Gutachten über die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Urteilen und Nennung der Namen von Richter:innen, Anwält:innen u.a.
Authors
Gutachten
über die Zulässigkeit
der Veröffentlichung von Urteilen und Nennung der Namen der Beteiligten
erstellt im Auftrag der
ra.de Online Verlags GmbH & Co. KG
Inhalt
I. Sachverhalt
II. Fragestellungen
III. Rechtliche Würdigung
a) Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 Abs. 1 S.1 GVG
b) Akteneinsichtsrecht gem. § 299 Abs. 2 ZPO
a) Historie der Rechtsprechung
aa) Richter, StA, Schöffen und Verteidiger
bb) Parteien
cc) Zeugen
dd) Urkundsbeamte
ee) Sachverständige/Wirtschaftsprüfer
ff) Nebenintervenienten/ Streitverkündete/Nebenkläger
gg) Notare
3. Datenschutz
a) Sachlicher Anwendungsbereich gem. Art 2 DSGVO
bb) Verarbeitung personenbezogener Daten
cc) Zwischenergebnis
b) Räumlicher Anwendungsbereich gem. Art 3 DSGVO
c) Grundsätze der Datenverarbeitung gem. Art 5 DSGVO
d) Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung
aa) Einwilligung gem. Art 6 Abs. 1 lit.a DSGVO
bb) Berechtigtes Interesse gem. Art 6 Abs. 1 lit. f DSGVO
(1) Richter
(2) Vertreter der Staatsanwaltschaft
(3) Rechtsanwälte
(4) Sachverständige
(5) Parteien etc
(6) Juristische Personen des öffentlichen Rechts
(7) Gesellschaften mit anderen Anfangsbuchstaben
(8) Zwischenergebnis
4. Keine Auswirkung eines Wikipedia Eintrags
IV. Zusammenfassung der Ergebnisse.
Im Wesentlichen geht es um die Frage der Zulässigkeit der Veröffentlichung von Urteilen und Nennung der Namen der Beteiligten (insb. Prozessbevollmächtigte, Richter, Staatsanwälte, Urkundenbeamte, Zeugen und Sachverständige).
Die ra.de Online Verlags GmbH & Co. KG (im Folgenden. „ra.de“) beabsichtigt, auf ihrer Internetseite „ra.de“ u.a. Urteile deutscher Gerichte zu veröffentlichen.
Dabei sollen die Urteile vorwiegend von Rechtsanwälten, welche an dem jeweiligen Verfahren beteiligt waren, beigesteuert werden. Soweit es rechtlich zulässig ist, sollen Namen in den Urteilen nicht anonymisiert werden. So soll eine Datenbank mit Urteilen entstehen, die für jeden Nutzer kostenlos zugänglich ist. Die Datenbank soll durchsuchbar und mithilfe technischer Funktionen filterbar sein.
Mit E-Mail vom 30.07.2019 haben Sie uns damit beauftragt, ein Gutachten zu – insbesondere – den folgenden Fragen zu erstellen:
1. Ist es zulässig, von (am Prozess/Verfahren beteiligten) Rechtsanwälten zur Verfügung gestellte Urteile auf der Plattform ra.de zu veröffentlichen?
2. Ist es zulässig, die Namen der Beteiligten (insb. Prozessbevollmächtigte, Richter, Staatsanwälte, Urkundenbeamte, Zeugen und Sachverständige) zu nennen?
Es lagen uns insbesondere (aber nicht abschließend) folgende Unterlagen zur Begutachtung der aufgeworfenen Fragestellungen vor:
-
- Ihre E-Mails vom 30.07., 17.08. und 20.09.2019 sowie
- Gutachten zur Veröffentlichung von Namen in Gerichtsentscheidungen vom 24.10.2014
Unter Zugrundelegung des vorgenannten Sachverhalts kommen wir zu folgender rechtlicher Würdigung.
Grundsätzlich besteht die Verpflichtung der Gerichte, Urteile in anonymisierter Form zur Verfügung zu stellen, soweit sie nicht der Geheimhaltung unterliegen. Erweitert wird dieser Grundsatz nach der neusten Entscheidung des BGH auch auf Beschlüsse und Urteile, die noch nicht rechtskräftig sind (BGH NJW 2017, 1819).
a) Öffentlichkeitsgrundsatz gem. § 169 Abs. 1 S. 1 GVG
§ 169 Abs. 1 S. 1 GVG ist eine einfachgesetzliche Norm, welche den Grundsatz der Öffentlichkeit von gerichtlichen Verhandlungen normiert.
Er gewährleistet die grundsätzliche Rechtsprechung „in aller Öffentlichkeit“ im Gegensatz zu einer solchen „hinter verschlossenen Türen“ und dient damit nicht nur dem Informationsinteresse der Allgemeinheit, sondern auch einer Festigung des öffentlichen Vertrauens in die Rechtsprechung und dem Schutz vor willkürlichen Entscheidungen durch öffentliche Kontrolle (Kudlich in: MüKo StPO, 1 Aufl. 2014, Einleitung Rn. 193).
b) Akteneinsichtsrecht gem. § 299 Abs. 2 ZPO
Die Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO ermöglicht es, von sämtlichen Daten in der Akte anhand des gesamten Sach- und Streitstands eines Verfahrens unter Einschluss aller Unterlagen umfassende Kenntnis zu erlangen. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt daher einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung derjenigen dar, deren personenbezogene Daten auf diese Weise zugänglich gemacht werden (BVerfG NJW 2007, 1052). Daraus folgt eine Pflicht der Akteneinsicht gewährenden Stelle, die schutzwürdigen Interessen dieser Personen gegen das Informationsinteresse abzuwägen und den Zugang zu den Daten gegebenenfalls angemessen zu beschränken. § 299 Abs. 2 ZPO erlaubt deswegen die Gestattung der Akteneinsicht ohne Einwilligung der Parteien nur, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.
Dagegen ist eine anonymisierte Entscheidungsabschrift kein Aktenbestandteil, sondern nur ein Auszug, bei dem essenzielle Teile der Entscheidung, nämlich die Namen der Beteiligten und gegebenenfalls weitere individualisierende Merkmale fehlen (BPatG, GRUR 1992, 53). Dritte erhalten auf diesem Wege keine umfassenden Einblicke in die geschützten privaten oder geschäftlichen Unterlagen der Parteien. Der Inhalt der gerichtlichen Entscheidungen ist dagegen – wie das Verfahren generell (§§ 169, 173 GVG) – öffentlich.
Gerichtsentscheidungen unterliegen nicht der Geheimhaltung, soweit nicht ausnahmsweise unabweisbare höhere Interessen die Unterrichtung der Allgemeinheit oder einer einzelnen Person verbieten. Ein Verfahrensbeteiligter kann daher grundsätzlich nicht ausschließen, dass die ihn betreffende Entscheidung veröffentlicht wird, auch wenn die Prozessparteien der Öffentlichkeit oder einzelnen Dritten trotz Anonymisierung bekannt sein mögen (BVerfG NJW 2015, 3708).
Die Überlassung anonymisierter Entscheidungsabschriften ist keine Gewährung von Akteneinsicht und mit ihr auch nicht vergleichbar, sodass § 299 Abs. 2 ZPO weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung findet. Gleiches gilt für die Parallelnormen (bspw. § 457 StPO).
Amtliche Entscheidungen sowie amtlich verfasste Leitsätze genießen gem. § 5 Abs. 1 Urhebergesetz keinen urheberrechtlichen Schutz.
Aus urheberrechtlichen Gesichtspunkten ist eine Veröffentlichung von Urteilen einschließlich der Entscheidungsgründe daher zulässig.
Die Veröffentlichung von anonymisierten Urteilen und Beschlüssen ist zulässig. Um Kenntnis von vollständigen Urteilen und Beschlüssen (also mit Namen von allen Verfahrensbeteiligten) zu erlangen, ist gem. § 299 Abs. 2 ZPO die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses erforderlich.
Es stellt sich nun die Frage, wie sich die Rechtsprechung zu der Fragestellung - welche Personennamen in den Veröffentlichungen enthalten sein dürfen und welche anonymisiert werden müssen – entwickelt hat.
a) Historie der Rechtsprechung
Nach der vom sog. „Volkszählungsurteil“ (BVerfG BNJW 1983, 1307) ausgehenden gefestigten Rechtsprechung des BVerfG dürfen wegen des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestimmung, als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsrechtes, personenbezogene Daten von Seiten öffentlicher Stellen nur auf hinreichend bestimmter, normenklarer und verhältnismäßiger gesetzlicher Grundlage verarbeitet werden.
Das BVerwG (NJW 1997, 2694) hat nachgelegt und entschieden, dass sich die Veröffentlichungswürdigkeit von Gerichtsentscheidungen nicht allein auf Entscheidungen der obersten Bundesgerichte beschränken lasse, auch wenn gerade diesen Gerichten durch das Prozessrecht die Entscheidung grundsätzlich bedeutsamer Fragen, die Wahrung der Rechtseinheit und die Fortentwicklung des Rechts in herausgehobener Weise aufgetragen seien. Es komme daher auf eine Abwägung zur „Veröffentlichungswürdigkeit“ an. Dies hat sodann das BVerwG (NJW 2017, 1819) ausgebaut und festgestellt, dass Namen von Richtern, Schöffen und StA sowie die Verteidiger für die Übersendungen von Gerichtsentscheidungen an die Presse nicht geschwärzt werden müssten. Zu Schwärzen ist hingegen der Name der Urkundsbeamten. Die Befugnis zur Weitergabe von Urteilen und Beschlüssen beschränke sich daher nicht mehr auf Entscheidungen, die nach Ansicht des betreffenden Gerichts veröffentlichungswürdig sind, zumal entsprechende Anfragen aus der Öffentlichkeit regelmäßig ein öffentliches Interesse belegen.
Das BVerfG (NJW 2015. 3708) hat kürzlich festgestellt, dass aus dem Rechtsangebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und dem Grundsatz der Gewaltenteilung grundsätzlich eine Rechtspflicht der Gerichtsverwaltung zur Publikation von Gerichtsentscheidungen folge. Hier heißt es:
„Den auskunftspflichtigen Stellen steht – auch unter Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG – grundsätzlich ein Ermessenspielraum bei der Frage nach Art und Umfang der Auskunft zu. Bei der Bestimmung der konkreten Tragweite des Auskunftsanspruchs im Einzelfall ist eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Das danach maßgebliche öffentliche Informationsinteresse ist anhand des Gegenstands des Ankunftssuchens und damit der beabsichtigten Berichtserstattung zu bestimmen. Dabei besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Einsicht in Behördenakten.
[…]
Betrifft das Begehren der Presse auf Bekanntgabe eines strafgerichtlichen Urteils eine Person des öffentlichen Lebens und handelt es sich um strafrechtliche Vorwürfe, die auf Grund der geschützten Rechtsgüter im öffentlichen Interesse liegen (hier: §§ 108 e, 331 StGB), kann die begehrte Entscheidung allenfalls dann vollständig unter Verschluss gehalten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Gefahr einer Vereitelung, Erschwerung, Verzögerung oder Gefährdung der sachgemäßen Durchführung eines Strafverfahrens im Sinne der Landespressegesetze (hier: § 4 II Nr. 1 ThürPrG) unmittelbar und dringend nahelegen.“
Der BGH (NJW 2017, 1819) hat ferner die Reichweite des Grundsatzes für den Zivilprozess abgesteckt und dabei auf die Darlegung eines öffentlichen bzw. überhaupt eines Informationsinteresses im Ergebnis ganz verzichtet. Seine Entscheidung vollzieht für die Justiz einen Wandel nach, der sich im Verwaltungsverständnis schon seit Langem abzeichnet: von der Behörde als „Black Box“ hin zur Transparenz als Gut an sich, ohne dass es darauf ankommt, wozu der Einzelne die verlangten Informationen benötigt. Konkret heißt es:
„In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilen; ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gem. § 299 II ZPO unterliegt“
Die Rechtspflicht der Gerichte wird jedoch durch das Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der im jeweiligen Urteil benannten Personen eingeschränkt. Dieses Recht kann jedoch nicht schrankenlos gewährleistet werden, sodass vielmehr eine Abwägung im Einzelfall zwischen den Interessen des Individuums an seinen Daten und den Interessen der Gemeinschaft an den entsprechenden Informationen stattzufinden hat.
Ein ähnliches Bild zeichnet sich im europäischen Ausland ab: Beschränkungen des Rechts aus Art. 10 EMRK sind nach dessen Absatz 2 zulässig, wenn der Eingriff gesetzlich vorgesehen ist, ein dort genanntes berechtigtes Ziel verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist (EGMR, NJW 2013, 768).
Es stellt sich somit die Frage, inwiefern die Rechtsprechungsgrundsätze auf die Veröffentlichung von Gerichtsurteilen auf der „ra.de“ Plattform zu übertragen sind, insbesondere, ob sich die „ra.de“ unter den Begriff der Presse subsumieren lässt.
Oftmals gelten Presse oder (Massen-)Medien innerhalb einer Demokratie als Vertreter des Volkes, legitimes Sprachrohr der politischen Meinungs- und Willensbildung. Im Zeitalter von sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook, Instagram und Co. übernehmen die sozialen Medien zunehmend die Aufgabe des Sprachrohrs der Öffentlichkeit. Sie bestimmen mittlerweile weitestgehend die Themen für soziale sowie politische Debatten, indem sie ihrem Publikum ein ungefiltertes Bild der Realität zur Verfügung stellen. Man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an den Twitter Account der Bundesregierung und des Bundesverfassungsgerichts oder die „Greta-Thunberg-Bewegung“. Die ursprüngliche Presse, im benannten Beispiel - in Form des Pressesprechers- wird zunehmend durch soziale Medien ergänzt, sodass sich ein weiterer demokratischer Kontrollmechanismus etabliert.
„ra.de“ stellt ein solches Medium dar, weil hiermit eine Plattform für eine uneingeschränkte Einsichtnahme in Gerichtsentscheidungen mit dem Ziel angeboten wird, dass gerichtliche Entscheidungen für die Öffentlichkeit jederzeit abrufbar sind. Gerade durch die Nennung von Richtern, Staatsanwälten und Prozessbevollmächtigten ist es dem Einzelnen möglich, die Rechtsprechung zu hinterfragen und kritisch zu beurteilen. Dazu bedarf es der Namen der Beteiligten, da so eine möglichst hohe Transparenz erzeugt wird, in die der jeweilige Bürger vertrauen kann. Ohnehin ist es weitgehend dem Geschäftsverteilungsplan des jeweiligen Gerichts zu entnehmen, welches Urteil welchem/er Richter/in zuzuschreiben ist.
Dementsprechend sind die vom BVerwG entwickelten Grundsätze zu (Massen) Medien auf die „ra.de“ Seite anwendbar.
Letztlich ist demnach insbesondere die jeweilige Stellung der Verfahrensbeteiligten zu berücksichtigen; im Einzelnen:
aa) Richter, StA, Schöffe und Verteidiger
Die an einem Gerichtsverfahren beruflich oder ehrenamtlich Beteiligten (Berufsrichter, Schöffen, Urkundsbeamten, Staatsanwälte, Rechtsanwälte) müssen mit einer Wahrnehmung von und einer Berichterstattung über Gerichtsverhandlungen, an denen sie teilnehmen, stets rechnen. Dadurch ist in der Abwägung mit dem Informationsinteresse, die Namen dieser Verfahrensbeteiligten zu erfahren, ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht von vornherein in seiner Schutzintensität herabgesetzt (amtlicher Leitsatz VGH Mannheim, Urt. v. 11.9.2013, 1 S 509/13). Konkret heißt es:
„Der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, dafür zu sorgen, dass seine Bediensteten durch Veröffentlichungen der Presse nicht unter Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte bloßgestellt werden, kommt in der Abwägung zwischen dem Informationsinteresse der Presse, die Namen der Verfahrensbeteiligten eines Gerichtsverfahrens zu erfahren, und deren allgemeinem Persönlichkeitsrecht keine eigenständige Bedeutung zu.
Dem Informationsinteresse, die Namen des Verfahrensbeteiligten eines Gerichtsverfahrens zu erfahren, kommt in der Abwägung aller Umstände geringe Bedeutung zu, wenn die Veröffentlichung des Namens eines Verfahrensbeteiligten eines Gerichtsverfahrens keinen eigenen Informationswert hat und für das Verständnis der Besonderheiten des Falls nicht wesentlich ist.“
Es kommt dabei insbesondere nicht darauf an, ob eine Verhandlung stattfindet oder nicht, da das rechtsstaatliche Bedürfnis, persönliche Verantwortlichkeit für Akte der Dritten Gewalt transparent zu machen, gleichermaßen besteht.
Die dem verfassungsrechtlichen Öffentlichkeitsgrundsatz innewohnende Wertung, amtliche Funktionsträger in gerichtlichen Verfahren, ebenso wie mitwirkende nichtamtliche Organe der Rechtspflege, für ihre Mitwirkung öffentlich einzustehen, gilt unabhängig davon, welche Regelungen die Prozessordnung über die Möglichkeit von Entscheidungen im schriftlichen Verfahren oder über den Ausschluss der Öffentlichkeit treffen. Hierzu das OLG Hamm (NJW-RR 2008, 640):
„Die ungeschwärzte Veröffentlichung von Urteilen im Internet, aus der sich die Namen der Prozessbevollmächtigten ergeben, verletzt nicht deren Persönlichkeitsrechte, da ihre Intim- oder Privatsphäre nicht betroffen ist und aus ihrer bloßen Nennung sich nicht der Vorwurf der Teilnahme an einem der vertretenden Partei vorgeworfenen Fehlverhalten ergibt.“
In diesem Verfahren nahmen Anwälte, die in zwei Verfahren Prozessbevollmächtigte waren, die gegnerische Partei wegen der Veröffentlichung ungeschwärzter Urteile und eines die Berufung zurücknehmenden Schriftsatzes im Internet auf Unterlassung und Schadenersatzes in Anspruch. Sie machten geltend, durch diese Form der Veröffentlichung in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt zu sein. Das öffentliche Informationsinteresse hätte auch durch eine anonymisierte Berichterstattung befriedigt werden können.
Das OLG Hamm (NJW-RR 2008,640.) erblickte in den ungeschwärzten Urteilveröffentlichungen keine relevante Rechtsverletzung der Anwälte. Es räumt zwar ein, dass die Veröffentlichung eines verlorenen Verfahrens auf die Beurteilung der Leistung der die unterlegene Partei vertretenden Anwälte durchschlagen kann. Soweit diese jedoch im Rahmen einer üblichen Interessenwahrnehmung erfolgt, ist eine derartige Beeinträchtigung nicht ausreichend, um eine erhebliche Verletzung des Persönlichkeitsrechts der betroffenen Anwälte zu bejahen.
Im Normalfall ist bei der Namensnennung und identifizierenden Berichterstattung eine besondere Zurückhaltung zu wahren und daher das Publikmachen der Parteinamen grundsätzlich unzulässig.
Nur ausnahmsweise kann bspw. im Strafverfahren die Veröffentlichung des Namens und des Tatvorwurfs im Detail durch die Staatsanwaltschaft als Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein, wenn das öffentliche Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen überwiegt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine Straftat von erheblicher Bedeutung und ein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliegt (Gounalakis, NJW 2012, 1473).
Bei Zeugen obsiegt immer das Recht auf informationelle Selbstbestimmung; eine Veröffentlichung der Namen ist nie zulässig.
Weder im Rahmen eines bloßen Urteilsabdrucks noch im Rahmen einer Urteilsbesprechung wird auf den Urkundsbeamten eingegangen.
Es fehlt daher ein sachlicher Hintergrund, welcher die Publizierung des Namens des Urkundsbeamten rechtfertigen könnte, da es an einer materiellen Bedeutung für das Verfahren fehlt.
ee) Sachverständige/Wirtschaftsprüfer
Sofern der Sachverständige/Wirtschaftsprüfer überhaupt in einem Urteil genannt wird, wird auf die Ausführungen zu 2. b) aa) verwiesen.
ff) Nebenintervenienten/Streitverkündete/Nebenkläger
Die gutachterlichen Ausführungen zu den Parteien gelten weiter entsprechend für Nebenintervenienten und Streitverkündete. Zwar handelt es sich hierbei nicht um Parteien des Rechtsstreits, ihnen kommt gleichwohl eine ähnliche Stellung zu. Insbesondere können sie Prozesshandlungen vornehmen und die Parteien im Rechtsstreit unterstützen. Ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist demnach mit dem der Parteien vergleichbar.
Gemäß § 1 BNotO sind Notare unabhängige Träger eines öffentlichen Amtes. Hieraus könnte sich ergeben, dass im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinter dem Interesse der Öffentlichkeit auf Informationsgewinnung zurückstehen muss. Hierbei würde jedoch unberücksichtigt bleiben, dass Notaren in einem gerichtlichen Verfahren keine Sonderstellung zukommt. Sollte ein Notar als Zeuge geladen sein, so kann sich aus der öffentlichen Stellung seines Amtes zwar eine erhöhte Glaubwürdigkeit ergeben, hierdurch ergibt sich jedoch kein grundlegendes Bedürfnis, den Notar als Zeugen anderes zu bewerten als sonstige Zeugen. Eine solche Unterscheidung ergibt sich auch nicht aus den jeweiligen Verfahrensordnungen. Der Notar hat im gerichtlichen Verfahren keine herausgehobene Stellung, die mit der des Richters oder der Prozessbevollmächtigten gleichsteht. Das Recht des Notars auf informationelle Selbstbestimmung überragt demnach das Interesse der Öffentlichkeit an den entsprechenden Informationen.
Seit Mai 2018 ist die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Kraft. Somit stellt sich zusätzlich die Frage, ob sich an der oben dargestellten Bewertung durch die DSGVO etwas ändert.
a) Sachlicher Anwendungsbereich gem. Art. 2 DSGVO
Die DSGVO kommt nach Art. 2 Abs. 1 DSGVO zur Anwendung, wenn es um die ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten sowie um die nichtautomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die in einem Dateisystem gespeichert sind oder gespeichert werden sollen, geht.
Personenbezogene Daten sind dabei nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden „betroffene Person“) beziehen.
Als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind.
Hierzu zählen vor allem (und hier relevant)
Vorname und Nachname einer natürlichen Person (bspw. des Geschäftsführers)
Adressdaten,
berufliche Abschlüsse (Zeugnisse und Urkunden),
Unternehmenskennzahlen,
geschäftliche Verbindungen/Verflechtungen,
Verarbeitung ist dabei nach Art. 4 Nr. 2 DSGVO jeder mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführte Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung. Um ein ernsthaftes Risiko einer Umgehung der Vorschrift zu vermeiden, soll der Schutz natürlicher Personen technologieneutral sein und nicht von den verwendeten Techniken abhängen (Erwägungsgrund 15 zur DSGVO). Der Begriff des automatisierten Verfahrens ist aus diesem Grunde denkbar weit und umfasst letztlich jede Form von Datenverarbeitungsanlagen.
Die Unterscheidung zwischen ganz automatisierter und lediglich teilweise automatisierter Datenverarbeitung differenziert zwischen der Erhebung mit und ohne händische Zwischenschritte. Lediglich teilweise automatisierte Datenverarbeitung liegt etwa vor, wenn ein Mensch die zu verarbeitenden Daten in ein System eingibt (Ernst in: Paal/Pauly, DSGVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 2 Rn. 6).
Ein Dateisystem ist nach Art. 4 Nr. 6 DSGVO jede strukturierte Sammlung personenbezogener Daten, die nach bestimmten Kriterien zugänglich sind, unabhängig davon, ob diese Sammlung zentral, dezentral oder nach funktionalen oder geografischen Gesichtspunkten geordnet geführt wird.
Dieser sachliche Anwendungsbereich ist hier zweifellos erfüllt, da in einer Urteilsdatenbank personenbezogene Daten zum einen teilweise automatisiert verarbeitet werden und diese – zudem – in einem Dateisystem gespeichert werden. Ausnahmen nach Art. 2 Abs. 2 DSGVO liegen nicht vor.
b) Räumlicher Anwendungsbereich gem. Art. 3 DSGVO
Nach Art. 3 Abs. 1 DSGVO findet die DSGVO Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten, soweit diese im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung eines Verantwortlichen oder eines Auftragsverarbeiters in der Europäischen Union erfolgt, unabhängig davon, ob die Verarbeitung in der Union stattfindet.
Auch diese räumliche Anwendungsvoraussetzung ist bei der in Berlin ansässigen ra.de ohne Zweifel anzunehmen.
c) Grundsätze der Datenverarbeitung gem. Art. 5 DSGVO
Nach Art. 5 Abs. 1 DSGVO müssen personenbezogene Daten nach den Grundsätzen der
a) „Rechtsmäßigkeit und Transparenz“
b) „Zweckbindung“
c) „Datenminimierung“
d) „Richtigkeit“
e) „Speicherbegrenzung“ sowie
f) „Integrität und Vertraulichkeit“
verarbeitet werden.
Ergänzt wird Art. 5 DSGVO durch Art. 32 DSGVO („Datensicherheit“). Nach dessen Absatz 1 muss unter Berücksichtigung des Standes der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und des Zwecks der Verarbeitung sowie der unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeit und Schwere des Risikos für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen der Verantwortliche geeignete technische und organisatorische Maßnahmen treffen, um ein dem Risiko angemessenes Schutzniveau zu gewährleisten; diese Maßnahmen schließen u.a. die Fähigkeit ein, die Vertraulichkeit, Integrität, Verfügbarkeit und Belastbarkeit der Systeme und Dienste im Zusammenhang mit der Verarbeitung auf Dauer sicherzustellen.
Für den hiesigen Fall insbesondere relevant ist, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten immer an einen (eindeutigen, festgelegten und legitimen) Zweck gebunden ist, sie vertraulich zu behandeln sind und nach Zweckerreichung gelöscht werden müssen.
Damit die Verarbeitung rechtmäßig ist, müssen personenbezogene Daten mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen zulässigen Rechtsgrundlage verarbeitet werden (Erwägungsgrund 40 zur DSGVO). Kurz gesagt: Solange die Verarbeitung personenbezogener Daten nicht ausdrücklich nach einer gesetzlichen Norm erlaubt ist, ist sie unzulässig.
d) Rechtsmäßigkeit der Datenverarbeitung
Die Rechtsmäßigkeit der Datenverarbeitung ergibt sich insbesondere aus Art. 6 DSGVO. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 ist die Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:
a) die betroffene Person hat ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben („Einwilligung“);
b) die Verarbeitung ist für die Erfüllung eines Vertrages, dessen Vertragspartei die betroffene Person ist, oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich, die auf Anfrage der betroffenen Person erfolgen („Vertragserfüllung“);
c) die Verarbeitung ist zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung erforderlich, der der Verantwortliche unterliegt („rechtliche Verpflichtung“);
d) die Verarbeitung ist erforderlich, um lebenswichtige Interessen der betroffenen Person oder einer anderen natürlichen Person zu schützen („Schutz lebenswichtiger Interessen“);
e) die Verarbeitung ist für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, die dem Verantwortlichen übertragen wurde („öffentliches Interesse“);
f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt („berechtigtes Interesse“).
Die Erlaubnistatbestände des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. b bis e DSGVO finden hier keine Anwendung, so dass eine vertiefende Auseinandersetzung insoweit aus Gründen der Übersichtlichkeit unterbleibt.
aa) Einwilligung gem. Art. 6 Abs 1 S. 1 lit. a DSGVO
Eine Einwilligung ist nach Art. 4 Nr. 11 DSGVO jede freiwillig für den bestimmten Fall, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung einer betroffenen Person in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten einverstanden ist.
Dies folgt aus dem Umstand, dass der Betroffene „Herr seiner Daten“ ist und – nach vorheriger Information (dazu sogleich unter d) mehr) – in nahezu jede Art der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten einwilligen kann.
Die betroffene Person muss nicht ausdrücklich oder gar schriftlich in die Datenverarbeitung einwilligen, eine „eindeutig bestätigende Handlung“ reicht aus (Frenzel in: Paal/Pauly, DSGVO/BDSG, 2. Aufl. 2018, Art. 6 Rn 11).
So soll auch eine schriftliche und mündliche Erklärung oder auch eine schlüssige Willensäußerung als Einwilligung zu qualifizieren sein, etwa wenn die betroffene Person einen Antrag oder eine Anfrage stellt, der oder die evident nicht bearbeitet bzw. beantwortet werden kann, ohne dass personenbezogene Daten – zu diesem Zweck – verarbeitet (und sei es auch nur zeitweise gespeichert und genutzt) werden (Erwägungsgrund 32 zur DSGVO).
Die Einwilligung einer am Prozess beteiligten Person kann nicht ohne weiteres angenommen werden. Vielmehr bedarf es einer eindeutigen und zweckgerichteten Einwilligung gem. Art. 7 DSGVO gegenüber ra.de, die personenbezogenen Daten, wie von ra.de beabsichtigt, zu verwenden. Eine solche Einwilligung – sofern sie denn überhaupt praktisch einholbar ist – wäre nach Art. 7 Abs. 3 S. 1 DSGVO jederzeit widerrufbar.
Durch eine ordnungsgemäße Einwilligung der betroffenen Person könnte daher eine Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung erreicht werden.
bb) Berechtigte Interessen gem. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO
Gegebenenfalls besteht auf Seiten der Beteiligten auch ein „berechtigtes Interesse“ nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO an der weitergehenden Verarbeitung (=Speicherung) einzelner personenbezogener Daten.
Dass dieses Interesse weit zu verstehen sein soll, deutet der Erwägungsgrund 47 S. 2, 6 und 7 an. Erfasst wird daher grundsätzlich jede Art von Interesse, das die Datenverarbeitung rechtfertigen kann. Das Interesse muss dabei jedoch rechtmäßig, tatsächlich, gegenwärtig, nicht spekulativ, hinreichend spezifisch und klar artikuliert sein.
Entgegen dem Wortlaut haben die Mitgliedstaaten jedoch eine Reihe von Faktoren entwickelt, die bei der Interessenabwägung berücksichtigt werden sollten, insbesondere die Bewertung des berechtigten Interesses des Verantwortlichen, die Folgen für den Betroffenen, die Untersuchung eines etwaigen vorläufigen Gleichgewichts und die vom Verantwortlichen angewendeten zusätzlichen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung unangemessener Folgen für den Betroffenen. All diese Faktoren können im Einzelfall dazu führen, dass die Interessenabwägung zulasten des Verantwortlichen ausfällt und die Datenverarbeitung eben nicht auf das berechtigte Interesse gestützt werden kann.
Dabei ist eine Struktur zu erkennen, die sich wie folgt darstellt:
- Interessen des Verantwortlichen, welche „berechtigt“ sein müssen,
- Erforderlichkeit der Datenverarbeitung sowie
- kein Überwiegen der berechtigten Interessen des Betroffenen
Eine umfassende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof existiert bislang nicht.
Ein solches berechtigtes Interesse wird insbesondere bei personenbezogenen Daten von Kooperations- oder Netzwerkpartnern, Projektpartnern, Dienstleistern oder anderen Behörden/Institutionen angenommen. Auch für die Speicherung von personenbezogenen Daten für die (postalische) Direktwerbung an Kunden findet sich die Erlaubnis in Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO.
Fraglich ist, ob ra.de ein berechtigtes Interesse an der Verarbeitung der personenbezogenen Daten aus Urteilen hat. Dies kann nur für jede Personengruppe einzeln beurteilt werden. Bei der Bewertung, ob das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten eingeschränkt werden darf, hat außerdem eine umfassende Abwägung, welche insbesondere die etwaigen Grundrechte einbezieht, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stattzufinden (Erwägungsgrund 4 zur DSGVO). Es handelt sich mithin bei jedem Urteil um eine Einzelfallentscheidung. Dieses Gutachten wird im Folgenden die abstrakten Voraussetzungen für die jeweiligen Einzelfallentscheidungen darstellen.
Dabei kann es grundsätzlich keinen Unterschied machen, ob die Daten nur zahlenden Kunden zugänglich sind oder jedem Besucher der Internetseite.
ra.de müsste ein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung der Namen der Richter haben. Das vorwiegende Interessen der „ra.de“ Plattform ist es, die Urteile kommerziell zu verwerten. Ferner wird der Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben, Urteile zu recherchieren. Dem kommt ein hoher Stellenwert zu, denn der Bürger muss in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen (BVerwG NJW 2015. 3708). Dieses Bedürfnis würde grundsätzlich mit der Veröffentlichung von Urteilen samt Namensnennung auf „ra.de“ befriedigt.
Die Datenverarbeitung – also die Verarbeitung des Namens des Richters i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO – müsste zur Wahrung des berechtigten Interesses auch erforderlich sein. Das entsprechende Urteil ist unweigerlich mit dem urteilenden Richter verbunden und gibt seine persönliche Rechtsansicht wieder. Um diese Information der Allgemeinheit mitzuteilen ist die Namensnennung erforderlich. Ein weniger eingreifendes und doch gleich geeignetes Mittel besteht indes nicht.
Die Datenverarbeitung könnte demnach zulässig sein, wenn eine Abwägung ergeben würde, dass das berechtigte Interesse ra.de das Interesse des Betroffenen – also insbesondere dessen Grundrechte – überwiegt.
Richter sind die zentralen natürlichen Personen eines jeden Gerichtsverfahrens. Aufgrund der Öffentlichkeit des Verfahrens gem. § 169 Abs. 1 S. 1 GVG steht der Richter grundsätzlich (beruflich) in der (Saal-)Öffentlichkeit. Er ist in Bezug auf die Veröffentlichung von seinem Namen im Zusammenhang mit von ihm gefällten Urteilen weniger schutzwürdig. Denn solche Informationen können grundsätzlich auch (zulässigerweise) durch die Presse aus dem Gerichtssaal in die Medienöffentlichkeit getragen werden. Dies gilt ebenso für Vertreter der Staatsanwaltschaft sowie für Rechtsanwälte (BVerwG NJW 2015. 3708). Allerdings ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 Abs. 1 i V. m. Art. 1 Abs. 1 GG des Richters in die Abwägung einzustellen. Auch er hat grundsätzlich ein Recht auf den Schutz der personenbezogenen Daten.
Es wäre denkbar, dass diese Möglichkeiten genutzt werden, um beispielweise Profile der Richter zu erstellen. So sind Statistiken über Rechtschreibfehler, juristische Fehler oder ungünstige Formulierungen denkbar, um so einen Richter absichtlich oder unabsichtlich bloßzustellen.
Dem Interesse an der Geheimhaltung von „Fehlern“ steht jedoch das allgemeine und überragende Interesse an der Gerichtsöffentlichkeit gegenüber. Die Bundesregierung hatte im Jahr 2017 bereits das Verbot von Medienübertragungen aus dem Gerichtssaal gelockert. Danach darf es Tonübertragungen in einen Arbeitsraum für Medien geben, wie sie zuletzt für den Münchener NSU-Prozess gefordert worden waren. Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, den Richtern bei der Begründung ihrer Entscheidungen direkt zu folgen. Das erhöht die Akzeptanz höchstrichterlicher Entscheidungen. Außerdem soll „die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) in besonderen Fällen“ in Hörfunk und Fernsehen ausgestrahlt werden können. Die Neuregelung sieht weiterhin vor, dass „Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse“ zu „wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden“ können, „wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt“. Diese Aufnahmen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern werden dem Bundes- oder Landesarchiv zur Verfügung gestellt. Selbiges gilt seit 1998 für Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts. Schließlich werden Arbeitsergebnisse, - und keine Bilder/Tonaufnahmen aus der Privat- oder Intimsphäre- veröffentlicht.
In Zeiten von social media, in denen selbst die Bundesregierung über einen eigenen Twitter Account verfügt, ist diese Handhabung nicht mehr zeitgemäß. Der Begriff der Medien wird weiter gefasst und beschränkt sich, wie oben dargestellt, nicht mehr ausschließlich auf Personen mit Presseausweis.
Die Plattform „ra.de“ würde mit der Veröffentlichung von Urteilen den Weg einer transparenten Justiz ebnen, da sie Entscheidungen – unabhängig vom Instanzenzug – für die Öffentlichkeit jederzeit zugänglich macht und damit an der verständlichen Erklärung der Gründe und Auswirkungen von richterlichen Entscheidungen mitwirkt. Die durch „ra.de“ erfolgende Nennung der Namen der Richter in Verbindung mit den Recherchen ermöglicht es Rechtsanwälten, besser abzuschätzen, wie ein bestimmter Richter im konkreten Einzelfall entscheiden wird. Gleichzeitig würde eine Art öffentliches Korrektiv geschaffen, indem Versäumnisse und Probleme innerhalb der Justiz benannt und vor allem öffentlich sichtbar gemacht würden. Künftig können mit vergleichsweise einfachen Mitteln automatisierte Berichte von Prozessverläufen und Chronologien richterlichen Wirkens erstellt werden. Mithin ließe sich der Ausgang von Gerichtsverfahren einfacher und deutlich präziser prognostizieren. Ein Vorteil, da so in Zukunft voraussichtlich weniger erfolglose Verfahren angestrebt werden und die Gerichte entlastet werden würden.
Die Plattform „ra.de“ hat daher ein berechtigtes Interesse an der Datenverarbeitung der Namen der Richter, das rechtmäßig, tatsächlich, gegenwärtig, nicht spekulativ, hinreichend spezifisch und klar artikuliert ist. Entgegenstehende persönliche Interessen, sofern sie überhaupt existieren, treten hinter dem Grundsatz der Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen zurück.
(2) Vertreter der Staatsanwaltschaft
Die Ausführungen zum Richter gelten für die Vertreter der Staatsanwaltschaft entsprechend, sofern der Name der Vertretung überhaupt veröffentlicht wird.
Rechtsanwälte könnten das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG für sich geltend machen.
„Die ungeschwärzte Veröffentlichung von Urteilen im Internet, aus der sich die Namen der Prozessbevollmächtigten ergeben, verletzt nicht deren Persönlichkeitsrecht, da ihre Intim- oder Privatsphäre nicht betroffen ist und aus ihrer bloßen Nennung sich nicht der Vorwurf der Teilnahme an einem der vertretenden Partei vorgeworfenen Fehlverhalten ergibt.“ (OLG Hamm, NJW-RR 2008, 640).
Die allgemeine Transparenz würde zudem die Marktkräfte beflügeln, da – nach der Statistik - erfolgreiche Rechtsanwälte häufiger mandatiert werden würden. Weiterhin könnten Mandanten zukünftig erkennen, welche Anwälte bei den für ihren Prozess zuständigen Richtern typischerweise erfolgreich agieren und welche Herangehensweise, welche Art der Argumentation in der Vergangenheit gefruchtet hat.
Fraglich ist bereits, ob der Name des hinzugezogenen Sachverständigen, Bestandteil einer gerichtlichen Entscheidung ist. Selbst wenn davon ausgegangen werden sollte, dass ein Name aus der Entscheidung ersichtlich ist, ist nicht ersichtlich, welches persönliche Interesse einer Veröffentlichung entgegensteht. Vielmehr wird auf die Entscheidung des OLG Hamm (NJW-RR 2008, 640) verweisen.
Die Parteien stehen (in der Regel) deutlich weniger in der Öffentlichkeit als die vorgenannten Personengruppen. Bei natürlichen Personen besteht die Gefahr, dass ihr Privatleben an die Öffentlichkeit gelangt, was eine starke Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts darstellen würde. Juristische Personen unterfallen nicht der DSGVO. Jedoch ist die DSGVO dann (wieder) anwendbar, wenn die hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen identifizierbar sind (Art. 4 Nr. 1 DSGVO). Hiervon wird im Zweifel – insbesondere bei hochrangigen Mitarbeitern – auszugehen sein.
Der EUGH nimmt in seiner Pressemitteilung Nr. 96/18 Stellung zur Art und Weise der Anonymisierung der Parteien und steckt damit den von der Plattform „ra.de“ zu beachtenden Rahmen bei der Veröffentlichung ab:
„Wird die Rechtssache ausschließlich zwischen natürlichen Personen geführt, so wird die Rechtssachenbezeichnung aus zwei Anfangsbuchstaben bestehen, die für den Vor- und Nachnamen der Klägerpartei stehen, jedoch nicht mit dem tatsächlichen Vor- und Nachnamen dieser Partei übereinstimmen. Zur Verhinderung der Häufung von Rechtssachen mit den gleichen Anfangsbuchstaben (und da die Zahl der möglichen Buchstabenkombinationen nicht unbegrenzt ist) wird der Gerichtshof diesen beiden Anfangsbuchstaben in Klammern ein Unterscheidungsmerkmal hinzufügen. Dieses zusätzliche Element kann sich auf den Namen einer juristischen Person, die, ohne im Rechtsstreit Partei zu sein, genannt wird oder von der Rechtssache betroffen ist, oder auch auf den Gegenstand oder die Problematik des Rechtsstreits beziehen. Diese letztere Methode wurde beispielsweise im jüngsten Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juni 2018 in der Rechtssache C-451/16, MB (Geschlechtsumwandlung und Ruhestandsrente), angewandt.“
„Zählen in der Rechtssache natürliche und juristische Personen zu den Parteien, so wird die Rechtssache den Namen einer der juristischen Personen als Bezeichnung führen. Handelt es sich jedoch um eine Behörde, die regelmäßig Parteistellung vor dem Gerichtshof hat (z. B. Finanzminister), wird der Rechtssachenbezeichnung ebenfalls ein Unterscheidungsmerkmal beigefügt werden. Zuletzt ist noch darauf hinzuweisen, dass die oben dargestellten Maßnahmen einen angemessenen Schutz personenbezogener Daten im Rahmen der Veröffentlichungen des Gerichtshofs gewährleisten sollen. Sie betreffen weder die Art und Weise der Bearbeitung der Rechtssachen durch den Gerichtshof noch den üblichen Verfahrensablauf und insbesondere nicht die mündlichen Verhandlungen, die weiterhin nach den derzeitigen Modalitäten ablaufen werden.“
(6) Juristische Personen des öffentlichen Rechts
Die DSGVO ist auch bei der Nennung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, da durch die Nennung der juristischen Person die natürliche Person des gesetzlichen Vertreters identifizierbar wird, Art. 2 Abs. 1, 4 Nr. 1 DSGVO. Im Übrigen kann auf die obigen Ausführungen zu Punkt 4 verwiesen werden.
(7) Gesellschaften mit abgewandeltem Anfangsbuchstaben
Zu prüfen ist die Anwendbarkeit der DSGVO auf Gesellschaftsnamen und die eventuelle Schutzwirkung einer bloßen Nennung des Gesellschaftsnamens ohne Nennung einer vertretungsberechtigten Person.
Zunächst ist insbesondere der sachliche Anwendungsbereich zu erörtern. Dieser richtet sich nach Art. 2 DSGVO. Hier ist insbesondere auf „personenbezogene Daten“ einzugehen. Denn nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO sind personenbezogene Daten alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Dabei wird als identifizierbare Person eine solche angesehen, die direkt oder indirekt mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind.
Zu beurteilen ist der Fall der Nennung eines Gesellschaftsnamens, als Partei eines Rechtsstreits innerhalb eines Urteils oder eines Beschlusses.
Der Gesellschaftsname müsste vorerst einen Bezug zur dahinterstehenden natürlichen Person aufweisen. In Art. 4 Nr. 1 DSGVO wird die wirtschaftliche Identität explizit als geschütztes Datum innerhalb der personenbezogenen Daten klassifiziert.
Eine vertretungsberechtigte Person einer Gesellschaft wird sich durch die Gesellschaft, für die er in einer führenden Position tätig ist, regelmäßig in wirtschaftlicher Hinsicht identifizieren lassen.
Somit ist weiter zu fragen, ob die Nennung eines Gesellschaftsnamens ohne die Nennung der vertretungsberechtigten Person bereits ausreicht, um datenschutzrechtliche Anforderungen zu erfüllen. Dies wäre der Fall, wenn der Gesellschaftsname bereits pseudonymisierend wirken würde. Pseudonymisierung ist gem. Art. 4 Nr. 5 DSGVO die Verarbeitung personenbezogener Daten in einer Weise, dass die personenbezogenen Daten ohne Hinzuziehung zusätzlicher Informationen nicht mehr einer spezifischen betroffenen Person zugeordnet werden können, sofern diese zusätzlichen Informationen gesondert aufbewahrt werden und technischen und organisatorischen Maßnahmen unterliegen, die gewährleisten, dass die personenbezogenen Daten nicht einer identifizierbaren natürlichen Person zugewiesen werden kann.
Aufgrund des § 5 TMG, der Impressumspflicht, die faktisch für jedes Unternehmen mit einer Onlinepräsenz gilt, erfordern Recherchearbeiten, zur Identifikation einer Person hinter einer Gesellschaft, keinen größeren Aufwand. Die Nennung eines Gesellschaftsnamens kann durch Recherchearbeiten zur Identifizierung einer natürlichen Person, namentlich bspw. eines Geschäftsführers, führen. Da diese Informationen im Internet frei zugänglich sind, sind sie für jedermann einsehbar und nicht nach der Definition der Pseudonymisierung gesondert geschützt.
Mithin bietet die bloße Nennung des Gesellschaftsnamens, ohne die Nennung der vertretungsberechtigten Person dahinter, keinen ausreichenden Schutz i. S. d. DSGVO.
Der Gesellschaftsname, ohne die Nennung der vertretungsberechtigten Person, reicht nicht aus, um eine Pseudonymisierung und damit einen etwaig ausreichenden Schutz i. S. d. DSGVO herbeizuführen.
Die Nennung der Parteien etc. mit vollständigem Namen ist daher grundsätzlich unzulässig. Gleiches gilt für Zeugen und Urkundsbeamte und die unter 2 c) b) ff. aufgeführten Personen.
4. Keine Auswirkung eines Wikipedia Beitrags
Die eigene Erstellung eines Eintrags auf Wikipedia könnte gegebenenfalls zu einer abweichenden Wertung in der Abwägung des Informationsinteresses mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung führen.
Die bloße Eintragung einer Person bei Wikipedia ändert an der Stellung einer Person in einem Prozessverhältnis grundsätzlich nichts. Mithin können auch oben angestellte Überlegungen zu dieser Thematik und die entsprechende Interessenabwägung nicht anders ausfallen.
Zu überlegen wäre weiter, ob die selbstständige Einrichtung eines Wikipedia Eintrags als konkludente Einwilligung i. S. d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) DSGVO zu werten sein kann.
Eine Eintragung bei Wikipedia weist, wie oben bereits gesagt, keinen Bezug zu etwaigen individuellen Prozessverhältnissen auf. Somit kann auch keine Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten in solchen Eintragungen gesehen werde, sofern sich aus den Eintragungen kein Bezug zu den konkreten Prozessverhältnissen ergibt. Denkbar wäre etwa eine Eintragung, aus der hervorgeht, dass eine Person an einem bestimmten Prozess, bspw. als Partei, teilgenommen hat. Solch ein Fall wäre anders zu beurteilen und je nach konkreter Ausformulierung wohl als Einwilligung i. S. d. Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. a) DSGVO zu bewerten.
Eine eigenständige Eintragung bei Wikipedia wirkt sich, soweit kein konkreter Bezug zu einem Prozessverhältnis hergestellt wird, nicht rechtfertigend auf die Verarbeitung personenbezogener Daten aus
IV. Zusammenfassung der Ergebnisse
Die Ergebnisse fassen wir – in Anlehnung an die Fragen – wie folgt zusammen:
- Urteile und Beschlüsse dürfen auf der Plattform ra.de veröffentlicht werden.
- Die Nennung der Namen der beteiligten Richter, Staatsanwälte, Sachverständigen, Schöffen und Prozessbevollmächtigten ist grundsätzlich zulässig; eine Auslegung der datenschutzrechtlichen Norm des Art. 6 Abs. 1 S. 1 lit. f DSGVO kommt zu keinem anderen Ergebnis.
- Die Nennung der vollständigen Namen der beteiligten Parteien, Zeugen oder Urkundsbeamten etc. ist nur mit deren Einwilligung zulässig.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Scarlett Matheja
- Rechtsanwältin -