Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Nov. 2003 - 1 StR 481/03

bei uns veröffentlicht am18.11.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 481/03
vom
18. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. November 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landge-
richts München I vom 15. Mai 2003 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die den
Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.


Der Angeklagte wurde wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte seine Freundin am 24. April 2002 erwürgt, um sie zu „bestrafen“ , weil „sie sich seinem Willen widersetzte“. Er hatte, wie mehrere Zeugen bestätigt haben, schon länger angekündigt, sie „im Streit“ zu erwürgen und nach der Strafe für eine „Kurzschlusshandlung“ gefragt, wie er sie nach der Tat auch vergeblich vorzutäuschen versuchte.
Seine auf Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

II.


Mit den Verfahrensrügen macht die Revision Rechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Verteidigung des Angeklagten geltend, insbesondere hätte der bestellte Verteidiger Rechtsanwalt K. von diesem Amt entbunden und an seiner Stelle Rechtsanwalt Dr. W. bestellt werden müssen.
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
Am 14. Mai 2002 legte Rechtsanwalt K. gegenüber der Schwurgerichtskammer eine Vollmacht des Angeklagten vor und beantragte, Pflichtverteidiger zu werden. Der Angeklagte (der nicht arbeitete) könne keinen Verteidiger bezahlen. Diesem Antrag kam der Vorsitzende am 16. Mai 2002 nach. Am gleichen Tag zeigten unabhängig voneinander die Rechtsanwälte B. und Dr. W. gegenüber der Staatsanwaltschaft mit Vollmachten die Verteidigung des Angeklagten an.
Am 29. Januar 2003 wurden alle drei Verteidiger zu der für vier Tage geplanten Hauptverhandlung im Mai 2003 geladen. Rechtsanwalt B. ist, ohne dies zuvor mitzuteilen, nicht erschienen und hat sich auch sonst nicht erkennbar am Verfahren beteiligt. Rechtsanwalt Dr. W. ließ dem Gericht am 2. Mai 2003 fernmündlich mitteilen, er werde an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen. Rechtsanwalt K. teilte mit Schreiben vom 11. März 2003 mit, er sei an den beiden ersten Verhandlungstagen wegen unaufschiebbarer anderer Hauptverhandlungen verhindert. Er schlage für diese Tage (seinen Sozius) Rechtsanwalt G. – ausweislich des Briefkopfs ebenso wie er Fachanwalt für Strafrecht – als Verteidiger vor. Rechtsanwalt G. sei hierzu bereit.
Am ersten Hauptverhandlungstag am 5. Mai 2003 beantragte Rechtsanwalt G. sofort seine Beiordnung; daraufhin bestellte der Vorsitzende ihn an Stelle von Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger. Sodann verlas der Angeklagte einen vorformulierten Antrag, ihm an Stelle von Rechtsanwalt K. Rechtsanwalt Dr. W. beizuordnen. Er habe kein Vertrauen mehr zu Rechtsanwalt K. , weil nicht er, sondern Rechtsanwalt G. erschienen sei. Hiervon habe ihn Rechtsanwalt K. nicht selbst unterrichtet, sondern er habe es erst am 29. April 2003 bei einem Besuch von Rechtsanwalt G. im Gefängnis er- fahren. Bei diesem einzigen Besuch durch Rechtsanwalt G. habe seine Verteidigung nicht ordnungsgemäß besprochen werden können, so daß er zu ihm auch kein Vertrauen habe. Vertrauen habe er zu Rechtsanwalt Dr. W. , mit dem er in ständigem Kontakt stehe, allerdings könne er ihn nicht bezahlen.
Daraufhin hob der Vorsitzende die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. auf, da sie auf der unzutreffenden Annahme beruht habe, der Angeklagte sei mit einer Verteidigung durch Rechtsanwalt G. einverstanden.
Zu sonstigem Verfahrensgeschehen kam es an diesem Tag nicht.
Am nächsten Verhandlungstag erschien Rechtsanwalt K. . Der Angeklagte hielt den Antrag auf dessen Entpflichtung aufrecht, dieser gab eine Erklärung ab. Auch wenn sich dies – ebenso wie der Inhalt der Erklärung von Rechtsanwalt K. - nicht aus dem Protokoll ergibt, hat der Angeklagte offenbar inhaltlich ergänzend vorgetragen. Jedenfalls lehnte die Schwurgerichtskammer den Antrag ab und führte dabei aus, der Angeklagte behaupte, Rechtsanwalt K. habe ihn „nur 2 oder 3 Mal“ besucht. Rechtsanwalt K.
habe demgegenüber genaue Termine genannt, an denen sich der Angeklagte geweigert habe, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen.
Sodann wurde die Hauptverhandlung mit Rechtsanwalt K. als Verteidiger durchgeführt.
2. Dieser Verfahrensgang gefährdet den Bestand des Urteils nicht.

a) Allerdings haben etwa gleichzeitig mit der Bestellung des vom Angeklagten bevollmächtigten Rechtsanwalts K. noch weitere Verteidiger Vollmacht des Angeklagten vorgelegt; deshalb war die Bestellung von Rechtsanwalt K. aber nicht gemäß § 143 StPO rückgängig zu machen. Angesichts der Vermögensverhältnisse des Angeklagten war ohne weiteres absehbar, dass auch andere Verteidiger (ebenso wie Rechtsanwalt K. ) ihr Wahlmandat niederlegen und ihre Beiordnung beantragen würden (vgl. OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207, 208; Laufhütte in KK 5. Aufl. § 143 Rdn. 3 m. w. N.).

b) Bei den Entscheidungen vom ersten Verhandlungstag handelt es sich im Hinblick auf das Schreiben von Rechtsanwalt K. vom 11. März 2003 im Ergebnis um eine Vertreterbestellung für den vorübergehend verhinderten Rechtsanwalt K. (vgl. Meyer-Goßner StPO, 46. Aufl. § 142 Rdn. 15 m. w. N.) und um deren Rücknahme. Nachdem der Angeklagte im Ergebnis zu keinem Zeitpunkt von Rechtsanwalt G. verteidigt worden ist, kann das auf Rechtsanwalt G. und seine Bestellung bezogene Vorbringen auf sich beruhen.

c) Die Entscheidung vom zweiten Verhandlungstag, Rechtsanwalt K. nicht als Verteidiger zu entpflichten, hält rechtlicher Überprüfung stand.
aa) Allerdings hat entgegen § 141 Abs. 4 StPO die gesamte Schwurgerichtskammer und nicht allein der Vorsitzende entschieden. Ohne dass es auf weiteres ankäme, hält dies der Senat angesichts der Bedeutung einer ordnungsgemäßen Verteidigung für unschädlich (im Ergebnis ebenso BVerwG NJW 1969, 2029; w. N., auch für die gegenteilige Auffassung, b. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 141 Rdn. 6; in vergleichbarem Sinne auch BGH, Beschluss vom 27. August 2003 – 1 StR 324/03 m. w. N.). Außerdem macht die Revision eine Verletzung gerichtsinterner Zuständigkeitsregeln nicht geltend (zur Notwendigkeit einer Verfahrensrüge als Voraussetzung der Prüfung etwaiger Zuständigkeitsmängel vgl. allgemein BGHSt 43, 47, 53 m. w. N.).
bb) Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Angeklagten endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, dass die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (BGHSt 39, 310, 314 f m. w. N.). Maßstab hierfür ist, insoweit vergleichbar der Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit, die Sicht eines verständigen Angeklagten (vgl. Müller in KMR § 141 Rdn. 20 m. w. N.).
Hieran gemessen erweist sich, zumal angesichts der hier gegebenen Beweislage, der Vorschlag von Rechtsanwalt K. , vorübergehend seinen Sozius Rechtsanwalt G. mit seiner Vertretung zu beauftragen, nicht als geeignet , das Verhältnis zwischen Angeklagten und Verteidiger zu erschüttern. Rechtsanwalt K. konnte die persönliche und fachliche Qualifikation von Rechtsanwalt G. zuverlässig beurteilen; die Gefahr, dass durch die vorgeschlagene Vorgehensweise für die Verteidigung wesentliche Erkenntnisse ins-
gesamt unbeachtet bleiben könnten, ist hier nicht erkennbar. Ebensowenig ist die Grundlage der von der Revision aufgezeigten Besorgnis erkennbar, aus dem gesamten Ablauf ergäbe sich, dass sich Rechtsanwalt K. insgesamt nicht hinlänglich vorbereitet hätte.
cc) Ob die Art der Information über die ins Auge gefasste zeitweilige Vertretung oder, was offenbar ebenfalls geltend gemacht worden ist, schon allein die Anzahl der Besuche von Rechtsanwalt K. im Gefängnis geeignet sein könnte, dessen Entpflichtung zu rechtfertigen, kann der Senat nicht prüfen. Ob das Verhalten eines Verteidigers geeignet ist, das Vertrauen des Angeklagten zu zerstören, kann regelmäßig ohne Kenntnis von Erklärungen des Verteidigers hierzu nicht beurteilt werden. Auch insoweit gilt vergleichbares wie bei der Ablehnung eines Richters, dessen dienstliche Erklärung je nach ihrem Inhalt zunächst berechtigt erscheinendes Misstrauen ausräumen kann (vgl. BGHSt 4, 264, 269, 270; BGH wistra 2002, 267 m. w. N.). Dementsprechend sind solche Erklärungen eines Verteidigers, ebenso wie dienstliche Erklärungen eines Richters (vgl. BGH StV 1996, 2 m. w. N.), bei einer entsprechenden Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO mitzuteilen. Die Revision beschränkt sich dagegen auf die – zutreffende – Feststellung, dass sich der Inhalt der von Rechtsanwalt K. in der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung nicht aus dem Protokoll ergibt. Dies genügt nicht. Ist, wie hier, für die Beurteilung einer Verfahrensrüge die Kenntnis von Verfahrensgeschehen erforderlich, für das die absolute Beweiskraft des Protokolls nicht gilt, macht dies entsprechenden Tatsachenvortrag der Revision nicht entbehrlich. Vielmehr ist dann vom Revisionsgericht die tatsächliche Grundlage des Revisionsvorbringens anderweitig zu überprüfen, insbesondere an Hand dienstlicher Äußerungen,
auf deren Abgabe die Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Gegenerklärung (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) hinzuwirken hat (vgl. Nr. 162 Abs. 2 Satz 7 RiStBV).
dd) Selbst wenn hier aber der Revisionsvortrag als ausreichend zu werten wäre, weil sich aus dem Beschluss, mit dem die Entpflichtung von Rechtsanwalt K. abgelehnt wurde, der Inhalt von dessen Erklärung genügend ergibt (für den Fall der Richterablehnung vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 344 Rdn. 47 m. w. N.), könnte dies am Ergebnis nichts ändern. Nach dem unbestrittenen Vortrag von Rechtsanwalt K. hat sich der Angeklagte wiederholt ohne erkennbaren Grund geweigert, sich zu einer Besprechung vorführen zu lassen. Unter diesen Umständen kann sich der Angeklagte bei verständiger Würdigung offensichtlich nicht darauf berufen, er könne Rechtsanwalt K. deshalb nicht mehr vertrauen, weil ihn dieser nicht genügend informiert oder besucht habe.

III.


Die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 141 Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers


(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be

Strafprozeßordnung - StPO | § 347 Zustellung; Gegenerklärung; Vorlage der Akten an das Revisionsgericht


(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine sch

Strafprozeßordnung - StPO | § 143 Dauer und Aufhebung der Bestellung


(1) Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach den §§ 423 oder 460. (2) Die Bestellung kann aufgehoben werden, wenn kein Fall notwen

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Bestellung des Pflichtverteidigers endet mit der Einstellung oder dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens einschließlich eines Verfahrens nach den §§ 423 oder 460.

(2) Die Bestellung kann aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 gilt dies nur, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. Beruht der Freiheitsentzug in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 5 auf einem Haftbefehl gemäß § 127b Absatz 2, § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, soll die Bestellung mit der Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls, spätestens zum Schluss der Hauptverhandlung, aufgehoben werden. In den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 soll die Bestellung mit dem Ende der Vorführung aufgehoben werden, falls der Beschuldigte auf freien Fuß gesetzt wird.

(3) Beschlüsse nach Absatz 2 sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar.

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 324/03
vom
27. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. August 2003 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 17. Januar 2003 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.

Gründe:


Der Angeklagte wurde wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub und weiteren Delikten zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge und mehrere Verfahrensrügen gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

Näher ist dies nur zu den im Zusammenhang mit der Vernehmung der Zeugin B. erhobenen, auf § 338 Nr. 6 StPO gestützten Verfahrensrügen auszuführen:
1. Die aus Polen zum Termin angereiste (Belastungs-)Zeugin war schon im Vorfeld von Angehörigen des Angeklagten im Hinblick auf ihre Aussage unter Druck gesetzt und beschimpft worden. So drohten ihr etwa die Schwester und die Ehefrau des Angeklagten an, Nacktfotos von ihr zu verbreiten. Die Ehefrau hatte ihr auch "über Mittelsmänner ... Repressalien" angedroht. So war die Zeugin von einem ihr bis dahin unbekannten Nachbarn des Angeklagten zusammen mit einer weiteren Person aufgesucht worden, der sie über ihre bevorstehende Reise zum Termin befragte und versuchte, sie einzuschüchtern. Auf dieser - aus dem Revisionsvorbringen und den Urteilsgründen ersichtlichen - Grundlage erging ein Beschluß der Strafkammer, wonach der genannte Nachbar und die ebenfalls anwesende Schwiegermutter des Angeklagten für die Dauer der Vernehmung der Zeugin des Saales verwiesen wurden. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage nennt der Beschluß nicht. Nachdem die Vernehmung der Zeugin abgeschlossen war, aber noch vor deren Entlassung , ergab sich, daß die Vernehmung teilweise nicht öffentlich durchgeführt worden war, obwohl nicht die Öffentlichkeit, sondern nur die beiden Zuhörer ausgeschlossen waren. Daher wurde die Vernehmung öffentlich wiederholt, den beiden Zuhörern blieb jedoch der Zutritt verwehrt. 2. Die Revision meint, der Ausschluß der beiden Zuhörer sei, ohne daß die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorgelegen hätten, offensichtlich auf § 172 Abs. 1 Nr. 1a GVG gestützt. In einem gewissen Widerspruch hierzu führt die Revision weiter aus, da § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG nicht beachtet worden sei, bliebe unklar, auf welche Rechtsgrundlage der Ausschluß gestützt sei. Schließlich sei die Zeugin zweimal vernommen worden. Der Ausschluß der Zuhörer bei der zweiten Vernehmung sei durch den genannten Beschluß jedenfalls nicht mehr gedeckt gewesen.
3. Das letztgenannte Vorbringen ginge selbst auf der Grundlage der übrigen Rechtsausführungen der Revision fehl: Ist die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen ausgeschlossen, so deckt der Ausschluß der Öffentlichkeit auch eine nachfolgende Vernehmung dieses Zeugen ab. Dies gilt nur dann nicht, wenn die beiden Vernehmungen kein insgesamt einheitliches Verfahrensgeschehen sind (vgl. BGHR GVG § 174 Abs. 1 Satz 1 Ausschluß 1 m.w.N.). Das ist bei der hier vorgenommenen Wiederholung des Verfahrensgeschehens jedoch nicht der Fall. 4. Im übrigen ist das Revisionsvorbringen aber schon im Ansatz unzutreffend : Die Gründe, die den Ausschluß einzelner Zuhörer von der Verhandlung rechtfertigen, sind nicht auf die Gründe beschränkt, die auch den Ausschluß der gesamten Öffentlichkeit rechtfertigen könnten (vgl. BGHSt 3, 386, 388; 17, 201, 203 f.; BGHR StPO § 338 Nr. 6 Zuhörer 7 jew. m.w.N.). Damit geht das Vorbringen ins Leere, es sei entgegen (dem hier nicht einschlägigen) § 174 Abs. 1 Satz 3 GVG unklar, auf welchen der dort genannten Gründe der Ausschluß der beiden Zuhörer gestützt sei. 5. Der Sache nach handelt es sich hier bei dem Ausschluß der beiden Zuhörer um eine sitzungspolizeiliche Maßnahme (§ 176 GVG). Die sitzungspolizeilichen Befugnisse umfassen nämlich das Recht und die Pflicht, mit geeigneten Mitteln darauf hinzuwirken, daß Zeugen keinem Druck zur Beeinflussung ihres Aussageverhaltens ausgesetzt werden (vgl. Wickern in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 176 GVG Rdn. 18). Je nach den Umständen des Einzelfalls können aus diesem Grund auch Zuhörer des Saals verwiesen werden (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 176 GVG Rdn. 8).
6. Es kann allerdings im Sinne des § 338 Nr. 6 StPO ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens auch dann vorliegen, wenn einzelne Zuhörer in einer nicht dem Gesetz entsprechenden Weise aus dem Saal entfernt wurden (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 6 Zuhörer 1, 2 jew. m.w.N.). Dies führt hier jedoch zu keinem anderen Ergebnis:
a) Allerdings hat hier anstelle des hierzu regelmäßig allein berufenen Vorsitzenden (§ 176 GVG) die gesamte Strafkammer entschieden (vgl. auch Diemer in KK 5. Aufl. § 176 GVG Rdn. 7). Der Senat hält dies angesichts der damit verbundenen Einschränkung der Öffentlichkeit für unschädlich (vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 1977, 309, 311; Wickern aaO Rdn. 9 m. zahlr. Nachw. in Fußn. 31; anders OLG Koblenz MDR 1978, 693; offen gelassen bei BGH NStZ 1982, 389). Darüber hinaus kann aber auch dem Revisionsvorbringen (vgl. oben I. 2.) die Rüge einer Verletzung gerichtsinterner Zuständigkeitsregeln nicht entnommen werden (zur Notwendigkeit einer Verfahrensrüge als Voraussetzung der Prüfung - etwaiger - Zuständigkeitsmängel vgl. allgemein BGHSt 43, 47, 53 f. m.w.N.):
b) In der Sache ist angesichts der genannten tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung (vgl. oben I.1.) eine Verkennung von Rechtsbegriffen oder ein sonstiger Ermessensfehlgebrauch (generell zum revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab vgl. Wickern aaO § 169 GVG Rdn. 63) nicht ersichtlich. Hinsichtlich des Nachbarn liegt dies angesichts seines früheren Verhaltens gegenüber der Zeugin ohnehin auf der Hand. Im Hinblick darauf, daß die Ehefrau des Angeklagten der Zeugin auch über andere Personen Repressalien androhte , bestehen aber auch ebensowenig Bedenken gegen den Ausschluß der Schwiegermutter des Angeklagten während der Vernehmung der Zeugin.

II.

Auch ansonsten hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit nimmt der Senat auf die Ausführungen des Generalbundesanwalts Bezug. Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Wird das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten, so gibt der Staatsanwalt in dieser Frist eine Gegenerklärung ab, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Der Angeklagte kann die Gegenerklärung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben.

(2) Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das Revisionsgericht.