Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer
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Es häufen sich die Urteile, in denen Gerichte Personen hohe Entschädigungen wegen einer überlangen Verfahrensdauer zusprechen. Möglich ist dies auf Grundlage von § 198 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz). Mithilfe dieses inneerstaatlichen Rechtsbehelfs können Betroffene sich gegen Gefährdungen und Verletzungen ihres Rechts auf angemessene Verfahrensdauer wehren. Gleichzeitig ist dieser Rechtsbehelf geeignet die Gerichte zu einer schnelleren Entscheidungsfindung zu veranlassen sowie den durch die überlange Verfahrensdauer verletzten Personen, eine angemessene Entschädigungs zu gewähren.
Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin
Nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Deutschland mehrmals wegen überlanger Verfahrensdauer verurteilte und schließlich verpflichtete einen wirksamen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen, trat am 03.12.2011 das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren in Kraft. Hierbei handelt es sich nicht um ein eigenständiges Gesetz. Vielmehr sind die §§ 198-201 in das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eingefügt worden. § 198 GVG normiert dabei einen eigenständigen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer, der grundsätzlich von jeder Person erhoben werden kann, die hierdurch einen Nachteil erleidet. Unerheblich ist, ob der Nachteil materieller oder immaterieller Natur ist. Ebenfalls nicht von Bedeutung ist das Verschulden des Gerichts oder anderer am Verfahren beteiligter Personen.
Das Fehelen einer Sanktionsregelung hinsichtlich eines überlangen Gerichtsverfahrens widerspricht den Garantien des Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG sowie der Regelung des Art. 6 Abs. 1 EMRK.
Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer
Erst vor wenigen Monaten wurde dem Beklagten eines zivilrechtlichen Pilotverfahrens, wegen überlanger Verfahrensdauer ein Entschädigungsanspruch iHv. Ca. 6500 Euro zugesprochen. Auch wenn, die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist (der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zugelassen) zeigt sie, dass Betroffene sich erfolgreich gegen das oftmals sehr lange Warten zuwehrsetzen können.
Schließlich darf nicht vergessen werden, dass ein Gerichtsverfahren – unabhängig davon, ob es sich um eine zivil- oder strafrechtliche Streitigkeit handelt – mit einer enormen psychischen Belastung einhergeht.
Das ist nur eines von vielen Fällen, in denen Betroffene hohe Entschädigungszahlungen erstritten haben.
Anspruchsvoraussetzungen
I. Unangemessene Verfahrensdauer
Erste und wohl zentrale Anspruchsvoraussetzung ist eine unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Verfahren „überlange“ dauert und damit „unangemessen“ ist, müssen insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden. Erforderlich ist eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Allerdings existieren hier keine allgemeinen Zeitvorgaben hinsichtlich der "Höchstdauer" eines Gerichtsverfahrens, da jedes Verfahren einzigartig ist und eine individuelle Betrachtung erfordert.
II. Nachteil
Dem Rechtsssuchenden muss weiterhin ein Nachteil durch die überlange Verfahrensdauer entstanden sein. Dieser Nachteil kann sowohl materieller als auch immaterieller Natur sein.
Größtenteils handelt es sich um psychische Nachteile iSe. immateriellen Schadens: Eine überlange Verfahrensdauer ist mit Ungewissheit und Angst hinsichtlich des Ausgangs des Verfahrens und der damit möglicherweise einhergehenden Geld- oder Freiheitsstrafe verbunden. Diese psychische Belastung ist insbesondere bei strafrechtlichen Gerichtsverfahren immens. § 198 Abs. 2 GVG normiert deshalb eine widerlegbare Vermutung in Hinblick auf einen immateriellen Schaden bei einer unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens.
Wenn eine unagemessen lange Verfahrensdauer festgestellt werden kann, wird das Vorliegen eines immateriellen Schadens vermutet.
Ein überlanges Gerichtsverfahren kann jedoch auch wirtschaftliche Nachteile nachsichziehen. Nicht selten entstehen solche materiellen Nachteile, wenn in einem überlangen Wirtschaftsverfahren Kundenbeziehungen aufgelöst werden, weil die Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens groß ist und der Ausgang des Verfahren aus diesem Grund nicht länger abgewartet werden kann.
III. Verzögerungsrüge
Voraussetzung für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach § 198 GVG ist weiterhin eine Rüge über die überlange Verfahrensdauer beim jeweiligen Gericht, vgl. § 198 Abs. 3 S. 1 GVG. Die Rüge ist formlos möglich und kann sowohl schriftlich als auch mündlich erhoben werden. Sie dient als präventive Vorwarnung zur Beschleunigung des Verfahrens und soll gleichzeitig die bewusste Hinnahme der Überlänge zum Zwecke der Erlangung einer Entschädigung verhindern.
Gem. § 98 Abs. 3 S. 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Gerichtsverfahren nicht in angemessener Zeit abgeschlossen wird. Sie ist außerdem zwingende Voraussetzung für die nachfolgende Gewährung von Entschädigung oder Kompensation.
Bei der Verzögerungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht ist gem. § 97 b Abs. 1 S. 3 GVG hingegen die schriftliche Form einzuhalten. Der Grund hierfür findet sich in der Gesetzesbegründung. Bei Erhebung der Verzögerungsklage zum Bundesverfassungsgericht geht der Gesetzgeber davon aus, dass Kläger und Gericht miteinander in Kommunikation treten werden.
Haben Sie noch Fragen zum Thema "Entschädigungsanspruch aufgrund einer überlangen Verfahrensdauer"? Dann nehmen Sie Kontakt zu Streifler&Kollegen auf und lassen Sie sich fachkundig beraten.
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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.
(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist
- 1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren; - 2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.
(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist
- 1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren; - 2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.
(1) Wird vor der Zivilkammer eine vor die Kammer für Handelssachen gehörige Klage zur Verhandlung gebracht, so ist der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Kammer für Handelssachen zu verweisen. Ein Beklagter, der nicht in das Handelsregister oder Genossenschaftsregister eingetragen ist, kann den Antrag nicht darauf stützen, daß er Kaufmann ist.
(2) Der Antrag ist zurückzuweisen, wenn die im Falle des § 506 der Zivilprozeßordnung erhobene Widerklage als Klage vor die Kammer für Handelssachen nicht gehören würde.
(3) Zu einer Verweisung von Amts wegen ist die Zivilkammer nicht befugt.
(4) Die Zivilkammer ist zur Verwerfung des Antrags auch dann befugt, wenn der Kläger ihm zugestimmt hat.