischen Streitkräfte oder einen Kämpfer der gegnerischen Partei verwundet, nachdem dieser sich bedingungslos ergeben hat oder sonst außer Gefecht ist, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(3) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt

1.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 rechtswidrig gefangen hält oder ihre Heimschaffung ungerechtfertigt verzögert,
2.
als Angehöriger einer Besatzungsmacht einen Teil der eigenen Zivilbevölkerung in das besetzte Gebiet überführt,
3.
eine geschützte Person im Sinne des Absatzes 6 Nr. 1 mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zum Dienst in den Streitkräften einer feindlichen Macht nötigt oder
4.
einen Angehörigen der gegnerischen Partei mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel nötigt, an Kriegshandlungen gegen sein eigenes Land teilzunehmen,
wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.

(4) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 2 bis 6 den Tod des Opfers, so ist in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 5 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. Führt eine Handlung nach Absatz 1 Nr. 8 zum Tod oder zu einer schweren Gesundheitsschädigung, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 und 4 und des Absatzes 2 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 3 Nr. 1 Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(6) Nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen sind

1.
im internationalen bewaffneten Konflikt: geschützte Personen im Sinne der Genfer Abkommen und des Zusatzprotokolls I (Anlage zu diesem Gesetz), namentlich Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilpersonen;
2.
im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Verwundete, Kranke, Schiffbrüchige sowie Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen und sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden;
3.
im internationalen und im nichtinternationalen bewaffneten Konflikt: Angehörige der Streitkräfte und Kämpfer der gegnerischen Partei, welche die Waffen gestreckt haben oder in sonstiger Weise wehrlos sind.

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt plündert oder, ohne dass dies durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten ist, sonst in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterliegen, zerstört, sich aneignet oder beschlagnahmt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen bewaffneten Konflikt völkerrechtswidrig anordnet, dass Rechte und Forderungen aller oder eines wesentlichen Teils der Angehörigen der gegnerischen Partei aufgehoben oder ausgesetzt werden oder vor Gericht nicht einklagbar sind, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 243/11
vom
16. Februar 2012
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Zur Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung.
BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11 - OLG Düsseldorf
in der Strafsache
gegen
wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Februar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Hubert,
Dr. Schäfer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Dezember 2010, soweit es sie betrifft, aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Oberlandesgericht hat die Angeklagte wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit ihrer hiergegen gerichteten Revision beanstandet die Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war die Angeklagte während des Tatzeitraums von Ende August 2002 bis November 2008 eine hochrangige Funktionärin der Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front, im Folgenden: DHKP-C). Sie leitete zunächst die DHKP-C-Region Westfalen, zu der u.a. die Gebiete Köln, Dortmund und Duisburg gehörten. Spätestens im Juli 2007 übernahm sie die Funktion der Deutschlandverantwortlichen und übte diese bis zum November 2008 aus.
3
In diesem Tatzeitraum verfolgte die DHKP-C als marxistisch-leninistisch orientierte Gruppierung das Ziel, durch bewaffneten Kampf das verfassungsmäßige Regierungssystem in der Türkei im Wege eines revolutionären Umsturzes zu beseitigen und durch ein kommunistisches "Regime" zu ersetzen. Sie verübte seit dem Jahr 1994 zahlreiche Brand- und Sprengstoffanschläge, die insbesondere gegen Repräsentanten des türkischen Staates, Mitglieder türkischer Justizbehörden und Angehörige der türkischen Armee gerichtet waren.
4
Die Organisation war streng hierarchisch und zentralistisch aufgebaut. Sie bestand aus einem politischen Bereich, der DHKP, und einem militärischen Arm, der DHKC. Die DHKP bestimmte die politischen Leitlinien der Organisation und überwachte bzw. koordinierte die Durchführung der Parteibeschlüsse. Das höchste Organ war der Parteikongress, der als Leitungsgremium den Generalsekretär sowie die Mitglieder des Zentral- und Generalkomitees bestimmte. Das Zentralkomitee hatte als "Befehlshaber des Krieges" über "politische Vorgehensweisen und Taktiken" zu beschließen. Der an seiner Spitze stehende Generalsekretär war faktisch nicht absetzbar und mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Ihm oblag die Kontrolle sämtlicher Organe der DHKP und DHKC. Das Generalkomitee war zur Schlichtung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Zentralkomitees berufen. In außerordentlichen (Krisen-)Situationen konnte es auch anstelle des Parteikongresses vorläufige Anordnungen treffen. Darüber hinaus war die Partei in Form von Komitees und Zellen organisiert, die sowohl nach geographischen Gesichtspunkten als auch nach Sach- bzw. Arbeitsbereichen gegliedert waren. Die Frontorganisation DHKC führte den bewaffneten Kampf in der Türkei. Sie bestand im Wesentlichen aus "bewaffneten Propagandaabteilungen" und Milizverbänden, war hierarchisch der DHKP nachgeordnet und hatte die in deren Gremien getroffenen Entscheidungen auszuführen.
5
Die DHKP-C war auch außerhalb der Türkei, vor allem in Westeuropa, aktiv. Die hier bestehende "Rückfront" bzw. "Hinterfront" diente der Aufrechterhaltung und Fortführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei. Die Organisationseinheiten hatten insbesondere die Aufgabe, die für die Aktivitäten in der Türkei erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen. Daneben rekrutierten sie "Kämpfer" für Anschläge in der Türkei und sorgten für deren Ausstattung; ebenso schafften sie Rückzugsräume für Mitglieder. Innerhalb der "Rückfront" war Deutschland aufgrund der hohen Anzahl der hier lebenden türkischstämmigen Personen, deren finanziellen Möglichkeiten und des daraus resultierenden Potentials zur personellen und materiellen Unterstützung von Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei das wichtigste Betätigungsgebiet dieser Organisation. Für die Organisation betätigten sich im Jahre 2008 bundesweit etwa 650 Aktivisten.
6
Die DHKP-C baute in Europa festgefügte, hierarchisch gegliederte Strukturen auf. Die aus mehreren Personen bestehende Europaführung hatte die Aufgabe, die Organisation nach den vom Zentralkomitee bzw. Generalsekretär erteilten Weisungen zu leiten und die praktische Umsetzung einzelner Anordnungen in eigener Verantwortung sicherzustellen. Als höchste Hierarchieebene in der Europaorganisation war der/die Europaverantwortliche unmittelbar der Partei- bzw. Organisationsführung unterstellt und weisungsgebunden. Der Eu- ropaführung nachgeordnet waren nationale Organisationseinheiten in den verschiedenen , zur "Rückfront" gehörenden Staaten, die jeweils durch Einzelpersonen oder durch innerhalb mehrköpfiger Länder-Komitees agierende Länderverantwortliche geführt wurden. Dabei war zuletzt der - von der Europaführung eingesetzte - Deutschlandverantwortliche zugleich den Funktionären in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Österreich vorgesetzt. In Deutschland war die Organisation in Regionen und Gebiete aufgeteilt, die von professionellen Führungskadern, den sog. Regions- bzw. Gebietsverantwortlichen, geleitet wurden. Daneben bestanden besondere, nach sachlichen Kriterien abgegrenzte Arbeitsgebiete bzw. Organisationseinheiten, etwa die Jugendorganisation "Devrimci Genclik" ("Revolutionäre Jugend") oder der Bereich Nachschub und Logistik. Die als Gebietsleiter, Regions- und Deutschlandverantwortliche tätig gewesenen Funktionäre waren durch ein Berichts- und Kontrollsystem fest in die hierarchischen Strukturen der Organisation eingebunden; sie unterstanden der einheitlichen Führung durch den Generalsekretär, das Zentralkomitee und die Europaführung.
7
1. Der Schuldspruch wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 StGB) hält auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Bei seiner rechtlichen Würdigung hat das Oberlandesgericht darauf abgestellt, die Angeklagte sei als Deutschlandverantwortliche und damit als herausgehobene, die Bestrebungen der Organisation in Europa entscheidend fördernde Führungskraft aufgrund ihres maßgebenden Einflusses auf deren Tätigkeiten Rädelsführerin der DHKP-C gewesen, ohne dass in diesem Zusammenhang von Belang sei, dass sie selbst von Weisungen der nächsthöheren Hierarchieebenen abhängig war. Damit hat der Strafsenat nicht alle Gesichtspunkte in den Blick genommen, die für die Beurteilung der Rädelsführerschaft von Bedeutung sind.
8
a) Nach gefestigter, ursprünglich zu § 90a StGB aF entwickelter und später auf die §§ 129, 129a StGB übertragener Rechtsprechung ist Rädelsführer, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt. Entscheidend ist dabei nicht der Umfang, sondern das Gewicht, das der geleistete Beitrag für die Vereinigung hat. Besonders maßgebend ist eine Tätigkeit dann, wenn sie von Einfluss ist auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen, wenn also der Täter, falls er nicht schon selbst zu den Führungskräften gehört, doch durch sein Tun gleichsam an der Führung mitwirkt (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1963 - 3 StR 34/63, BGHSt 19, 109, 110). Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123 f.). Eine rein formale Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen noch nicht aus (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173 mwN). Liegen die genannten Voraussetzungen vor, so wird die Rädelsführerschaft andererseits nicht schon dadurch ausgeschlossen , dass der Täter von Weisungen abhängig ist (BGH, Beschluss vom 25. Januar 1956 - 6 StR 100/55, bei Wagner GA 1960, 235).
9
b) Der Senat hält an den dargestellten Grundsätzen fest. Er präzisiert sie dahin, dass der bestimmende Einfluss des Täters als Führungskraft bzw. als gleichsam an der Führung der Organisation mitwirkende Person sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke , -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen muss. Diese Auslegung des Tatbestandsmerkmals ist geboten aufgrund von dessen Sinn und Zweck, die dahin gehen, "Drahtzieher" (BGH, Urteil vom 12. Mai 1954 - 6 StR 30/54, BGHSt 6, 129, 130 mwN), Führungskräfte und solche Personen zu erfassen, die kraft einer Schlüsselstellung einen bestimmenden Einfluss haben (LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 173), der hohen, im Vergleich zum jeweiligen Grundtatbestand deutlich gesteigerten Strafdrohung des § 129a Abs. 4 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren in den Fällen des § 129a Abs. 1 und 2, Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren in den Fällen des § 129a Abs. 3 StGB) sowie der gesetzlichen Gleichstellung des Rädelsführers mit dem Hintermann. Für letzteren ist kennzeichnend, dass er zwar - im Unterschied zum Rädelsführer - nicht Mitglied der Vereinigung ist, gleichwohl aber die Vereinigung als Außenstehender dadurch wesentlich fördert, dass er geistig oder wirtschaftlich maßgebenden Einfluss auf die Führung der Vereinigung hat (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1964 - 3 StR 37/64, BGHSt 20, 121, 123).
10
c) Diese Grundsätze gelten auch bei Betätigungen für Vereinigungen im Ausland, die seit Einfügung des § 129b in das Strafgesetzbuch durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002 (BGBl. I S. 3390) unter Strafe gestellt sind; denn § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB verweist insoweit ohne Einschränkung auf die §§ 129 und 129a StGB. In diesen Fällen ist den gesetzlichen Anforderungen deshalb nicht ohne Weiteres allein dadurch Genüge getan, dass der Täter auf eine möglicherweise bestehende inländische Teilorganisation der Vereinigung (zur Abgrenzung zwischen in- und ausländischer Vereinigung vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 231/11, NJW 2012, 325) maßgebenden Einfluss hat, mag dieser auch in dem Gesamtgefüge der Vereinigung eine nicht unerhebliche Bedeutung zukommen. Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter in dem näher umschriebenen Sinne als Führungskraft der Gesamtorganisation anzusehen ist oder durch sein Tun in sonstiger Weise gleichsam an der Führung der Gesamtvereinigung teilnimmt.
11
d) Gemessen an diesen Maßstäben belegen die bisherigen Feststellungen die Rädelsführerschaft der Angeklagten nicht. Dies gilt auch für denjenigen Zeitraum, in dem die Angeklagte die Funktion der Deutschlandverantwortlichen der DHKP-C ausübte.
12
aa) Die in Deutschland und anderen Teilen Westeuropas agierenden Führungsfunktionäre waren vollständig in die streng hierarchischen Strukturen der DHKP-C eingebunden. Der Angeklagten waren danach gleich mehrere Ebenen, namentlich der Generalsekretär, das Zentralkomitee, der Europaverantwortliche sowie die weiteren Mitglieder der Europaführung übergeordnet. Die Funktionäre der DHKP-C waren zwar innerhalb ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs für sämtliche Angelegenheiten organisatorischer, personeller, finanzieller und sonstiger Art verantwortlich. Sie schuldeten den übergeordneten Kadern indes jederzeit unbedingten Gehorsam und nahmen deren Befehle und Anweisungen verbindlich entgegen. So hatte die - über der Angeklagten stehende - Europaführung die Aufgabe, die DHKP-C nach den vom Generalsekretär bzw. dem Zentralkomitee erteilten Weisungen zu führen. Lediglich die praktische Umsetzung der einzelnen Anordnungen war von der Europaführung in eigener Verantwortung sicherzustellen. Entsprechendes gilt für das Verhältnis zwischen der Europaführung und dem Deutschlandverantwortlichen. Mit Blick auf diese Umstände erscheint es bereits zweifelhaft, ob die Angeklagte allein aufgrund ihrer Stellung in der Organisation einen für die Annahme der Rädelsführerschaft ausreichenden Einfluss auf die Gesamtorganisation als solche ausüben konnte.
13
bb) Jedenfalls wird ein derartiger maßgeblicher Einfluss der Angeklagten von den Feststellungen zu den konkreten Aufgaben und Tätigkeiten der einzelnen Parteiorgane nicht belegt. Aus diesen ergibt sich vielmehr, dass die für die Vereinigung wesentlichen Belange von der Partei- und Europaführung bestimmt und geprägt wurden, ohne dass ein für die Rädelsführerschaft ausreichender Einfluss der Angeklagten auf die diesbezüglichen Entscheidungen ersichtlich ist. Hierzu im Einzelnen:
14
(1) Wichtigste Aufgabe der an der "Rückfront" eingesetzten Funktionäre war die Geldbeschaffung zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes in der Türkei. Die Haupteinnahmequelle stellten Spendensammlungen dar, die nach festen, streng überwachten Regeln durchgeführt wurden. Der jeweilige Zeitraum dieser Sammlungen, die Mindesthöhe der erwarteten Spendengelder, die Verbringung und Verwendung der vereinnahmten Spenden sowie die bei der Sammlung eingesetzten Propagandamittel wurden zentral von der Parteiführung vorgegeben. Zudem waren von den ausführenden Funktionären Berichte zu fertigen, die über die Europaführung an die Parteiführung weitergeleitet wurden. Die Gesamtverantwortung für weitere, der Geldbeschaffung dienende kommerzielle Veranstaltungen wie etwa Konzerte oder das jährliche Parteifest trug der Europaverantwortliche. Dieser legte die Rahmenbedingungen fest und erteilte den nachgeordneten Funktionären konkrete Handlungsanweisungen zur Vorbereitung sowie Durchführung der betreffenden Veranstaltung.
15
Die in Deutschland und anderen Ländern der Rückfront agierenden Parteikader waren zudem spätestens seit dem Jahr 1998 an der Bereitstellung von Nachschub und Logistik für den bewaffneten Kampf in der Türkei beteiligt. Die mit diesen Aktivitäten betrauten hochrangigen Parteifunktionäre waren indes unmittelbar der Parteiführung unterstellt. Nach deren Weisungen oblag den Verantwortlichen die Bereitstellung von Fahrzeugen und die Einweisung der Kurierfahrer. Als Kuriere geeignete Personen waren der Europaführung zu benennen.
16
Mitteilungen der DHKP-C wurden unter der Kontrolle der Europaführung herausgegeben. Maßnahmen zur Kaderschulung wurden ebenfalls zentral ge- steuert. Die Europaführung legte auch fest, welche zukünftigen Funktionäre in den einzelnen Gebieten Ausbildungsaufgaben wahrzunehmen hatten. Die Inhalte der Schulungen waren an den Vorgaben des Parteiprogramms orientiert und wurden von der Organisationsführung vorgegeben. Die Entscheidungen, ob, wann und in welcher Weise Schleusungen durchgeführt wurden, um Funktionäre vor Strafverfolgungsmaßnahmen zu schützen, traf die Parteiführung. Lediglich die entsprechende Ausführung oblag der Europaführung und den nachgeordneten Funktionären.
17
Die Angeklagte war schließlich nicht direkt in die Planung oder die Durchführung der von der Vereinigung in der Türkei verübten Anschläge und damit nicht in die Straftaten eingebunden, auf deren Begehung die Zwecke und Tätigkeit der DHKP-C vor allem gerichtet waren.
18
(2) Vor diesem Hintergrund belegen die Feststellungen, die Angeklagte sei mit Befehlsgewalt über sämtliche Funktionäre und Kader in Deutschland ausgestattet, mit Schulungsaufgaben befasst sowie für sämtliche Angelegenheiten organisatorischer, personeller, finanzieller und sonstiger Art zuständig gewesen, die in den von ihr jeweils geleiteten Bereichen angefallen seien, nicht den für die Rädelsführerschaft erforderlichen maßgeblichen Einfluss auf die Führung der ausländischen Gesamtorganisation. Dabei ist weder die große Bedeutung Deutschlands für die DHKP-C noch die Vielzahl durchaus gewichtiger Aufgaben zu verkennen, welche die Angeklagte in konspirativer Vorgehensweise zu erfüllen hatte. Diese Umstände vermögen indessen nichts daran zu ändern , dass alle wesentlichen Entscheidungen mit für die DHKP-C grundsätzlicher Bedeutung von Parteiorganen getroffen wurden, die der Angeklagten übergeordnet waren. Die Angeklagte war demgegenüber in Bezug auf alle Aktivitäten , die ihr als DHKP-C Funktionärin oblagen, etwa der Gebietsarbeit, dem Mitwirken an Spendenkampagnen, beim Verkauf von Publikationen, bei kom- merziellen Veranstaltungen, Schulungen und Demonstrationen gegenüber dem bzw. der Europaverantwortlichen berichtspflichtig. Ihre Tätigkeit war somit vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sie für die höheren Parteiorgane nachvollziehbar dafür Sorge zu tragen hatte, die von den ihr übergeordneten Führungsebenen ausgegebenen Direktiven in dem jeweils von ihr geleiteten Bereich umzusetzen.
19
2. Eine Schuldspruchänderung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO dahin, dass die Angeklagte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar ist, kommt nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hat die Feststellungen zwar rechtsfehlerfrei getroffen ; die hiergegen erhobenen verfahrensrechtlichen Einwendungen der Revision dringen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durch. Der Inhalt der knappen Ausführungen des Oberlandesgerichts im Rahmen der rechtlichen Würdigung deutet jedoch darauf hin, dass der Strafsenat die Frage, welchen Einfluss die Angeklagte auf die wesentlichen Belange der ausländischen Gesamtorganisation nahm, jedenfalls nicht ausreichend im Blick hatte. Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen kann, welche die Rädelsführerschaft der Angeklagten in der DHKP-C nach Maßgabe der dargelegten Anforderungen belegen.
20
3. Die bisherigen Feststellungen insbesondere zu Aufbau und Struktur der DHKP-C sowie den Tätigkeiten der Angeklagten sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen - etwa zum Einfluss der Angeklagten auf die Führung der Gesamtorganisation - treffen, die allerdings den bisherigen nicht widersprechen dürfen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 2 5 / 1 4
vom
18. Dezember 2014
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 18. Dezember
2014 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 21. November 2014 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 17. November 2009 in Untersuchungshaft , zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09), sodann, nachdem der Generalbundesanwalt unter dem 7. Dezember 2010 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben hatte, aufgrund des diesen ersetzenden Haftbefehls des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Januar 2011. Der Senat hat im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 ff. StPO mit Beschlüssen vom 17. Juni 2010 (AK 4/10), 28. Oktober 2010 (AK 14/10) und 8. Februar 2011 (AK 3/11) jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Dem Angeklagten werden Straftaten vorgeworfen, die er im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als 1. Vizepräsident der "Forces Démocratiques de Libération de Rwanda" (im Folgenden: FDLR), einer vor allem im Osten der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen Milizenorganisation, begangen haben soll. Die Hauptverhandlung hat am 4. Mai 2011 begonnen und dauert derzeit noch an. Der Angeklagte hat während der laufenden Hauptverhandlung mehrfach mit unterschiedlicher Begründung beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Diese Anträge hat das Oberlandesgericht durch Beschlüsse vom 21. Dezember 2011, 29. Juni 2012, 26. November 2012, 24. Juni 2013, 9. Dezember 2013 und 14. August 2014 zurückgewiesen. Insbesondere in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2013 hat es ausführlich dargelegt, dass - insoweit über den Anklagevorwurf und die Wertung in dem Haftbefehl vom 4. Januar 2011 hinaus - nach dem Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme gegen den Angeklagten der dringende Tatverdacht nicht nur der Mitgliedschaft, sondern der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bestehe. Danach gehörte der Angeklagte nach dem zu würdigenden Beweisstoff bis zu seiner Verhaftung im November 2009 zu den Führungspersonen der FDLR, trat als solche nach außen und innen in Erscheinung und hatte eine Stelle mit beträchtlichem Einfluss innerhalb der Organisation inne. Er war bereits bei der Gründungsversammlung der FDLR anwesend und in der Folgezeit als deren Repräsentant in Europa tätig. 2005 wurde er auf Vorschlag des Mitangeklagten , des Präsidenten der FDLR Dr. M. , zum 1. Vizepräsidenten gewählt. Er war den höheren FDLR-Mitgliedern in der Regel als einer der Führer der Vereinigung bekannt. Seine Tätigkeit war vor allem für die Außenwirkung der Organisation besonders wichtig. Als 1. Vizepräsident war er der Vertreter des Mitangeklagten und hatte diesen im Falle der Abwesenheit oder sonstigen Verhinderung zu vertreten. Er war hierzu auch bereit, falls dieser seine Absicht, "sich in den Wald zu begeben," verwirklicht hätte. Es wurde im Jahre 2009 konkret besprochen, in welcher Weise sich der Angeklagte hie- rauf vorbereiten und welche Aufgaben er schon damals zur Vorbereitung eines reibungslosen Führungswechsel übernehmen solle. Er hatte den Mitangeklagten bereits bei dessen früheren Besuchen in der DRC vertreten. Als 1. Vizepräsident war er Mitglied des Haupt- sowie des Exekutivkomitees der FDLR und besetzte somit eine Schlüsselposition in der Organisation. Das Hauptkomitee traf die wesentlichen inhaltlichen und personellen Entscheidungen und war deshalb das wichtigste tatsächlich tagende Entscheidungsorgan der FDLR. Der Angeklagte bereitete etwa die Themen der Hauptkomitee-Versammlung im Januar 2009 vor und formulierte sie aus. Er wirkte auch im Übrigen als Mitglied des aus nur vier Personen bestehenden europäischen Teils des Hauptkomitees in enger Abstimmung mit den im Osten der DRC tagenden weiteren Mitgliedern an den Entscheidungen und Empfehlungen mit. Darüber hinaus war der Angeklagte etwa für die Kontrolle der Aktivitäten, die mit politischer Mobilisation, Finanzen , Diplomatie und Verwaltung im Zusammenhang standen, zuständig und insoweit auch tätig. Bei Veranstaltungen trat er öffentlich als 1. Vizepräsident auf. Er beteiligte sich an der Ausarbeitung von Gesetzestexten und sonstigen Texten der FDLR und verwaltete die von ihm entworfene Homepage der Organisation. Er beschäftigte sich intensiv mit der Finanzierung der FDLR und nahm auf deren Presserklärungen Einfluss. Er arbeitete insgesamt eng mit dem Mitangeklagten zusammen, der der Meinung des Angeklagten Gewicht beimaß und aufgrund der großen faktischen Bedeutung des vom Angeklagten ausgeübten Amtes in der Organisation keine Zweifel hatte, dass der Angeklagte als Präsident akzeptiert werde, falls er selbst an der Ausübung dieser Funktion gehindert sein sollte. In seinem Beschluss vom 14. August 2014 hat das Oberlandesgericht unter erneuter vorläufiger Würdigung der Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme u.a. gestützt auf zahlreiche Zeugenaussagen substantiiert dargelegt, dass die FDLR nach dem Stand der Beweisaufnahme als terroristische Vereinigung im Ausland anzusehen sei. Danach waren ihr Zweck bzw.
ihre Tätigkeiten auf die Begehung von Straftaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB gerichtet, insbesondere Plünderungen anlässlich sogenannter Verpflegungsoperationen sowie Tötungen von Zivilpersonen und Inbrandsetzen von deren Häusern, geschehen etwa bei den Angriffen auf Kipopo, Mianga, Busurungi und Manje. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat auf den Inhalt dieser beiden Beschlüsse und aller weiteren genannten Entscheidungen Bezug.
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Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 5. November 2014 erneut die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung , beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, ein weiterer Vollzug der Untersuchungshaft sei mit Blick auf eine mögliche Straferwartung sowie die zu erwartende weitere Verfahrensdauer, für die der Angeklagte nicht verantwortlich sei, nicht mehr verhältnismäßig. Der Generalbundesanwalt hat sich mit Schriftsatz vom 18. November 2014 gegen den Antrag gewandt und dabei Ausführungen zum dringenden Tatverdacht und den Haftgründen gemacht. Die weitere Untersuchungshaft stehe zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis. Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Verteidigung mit Beschluss vom 21. November 2014 zurückgewiesen. Hinsichtlich des dringenden Tatverdachts hat es auf seine bisherigen Haftentscheidungen, insbesondere die Beschlüsse vom 9. Dezember 2013 und 14. August 2014, Bezug genommen. Die weitere Beweisaufnahme sei nicht geeignet, den dringenden Tatverdacht zu vermindern oder gar zu entkräften. Es bestehe nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr. Die weitere Untersuchungshaft sei - auch unter Berücksichtigung ihrer bisherigen Dauer - vor allem im Hinblick auf die Komplexität der Sache sowie die zu erwartende Strafe noch gerechtfertigt. Diese werde im Falle der Verurteilung nach derzeitigem Stand sehr wahrscheinlich zumindest im mittleren Bereich des Strafrahmens des § 129a Abs. 4 StGB liegen, der von drei bis fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe reicht. Das Verfahren sei an den bisherigen 265 Verhandlungstagen , die grundsätzlich zweimal wöchentlich und nahezu durchgängig ganztätig stattfänden, trotz seiner Komplexität und seines Auslandsbezugs mit den daraus resultierenden zahlreichen Rechtshilfeersuchen und logistischen Herausforderungen von Seiten des Oberlandesgerichts mit der gebotenen Beschleunigung betrieben worden. Verfahrensverzögerungen, etwa wegen der notwendigen Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers für den Mitangeklagten Dr. M. , weil einer von dessen Verteidigern seit Mai 2014 nicht mehr an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, seien auch auf das prozessuale Verhalten des Angeklagten Mu. und seiner Verteidigung zurückzuführen , die zum Beispiel in diesem Zusammenhang mehrere mit der Besorgnis der Befangenheit begründete Ablehnungsgesuche gestellt hätten. Nach Einschätzung des Oberlandesgerichts sei die Vernehmung von Zeugen sowie die Einführung von Erkenntnissen aus der Überwachung der Telekommunikation weitestgehend abgeschlossen. Es sei davon auszugehen, dass die restliche Beweisaufnahme sowie die Bescheidung zahlreicher Beweisanträge der Verteidigung beider Angeklagter Anfang 2015 beendet werden könne.
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Mit ihrer Beschwerde vom 24. November 2014, ergänzend begründet unter dem 28. November 2014, macht die Verteidigung weiterhin vor allem geltend , der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehe dem weiteren Vollzug der Untersuchungshaft entgegen. Auch sei die Begründungstiefe der Entscheidung des Oberlandesgerichts unzureichend. Das Verteidigungsverhalten sei kein ausreichender Grund für die Fortdauer der Haft. Die Prognose des Oberlandesgerichts bezüglich der weiteren Dauer der Hauptverhandlung sei in der Sache unzutreffend und für die Untersuchungshaft ohne Belang. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde gemäß Vermerk vom 25. November 2014 nicht abgeholfen und dabei unter Anführung konkreter Vorgänge u.a. darauf hingewiesen , dass eine größere Zeiträume umfassende Ankündigung des Beweisprogramms vor allem aufgrund des Verhaltens der Verteidigung weder sinnvoll noch angezeigt sei. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen. Er ist u.a. der Ansicht der Verteidigung entgegengetreten, wonach der Tatvorwurf sich im Verlauf der Hauptverhandlung reduziert habe, und hat im Einzelnen dargelegt, dass die weitere Untersuchungshaft nach wie vor zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis stehe.
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II. Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Gegen den Angeklagten besteht der - von der Verteidigung in diesem Beschwerdeverfahren nicht substantiiert angegriffene - dringende Tatverdacht der Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 StGB).
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a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 28. August 2014 - StB 22/14, juris Rn. 5; 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZ-RR 2013, 16, 17; 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
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b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht insbesondere in seinem umfangreichen Beschluss vom 14. August 2014 ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung einen dringenden Tatverdacht dahin belegen, dass die FDLR im Tatzeitraum eine ausländische terroristische Vereinigung darstellte, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet waren, unter anderem nicht gerechtfertigte Tötungsdelikte zum Nachteil von Zivilisten und damit Katalogtaten nach § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB zu begehen. Darüber hinaus hat es vor allem in seinem Beschluss vom 9. Dezember 2013 ebenfalls in genügender Weise Ausführungen gemacht, welche die Annahme tragen, der Angeklagte habe mit hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle innegehabt und bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeiten der FDLR ausgeübt, mithin als Rädelsführer im Sinne des § 129a Abs. 4 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160, 161 f.) gehandelt. Auf diese Entscheidungen nimmt der angefochtene Beschluss in zulässiger Weise Bezug. Die Anforderungen an die Begründungstiefe der in laufender Hauptverhandlung ergehenden Haftentscheidungen sind damit insoweit gewahrt.
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2. Das Oberlandesgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO weiterhin vorliegt. Dem nach wie vor insbesondere aus der erheblichen Straferwartung folgenden erheblichen Fluchtanreiz stehen weiterhin keine ausreichend belastbaren privaten Bindungen und sozialen Beziehungen des Angeklagten in Deutschland gegenüber. Zu berücksichtigen ist dabei etwa die Scheidung des Angeklagten von seiner Ehefrau. Außerdem war er vor seiner Festnahme ohne Arbeit und besitzt in Deutschland keinen gesicherten ausländerrechtlichen Status. Demgegenüber verfügt der Angeklagte aufgrund seiner früheren Betätigung für die FDLR über zahlreiche Kontakte im europäischen und außereuropäischen Ausland, die er dazu nutzen könnte, um sich dem Verfahren zu entziehen. Dieser Wertung stehen die von der Verteidigung vorgetragenen Gesichtspunkte , insbesondere der Umstand, dass der Angeklagte zwei Kinder hat, die in Deutschland leben, nicht entgegen. Die gegebenen Umstände schließen ebenfalls eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO aus.
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3. Die Fortdauer der nunmehr bereits mehr als fünf Jahre andauernden Untersuchungshaft ist mit Blick auf die Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens immer noch verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Insoweit gilt:
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a) Bei Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft ist das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung, die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.
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Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig vom Tatvorwurf und von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Freiheitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.
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Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch durch die Verfahrensgestaltung zu bewirken ist. Auch das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss deshalb so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 GG besteht. Dem ist vor allem durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen Rechnung zu tragen. Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinander zu setzen und diese entsprechend zu begründen. In der Regel sind in jedem Beschluss über die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen ihrer Voraussetzungen , zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit geboten, weil sich die dafür maßgeblichen Umstände angesichts des Zeitablaufs in ihrem Gewicht verschieben können. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich.
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Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung. Die zugehörigen Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch für das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten und in sich schlüssig und nachvollziehbar sein (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).
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b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechtzuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen.
15
aa) Gegen den Angeklagten besteht der dringende Verdacht einer gewichtigen Straftat. Diese ist mit einer Freiheitsstrafe von drei bis fünfzehn Jah- ren bedroht und wiegt auch mit Blick auf die konkret gegebenen Umstände schwer.
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bb) Die besondere rechtliche und tatsächliche Komplexität des vorliegenden Verfahrens liegt auf der Hand: Der Prozess ist einer der ersten in der Bundesrepublik Deutschland, der Vorwürfe nach dem Völkerstrafgesetzbuch zum Gegenstand hat, sodass sich eine gesicherte Rechtsprechung zu den sich stellenden Rechtsfragen noch nicht gebildet hat. In tatsächlicher Hinsicht sind zwei die Vorwürfe zumindest weitgehend bestreitende Angeklagte betroffen, so dass deren vielfältige, in einem längeren Zeitraum ausgeübte Tätigkeiten für die FDLR aufzuklären sind. Daneben ist über zahlreiche Geschehnisse Beweis zu erheben, die sich überwiegend im Osten der DRC ereigneten. Die erheblichen organisatorischen Schwierigkeiten, die mit einer solchen umfangreichen Beweisaufnahme verbunden sind, sind ebenfalls offensichtlich. So müssen die Zeugen entweder in aufwändiger Weise zum Prozessort nach Stuttgart gebracht und dort vernommen werden, oder ihre Aussagen in anderer Weise, etwa durch in ihrer Heimat in Afrika durchzuführende Videovernehmungen, in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Dass die damit verbundenen Rechtshilfeangelegenheiten besonders zeitintensiv sind und die Hauptverhandlung verlängern , liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Bereits diese Umstände erfordern eine außergewöhnlich zeit- und arbeitsintensive Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlungstermine. Trotz dieser erheblichen Belastungen für die Verfahrensbeteiligten sind konkrete Anzeichen dafür, dass das Oberlandesgericht , das seit Prozessbeginn regelmäßig mehrmals wöchentlich verhandelt hat, das Beschleunigungsgebot missachtet hätte, weder mit der Beschwerde vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführungen in dem Beschluss vom 8. Oktober 2012 (StB 9/12, juris Rn. 15 f.), die nach wie vor gelten. Das Oberlandesgericht ist vielmehr ersichtlich darum bemüht, das Verfahren in einem überschaubaren Zeitraum abzuschließen. Dass dies bisher trotz mehr als drei Jahre andauernder Hauptverhandlung nicht gelungen ist, liegt neben dem Umfang des Prozessstoffes jedenfalls auch an dem Verhalten der Verteidigung, die etwa Zeugen über mehrere Verhandlungstage hinweg befragt sowie eine Vielzahl von Beweis- und sonstigen Verfahrensanträgen gestellt hat, deren sachgerechte Bearbeitung Zeit in Anspruch nimmt und das Verfahren verlängert. Diese Umstände sind bei der Prüfung der Fortdauer der Untersuchungshaft sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.), als auch nach derjenigen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 - Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, Rn. 61) und des Senats (vgl. auch insoweit etwa schon den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, juris Rn. 15 f.) zu berücksichtigen, ohne dass es hier insoweit entscheidend darauf ankommt, ob es sich noch um sachdienliches Verteidigungsverhalten handelt oder die Grenzen zulässiger Verteidigung bereits überschritten sind. Der Senat enthält sich deshalb hier einer diesbezüglichen Bewertung der ihm in diesem Beschwerdeverfahren unterbreiteten, von den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Generalbundesanwalt und der Verteidigung, unterschiedlich beurteilten Vorgänge.
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cc) Soweit weiter das voraussichtliche Ende des Verfahrens von Bedeutung ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. April 2013 - StB 6/13, Rn. 11), ist anzunehmen, dass die Prognose des Oberlandesgerichts, die Hauptverhandlung zu Beginn des Jahres 2015 abschließen zu können, bei allen Unwägbarkeiten , die mit Prognosen notwendigerweise verbunden sind, auf einer tragfähigen Grundlage beruht. Dies gilt auch mit Blick darauf, dass das Oberlandesgericht mittlerweile Verhandlungstermine bis zu den Osterferien bestimmt hat, allerdings ohne bis dahin ein vollständiges Beweisprogramm vorzugeben.
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dd) Schließlich ist die Gesamtdauer der Untersuchungshaft auch vor dem Hintergrund der im Raum stehenden Straferwartung und einer möglichen Reststrafenaussetzung zur Bewährung noch nicht unverhältnismäßig. Das Oberlandesgericht hat insoweit zuletzt ausgeführt, die zu erwartende Strafe bewege sich zumindest im mittleren Bereich des Strafrahmens des § 129a Abs. 4 StGB; nach dieser vorläufigen und nachvollziehbaren Einschätzung liegt sie mithin zumindest bei etwa neun Jahren. Anhaltspunkte dafür, dass die besonderen Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrests bereits nach deren hälftiger Verbüßung (§ 57 Abs. 2 StGB) vorliegen, sind nicht ersichtlich. Somit käme allenfalls eine Aussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe (§ 57 Abs. 1 StGB) in Betracht. Der hierfür maßgebende Zeitpunkt ist noch nicht erreicht.
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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 36/15
vom
12. November 2015
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seines Verteidigers am 12. November
2015 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
I. Der Beschuldigte wurde am 15. April 2015 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 11. März 2015 festgenommen. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich seit August 2002 als Rädelsführer an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Türkiye Komünist Partisi/Marksist - Leninist" (Türkische Kommunistische Partei /Marxisten - Leninisten - TKP/ML) beteiligt (Verbrechen, strafbar nach § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 StGB).
2
II. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
3
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Geschehen auszugehen :
4
a) Die TKP/ML wurde im Jahre 1972 unter der Führung von Ibrahim Kaypakkaya gegründet. Aufgrund interner Auseinandersetzungen kam es in der Folgezeit mehrfach zu Trennungen und Neugründungen. Im Jahre 1987 spaltete sich die Organisation in zwei Teile, von denen der eine fortan den Namen "Dogu Anadolu Bölge Komitesi" (Ostanatolisches Gebietskomitee - DABK) annahm und der andere der bisherigen Bezeichnung TKP/ML den Zusatz "Partizan" anfügte. Nach zwischenzeitlicher Wiedervereinigung trennten sich die beiden Fraktionen schließlich im April 1994 endgültig. Die DABK nannte sich zunächst TKP (ML) und ging schließlich im Jahre 2002 in der neu gegründeten "Maoist Komünist Partisi" (Maoistische Kommunistische Partei) auf. Die TKP/ML - Partizan führte demgegenüber den ursprünglichen Namen TKP/ML fort und verfolgt bis heute deren ursprüngliche Ideologie weiter. Sie vertritt die Lehren des Marxismus-Leninismus und die Ideen von Mao Tse-tung. Ihr satzungsmäßig festgelegtes Ziel ist es, durch bewaffneten Kampf und Agitation die derzeitige Staats- und Gesellschaftsordnung in der Türkei zu beseitigen und durch eine kommunistisch geformte Gesellschaft unter der Diktatur des Proletariats zu ersetzen.
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Die TKP/ML ist nach den Prinzipien des demokratischen Sozialismus hierarchisch und zentralistisch strukturiert. Höchstes Führungsorgan ist der Parteikongress , der nach der Satzung alle drei Jahre zusammentreten soll und u.a. Taktik und Politik der Vereinigung festlegt, ihre Strategie und Organisationsstruktur bestimmt sowie befugt ist, das Programm und die Satzung der Organisation zu verändern. In Zeiten, in denen der Parteikongress nicht zusammenkommt , tritt an seine Stelle die Parteikonferenz, die mit Ausnahme der Kompetenz , das Parteiprogramm zu ändern, über dieselben Befugnisse verfügt. Die letzte der bisher insgesamt acht abgehaltenen Parteikonferenzen fand vom 11. Januar bis zum 4. Februar 2007 statt. In den Phasen zwischen den Parteikongressen bzw. -konferenzen ist das Zentralkomitee (Merkez Komitesi - MK) das höchste Parteiorgan. Es soll nach der Satzung einmal jährlich zusammenkommen , leitet die Vereinigung und ist innerhalb des durch die Entscheidungen der Parteikongresse bzw. -konferenzen vorgegebenen Rahmens für die Organisation der Partei sowie für deren sämtliche Aktivitäten verantwortlich. Zur Erfüllung dieser Aufgaben unterhält es Gremien, darunter etwa das Politbüro, das zwischen den Sitzungen des Zentralkomitees die Vereinigung in ideologischpolitischer Hinsicht führt. Unterhalb des Zentralkomitees ist die TKP/ML regional nach Gebieten gegliedert. Dort existieren Gebietskomitees, die von einem Sekretär geleitet werden, den das Zentralkomitee aus seinen eigenen Reihen bestimmt. Seit einigen Jahren bestehen in der Türkei zwei Gebietskomitees für die Bereiche Dersim/Schwarzmeerküste und Istanbul. Mit Genehmigung des Zentralkomitees können die Gebietskomitees untere Gebiets- oder Provinzkomitees gründen. Darunter bestehen Parteizellen, die aus mindestens drei Aktivisten bestehen.
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In der Organisation gelten die Maximen der Weisungsgebundenheit und Berichtspflicht. Die durch die jeweiligen Parteigremien getroffenen Beschlüsse sind für die jeweils unteren Ebenen bindend; Minderheiten haben sich den Mehrheiten unterzuordnen. Bei Verstößen gegen die Parteidisziplin oder bindende Beschlüsse sieht die Satzung Disziplinarstrafen vor. Untere Ebenen haben den in der Hierarchie übergeordneten Gremien regelmäßig über ihre Aktivitäten zu berichten. Die TKP/ML unterscheidet die in ihre Vereinigungsaktivitäten eingebundenen Personen intern in Mitglieder, Mitgliedschaftsanwärter und Sympathisanten, was im Wesentlichen jedoch lediglich für das aktive und passive Wahlrecht von Bedeutung ist.
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Als Jugend- und damit Unterorganisation der TKP/ML agiert die "Türkiye Marxist Leninist Genc Birligi" (Türkische Marxistisch-Leninistische Jugendorganisation - TMLGB). Diese versteht sich als Kampforganisation, welche die Jugend nach der von der TKP/ML vorgegebenen Strategie mobilisiert und organisiert.
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Die TKP/ML unterhält daneben in der Türkei eine bewaffnete Kampforganisation , die den Namen "Türkiye Isci Köylu Kurtulus Ordusu" (Türkische Arbeiter - und Bauernbefreiungsarmee - TIKKO) trägt. Diese ist streng hierarchisch in Kommandostrukturen organisiert und wird politisch, ideologisch und organisatorisch durch das Zentralkomitee der TKP/ML geleitet. Ausweislich der Satzung der TKP/ML handelt es sich bei der dort namentlich aufgeführten TIKKO um die "bewaffnete Kraft des Volkes unter der Führung der Partei". Die TIKKO unterhält eine eigene Gerichtsbarkeit, die bei Verletzung der Militärdisziplin Sanktionen bis hin zur Todesstrafe vorsieht. In Umsetzung der Zielsetzung der TKP/ML begingen die TIKKO sowie die TMLGB in der Vergangenheit zahlreiche Schusswaffen-, Sprengstoff- und Brandanschläge in der Türkei. Diese waren vornehmlich gegen Repräsentanten und Einrichtungen des türkischen Staates, aber auch gegen von der TKP/ML sogenannte Feinde des Volkes gerichtet. Durch die Aktionen wurden mehrere Menschen getötet oder verletzt; zudem entstanden teilweise erhebliche Sachschäden. Die Anschläge dauern bis in die Gegenwart an, wobei es in der Vergangenheit sowohl zu aktionsärmeren Phasen als auch zur Zunahme der Aktivitäten im Rahmen von Kampagnen kam. Der TKP/ML über die TIKKO oder die TMLGB zuzurechnende Täter begingen im Einzelnen etwa folgende Taten:
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Gegen Ende des Jahres 2004 verübten sie drei Sprengstoffanschläge in Istanbul, bei denen jeweils Sachschaden entstand. Im Jahre 2005 kam es zu insgesamt sieben, teilweise nur versuchten und mittels Sprengsätzen und Molotow -Cocktails durchgeführten Anschlägen u.a. in einer Diskothek in Incirlik unweit des von den US-Streitkräften genutzten NATO-Stützpunktes, gegen Parteigebäude der "Adalet ve Kalkinma Partisi" (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - AKP) und vor dem Amtssitz des Oberbürgermeisters von Istanbul. Ende Januar 2006 brachten Angehörige der TIKKO in insgesamt sechs Fällen Sprengsätze zur Explosion oder warfen Moltow-Cocktails. Bei einem der Anschläge in den Räumlichkeiten des türkisch-amerikanischen Kulturvereins in Adana wurden vier Personen verletzt. In der Zeit bis April 2006 wurden weitere sechs Anschläge durchgeführt. Im Mai 2006 sollte der Ortsvorsteher von Erzincan durch eine Bombe umgebracht werden. Bei der Explosion wurden indes vier Kinder getötet. Danach wurden mehrere Führungskader festgenommen und ein umfangreiches Waffen- und Sprengstoffarsenal sichergestellt. Auf der 8. Parteikonferenz zu Beginn des Jahres 2007 beschloss die TKP/ML, die Zusammenarbeit mit der "Partiya Karkeren Kurdistan" (Arbeiterpartei Kurdistans - PKK) zu intensivieren und auch gemeinsam mit deren bewaffnetem Arm, der "Hezen Parastina Gel" (Volksverteidigungskräfte - HPG), Anschläge zu begehen. Im Oktober 2008 versuchte eine TIKKO-Angehörige, einen Sprengsatz in einem Restaurant in der Provinz Tunceli zur Explosion zu bringen. Im Mai 2009 erschossen Kämpfer der TIKKO und der HPG drei Angehörige der türkischen Armee. Im August 2010 zerstörten sie zwei Fahrzeuge, mit denen Material für das türkische Militär transportiert wurde. Sie entführten den für die Lieferung Verantwortlichen und verlangten von ihm, in Zukunft die Zusammenarbeit mit der Armee zu unterlassen. Weil er diesem Ansinnen nicht nachkam, töteten Mitglieder der TIKKO im Oktober 2011 einen seiner Fahrer. Im September 2012 hielten Angehörige der TIKKO zwei Fahrzeuge an und steckten sie in Brand. In einem Fall entführten sie den Insassen, ließen ihn aber nach fünf Tagen wieder frei. Im Juni 2013 entführten sie dessen Vater, der während der folgenden Gefangenschaft verstarb. Daneben waren immer wieder staatliche Institutionen Ziel der Angriffe. Von August 2010 bis Oktober 2014 verübten Mitglieder der TIKKO insgesamt neun Anschläge mit Schusswaffen und Raketenwerfern gegen Militär- und Polizeistationen sowie ein Landratsamt. Von Som- mer 2012 bis September 2014 griffen sie mit Sprengkörpern die Basisstation eines Mobilfunkanbieters, ein hydroelektrisches Kraftwerk sowie ein Wasserkraftwerk an. In allen hier aufgeführten Fällen bekannte sich die TKP/ML öffentlich zu den Taten.
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Die TKP/ML ist auch außerhalb der Türkei, insbesondere in Westeuropa, aktiv. Das diesbezügliche Leitungs- und Kontrollgremium führte zunächst die Bezeichnung "Yurt Disi Bürosu" (Auslandsbüro - YDB). Es wurde im Februar 2007 in "Yurt Disi Komitesi" (Auslandskomitee - YDK) umbenannt, eng an die Parteizentrale angebunden und steht auf derselben Hierarchieebene wie die beiden Gebietskomitees in der Türkei. Ihm gehört ein Mitglied des Zentralkomitees als der übergeordneten Parteiinstanz an. Die Auslandsorganisation der TKP/ML ist wie die Partei selbst streng hierarchisch organisiert. Der gesamte Auslandsbereich ist in Gebiete gegliedert, etwa für die Niederlande/Belgien, die Schweiz, Frankreich, Österreich und England. In Deutschland existieren die Gebiete Nord, Süd, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Sie werden von entsprechenden Komitees geleitet und verfügen jeweils über einen Sekretär, der gleichzeitig Mitglied des Auslandskomitees ist. Dieser stellt das Bindeglied zu der nächsthöheren Organisationsebene dar und ist für alle Maßnahmen innerhalb des ihm zugewiesenen Gebietes verantwortlich. Daneben besteht ein Agitations - und Propagandakomitee (Ajitasion/Propaganda Komitesi - A/P) sowie ein Abendveranstaltungskomitee, dem u.a. die Organisation der jährlich stattfindenden "Kaypakkaya-Abende" obliegt. Die vordringlichste Aufgabe der Auslandsorganisation in Westeuropa besteht in der Beschaffung von Geldmitteln zur Finanzierung der TKP/ML einschließlich der bewaffneten Kampfeinheiten. Zu diesem Zweck führt sie Spendenkampagnen, Veranstaltungen und sonstige der Finanzakquise dienende Aktivitäten durch. Daneben sollen etwa die Vereinigungsstrukturen in der Türkei logistisch unterstützt, neue Mitglieder und Unterstützer angeworben und Schulungsveranstaltungen durchgeführt werden.
Einen weiteren Schwerpunkt der Aktivitäten bildet schließlich die Schleusung von Führungskadern und Aktivisten aus der Türkei nach Westeuropa einschließlich der Beschaffung der hierfür notwendigen Dokumente sowie der Sicherstellung des Unterhalts. Der TKP/ML sind zudem Tarnorganisationen zuzurechnen , die vor allem bei Demonstrationen und sonstigen politischen Versammlungen in der Öffentlichkeit auftreten. Die Organisation unterhielt schließlich in Duisburg eine eigene Druckerei, in der verschiedene Publikationen produziert wurden, darunter u.a. das Parteiorgan "Özgur Gelecek".
11
b) Der Beschuldigte ist bereits seit Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts für die TKP/ML aktiv. Er befand sich in der Zeit vom 30. Mai 1982 bis 23. September 1992 in der Türkei in Haft, weil er als Mitglied der Organisation im Jahre 1980 an einem Raubüberfall und einem mit Schusswaffen durchgeführten Anschlag, bei dem zwei Polizeibeamte starben, beteiligt gewesen sein soll. Im November 1993 wurde er erneut festgenommen und zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren und neun Monaten verurteilt. Als die Strafvollstreckung im Jahre 2002 für sechs Monate unterbrochen und der Beschuldigte aus der Haft entlassen wurde, flüchtete er, schloss sich erneut der TKP/ML an und gelangte mit deren Unterstützung aus der Türkei nach Westeuropa. Er hielt sich seitdem überwiegend in Deutschland auf und agierte als professioneller Führungskader der Vereinigung. Er wurde von dieser alimentiert, verhielt sich konspirativ, benutzte einen Decknamen, vermied den Gebrauch von Telekommunikationsendgeräten und besaß gefälschte Personalpapiere. Als Führungskader der TKP/ML nahm er im Jahre 2002 an der 7. Parteikonferenz und zu Beginn des Jahres 2007 mit weiteren acht Angehörigen der Vereinigung an der 8. Parteikonferenz teil. Auf beiden Konferenzen wurden für die Organisation grundlegende und wesentliche Beschlüsse gefasst, die u.a. die militärische Ausrichtung und Organisation sowie die Besetzung des Zentralkomitees betrafen. Diesem gehörte der Beschuldigte jedenfalls seit der 7. Parteikonferenz, mithin dem Jahre 2002, an. Er traf dort mit den weiteren vier Komiteemitgliedern die wesentlichen Führungsentscheidungen, die für die Gesamtvereinigung von grundsätzlicher Bedeutung waren. Diese betrafen etwa die Organisationsstrukturen , die personelle Besetzung der Parteigremien, Fragen der Parteimitgliedschaft und des Disziplinarwesens, Handlungsanleitungen in den Bereichen Guerillakampf sowie Jugendaktivitäten, das Finanzwesen, die Kadergewinnung und -schulung, die Propaganda, die internationalen Kontakte, die Neufassung der Parteisatzung und die Vorbereitung der nächsten Parteikonferenz. Gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern des Zentralkomitees kontrollierte er die Umsetzung der Beschlüsse durch die nachgeordneten Organisationsstrukturen. Auf der 8. Parteikonferenz im Jahre 2007 wurde der Beschuldigte als Mitglied des Zentralkomitees bestätigt und setzte die beschriebenen aktiven Tätigkeiten in der Folgezeit fort. Seit Dezember 2004 stand der Beschuldigte der Auslandsorganisation der TKP/ML als Verantwortlicher vor und bestimmte maßgeblich die Organisationsaktivitäten vor allem in Westeuropa. So leitete er etwa ab Mai 2005 bis jedenfalls September 2007 und ab August 2012 regelmäßig persönlich die Versammlungen des Auslandskomitees und sorgte wesentlich für die Umsetzung der durch die Parteikonferenzen und das Zentralkomitee vorgegebenen Direktiven. Unter seiner Verantwortung und Leitung erwirtschaftete die Auslandsorganisation der TKP/ML kontinuierlich finanzielle Mittel in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro jährlich.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf die ausführliche Darstellung in dem Haftbefehl vom 11. März 2015 Bezug genommen.
13
2. Der dringende Verdacht hinsichtlich dieses Geschehens ergibt sich aus den in dem Haftbefehl vom 11. März 2015 im Einzelnen aufgeführten Beweismitteln , auf die verwiesen wird. Dabei handelt es sich insbesondere um ausgewertete Dokumente wie etwa die Parteisatzung, durch die Partei gefertig- te Protokolle zahlreicher Versammlungen und Tatbekennungen, daneben aber auch Ergebnisse verdeckter Ermittlungsmaßnahmen wie z.B. Wort- und Inhaltsprotokolle von Gesprächen, die bei akustisch überwachten Versammlungen geführt wurden. Bezüglich einer Vielzahl von Aktivitäten liegen zudem Observationsergebnisse vor. Hinzu kommen die Inhalte aufgezeichneter Gespräche , die im Innenraum eines überwachten Fahrzeugs stattfanden. Die Ermittlungsergebnisse sind in wesentlichen Bereichen zusammengefasst in mehreren Vermerken des Bundeskriminalamts, etwa denjenigen vom 7. Oktober 2014 betreffend die Struktur der TKP/ML in der Türkei, vom 23. September 2014 betreffend die Struktur der TKP/ML im Ausland, vom 1. Oktober 2014 betreffend die Finanzstrukturen, vom 2. Dezember 2012 betreffend die Propaganda, vom 19. Dezember 2014 betreffend jährliche Großveranstaltungen, vom 31. Oktober 2014 betreffend die Schulung und Rekrutierung, vom 10. Januar 2014 betreffend die Schleusungen und vom 29. September 2014 betreffend die Massenorganisationen. Auf die dortigen Ausführungen und die angeführten Beweismittel wird ergänzend Bezug genommen.
14
3. Danach besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte sich wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b StGB) strafbar gemacht hat.
15
Die TKP/ML erfüllt alle Voraussetzungen, die nach ständiger Rechtsprechung an eine Vereinigung im Sinne der genannten Vorschriften zu stellen sind (vgl. LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 18 ff. mwN). Ihre Zwecke und ihre Tätigkeit sind in einem für die Erfüllung des Tatbestands ausreichendem Maße (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 1999 - StB 5/99, NStZ 1999, 503, 504; 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 174) darauf gerichtet, Tötungsdelikte und sonstige Straftaten zu begehen, die von § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB erfasst werden. Der Schwerpunkt ihrer Organisationsstruktur und ihr Akti- onsfeld liegen in der Türkei und damit im Ausland (zu den für die Abgrenzung von in- und ausländischen Vereinigungen maßgeblichen Kriterien vgl. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 262/11, juris Rn. 15 ff.).
16
Der Beschuldigte gehört mit großer Wahrscheinlichkeit zu den Rädelsführern der TKP/ML (§ 129a Abs. 4 StGB). Rädelsführer ist, wer in der Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt. Dies ist dann der Fall, wenn die Tätigkeit von Einfluss ist auf die Führung der Vereinigung im Ganzen oder in wesentlichen Teilen , wenn also der Täter, falls er nicht schon selbst zu den Führungskräften gehört, doch durch sein Tun gleichsam an der Führung mitwirkt. Eine rein formale Stellung innerhalb eines Führungsgremiums reicht für sich genommen noch nicht aus. Der vom Täter ausgeübte Einfluss muss der Sache nach beträchtlich sein und sich auf die Vereinigung als solche richten, mithin etwa die Bestimmung der Organisationszwecke, -tätigkeiten oder -ziele, die ideologische Ausrichtung der Vereinigung, deren Organisationsstruktur oder sonstige Belange mit für die Vereinigung wesentlicher Bedeutung betreffen (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 16. Februar 2012 - 3 StR 243/11, BGHSt 57, 160, 161 f.). Diese Voraussetzungen liegen nach dem derzeitigen Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts vor. Der Beschuldigte war über einen langen Zeitraum Mitglied der höchsten Gremien der TKP/ML, namentlich der 7. und 8. Parteikonferenz sowie des 7. und 8. Zentralkomitees. In diesen Funktionen nahm er aktiv die ihm zukommenden Führungsaufgaben wahr und bestimmte gemeinsam mit den weiteren Mitgliedern der genannten Komitees die wesentlichen Geschicke der Partei. Gegenstand seines bestimmenden Einflusses waren dabei - wie dargelegt - sämtliche Belange mit für die Partei und das Erreichen ihrer Ziele wesentlicher Bedeutung.
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Die gemäß § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB erforderliche Verfolgungsermächtigung ist erteilt; der notwendige Inlandsbezug ist gewahrt.
18
4. Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) ist gegeben. Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer nicht unerheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein entsprechend hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen auch mit Blick insbesondere auf die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten ausreichend gewichtige, die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass er, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird. Ergänzend wird auf die fortgeltenden Gründe des Haftbefehls verwiesen. Daneben besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StGB). Somit kann offen bleiben, ob - wovon der Haftbefehl ausgeht - auch der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 1 Nr. 3 StGB) anzunehmen ist.
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Unter den gegebenen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass auch durch sie der Zweck der Untersuchungshaft erreicht werden kann.
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5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft. Die an dem Tag der Festnahme durchgeführten Durchsuchungen haben zur Sicherstellung einer Vielzahl von Asservaten geführt. Diese umfassen insbesondere knapp 30.000 elektronisch gespeicherte Textdateien. Deren Auswertung dauert noch an, wobei die Ermittlungsbehörden erkennbar bemüht sind, durch die Konzentration der Ermittlungen auf besonders bedeutsame Bereiche mit der gebotenen Schnelligkeit weitere Ergebnisse zu erzielen. Hinsicht- lich der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 8. Oktober 2015 Bezug genommen. Auch wenn sich unter den neu aufgefundenen Beweismitteln besonders verfahrensrelevante befinden, wie etwa die von der Vereinigung erstellten Berichte über die Versammlungen des Zentralkomitees in den Jahren 2009 bis 2013, und diese zu weiteren wesentlichen Ergebnissen führen können, darf allerdings nicht aus dem Blick geraten, dass die Ermittlungen gegen die TKP/ML und den Beschuldigten bereits eine geraume Zeit andauern und - wie die ausgesprochen substantiierten Ausführungen in dem Haftbefehl belegen - bereits zu detaillierten Erkenntnissen geführt haben. Unter diesen Umständen gebietet es der in Haftsachen geltende Beschleunigungsgrundsatz, dass der Generalbundesanwalt seine mitgeteilte Absicht, die Anklage zeitnah erheben zu wollen, noch vor der nächsten Haftprüfung durch den Senat umsetzt.
21
6. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu dem gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwurf nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Schäfer Spaniol
18
Sollte sich erneut die Frage der Rädelsführerschaft (§ 129 Abs. 4 StGB) stellen, so wird zu beachten sein, dass diese im Hinblick auf alle selbständig abzuurteilenden mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte einheitlich zu beurteilen ist; denn für die Anwendbarkeit des § 129 Abs. 4 StGB kommt es nach dem Gesetzeswortlaut nur darauf an, ob der Täter zu den Rädelsführern der Vereinigung gehört, nicht hingegen, ob er bei dem Beteiligungsakt auch konkret als Rädelsführer agiert.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
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Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
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3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
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aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
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(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
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Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
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(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
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(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
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(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
34
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
37
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
39
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
40
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
43
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
44
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
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Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
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Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
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bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
20
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
22
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
23
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
24
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
25
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
26
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
27
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
29
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
32
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
34
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
36
(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
37
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
38
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
39
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
40
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
43
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
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Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
45
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
46
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
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b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
51
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
__________
StB 9/12
vom
8. Oktober 2012
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 8. Oktober 2012
gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2012 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 17. November 2009 in Untersuchungshaft , zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09), sodann aufgrund des diesen ersetzenden Haftbefehls des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Januar 2011. Danach liegt dem Angeklagten zur Last, in 26 Fällen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie in 39 Fällen Kriegsverbrechen, jeweils in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, begangen zu haben. Er soll seit Juni 2004 1. Vizepräsident der "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR), einer vor allem im Osten der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen Milizenorganisation, gewesen sein und es von Januar 2008 bis zu seiner Festnahme als militärischer Befehlshaber unterlassen ha- ben, seine Untergebenen daran zu hindern, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Wegen dieser Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt unter dem 7. Dezember 2010 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 4. Mai 2011 begonnen. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 hat das Oberlandesgericht Anträge der Verteidigung, den Haftbefehl aufzuheben, zurückgewiesen.
2
Der Senat hatte zuvor im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f. StPO mit Beschlüssen vom 17. Juni 2010 (AK 4/10), 28. Oktober 2010 (AK 14/10) und 8. Februar 2011 (AK 3/11) jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Er hatte dabei auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland abgestellt und offen gelassen, ob der Angeklagte darüber hinaus dringend verdächtig ist, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen zu haben.
3
Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 19. Juni 2012 erneut die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die bisherige Hauptverhandlung genüge nicht dem Beschleunigungsgebot; zudem stützten die in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel den Anklagevorwurf nicht. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 29. Juni 2012 zurückgewiesen. Es hat den Gang der Hauptverhandlung näher dargelegt und ausgeführt, der Angeklagte sei weiterhin dringend verdächtig, die ihm im Haftbefehl und in der Anklage zur Last gelegten Taten begangen zu haben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der weiterhin einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend macht und vorträgt, ein dringender Tatverdacht bestehe nicht. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel gemäß Vermerk vom 10. August 2012 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die bisher durchgeführte Beweisaufnahme habe das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ganz überwiegend bestätigt. Es bestehe weiterhin der dringende Verdacht, dass der Angeklagte der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung schuldig sei sowie die ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ungeachtet einer bestehenden Verantwortlichkeit nach § 4 VStGB - insoweit über die rechtliche Würdigung in Haftbefehl und Anklageschrift hinaus - in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen begangen habe.
4
II. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache zu neuer Bescheidung durch das Oberlandesgericht ; denn die dem Senat bislang unterbreiteten tatsächlichen Grundlagen reichen für eine abschließende Beurteilung des dringenden Tatverdachts bezüglich der dem Angeklagten vorgeworfenen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch und damit der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft nicht aus.
5
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB). Demgegenüber kann der Senat derzeit nicht abschließend bewerten, ob der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit die ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 3, 6, 8, 9, Abs. 3, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, Abs. 4 Satz 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VStGB), sei es in Verbindung mit der Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber oder anderer Vorgesetzter (§ 4 VStGB), sei es in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen (§ 25 Abs. 1 Alt. 2, § 13 Abs. 1 StGB), begangen hat.
6
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
7
b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht vor dem Hintergrund des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift zusammengefasst ist, ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nicht in Frage stellen, den der Senat auf der Grundlage des jeweiligen Ermittlungsergebnisses in seinen Haftprüfungsentscheidungen ebenfalls bejaht hatte. Es besteht auch bei sachgerechter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kein Anlass anzunehmen, eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die FDLR eine auf die Begehung der in § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Verbrechen gerichtete ausländische Vereinigung ist und der Angeklagte sich an dieser als 1. Vizepräsident und damit als hochrangiges Mitglied beteiligte, liege nicht mehr vor.
8
c) Demgegenüber kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen des Oberlandesgerichts auch mit Blick auf den Inhalt der Anklageschrift und den Beschluss vom 21. Dezember 2011 nicht abschließend beurteilen , ob der Angeklagte dringend verdächtig ist, sich wegen der ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafbar gemacht zu haben. Die Zurechnung der in der DRC begangenen Verbrechen über § 4 VStGB setzt u.a. voraus, dass der Angeklagte die Möglichkeit hatte, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (vgl. im Einzelnen, BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 168). Damit der Senat diese - in seinen Haftprüfungsentscheidungen offen gelassene - Frage in einer die Entscheidung über die Beschwerde des Angeklagten tragenden Weise bewerten kann, bedarf es einer substantiierteren Darlegung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Oberlandesgericht, als dies bislang geschehen ist. Von besonderem Belang sind dabei Ausmaß und Inhalt der Kontakte des Angeklagten zu den vor Ort in der DRC agierenden Einheiten der FDLR sowie das Maß der Verbindlichkeit eventueller Vorgaben bzw. Anweisungen. Zu der - soweit für den Senat ersichtlich vom Generalbundesanwalt in seiner Erwiderung auf die Beschwerde erstmals aufgeworfenen - Frage, ob der Angeklagte mit großer Wahrscheinlichkeit sogar darüber hinaus als mittelbarer Täter für die vor Ort begangenen Verbrechen strafrechtlich verantwortlich ist, verhält sich die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts naturgemäß ebenfalls nicht.
9
Der Senat weist zur Klarstellung darauf hin, dass er als Beschwerdegericht ohne eigene Erkenntnismöglichkeiten bezüglich des Inhalts der Hauptver- handlung zwar in die Lage versetzt werden muss, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöhten Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 23) ausreichend Rechnung getragen werden kann. Dies bedeutet indes nicht, dass das verhandelnde Tatgericht in Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu einer umfassenden Darstellung der Würdigung aller bislang erhobenen Beweise verpflichtet ist. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung sind den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368). Weiter entspricht es der Natur der Sache, dass die vom Tatgericht vorzunehmende Würdigung vorläufigen Charakter hat und für sich genommen nicht geeignet ist, etwa den Vorwurf der Voreingenommenheit der beteiligten Richter zu begründen.
10
2. Da der Senat den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht abschließend zu beurteilen vermag, ist derzeit auch eine endgültige Entscheidung darüber nicht möglich, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) zu vereinbaren ist.
11
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegt allerdings ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vor.
12
aa) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (BVerfG aaO, juris Rn. 19 ff.). Bei der danach gebotenen auf den Einzelfall bezogenen Prüfung des Verfahrensablaufs sind etwa der Umfang und die Komplexität der Rechtssache, die Anzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.).
13
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist - im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung - die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Vielmehr ist angesichts der maßgebenden konkreten Umstände die Verfahrensweise des Oberlandesgerichts als angemessen zu bewerten.
14
Das Oberlandesgericht hat die (ohne Anlage) 189 Seiten umfassende Anklageschrift vom 7. Dezember 2010 mit Beschluss vom 1. März 2011 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Vorsitzende hat bereits am 17. März 2011 Termine zur Hauptverhandlung ab dem 4. Mai 2011 bestimmt, und zwar regelmäßig auf montags sowie mittwochs. Insgesamt sind bis zum 29. Juni 2012 84 Hauptverhandlungstage durchgeführt worden, die im Wesentlichen mehr als fünf, teilweise auch mehr als acht Stunden andauerten. Somit sah nicht nur die Planung der Hauptverhandlung mehr als einen Verhandlungstag pro Woche vor, sondern es ist durchschnittlich auch an mehr als einem Tag pro Woche verhandelt worden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07, BVerfGK 12, 166). Es widerspricht dem Beschleunigungsgebot nicht, dass in der ersten Aprilhälfte 2012 und Ende Mai/Anfang Juni 2012 im Hinblick auf die Ostertage bzw. das Pfingstfest keine Verhandlungen stattfanden; denn dieses lässt Unterbrechungen für eine angemessene Zeit bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198).
15
In Bedacht zu nehmen ist daneben, dass das Verfahren sich gegen zwei Angeklagte richtet und u.a. die Aufklärung der sich über mehrere Jahre erstreckenden Tätigkeit des Angeklagten für die FDLR sowie von 15 verschiedenen Überfällen in der DRC erfordert. Das Oberlandesgericht hat bis zum Zeitpunkt seiner angegriffenen Entscheidung u.a. 27 Zeugen und Sachverständige vernommen , wovon 15 aus dem Ausland, vornehmlich Ruanda angereist waren. Daneben wurden zahlreiche SMS, E-Mails und sonstige Urkunden verlesen sowie Telefonate und Videoaufzeichnungen von teilweise erheblicher Dauer in Augenschein genommen. Da ein Großteil der Beweismittel nur mit Hilfe eines Übersetzers für die Sprache Kinyarwanda in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnte, musste bei der Bestimmung der Verhandlungszeiten auf des- sen Belange angemessen Rücksicht genommen werden. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass diese Komplexität des Verfahrensstoffs insbesondere eine umfangreiche Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Hauptverhandlungstage notwendig macht.
16
Vor diesem Hintergrund lässt eine vorausschauende Verhandlungsplanung es zudem gerade sinnvoll erscheinen, jeweils Freiräume zwischen den einzelnen Verhandlungstagen auch deshalb einzuplanen, damit diese für notwendige Zwischenberatungen etwa über zu bescheidende Anträge zur Verfügung stehen und auf diese Weise das geplante Hauptverhandlungsprogramm ohne Änderung im zeitlichen Ablauf durchgeführt werden kann. Die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens zeigt sich beispielsweise daran, dass das Oberlandesgericht - abgesehen von sonstigen Anträgen - bisher über wenigstens acht Ablehnungsgesuche wegen der Besorgnis der Befangenheit zu befinden hatte.
17
b) Die Frage, ob der weitere Vollzug der Untersuchungshaft im Übrigen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, kann der Senat derzeit nicht abschließend beurteilen. Dies hängt - wenn auch nicht ausschließlich, so doch - wesentlich von der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - vom hypothetischen Strafende ab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, juris Rn. 25). Hierfür ist von maßgeblicher Bedeutung, ob der Angeklagte - möglicherweise auch - wegen der ihm zur Last liegenden Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verurteilen sein wird. Die Prüfung des diesbezüglichen dringenden Tatverdachts ist dem Senat jedoch - wie dargelegt - zurzeit nicht möglich.
18
III. Bei dieser Sach- und Rechtslage scheidet eine abschließende Sachentscheidung des Senats ausnahmsweise aus. Die vorliegende Fallkonstellation entspricht derjenigen, bei der ein Verfahrensmangel vorliegt, den das Beschwerdegericht nicht beheben kann (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 309 Rn. 8 mwN). Das Begehren des Angeklagten bedarf deshalb insgesamt neuer Befassung und Entscheidung durch das Oberlandesgericht, das dabei ebenfalls über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben wird.
Becker Schäfer Spaniol

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
20
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
22
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
23
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
24
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
25
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
26
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
27
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
29
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
32
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
34
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
36
(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
37
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
38
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
39
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
40
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
43
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
44
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
45
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
46
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
47
(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
49
aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
51
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Ein militärischer Befehlshaber oder ziviler Vorgesetzter, der es unterlässt, seinen Untergebenen daran zu hindern, eine Tat nach diesem Gesetz zu begehen, wird wie ein Täter der von dem Untergebenen begangenen Tat bestraft. § 13 Abs. 2 des Strafgesetzbuches findet in diesem Fall keine Anwendung.

(2) Einem militärischen Befehlshaber steht eine Person gleich, die in einer Truppe tatsächliche Befehls- oder Führungsgewalt und Kontrolle ausübt. Einem zivilen Vorgesetzten steht eine Person gleich, die in einer zivilen Organisation oder einem Unternehmen tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle ausübt.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit wegen Unterlassens
von Mitgliedern des Politbüros des Zentralkomitees der SED
für vorsätzliche Tötungen von Flüchtlingen durch Grenzsoldaten
der DDR (im Anschluß an BGHSt 40, 218 und 45, 270).
BGH, Urt. v. 6. November 2002 – 5 StR 281/01
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. November 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt He
als Verteidiger des Angeklagten H ,
Rechtsanwalt A
als Verteidiger des Angeklagten B ,
Rechtsanwalt W
als Verteidiger des Angeklagten L ,
Rechtsanwalt P
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Juli 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Gegenstand des Verfahrens ist die Tötung von vier Menschen, die zwischen 1984 und 1989 unbewaffnet und ohne Gefährdung anderer versuchten , die DDR über die damalige Grenze nach Berlin (West) zu verlassen.
Die Anklage wirft den Angeklagten folgendes vor: Sie hätten während ihrer jeweiligen Mitgliedschaft im Politbüro des Zentralkomitees der SED der DDR einen Totschlag durch Unterlassen begangen. Dabei werden den Angeklagten B und L die Tötungen der Flüchtlinge Bi , S und G (Fälle 2 bis 4) zur Last gelegt. Dem Angeklagten H wird jedenfalls die Tötung des Flüchtlings M Sch (Fall 1) vorgeworfen. Die Frage, ob der Anklagevorwurf gegen diesen Angeklagten auch die Tötung der drei Flüchtlinge Bi , S und G – insbesondere begangen durch eine Mit- wirkung am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 – umfaßt, wird vom Landgericht und der Staatsanwaltschaft unterschiedlich beurteilt.
Das Landgericht hat die Angeklagten aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hat im wesentlichen folgendes festgestellt: Der Angeklagte H war Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED vom 24. Mai 1984 bis zum 22. November 1985. Er hatte zahlreiche Kontakte in die Bundesrepublik Deutschland und unternahm „kleine Schritte“, um „in Fragen der Grenze und der Freizügigkeit eine Änderung zum Besseren herbeizuführen“. Auch nach seiner Wahl zum Mitglied des Politbüros war er „bestrebt, unter Ausnutzung seiner guten Kontakte durch realistische Schritte und Verbesserungen mit Langzeitwirkung konkrete Erfolge zu erreichen ... Diese seine Bemühungen scheiterten jedoch bereits am 17. August 1984, als der Generalsekretär Erich Honecker auf einer Geheimsitzung in Moskau der sowjetischen Führung die Gründe für seine geplante Reise in die Bundesrepublik Deutschland und in diesem Zusammenhang die von dem Angeklagten H vorformulierten Überlegungen und Vorstellungen zu einem verbesserten Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland im humanitären Bereich vortrug und auf strikte Ablehnung seitens der Sowjetunion stieß.“ Die Angeklagten B und L waren Mitglieder des Politbüros vom 21. April 1986 bis November 1989.
Der Flüchtling Sch wurde am 1. Dezember 1984 beim Überklettern der Berliner Mauer durch Schüsse der Grenzsoldaten der DDR getroffen und verblutete. Am 24. November 1986 wurde Bi bei dem Versuch, die Grenzsperranlagen zu überwinden, von Schüssen der Grenzposten der DDR tödlich getroffen. Am 12. Februar 1987 wurde S bei dem Versuch, die Berliner Mauer zu überwinden, von Grenzposten der DDR erschossen. Am 5. Februar 1989 wurde G bei dem Versuch, die Grenzsperranlagen zu überwinden, durch Grenzposten der DDR beschossen; er erlag einem Brustdurchschuß.
Einen aktiven Beitrag der Angeklagten zu diesen Tötungen hat das Landgericht nicht festgestellt.
Das Landgericht hat die Freisprüche im wesentlichen mit folgendem begründet: Die Angeklagten hätten sich nach dem Strafrecht der DDR nicht strafbar gemacht. Zwar habe ihnen eine Pflicht zur Abwendung der Todeserfolge im Sinne des § 9 StGB-DDR oblegen. Dies ergebe sich aus einer Gesamtschau der Regelungen in Art. 1 und Art. 30 Abs. 2 der Verfassung der DDR von 1968 und in Art. 6 und 12 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II 1534 – IPbürgR –). Wenn den Angeklagten auch – angesichts begrenzter Entscheidungsfreiheit der DDR innerhalb des Warschauer Paktes – nicht der Vorwurf zu machen sei, nicht auf einen gänzlichen Abbau der Sperranlagen hingewirkt zu haben, so hätten sie doch die Pflicht gehabt, auf eine „Humanisierung“ des Grenzsystems, namentlich auf eine Einhaltung der Gesetze der DDR, insbesondere des Grenzgesetzes der DDR hinzuwirken. Solches sei ihnen auch zumutbar gewesen. Jedoch fehle es an der Kausalität zwischen Handlungsbeitrag und Erfolg, die nach dem Strafrecht der DDR „eindeutig bewiesen“ sein müsse.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihren Revisionen gegen die Freisprüche der drei Angeklagten. Die Nebenklägerin, Mutter des Getöteten Bi , greift mit ihren Revisionen die Freisprüche der Angeklagten B und L an. Die Rechtsmittel haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.

A.


Die den Freisprüchen zugrundeliegende Ansicht des Landgerichts, die Angeklagten hätten sich durch das ihnen zur Last gelegte Unterlassen nicht strafbar gemacht, weil es nach dem Recht der DDR an der Kausalität zwi-
schen ihrem jeweiligen Verhalten und den eingetretenen Todeserfolgen mangele, hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Auszugehen ist von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach für die Tötungen von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze nicht nur die Schützen, die jeweils die tödlichen Schüsse abgegeben haben, und die militärischen Vorgesetzten der Schützen, sondern auch diejenigen Personen strafrechtlich verantwortlich sein können, die politische Verantwortung für das Grenzregime der DDR trugen (vgl. dazu die Dokumentationen bei Laufhütte in Festschrift zum 50jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs , 2000, S. 409, 418 ff. und Willnow JR 1997, 221, 224 ff.; Marxen /Werle, Strafjustiz und DDR-Unrecht Bd. 2 – zwei Teilbände – Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze 2002). Allen in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ist jedoch gemein , daß sie ein aktives Tun der jeweiligen Beteiligten zum Gegenstand haben. Dagegen geht es im vorliegenden Verfahren um die Frage, ob die Angeklagten wegen bloßen Unterlassens für die Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze strafrechtlich verantwortlich sein können. Diese Frage ist zu bejahen.
Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen haben die Angeklagten sich strafbar gemacht. Sie haben nach dem Recht der DDR durch Unterlassen eine Beihilfe zum Mord (§ 112 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Nr. 3, § 9 StGB-DDR) und nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland einen Totschlag durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft (§§ 212, 13, 25 Abs. 1 StGB) begangen.

I.


Nach dem Recht der DDR gilt folgendes:
1. Die jeweiligen Schützen haben sich wegen Mordes nach § 112 Abs. 1 StGB-DDR strafbar gemacht (vgl. zu den hier vorliegenden Tötungsfällen BGHSt 39, 1 und 168; BGH, Beschl. vom 1. November 1995 – 5 StR 527/95; ferner BGHSt 40, 218, 231; 45, 270, 295). Zu den Taten dieser Täter führt eine ununterbrochene Verantwortlichkeitskette, ausgehend von den Trägern grundsätzlicher politischer Entscheidungen, vom Politbüro über den Nationalen Verteidigungsrat, das Ministerium für Nationale Verteidigung und die militärische Hierarchie der Grenztruppen der DDR. Diese Kette stellt sich in der Bewertung nach dem Strafrecht der DDR folgendermaßen dar: Die Mitglieder des Politbüros begingen mit ihrer Zustimmung zu entsprechenden Beschlüssen dieses Gremiums eine Anstiftung zum Mord (BGHSt 45, 270, 295). Ebenso begingen die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates mit ihrer Beteiligung an dessen Beschlüssen eine Anstiftung zum Mord (BGHSt 40, 218, 228, 231 f.; BGHSt 45, 270, 286 ff.). In Verfahren gegen die Generäle der Grenztruppen der DDR, deren Mitwirkung an Jahresbefehlen jeweils zu den hier gegenständlichen Tötungsfällen führte, hat der Bundesgerichtshof in Bestätigung der jeweiligen tatrichterlichen Urteile entschieden, daß die am Erlaß der Jahresbefehle beteiligten Offiziere wegen Anstiftung oder – soweit sie lediglich ihren Vorgesetzten zugearbeitet haben – wegen Beihilfe zum Mord schuldig sind (so BGHSt 44, 204 für die Befehlsebene 101; BGH, Beschl. vom 30. April 1997 – 5 StR 42/97 – und Beschl. vom 4. April 2000 – 5 StR 635/99 – für die Befehlsebene 80; BGH, Beschl. vom 8. November 1999 – 5 StR 732/98 – für die Befehlsebenen 40 und 20). Die jeweiligen Vergatterer der Schützen, deren Tatentschluß bereits durch die zuvor erfolgte generelle Befehlserteilung geweckt war, haben eine Beihilfe zum Mord begangen (BGHSt 47, 100; BGH, Beschl. vom 9. Oktober 2001 – 5 StR 375/01; Beschl. vom 23. Oktober 2001 – 5 StR 462/01 – und Beschl. vom 6. November 2001 – 5 StR 455/01).
2. Die Angeklagten wirkten an der Spitze dieser Verantwortungskette mit und haben sich damit strafbar gemacht. Die Angeklagten haften zwar weder aus den Gesichtspunkten der mittelbaren Täterschaft oder der Mittäterschaft noch wegen Anstiftung zum Mord, wohl aber wegen Beihilfe zum Mord (dazu unten 3).

a) Mittelbare Täterschaft scheidet aus. § 22 Abs. 1 StGB-DDR definiert als mittelbaren Täter denjenigen, der die Tat durch einen anderen, der für diese Tat selbst nicht verantwortlich ist, ausführen läßt (vgl. Strafrecht der DDR, Kommentar zum StGB 5. Aufl. 1987 – fortan als „DDR-Kommentar“ zitiert – § 22 Anm. 3). Diese Voraussetzungen sind hier deshalb nicht gegeben , weil die unmittelbar handelnden Personen selbst verantwortlich sind (vgl. BGHSt 40, 218, 229, 231).

b) Mittäterschaft nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 StGB-DDR liegt deshalb nicht vor, weil diese nach Rechtsprechung und Lehre der DDR voraussetzt, daß jeder der Beteiligten die Tatbestandsmerkmale unmittelbar selbst verwirklicht (OG NJ 1971, 242; DDR-Kommentar § 22 Anm. 5; Mühlberger NJ 1973, 287, 288; vgl. BGH aaO).

c) Anstiftung (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR) zu einem Tötungsdelikt kommt deshalb nicht in Betracht, weil Anstiftung durch Unterlassen dem Recht der DDR fremd ist (DDR-Kommentar § 22 Anm. 4; Strafrecht der DDR Allgemeiner Teil, Lehrbuch 2. Aufl. 1978 S. 379). Anstiftung durch Unterlassen wird auch bei Anwendung des Strafgesetzbuches weitgehend nicht anerkannt (Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 26 Rdn. 5; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 56; Roxin in LK 11. Aufl. § 26 Rdn. 61 ff. je m. w. N.), gehörte mithin nicht etwa zu den elementaren, auch bei Anwendung und Auslegung des Strafrechts in der DDR fraglos anerkannten Grundlagen des allgemeinen Strafrechts.
3. Die Angeklagten haben sich jedoch wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord strafbar gemacht. Beihilfe durch Unterlassen ist nach dem Recht der DDR gegeben, wenn der betreffenden Person eine Rechtspflicht nach § 9 StGB-DDR obliegt, gegen die strafbare Handlung des Täters einzuschreiten, und das Verhalten des Gehilfen die Straftat tatsächlich ermöglicht oder erleichtert hat (DDR-Kommentar § 22 Anm. 6). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Die Angeklagten leisteten durch ihr Unterlassungsverhalten Beihilfe zu den Mordtaten der Schützen. Die beschriebene ununterbrochene Anstiftungskette verbindet die Taten der Schützen mit den Taten der Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates, so daß die Beihilfe zu den letztgenannten Taten Beihilfe zu den Taten der Schützen ist. Wenngleich eine solche „Kettenteilnahme“ – soweit ersichtlich – in Rechtsprechung und Schrifttum der DDR keine ausdrückliche Erwähnung findet, ist sie gleichwohl nach dem Recht der DDR möglich. Dies ergibt sich schon daraus, daß nach der Systematik des § 22 StGB-DDR die „begangene Straftat“, zu der der Gehilfe im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 3 StGB-DDR Hilfe leistet, auch eine Anstiftung nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 StGB-DDR sein kann. Zudem hat sich das Strafrecht der DDR, soweit es nicht besondere neue Regelungen traf, von den überkommenen elementaren Grundsätzen der Straftatlehre nicht entfernt. Zu diesen Grundsätzen zählt die Regel, daß in der Beihilfe zur Anstiftung eine Beihilfe zur Haupttat liegt (RGSt 14, 318, 320; 59, 396, 397). Hiervon ist der Senat bereits ausgegangen, als er durch Beschlüsse nach § 349 Abs. 2 StPO die Verurteilung von Offizieren der Grenztruppen der DDR auch insoweit bestätigt hat, als diesen Verurteilungen eine Beihilfe zum Mord nach dem Recht der DDR zugrunde gelegt war (vgl. oben 1).

a) Die Angeklagten hatten als Mitglieder des Politbüros die Pflicht im Sinne des § 9 StGB-DDR, in diesem Gremium darauf hinzuwirken, daß die Tötung von Personen unterblieb, die einzig vorhatten, unbewaffnet aus der DDR oder Berlin-Ost in den westlichen Teil Deutschlands zu gelangen.
aa) Die nach § 9 StGB-DDR relevante Pflicht zum Handeln kann sich gemäß der dortigen enumerativen Aufzählung der möglichen Pflichtenquellen (vgl. DDR-Kommentar § 9 Anm. 2) namentlich aus dem Gesetz und aus dem Beruf des Täters ergeben. Soweit die Rechtspflichten des Täters sich nicht von vornherein aus einer Rechtsnorm oder aus schriftlichen Unterlagen wie einem Arbeitsvertrag oder einem Funktionsplan ergeben, ist auf Grund der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit festzustellen, welche Rechtspflichten im Sinne des § 9 StGB-DDR bestehen; hierfür kommen auch „ungeschriebene“ Pflichten in Betracht (Wittenbeck/Pompoes NJ 1971, 475, 476). Dabei gelten für eine derartige Erfolgsabwendungspflicht – in Abgrenzung von den einfachen strafrechtlichen Handlungspflichten (vgl. dazu Wittenbeck NJ 1971, 201) – zwei wesentliche Kriterien. Zum einen muß die Pflicht aus einer besonderen Verantwortung für den Schutz des verletzten Objektes, die sich aus der gesellschaftlichen Stellung oder aus dem Beruf ergibt, resultieren. Zum anderen muß die Pflicht direkt auf die Vermeidung und Abwendung von Schäden und Gefahren abzielen (Strafrecht der DDR, Lehrbuch 1988 S. 202). Solches kann sich insbesondere „aus der konkreten gesellschaftlichen Stellung des Täters“ (Wittenbeck/Pompoes aaO S. 477) und aus „rechtlich relevanten Verantwortungsbeziehungen“ ergeben, wofür „die leitende Stellung und Funktion eines Bürgers“ (Strafrecht der DDR aaO S. 203) an erster Stelle steht. In diesem Sinne hat das Oberste Gericht der DDR Betriebsleiter und andere leitende Mitarbeiter eines Betriebes für verantwortlich im Sinne des § 9 StGB-DDR erachtet (OG NJ 1976, 719). Es hat damit seine Rechtsprechung aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des StGB-DDR vom 12. Januar 1968 (GBl. I S. 1) fortgesetzt, wonach Personen in Führungsverantwortung – wie Betriebsleiter (OGSt 2, 105; 3, 318), Schulleiter (OGSt 9, 216, 220) und selbständige Unternehmer (OGSt 4, 80; 9, 292) – in gleicher Weise als Unterlassungstäter verantwortlich gemacht worden waren.
bb) Die Anwendung dieser Grundsätze ergibt, daß die Angeklagten als Mitglieder des Politbüros des Zentralkomitees der SED der DDR im Sinne
des § 9 StGB-DDR verpflichtet waren, gegen das praktizierte Grenzregime in der DDR einzuschreiten.
(1) Die Rechtspflicht der Mitglieder des Politbüros zum gebotenen Handeln folgt zunächst aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 und Art. 30 Abs. 1 und 3 der Verfassung der DDR von 1968 – fortan „VerfDDR“ –, ergänzend aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966 und der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Danach war der Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit in der DDR garantiert.
(a) Dies folgt schon aus dem Verfassungsrecht der DDR. Art. 30 VerfDDR lautet in seinen Absätzen 1 und 3:
„(1) Die Persönlichkeit und Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar.
(3) Zum Schutze seiner Freiheit und der Unantastbarkeit seiner Persönlichkeit hat jeder Bürger den Anspruch auf die Hilfe der staatlichen und gesellschaftlichen Organe.“
Wenngleich Leben und körperliche Unversehrtheit in dieser Vorschrift nicht ausdrücklich genannt sind, war doch im Verfassungsrecht der DDR anerkannt , daß auch diese Rechtsgüter der Unantastbarkeitsgarantie des Art. 30 Abs. 1 VerfDDR unterfielen. So sagt der Kommentar zur Verfassung der DDR: „Der Schutz der Persönlichkeit und Freiheit umfaßt nicht nur den Schutz der körperlichen Unversehrtheit, des Lebens und der Gesundheit ...“ (Verfassung der DDR, Kommentar 1969 Art. 30 Anm. 1; vgl. auch Brunner, Menschenrechte in der DDR 1989 S. 111, 113; BGHSt 39, 1, 23). Allerdings steht Art. 30 VerfDDR in Kapitel 1 unter der Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten der Bürger“. Diese Grundrechte der Bürger waren zwar subjektive Rechte und wurden zugleich als Menschenrechte bezeichnet (Staats-
recht der DDR, Lehrbuch 2. Aufl. 1984 S. 180/181). Dabei wurden die Be- griffe Grundrechte, Bürgerrechte und Menschenrechte auswechselbar benutzt (Klenner in Klaus/Buhr, Philosophisches Wörterbuch 12. Aufl. 1976 Bd. 2 S. 779; Kuczynski, Menschenrechte und Klassenrechte 1978 S. 33; vgl. auch Marxistisch-leninistische Staats- und Rechtstheorie 3. Aufl. 1980 S. 413 ff.). Sie wurden jedoch nicht als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat verstanden (Haney Staat und Recht 1962, 1063, 1069 f.; Riege in Poppe u.a., Politische und persönliche Grundrechte in den Kämpfen unserer Zeit 1984 S. 55). Hintergrund dessen war, daß nach dem Staatsverständnis der DDR „gesellschaftliche Erfordernisse“, Staatsziele und Bürgerinteressen deckungsgleich waren (Klenner aaO S. 782; grundsätzlich dazu Klenner, Studien über die Grundrechte 1964; Klenner, Marxismus und Menschenrechte 1982; Kuczynski aaO jeweils passim). Gleichwohl wurde diesen Grundrechten in der Staatsrechtslehre der DDR im Rahmen einer „wechselseitigen Verantwortung von Staat und Bürger" (Riege aaO) ausdrücklich der Charakter einer „Schutzfunktion“ zugunsten der Bürger zugeschrieben (Riege aaO; Schüßler Deutsche Zeitschrift für Philosophie 1982, 1200, 1205; ähnlich Verfassung der DDR, Kommentar aaO; vgl. auch Poppe Staat und Recht 1980, 674, 679; Bradter, Moral – Motiv – Verhalten 1976 S. 44). Es wurde gar ausdrücklich formuliert, daß der Staat „den Schutz der persönlichen Freiheiten der Bürger gegen einen gesetzwidrigen Eingriff einzelner Staatsorgane, Staatsfunktionäre und Bürger, wenn notwendig, durch positives Handeln zu garantieren“ habe (Marxistisch-leninistische allgemeine Theorie des Staates und des Rechts 1975 Bd. 3 S. 284), daß der Staat verpflichtet sei, „aktiv gewisse Menschenrechte zu sichern dadurch, daß er ständig zu ihrem Schutz eingreift – etwa im Falle des Menschenrechts auf Sicherheit“ (Kuczynski aaO S. 38). Danach sind die Vorschriften des Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR als ein im Sinne des § 9 StGB-DDR pflichtbegründendes Gesetz zu verstehen.
(b) Es treten die Vorschriften der Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom
19. Dezember 1966 (IPbürgR) hinzu. Der Senat hat in seinem Urteil BGHSt 39, 1, 16 f. ausgeführt, daß dieser Pakt die DDR völkerrechtlich band, obwohl die DDR es nach Beitritt und Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde unterlassen hat, den Pakt gemäß Art. 51 VerfDDR zum Anlaß für innerstaatliche Gesetzesänderungen zu nehmen und von der Volkskammer „bestätigen“ zu lassen.
(c) Schließlich tritt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948) hinzu, deren rechtliche Bedeutung der Senat in seinem Urteil BGHSt 40, 241, 245 ff. beschrieben hat.
(2) Die Angeklagten waren als Mitglieder des Politbüros persönlich zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit auch derjenigen Bürger der DDR verpflichtet, die die DDR gewaltlos verlassen wollten. Zu den nach Art. 30 Abs. 3 VerfDDR zur Hilfe berufenen staatlichen und gesellschaftlichen Organen zählte in erster Linie das Politbüro. Die politische Macht in der DDR ging von einem Herrschaftszentrum aus. Dieses umfassend und unkontrolliert herrschende Führungszentrum der DDR war das Politbüro des Zentralkomitees der SED, die für alle Bereiche der DDR einen Alleinführungsanspruch erhob. Dieser Alleinführungsanspruch der SED war verfassungsrechtlich gesichert durch Art. 1 Abs. 1 VerfDDR:
„Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei.“
Das Politbüro war das höchste Entscheidungsgremium der SED und damit das höchste Machtorgan der DDR. Jede grundsätzliche politische Entscheidung wurde im Politbüro gefällt. Das Politbüro befaßte sich insbesondere mit der Außen-, der Sicherheits- und der Innenpolitik. Es regelte grundle-
gende übergreifende Bereiche auch in Detailfragen. Die Entscheidungen des Politbüros hatten absolute Bindungswirkung für die Mitglieder der SED, deren Aufgabe es war, die Beschlüsse des Politbüros insbesondere durch den vollständig instrumentalisierten Staatsapparat zu verwirklichen. Auch gegenüber dem Ministerium für Nationale Verteidigung und den Streitkräften beanspruchte das Politbüro eine führende Rolle, die es mit Hilfe der Kadernomenklatur und der sogenannten Politorgane verwirklichte. Dies hat der Senat in seinem Urteil BGHSt 45, 270, 280 ff. ausführlich dargestellt.

b) Danach waren die Angeklagten verpflichtet, ihre Machtposition als Mitglieder des Politbüros in der Weise zu nutzen, daß sie auf eine Änderung des praktizierten Grenzregimes der DDR im Sinne eines Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit von Flüchtlingen hinwirkten. Zur Erreichung des Ziels einer solchen Humanisierung des Grenzregimes wäre nicht etwa die Öffnung der Grenzen der DDR zum westlichen Teil Deutschlands oder der Abbau der mechanischen Sperrwerke an dieser Grenze erforderlich gewesen. Vielmehr hat die Praxis der DDR bei besonderen Anlässen, wie Staatsbesuchen und Parteitagen, als Erschießungen an der Grenze – scil. Nachrichten hiervon – vermieden werden sollten, gezeigt, daß etwa eine Postenverdichtung an der Grenze es ermöglichte, Flüchtlinge handgreiflich zu stellen, statt sie aus größerer Entfernung zu erschießen (vgl. BGHSt 45, 270, 303). Zumindest in diesem Sinne hatten die Angeklagten sich im Politbüro zu äußern und entsprechende Anträge zu stellen.

c) Das Unterlassen der Angeklagten war für die von den Schützen begangenen Tötungshandlungen jedenfalls in der Weise kausal, die nach dem Recht der DDR für die Beihilfe vorausgesetzt wird.
aa) Für die Kausalität der Beihilfe genügt danach, daß das Verhalten des Gehilfen die Straftat „tatsächlich ermöglicht oder erleichtert“ hat (DDRKommentar § 22 Anm. 6). Dies ist hier erfüllt. Die Verantwortlichen auf allen Ebenen – vom Nationalen Verteidigungsrat bis hin zu den Schützen – han-
delten in dem Bewußtsein, daß ihr Tun vom höchsten Führungsorgan der DDR, dem Politbüro des Zentralkomitees der SED, getragen und gebilligt war. Dies stärkte ihre Motivation zur Begehung ihrer jeweiligen Taten.
bb) Anderes ergibt nicht etwa der Gedanke, daß die Angeklagten mit der ihnen gebotenen Initiative naheliegenderweise am Widerstand einer Mehrheit der anderen Mitglieder des Politbüros gescheitert wären, sie die weitere Tötung von Flüchtlingen also nicht verhindert hätten. Es ist nämlich in der Rechtsprechung des Obersten Gerichts der DDR anerkannt, daß mehrere sich parallel verhaltende Täter regelmäßig für den eingetretenen Erfolg nebeneinander strafrechtlich verantwortlich sind. Dies gilt zunächst für den Fall mehrerer parallel, aber unabhängig voneinander aktiv vorgehender Täter (OGSt 3, 330) und für die Fälle, in denen ein Täter aktiv handelt und daneben ein Handlungspflichtiger untätig bleibt (OGSt 8, 204; 9, 325 m. Anm. Wittenbeck NJ 1967, 484; OGSt 14, 147). Insbesondere hat das Oberste Gericht der DDR in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen, daß die strafrechtliche Haftung eines Unterlassungstäters nicht etwa dadurch ausgeschlossen ist, daß andere in gleicher Weise Handlungspflichtige ebenfalls untätig geblieben sind (so OGSt 2, 105, 108 zum Fall paralleler Verantwortlichkeit des Bergbaubetriebsleiters und Angehöriger mehrerer Bergbauaufsichtsbehörden ; OGSt 9, 255, 263 f. betreffend mehrere zum Brandschutz verpflichtete Betriebsangehörige; OGSt 9, 292 für das Verhältnis von Fahrzeughalter und Fahrzeugreparateur; OGSt 11, 223, 232 betreffend zwei Ärzte, die nebeneinander eine rechtzeitige Operation unterließen; OG NJ 1976, 719 betreffend mehrere leitende, für die Maschinensicherheit verantwortliche Betriebsmitarbeiter). Hierzu ist hervorzuheben, daß in allen diesen Fällen die Kausalität von täterschaftlichem Unterlassen, nicht etwa die Ursächlichkeit bloßer durch Unterlassen begangener Beihilfe in Rede stand.
cc) Soweit im Kommentar zum StGB-DDR als weitere Voraussetzung der Kausalität der Beihilfe genannt ist, daß der Täter die ihm gewährte Unterstützung ausgenutzt haben müsse, während nur straflose versuchte Bei-
hilfe vorliege, wenn der Täter von der Unterstützung des Gehilfen keinen Gebrauch gemacht habe (DDR-Kommentar § 22 Anm. 6), bleiben dabei ersichtlich die Fälle der Beihilfe durch Unterlassen außer Betracht, die indes in der genannten Kommentierung – unmittelbar davor – bestätigend erläutert wird.
dd) Der Strafbarkeit der Angeklagten wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord steht schließlich keinesfalls entgegen, daß nicht festzustellen ist, die Schützen, die die jeweils tödlichen Schüsse abgegeben haben, seien bereits zu ihren Taten entschlossen gewesen, als die Angeklagten sich jeweils pflichtwidrig verhielten. Allerdings findet sich im Kommentar zum StGB-DDR im Rahmen der Umschreibung der Beihilfe die Wendung , daß der Gehilfe „den zur Ausführung der Tat bereits entschlossenen Täter“ unterstützt (aaO § 22 Anm. 6). Dies ist jedoch nicht etwa dahin zu verstehen , daß nur dem als omnimodo facturus handelnden Täter Beihilfe geleistet werden könnte. Vielmehr handelt es sich bei der genannten Passage erkennbar um eine Abgrenzung zur Anstiftung, die nach der gleichen Kommentierung eine „vorher nicht gewollte Straftat“ voraussetzt (aaO § 22 Anm. 4). Gemeint ist mit den beiden zitierten Wendungen, daß vom Teilnehmer ausgehende Impulse, die den Tatentschluß des Täters erst auslösen, nicht – nur – die nach der Systematik des § 22 StGB-DDR (Abs. 2 Nr. 1 und 3, Abs. 4 Satz 1) letztrangige und minderstrafwürdige Beihilfe konstituieren, sondern regelmäßig eine Anstiftung begründen werden (vgl. Strafrecht der DDR Allgemeiner Teil Lehrbuch 2. Aufl. 1978 S. 376 f.). Entsprechendes hat der Senat mit seinen Ausführungen in BGHSt 40, 218, 229, 231 und 45, 270, 302 bereits zum Ausdruck gebracht.

d) Auch die Zumutbarkeit des sub b beschriebenen Verhaltens war gegeben. Während die Zumutbarkeit normgemäßen Verhaltens des Handlungspflichtigen in der kommentierenden und in der systematischen Darstellung des Strafrechts der DDR keinen Platz – gar im Sinne einer gesonderten Voraussetzung der Haftung des Unterlassungstäters – findet, ist diese Zu-
mutbarkeit doch vom Obersten Gericht der DDR formuliert worden: Danach wird der Rettungspflichtige von seiner Hilfspflicht nicht dadurch befreit, daß er im Fall der Hilfeleistung mit Strafverfolgung rechnen muß, sofern es um die Rettung eines Menschen aus Lebensgefahr geht (OGSt 3, 192 f.). Dementsprechend war den Angeklagten – angesichts der jederzeit akuten Gefährdung des Lebens von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze – das gebotene Tun auch zuzumuten. Diskriminierungen oder gar Amtsverlust hätten sie hinnehmen müssen.

II.


Nach dem Strafgesetzbuch haben die drei Angeklagten sich auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen wegen Totschlags , begangen in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen, strafbar gemacht.
1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft durch Unterlassen anerkannt (BGHSt 40, 257, 265 ff.).
Auch im Schrifttum wird mittelbare Täterschaft in der Form der Unterlassung für möglich gehalten (so Baumann JuS 1963, 85, 91; Baumann /Weber/Mitsch, Strafrecht AT 10. Aufl. S. 624; Blei, Strafrecht AT 18. Aufl. S. 260; Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 845 f.; Maurach /Gössel/Zipf, Strafrecht AT Teilbd. 2, 7. Aufl. S. 280; Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 706; in diesem Sinne auch Brammsen NStZ 2000, 337). Dagegen wird von anderen Autoren die Rechtsfigur der mittelbaren Unterlassungstäterschaft abgelehnt oder als obsolet erachtet (Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 25 Rdn. 54 f.; Grünwald GA 1959, 110, 122; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT 5. Aufl. S. 673; Armin Kaufmann, Dogmatik der Unterlassungsdelikte 1959, S. 190; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 216 sowie Täterschaft und Tatherrschaft 7. Aufl. S. 471 f.; Stratenwerth,
Strafrecht AT I 4. Aufl. S. 403; Welzel, Strafrecht 11. Aufl. S. 206). Manche der genannten Autoren nehmen statt mittelbarer Täterschaft „unmittelbare Unterlassungstäterschaft“ an (so Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 216; ähnlich Jescheck/Weigend aaO), was für die Praxis auf ein gleichwertiges Ergebnis hinausläuft.
In der bisherigen rechtswissenschaftlichen Diskussion ist die hier vorliegende Konstellation, daß mehrere – jedenfalls, wie hier, gleichrangige – Inhaber zentraler staatlicher Macht es gleichzeitig pflichtwidrig unterlassen, ein bestehendes, von ihren Weisungen abhängiges hierarchisch organisiertes System zu ändern, das die Gefahr jederzeitiger rechtswidriger Tötung von Menschen birgt, nicht in den Blick genommen worden, so daß sie auch in den genannten kritischen Stellungnahmen keine Beachtung findet. Schließlich kann die Anwendung der Regeln über die mittelbare Täterschaft auf die Fälle des Unterlassens nicht daran scheitern, daß im Fall des Unterlassens ein „Anstoß“ durch den Hintermann fehlt (so aber Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft 7. Aufl. S. 471), ein „wirklicher Geschehensablauf gerade nicht herbeigeführt wird“ (so aber Stratenwerth aaO; ähnlich Grünwald aaO). Denn mittelbare Täterschaft setzt weder eine Aktivität des Täters noch eine Kausalität nach dem für aktives Tun geltenden Regeln voraus. Grundlage der Haftung des pflichtwidrig untätigen Hintermannes ist vielmehr allein, daß das Handeln Dritter ihm wegen seiner Tatherrschaft zugerechnet wird (vgl. Schmidhäuser aaO). Diese Zurechnung ersetzt – im Vergleich zur aktiven mittelbaren Täterschaft – sein Tun. Fragen der Kausalität haben ihren Platz an anderer Stelle.
2. Es führt die oben (sub I. 1.) beschriebene ununterbrochene Verantwortungskette von den Mitgliedern des Politbüros über die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und die militärischen Befehlsgeber zu denjenigen Soldaten der Grenztruppen, die jeweils die tödlichen Schüsse auf die Flüchtlinge abgegeben haben. In dieser Kette haben die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates und die Mitglieder des Politbüros sich jeweils
– durch ihr aktives Verhalten, nämlich durch ihre Mitwirkung an Beschlüssen dieser Gremien – wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft strafbar gemacht. Dies hat der Senat in den Urteilen BGHSt 40, 218 und 45, 270 ausführlich dargelegt. Er hat dabei namentlich im Verhalten dieser Träger höchster staatlicher Macht der DDR das Phänomen gefunden, das Roxin (LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 128; NJW Sonderheft für Gerhard Schäfer 2002, 52 ff.) „Organisationsherrschaft“ nennt: Der Hintermann eines uneingeschränkt schuldhaft handelnden Täters kann dann mittelbarer Täter sein, wenn er durch Organisationsstrukturen bestimmte Rahmenbedingungen ausnutzt, innerhalb derer sein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöst. Derartige Rahmenbedingungen mit regelhaften Abläufen kommen bei Befehlshierarchien verschiedenster Art in Betracht. Handelt in einem solchen Fall der Hintermann in Kenntnis dieser Umstände, nutzt er insbesondere auch die unbedingte Bereitschaft des unmittelbar Handelnden, den Tatbestand zu erfüllen, aus und will der Hintermann den Erfolg als Ergebnis seines eigenen Handelns , ist er Täter in der Form mittelbarer Täterschaft. Er besitzt insbesondere die Tatherrschaft (BGHSt 40, 218, 236; 45, 270, 296).
Dieser Bewertung des aktiven Tuns von Mitgliedern des Politbüros entspricht auch das Verhalten der Angeklagten – mit der hinzutretenden Besonderheit , daß sie (nur) wegen Unterlassungstäterschaft haften. Auch sie hatten das im Urteil BGHSt 45, 270, 303 f. beschriebene eigene Tatinteresse und die Tatherrschaft.
3. Hier liegt jeweils ein unechtes Unterlassungsdelikt im Sinne des § 13 StGB vor. Die Angeklagten hatten als Mitglieder des Politbüros rechtlich dafür einzustehen, daß die verfahrensgegenständlichen Tötungen nicht geschahen. Diese ihre Garantenpflicht folgt schon aus Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR. Es treten die Vorschriften der Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 und 2 des IPbürgR sowie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte hinzu. Insoweit gelten zunächst die gleichen Gesichtspunkte, wie sie oben (sub I. 3. a) für die Rechtslage in der DDR beschrieben sind. Ergänzend zu dieser
in konkreten Normen zu findenden Grundlage der Garantenpflicht der Ange- klagten ergibt sich, daß die Angeklagten nach den materiellen Kriterien für die Bestimmung einer Garantenstellung gar unter zweierlei Gesichtspunkten garantenpflichtig waren: Es wird unterschieden zwischen solchen Garantenpflichten einerseits, die daraus resultieren, daß der Garant eine Schutzpflicht für bestimmte Rechtsgüter hat, und andererseits solchen Garantenpflichten, die sich aus der Pflicht zur Überwachung bestimmter Gefahrenquellen ergeben (Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 19 ff.; Stree in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 13 Rdn. 9 ff.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 13 Rdn. 5b, 5c; Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT Teilbd. 2, 7. Aufl. S. 197 ff.; ähnlich Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 800 ff.). Beide Aspekte kommen hier zum Tragen. Die Angeklagten waren sowohl „Überwachungsgaranten“ als auch „Beschützergaranten“. Als Mitglieder des höchsten Machtorgans der DDR waren sie verpflichtet, das im Laufe der Jahre errichtete Grenzregime der DDR, von dem eine jederzeit akute Lebensgefahr für friedliche Flüchtlinge ausging, in der Weise zu überwachen und zu steuern, daß eine Tötung solcher Flüchtlinge unterblieb. Zum anderen waren die Angeklagten nach Art. 30 Abs. 1 und 3 VerfDDR verpflichtet, das Leben eines jeden Bürgers der DDR zu schützen (oben sub I. 3. a bb).
4. Danach war es den Angeklagten geboten, sich, wie oben (sub I. 3. b) beschrieben, im Politbüro durch Äußerungen und Anträge für eine Änderung des Grenzregimes im Sinne einer Humanisierung desselben und damit zur Rettung des Lebens der Flüchtlinge aktiv einzusetzen. Unter dem Gesichtspunkt der Handlungspflicht der Angeklagten bleibt es ohne Bedeutung , daß es ungewiß ist, ob die Angeklagten durch die ihnen gebotenen Aktivitäten jeweils das Leben der Opfer tatsächlich gerettet hätten. Nur die sicher voraussehbare Erfolglosigkeit eines Rettungsbemühens läßt die Handlungspflicht entfallen (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Zumutbarkeit 1 [= JR 1994, 510 m. Anm. Loos], Zumutbarkeit 2; vgl. auch Puppe in Nomos-Kommentar, StGB 5. Lfg. vor § 13 Rdn. 110; Samson StV 1991, 182, 185). Solches liegt hier nicht vor.
5. Das Unterlassen der Angeklagten war im Sinn der im Bereich des unechten Unterlassens geltenden Kausalitätsregeln für die den Angeklagten jeweils zuzurechnenden Tötungsfälle „quasi-ursächlich“. Dabei sind einem jeden Angeklagten diejenigen Tötungsfälle zuzurechnen, die sich nach seinem Eintritt ins Politbüro bis zu einer dort erfolgten ausdrücklichen Beschlußfassung über die Fortgeltung des Grenzregimes im Sinne von BGHSt 45, 270 zugetragen haben. Aus dem Rangverhältnis von Tun und Unterlassen ergibt sich, daß eine Verantwortlichkeit für Unterlassen jeweils durch eine solche ausdrückliche Beschlußfassung begrenzt wird. Den Angeklagten B und L sind danach die Fälle 2 bis 4 anzulasten, dem Angeklagten H zunächst Fall 1. Ihm wären über die Dauer seiner Mitgliedschaft im Politbüro hinaus auch die Fälle 2 bis 4 anzulasten, wenn nicht etwa in Bezug auf diese Fälle positives Tun durch seine Mitwirkung an der Beschlußfassung vom 11. Juni 1985 an die Stelle des Unterlassens getreten wäre.

a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann – ontologisch – nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur – notwendigerweise normativen – Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die „hypothetische Kausalität“ ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Danach ist ein Unterlassen dann mit dem Erfolg als „quasi-ursächlich“ in Zurechnungsverbindung zu setzen , wenn dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, wenn also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (BGHSt 37, 106, 126 m. N. der Rspr.; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 16 bis 18; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 13 Rdn. 61; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. vor § 13 Rdn. 20; Schmidhäuser, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 684 ff.: „juristische Kausalität“). Hätte das Politbüro – auf Initiative eines seiner Mitglieder – beschlossen, das bestehende Grenzregime in der oben (sub I. 3. b) beschriebenen Weise zu humanisieren, wären die hier verfahrensgegen-
ständlichen Tötungen ausgeblieben. Der Nationale Verteidigungsrat und alle Gliederungen der Grenztruppen hätten die Anordnung des höchsten Machtorgans der DDR befolgt.

b) Im Ergebnis bleibt es ohne Bedeutung, daß die DDR in Bezug auf das Grenzregime nur eingeschränkt souverän war, daß sie nicht gegen den Willen der UdSSR die Grenze durchlässig machen oder gar das Grenzregime beseitigen durfte. Denn die Aufrechterhaltung und namentlich die Ausgestaltung des Grenzregimes hatte die UdSSR weitgehend der DDR überlassen. So hatte die DDR – und mithin das Politbüro – eine wesentliche eigene Entscheidungskompetenz, von der auch Gebrauch gemacht wurde. Dies zeigen der „eigenmächtige“ Abbau der Erdminen und Selbstschußanlagen im Jahr 1985 und die bei Staatsbesuchen und Parteitagen getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung von Erschießungen durch Erhöhung der Postendichte. Das hat der Senat in seinem Urteil BGHSt 45, 270, 302 f. näher dargestellt. Eine entsprechende Humanisierung des Grenzregimes hätte die hier in Rede stehenden Erschießungen verhindert.

c) Für die Beurteilung der „Quasi-Kausalität“ des Unterlassens der Angeklagten kommt es nicht darauf an, welche Wirkung das Handeln gehabt hätte, das jedem einzelnen von ihnen geboten war. Vielmehr ist auf das parallele Unterlassen aller derjenigen abzustellen, die ebenso wie die Angeklagten pflichtwidrig untätig geblieben sind, also auf die Untätigkeit aller Mitglieder des Politbüros im hier relevanten Zeitraum. Deshalb bleibt es ohne Bedeutung, daß jeder der Angeklagten möglicherweise im Politbüro mit der ihm gebotenen Initiative an einer entgegenstehenden Mehrheit gescheitert wäre. Kann die zur Schadensabwendung erforderliche Maßnahme nur durch das Zusammenwirken mehrerer Beteiligter zustande kommen, so setzt jeder, der es trotz seiner Mitwirkungskompetenz unterläßt, seinen Beitrag dazu zu leisten, eine Ursache dafür, daß die Maßnahme unterbleibt; innerhalb dieses Rahmens haftet er für die sich daraus ergebenden tatbestandsmäßigen Folgen. Dabei kann er sich nicht damit entlasten, daß sein Bemühen, die gebo-
tene Kollegialentscheidung herbeizuführen, erfolglos geblieben wäre, weil ihn die anderen Beteiligten im Streitfalle überstimmt hätten. Sonst könnte sich jeder Garant allein durch den Hinweis auf die gleichartige und ebenso pflichtwidrige Untätigkeit gleichgeordneter Garanten von jeder strafrechtlichen Haftung freizeichnen (BGHSt 37, 106, 131 f.).
Dieses Prinzip, im Fall parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten (auch kumulatives Unterlassen genannt) für die Beurteilung der „QuasiKausalität“ nicht etwa auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft abzustellen, hat im Schrifttum weitgehend Zustimmung gefunden (Beulke/Bachman JuS 1992, 737, 742 ff.; Brammsen Jura 1991, 533, 536 ff.; Deutscher/Körner wistra 1996, 292, 327, 332 f.; Hilgendorf NStZ 1994, 561, 563; Kuhlen NStZ 1990, 566, 569 f. und JZ 1994, 1142, 1146; Bernd-Dieter Meier NJW 1992, 3193, 3197 f.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht 1996 S. 59 ff.; Schaal, Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen 2001 S. 202 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT 4. Aufl. S. 404). Manche Autoren stimmen dem Ergebnis zu, beschreiben jedoch eigene Begründungswege , finden insbesondere den Kern des Problems in der Frage der Garantenpflicht (so Puppe in Nomos-Kommentar, StGB 5. Lfg. vor § 13 Rdn. 109 f. und Sofos, Mehrfachkausalität beim Tun und Unterlassen 1999 S. 249 ff., 263).
Der erhobenen Kritik an dieser Sicht ist folgendes entgegenzuhalten: Soweit Samson StV 1991, 182, 185 meint, bei Untätigkeit parallel handlungspflichtiger Garanten hafteten allein diejenigen, die zuerst „den Eindruck der Uneinsichtigkeit erweckt“ hätten, nicht aber diejenigen, die „resignierten“, vernachlässigt dies die Gleichrangigkeit der Handlungspflicht aller Garanten. Soweit gar argumentiert wird, das Abstellen auf die Untätigkeit aller Garanten , deren Unterlassen zu erwarten sei, erinnere an „Geßlers Hut“ (Dencker, Kausalität und Gesamttat 1996 S. 170), ist zu entgegnen: Die Beurteilung der „Quasi-Kausalität“ des Unterlassens erfolgt allein nach normativen Kriterien.
In diesem Zusammenhang ist rechtmäßiges Verhalten der parallelen Garanten zu unterstellen; denn das Recht hat von der Befolgung seiner Regeln auszugehen (Sofos aaO S. 263; vgl. auch Jakobs in Festschrift für Koichi Miyazawa 1995 S. 419, 423).
6. Die kollektive Verweigerung des gebotenen Handelns durch gleichermaßen verpflichtete Garanten, nämlich die Angeklagten und die übrigen untätig gebliebenen Mitglieder des Politbüros, stellt sich als Nebentäterschaft , auch Mehrtäterschaft genannt (vgl. Cramer/Heine in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. § 25 Rdn. 100; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 222 f.; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 25 Rdn. 11; Fincke GA 1975, 161 ff.), dar. Der Annahme einer Mittäterschaft bedarf es hier nicht, da es nicht erforderlich ist, – wie typischerweise in Fällen aktiver Mittäterschaft – jedem Mittäter aktive Tatbeiträge anderer Mittäter zuzurechnen.
Auch die oben (sub 5.) beschriebene „Quasi-Kausalität“, wonach der „quasi-ursächliche“ Beitrag jedes einzelnen Politbüro-Mitgliedes zum jeweiligen Taterfolg nicht in der gedachten bloßen Konsequenz des individuellen Unterlassens zu suchen, sondern in der hypothetischen Folge des gemeinschaftlichen Unterlassungsverhaltens aller Politbüro-Mitglieder zu finden ist, nötigt nicht etwa zu der Prüfung, ob auch die Voraussetzungen einer Mittäterschaft , namentlich ein gemeinschaftlicher Tatentschluß, vorliegen.
7. Zudem war es den Angeklagten zuzumuten, im Politbüro durch Äußerungen und Anträge auf eine Änderung des praktizierten Grenzregimes hinzuwirken. Angesichts der Schwere der drohenden Übel (vgl. BGHSt 4, 20, 23; BGH NJW 1964, 731, 732; BGH NStZ 1984, 164), hier der jederzeit bevorstehenden rechtswidrigen Tötung von Menschen, hatte das Interesse der Angeklagten an der Erhaltung ihrer Reputation und ihrer Ämter zurückzustehen. Zur Erhaltung von Menschenleben sind äußerste Anstrengungen zu fordern (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Zumutbarkeit 1 = JR 1994, 510 m. Anm. Loos). Allerdings kann es unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit be-
deutsam sein, daß das Rettungsbemühen nur eine verschwindend geringe Rettungschance bietet (BGH aaO). So liegt es hier aber nicht. Die vielfach aus akuten Anlässen zur Vermeidung von Erschießungen vorgenommene Umgestaltung der Grenzsicherungsmethoden und der Abbau von Erdminen und Selbstschußanlagen (vgl. BGHSt 45, 270, 303; oben sub I. 3. b und II. 5. b) zeigen, daß eine Humanisierung des Grenzsystems zur Vermeidung der Erschießung von Flüchtlingen durchaus möglich war. Insoweit ist gleichfalls nicht auf die Aussichtslosigkeit der Einzelbemühungen abzustellen.
8. Auch entspricht das Unterlassungsverhalten der Angeklagten einer aktiven vorsätzlichen Tötung im Rahmen des Wertungsvergleichs, den die Vorschrift des § 13 Abs. 1 StGB gebietet. Die Innehabung zentraler Macht an der Spitze einer Staatsführung läßt aktives rechtswidriges Tun einerseits und das Untätigsein angesichts einer bestehenden rechtswidrigen Praxis andererseits besonders eng zueinanderrücken (vgl. die Auslegung der letzten beiden Politbürobeschlüsse zur Grenzsicherung, BGHSt 45, 270, 289 f.).
9. Schließlich stellt sich die Beteiligung der Angeklagten an den Tötungen nicht etwa nur als Beihilfe zu den Taten der den Angeklagten in verschiedenster Weise nachgeordneten Tätern dar. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe für die Fälle des pflichtwidrig untätigen Hintermannes in der Rechtsprechung wenig gesichert (vgl. BGHSt 2, 150, 151; 4, 20, 21; 13, 162, 166; 40, 257, 268; BGH NJW 1951, 204, 205 und 1966, 1763) und im Schrifttum umstritten (vgl. Cramer/Heine in Schönke /Schröder, StGB 26. Aufl. vor § 25 Rdn. 104; Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rdn. 57; Roxin in LK 11. Aufl. § 25 Rdn. 201 ff. je m. w. N.). Indes kann es nicht zweifelhaft sein, daß die Angeklagten nach allen in Betracht kommenden Kriterien Unterlassungstäter – und nicht nur unterlassende Gehilfen – waren. Sie waren als Inhaber zentraler staatlicher Macht sowohl „Überwachungsgaranten“ als auch „Beschützergaranten“ (oben sub 3). Die ihnen Nachgeordneten bis zu den Schützen hatten nach ihren Weisungen zu handeln , was das Selbstverständnis und die Willensrichtung der Angeklagten
prägte. Die Verantwortlichkeit nimmt in Fällen solcher „Organisationsherrschaft“ mit größerem Abstand zum Tatort typischerweise nicht ab, sondern zu (BGHSt 40, 218, 237; F.C. Schroeder, Der Täter hinter dem Täter 1965 S. 166 f.). Jede wertende Betrachtung bestätigt das gefundene Ergebnis.
10. Das tateinheitliche pflichtwidrige Unterlassen der Angeklagten führte zu mehreren Tötungsfällen. Dies begründet eine einzige Unterlassungstat jedes Angeklagten (BGHSt 37, 106, 134).

III.


Welches dieser Rechte bei der Beurteilung der Unterlassungstaten der Angeklagten als das mildere Recht (Art. 315 Abs. 1 EGStGB i.d.F. des Einigungsvertrages i.V. mit § 2 Abs. 3 StGB) anzuwenden ist, bestimmt sich – bei Anwendung des Grundsatzes strikter Alternativität (BGHSt 37, 320, 322; 38, 18, 20; 41, 247, 277) – nach folgendem: Nach dem Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland wird sich eine Anwendung des Strafrahmens des § 213 StGB im Hinblick auf die zweite Alternative der Vorschrift aufdrängen (vgl. BGHSt 45, 270, 306), der gemäß § 49 Abs. 1 StGB jedenfalls gemäß § 13 Abs. 2 StGB nochmals zu mildern sein wird. Andererseits wird aber auch das Strafrecht der DDR hier naheliegend eine leichtere Strafart als Freiheitsstrafe, insbesondere eine Verurteilung auf Bewährung nach § 33 StGB-DDR zulassen, weil § 22 Abs. 4 Satz 1 StGB-DDR für den Fall der Beihilfe die Möglichkeit der außergewöhnlichen Strafmilderung nach § 62 StGB-DDR und damit die Anwendung einer leichteren als der gesetzlich vorgesehenen Strafart Freiheitsstrafe ermöglicht, „wenn die Tat weniger schwerwiegend ist“, was anzunehmen sich schon im Blick auf das abzuurteilende Unterlassen aufdrängen wird.

B.


Soweit die Revision der Staatsanwaltschaft sich gegen den Freispruch des Angeklagten H richtet, hat sie aus einem weiteren Gesichtspunkt Erfolg. Das Landgericht hat die diesem Angeklagten vorgeworfene Tat nicht umfassend rechtlich gewürdigt. Dies begründet – auch – einen sachlichrechtlichen Fehler (BGH StV 1981, 127, 128 m. w. N. der Rspr.; Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 264 Rdn. 12; Gollwitzer in Löwe /Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 264 Rdn. 74), so daß es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Die Anklage wirft dem Angeklagten H – neben dem Unterlassen – zusätzlich vor, am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 mitgewirkt zu haben (Anklageschrift S. 17). Angesichts dessen, daß das Verhalten eines jeden Angeklagten im Politbüro während seiner Mitgliedschaft in diesem Gremium als eine einheitliche Tat im Sinne des § 264 StPO zu verstehen ist, kann kein Zweifel daran bestehen, daß dem Angeklagten H auch die Tötungsfälle 2 – betreffend Bi vom 24. November 1986, 3 – betreffend S vom 12. Februar 1987 und 4 – betreffend G vom 5. Februar 1989 (Anklageschrift S. 22 f.) zur Last gelegt sind. Dies gilt, wenngleich der Anklagesatz insoweit auslegungsbedürftig ist.
Hätte das Landgericht eine Mitwirkung des Angeklagten H an dem Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 festgestellt, so würden sich für diesen Angeklagten diejenigen rechtlichen Konsequenzen ergeben, die der Senat in dem Urteil BGHSt 45, 270, 287 ff., 295 f. für andere an dem genannten Beschluß des Politbüros Beteiligte gezogen hat, nämlich eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft nach dem StGB (bei Anstiftung zum Mord nach dem Recht der DDR).
Das Landgericht hat diesen Teil des Vorwurfs gegen den Angeklagten H im Urteil gar nicht geprüft. Auch dies führt insoweit zur Aufhe- bung des Urteils. Da bei dem Angeklagten H das positive Tun einer etwaigen Mitwirkung an dem Beschluß vom 11. Juni 1985 die bloße mit pflichtwidrigem Unterlassen einhergehende Mitgliedschaft im Politbüro gleichsam verstärkend überlagern würde, begründete eine Strafbarkeit dieses Angeklagten im Fall 1 wegen Unterlassens und in den Fällen 2 bis 4 durch positives Tun – nicht anders als bei einem fortdauernden Unterlassen – eine einheitliche Tat.

C.


Danach ergibt sich auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils, daß die Angeklagten sich während ihrer Mitgliedschaft im Politbüro nach dem Strafgesetzbuch wegen Totschlags durch Unterlassen, nach dem Recht der DDR wegen durch Unterlassen begangener Beihilfe zum Mord strafbar gemacht haben. Gleichwohl erachtet der Senat es für geboten , die Angeklagten nicht von hier aus schuldig zu sprechen, sondern die Sache in vollem Umfang an einen neuen Tatrichter zurückzuverweisen. Sonst würde den Angeklagten, die gegen die Freisprüche Rechtsmittel nicht einlegen und somit die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen nicht angreifen konnten, eine Instanz genommen (BGH StV 1999, 415 m. Anm. Pauly; BGHR StPO 354 Abs. 1 Schuldspruch 1; BGHR StGB § 339 Staatsanwalt 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 354 Rdn. 23 m. w. N.; vgl. aber die andere Verfahrensweise in BGHSt 36, 277, 282 f. und BGH, Urt. vom 15. August 2002 – 3 StR 11/02).

D.


Schließlich bemerkt der Senat folgendes:

I.


Soweit dem Angeklagten H ein Unterlassen zur Last gelegt wird, geben – freilich vage – Feststellungen im angefochtenen Urteil Anlaß zu einem Hinweis: So hatte der Angeklagte zahlreiche Kontakte in die Bundesrepublik Deutschland und unternahm „kleine Schritte“, um „in Fragen der Grenze und der Freizügigkeit eine Änderung zum Besseren herbeizuführen“, womit er jedoch scheiterte. Es erscheint nicht völlig ausgeschlossen, daß der Angeklagte damit gar – unter den Gesichtspunkten des Unterlassens – derjenigen Handlungspflicht nachgekommen ist, die ihm als Mitglied des Politbüros oblag. Insoweit wird darauf Bedacht zu nehmen sein, daß ein entsprechendes als konkret aussichtsreich erachtetes Verhalten die Zumutbarkeit eines rechtlich gebotenen Verhaltens in Frage stellen kann, dessen Unterlassen zwar im Sinne der obigen Darlegungen grundsätzlich strafrechtlich relevant war, das tatsächlich jedoch kaum eine realistische Durchsetzungschance hatte. Die Zumutbarkeit könnte dann unter dem Gesichtspunkt entfallen , daß das eigentlich gebotene Verhalten möglicherweise dazu geführt hätte, daß realistische Erfolgschancen konkreter anderweitiger Bemühungen, das Grenzregime abzumildern, entwertet worden wären. Von einer strafrechtlichen Haftung wegen etwaiger aktiver Mitwirkung am Beschluß des Politbüros vom 11. Juni 1985 könnte dies den Angeklagten H indes nicht befreien. Jedoch wären Aktivitäten der genannten Art gegebenenfalls für die Sanktionsentscheidung von so erheblicher Bedeutung, daß die Sanktion an der untersten Grenze des Zulässigen bemessen werden müßte.

II.


Im Fall eines Schuldspruchs wird bei der Strafzumessung betreffend alle Angeklagte dem Zeitfaktor – auch unter Bedacht auf die Dauer des Revisionsverfahrens – Rechnung zu tragen sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).

III.


Der Senat findet erstmalig eine Verantwortlichkeit hoher Funktionsträger der DDR für Tötungen an der innerdeutschen Grenze unter dem Gesichtspunkt des Unterlassens. Dies hat seine Gründe in der besonderen Rangstellung des Politbüros und seiner Mitglieder. Es erscheint gänzlich fernliegend, daß der Senat eine entsprechende Handlungspflicht hoher Funktionsträger der DDR, die unterhalb dieser Machtebene standen, bejahen würde.
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Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

4
a) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs - oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291 mwN; vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26).
7
aa) Mittäterschaft im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB setzt einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Bei der Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungsoder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 15. Januar 1991 - 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291 mwN; vom 17. Oktober 2002 - 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; Beschluss vom 2. Juli 2008 - 1 StR 174/08, NStZ 2009, 25, 26).
13
Gemeinschaftlich im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB handelt, wer seinen eigenen Tatbeitrag so in die Tat einfügt, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint. Mittäterschaft erfordert dabei zwar nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst; ausreichen kann auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs- oder Unterstützungshandlung beschränkt. Stets muss sich diese Mitwirkung aber nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden als Teil der Tätigkeit aller darstellen. Ob danach Mittäterschaft anzunehmen ist, ist aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen. Maßgebende Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 2017 - 3 StR 455/16, juris Rn. 4; vom 4. April 2017 - 3 StR 451/16, juris Rn. 7; vom 5. Juli 2017 - StB 14/17, NJW 2017, 2693, 2694). Eine ganz untergeordnete Tätigkeit deutet dabei schon objektiv darauf hin, dass der Beteiligte nur Gehilfe ist (BGH, Beschluss vom 21. April 2009 - 3 StR 107/09, StraFo 2009, 344, 345 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 638/17
vom
19. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:190418B3STR638.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 25. August 2017 in den Fällen II.B.1. und 2. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter schwerer räuberischer Erpressung und versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit er im Fall II.A. der Urteilsgründe verurteilt worden ist.
3
2. Der Schuldspruch in den Fällen II.B.1. und 2. der Urteilsgründe hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen beschlossen der Angeklagte , der Mitangeklagte A. und der Nichtrevident R. , eine Spielhalle zu überfallen und die erwartete Beute unter sich aufzuteilen. A. lieh sich im Beisein des Angeklagten eine Softair-Pistole, um diese bei der Tat zu verwenden. R. führte - mit Wissen und Billigung des Angeklagten - ein Einhandmesser mit einer 9,5 cm langen Klinge in der Hosentasche bei sich. Der Angeklagte wählte "C. Sportcafe" in W. als Tatobjekt aus, lieh A. seine Jacke, die er bei der Tat tragen sollte, begleitete A. und R. zum Tatort und wartete in der Nähe, während die anderen beiden die Tat ausführen sollten. A. und R. maskierten sich und klingelten an der verschlossenen Tür der Spielhalle in der Erwartung, dass ihnen geöffnet werde und sie die Spielhallenaufsicht mit der Softair-Pistole zur Herausgabe des vorhandenen Geldes veranlassen würden. Der als Aufsicht tätige Zeuge Ri. beobachtete sie jedoch über die Überwachungskamera und löste Alarm aus. Die Angeklagten, die ihr Vorhaben als gescheitert ansahen, flüchteten.
5
Unmittelbar danach beschlossen der Angeklagte, A. und R. , eine andere Spielhalle zu überfallen. Der Angeklagte schlug die Automatenspielhalle "G. " in W. vor, begleitete A. und R. dorthin und verabredete mit ihnen, dass er zunächst in der Nähe und dann in der Wohnung des A. warten sollte. A. und R. betraten maskiert die Spielhalle; mit der vorgehaltenen Softair-Pistole forderte A. von dem als Aufsicht tätigen Zeugen T. die Herausgabe von Geld, während R. das hinter dem Tresen liegende Portmonee des Zeugen T. an sich nahm und wieder zurücklegte, als er feststellte, dass sich kein Geld darin befand. T. hielt die Pistole für eine scharfe Waffe und gab aus der Kassenschublade 202 € in Münzen heraus, mit denen A. und R. flüchteten.
6
b) Diese Feststellungen tragen nicht die Annahme einer mittäterschaftlichen Beteiligung des Angeklagten an den beiden Taten.
7
aa) Bei Beteiligung mehrerer Personen, von denen nicht jede sämtliche Tatbestandsmerkmale verwirklicht, ist Mittäter im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB, wer einen eigenen Tatbeitrag leistet und diesen so in die Tat einfügt, dass er als Teil der Handlung eines anderen und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2016 - 3 StR 129/16, NStZ-RR 2016, 335; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648). Ob in diesem Sinne Mittäterschaft vorliegt, hat der Tatrichter aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände zu prüfen; maßgebliche Kriterien sind der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betroffenen abhängen (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648). Dabei erfordert Mittäterschaft zwar weder zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen selbst noch die Anwesenheit am Tatort; auch ein die Tatbestandsverwirklichung fördernder Beitrag, der sich auf eine Vorbereitungs - oder Unterstützungshandlung beschränkt, kann ausreichen (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2016 - 3 StR 129/16, NStZ-RR 2016, 335; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648). Jedoch muss sich die betreffende Mitwirkung nicht nur als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellen (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648). Demgemäß setzt (Mit-)Täterschaft unter dem Blickwinkel der Tatherrschaft voraus, dass der Täter durch seinen Beitrag Einfluss auf die Tatausführung nehmen kann (BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich wiederum nach dem Verhältnis seines Beitrags zu der eigentlichen tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlung (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297).
8
bb) Nach diesen Maßstäben begegnet die Annahme mittäterschaftlichen Handelns des Angeklagten in den Fällen II.B.1. und 2. der Urteilsgründe auch dann durchgreifenden Bedenken, wenn man dem Tatrichter bei der vorzunehmenden Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe einen Beurteilungsspielraum zugesteht, der nur einer begrenzten revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2016 - 3 StR 221/16, NStZ 2017, 296, 297; vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648, 649); denn ein solcher Spielraum wäre hier überschritten.
9
Bezugspunkt für die Einordnung der Mitwirkung des Angeklagten in den betroffenen Fällen ist die Einbindung in die Tatplanung und Auswahl des Tatorts. Etwaige Beiträge des Angeklagten, die gerade in Bezug auf diese Handlungen die Voraussetzungen einer mittäterschaftlichen Beteiligung nach den oben genannten Maßstäben erfüllen würden, sind den Feststellungen jedoch nicht zu entnehmen. Danach wirkte der Angeklagte an den Taten lediglich in der Weise mit, dass er in Kenntnis des gemeinsamen Entschlusses, eine Spielhalle zu überfallen, im Fall II.B.1. der Urteilsgründe den Tatort auswählte und im Fall II.B.2. der Urteilsgründe einen weiteren Tatort vorschlug, sich mit den Tat- ausführenden zu den Tatorten begab und in der Nähe wartete (Fall II.B.1. der Urteilsgründe) bzw. sich alsbald entfernte (Fall II.B.2. der Urteilsgründe). Das Verhältnis dieser Beiträge zu den eigentlichen tatbestandsverwirklichenden Ausführungshandlungen ist danach nicht ohne weiteres als arbeitsteiliges Mitwirken , sondern eher als Fördern fremden Handelns einzuordnen. Weitere konkrete Handlungen des Angeklagten, mit denen er bestimmend darauf einwirken konnte, ob, wann, wo und wie die Taten durchgeführt wurden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 2. Juli 1991 - 1 StR 353/91, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 11), teilen die Urteilsgründe nicht mit; einen konkreten und maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des Tatentschlusses und die Planung der Taten oder ein etwaiges Schmierestehen mit der Möglichkeit, auf die Tatausführung Einfluss zu nehmen, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
10
Es ist daher anhand der getroffenen Feststellungen nicht ersichtlich, inwieweit der Angeklagte mit seinem Handeln maßgeblichen Einfluss auf die Tatausführungen nehmen konnte und mithin Tatherrschaft hatte. Allein der Umstand , dass er durch sein Zutun die Taten förderte, reicht nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 - 3 StR 439/15, StV 2016, 648 f.); dies entspricht vielmehr dem Charakter einer Beihilfehandlung (vgl. MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 25 Rn. 195). Auch führt die Einbindung des Angeklagten in den Tatplan nicht zur Annahme von Mittäterschaft, da die bloße Kenntnis und Billigung einer Tat die fehlende Tatherrschaft nicht kompensieren können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2017 - StB 14/17, NJW 2017, 2693, 2694; vom 14. Juli 2016 - 3 StR 129/16, NStZ-RR 2016, 335). Gleiches gilt für das eigene finanzielle Interesse des Angeklagten, da dieses auch der Beweggrund für das Handeln eines Teilnehmers sein kann und hier nicht das nötige Gewicht erreicht , um die Annahme eines mittäterschaftlichen Handelns des Angeklagten begründen zu können.
11
3. Der Wegfall des Schuldspruchs in den Fällen II.B.1. und 2. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe.
Becker Ri'inBGH Dr. Spaniol und Tiemann RiBGH Dr. Berg befinden sich im Urlaub und sind daher gehindert zu unterschreiben. Becker Hoch

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
19
Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
20
2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
21
Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
22
Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
23
3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
24
aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
25
(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
26
Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
27
(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
28
Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
29
(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
30
bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
31
(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
32
(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
33
(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
34
cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
35
dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
36
(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
37
Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
38
(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
39
(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
40
(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
41
Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
42
Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
43
Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
44
Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
45
Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
46
Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
47
(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
48
b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
49
aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
50
Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
51
bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
52
cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
53
dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
54
4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
55
5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
56
Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
57
Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
58
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
_____________
AK 3/10
vom
17. Juni 2010
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________________
1. Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare
, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen
verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen
durchzusetzen.
2. Der subjektive Tatbestand des § 4 VStGB setzt mindestens bedingten Vorsatz
des Vorgesetzten voraus. Dieser muss u. a. erkennen oder mit der
konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach
dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen beabsichtigt. Dabei genügt es,
wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat umfasst und
sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm
unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden; ein hierüber hinausgehendes
Detailwissen ist nicht erforderlich.
BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 - AK 3/10 - Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 17. Juni 2010
gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

1
Der Beschuldigte wurde aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09) am 17. November 2009 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft.
2
Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe sich als Präsident der in den Provinzen Nord-Kivu und Süd-Kivu der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen MilizenOrganisation "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR) wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen Kriegsverbrechen , für die er jeweils als Vorgesetzter verantwortlich sei, sowie zugleich als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung im Ausland strafbar gemacht.
3
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
4
1. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Geschehen auszugehen:
5
a) Zwischen den in der Republik Ruanda ansässigen Bevölkerungsgruppen - insbesondere den Hutu, welche die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellte, und den Tutsi - kam es bereits in der Vergangenheit zu zahlreichen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Diesen fielen insbesondere Angehörige der Tutsi zum Opfer. Eine Vielzahl von ihnen floh deshalb in die benachbarte Republik Uganda. Eine dort unter dem Namen "Ruandische Patriotische Front" (im Folgenden: RPF) zusammengestellte Rebellenarmee griff im Jahre 1990 die Republik Ruanda an, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen. Nach militärischen Erfolgen der RPF und Verhandlungen über eine Teilung der Macht und Demokratisierung Ruandas wurde im August 1993 das Friedensabkommen von Arusha geschlossen. Danach sollte die bis dahin allein regierende Partei des Präsidenten Habyarimana Teile ihrer Macht abgeben, demokratische Prozesse zulassen und den Angehörigen der Tutsi eine Teilhabe am Staatswesen ermöglichen. Das Abkommen wurde jedoch in der Folgezeit insbesondere aufgrund des Widerstands einflussreicher Kreise der Hutu nicht umgesetzt.
6
Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Habyarimana von bis heute nicht zweifelsfrei ermittelten Attentätern abgeschossen ; Habyarimana fand dabei den Tod. Dieses Ereignis war Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte Hutu umgebracht wurden. Um dieser Massentö- tung Einhalt zu gebieten, rückte die bisher im Norden Ruandas befindliche RPF vor und eroberte schließlich die übrigen Landesteile. Die Soldaten und Offiziere der staatlichen Armee flüchteten mit Teilen der hutustämmigen Bevölkerung, insbesondere Angehörigen der paramilitärischen Interahamwe-Miliz, teilweise nach Tansania, teilweise aber auch nach Zaire, der heutigen DRC, in die dortigen Provinzen Nord- und Süd-Kivu. Dort setzten sich die Hutu-Verbände fest; ihre Angehörigen versuchten, wieder Einfluss auf die Politik Ruandas zu erlangen. Sie bildeten eine auf der früheren Armee basierende Organisation, die sich seit etwa 1999/2000 als FDLR bezeichnet. Dieser gehören etwa 6.000 Personen an; sie ist damit die größte und einflussreichste Milzengruppierung im Osten der DRC. Mit Hilfe ihres Machtapparates wurde die in Nord- und Süd-Kivu einheimische kongolesische Zivilbevölkerung unterworfen. Strategisches Ziel der FDLR war und ist die Übernahme der Macht in der Republik Ruanda.
7
Die FDLR wurde lange Zeit durch die Regierung und die Armee der DRC unterstützt; auch diese betrachteten die gegenwärtige Regierung der Republik Ruanda als Feind, den es zu bekämpfen galt. So gelang es der FDLR, quasistaatliche Strukturen im Ostkongo aufzubauen, beispielsweise Steuern und Zölle zu erheben sowie den Abbau und Export der dort vorhandenen Bodenschätze zu kontrollieren. Diese Lage änderte sich Ende 2008/Anfang 2009. Zu diesem Zeitpunkt kam es zu einer Annäherung der Regierungen der DRC und der Republik Ruanda; beide Länder nahmen gemeinsam den Kampf gegen die FDLR auf. Im Frühjahr 2009 führten die kongolesische Regierungsarmee und die ruandischen Regierungstruppen gegen die FDLR die gemeinsamen Militäraktionen "Umuja Wetu", "Kimia II" und "Amani Leo" durch. Seit diesem Zeitpunkt war die FDLR wiederholt gezwungen, die Herrschaft über von ihr kontrollierte Gebiete abzugeben, sich zurück zu ziehen und neue Herrschaftsbereiche zu erobern. Dabei wurde der Operationsschwerpunkt in letzter Zeit von Nordnach Süd-Kivu verlagert. Als Reaktion auf die Angriffe der kongolesischen und ruandischen Truppen intensivierte die FDLR ihre Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Ostkongo. Dabei wurde die Devise ausgegeben, eine humanitäre Katastrophe in der Bürgerkriegsregion herbeizuführen, um die Zivilbevölkerung gegen die Militäroffensive der kongolesischen Armee aufzubringen. Die FDLR entwickelte die Strategie der "operations punitives" bzw. "actions punitives". Die nicht mit der FDLR kooperierenden Zivilpersonen - auch Frauen und Kinder - wurden von ihr als Feinde betrachtet. Die einheimische Bevölkerung wurde unter anderem durch in den Dörfern hinterlassene schriftliche Mitteilungen für den Fall mit Straf- oder Racheaktionen bedroht, dass sie nicht mit der FDLR zusammenarbeite. Diese Drohungen wurden von der FDLR regelmäßig in die Tat umgesetzt; es kam zu einer Vielzahl von gewaltsamen Übergriffen bis hin zu Massakern, bei denen ganze Dörfer vernichtet und zahlreiche Menschen getötet wurden. Auch sexuelle Gewalt gegen die einheimische Zivilbevölkerung wurde als Teil der Kampfstrategie der FDLR angewendet.
8
U. a. aufgrund von Zeugenaussagen in diesem Verfahren sind insbesondere die folgenden Vorfälle der FDLR zuzuordnen:
9
- Am 13. Februar 2009 brannten Angehörige der FDLR als Reaktion auf einen Angriff der kongolesischen Regierungstruppen zahlreiche Häuser des Dorfes Kipopo im Territorium Masisi/Nord-Kivu nieder. Bei der Aktion wurden mehr als ein Dutzend Zivilisten getötet, von denen viele in ihren Häusern verbrannten.
10
- Bei einem Vergeltungs- bzw. Racheangriff der FDLR auf das Dorf Mianga im Territorium Walikale/Nord-Kivu am 12. April 2009 wurden ebenfalls zahlreiche Häuser niedergebrannt und Zivilisten getötet.
11
- Am 17. April 2009 griff die FDLR die Dörfer Luofo und Kasiki im Territorium Lubero/Nord-Kivu an und setzte zahlreiche Häuser in Brand. Auch bei die- ser Aktion verbrannten mehrere Zivilisten. Ziel des Angriffs war es u. a., internationale Organisationen auf die Situation aufmerksam zu machen und so Druck auf die Regierung der Republik Ruanda auszuüben, mit der FDLR zu verhandeln.
12
- Am 9. Mai 2009 wurden bei einem Angriff der FDLR im Rahmen der "operations punitives" auf das Dorf Busurungi im Territorium Walikale/Nord-Kivu eine große Anzahl Häuser niedergebrannt und zivile Dorfbewohner umgebracht. Die Zeugin 1, die ebenso wie der Zeuge 2 den Angriff als Einwohner Busurungis selbst miterlebte, erhielt von einem Angehörigen der FDLR einen Schlag mit einer Machete gegen den Kopf. Der Zeuge 2 überlebte, weil er sich in einem Gebüsch versteckte. Von dort musste er u. a. ansehen, wie seine Nachbarn getötet wurden.
13
- Am 10. Mai 2009 zündeten Mitglieder der FDLR das Dorf Ekingi im Territorium Kalehe/Süd-Kivu an und töteten zahlreiche Zivilisten. Dabei handelte es sich um eine Racheaktion der FDLR, weil die kongolesische Dorfbevölkerung nicht mehr auf ihrer Seite gewesen sei.
14
- In zahlreichen Fällen kam es zu schwersten Körperverletzungen und sexuellen Gewalttaten von Angehörigen der FDLR gegenüber der einheimischen kongolesischen Bevölkerung, wobei insbesondere die geschädigten Frauen vielfach brutal misshandelt wurden; sie verstarben teilweise an den ihnen zugefügten Verletzungen.
15
- Die FDLR rekrutierte mehrfach Kinder im Alter von unter 15 Jahren. Diese wurden teilweise als sog. Kadogos zu Hilfsarbeiten herangezogen, teilweise erhielten sie noch im Kindesalter eine militärische Ausbildung und beteiligten sich an den Kämpfen.
16
- Angehörige der FDLR pressten der einheimischen Bevölkerung in zahlreichen Fällen Geld ab und stahlen bei Bedarf Nahrung und sonstige ihnen besitzenswert erscheinende Gegenstände wie Macheten oder Geschirr.
17
b) Die FDLR ist hierarchisch organisiert und nach sachlichen Zuständigkeitsbereichen gegliedert; ihre Funktionäre gehen arbeitsteilig vor. An der Spitze steht der Präsident, der zugleich auch oberster militärischer Befehlshaber ist. Er wird von zwei Vizepräsidenten vertreten, von denen der eine für den administrativen Bereich und die Außendarstellung, der andere für die militärischen Belange zuständig ist. Weiteres Mitglied der Führung ist der Exekutivsekretär, der die operativen Tagesgeschäfte maßgeblich mitbestimmt. Darüber hinaus gibt es in der politischen Führung mehrere Exekutivkommissionen (z. B. für Propaganda oder für Sicherheit) und ein sog. presidential cabinet. Die FDLR ist darauf bedacht, sich nach außen als im Kern politische Organisation darzustellen ; sie erhebt den Anspruch, gleichberechtigt an Verhandlungen über die Zukunft der Kivu-Provinzen der DRC und die Rückführung der Mitglieder der FDLR nach Ruanda mitzuwirken sowie dort an der Macht beteiligt zu werden. Sie sieht letztlich ausschließlich Angehörige der Volksgruppe der Hutu als berechtigt an, die Macht in Ruanda auszuüben, und verfolgt deshalb das Ziel, die Tutsi wieder zu vertreiben. Die FDLR verfügt über eine militärische Unterorganisation , die "Forces Combattantes Abacunguzi" (im Folgenden: FOCA), die maßgeblich in die gegenwärtigen gewaltsamen Auseinandersetzungen in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu verwickelt ist. Die FOCA ist wie eine Armee aufgebaut und verfügt über eine bürokratische Struktur mit einem Oberkommando sowie über ein Netzwerk zur Rekrutierung von Kämpfern. Sie gliedert sich in zwei Divisionen sowie eine Reserve-Brigade und hält Ausbildungseinheiten vor. Kommandeur und damit militärischer Oberbefehlshaber der FOCA vor Ort im Kampfgebiet ist Generalmajor Sylvestre Mudacumura (alias Bernard Mpenzi).
Die Entscheidungen der Führung der FOCA stehen unter dem Vorbehalt der Billigung durch die FDLR-Gesamtorganisation.
18
c) Der Beschuldigte studierte ab dem Jahre 1989 in Deutschland; 1998 promovierte er an der Universität Köln auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften. Während des Genozids in Ruanda im Jahre 1994 und danach hielt er sich dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland auf. Nach Gründung der FDLR übernahm er das Amt des Beauftragten für Außenbeziehungen der Organisation. Im Jahr 2001 wurde er zum Präsidenten der FDLR gewählt. In der Folgezeit unternahm er wiederholt Reisen in die DRC, um die dort maßgeblichen Mitglieder der Organisation zu treffen, seine Stellung in der FDLR zu festigen , aber auch um eine militärische Grundausbildung zu absolvieren. Im Juni 2005 wurde er erneut zum Präsidenten der FDLR gewählt. Nachdem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen die FDLR ein Embargo verhängt hatte, ergriff er auch gegen den Beschuldigten Maßnahmen in Form von Reisebeschränkungen und Restriktionen für Finanztransfers. Die Stadt Mannheim verbot dem Beschuldigten mit Bescheid vom 2. Mai 2006, sich politisch zu äußern und für die FDLR zu betätigen. Nach Missachtung dieses Verbots durch Presseerklärungen und Internetveröffentlichungen in der Zeit von September 2007 bis November 2008 wurde der Beschuldigte im Juni 2009 vom Landgericht Mannheim wegen mehrfachen Verstoßes gegen § 95 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 AufenthaltsG zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beschuldigte wurde in der Bundesrepublik Deutschland zunächst als Asylberechtigter anerkannt. Mit Bescheid vom 22. Februar 2006 wurde die Anerkennung mit der Begründung widerrufen, der Beschuldigte sei als Vorsitzender der FDLR für die von deren Kämpfern im Osten der DRC begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantwortlich. Zudem rechtfertige seine Nennung in der Liste der Verletzer des von den Vereinten Nationen verhängten Waffenembargos gegen die DRC die Annahme, dass er sich Handlungen habe zu Schulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderliefen. Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof durch - nicht rechtskräftiges - Urteil vom 13. Dezember 2009 abgewiesen.
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Der Beschuldigte genießt innerhalb der FDLR bzw. FOCA eine uneingeschränkte Autorität. Er nimmt nicht lediglich nominell die Stellung des Präsidenten der FDLR ein; er ist vielmehr auch tatsächlich der höchste Führer der in der DRC operierenden Streitkräfte. Als solcher hatte er maßgeblichen Einfluss auf das Kriegsgeschehen in den Bürgerkriegsprovinzen der DRC und auf die dortigen , von Mitgliedern der FDLR begangenen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Der Beschuldigte hielt sich im Tatzeitraum zwar in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er stand jedoch in regem und kontinuierlichem Austausch mit den verantwortlichen Führern der FOCA vor Ort und ließ sich über die aktuelle militärische Lage in Nord- und Süd-Kivu fortlaufend informieren. Er gab die Richtlinien der FDLR vor und initiierte auch strategische militärische Pläne. Ihm wurden Entscheidungsvorschläge zur militärischen Planung unterbreitet , die er teilweise annahm, teilweise veränderte und in seltenen Fällen ablehnte. Er ist selbst niederrangigen FDLR-Milizionären namentlich bekannt. Seine Kenntnis von der tatsächlichen Situation im Osten der DRC umfasste das Wissen um die von den Mitgliedern seiner Organisation begangenen Gräueltaten. Die Strategie der FDLR, im Rahmen des Kampfes gegen die jeweiligen Kriegsgegner auch und gerade in den Jahren 2008 und 2009 gewaltsam gegen die im Kampfgebiet ansässige Zivilbevölkerung vorzugehen, war dem Beschuldigten bekannt. Ihm war bewusst, dass die Kämpfer der FDLR als Mittel des Kampfes und der Disziplinierung der Zivilbevölkerung auch Vergewaltigungen, Brandschatzungen, Plünderungen sowie Entführungen einsetzten und selbst vor Tötungen nicht zurückschreckten. Als allgemein in der FDLR bzw. FOCA anerkannter und respektierter oberster Führer war er in der Lage, andere führende FDLR-Mitglieder, die sich seinen Anweisungen widersetzten, aus dem Weg zu räumen und dafür zu sorgen, dass ausstiegswillige FDLR-Kämpfer mit Bestrafungen von ihrem Vorhaben abgebracht wurden. Aufgrund seiner unumschränkten Befehls- und Verfügungsgewalt hatte er somit auch die Möglichkeit, die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung, deren er sich bewusst war, durch entsprechende Direktiven zu verhindern.
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2. Der dringende Tatverdacht ergibt sich aus den Bekundungen zahlreicher Zeugen, den durch die Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs des Beschuldigten und die Überwachung seiner Telekommunikation gewonnenen Erkenntnissen sowie aus Berichten der Vereinten Nationen, deren Teilorganisationen sowie von Nichtregierungsorganisationen. Hinsichtlich der Einzelheiten nimmt der Senat auf die ausführlichen Darlegungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009, dem Haftfortdauerbeschluss vom 1. April 2010, sowie den Schriftsätzen des Generalbundesanwalts vom 22. Februar und 11. Mai 2010 Bezug. Die bisher ermittelten Beweise begründen bei der gebotenen vorläufigen Würdigung auch unter Beachtung der Einlassung des Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs anlässlich seiner Haftprüfung am 30. März 2010 eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte Straftaten nach den §§ 4, 7, 8 VStGB sowie den §§ 129 a, 129 b StGB begangen hat.
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Bezüglich der in diesem Verfahren vernommenen Zeugen verweist der Senat beispielhaft auf die Bekundungen des Zeugen H. zu dem Angriff der FDLR auf das Dorf Kipopo, die Aussagen der Zeugen N. und B. zu der Verwüstung des Dorfes Mianga, die Angaben des Zeugen B. zu den Übergriffen in den Dörfern Luofo und Kasiki, die Beschreibungen der Zeugen 1 und 2, N. sowie B. zu dem Massaker von Busurungi und die Schilderung des Zeugen B. zu dem Überfall auf das Dorf Ekingi. Die Zeugen 7 und 9 haben von zahlreichen weiteren, in diesem Beschluss nicht im Einzelnen aufgeführten Zerstörungen von Dörfern durch die FDLR im Jahre 2009 berichtet. Dem Zeugen 9 wurde dabei von einem Angehörigen der FDLR durch einen Hieb mit einer Machete ein Teil seiner Hand abgetrennt. Die Zeuginnen 4, 5, 8 und 10 haben anschaulich massive sexuelle Übergriffe durch Angehörige der FDLR geschildert. Die Zeugen T. , Nt. , B. und Ng. haben zu der Rekrutierung und dem Einsatz von Kindersoldaten Angaben gemacht. Die Zeugen 5 und 9 sowie der Zeuge Ha. haben von der Ausbeutung der Zivilbevölkerung durch die FDLR berichtet.
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Die Rolle des Beschuldigten in der FDLR und seine Möglichkeiten, auf das Geschehen im Ostkongo Einfluss zu nehmen, werden belegt durch die aufgrund der Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs und der Überwachung der Telekommunikation des Beschuldigten gewonnenen Erkenntnisse sowie die Aussagen etwa der Zeugen W. , Hi. , M. , R. , Bi. , B. , N. und Ng. . Der Beschuldigte selbst hat in einem Interview für den TV-Sender MDR im Oktober/November 2008 betont, er als Präsident der FDLR wisse ganz genau, was in der FDLR passiere. In einem weiteren Interview hat er am 10. August 2009 erklärt, er sei der Präsident und stehe dem militärischen und politischen Arm vor. Als solcher sei er der Oberbefehlshaber.
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3. Danach besteht der dringende Tatverdacht, dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist. Daneben hat sich der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
a) Für die Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch gilt:
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aa) Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 VStGB macht sich strafbar , wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung und damit einer Gesamttat zumindest eine der in den Nummern 1 bis 10 näher aufgeführten Tatbestandsalternativen verwirklicht (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 727 f.).
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(1) Ein Angriff gegen eine Zivilbevölkerung ist nach der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der in Art. 7 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Handlungen gegen eine Zivilbevölkerung verbunden ist, in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation, die einen solchen Angriff zum Ziel hat. Hinter dem Angriff muss also ein Kollektiv stehen, bei dem es sich allerdings nicht notwendigerweise um einen Staat im Völkerrechtssinne zu handeln braucht. Somit ist ein militärischer Angriff im Sinne des humanitären Völkerrechts zur Tatbestandsverwirklichung nicht erforderlich (BTDrucks. 14/8524 S. 20).
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Diese Voraussetzungen liegen mit Blick auf die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe der FDLR auf die in den Provinzen Nord- und Süd-Kivu der DRC lebende einheimische Zivilbevölkerung vor. Dabei bedarf es keiner näheren Betrachtung , ob zur Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals auch im Rahmen des § 7 Abs. 1 VStGB das in Art. 7 Abs. 2 (a) IStGH-Statut genannte "Politikelement" erforderlich oder dieses entbehrlich ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 30 ff.); denn die Gewalttaten gegen die Zivilbe- völkerung beruhten auf der Politik der FDLR, die diese Übergriffe als Mittel des Kampfes einsetzte, um die kongolesische Zivilbevölkerung für ihre Zwecke gefügig zu machen, ihren Herrschafts- und Einflussbereich zu sichern bzw. auszubauen und Druck auf die DRC, Ruanda sowie die internationale Gemeinschaft auszuüben.
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(2) Ein Angriff ist dann ausgedehnt, wenn er in einem großen Umfang durchgeführt wird und mit einer erheblichen Anzahl von Opfern in der Zivilbevölkerung verbunden ist. Dies kann sich insbesondere daraus ergeben, dass er sich gegen eine Vielzahl von Personen richtet oder sich über ein großes geografisches Gebiet erstreckt. Er kann auch in einer einzigen Handlung bestehen, wenn dieser zahlreiche Zivilpersonen zum Opfer fallen. Ein Angriff ist systematisch , wenn die Gewaltanwendung organisiert ist und planmäßig im Sinne eines konsequenten Handelns ausgeführt wird (Werle/Burchards aaO Rdn. 25 ff.).
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Auch diese Voraussetzungen sind jedenfalls für die Zeit ab dem Beginn des Jahres 2009 sowohl bezüglich des quantitativen als auch des qualitativen Elements gegeben. Die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung führten zu zahlreichen Opfern. Die Gewalt wurde nicht nur isoliert und zufällig angewendet; vielmehr wurde sie - etwa in Form von Strafaktionen im Rahmen der "operations punitives" - der Strategie der FDLR folgend instrumentalisiert und regelmäßig ausgeführt, um die Zivilbevölkerung zur Loyalität gegenüber der Organisation zu "erziehen".
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(3) Im Rahmen dieses Angriffs verursachten Angehörige der FDLR durch ihr Verhalten vorsätzlich den Tod zahlreicher Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB) und verübten eine Vielzahl von sexuellen Gewaltverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB).
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bb) Wegen Kriegsverbrechen gegen Personen macht sich nach § 8 Abs. 1 VStGB strafbar, wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt eine der in den Nummern 1 bis 9 umschriebenen Handlungen begeht. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 VStGB ist hier die Einbettung der Taten in einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung nicht erforderlich.
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(1) Bei den Kämpfen zwischen der FDLR und den kongolesischen bzw. ruandischen Truppen im Osten der DRC handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt im Sinne des § 8 Abs. 1 VStGB. Maßgebend hierfür ist, dass Waffengewalt eingesetzt wird und diese einer der beteiligten Konfliktparteien zuzurechnen ist. Formelle Voraussetzungen wie etwa eine förmliche Kriegserklärung sind nicht entscheidend. Die seit Jahren andauernden heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten gehen über nicht von der Norm erfasste innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen weit hinaus. Die FDLR ist aufgrund ihrer Struktur und ihres Organisationsgrades als taugliche Konfliktpartei anzusehen (vgl. Ambos in MünchKomm vor §§ 8 ff. VStGB Rdn. 23).
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(2) Für die Beurteilung der Strafbarkeit nach § 8 Abs. 1 VStGB bedarf es keiner näheren Betrachtung, ob die Auseinandersetzungen zwischen der FDLR und ihren Gegnern im Osten der DRC als internationaler oder nichtinternationaler Konflikt zu bewerten sind. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Unterscheidung des IStGH-Statuts zwischen Kriegsverbrechen im internationalen und (Bürger)Kriegsverbrechen im nichtinternationalen Konflikt als wesentliches Strukturprinzip für den Gesetzesaufbau aufgegeben (BTDrucks. 14/8524 S. 24; Werle/Jeßberger JZ 2002, 725, 731 f.).
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(3) Es besteht ein dringender Tatverdacht dahin, dass Angehörige der FDLR im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen zahlreiche - nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende - Zivilpersonen getötet (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB), sie durch Zufügung erheblicher körperlicher und seelischer Schäden (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 VStGB) grausam oder unmenschlich behandelt , sie sexuell genötigt und vergewaltigt (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB) sowie Kinder unter 15 Jahren in die FDLR eingegliedert und sie zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten verwendet haben (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 VStGB). Diese Taten entsprachen der Kampfstrategie der FDLR; sie standen deshalb in einem funktionalen Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt und geschahen nicht lediglich "bei Gelegenheit" desselben (BTDrucks. 14/8524 S. 25; Zimmermann NJW 2002, 3068, 3070).
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cc) Mit großer Wahrscheinlichkeit haben Angehörige der FDLR daneben Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen, indem sie im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Rahmen ihrer Aktionen gegen die Zivilbevölkerung dieser Nahrung und sonstige Gegenstände weggenommen und damit geplündert haben. Eine Plünderung liegt entsprechend der in § 125 a Satz 2 Nr. 4 StGB gebrauchten Umschreibung (BTDrucks. 14/8524 S. 31) vor, wenn unter Ausnutzung der Gesamtsituation fremde bewegliche Sachen gestohlen oder einem anderen in Zueignungsabsicht abgenötigt werden (vgl. BGH JZ 1952, 369); der Begriff umfasst im Ergebnis alle Formen der rechtswidrigen Aneignung von Eigentum in einem bewaffneten Konflikt. Er kann durch isolierte Taten einzelner Kämpfer verwirklicht werden oder Teil einer organisierten Aneignung und systematischen Ausbeutung eines besetzten oder militärisch kontrollierten Gebietes sein (vgl. Ambos aaO § 9 VStGB Rdn. 6 f.). Diese Voraussetzungen sind durch das bisherige Ermittlungsergebnis im Sinne eines dringenden Tatverdachts ausreichend belegt.
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dd) Der Beschuldigte ist mit hoher Wahrscheinlichkeit für die von den Angehörigen der FDLR begangenen Verstöße gegen das VStGB als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich. Nach dieser Vorschrift werden militärische und zivile Vorgesetzte wie ein Täter der von ihren Untergebenen begangenen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch bestraft, wenn sie diese Straftaten bewusst geschehen lassen. Danach wird im Unterschied zu den allgemeinen Regeln des deutschen Strafrechts zum einen auch eine bloße Unterstützung der Straftat eines Untergebenen durch Nichtstun als Täterschaft des Vorgesetzten eingestuft, ohne dass es auf eine Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme im Einzelfall ankommt. Zum anderen bleibt dem untätigen Vorgesetzten aufgrund seiner besonderen Verantwortung die Möglichkeit der Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB versagt (BTDrucks. 14/8524 S. 19; vgl. im Einzelnen auch Weigend, ZStW 116 [2004], 999).
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(1) Als militärischer Befehlshaber gilt, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist innerhalb einer militärischen Hierarchie jedes Glied der Befehlskette als Befehlshaber anzusehen. Befehlshaber kann demnach sowohl der oberste Führer als auch ein unterer Führer sein, dem nur eine kleine Gruppe von Kämpfern untersteht. Hieraus folgt, dass mehrere Vorgesetzte unterschiedlicher Ebenen für ein und dieselbe Straftat eines Untergebenen gleichermaßen nach § 4 VStGB verantwortlich sein können. Allein der Titel oder die formelle rechtliche Stellung vermag eine Haftung nach § 4 VStGB nicht zu begründen. Hinzukommen muss stets, dass der Vorgesetzte die Möglichkeit hat, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1008). Innerhalb von Entscheidungsgremien sind nicht ohne Weiteres alle Mitglieder Vorgesetzte im Sinne des § 4 VStGB. Auch hier kommt es maßgebend auf die Befugnis an, die gemeinsam getroffene Entscheidung gegenüber den Untergebenen verbindlich anzuordnen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 17 ff.). Personen wie Stabsoffiziere oder Militärberater, die zwar tatsächlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung, aber keine unmittelbare Befehlsgewalt besitzen, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1009).
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Nach diesen Maßstäben ist der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit als Vorgesetzter im Sinne des § 4 VStGB anzusehen. Er war nicht nur nominell Präsident der FDLR, sondern übte auch faktisch die Funktion des obersten militärischen Befehlshabers aus. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass er in ständigem Kontakt mit den Entscheidungsträgern vor Ort stand und tatsächlich sowie nach den innerhalb der FDLR bestehenden Befehlsstrukturen in der Lage war, für deren Verbände verbindliche Anweisungen strategischen Inhalts, aber auch für konkrete Kampfhandlungen und -methoden zu erteilen.
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(2) Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB erfordert, dass er es unterlässt, den Untergebenen an der Tat zu hindern. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob der Vorgesetzte dem Wortlaut des § 4 VStGB folgend eine Strafbarkeit wegen der Tat des Untergebenen nur dann vermeiden kann, wenn er erfolgreich in dem Sinne tätig wird, dass die Tat aufgrund seiner Intervention unterbleibt, oder ob es ausreicht, dass der Vorgesetzte alles tut, was in seiner Macht steht und was angemessen und erforderlich ist, um den Untergebenen von der Tat abzubringen (vgl. Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 47 ff.). Denn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis hat der Beschuldigte keine ernsthaften und nachhaltigen Maßnahmen ergriffen, um die ihm bekannten gewalttätigen Übergriffe auf die kongolesische Zivilbevölkerung zu verhindern. Diese waren viel- mehr wesentlicher Bestandteil der maßgeblich von dem Beschuldigten geprägten allgemeinen militärischen und politischen Strategie der FDLR, mit der sie ihre Ziele zu erreichen trachtete.
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(3) In subjektiver Hinsicht ist gemäß § 2 VStGB i. V. m. § 15 StGB mindestens bedingter Vorsatz hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale erforderlich (Satzger NStZ 2002, 125, 127 f.).
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(a) Im Gegensatz zur völkerstrafrechtlichen Vorgesetztenverantwortlichkeit reicht im Rahmen des § 4 VStGB auch für militärische Vorgesetzte somit Fahrlässigkeit nicht aus. Die Regelung des Völkerstrafgesetzbuchs bleibt damit hinter derjenigen nach Art. 28 IStGH-Statut zurück. Der Vorsatz muss sich zunächst auf die Merkmale der Vorgesetzteneigenschaft des Täters sowie den Umstand beziehen, dass der konkret handelnde Täter sein Untergebener ist; auch muss der Vorgesetzte wissen oder es konkret für möglich halten, dass er durch Ausübung seiner Befehls- oder Führungsgewalt die Ausführung der Tat des Untergebenen verhindern kann.
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Der Vorgesetzte muss ferner erkennen oder mit der konkreten Möglichkeit rechnen, dass der Untergebene eine Straftat nach dem VStGB zu begehen beabsichtigt. Dabei reicht es jedenfalls aus, wenn sein bedingter Vorsatz die Art der zu begehenden Straftat - etwa Tötungen nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 oder § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB - umfasst und sich weiter darauf erstreckt, dass derartige Taten bei dem Einsatz der ihm unterstellten Truppen im Kampfgebiet begangen werden. Ein hierüber hinausgehendes Detailwissen ist nicht erforderlich. Ob sogar die Kenntnis von einer bloß abstrakten Möglichkeit der Begehung von Menschlichkeits- oder Kriegsverbrechen durch einen Untergebenen ausreicht, um den notwendigen Vorsatz des Vorgesetzten zu begründen (vgl. die Nach- weise bei Weigend aaO Rdn. 56), bedarf hier vor dem Hintergrund des Ermittlungsergebnisses keiner Entscheidung.
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Liegen die dargelegten Voraussetzungen vor, so beseitigen Abweichungen etwa hinsichtlich der Ausführungsweise oder der Schwere des durch den Untergebenen begangenen Unrechts die Vorgesetztenverantwortlichkeit nicht. Allerdings scheidet die Strafbarkeit des Vorgesetzten nach § 4 VStGB aus, wenn der Untergebene eine qualitativ andere Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begeht als diejenige die der Vorgesetzte erwartet hat und geschehen lassen wollte (z. B. eine Vergewaltigung nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 VStGB statt der vom Vorgesetzten erwarteten Plünderung nach § 9 Abs. 1 VStGB oder umgekehrt , vgl. insoweit zutreffend Weigend aaO Rdn. 57).
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Darüber hinaus ist es nicht erforderlich, dass der Vorgesetzte - etwa den bei der Anstiftung nach § 26 StGB oder der Beteiligung nach § 30 StGB entwickelten Grundsätzen entsprechend - eine wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in den wesentlichen Merkmalen und Grundzügen konkretisierte Haupttat vor Augen haben muss (so aber Weigend aaO Rdn. 56). Der Wortlaut der Norm erfordert eine derart einschränkende Auslegung nicht. Die undifferenzierte Übertragung der bei der Beteiligung an Straftaten nach den Maßgaben des Allgemeinen Teil des deutschen Strafgesetzbuchs entwickelten Grundsätze widerspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 4 VStGB; sie würde den spezifischen Besonderheiten der Zurechnung von Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Dieses unterscheidet sich vom allgemeinen Strafgesetzbuch namentlich dadurch, dass es den regelmäßig kollektiven Charakter der von ihm erfassten Delikte in den Vordergrund stellt. Zentraler Aspekt seiner Strafkonzeption ist gerade die Ahndung der Tatbeteiligung einer Vielzahl von Personen, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen an der Deliktsverwirklichung mitwirken. Mit Blick auf die - völkerstraf- rechtliche - Vorprägung des Gesetzes ist es unabdingbar, diese Besonderheiten bei dessen Auslegung wesentlich mit einzubeziehen (vgl. Zimmermann NJW 2002, 3068, 3069). Hieraus folgt:
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Zum einen trifft die Pflicht, Straftaten eines Untergebenen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verhindern, den Vorgesetzten nicht erst dann, wenn ihm die zu begehende Straftat in ihren wesentlichen Merkmalen bekannt ist. Denn von dem ihm unterstellten Personal geht regelmäßig etwa aufgrund von deren Bewaffnung eine große Gefahr für besonders hochwertige Rechtsgüter bis hin zu Leib und Leben der potentiellen Opfer aus (Weigend ZStW 116 [2004], 999, 1003). Dieses Gefahrenpotential begründet eine besondere Verantwortung des Vorgesetzten (BTDrucks. 14/8524 S. 18 f.) und macht es in besonderer Weise erforderlich, dass dieser die ihm Untergebenen zu einer rechtskonformen Ausübung ihres Einsatzes anhält. Die Allgemeinheit muss deshalb darauf vertrauen können, dass der Befehlshaber die Gefahren, die mit bewaffneten Einheiten immer latent verbunden sind, durch geeignete Maßnahmen frühzeitig unter Kontrolle hält und nicht erst eingreift, wenn ihm Straftaten in konkretisierter Form bekannt werden.
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Zum anderen bezweckt § 4 VStGB nicht nur die Zurechnung von Straftaten Untergebener auf Vorgesetzte, die mit dem konkreten Geschehen vor Ort derart intensiv betraut sind, dass ihr bedingter Vorsatz sogar Einzelheiten der in Betracht kommenden Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch umfasst. Zur Rechenschaft gezogen werden sollen vielmehr gerade auch Vorgesetzte, die an der Spitze der Befehlskette stehen und damit regelmäßig von dem tatsächlichen Geschehen vor Ort so weit entfernt sind, dass sie keine detaillierten Kenntnisse etwa bezüglich des genauen Ortes, der genauen Zeit und der konkreten Opfer haben. Die Vorschrift würde weitgehend leer laufen und könnte die ihr zugedachte Funktion nur in äußerst eingeschränktem Umfang erfüllen, woll- te man an den Vorsatz des Vorgesetzten bezüglich der von dem Untergebenen zu begehenden Straftat zu hohe Anforderungen stellen. Dies wird besonders deutlich in Fällen wie dem vorliegenden, die ihr wesentliches Gepräge dadurch erhalten, dass die Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch Teil der allgemeinen Strategie der Organisation sind. Diese allgemeinen Direktiven gehen indes regelmäßig von den Führern der Organisation aus; gerade diese wären bei zu hohen Anforderungen an das Wissenselement des Vorsatzes mangels ausreichend konkreter Kenntnisse von den einzelnen Übergriffen von der Haftung nach § 4 VStGB ausgenommen.
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Schließlich kommt hinzu, dass im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen sich typischerweise häufig erst kurzfristig ergibt, welche genauen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Betracht kommen, so dass die Zurechnung der Taten nach § 4 VStGB auch aus diesem Grunde nur ganz eingeschränkt möglich wäre, wollte man detaillierte Kenntnisse des Vorgesetzten verlangen.
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(b) Nach diesen Maßstäben ist der dringende Tatverdacht auch für den Vorsatz des Beschuldigten zu bejahen. Ihm war die Strategie der FDLR bewusst , gewaltsame Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung als Mittel des Kampfes einzusetzen. Aufgrund zahlreicher Informationsquellen, darunter persönliche Unterrichtungen durch die örtlichen Kommandanten der FDLR bzw. FOCA im Ostkongo war ihm bekannt, dass diese Strategie auch tatsächlich umgesetzt wurde und es dabei zu zahlreichen Verstößen gegen das Völkerstrafgesetzbuch in der dargelegten jeweiligen Art kam. Er war sich darüber im Klaren, dass die ihm unterstehenden Milizionäre etwa Tötungen, Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Plünderungen begingen sowie Kindersoldaten rekrutierten und einsetzten, solange er dies nicht unterbinden würde. Dass er möglicherweise nicht in jedem Einzelfall im Vorhinein die dann tatsächlich begange- nen Straftaten konkret kannte, steht seiner strafrechtlichen Verantwortung nach § 4 VStGB nach alldem im Ergebnis nicht entgegen.
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b) Für die Strafbarkeit nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB gilt:
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aa) Die FDLR stellt aufgrund ihrer Organisationsstruktur, der Anzahl und willensmäßigen Einbindung ihrer Mitglieder sowie der Dauerhaftigkeit der Verbindung eine Vereinigung im Ausland im Sinne der §§ 129, 129 a, 129 b StGB dar (vgl. hierzu im Einzelnen BGH NJW 2009, 3448, 3459 f.; 2010, 1979, 1981).
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Das Vorliegen einer Vereinigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die FDLR auch als militärische Organisation nach den §§ 7, 8 VStGB anzusehen ist (vgl. Werle/Burchards in MünchKomm § 7 VStGB Rdn. 35; aA wohl Weigend in MünchKomm § 4 VStGB Rdn. 23). Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck der §§ 129 ff. StGB oder der §§ 7 ff. VStGB legen eine solche Ansicht nahe. Das Völkerstrafgesetzbuch trifft keine abschließende Sonderregelung für Straftaten, die in bewaffneten Konflikten oder im Zusammenhang mit Angriffen gegen die Zivilbevölkerung begangen werden (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB können die Zwecke oder Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung vielmehr gerade darauf gerichtet sein, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Es ist nicht ersichtlich, aus welchem Grund dies nur für Verbände gelten soll, die im Normgefüge des Völkerstrafgesetzbuchs keine Rolle spielen können. Der Schutzzweck der §§ 129 ff. StGB würde ebenfalls nicht unerheblich beeinträchtigt, wenn militärische Einheiten von vorneherein aus dem Anwendungsbereich der Vorschriften herausfielen ; denn gerade von solchen Gruppierungen gehen regelmäßig etwa aufgrund ihrer Bewaffnung und Struktur besondere Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Verwirklicht ein Täter durch sein Verhalten sowohl einen Tatbestand des allgemeinen Strafrechts als auch einen solchen des Völkerstrafgesetzbuchs, so gelten die allgemeinen Konkurrenzregeln (BTDrucks. 14/8524 S. 13). Deshalb gilt für das Verhältnis zwischen den §§ 129 ff. StGB und den von dem Täter in Verfolgung des Zwecks der Vereinigung ausgeführten Straftaten keine Besonderheiten , wenn als konkrete Straftaten solche nach dem Völkerstrafgesetzbuch in Rede stehen.
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bb) Die Zwecke oder Tätigkeit der FDLR sind darauf gerichtet, Straftaten nach § 129 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, namentlich Tötungsdelikte und Straftaten nach den §§ 7, 8 VStGB, zu begehen. Hierfür genügt es, wenn sich die Mitglieder der Vereinigung bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Katalogtaten kommen kann und sie dies auch wollen; die Vereinigung muss nicht ausschließlich das Ziel der Begehung solcher Taten verfolgen.
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cc) Der Beschuldigte hat sich an dieser Vereinigung durch seine in der Bundesrepublik Deutschland entfalteten umfangreichen Tätigkeiten für die FDLR als Mitglied beteiligt. Als Präsident hatte er innerhalb der FDLR eine maßgebliche Führungsrolle inne, so dass er als Rädelsführer im Sinne des § 129 a Abs. 4 StGB anzusehen ist.
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dd) Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz gemäß § 129 b Abs. 1 Satz 3 StGB zur Verfolgung von Taten nach den §§ 129 a, 129 b StGB in Deutschland, die im Zusammenhang mit der FDLR stehen, wurde am 8. Dezember 2008 erteilt.
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4. Bereits der dringende Tatverdacht bezüglich der genannten Delikte rechtfertigt die Fortdauer der Untersuchungshaft. Es bedarf deshalb keiner näheren Betrachtung, ob der Beschuldigte weitere Verstöße gegen das Völkerstrafgesetzbuch , etwa wie im Haftbefehl angenommen nach § 8 Abs. 1 Nr. 2, 6 und 9, § 11 Abs. 1 Nr. 4 VStGB, jeweils i. V. m. § 4 VStGB, begangen hat. Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die endgültige Bewertung der Beweislage gegebenenfalls nach Durchführung der Beweisaufnahme in einer Hauptverhandlung zu treffen sein wird. Erst auf der Grundlage von deren Ergebnis wird auch abschließend zu beurteilen sein, ob sich eine für eine Verurteilung ausreichende richterliche Überzeugung insbesondere von denjenigen Übergriffen auf die kongolesische Zivilbevölkerung bilden lässt, für die unmittelbare Tatzeugen nicht zur Verfügung stehen und die nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen etwa lediglich durch Berichte verschiedener Organisationen mittelbar belegt sind.
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5. Da der Beschuldigte der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§ 129 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 129 b StGB) dringend verdächtig ist, liegt der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO) vor. Daneben sind die Haftgründe der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) gegeben.
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Der Beschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer erheblichen, unter Umständen sogar lebenslangen Freiheitsstrafe zu rechnen. Von dieser Straferwartung geht ein hoher Fluchtanreiz aus. Dem stehen ausreichend gewichtige , die Fluchtgefahr hemmende Umstände nicht entgegen. Es ist deshalb wahrscheinlicher, dass der Beschuldigte, in Freiheit belassen, sich dem Verfahren entziehen als sich ihm stellen wird.
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Daneben sind für den Fall, dass der Beschuldigte nicht in Haft gehalten wird, mit großer Wahrscheinlichkeit Verdunkelungshandlungen zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass er als Präsident der FDLR Kontakt zu seinen Untergebenen in der DRC aufnehmen und diese veranlassen würde, auf die namentlich bekannten Zeugen in unlauterer Weise einzuwirken, um diese an weiteren Aussagen zu hindern. Daneben ist zu erwarten, dass versucht werden würde, die anonymisierten Opferzeugen ausfindig zu machen, um sie ebenfalls von weiteren Bekundungen abzuhalten.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten nimmt der Senat jeweils auf die zutreffenden Ausführungen in dem Haftbefehl vom 16. November 2009 und dem Haftfortdauerbeschluss des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 1. April 2010 Bezug.
59
Unter diesen Umständen vermögen Maßnahmen nach § 116 Abs. 1, 2 StPO nicht die Erwartung zu begründen, dass durch sie der Zweck der Untersuchungshaft auch erreicht werden kann bzw. die Verdunkelungsgefahr erheblich vermindert wird.
60
6. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) liegen vor. Die besondere Schwierigkeit und der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen die Fortdauer der Untersuchungshaft.
61
Nach der Festnahme des Beschuldigten waren zahlreiche, zum Teil aufwändige und zeitintensive Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen. Das Tatgeschehen hat sich zu einem großen Teil in der DRC und damit in einem zentralafrikanischen Land zugetragen. Seine Aufarbeitung durch die deutschen Strafverfolgungsbehörden erfordert u. a. zahlreiche Ermittlungshandlungen im Rechtshilfewege. Sowohl die Stellung der Rechtshilfeersuchen an mehrere Länder sowie die Vereinten Nationen als auch die Durchführung der erbetenen Rechtshilfe sind mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies gilt insbesondere für die Vernehmung von Zeugen in der DRC. Die dortige gegenwärtige Situation erfordert intensive Maßnahmen zur Lokalisierung von aussagebereiten Zeugen sowie zur Vorbereitung und Durchführung der Vernehmungen. Hin- zu kommt, dass sich die Auswertung der überwachten Telekommunikation des Beschuldigten sowie der anlässlich der Durchsuchung sichergestellten Dokumente als besonders zeit- und arbeitsintensiv darstellt. So müssen etwa die zum größten Teil in der Sprache Kiryawanda geführten Gespräche in die deutsche Sprache übersetzt werden, was sich auch deswegen als schwierig gestaltet , weil der Kreis der zur Verfügung stehenden Dolmetscher begrenzt ist. Schließlich erfordert die Verknüpfung der vielen Einzelergebnisse ebenfalls einen erheblichen Aufwand.
62
7. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht zu den gegen den Beschuldigten erhobenen Tatvorwürfen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Becker von Lienen Schäfer

(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung

1.
einen Menschen tötet,
2.
in der Absicht, eine Bevölkerung ganz oder teilweise zu zerstören, diese oder Teile hiervon unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, deren Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
3.
Menschenhandel betreibt, insbesondere mit einer Frau oder einem Kind, oder wer auf andere Weise einen Menschen versklavt und sich dabei ein Eigentumsrecht an ihm anmaßt,
4.
einen Menschen, der sich rechtmäßig in einem Gebiet aufhält, vertreibt oder zwangsweise überführt, indem er ihn unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts durch Ausweisung oder andere Zwangsmaßnahmen in einen anderen Staat oder in ein anderes Gebiet verbringt,
5.
einen Menschen, der sich in seinem Gewahrsam oder in sonstiger Weise unter seiner Kontrolle befindet, foltert, indem er ihm erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, die nicht lediglich Folge völkerrechtlich zulässiger Sanktionen sind,
6.
einen anderen Menschen sexuell nötigt oder vergewaltigt, ihn zur Prostitution nötigt, der Fortpflanzungsfähigkeit beraubt oder in der Absicht, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen, eine unter Anwendung von Zwang geschwängerte Frau gefangen hält,
7.
einen Menschen dadurch zwangsweise verschwinden lässt, dass er in der Absicht, ihn für längere Zeit dem Schutz des Gesetzes zu entziehen,
a)
ihn im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen Organisation entführt oder sonst in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt, ohne dass im Weiteren auf Nachfrage unverzüglich wahrheitsgemäß Auskunft über sein Schicksal und seinen Verbleib erteilt wird, oder
b)
sich im Auftrag des Staates oder der politischen Organisation oder entgegen einer Rechtspflicht weigert, unverzüglich Auskunft über das Schicksal und den Verbleib des Menschen zu erteilen, der unter den Voraussetzungen des Buchstaben a seiner körperlichen Freiheit beraubt wurde, oder eine falsche Auskunft dazu erteilt,
8.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
9.
einen Menschen unter Verstoß gegen eine allgemeine Regel des Völkerrechts in schwerwiegender Weise der körperlichen Freiheit beraubt oder
10.
eine identifizierbare Gruppe oder Gemeinschaft verfolgt, indem er ihr aus politischen, rassischen, nationalen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Gründen, aus Gründen des Geschlechts oder aus anderen nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts als unzulässig anerkannten Gründen grundlegende Menschenrechte entzieht oder diese wesentlich einschränkt,
wird in den Fällen der Nummern 1 und 2 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, in den Fällen der Nummern 3 bis 7 mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und in den Fällen der Nummern 8 bis 10 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren und in minder schweren Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 und 9 Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch eine Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 10 den Tod eines Menschen, so ist die Strafe in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3 bis 7 lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren und in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist die Strafe bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 3 bis 7 Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren und bei einer Tat nach Absatz 1 Nr. 8 bis 10 Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) Wer ein Verbrechen nach Absatz 1 in der Absicht begeht, ein institutionalisiertes Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer rassischen Gruppe durch eine andere aufrechtzuerhalten, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft, soweit nicht die Tat nach Absatz 1 oder Absatz 3 mit schwererer Strafe bedroht ist. In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, soweit nicht die Tat nach Absatz 2 oder Absatz 4 mit schwererer Strafe bedroht ist.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

Auf Taten nach diesem Gesetz findet das allgemeine Strafrecht Anwendung, soweit dieses Gesetz nicht in den §§ 1, 3 bis 5 und 13 Absatz 4 besondere Bestimmungen trifft.

(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.

(2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.

(3) § 52 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 355/16
vom
20. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im
Ausland
ECLI:DE:BGH:2016:201216B3STR355.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. April 2016 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der näheren Erläuterung bedarf nur Folgendes:
3
Das Oberlandesgericht hat angenommen, eine "mehrfache Tatbestandsverwirklichung des § 129a StGB" komme auch nach der neueren Rechtsprechung des Senats (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308) zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung von Handlungen, die mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereini- gung darstellen und zugleich den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen , nicht in Betracht. Wenn und soweit der Angeklagte durch seine Beteiligungshandlungen zugleich gegen § 89a Abs. 1 und 2 StGB, gegen das Waffengesetz oder das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen hätte und diese Gesetzesverletzungen gegebenenfalls tateinheitlich zu der mitgliedschaftlichen Beteiligung hinzuträten, würde dies einer "tatbestandlichen Handlungseinheit im Rahmen des § 129a Abs. 1 StGB unter Wertungsgesichtspunkten nicht entgegen" stehen, weil es sich bei § 89a Abs. 1, 2 StGB um ein "gleichgelagertes Gefährdungsdelikt" handele; nichts anderes gelte "für (kriegs-)waffenrechtliche Gesetzesverstöße".
4
Dies ist rechtsfehlerhaft.
5
Nach der zitierten Rechtsprechung des Senats werden mitgliedschaftliche Beteiligungsakte an einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung, die auch den Tatbestand einer anderen Strafvorschrift erfüllen und der Zwecksetzung der Vereinigung oder sonst deren Interessen dienen, nicht (mehr) zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit zusammengefasst. Solche Handlungen stehen zwar gemäß § 52 Abs. 1 Alternative 1 StGB in Tateinheit mit der jeweils gleichzeitig verwirklichten mitgliedschaftlichen Beteiligung, jedoch - soweit sich nach allgemeinen Grundsätzen nichts anderes ergibt - sowohl untereinander als auch zu der Gesamtheit der sonstigen mitgliedschaftlichen Beteiligungsakte in Tatmehrheit (BGH aaO, S. 311 f.). Dies gilt auch für Akte, die sowohl eine mitgliedschaftliche Beteiligungshandlung als auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat darstellen: Der Anwendungsbereich und der Strafgrund von § 89a Abs. 1, 2 StGB einerseits und §§ 129a, 129b StGB andererseits sind nicht deckungsgleich; Verstöße gegen diese Vorschriften stehen deshalb - was das Oberlandesgericht nicht in Zweifel gezogen hat - zueinander in Idealkonkurrenz (BGH, Beschluss vom 9. August 2016 - 3 StR 466/15, juris Rn. 3 f.). Da Handlungen, wie sie hier in Rede stehen (der Angeklagte absolvierte eine mehrwöchige Kampf- und Waffenausbildung, er leistete mit einem Sturmgewehr bewaffnet Wachdienste), in aller Regel jedenfalls die Schlagkraft der Organisation erhöhen, weisen sie als Beteiligungsakte, die zugleich den Tatbestand des § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 und 2 StGB (und etwa den des § 22a Abs. 1 Nr. 2, 6 KWKG) erfüllen, nach der Rechtsprechung des Senats einen deutlich erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt auf und unterfallen deshalb nicht der tatbestandlichen Handlungseinheit. Vielmehr treten sie - hier idealkonkurrierend mit der eigenständigen, isolierten Erfüllung der §§ 129a, 129b StGB - neben die eine verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit und stehen in Tatmehrheit zu dieser (BGH aaO, S. 319 f.).
6
Diese konkurrenzrechtliche Beurteilung ändert sich nicht dadurch, dass die Strafverfolgung - wie hier gemäß § 154a Abs. 1, 2 StPO geschehen - auf Verstöße gegen § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB beschränkt wird (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, juris Rn. 17). Zur Verurteilung wegen nur einer Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland kann es in diesen Fällen deshalb in aller Regel nur kommen, wenn die zu der tatbestandlichen Handlungseinheit gemäß § 53 Abs. 1 StGB in Realkonkurrenz stehenden Taten zuvor nach § 154 Abs. 1 und 2 StPO eingestellt worden sind. Nach allgemeinen Grundsätzen können sie nach entsprechendem Hinweis gleichwohl zu Lasten des Angeklagten verwertet werden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 154 Rn. 25 mwN).
7
Durch den aufgezeigten Rechtsfehler ist der Angeklagte, der demgemäß nur wegen einer Tat der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland und nicht - wie es nach der Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1, 2 StPO rechtlich zutreffend gewesen wäre - wegen mehrerer Verstöße gegen § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB verurteilt worden ist, allerdings hier nicht beschwert.
Becker Schäfer Gericke
Berg Hoch

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
AK 54/17
vom
8. November 2017
in dem Ermittlungsverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:081117BAK54.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft München sowie des Beschuldigten und seiner Verteidiger am 8. November 2017 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem nach allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:

I.

1
Der Beschuldigte wurde am 8. April 2017 festgenommen und befindet sich seither ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst auf Grund Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Nürnberg vom 9. Januar 2017 und sodann auf Grund Haftbefehls der Ermittlungsrichterin des Oberlandesgerichts München vom 12. Mai 2017.
2
Gegenstand des aktuell vollzogenen Haftbefehls ist der Vorwurf, der Beschuldigte habe als Heranwachsender – sichan einer Vereinigung im Ausland, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) oder Völkermord (§ 6 VStGB) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11, 12 VStGB) zu begehen, als Mitglied beteiligt und – durch dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet, indem er eine andere Person unterwiesen habe oder sich habe unterweisen lassen in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Spreng- oder Brandvorrichtungen, Kernbrenn - oder sonstigen radioaktiven Stoffen, Stoffen, die Gift enthalten oder hervorbringen können, anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, zur Ausführung der Tat erforderlichen besonderen Vorrichtungen oder in sonstigen Fertigkeiten, die der Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienen,
3
4
Der Beschuldigte sei am 4./5. September 2016 von Deutschland aus in das syrische Bürgerkriegsgebiet gereist und habe sich dort der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" angeschlossen. Er habe sich einer mehrwöchigen Kampfausbildung unterzogen sowie anschließend von Ende Oktober bis Anfang November 2016 für die Vereinigung Wachdienste ausgeübt und sich an Kampfhandlungen in Aleppo beteiligt. Außerdem habe er sich Anfang Oktober 2016 erfolglos darum bemüht, von seiner Familie Geldmittel für den Kauf einer Kriegswaffe und sonstiger militärischer Ausrüstung zu erlangen.
5
Gegen diesen Haftbefehl legte der Beschuldigte Beschwerde ein, die der 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München mit Beschluss vom 27. Juni 2017 verwarf.

II.

6
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen vor.
7
1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl vom 12. Mai 2017 vorgeworfenen Tat dringend verdächtig.
8
a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Geschehen auszugehen:
9
aa) Die "Jabhat Fath al-Sham"
10
Die "Jabhat Fath al-Sham" ("Front zur Eroberung Großsyriens") ist identisch mit der Vereinigung "Jabhat al-Nusra", die Ende 2011 von Abu Muhammad al-Jawlani und anderen syrischen Mitgliedern der seinerzeitigen Organisation "Islamischer Staat im Irak" (ISI) im Auftrag deren Anführers Abu Bakr alBaghdadi in Syrien gegründet wurde und als Ableger der irakischen Organisation im Nachbarland operieren sollte. Die Gründung wurde im Januar 2012 in einem im Internet veröffentlichten Video bekannt gegeben. Zwischen den beiden Gruppierungen kam es im April 2013 zum Bruch, als al-Baghdadi die Vereinigung der Teilorganisationen ISI und Jabhat al-Nusra im neu ausgerufenen "Islamischen Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) verkündete. Muhammad alJawlani wies dies als Anführer der Jabhat al-Nusra zurück, betonte die Eigenständigkeit seiner Gruppierung und legte den Treueeid auf den Emir der Kernal -Qaida, Ayman al-Zawahiri, ab; sie fungierte danach als Regionalorganisation von al-Qaida in Syrien. In der Folge kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Jabhat al-Nusra und dem ISIG.
11
Gemäß einer Videoverlautbarung von Muhammad al-Jawlani vom 28. Juli 2016 benannte sich die Jabhat al-Nusra um in Jabhat Fath al-Sham und löste sich einvernehmlich von der Kern-al-Qaida. Im Januar 2017 ging die Jabhat Fath al-Sham wiederum in dem al-Quaida-nahen Bündnis "Hai'a Tahrir al-Sham" (Vereinigung zur Befreiung Großsyriens) auf, dessen militärische Führung Muhammad al-Jawlani übernahm.
12
Ziel der Jabhat Fath al-Sham war der Sturz des Assad-Regimes in Syrien , das sie durch einen islamischen Staat auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der Sharia ersetzen wollte. Darüber hinaus erstrebte sie die "Befreiung" des historischen Großsyrien, das heißt Syriens einschließlich von Teilen der südlichen Türkei, des Libanon, Jordaniens, Israels und der palästinensischen Gebiete. Diese Ziele verfolgte die Vereinigung mittels militärischer Operationen , aber auch durch Sprengstoffanschläge, Selbstmordattentate, Entführungen , gezielte Tötungen von Angehörigen des syrischen Militär- und Sicherheitsapparats und nicht am Konflikt beteiligten Zivilisten. Insgesamt werden der Gruppierung mehr als 2.000 Anschläge zugerechnet, bei denen mindestens 10.000 Menschen getötet wurden.
13
Die Jabhat Fath al-Sham war militärisch-hierarchisch organisiert. Dem Anführer Muhammad al-Jawlani war ein aus fünf bis sechs Personen gebildeter Shura-Rat zugeordnet. Unterhalb dieser Führungsebene standen die Kommandeure der kämpfenden Einheiten, die ihrerseits in die vor Ort agierenden Kampfgruppen untergliedert waren. Ihre militärische Ausbildung erhielten die Kämpfer in einem verzweigten Netz von Trainingslagern. Daneben gab es Hinweise auf sogenannte "Sharia-Komitees" in den von der Organisation kontrollierten Gebieten, die religiöse Angelegenheiten regelten und den Aufbau eines eigenen Justiz- und Verwaltungssystems vorantrieben. Für ihre Öffentlichkeitsarbeit bediente sie sich einer eigenen Medienstelle, über die sie im Internet Verlautbarungen, Operationsberichte und Anschlagsvideos verbreitete. Darüber hinaus unterhielt sie ein Netzwerk von "Korrespondenten" in Syrien, die ihre Berichte über Twitter-Kanäle veröffentlichten.
14
bb) Die Tathandlungen des Beschuldigten
15
Der Beschuldigte reiste am 4. September 2016 aus Deutschland aus und gelangte am 5. September 2016 über die Türkei unter Inanspruchnahme von Schleuserdiensten in das syrische Bürgerkriegsgebiet, wo er sich der Jabhat Fath al-Sham anschloss. Er gliederte sich in die Organisation ein und identifizierte sich mit der Ideologie, den Zielen und der Tätigkeit der Vereinigung.
16
In der Folge durchlief der Beschuldigte ein mehrwöchiges zweistufiges paramilitärisches Training, während dessen er unter anderem an Schusswaffen ausgebildet wurde, um sich an bewaffneten Kämpfen gegen das Assad-Regime in Aleppo zu beteiligen. Im Anschluss daran nahm er für die Jabhat Fath al-Sham von Ende Oktober bis Anfang November 2016 Wachdienste wahr und - wie beabsichtigt - an bewaffneten Kampfeinsätzen in Aleppo teil.
17
Darüber hinaus bemühte sich der Beschuldigte am 9./10. Oktober 2016 mehrfach über den Messengerdienst "WhatsApp" erfolglos darum, von seiner Mutter Geldmittel zu erlangen, um sich davon militärische Ausrüstungsgegenstände einschließlich einer Kriegswaffe zu kaufen. Weiterhin rief er jedenfalls am 7. Oktober 2016 auf seinem Instagram-Account andere ausreisewillige Kämpfer zur "Hijra" in das syrische Bürgerkriegsgebiet auf; in einer TelegramChatnachricht vom 29. Oktober 2016 gab er seinem Kommunikationspartner Rat zu im Rahmen der Ausreise benötigten Geldmitteln und kündigte an, ihn zu diesem Zweck an eine andere Person zu vermitteln.
18
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Haftbefehl vom 12. Mai 2017 und den auf die Haftbeschwerde ergangenen Beschluss vom 27. Juni 2017 verwiesen.
19
b) Der dringende Tatverdacht ergibt sich hinsichtlich der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabhat Fath al-Sham" aus den "Strukturerkenntnissen" , die der Generalbundesanwalt zu dieser Organisation für das vorliegende Verfahren in der gleichnamigen Sachakte zusammengetragen hat, insbesondere dem Gutachten des islamwissenschaftlichen Sachverständigen Dr. S. vom 11. Dezember 2014 sowie - vor allem die jüngeren Entwicklungen betreffend - dem Behördenzeugnis des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 13. Oktober 2016, der Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 6. Februar 2017 und dem Auswertebericht des Bundeskriminalamts ("Zwischenstand März 2017").
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Hinsichtlich der Beweislage zu den Tathandlungen des - bislang zur Sache schweigenden - Beschuldigten nimmt der Senat zunächst Bezug auf die diesbezüglichen Ausführungen im Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 27. Juni 2017 (S. 6 ff.).
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Die weiteren kriminalpolizeilichen Ermittlungen haben den dringenden Tatverdacht noch verfestigt. So hat der Zeuge Ö. ausgesagt, der Beschuldigte habe ihm nach seiner Ausreise über den Messengerdienst "WhatsApp" mitgeteilt, dass er für die Terrorvereinigung "al-Nusra" kämpfe. Der Zeuge K. hat bekundet, der Beschuldigte habe ihm vor der Abreise offenbart gehabt, dass er beabsichtige, sich an den bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien zu beteiligen; auf Grund vom Beschuldigten zuvor für die "Jabhat al-Nusra" geäußerter Sympathien sei ihm - dem Zeugen - klar gewesen , dass jener einen Anschluss an diese terroristische Vereinigung anstre- be. Ebenfalls erhärtet wird der dringende Tatverdacht durch die Auswertung der vom Beschuldigten über den Messengerdienst "Telegram" geführten Kommunikation. So bestätigte er etwa einem unbekannten Kommunikationspartner am 9. November 2016, drei Tage in Aleppo gewesen zu sein. Auf Telegram-Profilbildern ist der Beschuldigte in Militärkleidung mit einer Kalaschnikow zu erkennen. Auch die Ermittlungsergebnisse zum Onlinedienst "Instagram" belegen den dem Beschuldigten angelasteten Sachverhalt. Sein ehemaliges dortiges Profil weist darauf hin, dass er Angehöriger der "Jabhat Fath al-Sham" war; zudem ergibt sich aus den Ermittlungen, dass er über "Instagram" andere zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufforderte. Bezüglich der weiteren Ermittlungen nach der Entscheidung über die Haftbeschwerde verweist der Senat ergänzend auf den "2. Sachstandsbericht" der Kriminalpolizei Nürnberg vom 8. September 2017.
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Soweit die Verteidigung im Haftbeschwerdeverfahren geltend gemacht hat, die im Haftbefehl verwerteten WhatsApp-Chatnachrichten an die Familie des Beschuldigten stammten nicht von ihm, sondern seien durch Dritte gefertigt und versandt worden, vermag dies unter den gegebenen Umständen den dringenden Tatverdacht nicht zu entkräften. Ungeachtet dessen, dass kein Anhalt dafür besteht, dass der Account des Beschuldigten ohne sein Wissen zu Falschmeldungen missbraucht worden wäre, wird - in Anbetracht der Beweislage im Übrigen - nach derzeitigem Sachstand in der Hauptverhandlung zu klären sein, inwieweit sich der zuständige Strafsenat des Oberlandesgerichts München von der Authentizität der Chatnachrichten zu überzeugen vermag.
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Entgegen der im Haftprüfungsverfahren geäußerten Auffassung der Verteidigung entkräftet auch die - nach Aktenlage dem Beschuldigten zuzurechnende - Telegram-Chatnachricht vom 5. Oktober 2016, er sei "in der nähe von jizr (Stadt Jisr al-Shughur) bei junud al sham", nicht den dringenden Tatver- dacht hinsichtlich einer Mitgliedschaft in der Jabhat Fath al-Sham. Denn zum einen ist eine solche Bekundung, soweit ersichtlich, vereinzelt geblieben. Zum anderen könnte der Inhalt der Nachricht im Sinne einer Ortsangabe zu verstehen sein. Schließlich deutet eine WhatsApp-Chatnachricht des Beschuldigten vom 29. Oktober 2016 darauf hin, dass jihadistische Gruppierungen, so auch die Junud al-Sham, vereint unter dem Dach bzw. dem Kommando der Jabhat Fath al-Sham an bewaffneten Konflikten teilnahmen.
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c) In rechtlicher Hinsicht folgt aus alledem, dass sich der Beschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1, 2 Nr. 1, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1, §§ 52, 53 StGB) strafbar gemacht hat.
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aa) Indem sich der Beschuldigte der außereuropäischen terroristischen Vereinigung "Jabath Fath al-Sham" anschloss und sich auf verschiedene Weise , unter anderem als Kämpfer, für diese betätigte, beteiligte er sich an ihr als Mitglied.
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(1) Soweit er sich dabei im Umgang mit Schusswaffen sowie in sonstigen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat dienlichen Fertigkeiten unterweisen ließ, verwirklichte er - idealkonkurrierend mit dieser mitgliedschaftlichen Beteiligung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) - den Straftatbestand des § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB. Da nach den Ermittlungsergebnissen alles darauf hindeutet, dass sich die Kampfhandlungen, zu denen der Beschuldigte schon während seines paramilitärischen Trainings fest entschlossen war, (auch) gegen das Assad-Regime richten sollten, besteht kein Zweifel an der hinreichenden Konkretisierung der schweren staatsgefährden- den Gewalttat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. April 2017 - 3 StR 326/16, NJW 2017, 2928, 2929 f.).
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Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden, wie es konkurrenzrechtlich zu bewerten ist, wenn der die schwere staatsgefährdende Gewalttat Vorbereitende diese später tatsächlich begeht und sich dadurch nach anderen Strafvorschriften , beispielsweise wegen Tötungsdelikten, strafbar macht. Einerseits könnte auf allgemeine Grundsätze zum Verhältnis von Beteiligungsversuch im Vorfeld der Tat (§ 30 StGB), Versuch (§§ 22 ff. StGB) und Vollendung zurückgegriffen werden, so dass die Vorbereitungstat nach § 89a StGB als weniger intensive Deliktsverwirklichung gegenüber der - zunächst nur geplanten, dann aber - ausgeführten Gewalttat wegen Subsidiarität zurückträte (so MüKoStGB /Schäfer, 3. Aufl., § 89a Rn. 76 mwN; zu den für § 30 StGB geltenden rechtlichen Maßstäben s. BGH, Urteil vom 15. Mai 1992 - 3 StR 419/91, BGHR StGB § 30 Abs. 1 Satz 1 Konkurrenzen 3; Beschluss vom 14. April 2010 - 2 StR 87/10, StraFo 2010, 296; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 30 Rn. 73); andererseits könnte gegen die Annahme von Gesetzeseinheit eingewandt werden, dass die auf die Gewalttat selbst anzuwendenden Strafvorschriften regelmäßig andere Rechtsgüter schützen (so S/S-Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 89a Rn. 24). Eine derartige Fallkonstellation ist hier allerdings nicht zu beurteilen; die Teilnahme des Beschuldigten an den Kampfhandlungen in Syrien lässt sich anhand der Ermittlungsergebnisse bislang nicht in dem Sinne näher bestimmen , dass sie sich unter eine andere Strafnorm subsumieren ließe.
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(2) Soweit sich der Beschuldigte nach Aktenlage über das Sichunterweisenlassen im Sinne von § 89a Abs. 1, 2 Nr. 1 StGB hinaus als Mitglied für die Jabhat Fath al-Sham betätigte, etwa indem er sich um Geldmittel für den Kauf von militärischer Ausrüstung bemühte oder zugunsten der Vereinigung zur Ausreise in das syrische Bürgerkriegsgebiet aufrief, erfüllt dieses Verhalten ne- ben § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB keinen weiteren Straftatbestand. Diese Betätigungsakte werden durch das Organisationsdelikt verklammert und treten in ihrer Gesamtheit als materiellrechtlich eigenständige Tat (§ 53 StGB) zu den auch gegen ein anderes Strafgesetz verstoßenden Beteiligungshandlungen hinzu (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 f., 319 f.; vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 355/16, BGHR StGB § 129a Konkurrenzen 6).
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Die verbleibende tatbestandliche Handlungseinheit, in welche die ansonsten straflosen Betätigungsakte fallen, ist ebenfalls Gegenstand der Haftprüfung , weil sich der vollzogene und vorgelegte Haftbefehl vom 12. Mai 2017 in tatsächlicher Hinsicht auf einzelne dieser Handlungen bezieht (zu den rechtlichen Maßstäben s. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 - AK 41/16, juris Rn. 8 f.; vom 11. Januar 2017 - AK 67/16, juris Rn. 22). So sind darin insbesondere auch die Bemühungen um Geldmittel angeführt.
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bb) Deutsches Strafrecht ist gemäß § 129b Abs. 1 Satz 2 Variante 2, 4 StGB und § 89a Abs. 3 Satz 2 Variante 1 StGB anwendbar (zum Strafanwendungsrecht in den Fällen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer außereuropäischen terroristischen Vereinigung s. im Einzelnen BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2016 - AK 52/16, juris Rn. 33 ff.).
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cc) Die nach § 129b Abs. 1 Satz 2, 3 StGB erforderliche Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung von Mitgliedern der Jabhat Fath al-Sham - als Nachfolgerin der Jabhat al-Nusra - liegt in der Fassung vom 26. November 2015 vor. Die gemäß § 89a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 StGB notwendige Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung des Beschuldigten wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wurde am 13. Oktober 2016 erteilt.
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2. Beim Beschuldigten ist der Haftgrund der Schwerkriminalität gemäß § 112 Abs. 3 StPO, auch bei der gebotenen restriktiven Handhabung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN), gegeben.
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Das Oberlandesgericht München hat sich in dem auf die Haftbeschwerde des Beschuldigten ergangenen Beschluss vom 27. Juni 2017 eingehend mit dem Haftgrund der Schwerkriminalität befasst, dabei die hierfür geltenden rechtlichen Maßstäbe zutreffend wiedergegeben und die tatsächlichen Umstände überzeugend dargelegt, auf Grund derer eine Flucht des Beschuldigten - wenn er auf freien Fuß entlassen würde - nicht auszuschließen wäre. Der Senat schließt sich der Bewertung des Beschwerdegerichts an. Von besonderer Bedeutung ist dabei Folgendes:
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Zwar kehrte der Beschuldigte am 8. April 2017 freiwillig mit dem Flugzeug nach Deutschland zurück und ließ hierüber durch einen seiner Verteidiger den kriminalpolizeilichen Sachbearbeiter informieren, was die Festnahme des Beschuldigten bei seiner Ankunft am Düsseldorfer Flughafen zur Folge hatte. Dies bietet jedoch keine hinreichende Gewähr dafür, dass er sich künftig dem Strafverfahren zuverlässig zur Verfügung stellt. Der Beschuldigte erwies sich in der Vergangenheit als charakterlich labil und einfach zu verleiten, was nicht zuletzt in den Tathandlungen aufscheint. Auch die Verteidigung charakterisiert ihn als "unselbständig, beinflussbar und leichtgläubig". Trotz einer intakten, ihm vertrauensvoll zugewandten familiären Umgebung und offenbar stabiler sozialer Verhältnisse verschwand der Beschuldigte mit nur drei bis vier Tagen Vorlauf , um sich - mit hoher Wahrscheinlichkeit - von Unbekannten nach Syrien schleusen zu lassen und dort auf der Seite einer islamistischen Terrororganisation an bewaffneten Kampfhandlungen teilzunehmen. Es spricht nichts dafür, dass er sich zwischenzeitlich von seiner extremistisch-islamischen Einstellung gelöst hätte.
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Auch im Zusammenhang mit seiner Rückkehr nach Deutschland verhielt sich der Beschuldigte nach Aktenlage wankelmütig: Zwischen dem Beschuldigten und seiner Mutter bestand wieder seit dem 18. Februar 2017 Kontakt mittels ihrer - später sichergestellten - Mobiltelefone. Zunächst zeigte er sich unbeeindruckt von deren Ansinnen, ihn zu einer Rückreise zu bewegen. Am 10. März 2017 war es der Mutter dann gelungen, ihn zu überzeugen; er erklärte , "gerettet" werden zu wollen, obgleich er befürchtete, inhaftiert zu werden. Bis zum 19. März 2017, nachdem sein Vater in die Türkei gereist war, hatte der Beschuldigte es sich allerdings wieder anders überlegt. Am 21. März 2017 war er dann - offenbar wieder rückkehrwillig - in der Türkei eingetroffen, wo er den Angaben seines Vaters zufolge in eine Art Polizeigewahrsam genommen wurde.
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Gewichtige Gründe, die gegen die Annahme von Fluchtgefahr sprechen und somit hier den Haftgrund der Schwerkriminalität als unverhältnismäßig erscheinen ließen (s. hierzu BGH, Beschluss vom 23. Dezember 2009 - StB 51/09, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 2), liegen demnach nicht vor. Dass die die Fluchtgefahr begründenden Umstände nur noch geringeres Gewicht haben, hindert die Aufrechterhaltung des auf § 112 Abs. 3 StPO gestützten Haftbefehls nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2002 - StB 17/02, BGHR StPO § 112 Abs. 3 Fluchtgefahr 1).
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3. Eine - bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO mögliche - Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 StPO) ist unter diesen Umständen nicht erfolgversprechend.
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4. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Fall einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
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5. Die Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus sind gegeben; der besondere Umfang der Ermittlungen und ihre Schwierigkeit haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft:
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Die Sachakten umfassen mittlerweile 14 Bände. Die Ermittlungen gestalteten sich bislang aufwendig. Die Ermittlungsbehörden hatten erhebliche Datenmengen auszuwerten. Allein die Erkenntnisse zu der über den Messengerdienst "Telegram" geführten Kommunikation, die in den vier Bänden der Teilermittlungsakte IV in der Form von - zwischen dem 30. Juni und dem 15. September 2017 erstellten - Auswertungsvermerken mit Anlagen niedergelegt sind, haben einen Umfang von mehr als 1.200 Blatt.
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Im Hinblick auf die noch nicht hinreichend gesicherte Beweislage wurden Durchsuchungsmaßnahmen bei einer Mehrzahl von Kontaktpersonen des Beschuldigten zeitgleich am 4. August 2017 vollzogen. Erst anschließend konnten etliche der Personen als Zeugen vernommen werden. Bei den Durchsuchungen wurden weitere auszuwertende Daten gesichert. Darüber hinaus wurden - am 25. Juni 2017 angeordnete - Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen durchgeführt, insbesondere auch Telegram-Chatverkehr überwacht. Ferner wurde ein Rechtshilfeersuchen in die Schweiz veranlasst, dessen Erledigung noch aussteht.
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Nachdem die Kriminalpolizei Nürnberg unter dem 8. September 2017 einen ausführlichen "2. Sachstandsbericht" gefertigt hatte, hat die Generalstaatsanwaltschaft München in der Haftprüfungsvorlage vom 28. September 2017 angekündigt, "in Kürze" Anklage zu erheben. Angesichts des bereits weit fortgeschrittenen Ermittlungsstandes wird sich die Generalstaatsanwaltschaft um eine zügige Umsetzung ihrer Ankündigung zu bemühen haben. Becker Spaniol Berg