Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16

bei uns veröffentlicht am03.05.2016

Tenor

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu gleichen Teilen.

Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragsteller, die in der Hauptsache die Erteilung von Aufenthaltstiteln zum Familiennachzug begehren, wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen.

2

Die 1975 geborene Antragstellerin zu 1 und ihr 2001 geborener Sohn, der Antragsteller zu 2, sind Staatsangehörige der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien. Sie reisten am 4. April 2014 mit biometrischen Pässen ohne Visum ins Bundesgebiet ein, nach eigenen Angaben zu Besuchszwecken.

3

Am 2. Juni 2014 wurde für den Antragsteller zu 2 eine mazedonische Geburtsurkunde ausgestellt, in welcher der mazedonische Staatsangehörige A. als Vater angegeben ist. A. hat seit 2007 eine Niederlassungserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu seinem 2007 geborenen deutschen Kind B. inne.

4

Die Antragsteller beantragten am 1. Juli 2014 bei der Antragsgegnerin die Verlängerung des visumsfreien Aufenthalts und legten ein ärztliches Attest vor, ausweislich dessen die Antragstellerin zu 1 nicht reisefähig war. Die Antragsgegnerin lehnte mit am selben Tag gegen Empfangsbekenntnis zugestellter Verfügung vom 7. Juli 2014 den Antrag ab und drohte die Abschiebung der Antragsteller in ihr Heimatland an, sollten sie nicht bis zum 18. Juli 2014 ausgereist sein. Die Antragsgegnerin erteilte den Antragstellern Grenzübertrittsbescheinigungen „zur Abgabe an eine deutsche Auslandvertretung“ oder am „gewählten Grenzübergang“, in denen es hieß, die Antragsteller seien „aufgrund einer erlassenen Verfügung verpflichtet, das Bundesgebiet bis zum 18.07.2014 zu verlassen“. Nach Vorlage eines weiteren Attests über die akute Reiseunfähigkeit vom 17. Juli 2014 vermerkte die Antragsgegnerin auf den Grenzübertrittsbescheinigungen „Ausreisefrist bis zum 18.08.2014 verlängert“.

5

Nachdem die Antragstellerin zu 1 und A. am 14. August 2014 die Ehe geschlossen hatten, beantragten die Antragsteller am 18. August 2014 die Erteilung von Niederlassungserlaubnissen, hilfsweise von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug zum Ehemann bzw. Vater. Ausweislich der vorgelegten Meldebestätigung zogen die Antragsteller am 19. August 2014 mit A. in Hamburg zusammen.

6

Die Antragsgegnerin teilte dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller mit Schreiben vom 9. Januar 2015 mit:

7

„Ihre[r] Mandantin soll ausnahmsweise zur Erlangung des Sprachzertifikats A1 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 5 AufenthG für 6 Monate erteilt werden. Ihrem Sohn soll eine Aufenthaltserlaubnis nach § 29 / 32 AufenthG zur Begleitung der Mutter erteilt werden. Ihre Mandantin und deren Sohn werden gebeten, an einem der nächsten Sprechtage zu den in der Fußzeile angegebenen Öffnungszeiten (Anschrift und Dienstgebäude: siehe oben) vorzusprechen. […]“

8

Die Antragsteller sprachen in der Folgezeit nicht bei der Antragsgegnerin vor, um sich Aufenthaltserlaubnisse erteilen zu lassen.

9

Die Antragsgegnerin lehnte mit Verfügung vom 2. Februar 2016 die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ab, da es am fünfjährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis fehle, zugleich lehnte sie die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zum Familiennachzug ab, da es an der Einreise mit dem erforderlichen Visum fehle; der Lebensunterhalt sei nicht gesichert. Dagegen haben die Antragsteller sich mit ihrem am 2. März 2016 eingegangenen Widerspruchsschreiben vom 1. März 2016 gewandt. Der Widerspruch ist noch nicht beschieden.

10

Die Antragsteller haben am 30. März 2016 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und diesbezüglich am 12. April 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Sie tragen vor, den Antrag auf Erteilung von Aufenthaltstiteln sei aus dem rechtmäßigen Aufenthalt gestellt worden. Deshalb hätten Fiktionsbescheinigungen ausgestellt werden müssen. Die Grenzübertrittsbescheinigung sei ein Aufenthaltstitel. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung seien nach Einreise entstanden. Der Lebensunterhalt sei gesichert. Die Rechte der Antragsteller aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien andererseits seien von der Antragsgegnerin übersehen worden. Die Antragsteller haben das Antragsziel wie folgt formuliert:

11

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 1.3.2016 gegen den Bescheid des Ag's vom 2.2.2016 wird hergestellt; ferner: es wird festgestellt, dass § 84.2; S. 1 AufhG im vorliegenden Fall keine Anwendung findet, weil zugunsten der Ast. aus Unionsrecht Freizügigkeit nach dem SAA EU – Mazedonien besteht.

12

Die Antragsgegnerin beantragt wörtlich,

13

den Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches der Antragsteller vom 01.03.2016 abzulehnen.

14

Die Antragstellerin erwarb am 8. April 2016 das Sprachzertifikat für Deutsch als Fremdsprache auf den Niveau A1.

II.

15

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz sowie der darauf bezogene Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend ausgelegt, dass die Antragsteller gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO im Hauptantrag beantragen,

16

die aufschiebende Wirkung des am 2. März 2016 eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2016 anzuordnen,

17

und anknüpfend an die mit dem Hauptantrag erstrebte Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit einem uneigentlichen Hilfsantrag als vorläufigen Feststellungsantrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO (vgl. Schoch, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 29. EL Oktober 2015, § 123 Rn. 35) beantragen,

18

im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass die Rechtsfolge des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Antragsteller nicht eintritt.

19

Die Auslegung dieses Feststellungsantrags als uneigentlicher Hilfsantrag, d.h. dass über ihn nur für Fall des Erfolgs des Hauptantrags zu entscheiden ist (vgl. Pietzcker, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 29. EL Oktober 2015, § 44 Rn. 9), folgt daraus, dass der Feststellungsantrag jedenfalls dann ins Leere geht, wenn Widerspruch oder Klage keine aufschiebende Wirkung zukommt. Denn die Rechtsfolge des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, deren Nichteintritt der Feststellungsantrag zum Gegenstand hat, ist es, dass Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt lassen. Die Frage nach der Rechtsfolge der aufschiebenden Wirkung stellt sich im konkreten Rechtsverhältnis dann nicht, wenn der Hauptantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung bereits keinen Erfolg hat.

20

Die vorstehend dargestellten Rechtsschutzbegehren haben die rechtsanwaltlich vertretenen Antragsteller der Sache nach vorrangig zur gerichtlichen Entscheidung gestellt. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist jedoch darüber hinaus ausgehend vom Rechtsschutzziel, eine Abschiebung vorläufig zu vermeiden, sachdienlich dahingehend auszulegen, dass die Antragsteller in einem eigentlichen Hilfsantrag, d.h. für den Fall fehlenden Erfolgs des Hauptantrags, beantragen,

21

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über den Antrag auf Erteilung von Aufenthaltstiteln vom 18. August 2014 aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu unterlassen.

III.

22

Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des prozessbevollmächtigten Rechtsanwalts beruht auf § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO. Nach dem verfassungsrechtlichen Maßstab der Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 19.7.2010, 1 BvR 1873/09, juris, Rn. 10 f.) hat ein Rechtsschutzgesuch dann keine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn die sich stellende Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung und im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden beantwortet werden kann. Dies ist hier zulasten der Antragsteller der Fall (s.u. IV.).

IV.

23

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat für die beiden Antragsteller keinen Erfolg. Der Hauptantrag ist unzulässig (hierzu unter 1.), so dass nicht über den für den Fall des Erfolgs im Hauptantrag gestellten uneigentlichen Hilfsantrag zu entscheiden ist (hierzu unter 2.), sondern über den eigentlichen Hilfsantrag. Der Hilfsantrag ist zulässig, aber nicht begründet (hierzu unter 3.).

24

1. Der Hauptantrag ist unzulässig. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des am 2. März 2016 eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2016 anzuordnen, ist nicht die statthafte Rechtsschutzform. Es liegt nicht der Fall vor, in dem in der Hauptsache ein Anspruch auf Erteilung eines abgelehnten Aufenthaltstitels mit dem Verpflichtungsbegehren zu verfolgen ist, aber vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eröffnet ist mit dem Ziel einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen die Versagung des Aufenthaltstitels (vgl. Schoch, in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 29. EL Oktober 2015, § 80 Rn. 57). Dieser Fall setzt voraus, dass erst die Ablehnung des Aufenthaltstitels eine nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 AufenthG bestehende Fiktionswirkung beendet (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 10.11.2015, 2 E 6028/15). Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthaltstitel eines Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend, wenn der Ausländer vor Ablauf des Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels beantragt. Nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt, wenn der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen und die Erteilung eines Aufenthaltstitels beantragt. Der Antrag muss auch nach dieser Vorschrift während des rechtmäßigen Aufenthalts gestellt werden, um die Fiktionswirkung auszulösen. Dieses Ergebnis bestätigt die Regelung des § 81 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, nach der bei verspäteter Antragstellung ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung – lediglich – als ausgesetzt gilt. Vorliegend kommt eine Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder Abs. 4 Satz 1 AufenthG den Antragstellern unabhängig von einer Wirksamkeit oder Vollziehbarkeit des mit dem Widerspruch vom 2. März 2016 angefochtenen Ablehnungsbescheids vom 2. Februar 2016 nicht zugute. Es fehlt an einer rechtzeitigen Antragstellung. Die Antragsteller – Staatsangehörige der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien – hatten bei der Antragstellung am 18. August 2014 bereits keinen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet mehr. Ausländer bedürfen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet grundsätzlich eines Aufenthaltstitels. Am 18. August 2014 war ein Aufenthaltstitel erforderlich, um den fortgesetzten Aufenthalt der Antragsteller im Bundesgebiet zu rechtfertigen. An dem erforderlichen Aufenthaltstitel fehlte es aber. Im Einzelnen:

25

Dabei soll im Folgenden zugunsten der Antragsteller unterstellt werden, dass sie erst nach der Einreise einen dauerhaften Verbleib im Bundesgebiet zum Zwecke der Familienzusammenführung beabsichtigten. Anderenfalls dürfte eine Befreiung von der Visumpflicht nicht gegolten haben (vgl. Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG, § 5 Rn. 111) und den Antragstellern bereits bei der Einreise das dafür erforderliche Visum gefehlt haben.

26

Ausgehend von dieser Unterstellung war der Aufenthalt der Antragsteller ab ihrer Einreise am 4. April 2014 für 90 Tage, d.h. bis einschließlich 3. Juli 2014, ausnahmsweise ohne einen Aufenthaltstitel erlaubt. Dies ergibt sich aus Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. Nr. L 081 S. 1 v. 21.3.2001; in der zum Zeitpunkt der Einreise geltenden Fassung zuletzt geändert durch Verordnung Nr. 1289 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.12.2013, ABl. Nr. L 347 S. 74 v. 20.12.2013). Nach der bei der Einreise der Antragsteller geltenden Fassung der Vorschrift waren Staatsangehörige der in der Liste in Anhang II der Verordnung aufgeführten Drittländer – darunter: ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien – von der Visumpflicht für einen Aufenthalt zu Besuchszwecken, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.

27

Die Antragsteller hatten zwar bereits am 1. Juli 2014, d.h. noch vor Ablauf der visumsfrei erlaubten Aufenthaltszeit einen Antrag auf Verlängerung des visumsfreien Aufenthalts gestellt. Insoweit galt gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ihr Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Doch endete diese Fiktionswirkung mit der Verfügung vom 7. Juli 2014, mit der die Antragsgegnerin die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis versagte. Die Verfügung ist gemäß §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 41 Abs. 5 HmbVwVfG i.V.m. § 1 HmbVwZG i.V.m. § 5 Abs. 1 VwZG mit Zustellung gegen Empfangsbekenntnis am 7. Juli 2014 wirksam und zugleich gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbar geworden. Mit Ablauf der Widerspruchsfrist am 7. August 2014 gemäß §§ 70 Abs. 1, 57 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB ist sie zudem bestandskräftig geworden.

28

Der ab dem 7. Juli 2014 erforderliche Aufenthaltstitel ist auch nicht in der Bestimmung einer Ausreisefrist durch die Antragsgegnerin zu sehen. Die Antragsgegnerin hat in der Verfügung vom 7. Juli 2014 mit der Abschiebungsandrohung gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Frist bis zum 18. Juli 2014 benannt, in der die Antragsteller ihrer Ausreisefrist freiwillig nachkommen konnten. Diese von einer Abschiebung zunächst verschonende Frist hatte die Antragsgegnerin ausweislich der Begründung der Verfügung vom 7. Juli 2014 unter Berücksichtigung des von der Antragstellerin zu 1 vorgelegten Attests vom 1. Juli 2014 über ihre akute Reiseunfähigkeit gesetzt. Auch in der Ausstellung von Grenzübertrittsbescheinigungen, in denen eine bestimmte Ausreisefrist genannt ist, liegt nicht die Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die Grenzübertrittsbescheinigung wird gerade aus Anlass der Ausreisepflicht ausgestellt und dient dem Nachweis, dass der Ausländer seiner Ausreisepflicht nachgekommen ist. Die erteilte Grenzübertrittsbescheinigung war ausdrücklich „zur Abgabe an eine deutsche Auslandvertretung“ oder am „gewählten Grenzübergang“ bestimmt. Wird in der Grenzübertrittsbescheinigung eine Frist genannt, so betrifft diese nur eine Verschonung von Zwangsmaßnahmen zur Durchführung der Ausreisepflicht, kein Hinausschieben der Ausreisepflicht. Die Grenzübertrittsbescheinigung ist mangels einschlägiger gesetzlicher Regelung kein Aufenthaltstitel. Aufenthaltstitel sind nach dem Katalog des § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG lediglich: (Nr. 1) ein Schengen-Visum oder nationales Visum i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 3 AufenthG, (Nr. 2) eine Aufenthaltserlaubnis i.S.d. § 7 AufenthG, (Nr. 2a) eine Blaue Karte EU i.S.d. § 19a AufenthG, (Nr. 3) eine Niederlassungserlaubnis i.S.d. § 9 AufenthG und (Nr. 4) eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU i.S.d. § 9a AufenthG. Das Gesetz knüpft an die Grenzübertrittsbescheinigung – anders als an die rechtzeitige Antragstellung in den Fällen des § 81 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 AufenthG – auch keine Fiktionswirkung, kraft derer der Aufenthalt als erlaubt gälte.

29

Eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bei Antragstellung am 18. August 2014 folgt zugunsten der Antragsteller auch nicht aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien andererseits (BGBl. II 2002 S. 1211 – SAA MKD). Nach Art. 44 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SAA MKD haben vorbehaltlich der in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten der Ehegatte und die Kinder eines im Gebiet eines Mitgliedstaates legal beschäftigten Arbeitnehmers, die dort einen legalen Wohnsitz (im Englischen: „legally resident spouse and children“), während der Geltungsdauer der Arbeitserlaubnis des Arbeitnehmers Zugang zum Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaats. Dahinstehen kann, ob diese Vorschrift trotz des ausdrücklichen Vorbehalts für die in den einzelnen Mitgliedstaaten geltenden Bedingungen und Modalitäten unmittelbare Wirkung zugunsten des Ausländers entfaltet (dies bezweifelnd VG Hamburg, Beschl. v. 21.2.2011, 15 E 220/11, juris Rn. 38). Ebenso kann dahinstehen, ob die Rechtsfolge des Art. 44 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SAA MKD über den Wortlaut („Zugang zum Arbeitsmarkt“) hinaus ein Aufenthaltsrecht des Ehegatten oder Kindes begründen kann (dies erwägend VG Hamburg, a.a.O., Rn. 37, unter Bezugnahme auf die Rspr. zum türkischen Assoziationsrecht, vgl. EuGH, Urt. v. 20.9.1990, Rs. C-192/89, Slg. 1990, I-0361 Rn. 29 – Sevince). Denn unabhängig von diesen Fragen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, an die Art. 44 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SAA MKD eine Vergünstigung knüpft. Zwar ist A., der Ehemann der Antragstellerin zu 1 und Vater des Antragstellers zu 2, aufgrund seiner Niederlassungserlaubnis, die ihm nach § 28 Abs. 2 AufenthG zum Zweck des Familiennachzugs zu dem 2007 geborenen deutschen Kind B. erteilt worden ist, ein im Gebiet eines Mitgliedstaates legal beschäftigter Arbeitnehmer mazedonischer Staatsangehörigkeit. Doch fehlt es den beiden Antragstellern, d.h. der Ehefrau und dem 2001 geborenen Kind des Beschäftigten, an dem durch Art. 44 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SAA MKD ausdrücklich geforderten „legalen Wohnsitz“ im Gebiet eines Mitgliedstaats. Die Kammer 2 überträgt die nachfolgend zitierten Ausführungen der Kammer 15 zu diesem Tatbestandsmerkmal (VG Hamburg, a.a.O, Rn. 39) auf den vorliegenden Fall:

30

„Diese Voraussetzung muss so verstanden werden, dass dem ausländischen Ehegatten bereits die Einreise und ein auf längere Dauer angelegter Aufenthalt zum Zwecke des Zusammenlebens mit seinem hier lebenden Ehegatten nach nationalem Recht erlaubt wurde. Insoweit kann allein die mittlerweile erlaubte visumsfreie Einreise als Besucher keinen solchen legalen Wohnsitz vermitteln. Denn ein auf maximal drei Monate angelegter besuchsweiser Aufenthalt ist zwar legal, aber nicht geeignet, einen 'Wohnsitz' in Deutschland zu begründen, da bei einem bloßen Besuch die alsbaldige Rückkehr in das Heimatland impliziert ist und der Wohnsitz als ständiger Aufenthaltsort dort verbleibt (vgl. § 7 Abs. 1 BGB). Somit bedürfte es für einen möglicherweise hieran anknüpfenden weiteren Aufenthaltsanspruch einer korrekten Einreise mittels eines für einen Daueraufenthalt erforderlichen Visums, die hier nicht gegeben ist.“

31

Ein aufenthaltsrechtlich „legaler Wohnsitz“ wird nicht bereits durch eine melderechtlich gebotene Anmeldung vermittelt. Wer eine Wohnung bezieht, hat dies bei der Meldebehörde anzumelden (ab 1.11.2015 gemäß § 17 des Bundesmeldegesetzes v. 3.5.2013, BGBl. I S. 1084 m.spät.Änd. – BMG, zuvor gemäß § 12 Abs. 1 des Hamburgischen Meldegesetzes i.d.F. v. 3.9.1996 m.spät.Änd., HmbGVBl. S. 231 – HmbMG) und zwar unabhängig von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Wohnsitznahme. Auch ist die Meldebestätigung (ab 1.11.2015: gemäß § 24 Abs. 2 BMG, bis 31.10.2015 gemäß § 16 Abs. 5 HmbMG) kein Aufenthaltstitel nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AufenthG.

32

2. Über den uneigentlichen Hilfsantrag auf vorläufige Feststellung ist nicht zu entscheiden, da er nur für den Fall des Erfolgs des Hauptantrags gestellt ist, der Hauptantrag aber ohne Erfolg bleibt (dazu s.o. 1.). Stünde der Antrag auf vorläufige Feststellung nicht in diesem Stufenverhältnis hätte er deshalb keinen Erfolg, weil mangels aufschiebender Wirkung des Widerspruchs die begehrte Feststellung über den Nichteintritt der Rechtsfolge des § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ins Leere ginge (dazu s.o. I.). Unabhängig davon können die Antragsteller entgegen ihrer Auffassung in der Sache keine Rechte aus Art. 44 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich SAA MKD herleiten (dazu s.o. 1.).

33

3. Der Hilfsantrag, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache über den Antrag auf Erteilung von Aufenthaltstiteln vom 18. August 2014 aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu unterlassen, ist gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig. Denn vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, der nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangig wäre, ist nicht eröffnet (dazu s.o. 1.). Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Gemäß § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte; einstweilige Anordnungen sind danach auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Voraussetzung hierfür ist, dass der Antragsteller die Umstände glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO), aus denen er in der Hauptsache einen Anspruch herleiten kann (Anordnungsanspruch) und aufgrund derer er dringend auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung angewiesen ist (Anordnungsgrund).

34

Hier fehlt es an einem Anordnungsanspruch, der einen Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung rechtfertigen würde. Denn die Antragsteller können auch in der Hauptsache nicht beanspruchen, dass die Antragsgegnerin aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterlässt. Die Antragsteller sind mangels Aufenthaltstitels gegenwärtig zur Ausreise verpflichtet (hierzu unter a.). Sie können weder die Erteilung der am 18. August 2014 beantragten und am 2. Februar 2016 abgelehnten Aufenthaltstitel beanspruchen (hierzu unter b.) noch eine Aussetzung der Abschiebung verlangen (hierzu unter c.).

35

a. Die Antragsteller sind gegenwärtig zur Ausreise verpflichtet. Der Aufenthalt der Antragsteller im Bundesgebiet war ab dem 7. Juli 2014 und auch noch am 18. August 2014 unerlaubt (s.o. 1.). Den nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel haben die Antragsteller auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erlangt.

36

Einen Aufenthaltstitel hat die Antragsgegnerin den Antragstellern insbesondere nicht schon durch das Mitteilungsschreiben vom 9. Januar 2015 erteilt. Dieses Schreiben stellt die Erteilung von Aufenthaltstiteln lediglich in Aussicht, ohne bereits selbst die Erteilung vorzunehmen. Dies geht aus dem Wortlaut der Mitteilung vor, nach dem der Antragstellerin zu 1 und dem Antragsteller zu 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden „soll“. Es ist nicht zur Erteilung eines Aufenthaltstitels gekommen, da die Antragsteller sich entgegen der Aufforderung im Schreiben vom 9. Januar 2015 nicht zwecks Erteilung der Aufenthaltstitel bei der Antragsgegnerin vorgestellt haben.

37

Die Antragsteller sind auch nicht nach Treu und Glauben wegen der mit dem Schreiben vom 9. Januar 2015 in Aussicht gestellten Aufenthaltserlaubnisse so zu behandeln, als hätten sie gegenwärtig Aufenthaltserlaubnisse inne. Dabei kann dahinstehen, ob in der Mitteilung vom 9. Januar 2015 eine Zusicherung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HmbVwVfG lag. Eine solche Zusicherung setzt die Zusage voraus, einen bestimmten Verwaltungsakt zu erlassen. Eine Zusage ist die einseitige Selbstverpflichtung der Behörde zu einem späteren Tun oder Unterlassen gegenüber einem bestimmten Erklärungsempfänger (Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 38 Rn. 2). Dem Schreiben vom 9. Januar 2015 kann eine solche Selbstverpflichtung allenfalls insoweit entnommen werden, als die Antragsgegnerin sich zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen für sechs Monaten ab dem 9. Januar 2015 oder einem zeitnahen Vorstellungstermin der Antragsteller bereit erklärt hat. Dies folgt daraus, dass die Antragsteller in der Mitteilung vom 9. Januar 2015 ausdrücklich gebeten worden sind „an einem der nächsten Sprechtage zu den in der Fußzeile angegebenen Öffnungszeiten“ bei der Antragsgegnerin vorzusprechen. Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern nicht freigestellt die nächsten Sprechtage ungenutzt zu lassen und erst nach Ablauf von über einem Jahr, d.h. dem Doppelten der Geltungsdauer der in Aussicht gestellten Aufenthaltstitel, vorzusprechen und erst ab diesem späten Zeitpunkt Aufenthaltserlaubnisse für die Dauer weiterer sechs Monate zu erhalten. Dies entspricht auch der Wichtigkeit, die dem zeitlichen Regelungsgehalt einer Aufenthaltserlaubnis zukommt. Die Aufenthaltserlaubnis gilt als befristeter Aufenthaltstitel gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur für eine konkrete, eindeutig bestimmte Fristdauer (Dienelt, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG, § 7 Rn. 30 ff.). Unabhängig davon ist die Antragsgegnerin an eine etwaige Zusicherung gemäß § 38 Abs. 3 HmbVwVfG nicht mehr gebunden, da sich nach Abgabe der Zusicherung die Sach- oder Rechtslage derart geändert hat, dass die Behörde bei Kenntnis der nachträglich eingetretenen Änderung die Zusicherung nicht gegeben hätte oder aus rechtlichen Gründen nicht hätte geben dürfen. Dies ist hier der Fall, weil der Zweck entfallen ist, zu dem die Aufenthaltserlaubnisse erteilt werden sollten. Der Antragstellerin zu 1 sollte eine Aufenthaltserlaubnis zum Spracherwerb erteilt werden; sie hat ausweislich des vorgelegten Zertifikats am 8. April 2016 das Sprachniveau A1 erreicht. In Abhängigkeit davon sollte dem Antragsteller zu 2 eine Aufenthaltserlaubnis zur Begleitung seiner Mutter, der Antragstellerin zu 1, erteilt werden.

38

b. Die Antragsteller können nicht die Erteilung der am 18. August 2014 beantragten und am 2. Februar 2016 abgelehnten Aufenthaltstitel beanspruchen. Der Erteilung der am 18. August 2014 vorrangig beantragten Niederlassungserlaubnisse ist deshalb ausgeschlossen, weil die Antragsteller nicht gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG seit fünf Jahren im Besitz von Aufenthaltserlaubnissen sind. Die Erteilung der am 18. August 2014 hilfsweise beantragten Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug nach §§ 29 ff. AufenthG steht bereits entgegen, dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllen. Danach setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU grundsätzlich voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Daran fehlt es (hierzu unter aa.). Es greift auch keine Ausnahme, in der von dem grundsätzlich zwingenden Erfordernis eines vorherigen Durchlaufens des Visumverfahrens nach behördlichem Ermessen abgesehen werden kann (hierzu unter bb.).

39

aa. Die Antragsteller sind nicht in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG mit dem erforderlichen Visum eingereist.

40

Welches Visum nach dieser Vorschrift als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 19; Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG, § 5 Rn. 78). Die Antragsteller hätten mithin grundsätzlich mit einem Visum zum Zweck des Familiennachzugs einreisen müssen. Daran fehlt es, weil sie ohne Visum und nach ihren Angaben zu touristischen Zwecken eingereist sind. Die Erforderlichkeit eines Visums zum Familiennachzug ist nicht ausnahmsweise gemäß § 39 AufenthV zu verneinen. Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann unter den dort benannten Voraussetzungen ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen. Weder die Voraussetzungen des § 39 Nr. 3 Alt. 1 AufenthV (hierzu unter (1)) noch diejenigen des § 39 Nr. 5 Alt. 1 AufenthV (hierzu unter (2)) sind gegeben.

41

(1) Die visumsfreie Einreise der Antragsteller zu touristischen Zwecken macht die Durchführung des Visumverfahrens zum Familiennachzug nicht nach § 39 Nr. 3 Alt. 1 AufenthV entbehrlich. Vom Visumverfahren wird nach dieser Vorschrift dann abgesehen, wenn der Ausländer Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist, sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. Dieser Tatbestand ist nicht erfüllt.

42

Zwar sind die Antragsteller Staatsangehörige der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und damit eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates. Doch hielten die Antragsteller sich, als sie am 18. August 2014 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug stellten, nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf (s.o. 1.) und sind auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt zur Ausreise verpflichtet (s.o. a.).

43

Unabhängig davon ist der Tatbestand des § 39 Nr. 3 Alt. 1 AufenthV deshalb nicht erfüllt, weil nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entstanden sind. Denn unter einem „Anspruch“ ist i.S.d. § 39 Nr. 3 AufenthV, ebenso wie i.S.d. § 39 Nr. 5 AufenthV und i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG, grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der nur dann vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24; Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, NVwZ-RR 2015, 313, juris Rn. 15; Samel, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG, § 5 Rn. 119, 127). Daran fehlt es im Fall der Antragsteller deshalb, weil die Sicherung des Lebensunterhalts als regelhafte Tatbestandsvoraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt ist (s.u. bb. (1)).

44

(2) Die Durchführung des Visumverfahrens zum Familiennachzug ist auch nicht gemäß § 39 Nr. 5 Alt. 1 AufenthV wegen der den Antragstellern erteilten Grenzübertrittsbescheinigungen entbehrlich. Vom Visumverfahren wird nach dieser Vorschrift dann abgesehen, wenn die Abschiebung des Ausländers nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat.

45

Dieser Tatbestand ist nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einer Aussetzung der Abschiebung nach § 60a AufenthG und zwar sowohl im gegenwärtigen Zeitpunkt als auch im Zeitpunkt der Antragstellung am 18. August 2014. Die Entscheidung über eine Aussetzung der Abschiebung (Duldung) ergeht nach § 60a AufenthG durch Verwaltungsakt. Eine Grenzübertrittsbescheinigung oder ähnliche formlose Papiere stehen einer Duldung nicht gleich (Bauer, in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AufenthG, § 60a Rn. 16).

46

Unabhängig davon ist der Tatbestand des § 39 Nr. 5 Alt. 1 AufenthV deshalb nicht erfüllt, weil mangels Sicherung des Lebensunterhalts (dazu s.u. bb. (1)) die regelhafte Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt und deshalb kein „Anspruch“ i.S.d. Vorschrift (zum Begriff s.o. (1)) entstanden ist.

47

bb. Die im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Ausnahmen, unter denen die Ausländerbehörde nach Ermessen vom dem grundsätzlichen Erfordernis eines vorherigen Durchlaufens des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG absehen kann, greifen nicht zugunsten der Antragsteller ein. Weder sind gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt (hierzu unter (1)) noch ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG die Nachholung des Visumverfahrens auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar (hierzu unter (2)).

48

(1) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung sind nicht erfüllt. Unter einem „Anspruch“ i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG ist, wie bereits dargestellt (s.o. aa. (1)), grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen; ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind. Daran fehlt es im Fall der Antragsteller deshalb, weil die Sicherung des Lebensunterhalts als regelhafte Tatbestandsvoraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht erfüllt ist.

49

Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG dann gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Als öffentliche Mittel gelten dabei gemäß § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht die in dieser Vorschrift aufgezählten Leistungen. Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, so hat er gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3A AufenthG ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden gemäß § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Die Fähigkeit zur Bestreitung des Lebensunterhalts ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel darf nicht nur vorübergehend sein; die zur Verfügung stehenden Mittel müssen eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen; es bedarf daher einer positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist (BVerwG, Urt. v. 18.4.2013, 10 C 10/12, BVerwGE 146, 198, juris Rn. 13). Die Feststellung der Sicherung des Lebensunterhalts erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den tatsächlich zur Verfügung stehenden Mitteln (BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32/07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 19). Die zur Verfügung stehenden Mittel vermögen den Bedarf nicht zu decken. Im Einzelnen:

50

Der monatliche Unterhaltsbedarf der aus den Antragstellern und A. gebildeten Bedarfsgemeinschaft beträgt mindestens 1.514,-- Euro. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs bei erwerbsfähigen Ausländern nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32/07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 19) und ist innerhalb der Bedarfsgemeinschaft zu bestimmen (BVerwG, Urt. v. 29.11.2012, 10 C 4/12, BVerwGE 145, 153, juris Rn. 25). Die Leistungen umfassen gemäß § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 20 Abs. 5 SGB II i.V.m. der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2016 (v. 22.10.2015, BGBl. I S. 1788 – RBSFV 2016) ist für die Antragstellerin zu 1 und ihren Ehemann A. als gemeinsam einen Haushalt führende Ehegatten jeweils ein Regelbedarf der Stufe 2 von 364,-- Euro und für den Antragsteller zu 2 als Jugendlichen von 14 bis unter 18 Jahren ein Regelbedarf der Stufe 4 von 306,-- Euro in Ansatz zu bringen. Hinzuzusetzen sind die Nettomiete für die gegenwärtig bewohnte Zweizimmerwohnung von 324,-- Euro sowie Vorauszahlungen für Nebenkosten von 156,-- Euro.

51

Das monatlich zur Verfügung stehende Einkommen beläuft sich demgegenüber auf höchstens 1.328,59 Euro. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung richtet sich grundsätzlich auch die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens dabei nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32/07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 19). Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Zu den Einnahmen der Bedarfsgemeinschaft gehört das (nach § 2 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AufenthG nicht als öffentliche Mittel zählende) Kindergeld für den Antragsteller zu 2 in Höhe von 190,-- Euro. Hinzuzusetzen ist der Nettolohn des A.. Der Nettolohn errechnet sich aus dem Bruttolohn abzüglich auf das Einkommen entrichteter Steuern sowie der Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II und ist mit durchschnittlich 1.526,59 Euro anzusetzen ausgehend von den Lohnabrechnungen im September 2015 über 1,562,27 Euro, im Oktober 2015 über 1.552,77 Euro, im November 2015 über 1.375,52 Euro und im Dezember 2015 über 1.615,82 Euro. Abzusetzen ist ein Pauschbetrag für Werbungskosten gemäß § 11b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGB II in Höhe von 100,-- Euro. Weiter abzusetzen ist ein Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11b Abs. 3 Satz 1 SGB II. Dieser beträgt vorliegend 230,-- Euro. Der Freibetrag beläuft sich nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 SGB II auf 20 % für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,-- Euro übersteigt und nicht mehr als 1.000,-- Euro beträgt, und nach § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf 10 % für den Teil des monatlichen Einkommens, das 1.000,-- Euro übersteigt und nicht mehr als 1.200,-- Euro beträgt. Anstelle des Betrages von 1.200,-- Euro tritt jedoch gemäß § 11b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II für erwerbsfähige Leistungsberechtigte wie A., die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1.500,-- Euro. Weiter abzusetzen sind gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II die Aufwendungen des A. zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinem 2007 geborenen, außerhalb der Bedarfsgemeinschaft lebenden Kind B., die nach Aktenlage 58,-- Euro betragen.

52

Die Einkommensermittlung ist vorliegend nicht wegen der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. Nr. L 251 v. 3.10.2003, S. 12) zugunsten der Antragsteller zu modifizieren. Nach der den Fall der ordnungsgemäßen Durchführung eines Visumverfahrens betreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs der Freibetrag für Erwerbstätige nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers anzurechnen und hat der Ausländer bei den pauschaliert erfassten Werbungskosten die Möglichkeit, geringere Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100,-- Euro nachzuweisen (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 20/09, BVerwGE 138, 135, juris Rn. 33; Urt. v. 29.11.2012, 10 C 4/12, BVerwGE 145, 153, juris Rn. 32). Für den hier vorliegenden Fall, dass es an dem erforderlichen Visum fehlt (s.o. aa.), besteht jedoch kein Anlass für eine Modifikation. Das unionsrechtliche Effizienzgebot gebietet eine modifizierte Anwendung der nationalen Regelungen zur Einkommensermittlung nur dann, wenn ohne die Modifikation der Antrag auf Familienzusammenführung allein aufgrund einer mangelnden Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt würde. Denn in diesem Fall muss sich das nach dem nationalen Recht gefundene Ergebnis einer Antragsablehnung daran messen lassen, ob es mit den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Richtlinie 2003/86/EG übereinstimmt, nach denen sich richtet, ob der Antrag allein aufgrund einer mangelnden Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt werden darf. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Richtlinie 2003/86/EG kann der betreffende Mitgliedstaat bei Einreichung des Antrags auf Familienzusammenführung vom Antragsteller den Nachweis verlangen, dass der Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die modifizierte Anwendung der nationalen Regelungen damit, dass der Begriff der „Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaats“ nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urt. v. 4.3.2010, Rs. C-578/08, Slg. 2010, I-1839 Rn. 45, 49 – Chakroun) nur Unterstützungsleistungen erfasst, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen. Darunter falle nicht der Freibetrag für Erwerbstätigkeit, der in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt werde und eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben solle. Diese Begründung für eine modifizierte Anwendung der nationalen Regelungen trägt im dem Fall nicht, dass nach dem nationalen Recht die Ablehnung des Antrags auf Familienzusammenführung nicht allein auf einem mangelnde Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch oder vorrangig auf einen Verstoß gegen das Visumerfordernis beruht. In diesem Fall ist das Ergebnis einer Antragsablehnung nicht an den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Richtlinie 2003/86/EG zu messen. Denn das nach dem nationalen Recht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG grundsätzlich zwingende Erfordernis, den Antrag nicht vom Inland aus, sondern vom Ausland aus zu stellen, ist mit der Richtlinie 2003/86/EG vereinbar (OVG Hamburg, Beschl. v. 10.1.2013, 3 Bs 38/13, 3 So 3/3 So 3/13, InfAuslR 2013, 183, juris Rn. 8; VGH München, Beschl. v. 28.2.2014, 10 ZB 13.2410, juris Rn. 6). Dies geht aus dem Grundsatz des Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 Richtlinie 2003/86/EG hervor, nach dem der Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhalten, in dem sich der Zusammenführende aufhält. Abweichend davon kann zwar gemäß Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 Richtlinie 2003/86/EG ein Mitgliedstaat gegebenenfalls zulassen, dass ein Antrag gestellt wird, wenn sich die Familienangehörigen bereits in seinem Hoheitsgebiet befinden. Soweit der nationale Gesetzgeber von dieser Abweichungsbefugnis jedoch keinen Gebrauch gemacht hat und nach dem nationalen Recht der Antrag mangels Durchführung des Visumverfahrens abzulehnen ist, verstößt dieses Ergebnis nicht gegen die Richtlinie 2003/86/EG.

53

(2) Die Nachholung des Visumverfahrens ist auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar. Eine Unzumutbarkeit folgt im Allgemeinen nicht bereits aus einer verfahrensbedingten, etwaig längeren Trennung der betroffenen Familienangehörigen. Dies gilt auch bei einer für etwa 15 Monate drohenden Trennung von Eheleuten (OVG Hamburg, Urt. v. 10.4.2014, 4 Bf 19/13, juris Rn. 69, insoweit bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, 1 C 15/14, NVwZ-RR 2015, 313, juris Rn. 17). Aus dem in § 5 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Regel-Ausnahme-Verhältnis geht die gesetzgeberische Entscheidung hervor, dass der Ausländer grundsätzlich auf die Nachholung des Visumverfahren zu verweisen ist und dies nur auf Grund besonderer Umstände unzumutbar ist. Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höherrangigem Recht, insbesondere dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar. Es sind keine besonderen Umstände des Einzelfalles ersichtlich, aus denen es den Antragstellern unzumutbar wäre, vorübergehend in ihr Heimatland zurückzukehren und ein Visum zum Zweck des Familiennachzugs zu beantragen. Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben nur zu Besuchszwecken ins Bundesgebiet eingereist. Die familiäre Lebensgemeinschaft haben sie mit A. zu keinem Zeitpunkt erlaubt im Bundesgebiet geführt. Der 2001 geborene Antragsteller zu 2 ist nach seinem Vortrag erst am 19. August 2014 mit seiner Mutter in die Wohnung seines Vaters eingezogen und damit bis über seinen 13. Geburtstag hinaus getrennt von seinem Vater in seinem Heimatland aufgewachsen. Die Antragsteller können vorübergehend den Kontakt zu Ehemann bzw. Vater durch Mittel der Telekommunikation oder durch visumsfreie Besuche aufrechterhalten. Einem (zu befristenden) Einreise- und Aufenthaltsverbot, das an die Abschiebung gemäß § 11 AufenthG anknüpfen würde, können sie entgehen, indem sie ihrer Ausreisepflicht freiwillig nachkommen. Den Antragstellern bleibt unbenommen, von ihrem Heimatland aus das erforderliche Visumverfahren nachzuholen. Ausgehend vom Erkenntnisstand des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes könnte im Rahmen des durchzuführenden Visumverfahrens der Lebensunterhalt der Antragsteller als gesichert gelten. Wie dargestellt (s.o. b. bb. (1)) ist bei der Einkommensermittlung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 33) für den Fall der ordnungsgemäßen Durchführung eines Visumverfahrens im Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/86/EG eine modifizierte Einkommensermittlung durchzuführen. Insbesondere wäre der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 3 SGB II nicht mehr in Höhe von 230,-- Euro zulasten der Antragsteller vom Einkommen des Ehemanns bzw. Vaters abzusetzen.

54

c. Die Antragsteller können auch nicht die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) nach § 60a AufenthG beanspruchen. Die Abschiebung eines Ausländers ist nach dem Grundsatz des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Für solche Gründe bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte. Es kann dahinstehen, ob die Antragsteller aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK ableiten können, eine familiäre Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann bzw. Vater im Inland begründen zu dürfen oder ob die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft auch in einem anderen Land zumutbar wäre (zu den Maßstäben vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 10.5.2008, 2 BvR 588/08, BVerfGK 13, 562, juris Rn. 14; VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2009, 13 S 2002/09, juris Rn. 38 m.w.N.). Denn vorliegend steht nur die an die mangelnde Durchführung des Visumverfahrens anknüpfende Abschiebung in Rede, nicht die Frage, ob den Antragstellern bei Nachholung des Visumverfahrens eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug versagt werden dürfte.

V.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.2.2016, 3 Bs 244/15).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16 zitiert 51 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 123


(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ant

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Zivilprozessordnung - ZPO | § 920 Arrestgesuch


(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten. (2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen. (3) Das Gesuch kann vor der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 166


(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmäc

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 88


Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 5 Allgemeine Erteilungsvoraussetzungen


(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass 1. der Lebensunterhalt gesichert ist,1a. die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt is

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 122


(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse. (2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung

Zivilprozessordnung - ZPO | § 100 Kosten bei Streitgenossen


(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. (2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Ma

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11 Zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dies

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 20 Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts


(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des tägl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 28 Familiennachzug zu Deutschen


(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen 1. Ehegatten eines Deutschen,2. minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,3. Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorgezu erteilen, wenn der Deutsche seinen ge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 222 Fristberechnung


(1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. (2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 81 Beantragung des Aufenthaltstitels


(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 4 Erfordernis eines Aufenthaltstitels


(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 19 Bürgergeld und Leistungen für Bildung und Teilhabe


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Bürgergeld. Nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Bürgergeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 84 Wirkungen von Widerspruch und Klage


(1) Widerspruch und Klage gegen 1. die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,1a. Maßnahmen nach § 49,2. die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,2a. Auflagen zur Sicherun

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist. (2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 9 Niederlassungserlaubnis


(1) Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie kann nur in den durch dieses Gesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen mit einer Nebenbestimmung versehen werden. § 47 bleibt unberührt. (2) Einem Ausländer ist die Niederl

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11b Absetzbeträge


(1) Vom Einkommen abzusetzen sind1.auf das Einkommen entrichtete Steuern,2.Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,3.Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, s

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 28 Ermittlung der Regelbedarfe


(1) Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt. (2) Bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Abs

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 70


(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu e

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 7 Aufenthaltserlaubnis


(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorg

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 6 Visum


(1) Einem Ausländer können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 folgende Visa erteilt werden: 1. ein Visum für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von bis zu 90 Tagen je

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 11a Nicht zu berücksichtigendes Einkommen


(1) Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind1.Leistungen nach diesem Buch,2.die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,3.die Renten oder Beihilfen,

Aufenthaltsverordnung - AufenthV | § 39 Verlängerung eines Aufenthalts im Bundesgebiet für längerfristige Zwecke


Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn1.er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besit

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 16 Grundsatz des Aufenthalts zum Zweck der Ausbildung


Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deuts

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung


(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Ort seinen Wohnsitz. (2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen. (3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie auf

Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG 2005 | § 5 Zustellung durch die Behörde gegen Empfangsbekenntnis; elektronische Zustellung


(1) Bei der Zustellung durch die Behörde händigt der zustellende Bedienstete das Dokument dem Empfänger in einem verschlossenen Umschlag aus. Das Dokument kann auch offen ausgehändigt werden, wenn keine schutzwürdigen Interessen des Empfängers entgeg

Bundesmeldegesetz - BMG | § 17 Anmeldung, Abmeldung


(1) Wer eine Wohnung bezieht, hat sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Einzug bei der Meldebehörde anzumelden. (2) Wer aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, hat sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Auszug bei

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 28a Fortschreibung der Regelbedarfsstufen


(1) Für Jahre bis zur nächsten Neuermittlung nach § 28 werden die Regelbedarfsstufen jeweils zum 1. Januar nach den Absätzen 2 bis 5 fortgeschrieben. (2) Zum 1. Januar 2023 werden die Eurobeträge der zum 1. Januar 2022 fortgeschriebenen Regelbeda

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 9a Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU


(1) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Soweit dieses Gesetz nichts anderes regelt, ist die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU der Niederlassungserlaubnis gleichges

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 80 Handlungsfähigkeit


(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist ein Ausländer, der volljährig ist, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbe

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 19a Kurzfristige Mobilität für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer


(1) Für einen Aufenthalt zum Zweck eines unternehmensinternen Transfers, der eine Dauer von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen nicht überschreitet, bedarf ein Ausländer abweichend von § 4 Absatz 1 keines Aufenthaltstitels, wenn d

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 03. Mai 2016 - 2 E 1400/16 zitiert 8 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 28. Feb. 2014 - 10 ZB 13.2410

bei uns veröffentlicht am 28.02.2014

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000,- Euro festgesetzt. IV

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 10. Dez. 2014 - 1 C 15/14

bei uns veröffentlicht am 10.12.2014

Tatbestand 1 Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

Hamburgisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 10. Apr. 2014 - 4 Bf 19/13

bei uns veröffentlicht am 10.04.2014

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2012 ver

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 18. Apr. 2013 - 10 C 10/12

bei uns veröffentlicht am 18.04.2013

Tatbestand 1 Die am 4. Mai 1936 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 16. Nov. 2010 - 1 C 20/09

bei uns veröffentlicht am 16.11.2010

Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1963 geborener türkischer Staatsangehöriger, erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 16. Nov. 2010 - 1 C 17/09

bei uns veröffentlicht am 16.11.2010

Tatbestand 1 Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. 2

Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 19. Juli 2010 - 1 BvR 1873/09

bei uns veröffentlicht am 19.07.2010

Gründe 1 Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Fall der Versagung von Prozesskostenhilfe für ein zivilgerichtliches Berufungsverfahren.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 18. Nov. 2009 - 13 S 2002/09

bei uns veröffentlicht am 18.11.2009

Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Juni 2009 – 8 K 73/09 – geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 30. September 2008 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsi

Referenzen

Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deutschlands in der Welt trägt er auch zu internationaler Entwicklung bei. Die Ausgestaltung erfolgt so, dass die Interessen der öffentlichen Sicherheit beachtet werden.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse.

(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§§ 80, 80a) und über einstweilige Anordnungen (§ 123) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 161 Abs. 2) sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Widerspruch und Klage gegen

1.
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,
1a.
Maßnahmen nach § 49,
2.
die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,
2a.
Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e,
3.
die Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft,
4.
den Widerruf des Aufenthaltstitels des Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen des § 75 Absatz 2 Satz 1 des Asylgesetzes,
5.
den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung von Forschungseinrichtungen für den Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d,
6.
die Ausreiseuntersagung nach § 46 Absatz 2 Satz 1,
7.
die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11,
8.
die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 sowie
9.
die Feststellung nach § 85a Absatz 1 Satz 2
haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.

(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.

(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Fall der Versagung von Prozesskostenhilfe für ein zivilgerichtliches Berufungsverfahren. Das Oberlandesgericht hat der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Rechtsverfolgung keine hinreichende Erfolgsaussicht beigemessen, weil die vom ihm mit der eingelegten Berufung weiter verfolgte Forderung verjährt sei. Das Prozesskostenhilfegesuch des Beschwerdeführers sei insoweit zwar noch vor Ablauf der Verjährungsfrist beim Landgericht angebracht, aber dort erst zweieinhalb Jahre nach Eingang bearbeitetet worden. Die Bekanntgabe des Gesuchs an die Gegenpartei sei deshalb nicht "demnächst" veranlasst worden und somit nicht geeignet gewesen, die Verjährung zu hemmen; der Beschwerdeführer habe es versäumt, auf den drohenden Verjährungseintritt hinzuweisen.

I.

2

Der Beschwerdeführer ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. GmbH & Co. KG. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens war die frühere Gesellschafterin der Insolvenzschuldnerin.

3

Im Juli 2002 erhob der Beschwerdeführer Klage auf Zahlung von rund 56.000 € gegen die Beklagte. Bereits in der Klageschrift fand sich ein Hinweis auf weitere Ansprüche über rund 1,7 Millionen €, die vollständig begründet wurden, deren Geltendmachung aber aus Kostengründen vorläufig zurückgestellt wurde.

4

Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2004 beantragte der Beschwerdeführer für die erhobene Klage sowie die nunmehr beabsichtigte umfassende Klageerweiterung die Gewährung von Prozesskostenhilfe; der beigefügte Entwurf des Klageerweiterungsschriftsatzes beschränkte sich auf eine Bezugnahme auf die bereits in der Klageschrift enthaltenen Ausführungen zu den weitergehenden Ansprüchen. Der entsprechende Schriftsatz wurde bei dem Landgericht zu einem Sonderheft Prozesskostenhilfe genommen und dort nicht weiter bearbeitet. Schriftliche Nachfragen des Beschwerdeführers vom 24. März und 29. August 2005 blieben unbeantwortet; auf telefonische Anfragen an die Geschäftsstelle vom 10. Juni und 14. November 2005 wurde jeweils mitgeteilt, die Akten befänden sich beim Vorsitzenden. Auf eine erneute Sachstandsanfrage des Beschwerdeführers vom 11. Mai 2007 bewilligte das Landgericht mit Beschluss vom selben Tag rückwirkend Prozesskostenhilfe, wobei durch einen weiteren Beschluss vom 5. Juli 2007 klargestellt wurde, dass sich die Prozesskostenhilfebewilligung auch auf die Klageerweiterung erstrecke. Der Klageerweiterungsschriftsatz wurde der Beklagten am 25. Juli 2007, das Prozesskostenhilfegesuch erst nach dem 7. Oktober 2008 zugestellt.

5

Mit Urteil vom 19. November 2008 verurteilte das Landgericht - nach zwischenzeitlicher Neubesetzung des Spruchkörpers - die Beklagte zur Zahlung von 15.338,76 € und wies die Klage im Übrigen ab. Im Hinblick auf die Klageerweiterung führte es zur Begründung aus, dass die geltend gemachte Forderung Ende 2004 verjährt sei. Das am 30. Dezember 2004 - grundsätzlich rechtzeitig - eingereichte Gesuch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe habe eine Hemmung der Verjährung nicht bewirkt, weil die Bekanntgabe dieses Antrags frühestens im Mai 2007 veranlasst worden und damit nicht mehr "demnächst" im Sinne von § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB erfolgt sei.

6

Gegen dieses Urteil wandte sich der Beschwerdeführer mit der Berufung und beantragte, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Durch seinen mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss versagte das Oberlandesgericht die begehrte Prozesskostenhilfe, da die beabsichtigte Berufung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete (§ 114 ZPO). Zur Begründung führte es aus, der Beschwerdeführer habe es versäumt, in seinem ursprünglichen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klageerweiterung vom 30. Dezember 2004 sowie in den nachfolgenden Sachstandsanfragen auf die drohende Verjährung der mit der Klageerweiterung geltend gemachten Ansprüche hinzuweisen. Auf Grundlage eines solchen Hinweises hätte nämlich davon ausgegangen werden können, dass das Landgericht die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs veranlasst hätte, da dies - anders als die zeitintensive Entscheidung über den eigentlichen Bewilligungsantrag - ohne großen Aufwand möglich gewesen wäre. Das eigene Verhalten des Beschwerdeführers habe damit - zumindest auch - zu der eingetretenen Verzögerung bei der Bekanntgabe des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe beigetragen, so dass nicht mehr von einer "demnächst" veranlassten Bekanntgabe und damit einer Hemmung der Verjährung mit Einreichung des Gesuchs ausgegangen werden könne.

II.

7

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 sowie Art. 20 Abs. 3 GG. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts sei für die hier gegebene Konstellation einer nachträglichen, auf einen  vor Verjährungseintritt liegenden Zeitpunkt  rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Auslegung von § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB noch nicht geklärt. Dennoch habe das Oberlandesgericht im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens in verfassungswidriger Weise "durchentschieden". Durch die vom Oberlandesgericht vorgenommene Auslegung des Tatbestandsmerkmals "demnächst" sei ihm als unbemittelter Partei im Vergleich zu einer bemittelten die Rechtsverfolgung unverhältnismäßig erschwert worden. Er selbst habe bereits mit Einreichung seines Gesuchs auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe alles getan gehabt, was das Verfahrensrecht von ihm erforderte.

III.

8

Die Hessische Landesregierung misst der Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht bei. Sie verweist darauf, dass die maßgeblichen Rechtsfragen hinreichend geklärt seien und sich das Oberlandesgericht an die überzeugenden Vorgaben des Bundesgerichtshofs gehalten habe, so dass die Entscheidung jedenfalls nicht willkürlich sei. Die Gegnerin des Ausgangsverfahrens hat von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens sind beigezogen.

IV.

9

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist sie zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

10

1. Zutreffend geht der Beschwerdeführer davon aus, dass das Grundgesetz eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet (vgl. BVerfGE 9, 124 <131>; 10, 264 <270>; 22, 83 <86>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <356>). Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, der in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegt ist und für den Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 Abs. 4 GG seinen besonderen Ausdruck findet. Derartige Vorkehrungen sind im Institut der Prozesskostenhilfe (§§ 114 ff. ZPO) getroffen (vgl. BVerfGE 9, 124 <131>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dürfen dabei nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>).

11

Als Fallgruppe, bei welcher regelmäßig von einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg ausgegangen werden kann, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts solche Sachlagen herausgearbeitet, bei denen die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt. Danach muss Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Liegt diese Voraussetzung dagegen vor, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich dem Unbemittelten - wie dem Gegner - ungleich bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung eines eigenen Rechtsstandpunktes. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren wird nicht selten Anlass bieten, die Rechtsmeinung, die das Gericht sich zunächst bildet, zu überdenken (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>).

12

2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist es hier von Verfassungs wegen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Ausgangsverfahrens nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht das Vorliegen einer schwierigen Rechtsfrage verneint hat.

13

Der Verlauf des Ausgangsverfahrens legt nahe, dass der Beschwerdeführer mit seinem Schriftsatz vom 30. Dezember 2004 sämtliche Voraussetzungen für die Möglichkeit einer Bekanntgabe dieses Schriftsatzes an die Prozessgegnerin geschaffen hatte. Das Landgericht hat nämlich - wenn auch erst zweieinhalb Jahre später -, ohne ergänzende Angaben vom Beschwerdeführer zu fordern, dessen Prozesskostenhilfegesuch entsprochen und im Nachgang hierzu die Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs an die Beklagte veranlasst.

14

Für das Hauptsacheverfahren kam es damit entscheidend auf die Frage an, ob eine solche nach zweieinhalbjähriger, grob fehlerhafter Untätigkeit ohne weiteres bewilligte Prozesskostenhilfe mit nachfolgender - ebenfalls grob fehlerhaft nochmals um mehr als ein Jahr verzögerter - Bekanntgabe des Prozesskostenhilfegesuchs noch als "demnächst" veranlasst im Sinne des § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB angesehen werden kann. Im Hinblick auf dieses hier maßgebliche Tatbestandsmerkmal ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass eine Bekanntgabe dann als "demnächst" erfolgt gelten kann, wenn die Partei  alles ihr Zumutbare für eine alsbaldige Bekanntgabe getan hat und der Rückwirkung keine schutzwürdigen Belange des Gegners entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 1999 - VII ZR 24/98 -, NJW 1999, S. 3125; Urteil vom 24. Januar 2008 - IX ZR 195/06 -, NJW 2008, S. 1939). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist hier das Kriterium des der Partei Zumutbaren als hinreichend geklärt anzusehen. Der Beschwerdeführer ist den ihn danach treffenden Pflichten nach der Bewertung des Oberlandesgerichts nicht nachgekommen. Diese fachgerichtliche Würdigung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auf die Rechtsfrage etwa entgegenstehender, schutzwürdiger Belange des Prozessgegners kam es demzufolge hier nicht mehr an.

15

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war bereits vor der hier angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts anerkannt, dass ein Antragsteller, der mit seinem Prozesskostenhilfegesuch die Hemmung einer laufenden Verjährungsfrist nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB herbeizuführen beabsichtigt, das Gericht hierauf hinweisen und damit die Bitte verbinden könne, unabhängig von den Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfegesuchs dessen umgehende Bekanntmachung an die Gegenseite zu veranlassen. Ein derartiges Vorgehen, zu dem bereits die Lektüre des Gesetzes Anlass gebe, sei ihm zuzumuten, zumal er durch die Bekanntgabe des Antrags selbst bei dessen späterer Ablehnung keine prozessualen Nachteile zu befürchten habe. Das Gericht dürfe sich einem solchen Ersuchen nicht verschließen (BGH, NJW 2008, S. 1939 <1940, Tz. 17>).

16

Auch wenn dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs eine Fallgestaltung zu Grunde lag, in welcher das Prozesskostenhilfegesuch - anders als hier - zurückgewiesen worden war, lassen die Hinweise des Bundesgerichtshofs auf die Lektüre des Gesetzestextes sowie darauf, dass dem Antragsteller unabhängig vom Ergebnis seines Prozesskostenhilfegesuchs mit einer solchen ausdrücklichen Bekanntmachungsbitte keine prozessualen Nachteile drohten, nur schwerlich einen anderen Rückschluss zu als jenen, dass ein Antragsteller auch bei einem letztlich erfolgreichen Prozesskostenhilfegesuch für die Veranlassung von dessen rechtzeitiger Bekanntgabe Sorge zu tragen habe. Vor diesem Hintergrund begegnet die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass der Beschwerdeführer hier spätestens mit seiner zeitnahen Sachstandsanfrage auf die Dringlichkeit einer demnächstigen Veranlassung der Bekanntgabe hätte hinweisen müssen. Eine schwierige Rechtsfrage, deren Klärung dem eigentlichen Berufungsverfahren vorzubehalten gewesen wäre, kann hierin nicht gesehen werden.

17

Zu einem anderen Ergebnis zwingt auch nicht der Umstand, dass das Prozesskostenhilfegesuch am 30. Dezember 2004 eingereicht wurde. Zwar legt das Datum der Einreichung nahe, dass durch Bekanntgabe oder Zustellung des Schriftsatzes die Hemmung einer Verjährung herbeigeführt werden sollte. Die oben dargestellte Verpflichtung des Beschwerdeführers, auf die drohende Verjährung hinzuweisen und eine zeitnahe Veranlassung der Bekanntgabe des Gesuchs zu erbitten, bestand hier schon unter Berücksichtigung der weitreichenden Folgen seiner beabsichtigten Klageerhöhung um nahezu 1,7 Millionen €. Der Beschwerdeführer hat indes nur einen nicht besonders gekennzeichneten Schriftsatz bei Gericht eingereicht, mit dem er zunächst Prozesskostenhilfe für die bereits zugestellte, ursprüngliche Klage beantragte und dessen klageerweiternder Teil sich auf eine schlichte Bezugnahme auf einen anliegenden Schriftsatz beschränkte, der seinerseits in der Sache nur auf die bereits in der Klageschrift enthaltenen Ausführungen verwies. Die nachfolgenden Sachstandsanfragen enthielten ebenfalls keinerlei Hinweis auf die Dringlichkeit der Angelegenheit.

18

3. Auch die von der Verfassungsbeschwerde gerügte unterschiedliche verfahrensmäßige Behandlung von Klagen und Prozesskostenhilfegesuchen im Hinblick auf eine Zuleitung an die Gegenpartei begegnet unter dem Gesichtspunkt der Verpflichtung, eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes herbeizuführen, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Zumindest in dem hier zu Grunde liegenden Ausgangsverfahren, in welchem der Beschwerdeführer selbst Rechtsanwalt war und auch das Prozesskostenhilfegesuch durch einen anderen Rechtsanwalt angebracht wurde, stellt die vom Oberlandesgericht geforderte Bitte um umgehende Bekanntgabe des Antrags an den Gegner zum Zwecke der Hemmung der Verjährung im Rahmen eines Prozesskostenhilfegesuchs keinen verfassungsrechtlich relevanten Nachteil gegenüber einem Klageverfahren dar, welches ein bemittelter Kläger unmittelbar hätte einleiten können. Auch bei dem bemittelten Kläger hätte nämlich nicht die schlichte Einreichung der Klageschrift genügt, um eine Zustellung der Klage und die damit verbundene Hemmung der Verjährung herbeizuführen, sondern der Kläger hätte seinerseits dafür Sorge tragen müssen, dass dem Gericht zeitnah der erforderliche Kostenvorschuss zur Verfügung gestellt wird. Insoweit hätte er nicht nur einer Aufforderung des Gerichts zur Zahlung dieses Kostenvorschusses zügig nachkommen müssen, sondern er hätte - sollte das Gericht eine solche Aufforderung versäumen - auf diese hinwirken oder den Kostenvorschuss unaufgefordert erbringen müssen (vgl. BGHZ 69, 361 <364>; Staudinger/Peters, BGB, 2004, § 204 Rn. 35). Diese Verpflichtungen eines bemittelten Klägers sind in ihrer Belastungswirkung mit der hier den Beschwerdeführer treffenden Verpflichtung vergleichbar, in seinem Prozesskostenhilfegesuch einen isolierten Antrag auf Bekanntgabe an den Gegner zu stellen und erforderlichenfalls an die entsprechende Veranlassung durch das Gericht zu erinnern.

19

Gerade in der Anfangsphase eines Rechtsstreits, in welcher es darum geht, dass dem Gegner in verjährungshemmender Weise die Klage oder die Antragsschrift "demnächst" zugeht, sehen sich bemittelte und unbemittelte Partei somit gleichartigen Anforderungen ausgesetzt. Sie sind jeweils für den Fall, dass das Gericht die Eilbedürftigkeit eines solchen Zugangs beim Gegner nicht erkennen sollte, gehalten, hierauf - erforderlichenfalls durch zusätzliche Hinweise und Anträge - hinzuwirken.

20

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Widerspruch und Klage gegen

1.
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,
1a.
Maßnahmen nach § 49,
2.
die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,
2a.
Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e,
3.
die Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft,
4.
den Widerruf des Aufenthaltstitels des Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen des § 75 Absatz 2 Satz 1 des Asylgesetzes,
5.
den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung von Forschungseinrichtungen für den Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d,
6.
die Ausreiseuntersagung nach § 46 Absatz 2 Satz 1,
7.
die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11,
8.
die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 sowie
9.
die Feststellung nach § 85a Absatz 1 Satz 2
haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ist ein Ausländer, der volljährig ist, sofern er nicht nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre.

(2) Die mangelnde Handlungsfähigkeit eines Minderjährigen steht seiner Zurückweisung und Zurückschiebung nicht entgegen. Das Gleiche gilt für die Androhung und Durchführung der Abschiebung in den Herkunftsstaat, wenn sich sein gesetzlicher Vertreter nicht im Bundesgebiet aufhält oder dessen Aufenthaltsort im Bundesgebiet unbekannt ist.

(3) Bei der Anwendung dieses Gesetzes sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs dafür maßgebend, ob ein Ausländer als minderjährig oder volljährig anzusehen ist. Die Geschäftsfähigkeit und die sonstige rechtliche Handlungsfähigkeit eines nach dem Recht seines Heimatstaates volljährigen Ausländers bleiben davon unberührt.

(4) Die gesetzlichen Vertreter eines Ausländers, der minderjährig ist, und sonstige Personen, die an Stelle der gesetzlichen Vertreter den Ausländer im Bundesgebiet betreuen, sind verpflichtet, für den Ausländer die erforderlichen Anträge auf Erteilung und Verlängerung des Aufenthaltstitels und auf Erteilung und Verlängerung des Passes, des Passersatzes und des Ausweisersatzes zu stellen.

(5) Sofern der Ausländer das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, müssen die zur Personensorge berechtigten Personen einem geplanten Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 zustimmen.

(1) Bei der Zustellung durch die Behörde händigt der zustellende Bedienstete das Dokument dem Empfänger in einem verschlossenen Umschlag aus. Das Dokument kann auch offen ausgehändigt werden, wenn keine schutzwürdigen Interessen des Empfängers entgegenstehen. Der Empfänger hat ein mit dem Datum der Aushändigung versehenes Empfangsbekenntnis zu unterschreiben. Der Bedienstete vermerkt das Datum der Zustellung auf dem Umschlag des auszuhändigenden Dokuments oder bei offener Aushändigung auf dem Dokument selbst.

(2) Die §§ 177 bis 181 der Zivilprozessordnung sind anzuwenden. Zum Nachweis der Zustellung ist in den Akten zu vermerken:

1.
im Fall der Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen nach § 178 der Zivilprozessordnung der Grund, der diese Art der Zustellung rechtfertigt,
2.
im Fall der Zustellung bei verweigerter Annahme nach § 179 der Zivilprozessordnung, wer die Annahme verweigert hat und dass das Dokument am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender zurückgesandt wurde sowie der Zeitpunkt und der Ort der verweigerten Annahme,
3.
in den Fällen der Ersatzzustellung nach den §§ 180 und 181 der Zivilprozessordnung der Grund der Ersatzzustellung sowie wann und wo das Dokument in einen Briefkasten eingelegt oder sonst niedergelegt und in welcher Weise die Niederlegung schriftlich mitgeteilt wurde.
Im Fall des § 181 Abs. 1 der Zivilprozessordnung kann das zuzustellende Dokument bei der Behörde, die den Zustellungsauftrag erteilt hat, niedergelegt werden, wenn diese Behörde ihren Sitz am Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts hat, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt.

(3) Zur Nachtzeit, an Sonntagen und allgemeinen Feiertagen darf nach den Absätzen 1 und 2 im Inland nur mit schriftlicher oder elektronischer Erlaubnis des Behördenleiters zugestellt werden. Die Nachtzeit umfasst die Stunden von 21 bis 6 Uhr. Die Erlaubnis ist bei der Zustellung abschriftlich mitzuteilen. Eine Zustellung, bei der diese Vorschriften nicht beachtet sind, ist wirksam, wenn die Annahme nicht verweigert wird.

(4) Das Dokument kann an Behörden, Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, an Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer, Berufsausübungsgesellschaften im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung, der Patentanwaltsordnung und des Steuerberatungsgesetzes, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften auch auf andere Weise, auch elektronisch, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden.

(5) Ein elektronisches Dokument kann im Übrigen unbeschadet des Absatzes 4 elektronisch zugestellt werden, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Es ist elektronisch zuzustellen, wenn auf Grund einer Rechtsvorschrift ein Verfahren auf Verlangen des Empfängers in elektronischer Form abgewickelt wird. Für die Übermittlung ist das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen und gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter zu schützen.

(6) Bei der elektronischen Zustellung ist die Übermittlung mit dem Hinweis „Zustellung gegen Empfangsbekenntnis“ einzuleiten. Die Übermittlung muss die absendende Behörde, den Namen und die Anschrift des Zustellungsadressaten sowie den Namen des Bediensteten erkennen lassen, der das Dokument zur Übermittlung aufgegeben hat.

(7) Zum Nachweis der Zustellung nach den Absätzen 4 und 5 genügt das mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis, das an die Behörde durch die Post oder elektronisch zurückzusenden ist. Ein elektronisches Dokument gilt in den Fällen des Absatzes 5 Satz 2 am dritten Tag nach der Absendung an den vom Empfänger hierfür eröffneten Zugang als zugestellt, wenn der Behörde nicht spätestens an diesem Tag ein Empfangsbekenntnis nach Satz 1 zugeht. Satz 2 gilt nicht, wenn der Empfänger nachweist, dass das Dokument nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Empfänger ist in den Fällen des Absatzes 5 Satz 2 vor der Übermittlung über die Rechtsfolgen nach den Sätzen 2 und 3 zu belehren. Zum Nachweis der Zustellung ist von der absendenden Behörde in den Akten zu vermerken, zu welchem Zeitpunkt und an welchen Zugang das Dokument gesendet wurde. Der Empfänger ist über den Eintritt der Zustellungsfiktion nach Satz 2 zu benachrichtigen.

(1) Widerspruch und Klage gegen

1.
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,
1a.
Maßnahmen nach § 49,
2.
die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,
2a.
Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e,
3.
die Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft,
4.
den Widerruf des Aufenthaltstitels des Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen des § 75 Absatz 2 Satz 1 des Asylgesetzes,
5.
den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung von Forschungseinrichtungen für den Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d,
6.
die Ausreiseuntersagung nach § 46 Absatz 2 Satz 1,
7.
die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11,
8.
die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 sowie
9.
die Feststellung nach § 85a Absatz 1 Satz 2
haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird.

(1) Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Die Frist wird auch durch Einlegung bei der Behörde, die den Widerspruchsbescheid zu erlassen hat, gewahrt.

(2) §§ 58 und 60 Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend.

(1) Für die Berechnung der Fristen gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(2) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen allgemeinen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages.

(3) Bei der Berechnung einer Frist, die nach Stunden bestimmt ist, werden Sonntage, allgemeine Feiertage und Sonnabende nicht mitgerechnet.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Einem Ausländer können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 folgende Visa erteilt werden:

1.
ein Visum für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Schengen-Staaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen (Schengen-Visum),
2.
ein Flughafentransitvisum für die Durchreise durch die internationalen Transitzonen der Flughäfen.

(2) Schengen-Visa können nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 bis zu einer Gesamtaufenthaltsdauer von 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen verlängert werden. Für weitere 90 Tage innerhalb des betreffenden Zeitraums von 180 Tagen kann ein Schengen-Visum aus den in Artikel 33 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009/EG genannten Gründen, zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder aus völkerrechtlichen Gründen als nationales Visum verlängert werden.

(2a) Schengen-Visa berechtigen nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, es sei denn, sie wurden zum Zweck der Erwerbstätigkeit erteilt.

(3) Für längerfristige Aufenthalte ist ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis, die Blaue Karte EU, die ICT-Karte, die Niederlassungserlaubnis und die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU geltenden Vorschriften. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts mit einem nationalen Visum wird auf die Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis, Blauen Karte EU, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU angerechnet.

(4) Ein Ausnahme-Visum im Sinne des § 14 Absatz 2 wird als Visum im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 oder des Absatzes 3 erteilt.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis nach Satz 3 berechtigt nicht zur Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis ist unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen. Ist eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden.

(1) Für einen Aufenthalt zum Zweck eines unternehmensinternen Transfers, der eine Dauer von bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen nicht überschreitet, bedarf ein Ausländer abweichend von § 4 Absatz 1 keines Aufenthaltstitels, wenn die ihn aufnehmende Niederlassung in dem anderen Mitgliedstaat dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaates mitgeteilt hat, dass der Ausländer die Ausübung einer Beschäftigung im Bundesgebiet beabsichtigt, und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Mitteilung vorlegt

1.
den Nachweis, dass der Ausländer einen gültigen nach der Richtlinie (EU) 2014/66 erteilten Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union besitzt,
2.
den Nachweis, dass die inländische aufnehmende Niederlassung demselben Unternehmen oder derselben Unternehmensgruppe angehört wie dasjenige Unternehmen mit Sitz außerhalb der Europäischen Union, dem der Ausländer angehört,
3.
einen Arbeitsvertrag und erforderlichenfalls ein Abordnungsschreiben gemäß den Vorgaben in § 19 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4, der oder das bereits den zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaates vorgelegt wurde,
4.
die Kopie eines anerkannten und gültigen Passes oder Passersatzes des Ausländers,
5.
den Nachweis, dass eine Berufsausübungserlaubnis erteilt wurde oder ihre Erteilung zugesagt ist, soweit diese erforderlich ist.
Die aufnehmende Niederlassung in dem anderen Mitgliedstaat hat die Mitteilung zu dem Zeitpunkt zu machen, zu dem der Ausländer in dem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2014/66 stellt. Ist der aufnehmenden Niederlassung in dem anderen Mitgliedstaat zu diesem Zeitpunkt die Absicht des Transfers in eine Niederlassung im Bundesgebiet noch nicht bekannt, so hat sie die Mitteilung zu dem Zeitpunkt zu machen, zu dem ihr die Absicht bekannt wird. Bei der Erteilung des Aufenthaltstitels nach Satz 1 Nummer 1 durch einen Staat, der nicht Schengen-Staat ist, und bei der Einreise über einen Staat, der nicht Schengen-Staat ist, hat der Ausländer eine Kopie der Mitteilung mitzuführen und den zuständigen Behörden auf deren Verlangen vorzulegen.

(2) Erfolgt die Mitteilung zu dem in Absatz 1 Satz 2 genannten Zeitpunkt und wurden die Einreise und der Aufenthalt nicht nach Absatz 4 abgelehnt, so darf der Ausländer jederzeit innerhalb der Gültigkeitsdauer des in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Aufenthaltstitels des anderen Mitgliedstaates in das Bundesgebiet einreisen und sich dort zum Zweck des unternehmensinternen Transfers aufhalten. Erfolgt die Mitteilung zu dem in Absatz 1 Satz 3 genannten Zeitpunkt, so darf der Ausländer nach Zugang der Mitteilung innerhalb der Gültigkeitsdauer des in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Aufenthaltstitels des anderen Mitgliedstaates in das Bundesgebiet einreisen und sich dort zum Zweck des unternehmensinternen Transfers aufhalten.

(3) Die Einreise und der Aufenthalt werden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt, wenn

1.
das Arbeitsentgelt, das dem Ausländer während des unternehmensinternen Transfers im Bundesgebiet gewährt wird, ungünstiger ist als das Arbeitsentgelt vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer,
2.
die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2, 4 und 5 nicht vorliegen,
3.
die nach Absatz 1 vorgelegten Unterlagen in betrügerischer Weise erworben oder gefälscht oder manipuliert wurden,
4.
der Ausländer sich schon länger als drei Jahre in der Europäischen Union aufhält oder, falls es sich um einen Trainee handelt, länger als ein Jahr in der Europäischen Union aufhält oder
5.
ein Ausweisungsinteresse besteht.
Eine Ablehnung hat in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bis 4 spätestens 20 Tage nach Zugang der vollständigen Mitteilung nach Absatz 1 Satz 1 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu erfolgen. Im Fall des Satzes 1 Nummer 5 ist eine Ablehnung durch die Ausländerbehörde jederzeit während des Aufenthalts des Ausländers möglich; § 73 Absatz 3c ist entsprechend anwendbar. Die Ablehnung ist neben dem Ausländer auch der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaates sowie der aufnehmenden Niederlassung in dem anderen Mitgliedstaat bekannt zu geben. Bei fristgerechter Ablehnung hat der Ausländer die Erwerbstätigkeit unverzüglich einzustellen; die bis dahin nach Absatz 1 Satz 1 bestehende Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels entfällt.

(4) Sofern innerhalb von 20 Tagen nach Zugang der in Absatz 1 Satz 1 genannten Mitteilung keine Ablehnung der Einreise und des Aufenthalts des Ausländers nach Absatz 3 erfolgt, ist dem Ausländer durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Bescheinigung über die Berechtigung zur Einreise und zum Aufenthalt zum Zweck des unternehmensinternen Transfers im Rahmen der kurzfristigen Mobilität auszustellen.

(5) Nach der Ablehnung gemäß Absatz 3 oder der Ausstellung der Bescheinigung im Sinne von Absatz 4 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 71 Absatz 1 für weitere aufenthaltsrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen zuständig. Der Ausländer hat der Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen, wenn der Aufenthaltstitel nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 durch den anderen Mitgliedstaat verlängert wurde.

(1) Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie kann nur in den durch dieses Gesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen mit einer Nebenbestimmung versehen werden. § 47 bleibt unberührt.

(2) Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
sein Lebensunterhalt gesichert ist,
3.
er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist; berufliche Ausfallzeiten auf Grund von Kinderbetreuung oder häuslicher Pflege werden entsprechend angerechnet,
4.
Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen,
5.
ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist,
6.
er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist,
7.
er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
8.
er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und
9.
er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.
Die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 7 und 8 sind nachgewiesen, wenn ein Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen wurde. Von diesen Voraussetzungen wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Im Übrigen kann zur Vermeidung einer Härte von den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 7 und 8 abgesehen werden. Ferner wird davon abgesehen, wenn der Ausländer sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann und er nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 keinen Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs hatte oder er nach § 44a Abs. 2 Nr. 3 nicht zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet war. Darüber hinaus wird von den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 abgesehen, wenn der Ausländer diese aus den in Satz 3 genannten Gründen nicht erfüllen kann.

(3) Bei Ehegatten, die in ehelicher Lebensgemeinschaft leben, genügt es, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3, 5 und 6 durch einen Ehegatten erfüllt werden. Von der Voraussetzung nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 wird abgesehen, wenn sich der Ausländer in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder einem Hochschulabschluss führt. Satz 1 gilt in den Fällen des § 26 Abs. 4 entsprechend.

(4) Auf die für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlichen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis werden folgende Zeiten angerechnet:

1.
die Zeit des früheren Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, abzüglich der Zeit der dazwischen liegenden Aufenthalte außerhalb des Bundesgebiets, die zum Erlöschen der Niederlassungserlaubnis führten; angerechnet werden höchstens vier Jahre,
2.
höchstens sechs Monate für jeden Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets, der nicht zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis führte,
3.
die Zeit eines rechtmäßigen Aufenthalts zum Zweck des Studiums oder der Berufsausbildung im Bundesgebiet zur Hälfte.

(1) Die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. § 9 Abs. 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Soweit dieses Gesetz nichts anderes regelt, ist die Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU der Niederlassungserlaubnis gleichgestellt.

(2) Einem Ausländer ist eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG zu erteilen, wenn

1.
er sich seit fünf Jahren mit Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält,
2.
sein Lebensunterhalt und derjenige seiner Angehörigen, denen er Unterhalt zu leisten hat, durch feste und regelmäßige Einkünfte gesichert ist,
3.
er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
4.
er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,
5.
Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen und
6.
er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.
Für Satz 1 Nr. 3 und 4 gilt § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 5 entsprechend.

(3) Absatz 2 ist nicht anzuwenden, wenn der Ausländer

1.
einen Aufenthaltstitel nach Abschnitt 5 besitzt, der nicht auf Grund des § 23 Abs. 2 erteilt wurde, oder eine vergleichbare Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und weder in der Bundesrepublik Deutschland noch in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als international Schutzberechtigter anerkannt ist; Gleiches gilt, wenn er einen solchen Titel oder eine solche Rechtsstellung beantragt hat und über den Antrag noch nicht abschließend entschieden worden ist,
2.
in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Antrag auf Anerkennung als international Schutzberechtigter gestellt oder vorübergehenden Schutz im Sinne des § 24 beantragt hat und über seinen Antrag noch nicht abschließend entschieden worden ist,
3.
in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eine Rechtsstellung besitzt, die der in § 1 Abs. 2 Nr. 2 beschriebenen entspricht,
4.
sich mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 16a oder § 16b oder
5.
sich zu einem sonstigen seiner Natur nach vorübergehenden Zweck im Bundesgebiet aufhält, insbesondere
a)
auf Grund einer Aufenthaltserlaubnis nach § 19c, wenn die Befristung der Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit auf einer Verordnung nach § 42 Abs. 1 bestimmten Höchstbeschäftigungsdauer beruht,
b)
wenn die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 8 Abs. 2 ausgeschlossen wurde oder
c)
wenn seine Aufenthaltserlaubnis der Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit einem Ausländer dient, der sich selbst nur zu einem seiner Natur nach vorübergehenden Zweck im Bundesgebiet aufhält, und bei einer Aufhebung der Lebensgemeinschaft kein eigenständiges Aufenthaltsrecht entstehen würde.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Ort seinen Wohnsitz.

(2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen.

(3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.

(1) Wer eine Wohnung bezieht, hat sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Einzug bei der Meldebehörde anzumelden.

(2) Wer aus einer Wohnung auszieht und keine neue Wohnung im Inland bezieht, hat sich innerhalb von zwei Wochen nach dem Auszug bei der Meldebehörde abzumelden. Eine Abmeldung ist frühestens eine Woche vor Auszug möglich; die Fortschreibung des Melderegisters erfolgt zum Datum des Auszugs.

(3) Die An- oder Abmeldung für Personen unter 16 Jahren obliegt denjenigen, in deren Wohnung die Personen unter 16 Jahren einziehen oder aus deren Wohnung sie ausziehen. Neugeborene, die im Inland geboren wurden, sind nur anzumelden, wenn sie in eine andere Wohnung als die der Eltern oder der Mutter aufgenommen werden. Ist für eine volljährige Person ein Pfleger oder ein Betreuer bestellt, der den Aufenthalt bestimmen kann, obliegt diesem die An- oder Abmeldung.

(4) Die Standesämter teilen den Meldebehörden unverzüglich die Beurkundung der Geburt eines Kindes sowie jede Änderung des Personenstandes einer Person mit.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Widerspruch und Klage gegen

1.
die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels,
1a.
Maßnahmen nach § 49,
2.
die Auflage nach § 61 Absatz 1e, in einer Ausreiseeinrichtung Wohnung zu nehmen,
2a.
Auflagen zur Sicherung und Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht nach § 61 Absatz 1e,
3.
die Änderung oder Aufhebung einer Nebenbestimmung, die die Ausübung einer Erwerbstätigkeit betrifft,
4.
den Widerruf des Aufenthaltstitels des Ausländers nach § 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen des § 75 Absatz 2 Satz 1 des Asylgesetzes,
5.
den Widerruf oder die Rücknahme der Anerkennung von Forschungseinrichtungen für den Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d,
6.
die Ausreiseuntersagung nach § 46 Absatz 2 Satz 1,
7.
die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11,
8.
die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 6 sowie
9.
die Feststellung nach § 85a Absatz 1 Satz 2
haben keine aufschiebende Wirkung.

Die Klage gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7 hat keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Klage lassen unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt der Aufenthaltstitel als fortbestehend, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat. Eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts tritt nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis nach Satz 3 berechtigt nicht zur Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(2) Die Aufenthaltserlaubnis ist unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen. Ist eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden.

(1) Die Niederlassungserlaubnis ist ein unbefristeter Aufenthaltstitel. Sie kann nur in den durch dieses Gesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen mit einer Nebenbestimmung versehen werden. § 47 bleibt unberührt.

(2) Einem Ausländer ist die Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn

1.
er seit fünf Jahren die Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
sein Lebensunterhalt gesichert ist,
3.
er mindestens 60 Monate Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet hat oder Aufwendungen für einen Anspruch auf vergleichbare Leistungen einer Versicherungs- oder Versorgungseinrichtung oder eines Versicherungsunternehmens nachweist; berufliche Ausfallzeiten auf Grund von Kinderbetreuung oder häuslicher Pflege werden entsprechend angerechnet,
4.
Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder der Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet nicht entgegenstehen,
5.
ihm die Beschäftigung erlaubt ist, sofern er Arbeitnehmer ist,
6.
er im Besitz der sonstigen für eine dauernde Ausübung seiner Erwerbstätigkeit erforderlichen Erlaubnisse ist,
7.
er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
8.
er über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt und
9.
er über ausreichenden Wohnraum für sich und seine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verfügt.
Die Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 7 und 8 sind nachgewiesen, wenn ein Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen wurde. Von diesen Voraussetzungen wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann. Im Übrigen kann zur Vermeidung einer Härte von den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 7 und 8 abgesehen werden. Ferner wird davon abgesehen, wenn der Ausländer sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann und er nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 keinen Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs hatte oder er nach § 44a Abs. 2 Nr. 3 nicht zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet war. Darüber hinaus wird von den Voraussetzungen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 abgesehen, wenn der Ausländer diese aus den in Satz 3 genannten Gründen nicht erfüllen kann.

(3) Bei Ehegatten, die in ehelicher Lebensgemeinschaft leben, genügt es, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3, 5 und 6 durch einen Ehegatten erfüllt werden. Von der Voraussetzung nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 wird abgesehen, wenn sich der Ausländer in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder einem Hochschulabschluss führt. Satz 1 gilt in den Fällen des § 26 Abs. 4 entsprechend.

(4) Auf die für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlichen Zeiten des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis werden folgende Zeiten angerechnet:

1.
die Zeit des früheren Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis, wenn der Ausländer zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Besitz einer Niederlassungserlaubnis war, abzüglich der Zeit der dazwischen liegenden Aufenthalte außerhalb des Bundesgebiets, die zum Erlöschen der Niederlassungserlaubnis führten; angerechnet werden höchstens vier Jahre,
2.
höchstens sechs Monate für jeden Aufenthalt außerhalb des Bundesgebiets, der nicht zum Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis führte,
3.
die Zeit eines rechtmäßigen Aufenthalts zum Zweck des Studiums oder der Berufsausbildung im Bundesgebiet zur Hälfte.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tatbestand

1

Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

2

Die 1973 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Republik Weißrussland. Sie reiste am 1. August 2007 mit einem zunächst bis zum 29. August 2007 gültigen Schengen-Visum nach Deutschland ein. Das Visum wurde später bis zum 30. September 2007 verlängert. Im Visumverfahren hatte die Klägerin gegenüber der deutschen Auslandsvertretung in Minsk angegeben, sie wolle in Deutschland eine Freundin besuchen. Am 6. September 2007 heiratete sie während einer Kurzreise nach Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen, kehrte anschließend mit diesem nach Deutschland zurück und beantragte am 18. September 2007 bei der Ausländerbehörde des Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 ab und drohte der Klägerin zugleich die Abschiebung an. Die Klägerin sei ohne das erforderliche nationale Visum eingereist, das man für auf Dauer gerichtete Aufenthaltszwecke benötige. Der Aufenthaltstitel könne auch nicht nach § 39 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - im Bundesgebiet beantragt werden. Diese Bestimmung verlange, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden seien. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da der Anspruch mit der Heirat in Dänemark und damit vor der Einreise nach Deutschland entstanden sei. Von dem Erfordernis der Einholung eines nationalen Visums vom Ausland aus könne auch nicht im Rahmen des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.

3

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum stehe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Denn die Klägerin könne die Aufenthaltserlaubnis nach § 39 Nr. 3 AufenthV auch vom Bundesgebiet aus einholen, da der Anspruch nach der Einreise entstanden sei. Unter "Einreise" im Sinne der Vorschrift sei nämlich die erste Einreise in den Schengen-Raum zu verstehen. Da die Klägerin bereits am 1. August 2007 in den Schengen-Raum eingereist sei, sei die Ehe nach der Einreise geschlossen worden.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. Juli 2009 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es: Zwar lägen die besonderen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG vor. Die Klägerin erfülle jedoch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil sie nicht mit dem für den beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen Visum eingereist sei und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht habe. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV von diesem Erfordernis befreit. Denn ihr Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nicht nach der Einreise entstanden. Es komme nach dieser Vorschrift auf die letzte vor der Antragstellung erfolgte Einreise in das Bundesgebiet an und nicht auf die Einreise in den Schengen-Raum. Dies ergebe sich u.a. aus dem Zweck der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs solle mit der Begrenzung der Privilegierung auf nach der Einreise entstandene Anspruchsfälle der missbräuchlichen Verwendung eines Schengen-Visums für einen von vornherein beabsichtigten langfristigen Aufenthalt entgegengewirkt werden. Dabei habe der Verordnungsgeber ausdrücklich die Heirat deutscher Staatsangehöriger in Dänemark vor Augen gehabt. Die Regelung begegne weder mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz noch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie Bedenken. Eine andere Auslegung der Vorschrift sei schließlich auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht einschlägig, weil der Ehemann der Klägerin nicht von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten, von dem Visumerfordernis nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugunsten der Klägerin abzusehen, obwohl ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zustehe, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Ermessensausübung sei es erforderlich, die legitimen Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Dem sei der Beklagte rechtsfehlerfrei nachgekommen. Er sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin das nationale Visumverfahren in offensichtlich missbräuchlicher Absicht umgangen habe und besondere Umstände, die eine vorübergehende Trennung von ihrem Ehemann mit Blick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRG als unzumutbar erscheinen ließen, weder dargetan noch ersichtlich seien.

5

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe den Begriff der Einreise in § 39 Nr. 3 AufenthV fehlerhaft ausgelegt und dessen europarechtliche Prägung außer Acht gelassen. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Eheschließungen in Deutschland im Vergleich zu Eheschließungen in anderen Schengen-Staaten. Sie werde auch dem durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutz der Ehe einschließlich der Eheschließungsfreiheit nicht gerecht. Außerdem sei vorliegend das Ermessen der Ausländerbehörde, von der Durchführung eines Visumverfahrens abzusehen, im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits 1986 festgestellt, dass die Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren unsinnig sei, wenn der weitere Aufenthalt des legal eingereisten Ausländers unbedenklich erlaubt werden könne.

6

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

7

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. November 2010 darauf hingewiesen, dass die Klägerin ausweislich des in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs im Visumverfahren auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden ist. Die sich aus dem Visumvorgang ergebenden Umstände sind mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von diesen nicht in Frage gestellt worden.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ohne vorherige Durchführung eines nationalen Visumverfahrens verneint und den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig bestätigt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.), dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - nicht erfüllt (2.a) und weder nach § 39 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - hiervon befreit ist (2.b) noch verlangen kann, dass der Beklagte im Rahmen seines Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser Erteilungsvoraussetzung absieht (2.c).

9

1. Zunächst ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung der Klägerin nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Denn nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.

10

Allerdings unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ausnahmsweise auch Familienangehörige von Deutschen den unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, nämlich dann, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Nach dieser Rechtsprechung kann sich der einem Drittstaat angehörende Ehegatte eines Unionsbürgers auch gegenüber dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen, wenn der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, der Ehegatte ihn in den anderen Mitgliedstaat begleitet hat oder ihm nachgezogen ist und sich mit ihm dort aufgehalten hat. Dies gilt auch, wenn die Ehe erst in dem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, und ist unabhängig von dem Zeitpunkt der Einreise und der Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts des Ehegatten in dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 27 ff., 45) oder dem anderen Mitgliedstaat (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 48 ff.). Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers, dass in diesen Fällen der drittstaatsangehörige Ehegatte bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat des Unionsbürgers auch dort ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht hat.

11

Dieses Recht darf von den Mitgliedstaaten grundsätzlich keinen weiteren Voraussetzungen als dem Nachweis der Identität und der Ehe unterworfen werden. Insbesondere darf nicht ein "Aufenthaltsvisum zum Zweck der Familienzusammenführung" verlangt werden (EuGH, Urteil vom 14. April 2005 - Rs. C-157/03, Kommission/Spanien - Slg. 2005, I-2911 Rn. 28). Selbst die Einreise ohne ein zulässigerweise gefordertes Einreisevisum in Gestalt eines Schengen-Visums darf allenfalls zur Belegung mit Verwaltungssanktionen, nicht aber zur Versagung des Aufenthaltsrechts und erst recht nicht zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet führen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - Rs. C-459/99, MRAX - InfAuslR 2002, 417 Rn. 56 und 59). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind (vgl. Hailbronner, AuslR, § 1 FreizügG/EU Rn. 2 und 14; VG Darmstadt, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 5 L 492/10.DA - S. 4 f.; wohl auch OVG Bremen, Beschluss vom 17. August 2010 - 1 B 166/10 - InfAuslR 2011, 1) oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (vgl. Epe, in: GK-AufenthG, § 1 FreizügG/EU Rn. 26), braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Aus Sicht des Senats sprechen durchaus gute Gründe für eine analoge Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit der Folge, dass bei Vorliegen eines sog. Rückkehrerfalles nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ausgeschlossen ist. Das würde allerdings nicht bedeuten, dass in allen Fällen des Nachzugsbegehrens von Drittstaatsangehörigen zu ihrem deutschen Ehegatten vor einer Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auch stets eine Feststellung über das Nichtbestehen eines Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU erforderlich wäre. Denn diese Regelung beruht auf der Vermutung eines Freizügigkeitsrechts zugunsten der in § 1 FreizügG/EU genannten Personen, die bei Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger gerade nicht besteht, und dürfte daher von einer entsprechenden Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Rückkehrerfällen ausgenommen sein.

12

Die vorstehend aufgeworfene Rechtsfrage bedarf hier keiner abschließenden Klärung, weil bei der Klägerin die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht vorliegen. Denn ihr deutscher Ehemann hat durch die Kurzreise nach Dänemark und die dortige Heirat nicht in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, der Klägerin einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang der Ehemann der Klägerin bei seiner Kurzreise nach Dänemark durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von seinem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (so auch die ganz überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: VGH Mannheim, Beschluss vom 25. Januar 2010 - 11 S 2181/09 - InfAuslR 2010, 143; VGH München, Beschluss vom 29. September 2009 - 19 CS 09.1405 - juris Rn. 8; VG Darmstadt, Beschluss vom 23. Oktober 2009 - 5 L 557/09.DA(2) - InfAuslR 2010, 67; nachgehend VGH Kassel, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 3 B 2948/09 - juris Rn. 16 ff.). Würde bereits jeder kurzfristige, von vornherein nicht auf eine gewisse Dauer angelegte Aufenthalt eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat - etwa zu touristischen Zwecken - für einen unionsrechtlich begründeten Nachzugsanspruch des mitreisenden drittstaatsangehörigen Ehegatten bei Rückkehr in den Heimatstaat ausreichen, liefe das Recht der Mitgliedstaaten zur Regelung von Einreise und Aufenthalt für den einem Drittstaat angehörenden Ehegatten oder sonstige Familienangehörige ihrer eigenen Staatsbürger weitgehend leer. Dieses Recht der Mitgliedstaaten hat der EuGH in seinen Entscheidungen aber immer wieder ausdrücklich anerkannt und betont, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 77 und vom 1. April 2008 - Rs. C-212/06, Gouvernement de la Communauté française etc. - Slg. 2008, I-1683 Rn. 39 m.w.N.). Insofern kann der Rechtsprechung des EuGH zu den Rückkehrerfällen eine Art Bagatellvorbehalt entnommen werden, nach dem - angesichts der erheblichen Rechtsfolgen des Gebrauchmachens von der Freizügigkeit im Rückkehrfall - auch dieses Gebrauchmachen selbst von einer gewissen Erheblichkeit bzw. Nachhaltigkeit sein muss. In die gleiche Richtung gehen auch die Überlegungen der Kommission zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Unionsrechts in diesem Zusammenhang, die die Begründung eines tatsächlichen und effektiven Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat, d.h. der Sache nach in der Regel einen Umzug des Unionsbürgers, für erforderlich hält (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 2. Juli 2009, KOM(2009) 313 endgültig, S. 19 f.).

13

Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall ist durch den kurzfristigen, nur wenige Tage dauernden gemeinsamen Aufenthalt der Klägerin und ihres Ehemannes in Dänemark diese Grenze zweifellos nicht erreicht. Deshalb erübrigt sich auch eine Vorlage an den EuGH.

14

Die Notwendigkeit einer solchen Vorlage ergibt sich auch nicht aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in der der Großen Kammer des EuGH zugewiesenen Rechtssache C-34/09 - Zambrano - vom 30. September 2010. Die Generalanwältin hat darin grundsätzlich die Frage aufgeworfen, ob ein Unionsbürger sich gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von der Freizügigkeit auf seine Rechte als Unionsbürger - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regeln - berufen kann. Nach ihrer Auffassung ist eine solche Inländerdiskriminierung unionsrechtlich unzulässig. Dies widerspricht allerdings der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des EuGH, nach der Unionsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte keine Anwendung findet und über etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden ist (neben den oben zitierten Urteilen vom 25. Juli 2008 und 1. April 2008 auch Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23). Dies hat der EuGH auf einen ähnlichen Vorstoß der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 28. Juni 2007, Rn. 121 in der Rechtssache C-212/06 durch Urteil vom 1. April 2008 a.a.O., Rn. 37 bis 39 ausdrücklich bestätigt. Aus Sicht des Senats stellt sich angesichts dieser eindeutigen Rechtsprechung derzeit insoweit keine europarechtliche Zweifelsfrage.

15

Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf inländische Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (vgl. Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 40).

16

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.

17

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu einem Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG erfordert neben dem Vorliegen der dort genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist, d.h. dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einzuholen, oder ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt.

18

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Sie ist nicht mit einem zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten nationalen Visum gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG eingereist und hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für dessen Erteilung erforderlichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.

19

Die Klägerin ist mit einem Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift: BTDrucks 15/420 S. 73 und BGH, Urteil vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04 - NJW 2005, 2095). Für einen längerfristigen Aufenthalt ist aber gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen - ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (so auch die ganz überwiegende Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte: neben dem Berufungsurteil etwa VGH Kassel, Beschluss vom 16. März 2005 - 12 TG 298/05 - NVwZ 2006, 111; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. März 2006 - 11 S 1797/05 - juris Rn. 12 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2008 - 13 ME 131/08 - juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 1 B 552/08 - juris Rn. 30; zur alten Rechtslage noch offenlassend, Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <267>). Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht neben ihrer systematischen Stellung bei den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln auch der Sinn und Zweck der Regelung. Sie dient anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht primär der Verhinderung oder Sanktion einer unerlaubten Einreise, sondern soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BTDrucks 15/420 S. 70). Diesem Zweck der Vorschrift wird eine weite, auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks erfassende Auslegung der Vorschrift am ehesten gerecht. Nur bei einem solchen Verständnis der Vorschrift erlangen im Übrigen die in § 39 Nr. 2, 3 und 6 AufenthV vorgesehenen Ausnahmen eine eigenständige Bedeutung. In den dort geregelten Fällen einer nachträglichen Änderung des Aufenthaltszwecks würde andernfalls schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zulässig sein.

20

Da die Klägerin "nur" mit einem Schengen-Visum und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist ist, fehlt es - ungeachtet des Umstandes, dass sie auch nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat - an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

21

b) Die Klägerin ist auch nicht nach den auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, und damit von dem Visumerfordernis befreit.

22

Die im Fall der Klägerin allein in Betracht kommende Regelung in § 39 Nr. 3 AufenthV ist in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (vgl. Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) anzuwenden. Umstände, die es aus Gründen des Vertrauensschutzes gebieten würden, abweichend von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der aktuellen Rechtslage ausnahmsweise auf die zuvor geltende Rechtslage abzustellen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 - InfAuslR 2008, 129), liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Denn die für die Anwendung der Vorschrift maßgebliche Eheschließung fand ebenso wie die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erst nach Inkrafttreten der Rechtsänderung statt, so dass es schon deshalb an einem unter Geltung der alten Rechtslage ins Werk gesetzten Vertrauen fehlt. Abgesehen davon kommt es, wie die folgenden Ausführungen zeigen, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei der Klägerin auch nicht entscheidend auf diese Rechtsänderung an.

23

Nach § 39 Nr. 3 AufenthV in der hier anzuwendenden neuen Fassung kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In der alten Fassung lautete der letzte Halbsatz: "..., sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind." Die Klägerin, für die allein die zweite Alternative der Vorschrift in Betracht kommt, war zwar bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug im Besitz eines gültigen Schengen-Visums für kurzfristige Aufenthalte, bei ihr liegen aber trotz der Heirat eines Deutschen nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV vor, weil sie den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat und deshalb die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der beim Familiennachzug gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen des behördlichen Ermessens abgesehen werden kann, nicht erfüllt.

24

Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsgesetz - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen (Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 Rn. 24 m.w.N.). Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (a.a.O. Rn. 21 ff.). Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Sie hat bei der Beantragung des Schengen-Visums bei der deutschen Auslandsvertretung in Minsk im Juli 2007 falsche Angaben zum Zweck der Erlangung dieses Visums gemacht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie seinerzeit angegeben, nur zu Besuchszwecken einreisen zu wollen, obwohl sie, wie die Reisechronologie belegt, von vornherein dauerhaft in Deutschland bleiben wollte (UA S. 15 f.). Von diesen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren auszugehen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist ferner ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher und unvollständiger Angaben hingewiesen worden. Dies ist nach der Erörterung dieses Umstandes in der Revisionsverhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit hat die Klägerin den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sowohl in der zum Zeitpunkt der Beantragung des Visums geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) als auch in der jetzigen, seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes geltenden Fassung (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG) erfüllt.

25

Dieser Ausweisungsgrund ist auch im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV zu berücksichtigen und steht der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift entgegen. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise angenommen wird, dass § 39 Nr. 3 AufenthV gerade bei einer Eheschließung nach der Einreise auch den Fall eines von vornherein beabsichtigten Daueraufenthalts erfassen solle und deshalb der Ausweisungsgrund, der auf dem entsprechenden Verstoß gegen die Visumvorschriften beruhe, bei Anwendung dieser Vorschrift außer Betracht bleiben müsse (so OVG Münster, Beschluss vom 16. September 2008 - 19 B 871/08 - im Anschluss an VG Aachen, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 8 L 445/07 - zu § 39 Nr. 5 AufenthV, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenso die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 18 B 606/10 - juris Rn. 8 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 - InfAuslR 2008, 444; VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2009 - 10 CS 09.853 - InfAuslR 2009, 291). Die Vorschrift des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit nur von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG; die selbständige Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bleibt aber weiterhin zu beachten. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 39 Nr. 3 AufenthV. Diese Vorschrift soll nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Schengen-Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch privilegieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses Verfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung entwertet. Dieser schon mit der ursprünglichen Fassung der Vorschrift verfolgte Regelungszweck (vgl. BRDrucks 731/04 S. 182 f.) wird in der Begründung der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz noch stärker zum Ausdruck gebracht (BTDrucks 15/5065 S. 240).

26

Da § 39 Nr. 3 AufenthV schon mangels eines strikten Rechtsanspruchs der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht eingreift, kommt es auf die vom Berufungsgericht erörterte Auslegung des Begriffs der Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV nicht mehr an.

27

c) Ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt auch nicht nach Satz 2 der Vorschrift in Betracht, da die Klägerin schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nicht erfüllt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von dem Erfordernis eines Visumverfahrens nach Satz 1 abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ebenso wie im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV setzt die erste Alternative der Vorschrift einen strikten Rechtsanspruch voraus, der wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Fall der Klägerin nicht besteht. Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen besondere Umstände, die es der Klägerin unzumutbar machen, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen, nicht vor (UA S. 16). Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus.

28

Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG der Klägerin im Fall einer Ausreise zur Nachholung des nationalen Visumverfahrens nicht mehr entgegengehalten werden kann.

29

Die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ist nach alledem ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.

Über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn

1.
er ein nationales Visum (§ 6 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes) oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
er vom Erfordernis des Aufenthaltstitels befreit ist und die Befreiung nicht auf einen Teil des Bundesgebiets oder auf einen Aufenthalt bis zu längstens sechs Monaten beschränkt ist,
3.
er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EU) 2018/1806 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Absatz 1 Nummer 1 des Aufenthaltsgesetzes) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, es sei denn, es handelt sich um einen Anspruch nach den §§ 16b, 16e oder 19e des Aufenthaltsgesetzes,
4.
er eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz besitzt und die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 oder 2 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
5.
seine Abschiebung nach § 60a des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung oder der Begründung einer Lebenspartnerschaft im Bundesgebiet oder der Geburt eines Kindes während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat,
6.
er einen von einem anderen Schengen-Staat ausgestellten Aufenthaltstitel besitzt und auf Grund dieses Aufenthaltstitels berechtigt ist, sich im Bundesgebiet aufzuhalten, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind; § 41 Abs. 3 findet Anwendung,
7.
er seit mindestens 18 Monaten eine Blaue Karte EU besitzt, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellt wurde, und er für die Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung eine Blaue Karte EU beantragt. Gleiches gilt für seine Familienangehörigen, die im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Familiennachzug sind, der von demselben Staat ausgestellt wurde wie die Blaue Karte EU des Ausländers. Die Anträge auf die Blaue Karte EU sowie auf die Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug sind innerhalb eines Monats nach Einreise in das Bundesgebiet zu stellen,
8.
er die Verlängerung einer ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
9.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1), und
b)
eine Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Mobiler-ICT-Karte nach § 19b des Aufenthaltsgesetzes beantragt,
10.
er
a)
einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates besitzt, der ausgestellt worden ist nach der Richtlinie (EU) 2016/801 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zu Forschungs- oder Studienzwecken, zur Absolvierung eines Praktikums, zur Teilnahme an einem Freiwilligendienst, Schüleraustauschprogrammen oder Bildungsvorhaben und zur Ausübung einer Au-pair-Tätigkeit (ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 21), und
b)
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs zu einem Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 18f des Aufenthaltsgesetzes beantragt oder
11.
er vor Ablauf der Arbeitserlaubnis oder der Arbeitserlaubnisse zum Zweck der Saisonbeschäftigung, die ihm nach § 15a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 der Beschäftigungsverordnung erteilt wurde oder wurden, einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Saisonbeschäftigung bei demselben oder einem anderen Arbeitgeber beantragt; dieser Aufenthaltstitel gilt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erteilt.
Satz 1 gilt nicht, wenn eine ICT-Karte nach § 19 des Aufenthaltsgesetzes beantragt wird.

Tatbestand

1

Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

2

Die 1973 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Republik Weißrussland. Sie reiste am 1. August 2007 mit einem zunächst bis zum 29. August 2007 gültigen Schengen-Visum nach Deutschland ein. Das Visum wurde später bis zum 30. September 2007 verlängert. Im Visumverfahren hatte die Klägerin gegenüber der deutschen Auslandsvertretung in Minsk angegeben, sie wolle in Deutschland eine Freundin besuchen. Am 6. September 2007 heiratete sie während einer Kurzreise nach Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen, kehrte anschließend mit diesem nach Deutschland zurück und beantragte am 18. September 2007 bei der Ausländerbehörde des Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 ab und drohte der Klägerin zugleich die Abschiebung an. Die Klägerin sei ohne das erforderliche nationale Visum eingereist, das man für auf Dauer gerichtete Aufenthaltszwecke benötige. Der Aufenthaltstitel könne auch nicht nach § 39 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - im Bundesgebiet beantragt werden. Diese Bestimmung verlange, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden seien. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da der Anspruch mit der Heirat in Dänemark und damit vor der Einreise nach Deutschland entstanden sei. Von dem Erfordernis der Einholung eines nationalen Visums vom Ausland aus könne auch nicht im Rahmen des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.

3

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum stehe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Denn die Klägerin könne die Aufenthaltserlaubnis nach § 39 Nr. 3 AufenthV auch vom Bundesgebiet aus einholen, da der Anspruch nach der Einreise entstanden sei. Unter "Einreise" im Sinne der Vorschrift sei nämlich die erste Einreise in den Schengen-Raum zu verstehen. Da die Klägerin bereits am 1. August 2007 in den Schengen-Raum eingereist sei, sei die Ehe nach der Einreise geschlossen worden.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. Juli 2009 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es: Zwar lägen die besonderen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG vor. Die Klägerin erfülle jedoch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil sie nicht mit dem für den beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen Visum eingereist sei und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht habe. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV von diesem Erfordernis befreit. Denn ihr Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nicht nach der Einreise entstanden. Es komme nach dieser Vorschrift auf die letzte vor der Antragstellung erfolgte Einreise in das Bundesgebiet an und nicht auf die Einreise in den Schengen-Raum. Dies ergebe sich u.a. aus dem Zweck der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs solle mit der Begrenzung der Privilegierung auf nach der Einreise entstandene Anspruchsfälle der missbräuchlichen Verwendung eines Schengen-Visums für einen von vornherein beabsichtigten langfristigen Aufenthalt entgegengewirkt werden. Dabei habe der Verordnungsgeber ausdrücklich die Heirat deutscher Staatsangehöriger in Dänemark vor Augen gehabt. Die Regelung begegne weder mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz noch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie Bedenken. Eine andere Auslegung der Vorschrift sei schließlich auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht einschlägig, weil der Ehemann der Klägerin nicht von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten, von dem Visumerfordernis nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugunsten der Klägerin abzusehen, obwohl ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zustehe, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Ermessensausübung sei es erforderlich, die legitimen Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Dem sei der Beklagte rechtsfehlerfrei nachgekommen. Er sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin das nationale Visumverfahren in offensichtlich missbräuchlicher Absicht umgangen habe und besondere Umstände, die eine vorübergehende Trennung von ihrem Ehemann mit Blick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRG als unzumutbar erscheinen ließen, weder dargetan noch ersichtlich seien.

5

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe den Begriff der Einreise in § 39 Nr. 3 AufenthV fehlerhaft ausgelegt und dessen europarechtliche Prägung außer Acht gelassen. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Eheschließungen in Deutschland im Vergleich zu Eheschließungen in anderen Schengen-Staaten. Sie werde auch dem durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutz der Ehe einschließlich der Eheschließungsfreiheit nicht gerecht. Außerdem sei vorliegend das Ermessen der Ausländerbehörde, von der Durchführung eines Visumverfahrens abzusehen, im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits 1986 festgestellt, dass die Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren unsinnig sei, wenn der weitere Aufenthalt des legal eingereisten Ausländers unbedenklich erlaubt werden könne.

6

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

7

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. November 2010 darauf hingewiesen, dass die Klägerin ausweislich des in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs im Visumverfahren auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden ist. Die sich aus dem Visumvorgang ergebenden Umstände sind mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von diesen nicht in Frage gestellt worden.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ohne vorherige Durchführung eines nationalen Visumverfahrens verneint und den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig bestätigt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.), dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - nicht erfüllt (2.a) und weder nach § 39 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - hiervon befreit ist (2.b) noch verlangen kann, dass der Beklagte im Rahmen seines Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser Erteilungsvoraussetzung absieht (2.c).

9

1. Zunächst ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung der Klägerin nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Denn nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.

10

Allerdings unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ausnahmsweise auch Familienangehörige von Deutschen den unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, nämlich dann, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Nach dieser Rechtsprechung kann sich der einem Drittstaat angehörende Ehegatte eines Unionsbürgers auch gegenüber dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen, wenn der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, der Ehegatte ihn in den anderen Mitgliedstaat begleitet hat oder ihm nachgezogen ist und sich mit ihm dort aufgehalten hat. Dies gilt auch, wenn die Ehe erst in dem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, und ist unabhängig von dem Zeitpunkt der Einreise und der Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts des Ehegatten in dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 27 ff., 45) oder dem anderen Mitgliedstaat (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 48 ff.). Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers, dass in diesen Fällen der drittstaatsangehörige Ehegatte bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat des Unionsbürgers auch dort ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht hat.

11

Dieses Recht darf von den Mitgliedstaaten grundsätzlich keinen weiteren Voraussetzungen als dem Nachweis der Identität und der Ehe unterworfen werden. Insbesondere darf nicht ein "Aufenthaltsvisum zum Zweck der Familienzusammenführung" verlangt werden (EuGH, Urteil vom 14. April 2005 - Rs. C-157/03, Kommission/Spanien - Slg. 2005, I-2911 Rn. 28). Selbst die Einreise ohne ein zulässigerweise gefordertes Einreisevisum in Gestalt eines Schengen-Visums darf allenfalls zur Belegung mit Verwaltungssanktionen, nicht aber zur Versagung des Aufenthaltsrechts und erst recht nicht zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet führen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - Rs. C-459/99, MRAX - InfAuslR 2002, 417 Rn. 56 und 59). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind (vgl. Hailbronner, AuslR, § 1 FreizügG/EU Rn. 2 und 14; VG Darmstadt, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 5 L 492/10.DA - S. 4 f.; wohl auch OVG Bremen, Beschluss vom 17. August 2010 - 1 B 166/10 - InfAuslR 2011, 1) oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (vgl. Epe, in: GK-AufenthG, § 1 FreizügG/EU Rn. 26), braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Aus Sicht des Senats sprechen durchaus gute Gründe für eine analoge Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit der Folge, dass bei Vorliegen eines sog. Rückkehrerfalles nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ausgeschlossen ist. Das würde allerdings nicht bedeuten, dass in allen Fällen des Nachzugsbegehrens von Drittstaatsangehörigen zu ihrem deutschen Ehegatten vor einer Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auch stets eine Feststellung über das Nichtbestehen eines Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU erforderlich wäre. Denn diese Regelung beruht auf der Vermutung eines Freizügigkeitsrechts zugunsten der in § 1 FreizügG/EU genannten Personen, die bei Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger gerade nicht besteht, und dürfte daher von einer entsprechenden Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Rückkehrerfällen ausgenommen sein.

12

Die vorstehend aufgeworfene Rechtsfrage bedarf hier keiner abschließenden Klärung, weil bei der Klägerin die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht vorliegen. Denn ihr deutscher Ehemann hat durch die Kurzreise nach Dänemark und die dortige Heirat nicht in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, der Klägerin einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang der Ehemann der Klägerin bei seiner Kurzreise nach Dänemark durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von seinem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (so auch die ganz überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: VGH Mannheim, Beschluss vom 25. Januar 2010 - 11 S 2181/09 - InfAuslR 2010, 143; VGH München, Beschluss vom 29. September 2009 - 19 CS 09.1405 - juris Rn. 8; VG Darmstadt, Beschluss vom 23. Oktober 2009 - 5 L 557/09.DA(2) - InfAuslR 2010, 67; nachgehend VGH Kassel, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 3 B 2948/09 - juris Rn. 16 ff.). Würde bereits jeder kurzfristige, von vornherein nicht auf eine gewisse Dauer angelegte Aufenthalt eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat - etwa zu touristischen Zwecken - für einen unionsrechtlich begründeten Nachzugsanspruch des mitreisenden drittstaatsangehörigen Ehegatten bei Rückkehr in den Heimatstaat ausreichen, liefe das Recht der Mitgliedstaaten zur Regelung von Einreise und Aufenthalt für den einem Drittstaat angehörenden Ehegatten oder sonstige Familienangehörige ihrer eigenen Staatsbürger weitgehend leer. Dieses Recht der Mitgliedstaaten hat der EuGH in seinen Entscheidungen aber immer wieder ausdrücklich anerkannt und betont, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 77 und vom 1. April 2008 - Rs. C-212/06, Gouvernement de la Communauté française etc. - Slg. 2008, I-1683 Rn. 39 m.w.N.). Insofern kann der Rechtsprechung des EuGH zu den Rückkehrerfällen eine Art Bagatellvorbehalt entnommen werden, nach dem - angesichts der erheblichen Rechtsfolgen des Gebrauchmachens von der Freizügigkeit im Rückkehrfall - auch dieses Gebrauchmachen selbst von einer gewissen Erheblichkeit bzw. Nachhaltigkeit sein muss. In die gleiche Richtung gehen auch die Überlegungen der Kommission zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Unionsrechts in diesem Zusammenhang, die die Begründung eines tatsächlichen und effektiven Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat, d.h. der Sache nach in der Regel einen Umzug des Unionsbürgers, für erforderlich hält (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 2. Juli 2009, KOM(2009) 313 endgültig, S. 19 f.).

13

Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall ist durch den kurzfristigen, nur wenige Tage dauernden gemeinsamen Aufenthalt der Klägerin und ihres Ehemannes in Dänemark diese Grenze zweifellos nicht erreicht. Deshalb erübrigt sich auch eine Vorlage an den EuGH.

14

Die Notwendigkeit einer solchen Vorlage ergibt sich auch nicht aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in der der Großen Kammer des EuGH zugewiesenen Rechtssache C-34/09 - Zambrano - vom 30. September 2010. Die Generalanwältin hat darin grundsätzlich die Frage aufgeworfen, ob ein Unionsbürger sich gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von der Freizügigkeit auf seine Rechte als Unionsbürger - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regeln - berufen kann. Nach ihrer Auffassung ist eine solche Inländerdiskriminierung unionsrechtlich unzulässig. Dies widerspricht allerdings der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des EuGH, nach der Unionsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte keine Anwendung findet und über etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden ist (neben den oben zitierten Urteilen vom 25. Juli 2008 und 1. April 2008 auch Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23). Dies hat der EuGH auf einen ähnlichen Vorstoß der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 28. Juni 2007, Rn. 121 in der Rechtssache C-212/06 durch Urteil vom 1. April 2008 a.a.O., Rn. 37 bis 39 ausdrücklich bestätigt. Aus Sicht des Senats stellt sich angesichts dieser eindeutigen Rechtsprechung derzeit insoweit keine europarechtliche Zweifelsfrage.

15

Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf inländische Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (vgl. Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 40).

16

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.

17

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu einem Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG erfordert neben dem Vorliegen der dort genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist, d.h. dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einzuholen, oder ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt.

18

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Sie ist nicht mit einem zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten nationalen Visum gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG eingereist und hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für dessen Erteilung erforderlichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.

19

Die Klägerin ist mit einem Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift: BTDrucks 15/420 S. 73 und BGH, Urteil vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04 - NJW 2005, 2095). Für einen längerfristigen Aufenthalt ist aber gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen - ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (so auch die ganz überwiegende Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte: neben dem Berufungsurteil etwa VGH Kassel, Beschluss vom 16. März 2005 - 12 TG 298/05 - NVwZ 2006, 111; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. März 2006 - 11 S 1797/05 - juris Rn. 12 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2008 - 13 ME 131/08 - juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 1 B 552/08 - juris Rn. 30; zur alten Rechtslage noch offenlassend, Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <267>). Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht neben ihrer systematischen Stellung bei den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln auch der Sinn und Zweck der Regelung. Sie dient anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht primär der Verhinderung oder Sanktion einer unerlaubten Einreise, sondern soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BTDrucks 15/420 S. 70). Diesem Zweck der Vorschrift wird eine weite, auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks erfassende Auslegung der Vorschrift am ehesten gerecht. Nur bei einem solchen Verständnis der Vorschrift erlangen im Übrigen die in § 39 Nr. 2, 3 und 6 AufenthV vorgesehenen Ausnahmen eine eigenständige Bedeutung. In den dort geregelten Fällen einer nachträglichen Änderung des Aufenthaltszwecks würde andernfalls schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zulässig sein.

20

Da die Klägerin "nur" mit einem Schengen-Visum und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist ist, fehlt es - ungeachtet des Umstandes, dass sie auch nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat - an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

21

b) Die Klägerin ist auch nicht nach den auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, und damit von dem Visumerfordernis befreit.

22

Die im Fall der Klägerin allein in Betracht kommende Regelung in § 39 Nr. 3 AufenthV ist in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (vgl. Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) anzuwenden. Umstände, die es aus Gründen des Vertrauensschutzes gebieten würden, abweichend von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der aktuellen Rechtslage ausnahmsweise auf die zuvor geltende Rechtslage abzustellen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 - InfAuslR 2008, 129), liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Denn die für die Anwendung der Vorschrift maßgebliche Eheschließung fand ebenso wie die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erst nach Inkrafttreten der Rechtsänderung statt, so dass es schon deshalb an einem unter Geltung der alten Rechtslage ins Werk gesetzten Vertrauen fehlt. Abgesehen davon kommt es, wie die folgenden Ausführungen zeigen, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei der Klägerin auch nicht entscheidend auf diese Rechtsänderung an.

23

Nach § 39 Nr. 3 AufenthV in der hier anzuwendenden neuen Fassung kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In der alten Fassung lautete der letzte Halbsatz: "..., sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind." Die Klägerin, für die allein die zweite Alternative der Vorschrift in Betracht kommt, war zwar bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug im Besitz eines gültigen Schengen-Visums für kurzfristige Aufenthalte, bei ihr liegen aber trotz der Heirat eines Deutschen nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV vor, weil sie den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat und deshalb die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der beim Familiennachzug gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen des behördlichen Ermessens abgesehen werden kann, nicht erfüllt.

24

Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsgesetz - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen (Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 Rn. 24 m.w.N.). Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (a.a.O. Rn. 21 ff.). Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Sie hat bei der Beantragung des Schengen-Visums bei der deutschen Auslandsvertretung in Minsk im Juli 2007 falsche Angaben zum Zweck der Erlangung dieses Visums gemacht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie seinerzeit angegeben, nur zu Besuchszwecken einreisen zu wollen, obwohl sie, wie die Reisechronologie belegt, von vornherein dauerhaft in Deutschland bleiben wollte (UA S. 15 f.). Von diesen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren auszugehen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist ferner ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher und unvollständiger Angaben hingewiesen worden. Dies ist nach der Erörterung dieses Umstandes in der Revisionsverhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit hat die Klägerin den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sowohl in der zum Zeitpunkt der Beantragung des Visums geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) als auch in der jetzigen, seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes geltenden Fassung (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG) erfüllt.

25

Dieser Ausweisungsgrund ist auch im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV zu berücksichtigen und steht der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift entgegen. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise angenommen wird, dass § 39 Nr. 3 AufenthV gerade bei einer Eheschließung nach der Einreise auch den Fall eines von vornherein beabsichtigten Daueraufenthalts erfassen solle und deshalb der Ausweisungsgrund, der auf dem entsprechenden Verstoß gegen die Visumvorschriften beruhe, bei Anwendung dieser Vorschrift außer Betracht bleiben müsse (so OVG Münster, Beschluss vom 16. September 2008 - 19 B 871/08 - im Anschluss an VG Aachen, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 8 L 445/07 - zu § 39 Nr. 5 AufenthV, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenso die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 18 B 606/10 - juris Rn. 8 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 - InfAuslR 2008, 444; VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2009 - 10 CS 09.853 - InfAuslR 2009, 291). Die Vorschrift des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit nur von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG; die selbständige Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bleibt aber weiterhin zu beachten. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 39 Nr. 3 AufenthV. Diese Vorschrift soll nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Schengen-Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch privilegieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses Verfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung entwertet. Dieser schon mit der ursprünglichen Fassung der Vorschrift verfolgte Regelungszweck (vgl. BRDrucks 731/04 S. 182 f.) wird in der Begründung der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz noch stärker zum Ausdruck gebracht (BTDrucks 15/5065 S. 240).

26

Da § 39 Nr. 3 AufenthV schon mangels eines strikten Rechtsanspruchs der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht eingreift, kommt es auf die vom Berufungsgericht erörterte Auslegung des Begriffs der Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV nicht mehr an.

27

c) Ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt auch nicht nach Satz 2 der Vorschrift in Betracht, da die Klägerin schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nicht erfüllt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von dem Erfordernis eines Visumverfahrens nach Satz 1 abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ebenso wie im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV setzt die erste Alternative der Vorschrift einen strikten Rechtsanspruch voraus, der wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Fall der Klägerin nicht besteht. Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen besondere Umstände, die es der Klägerin unzumutbar machen, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen, nicht vor (UA S. 16). Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus.

28

Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG der Klägerin im Fall einer Ausreise zur Nachholung des nationalen Visumverfahrens nicht mehr entgegengehalten werden kann.

29

Die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ist nach alledem ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 wurde er in Hamburg ohne Aufenthaltserlaubnis aufgegriffen, vorläufig festgenommen und im Februar 2003 wegen illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Der Kläger reiste dann nach eigenen Angaben in die Türkei aus. Im April 2011 sprach er erneut bei der Ausländerbehörde der Stadt Hamburg vor und beantragte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um seine Verlobte, eine deutsche Staatsangehörige, heiraten zu können. Er gab an, im März 2010 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist zu sein und hier Arbeit gesucht zu haben. Die Beklagte erteilte dem Kläger im April 2011 eine Duldung, die fortwährend verlängert wurde. Im August 2011 heiratete er seine Verlobte. Gegen die Ausweisung aus dem Jahr 2003 erhob der Kläger Widerspruch. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit, sie betrachte die Ausweisungsverfügung aus dem Jahr 2003 als nicht erlassen, da eine ordnungsgemäße Zustellung bis heute nicht erfolgt und auch nicht mehr beabsichtigt sei. Die Ausweisung werde daher im Register gelöscht.

3

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 2011 wurde der Kläger wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt von März 2010 bis April 2011 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie zurück.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 10. April 2014 (InfAuslR 2014, 426) die verwaltungsgerichtliche Entscheidung geändert und die Beklagte verpflichtetet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Den Hilfsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht weiterverfolgt.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger erfülle nicht nur die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 30 AufenthG, sondern zugleich die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG. Dies gelte auch für die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass kein Ausweisungsgrund vorliegen darf. Ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege dann vor, wenn einer der Tatbestände der §§ 53 bis 55 AufenthG erfüllt sei. Das sei hier zwar der Fall. Der Kläger habe durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt bis April 2011 einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen. Allerdings liege hier eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Die besonderen, einen atypischen Sachverhalt begründenden Umstände beruhten darauf, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebe und der Ausweisungsgrund allein in der Einreise ohne das erforderliche Visum und dem anschließenden Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bestehe. In diesem Fall sei es nicht erforderlich, zur Abwehr von Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit die Aufenthaltserlaubnis zu versagen, weil derartige Beeinträchtigungen nicht mehr zu erwarten seien. Dem Ausweisungsgrund der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts komme hier seine typisierte Gefahrenabwehrfunktion nicht mehr zu. Eine zukünftige Wiederholung der Verstöße gegen die Einreisevorschriften sei bei einem deutschverheirateten Ausländer grundsätzlich ausgeschlossen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitere auch nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Zwar erfülle er die weitere Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Doch lägen die Voraussetzungen vor, nach denen hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könne. Denn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seien erfüllt. Dies sei auch dann der Fall, wenn zwar eine regelhaft zu erfüllende Anspruchsvoraussetzung - hier nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - nicht vorliege, dies jedoch unschädlich sei, weil ein Ausnahmefall gegeben sei.

6

Die Entscheidung der Beklagten, von der Einhaltung des Visumverfahrens nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG abzusehen, sei fehlerhaft. Die Beklagte habe in den angefochtenen Bescheiden das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG eröffnete Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt. Da eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers nicht vorliege, sei die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei das ihr zustehende Ermessen (erneut) auszuüben.

7

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Sie vertritt die Auffassung, das Berufungsurteil beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis vom Regelfall eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Für die Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG komme es nicht darauf an, ob aufgrund der konkreten Umstände eine Ausweisung möglich sein, sondern darauf, ob objektiv und abstrakt einer der gesetzlichen Ausweisungsgründe vorliege. Das sei hier in Gestalt der begangenen Straftat der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts der Fall (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Auf die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten komme es insoweit nicht an. Auch die Nichteinhaltung des Visumverfahrens stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen.

8

Der Kläger verteidigt die angefochtenen Urteile. Ergänzend weist er darauf hin, dass im vorliegenden Fall vom Erfordernis des Visumverfahrens abgesehen werden könne, weil ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bestehe. Ein Rechtsanspruch liege vor, wenn alle gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen vorlägen, auch wenn es sich um Ausnahmetatbestände handele. Im Übrigen sei die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft, weil sie die persönlichen Interessen des Klägers - u.a. an einer Vermeidung einer langen Trennung infolge des von ihm in der Türkei abzuleistenden Wehrdienstes - nicht zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung berücksichtigt habe. Für den Fall, dass seinem Hauptbegehren auf Zurückweisung der Revision nicht entsprochen werde, beantragt der Kläger hilfsweise die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu mehreren Fragen, die sich auf die Auslegung der Stillstandsklauseln des Assoziationsrechts EWG-Türkei sowie auf Art. 6 und Art. 10 ARB 1/80 beziehen (vgl. den in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz vom 9. Dezember 2014).

9

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgerichts beteiligt sich an dem Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehe.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Einreise des Klägers und sein angestrebter Aufenthalt der Visumpflicht unterliegen (1.). Es hat aber unter Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG erfüllt sind, wenn sich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich aus dem Vorliegen einer Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 AufenthG ergibt und deshalb von dem Visumerfordernis abgesehen werden kann (2.). Da es an einer Voraussetzung für den klageweise geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG fehlt, waren die vorinstanzlichen Urteile zu ändern und die Klage abzuweisen. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht (3.).

11

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, Urteil vom 30. Juli 2013 - BVerwG 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 = Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 5, jeweils Rn. 7). Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung deshalb zutreffend die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes und anderer registerrechtlicher Vorschriften zum Zweck der Zulassung der elektronischen Antragstellung bei Erteilung einer Registerauskunft vom 6. September 2013 (BGBl I S. 3556), zu Grunde gelegt. Seitdem hat sich die Rechtslage nicht geändert.

12

1. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Deutschen nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Es fehlt jedoch an der allgemeinen Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

13

Der Kläger ist im Jahr 2010 ohne Visum nach Deutschland eingereist. Er unterliegt als türkischer Staatsangehöriger aber der Visumpflicht für die Einreise und den Aufenthalt sowohl zum Zweck der Arbeitsaufnahme als auch zum Zweck der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABI EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - BVerwGE 138, 122 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 1, jeweils Rn. 19).

14

a) Der Kläger war von der Visumpflicht nicht nach den Standstill-Regelungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei befreit. Auf die Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 (BGBl 1972 II S. 385) - Zusatzprotokoll (ZP) - kann der Kläger sich nicht berufen, denn er beabsichtigte zu keiner Zeit, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er strebt vielmehr die Aufnahme einer unselbständigen Arbeit an, wie vom Berufungsgericht festgestellt und vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt wurde. Die für türkische Arbeitnehmer geschaffenen Stillhalteregelungen des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 13 ARB 1/80 setzen jedoch einen ordnungsgemäßen Aufenthalt des Arbeitnehmers im Aufnahmestaat voraus, über den der Kläger nicht verfügt. Denn er ist illegal nach Deutschland eingereist, besitzt keine Aufenthaltserlaubnis und wird hier nur vorübergehend geduldet. Ein ordnungsgemäßer Aufenthalt liegt aber nur dann vor, wenn der türkische Staatsangehörige die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet hat, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (so EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - Rs. C-225/12, Demir - NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 35 m.w.N.). Der Kläger kann auch von seiner Ehefrau kein Recht auf Beachtung der Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 oder des Art. 13 ARB 1/80 ableiten mit der Folge, dass es allein auf deren ordnungsgemäßen Aufenthalt ankäme (vgl. dazu Urteil vom 6. November 2014 - BVerwG 1 C 4.14 - Rn. 15). Denn die Ehefrau ist deutsche und nicht türkische Staatsangehörige und kann daher ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht vermitteln. Damit kommt es nicht auf die Frage an, ob sich die Rechtslage hinsichtlich der Visumpflicht für türkische Staatsangehörige seit Inkrafttreten der Stillstandsregelungen zu Lasten der Betroffenen verändert hat.

15

b) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise erlangen. Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Es kann offenbleiben, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 60a AufenthG erfüllt, denn er hat während seines Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben, wie dies § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Denn unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist - ebenso wie bei § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. Urteil vom 16. November 2010 a.a.O., jeweils Rn. 24 m.w.N.). Einen solchen Anspruch hat der Kläger jedoch nicht erworben, da er die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt (dazu im Einzelnen Rn. 18 ff.). Auch insoweit kann sich der Kläger aus den oben ausgeführten Gründen nicht auf eine für ihn mögliche Veränderung der Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des assoziationsrechtlichen Stand-Still berufen.

16

2. Vom Visumerfordernis kann - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - im vorliegenden Fall auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.

17

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass es für den Kläger nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich nicht aus der verfahrensbedingten Trennung des Klägers von seiner Ehefrau. Zwar ist es möglich, dass es infolge der Nachholung des Visumverfahrens zu einer Trennung der Eheleute von 15 Monaten kommt, wenn der Kläger das Verfahren von der Türkei und nicht von einem Drittland zu betreiben hat und dann in der Türkei seiner Verpflichtung zur Wehrdienstleistung nachkommen muss. Der Senat verkennt nicht, dass eine mögliche Trennungszeit von dieser Dauer einen nicht unerheblichen Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK geschützte eheliche Lebensgemeinschaft darstellt. Das Oberverwaltungsgericht sieht diesen Eingriff aber mit Recht als nicht unverhältnismäßig an. Denn der Kläger kommt mit der Wehrdienstleistung einer staatsbürgerlichen Pflicht nach, die auch bei Eheführung im Heimatland zu einer entsprechenden Trennung der Eheleute führen kann. Zudem war den Eheleuten bei Eingehung der Ehe bekannt, dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes in der Türkei zu einer hierdurch bedingten, zeitlich begrenzten Trennung kommen könnte - worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat. Der Kläger hat keine Gegenrügen gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erhoben, aus denen es das Fehlen von Gründen für eine Unzumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG abgeleitet hat.

18

b) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass ein Absehen vom Erfordernis der Durchführung des vorgeschriebenen Visumverfahrens auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil hier kein Anspruch auf Erteilung der erstrebten Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vorliegt.

19

Unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsrecht - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG oder in § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - BVerwGE 138, 122 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 1, jeweils Rn. 24 zu § 39 Nr. 3 AufenthV; Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 = Buchholz 402.242 § 10 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 21 ff. zu § 10 Abs. 3 AufenthG). Von dieser Rechtsprechung des Senats weicht das Berufungsurteil ab, indem es auch im Fall einer Ausnahme von einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung einen Anspruch im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bejaht (UA S. 24).

20

Das in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorgeschriebene Visumverfahren dient dem Zweck, die Zuwanderung nach Deutschland wirksam steuern und begrenzen zu können (vgl. Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 20 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BTDrucks 15/420 S. 70). Ausgehend von diesem Zweck sind Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG prinzipiell eng auszulegen (so auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: August 2013, § 5 Rn. 121). Das bedeutet für die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Vorliegens eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis, dass sich ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben müssen. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt auf diese Weise generalpräventiv dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens darf nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten (so schon Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O., jeweils Rn. 25).

21

Für den vorliegenden Fall kann daher offenbleiben, ob die vom Berufungsgericht als bedeutsam gewerteten Umstände der ehelichen Lebensgemeinschaft des Klägers mit einer Deutschen und die dadurch verminderte oder ganz entfallene Gefahr, dass der Kläger erneut Verstöße gegen Einreisevorschriften begehen wird, eine Ausnahme vom Regelerfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen. Denn es fehlt jedenfalls an der Regelvoraussetzung dieser Vorschrift, dass kein Ausweisungsgrund vorliegen darf, da der Kläger durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt (vgl. Urteil vom 16. Juli 2002 - BVerwG 1 C 8.02 - BVerwGE 116, 378 <385> = Buchholz 402.240 § 21 AuslG Nr. 1 S. 6). Deswegen ist er im Übrigen auch strafgerichtlich verurteilt worden und diese Verurteilung ist auch noch nicht im Bundeszentralregister getilgt.

22

3. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Vorlage mehrerer Fragen an den Gerichtshof für den Fall angeregt, dass die Revision der Beklagten nicht zurückgewiesen wird. Die ersten drei Fragestellungen (1a, b und c) beziehen sich auf die Vereinbarkeit bestimmter nationaler Regelungen zur Visumerteilung und zu den Folgen von visumrechtlichen Verstößen mit den Stillhalteklauseln des Art. 13 ARB 1/80 und des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei. Die Voraussetzungen für die Einholung einer Vorabentscheidung zu diesen Fragen liegen jedoch nicht vor, weil sie nicht entscheidungserheblich sind. Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 14) kann sich der Kläger auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteregelungen nicht berufen. Art. 41 des Zusatzprotokolls findet auf ihn keine Anwendung, denn er hatte zu keiner Zeit die Absicht, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zur Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 7 ARB 2/76 und Art. 13 ARB 1/80 fehlt es am ordnungsgemäßen Aufenthalt des Klägers in Deutschland. Mit der vierten Fragestellung (Frage 2) möchte der Kläger geklärt wissen, ob bestimmte Verfahrensregeln in einem zukünftigen Visumverfahren bei einem subjektiven Anspruch auf Familienzusammenführung zu beachten seien. Eine Anrufung des Gerichtshofs zu dieser Frage scheidet deshalb aus, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen eines künftigen Visumverfahrens nicht Streitgegenstand der vorliegenden Klage sind. Diese ist vielmehr auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Durchführung eines Visumverfahrens gerichtet.

23

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

Tatbestand

1

Die am 4. Mai 1936 geborene Klägerin, eine russische Staatsangehörige, erstrebt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug.

2

Die Klägerin hat zwei Töchter deutscher Staatsangehörigkeit, die in Deutschland leben. Ihre ältere Tochter, Frau N., ist verheiratet und hat zwei 1985 und 1998 geborene Kinder, von denen das ältere seinen Lebensunterhalt ohne finanzielle Unterstützung der Eltern bestreitet. Die jüngere Tochter der Klägerin, Frau F. ist ebenfalls verheiratet und hat einen 1996 geborenen Sohn.

3

Die Klägerin beantragte im März 2007 bei der Deutschen Botschaft in Moskau ein Visum zum Familiennachzug zu ihrer Tochter N. Dabei gab sie an, unter einer fortschreitenden Herzkrankheit, Hypertonie und Diabetes zu leiden. Hinzu komme ein ständig sinkendes Sehvermögen wegen grauen Stars an beiden Augen. Sie beziehe eine monatliche Altersrente in Höhe von 3 155,39 Rubel (ca. 90 €), aber ihr Lebensunterhalt werde in Deutschland durch das Einkommen ihrer Töchter und Schwiegersöhne gesichert. Nachdem der Beigeladene seine Zustimmung zur Visumerteilung versagt hatte, lehnte die Beklagte den Visumantrag mit Bescheid vom 4. Mai 2007 und zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 8. Januar 2008 ab. Eine außergewöhnliche Härte sei nicht nachgewiesen und der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Zudem fehle der notwendige Kranken- und Pflegeversicherungsschutz.

4

Die Klägerin hat Klage erhoben und Verpflichtungserklärungen ihres Schwiegersohnes N. und ihrer Tochter F. vorgelegt. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand der Klägerin zur Visumerteilung verpflichtet. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass offenbleiben könne, ob die Erteilung des Visums gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sei. Dies sei trotz des medizinischen Gutachtens fraglich, da die Klägerin sich ausweislich der Angaben ihrer Tochter in der Berufungsverhandlung im Wesentlichen mit gelegentlicher Nachbarschaftshilfe und Betreuungsleistungen von Freunden behelfen könne. Jedenfalls fehle es an der Regelerteilungsvoraussetzung des gesicherten Lebensunterhalts. Dafür sei ausschließlich auf den eigenen Bedarf der Klägerin und die ihr zur Verfügung stehenden Mittel abzustellen. Denn ihr stünden infolge Überschreitung der Altersgrenze ggf. Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zu, und die Klägerin bilde gemäß § 43 Abs. 1 SGB XII mit den Mitgliedern der Familie N. keine Haushaltsgemeinschaft.

5

Der Regelbedarf betrage für die Klägerin 299 €. Dazu kämen die Kosten für eine private Kranken- und Pflegeversicherung (592,88 + 74,59 €). Die Klägerin zähle nicht zu den nach § 5 SGB V in die gesetzliche Krankenversicherung aufzunehmenden Personen. Nach der Einreise habe sie aber gemäß § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages im Basistarif. Eine Reduzierung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG scheide entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts aus, da keine Hilfebedürftigkeit eintreten dürfe. Da die Zusage unentgeltlicher Unterbringung seitens der Familie N. dem Sozialamt keine Versagung entsprechender Leistungen ermögliche, sei der Anteil der Klägerin an den tatsächlichen Unterkunftskosten nach Kopfteilen in Höhe von 131,87 € in Anrechnung zu bringen.

6

Dem monatlichen Bedarf in Höhe von 1 098,34 € stünden Mittel von allenfalls 903,83 € gegenüber. Nach eigenem Vorbringen beziehe die Klägerin in der Russischen Föderation eine Rente in Höhe von monatlich 3 155,39 Rubel (= 79,31 €). Ob diese Rente nach einer Übersiedlung nach Deutschland weiter gezahlt werde, sei offen und müsse auch nicht aufgeklärt werden, da ihre Mittel auch dann nicht ausreichten, um ihren Bedarf zu decken. Nicht titulierte Unterhaltsansprüche gegen ihre Töchter könnten nicht berücksichtigt werden, da das Sozialamt im Hinblick darauf Leistungen der Grundsicherung im Alter gemäß § 43 Abs. 2 SGB XII nicht ablehnen könne und nach § 94 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 SGB XII auch keine Regressmöglichkeit bestehe. Die abgegebenen Verpflichtungserklärungen seien lediglich in Höhe von 824,52 € zu berücksichtigen. Sie seien zwar wirksam und weder befristet noch vom Aufenthaltszweck her beschränkt. Die Berücksichtigung einer Verpflichtungserklärung im Rahmen der Prüfung der Sicherung des Lebensunterhalts setze aber voraus, dass der Erklärende leistungsfähig sei. Das richte sich bei Arbeitseinkünften nach § 850c ZPO, da bei einer Vollstreckung eines auf § 68 AufenthG gestützten Erstattungsanspruchs Arbeitseinkommen nur in dem danach zulässigen Maße gepfändet werden könnten. Das pfändbare Einkommen von Herrn N., der nur einem seiner Kinder Unterhalt leiste, betrage 219,26 €. Daneben sei das Einkommen aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 310 € zu berücksichtigen. Frau F. verfüge über ein Nettoeinkommen in Höhe von 2 370,70 €. Sie sei grundsätzlich zwei Personen gegenüber unterhaltspflichtig, so dass sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 295,26 € ergebe. Dieser Betrag erhöhe sich nicht gemäß § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO. Denn die im Fall der Vollstreckung ggf. nach dieser Vorschrift zu treffende Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde könne nicht im Rahmen der Bonitätsprüfung vorweggenommen werden.

7

Schließlich sei nicht ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen. Weder seien atypische Umstände ersichtlich noch sei die Annahme eines Ausnahmefalls im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geboten.

8

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht sei von einer zu niedrigen Rente ausgegangen. Sie habe im Berufungsverfahren eine neue Rentenbescheinigung vorgelegt, wonach sie eine Rente in Höhe von 9 340,56 Rubel beziehe (234,80 €). Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Person, die eine Verpflichtungserklärung abgebe, dürfe nicht nur auf § 850c ZPO abgestellt werden. Im Übrigen hätte die Regelung des § 850c Abs. 4 Halbs. 1 ZPO berücksichtigt werden müssen, denn die Eheleute F. verfügten über nahezu gleich hohe Einkommen. In diesem Fall reduziere sich das Ermessen der Vollstreckungsbehörde auf Null, so dass Herr F. bei der Berechnung des unpfändbaren Arbeitseinkommens seiner Ehefrau unberücksichtigt bleibe.

9

Die Beklagte hält die Revision für unbegründet. Der im Ergebnis richtigen Entscheidung des Berufungsgerichts sei entgegenzuhalten, dass Verpflichtungserklärungen bei einem angestrebten Daueraufenthalt nicht geeignet seien, den Lebensunterhalt zu sichern. Das ergebe sich aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG, wonach bereits die bloße Inanspruchnahme von Sozialhilfe einen Ausweisungsgrund darstelle. Eine Verpflichtungserklärung verhindere nicht die Inanspruchnahme der öffentlichen Hand, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Zudem könnten für den Garantiegeber unabsehbare Belastungen auftreten, so dass sich die Frage der Sittenwidrigkeit stelle. Des Weiteren verfüge die Klägerin über keinen Krankenversicherungsschutz. Angesichts der negativen Auskünfte von Krankenversicherungsunternehmen könne gerade nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese bereit seien, mit der Klägerin nach der Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abzuschließen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat Erfolg, denn die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG), hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil vermag der Senat in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden, so dass der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen ist (2.).

11

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 10 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 <279 f.> = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15 S. 32). Daher ist das Nachzugsbegehren der Klägerin an dem Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der im vorliegenden Fall einschlägigen Bestimmungen aber nicht geändert.

12

Gemäß § 28 Abs. 4 AufenthG findet auf den Nachzug sonstiger Familienangehöriger zu Deutschen § 36 AufenthG entsprechende Anwendung. Gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen ein Visum zum Familiennachzug erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen dieser Tatbestandsvoraussetzung offengelassen, da der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert sei und von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht abgesehen werden könne. Diese Vorgehensweise ist an sich nicht zu beanstanden, aber die Begründung für die Annahme mangelnder Lebensunterhaltssicherung verletzt § 2 Abs. 3 AufenthG.

13

1. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 19 ff. = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 1). Konsequenterweise bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf bei nicht (mehr) erwerbsfähigen Ausländern wie der Klägerin, die die Altersgrenze des § 7a SGB II überschritten hat und daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen kann, grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch - Sozialhilfe - SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die Klägerin die - mit § 7a SGB II korrespondierende - Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Unerheblich ist, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen Regelungsmodell kommt es nur auf das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs an (Urteil vom 26. August 2008 a.a.O.).

14

1.1 Aus § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 AufenthG ergibt sich, dass die Lebensunterhaltssicherung auch einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz, d.h. die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung oder einen damit vergleichbaren privaten Versicherungsschutz erfordert. Das Berufungsgericht hat es zu Recht ausreichen lassen, dass die Klägerin nach ihrer Einreise eine private Kranken- und Pflegeversicherung abschließen kann.

15

Die Klägerin unterliegt nach der Einreise nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung, auch wenn diese gemäß § 3 Nr. 2 SGB IV i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 13 Buchst. b SGB V grundsätzlich für alle Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gilt, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren. Denn Ausländer, die wie die Klägerin nicht Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder Staatsangehörige der Schweiz sind, werden gemäß § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V von der Versicherungspflicht nach Absatz 1 Nr. 13 der Vorschrift nur erfasst, wenn sie eine Niederlassungserlaubnis oder eine Aufenthaltserlaubnis mit einer Befristung auf mehr als zwölf Monate nach dem Aufenthaltsgesetz besitzen und für die Erteilung dieser Aufenthaltstitel keine Verpflichtung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besteht. Die zuletzt genannte Voraussetzung verlangt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung abstrakt für den avisierten Aufenthaltstitel keine Anwendung findet; nicht ausreichend ist das Vorliegen einer Ausnahme von der Regel im Einzelfall oder die Möglichkeit eines Absehens im Ermessenswege. Andernfalls würde das gesetzgeberische Anliegen konterkariert, den gesetzlichen Krankenkassen mit § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V eine möglichst leicht handhabbare Feststellung der Voraussetzung der Versicherungspflicht zu ermöglichen (BTDrucks 16/3100 S. 95). Da die Klägerin nach ihrer Einreise keine der in § 5 Abs. 11 Satz 1 SGB V genannten aufenthaltsrechtlichen Vorrausetzungen erfüllt, besteht keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine freiwillige Mitgliedschaft kommt gemäß § 9 Abs. 1 SGB V ebenfalls nicht in Betracht. Demzufolge besteht für sie gemäß § 20 Abs. 1 SGB XI auch keine Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung.

16

Die Klägerin hat aber nach Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland gegen jedes zugelassene private Krankenversicherungsunternehmen einen Anspruch auf Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrags im Basistarif. § 12 Abs. 1a VAG verpflichtet jedes Versicherungsunternehmen mit Sitz im Inland, welches die substitutive Krankenversicherung betreibt, zum Angebot eines branchenweit einheitlichen Basistarifs, dessen Vertragsleistungen in Art, Umfang und Höhe mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, auf die ein Anspruch besteht, vergleichbar sind. Im Basistarif besteht für private Krankenversicherungsunternehmen gemäß § 12 Abs. 1b VAG Kontrahierungszwang. Damit korrespondierend ist der Versicherer nach § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG versicherungsvertragsrechtlich verpflichtet, allen Personen mit Wohnsitz in Deutschland eine Versicherung im Basistarif nach § 12 Abs. 1a VAG zu gewähren, die in der gesetzlichen Krankenversicherung weder versicherungspflichtig noch freiwillig versichert sind, Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz haben oder Empfänger laufender Leistungen der in Absatz 3 Satz 2 Nr. 4 der Vorschrift genannten Art sind und nicht bereits eine private Krankheitskostenversicherung mit einem zugelassenen Versicherungsunternehmen vereinbart haben. Ergänzend besteht die gesetzliche Verpflichtung von Personen mit Wohnsitz im Inland, eine entsprechende Krankheitskostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG). Der gesetzlich angeordnete Kontrahierungszwang und die Versicherungspflicht erfassen auch Ausländer und enthalten - anders als § 5 Abs. 11 SGB V - keine aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen wie etwa den Besitz eines qualifizierten Aufenthaltstitels.

17

§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht voraus, dass die Klägerin bereits im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung einen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat. Das wäre ihr vor der Begründung eines Wohnsitzes in Deutschland auch gar nicht möglich. Der Gesetzgeber hat das Bestehen ausreichenden Krankenversicherungsschutzes im Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Lebensunterhaltssicherung zugeordnet. Folglich genügt für die von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geforderte Prognoseentscheidung, dass der Ausländer diese Voraussetzung nach der Einreise erfüllen kann und wird. Denn nach dem Zweck der Vorschrift, die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, kommt es nur darauf an, ob während des Aufenthalts im Bundesgebiet ein Anspruch auf öffentliche Leistungen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG besteht bzw. vermieden werden kann (Urteil vom 16. August 2011 - BVerwG 1 C 4.10 - Buchholz 402.242 § 9 AufenthG Nr. 3 = NVwZ-RR 2012, 333 Rn. 15).

18

Der Senat teilt die Auffassung des Berufungsgerichts, der Kontrahierungszwang für die privaten Versicherer rechtfertige die positive Prognose künftigen Krankenversicherungsschutzes der Klägerin, da eine eventuelle gesetzwidrige Weigerung von Versicherungsunternehmen insoweit nicht zu ihren Lasten gehen könne. Zwar ist der Beklagten einzuräumen, dass Prognosen sich auf zukünftige tatsächliche Entwicklungen und tatsächliches Verhalten beziehen, das nicht immer dem normativ Gebotenen entsprechen muss. Es widerspräche jedoch der fairen Zuweisung von Prognoserisiken, die Klägerin in dem oben beschriebenen sozial- und versicherungsrechtlichen Rahmen eines gesetzlichen Kontrahierungszwangs ohne Rücksicht auf Vorerkrankungen mit den verbleibenden Unsicherheiten über ein rechtstreues Verhalten der Versicherungsunternehmen zu belasten, die zudem staatlicher Aufsicht unterliegen. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, dass die Beklagte den Abschluss einer befristeten Reisekrankenversicherung für die Übergangszeit in Deutschland verlangen kann, wenn und soweit eine solche für den nachzugswilligen Ausländer angeboten wird.

19

1.2 Das Berufungsgericht hat bei dem von § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG gebotenen Bedarfs- und Einkommensvergleich zutreffend nur auf den eigenen Bedarf und die eigenen Mittel der Klägerin abgestellt. Denn die Klägerin bildet nach ihrer Einreise und dem Einzug bei Familie N. mit ihrer Tochter, deren Ehemann und dem Kind keine Haushaltsgemeinschaft gemäß § 39 Satz 1 SGB XII, da diese Vorschrift gemäß § 43 Abs. 1 letzter Halbs. SGB XII auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht anzuwenden ist.

20

1.3 Die Bedarfsberechnung des Berufungsgerichts ist aber nicht frei von Mängeln. Sie richtet sich nach § 42 SGB XII.

21

1.3.1 Der Regelsatz ergibt sich aus der Anlage zu § 28 SGB XII. Im Fall der Klägerin ist die Regelbedarfsstufe 3 (ab 1. Januar 2012: 299 €) anzuwenden, die für eine erwachsene leistungsberechtigte Person gilt, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in ähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Das ist hier der Fall, da die Klägerin nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf Dauer im Haushalt der Familie N. wohnen würde. Diese aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.

22

1.3.2 Von den zusätzlichen Bedarfen nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB XII sind vorliegend die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 32 Abs. 5 SGB XII von Bedeutung. Das Berufungsgericht hat seiner Berechnung den vollen Beitrag für den Basistarif gemäß § 12 Abs. 1c Satz 1 und 2 VAG in Höhe von 592,88 € zugrunde gelegt. Dabei hat es die Möglichkeit der Reduzierung auf die Hälfte gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG - anders als das Verwaltungsgericht - nicht berücksichtigt, da der Ausländer seinen Bedarf selbst decken müsse und Hilfebedürftigkeit gerade nicht eintreten dürfe. Dem folgt der Senat nicht.

23

Entsteht allein durch die Zahlung des Krankenversicherungsbeitrags für den Basistarif Hilfebedürftigkeit im Sinne des Zweiten oder des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, vermindert sich gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG der Beitrag für die Dauer der Hilfebedürftigkeit um die Hälfte. Die dadurch entstehenden Mehraufwendungen sind gemäß § 12g Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 VAG auf alle an dem gesetzlich vorgesehenen Ausgleichssystem beteiligten privaten Versicherungsunternehmen zu verteilen. Besteht auch bei einem nach Satz 4 verminderten Beitrag Hilfebedürftigkeit im o.g. Sinne, beteiligt sich der zuständige Träger auf Antrag des Versicherten im erforderlichen Umfang, soweit dadurch Hilfebedürftigkeit vermieden wird (§ 12 Abs. 1c Satz 5 VAG). Aus diesem Regelungsgefüge wird deutlich, dass die Möglichkeit der Absenkung auf die Hälfte des Beitrags gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zur Vermeidung sozialrechtlicher Hilfebedürftigkeit sich nur zulasten der privaten Versicherungsunternehmen und damit letztlich der privat Versicherten auswirkt. Öffentliche Mittel im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG werden dadurch - im Gegensatz zu dem in Satz 5 der Vorschrift geregelten Fall - nicht in Anspruch genommen. Bei der ausländerrechtlichen Prüfung, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, ist daher bei Bestehen eines Anspruchs auf Abschluss einer privaten Krankenversicherung im Basistarif zugunsten des Ausländers auch die Absenkungsmöglichkeit des § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG zu berücksichtigen. Damit reduziert sich der in die Prognoseentscheidung einzustellende Aufwand der Klägerin für einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz auf 296,44 €. Zutreffend hat das Berufungsgericht hingegen die Kosten für eine private Pflegeversicherung im Basistarif in voller Höhe in die Berechnung eingestellt (74,59 €). Denn insoweit besteht keine Absenkungsmöglichkeit, und es müssen die Kosten daher bei Hilfebedürftigkeit in vollem Umfang gemäß § 32 Abs. 5 Satz 4 SGB XII vom Sozialhilfeträger übernommen werden.

24

1.3.3 Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, die für das Eigenheim der Familie N. ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 35 SGB XII) nach Kopfteilen aufzuteilen und ein Viertel davon als Bedarf der Klägerin anzusetzen, begegnet keinen Bedenken. Das in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck kommende grundlegende staatliche Interesse an der Vermeidung neuer Belastungen für die öffentlichen Haushalte (BTDrucks 15/420 S. 70) verlangt die nachhaltige Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Der Tatrichter hat sich daher in jedem Einzelfall die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon zu verschaffen, dass der Ausländer aufgrund realistischer Annahmen und konkreter Dispositionen dauerhaft nicht auf öffentliche Mittel angewiesen ist. Dazu gehört auch die Entscheidung des Ausländers, wo und wie er in Deutschland wohnen will und kann. Die aufgrund der übereinstimmenden Bekundungen der Familienmitglieder gewonnene Überzeugung des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin werde auf Dauer bei Familie N. wohnen können, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Auf dieser tatsächlichen Prognosegrundlage hat es das Berufungsgericht zu Recht nicht bei der Zusage unentgeltlicher Wohnraumüberlassung seitens der Eheleute N. bewenden lassen. Nachvollziehbar ist es davon ausgegangen, dass diese bei einem - z.B. durch finanzielle Probleme infolge Arbeitslosigkeit motivierten - Sinneswandel nicht gegen den Willen der Eheleute N. durchsetzbar wäre. Auch die Art und Weise der Berechnung der Kosten der Unterkunft ist nicht zu beanstanden. Wegen der festgestellten Absicht, die Klägerin im Haus der Familie N. wohnen zu lassen, hat die Vorinstanz deren Bedarf für Unterkunft und Heizung nicht abstrakt als Durchschnittskosten eines Einpersonenhaushalts im Zuständigkeitsbereich des Trägers der Sozialhilfe (vgl. § 42 Nr. 4 SGB XII) angesetzt, sondern die bereits jetzt absehbaren tatsächlichen Kosten (Aufwendungen für das selbst genutzte Eigenheim der Eheleute N., Schuldzinsen sowie die Neben- und Betriebskosten) ermittelt und nach Kopfteilen aufgeteilt (131,87 €). Diese Vorgehensweise erscheint nachvollziehbar und aus Praktikabilitätsgründen sinnvoll (Berlit, in: Bieritz-Harder/Conradis/Thie, LPK Sozialgesetzbuch XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 31 m.w.N.).

25

1.4 Das Berufungsgericht hat auch die der Klägerin zur Verfügung stehenden Mittel nicht korrekt berechnet.

26

1.4.1 Zutreffend erweist sich allerdings sein Ansatz, evtl. Unterhaltsansprüche der Klägerin gegen ihre Töchter nicht zu berücksichtigen. Gemäß § 43 Abs. 3 SGB XII bleiben bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern unberücksichtigt, sofern deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des SGB IV unter einem Betrag von 100 000 € liegt. Dass das Einkommen diese Grenze nicht überschreitet, wird gemäß Satz 2 der Vorschrift widerleglich vermutet und ist hier auch tatsächlich der Fall. Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbs. SGB XII ist der Übergang des Anspruchs des Leistungsberechtigten nach dem Vierten Kapitel gegenüber Eltern und Kindern ausgeschlossen. Damit hat das Berufungsgericht eventuelle Unterhaltsansprüche der Klägerin gegenüber ihren Töchtern als liquide Mittel - unabhängig von dem Erfordernis der Titulierung - zu Recht unberücksichtigt gelassen, denn der Träger der Sozialhilfe könnte diese nicht gegenüber den Kindern geltend machen.

27

1.4.2 Das Berufungsgericht hat den Miteigentumsanteil der Klägerin an der derzeit noch selbstgenutzten Eigentumswohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) weder als Vermögen noch als potenzielle Einnahmequelle berücksichtigt. Das verstößt gegen Bundesrecht, da sich die Klägerin auf diesen Vermögensgegenstand berufen hatte und der Tatrichter - unter Mitwirkung der Klägerseite - hätte aufklären müssen, ob und inwieweit ein Verkaufserlös bzw. Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

28

1.4.3 Die Vorinstanz hat die von Herrn N. und Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärungen bei der Lebensunterhaltssicherung zu Recht berücksichtigt und die Bonität der Garantiegeber am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften geprüft. Allerdings erweist sich die konkrete Bonitätsberechnung als nicht frei von Mängeln.

29

Der Senat folgt der Rechtsprechung des 1. Senats (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 1 <5 f.> = Buchholz 402.240 § 84 AuslG 1990 Nr. 2), dass die Ausländerbehörde - und damit auch die Gerichte - eine Verpflichtungserklärung bei der Prüfung der Lebensunterhaltssicherung im Rahmen pflichtgemäßer Überzeugungsbildung zu berücksichtigen haben. Denn mit der Abgabe dieser in § 68 AufenthG vorgesehenen Garantie wird bezweckt, ein tatbestandliches Hindernis der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG auszuräumen. Dagegen wendet die Beklagte ein, eine Verpflichtungserklärung sei dazu insbesondere bei beabsichtigten Daueraufenthalten untauglich. Denn sie könne nicht die Inanspruchnahme von Sozialhilfe seitens des Ausländers verhindern, der damit den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG verwirkliche, sondern löse lediglich einen mit Unwägbarkeiten behafteten Erstattungsanspruch aus. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

30

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG (früher: § 46 Nr. 6 AuslG 1990) kann ein Ausländer nach Absatz 1 der Vorschrift insbesondere dann ausgewiesen werden, wenn er für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Die Vorschrift, die nicht den Bezug von Leistungen nach dem SGB II erfasst (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 20.09 - BVerwGE 138, 135 Rn.18 = Buchholz 402.242 § 2 AufenthG Nr. 3), dient fiskalischen Interessen und soll, soweit sie der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels und der Aufenthaltsverfestigung entgegensteht, die Inanspruchnahme von Sozialleistungen zulasten der Allgemeinheit verhindern und ggf. durch Ausweisung beenden (Urteil vom 28. September 2004 - BVerwG 1 C 10.03 - BVerwGE 122, 94 <98> = Buchholz 402.240 § 35 AuslG Nr. 3 S. 4 f.). Ihr Anwendungsbereich ist teleologisch jedoch auf die Fälle zu reduzieren, in denen die öffentliche Hand letztlich keine Erstattung der geleisteten Aufwendungen durchsetzen kann. Die Vorschrift schützt öffentliche Träger aber nicht grundsätzlich davor, dass die zuständigen Behörden ihre Aufwendungen ggf. im Wege der Festsetzung des Erstattungsanspruchs gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 und 3 AufenthG gegenüber einem Garantiegeber durchsetzen müssen. Folgte man der Auffassung der Beklagten, erwiese sich die gesetzliche Normierung der Verpflichtungserklärung im Aufenthaltsrecht als sinnlos, da eine solche Erklärung dann prinzipiell ungeeignet wäre, als Beleg bei der Lebensunterhaltssicherung Berücksichtigung zu finden. Der Gesetzgeber wollte aber mit § 84 AuslG 1990, der Vorläufervorschrift des § 68 AufenthG, die bis dahin in der Verwaltungspraxis übliche zivilrechtliche Garantieerklärung und Regressmöglichkeit öffentlich-rechtlich ausgestalten, um die Inanspruchnahme des Garantiegebers im Wege behördlicher Selbsttitulierung durch Verwaltungsakt und das Instrumentarium der Verwaltungsvollstreckung effektiver auszugestalten (vgl. BTDrucks 11/6321, S. 84). Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass eine Verpflichtungserklärung ein taugliches Mittel sein kann, um die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen.

31

Eine Verpflichtungserklärung ist zur Gewähr der Lebensunterhaltssicherung grundsätzlich auch bei der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen zu berücksichtigen, die auf längerfristige oder Daueraufenthalte ausgerichtet sind (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 8: Ausbildungszwecke oder Familienzusammenführung). Auch wenn in diesen Fällen die Reichweite und der Umfang der eingegangenen Verpflichtung für den Garantiegeber bei Abgabe der Erklärung nicht absehbar sind, verstößt eine Verpflichtungserklärung nicht gegen die guten Sitten (§ 138 BGB). Denn für die Berücksichtigung von unzumutbaren Härten bei der Inanspruchnahme des Garantiegebers bieten im System des Aufenthaltsrechts sowohl die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt im Regel-Ausnahme-Verhältnis als auch die sich ggf. anschließende Verwaltungsvollstreckung ausreichend Raum (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 11, 17 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der Verpflichtete im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen, ohne dass es dahingehender Ermessenserwägungen bedürfte. Ein Regelfall wird vorliegen, wenn der Aufenthalt des Ausländers in Deutschland allein oder überwiegend private Gründe hat und dementsprechend der Lebensunterhalt ausschließlich von privater Seite zu sichern ist. Zudem muss die Lebensunterhaltssicherung einschließlich der finanziellen Belastbarkeit des Verpflichteten im Verwaltungsverfahren voll und individuell geprüft worden sein, und es darf nichts dafür sprechen, dass seine Heranziehung zu einer unzumutbaren Belastung für ihn führen könnte. Hingegen hat die erstattungsberechtigte Stelle bei atypischen Gegebenheiten im Wege des Ermessens zu entscheiden, in welchem Umfang der Anspruch geltend gemacht wird und welche Zahlungserleichterungen dem Verpflichteten etwa eingeräumt werden (Urteil vom 24. November 1998 a.a.O. S. 18 f. für die Fallgruppe der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen als öffentliche Angelegenheit).

32

Dieses Regelungssystem als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewährleistet eine differenzierte Risikozuweisung und lässt bei einem - wie hier - aus privaten Gründen angestrebten Aufenthalt in Deutschland den Erstattungsanspruch der öffentlichen Hand nicht leerlaufen. Im Übrigen obliegt es tatrichterlicher Würdigung und Überzeugungsbildung in jedem Einzelfall, ob und in welchem Umfang eine Verpflichtungserklärung mit Blick auf den absehbaren Bedarf des Ausländers und seine Mittel sowie das Vorliegen ausreichender und stabiler finanzieller Verhältnisse des Garantiegebers genügt, um von einem gesicherten Lebensunterhalt des Ausländers ausgehen zu können.

33

Das Berufungsgericht hat die Verpflichtungserklärungen von Herrn N. und Frau F. als wirksam erachtet und so ausgelegt, dass sie den angestrebten Daueraufenthalt der Klägerin abdecken. Diese Auslegung der Willenserklärungen ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Weiter hat die Vorinstanz die Bonität der Garantiegeber zu Recht am Maßstab der Pfändungsschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO geprüft. Denn die Verpflichtungserklärung ist gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes vollstreckbar. § 5 Abs. 1 VwVG verweist für den Vollstreckungsschutz auf § 319 AO, demzufolge die Beschränkungen und Verbote, die u.a. nach §§ 850 bis 852 der Zivilprozessordnung für die Pfändung von Forderungen und Ansprüchen bestehen, sinngemäß gelten.

34

Dazu hat das Berufungsgericht die aktuellen monatlichen Lohnabrechnungen von Herrn N. und Frau F. über sechs Monate hinweg ausgewertet und der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens zutreffend das jeweilige Nettogehalt zugrunde gelegt (§ 850e Nr. 1 ZPO). Die nach § 850a Nr. 2 und 4 ZPO unpfändbaren Teile wurden vom Nettobetrag abgezogen. Der daraus resultierende Betrag ergibt unter Berücksichtigung der jeweiligen Anzahl von Unterhaltspflichtigen nach der Tabelle zu § 850c ZPO ein pfändbares Arbeitseinkommen in Höhe von 219,26 € (Herr N.) und 295,26 € (Frau F.). Das Mieteinkommen von Herrn N. aus der fremd vermieteten Eigentumswohnung hat das Berufungsgericht im Grundsatz zutreffend gemäß § 851b ZPO in voller Höhe herangezogen; allerdings dürften insoweit nicht umlagefähige Kosten in Abzug zu bringen sein. Außerdem sind die auf der Bedarfsseite in Ansatz gebrachten Kosten der Unterkunft im Haus der Familie N. (131,87 €) abzüglich der auf die Klägerin entfallenden herausrechenbaren Mehrkosten als zusätzliche Einkünfte bei den Eheleuten N. zu berücksichtigen. Obwohl nach den getroffenen Feststellungen Herr und Frau F. über ein nahezu gleich hohes Einkommen verfügen, hat das Berufungsgericht bei Prüfung der von Frau F. abgegebenen Verpflichtungserklärung die Möglichkeit der Erhöhung des pfändbaren Betrags für den Fall der Vollstreckung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO nicht berücksichtigt, da einer zukünftigen Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht vorgegriffen werden dürfe. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht.

35

Gemäß § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine Person, welcher der Schuldner aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Unterhalt gewährt und die über eigene Einkünfte verfügt, bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Diese Regelung soll dem Vollstreckungsgläubiger die Möglichkeit eröffnen, das pfändbare Einkommen des Schuldners zu erweitern, wenn ein Unterhaltsberechtigter des Vollstreckungsschuldners über eigene Einkünfte verfügt. Aus den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 8/693 S. 48 f.) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in dieser Vorschrift keine Geldbeträge fixiert, sondern statt dessen ganz bewusst eine Ermessensentscheidung des Vollsteckungsgerichts vorgesehen hat, um die Entscheidung flexibel zu gestalten und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragen zu können (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - IXa ZB 142/04 - NJW-RR 2005, 795). Bei der sinngemäßen Anwendung des § 850c Abs. 4 ZPO im Verwaltungsvollstreckungsrecht ist das "billige Ermessen" kein Ausdruck eines Verwaltungsvorbehalts im Sinne der gesetzgeberischen Zuweisung einer administrativen Letztentscheidungs- oder Gestaltungskompetenz an die Exekutive. Vielmehr hat die Vollstreckungsbehörde eine den Interessen aller Beteiligten angemessene und ausgewogene Entscheidung über eine Erweiterung des vollstreckbaren Vermögens des Vollstreckungsschuldners zu treffen. Dieser Entscheidungsvorbehalt, der der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit dient, ändert aber nichts daran, dass auch der Teilbetrag des Einkommens, der erst nach einer Ermessensentscheidung gemäß § 850c Abs. 4 ZPO der Pfändung unterliegt, materiell zum Vermögen des Schuldners gehört und prinzipiell geeignet ist, dessen Bonität zu verbessern. Damit ist auch die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde einer ausländerbehördlichen bzw. tatrichterlichen Prognose zugänglich, die sich daran auszurichten hat, welches der rechtmäßigen Ergebnisse am wahrscheinlichsten zu erwarten ist. Letztlich verbleibenden Unsicherheiten kann dabei durch einen Sicherheitsabschlag begegnet werden.

36

2. Das Berufungsurteil beruht bei der Bedarfs- und Mittelberechnung auf den aufgezeigten Verstößen gegen Bundesrecht. Da der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen in der Sache weder positiv noch negativ abschließend zu entscheiden vermag, ist der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

37

2.1 In dem neuen Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob bei der Klägerin - in dem dann maßgeblichen Zeitpunkt - die Voraussetzungen gemäß § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorliegen, d.h. die Erteilung des Visums zum Familiennachzug zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass der im Ausland lebende Familienangehörige kein eigenständiges Leben mehr führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - NVwZ 2011, 1199 mit Hinweis auf den Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4 zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung in § 22 AuslG 1990).

38

Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Frage angesprochen, ob der Nachzugswillige im Rahmen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf die Pflege durch familienfremde Dritte in seinem Herkunftsland verwiesen werden kann (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 - OVG 3 B 17.10 - juris Rn. 26 ff. m.w.N.). Ob die Maßstäbe, die insoweit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen entwickelt worden sind, durch die eine tatsächlich gelebte familiäre Beistandsgemeinschaft auseinandergerissen wird, in gleicher Weise für den Zuzug von Ausländern gelten, braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden. Jedenfalls setzt die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug wegen Pflegebedürftigkeit gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe voraus. Das ist nicht bei jedem Betreuungsbedarf der Fall, sondern kann nur dann in Betracht kommen, wenn die geleistete Nachbarschaftshilfe oder im Herkunftsland angebotener professioneller pflegerischer Beistand den Bedürfnissen des Nachzugswilligen qualitativ nicht gerecht werden können. Wenn der alters- oder krankheitsbedingte Autonomieverlust einer Person so weit fortgeschritten ist, dass ihr Wunsch auch nach objektiven Maßstäben verständlich und nachvollziehbar erscheint, sich in die familiäre Geborgenheit der ihr vertrauten persönlichen Umgebung engster Familienangehöriger zurückziehen zu wollen, spricht dies dagegen, sie auf die Hilfeleistungen Dritter verweisen zu können. Denn das humanitäre Anliegen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG respektiert den in den unterschiedlichen Kulturen verschieden stark ausgeprägten Wunsch nach Pflege vorrangig durch enge Familienangehörige, zu denen typischerweise eine besondere Vertrauensbeziehung besteht. Pflege durch enge Verwandte in einem gewachsenen familiären Vertrauensverhältnis, das geeignet ist, den Verlust der Autonomie als Person infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen in Würde kompensieren zu können, erweist sich auch mit Blick auf die in Art. 6 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm als aufenthaltsrechtlich schutzwürdig.

39

Jedenfalls ist grundsätzlich eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles geboten, bei der sowohl der Grad des Autonomieverlusts des nachzugswilligen Ausländers als auch das Gewicht der familiären Bindungen zu den in Deutschland lebenden Familienangehörigen und deren Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme der familiären Pflege zu berücksichtigen sind. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass in einem Fall, in dem die in § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit der der hohen Hürde der "außergewöhnlichen Härte" zum Ausdruck kommenden einwanderungspolitische Belange (vgl. BTDrucks 15/420 S. 84) durch Art. 6 GG zurückgedrängt werden und sich das Ermessen der Ausländerbehörde verdichtet, nicht automatisch auch eine Ausnahme von dem Regelerfordernis der Lebensunterhaltssicherung vorgezeichnet ist. Denn das vom Gesetzgeber in § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zum Ausdruck gebrachte grundlegende staatliche Interesse, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte durch Zuwanderung zu vermeiden (BTDrucks 15/420 S. 70), ist nicht deckungsgleich mit seinem Anliegen, Zuwanderung unter Berücksichtigung der Aufnahme und Integrationsfähigkeit sowie wirtschaftlicher und arbeitsmarktpolitischer Interessen zu gestalten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AufenthG).

40

2.2 Wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG im Fall der Klägerin vorliegen und sich auch das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert hat, wird es die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG auf aktueller Grundlage unter Beachtung der o.g. Vorgaben zu prüfen haben. Dabei wird es insbesondere der - in der Revisionsverhandlung von der Beklagten nunmehr prinzipiell bejahten - Frage nachzugehen haben, ob und in welcher Höhe die russische Rente der Klägerin auch in Deutschland ausgezahlt wird. Sollte es noch darauf ankommen, wird es auch aufzuklären haben, ob und inwieweit der Miteigentumsanteil der Klägerin an der Wohnung in Jekaterinburg (Russische Föderation) als Vermögen verwertbar ist oder daraus zu erzielende Mieteinnahmen nach Deutschland transferierbar sind und zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können.

(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

(1a) Der Regelbedarf wird in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Soweit in diesem Buch auf einen Regelbedarf oder eine Regelbedarfsstufe verwiesen wird, ist auf den Betrag der für den jeweiligen Zeitraum geltenden Neuermittlung entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz abzustellen. In Jahren, in denen keine Neuermittlung nach § 28 des Zwölften Buches erfolgt, ist auf den Betrag abzustellen, der sich für den jeweiligen Zeitraum entsprechend der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches ergibt.

(2) Als Regelbedarf wird bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft wird als Regelbedarf anerkannt:

1.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 4, sofern sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
2.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 in den übrigen Fällen.

(3) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Absatz 5 umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres der in Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 genannte Betrag als Regelbedarf anzuerkennen.

(4) Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, ist als Regelbedarf für jede dieser Personen monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anzuerkennen.

(5) (weggefallen)

(1) Für Jahre bis zur nächsten Neuermittlung nach § 28 werden die Regelbedarfsstufen jeweils zum 1. Januar nach den Absätzen 2 bis 5 fortgeschrieben.

(2) Zum 1. Januar 2023 werden die Eurobeträge der zum 1. Januar 2022 fortgeschriebenen Regelbedarfsstufen zuerst mit der sich nach Absatz 3 ergebenden Veränderungsrate fortgeschrieben (Basisfortschreibung) und das Ergebnis mit der sich nach Absatz 4 ergebenden Veränderungsrate fortgeschrieben (ergänzende Fortschreibung). Für nachfolgende Fortschreibungen ab dem Jahr 2024 sind jeweils die nicht gerundeten Eurobeträge, die sich aus der Basisfortschreibung des Vorjahres nach Absatz 3 ergeben haben, erneut nach Absatz 3 fortzuschreiben und die sich daraus ergebenden Eurobeträge mit der Veränderungsrate der ergänzenden Fortschreibung nach Absatz 4 fortzuschreiben.

(3) Die Veränderungsrate für die Basisfortschreibung ergibt sich aus der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen sowie der bundesdurchschnittlichen Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer nach der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Mischindex). Für die Ermittlung der jährlichen Veränderungsrate des Mischindexes wird die sich aus der Entwicklung der Preise aller regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen ergebende Veränderungsrate mit einem Anteil von 70 Prozent und die sich aus der Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer ergebende Veränderungsrate mit einem Anteil von 30 Prozent berücksichtigt. Maßgeblich ist jeweils die Veränderungsrate, die sich aus der Veränderung in dem Zwölfmonatszeitraum, der mit dem 1. Juli des Vorvorjahres beginnt und mit dem 30. Juni des Vorjahres endet, gegenüber dem davorliegenden Zwölfmonatszeitraum ergibt.

(4) Maßgeblich für die Veränderungsrate der ergänzenden Fortschreibung der sich nach Absatz 3 ergebenden nicht gerundeten Eurobeträge der Regelbedarfsstufen ist jeweils die bundesdurchschnittliche Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter und Dienstleistungen in dem Dreimonatszeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni des Vorjahres gegenüber dem gleich abgegrenzten Dreimonatszeitraum des Vorvorjahres. § 28 Absatz 5 Satz 3 gilt entsprechend.

(5) Ergeben sich aus der Fortschreibung nach den Absätzen 2 bis 4 für die Regelbedarfsstufen Eurobeträge, die niedriger als die im Vorjahr geltenden Eurobeträge sind, gelten die für das Vorjahr bestimmten Eurobeträge solange weiter, bis sich aus einer nachfolgenden Fortschreibung höhere Eurobeträge ergeben.

(6) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragt das Statistische Bundesamt mit der Ermittlung der jährlichen Veränderungsrate

1.
für den Zeitraum nach Absatz 3 für
a)
die Preise aller regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen und
b)
die durchschnittliche Nettolohn- und -gehaltssumme je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer,
2.
für den Zeitraum nach Absatz 4 für die Preise aller regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen.

(1) Liegen die Ergebnisse einer bundesweiten neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vor, wird die Höhe der Regelbedarfe in einem Bundesgesetz neu ermittelt.

(2) Bei der Ermittlung der bundesdurchschnittlichen Regelbedarfsstufen nach § 27a Absatz 2 sind Stand und Entwicklung von Nettoeinkommen, Verbraucherverhalten und Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen. Grundlage hierfür sind die durch die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nachgewiesenen tatsächlichen Verbrauchsausgaben unterer Einkommensgruppen.

(3) Für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen beauftragt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Statistische Bundesamt mit Sonderauswertungen, die auf der Grundlage einer neuen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe vorzunehmen sind. Sonderauswertungen zu den Verbrauchsausgaben von Haushalten unterer Einkommensgruppen sind zumindest für Haushalte (Referenzhaushalte) vorzunehmen, in denen nur eine erwachsene Person lebt (Einpersonenhaushalte), sowie für Haushalte, in denen Paare mit einem Kind leben (Familienhaushalte). Dabei ist festzulegen, welche Haushalte, die Leistungen nach diesem Buch und dem Zweiten Buch beziehen, nicht als Referenzhaushalte zu berücksichtigen sind. Für die Bestimmung des Anteils der Referenzhaushalte an den jeweiligen Haushalten der Sonderauswertungen ist ein für statistische Zwecke hinreichend großer Stichprobenumfang zu gewährleisten.

(4) Die in Sonderauswertungen nach Absatz 3 ausgewiesenen Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte sind für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen als regelbedarfsrelevant zu berücksichtigen, soweit sie zur Sicherung des Existenzminimums notwendig sind und eine einfache Lebensweise ermöglichen, wie sie einkommensschwache Haushalte aufweisen, die ihren Lebensunterhalt nicht ausschließlich aus Leistungen nach diesem oder dem Zweiten Buch bestreiten. Nicht als regelbedarfsrelevant zu berücksichtigen sind Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte, wenn sie bei Leistungsberechtigten nach diesem Buch oder dem Zweiten Buch

1.
durch bundes- oder landesgesetzliche Leistungsansprüche, die der Finanzierung einzelner Verbrauchspositionen der Sonderauswertungen dienen, abgedeckt sind und diese Leistungsansprüche kein anrechenbares Einkommen nach § 82 oder § 11 des Zweiten Buches darstellen oder
2.
nicht anfallen, weil bundesweit in einheitlicher Höhe Vergünstigungen gelten.

(5) Die Summen der sich nach Absatz 4 ergebenden regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte sind Grundlage für die Prüfung der Regelbedarfsstufen, insbesondere für die Altersabgrenzungen bei Kindern und Jugendlichen. Die nach Satz 1 für die Ermittlung der Regelbedarfsstufen zugrunde zu legenden Summen der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben aus den Sonderauswertungen sind jeweils mit der sich nach § 28a Absatz 2 ergebenden Veränderungsrate entsprechend fortzuschreiben. Die sich durch die Fortschreibung nach Satz 2 ergebenden Summenbeträge sind jeweils bis unter 0,50 Euro abzurunden sowie von 0,50 Euro an aufzurunden und ergeben die Regelbedarfsstufen (Anlage).

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Vom Einkommen abzusetzen sind

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a)
zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b)
zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4.
geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag,
8.
bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Einkommen nach dem Vierten Abschnitt des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 67 oder § 126 des Dritten Buches bei der Berechnung der Leistungen der Ausbildungsförderung für mindestens ein Kind berücksichtigt wird, der nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung berücksichtigte Betrag.
Bei der Verteilung einer einmaligen Einnahme nach § 11 Absatz 3 Satz 4 sind die auf die einmalige Einnahme im Zuflussmonat entfallenden Beträge nach den Nummern 1, 2, 5 und 6 vorweg abzusetzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt.

(2a) § 82a des Zwölften Buches gilt entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 der Betrag nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die

1.
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
2.
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen,
3.
einem Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz nachgehen oder
4.
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen außerhalb der in § 11a Absatz 7 genannten Zeiten erwerbstätig sind; dies gilt nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen auch bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats.
Bei der Anwendung des Satzes 1 Nummer 3 gilt das Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes und nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, tritt in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 an die Stelle des Betrages nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches der Betrag von 250 Euro monatlich. Sofern die unter Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Personen die in § 11a Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 bis 5 genannten Leistungen, Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder einen Unterhaltsbeitrag nach § 10 Absatz 2 des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes erhalten, ist von diesen Leistungen für die Absetzbeträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag in Höhe von mindestens 100 Euro abzusetzen, wenn die Absetzung nicht bereits nach Satz 1 oder nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt ist. Satz 4 gilt auch für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 520 Euro beträgt, auf 20 Prozent,
2.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 520 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 30 Prozent und
3.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro. In den Fällen des Absatzes 2b ist Satz 2 Nummer 1 nicht anzuwenden.

(1) Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind

1.
Leistungen nach diesem Buch,
2.
die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
3.
die Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz,
4.
Aufwandspauschalen nach § 1878 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kalenderjährlich bis zu dem in § 3 Nummer 26 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes genannten Betrag,
5.
Aufwandsentschädigungen oder Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten, die nach § 3 Nummer 12, Nummer 26 oder Nummer 26a des Einkommensteuergesetzes steuerfrei sind, soweit diese Einnahmen einen Betrag in Höhe von 3 000 Euro im Kalenderjahr nicht überschreiten,
6.
Mutterschaftsgeld nach § 19 des Mutterschutzgesetzes
7.
Erbschaften.

(2) Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der kein Vermögensschaden ist, nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geleistet werden, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(3) Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen. Abweichend von Satz 1 sind als Einkommen zu berücksichtigen

1.
die Leistungen nach § 39 des Achten Buches, die für den erzieherischen Einsatz erbracht werden,
a)
für das dritte Pflegekind zu 75 Prozent,
b)
für das vierte und jedes weitere Pflegekind vollständig,
2.
die Leistungen nach § 23 des Achten Buches,
3.
die Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sowie vergleichbare Leistungen der Begabtenförderungswerke; § 14b Absatz 2 Satz 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bleibt unberührt,
4.
die Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Dritten Buch mit Ausnahme der Bedarfe nach § 64 Absatz 3 Satz 1 des Dritten Buches sowie
5.
Reisekosten zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 127 Absatz 1 Satz 1 des Dritten Buches in Verbindung mit § 73 des Neunten Buches.

(4) Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie die Lage der Empfängerinnen und Empfänger nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

(5) Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit

1.
ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre oder
2.
sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären.

(6) Überbrückungsgeld nach § 51 des Strafvollzugsgesetzes oder vergleichbare Leistungen nach landesrechtlichen Regelungen sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(7) Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufsbildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus Erwerbstätigkeiten, die in den Schulferien ausgeübt werden. Satz 1 gilt nicht für eine Ausbildungsvergütung, auf die eine Schülerin oder ein Schüler einen Anspruch hat.

(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.

(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.

(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:

1.
Kindergeld,
2.
Kinderzuschlag,
3.
Erziehungsgeld,
4.
Elterngeld,
5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz,
6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und
7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Ist der Ausländer in einer gesetzlichen Krankenversicherung krankenversichert, hat er ausreichenden Krankenversicherungsschutz. Bei der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug werden Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16a bis 16c, 16e sowie 16f mit Ausnahme der Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, als gesichert, wenn der Ausländer über monatliche Mittel in Höhe des monatlichen Bedarfs, der nach den §§ 13 und 13a Abs. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bestimmt wird, verfügt. Der Lebensunterhalt gilt für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 16d, 16f Absatz 1 für Teilnehmer an Sprachkursen, die nicht der Studienvorbereitung dienen, sowie § 17 als gesichert, wenn Mittel entsprechend Satz 5 zuzüglich eines Aufschlages um 10 Prozent zur Verfügung stehen. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat gibt die Mindestbeträge nach Satz 5 für jedes Kalenderjahr jeweils bis zum 31. August des Vorjahres im Bundesanzeiger bekannt.

(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.

(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:

1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19),
2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und
3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).

(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.

(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.

(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).

(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.

(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.

(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.

(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung,
2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.

(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der

1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder
2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn

1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will,
2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
Die für den Antrag auf Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn
a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht,
b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft vorzuführen. Auf das Verfahren auf Anordnung von Haft zur Überstellung nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 finden die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend Anwendung, soweit das Verfahren in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 nicht abweichend geregelt ist.

(1) Vom Einkommen abzusetzen sind

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a)
zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b)
zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4.
geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag,
8.
bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Einkommen nach dem Vierten Abschnitt des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 67 oder § 126 des Dritten Buches bei der Berechnung der Leistungen der Ausbildungsförderung für mindestens ein Kind berücksichtigt wird, der nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung berücksichtigte Betrag.
Bei der Verteilung einer einmaligen Einnahme nach § 11 Absatz 3 Satz 4 sind die auf die einmalige Einnahme im Zuflussmonat entfallenden Beträge nach den Nummern 1, 2, 5 und 6 vorweg abzusetzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt.

(2a) § 82a des Zwölften Buches gilt entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 der Betrag nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die

1.
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
2.
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen,
3.
einem Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz nachgehen oder
4.
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen außerhalb der in § 11a Absatz 7 genannten Zeiten erwerbstätig sind; dies gilt nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen auch bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats.
Bei der Anwendung des Satzes 1 Nummer 3 gilt das Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes und nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, tritt in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 an die Stelle des Betrages nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches der Betrag von 250 Euro monatlich. Sofern die unter Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Personen die in § 11a Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 bis 5 genannten Leistungen, Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder einen Unterhaltsbeitrag nach § 10 Absatz 2 des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes erhalten, ist von diesen Leistungen für die Absetzbeträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag in Höhe von mindestens 100 Euro abzusetzen, wenn die Absetzung nicht bereits nach Satz 1 oder nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt ist. Satz 4 gilt auch für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 520 Euro beträgt, auf 20 Prozent,
2.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 520 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 30 Prozent und
3.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro. In den Fällen des Absatzes 2b ist Satz 2 Nummer 1 nicht anzuwenden.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1963 geborener türkischer Staatsangehöriger, erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG.

2

Der Kläger lebte nach eigenen Angaben von 1985 bis 1991 mit seiner jetzigen Ehefrau, einer türkischen Staatsangehörigen, in einer religiösen Ehe in der Türkei. Aus dieser Beziehung stammen die Kinder M., geboren 1986, B., geboren 1987, und H., geboren 1993.

3

Im April 1991 heiratete der Kläger in der Türkei eine deutsche Staatsangehörige. Nach seiner Einreise nach Deutschland erhielt er im Juli 1991 eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Diese wurde aufgrund der Angaben der Eheleute, dass die eheliche Lebensgemeinschaft nach wie vor bestünde, im September 1994 um weitere drei Jahre verlängert. Diese Angaben waren falsch und führten zu einer Verurteilung des Klägers nach § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Tatsächlich lebte der Kläger nach den Feststellungen des Strafgerichts nicht mit seiner Ehefrau, sondern mit der Mutter seiner Kinder zusammen, die im Frühjahr 1994 nach Deutschland eingereist war, nachdem sie im Oktober 1993 ihrerseits einen deutschen Staatsangehörigen geheiratet hatte.

4

Der Beklagte wies den Kläger daraufhin mit Bescheid vom Juni 1998 aus der Bundesrepublik Deutschland aus und lehnte die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab. Die hiergegen eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg. Im Oktober 1999 wurde der Kläger in die Türkei abgeschoben.

5

Der Kläger ließ sich nunmehr von seiner deutschen Ehefrau scheiden und heiratete im Mai 2002 die Mutter seiner Kinder, die sich bereits im Juli 2000 von ihrem deutschen Ehemann hatte scheiden lassen. Danach beantragte er ein Visum zur Familienzusammenführung zu seiner weiterhin in Berlin lebenden Ehefrau und den gemeinsamen drei Kindern. Die Ehefrau ist im Besitz eines als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltstitels. Im Februar 2005 befristete der Beklagte die Wirkungen der Ausweisung auf den Tag der Befristungserklärung. Im Dezember 2005 wurde dem Kläger ein Visum zur Familienzusammenführung erteilt, mit dem er nach Deutschland einreiste. Der Beklagte sah zu jenem Zeitpunkt den Unterhalt des Klägers und seiner Familie als (knapp) gesichert an.

6

Mit Bescheid vom 20. Juni 2006 erteilte der Beklagte dem Kläger eine bis zum 19. Juni 2007 befristete Aufenthaltserlaubnis gemäß § 29 i.V.m. § 30 Abs. 1 AufenthG. Die Aufenthaltserlaubnis war mit folgender Nebenbestimmung versehen: "Erwerbstätigkeit gestattet. Erlischt mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II oder XII."

7

Das Jobcenter Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin bewilligte der Ehefrau des Klägers mit Bescheid vom 17. Oktober 2006 für September 2006 Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für sich und ihre Familie in einer Gesamthöhe von 412,56 €, wovon auf den Kläger ein persönlicher Anteil von 76,64 € monatlich entfiel. Auch in der Folgezeit bezog die Familie weiterhin Leistungen nach dem SGB II, die Einkünfte des Klägers überstiegen im Verlauf der Zeit aber den Betrag, der zur Deckung seines persönlichen Bedarfs - ohne Berücksichtigung seiner Familienangehörigen - erforderlich gewesen wäre.

8

Mit Bescheid vom 6. Februar 2008 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab und drohte ihm die Abschiebung an. Zur Begründung bezog er sich auf den Eintritt der auflösenden Bedingung, die der Aufenthaltserlaubnis beigefügt war, weil der Bedarfsgemeinschaft des Klägers ab September 2006 Leistungen nach dem SGB II bewilligt worden seien. Wegen fehlender Sicherung des Lebensunterhalts sei auch die Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG abzulehnen.

9

Die hiergegen gerichtete Klage blieb in erster Instanz ohne Erfolg. Demgegenüber hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 27. August 2009 (InfAuslR 2009, 448) die erstinstanzliche Entscheidung geändert und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Zwar könne der Kläger die begehrte Aufenthaltserlaubnis nicht unter den erleichterten Voraussetzungen einer Verlängerung nach § 30 Abs. 3 AufenthG beanspruchen, weil mit dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II die zuvor erteilte Aufenthaltserlaubnis erloschen sei. Er habe aber einen Anspruch auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG. Sinn und Zweck der Erteilungsvoraussetzung der Lebensunterhaltssicherung stünden der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen, wenn durch sie keine zusätzliche Belastung der öffentlichen Haushalte eintrete. Deshalb dürfe die Aufenthaltserlaubnis einem Ausländer wie dem Kläger nicht versagt werden, der für seinen eigenen Unterhaltsbedarf ein ausreichendes Einkommen erziele, aber mit seiner Familie eine Bedarfsgemeinschaft bilde, die ihrerseits über kein hinreichendes Einkommen verfüge. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - die bedürftigen Familienmitglieder eigenständige, nicht vom Kläger abgeleitete Aufenthaltsrechte besäßen, deren Beendigung nicht anstehe. Eine Belastung der öffentlichen Haushalte trete dann durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ein, ein etwa vorhandener Einkommensüberschuss des Klägers käme zudem der Bedarfsgemeinschaft zugute und führe zu einer Entlastung der öffentlichen Hand. Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an den Kläger stünden auch keine Versagungsgründe entgegen.

10

Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision begründet der Beklagte im Wesentlichen wie folgt: Die Sicherung des Lebensunterhalts sei danach zu beurteilen, ob der Bedarf der Familie gedeckt sei, mit der der Ausländer in häuslicher Gemeinschaft lebe. Dies ergebe sich aus dem Sozialrecht, auf das das Ausländerrecht hinsichtlich der Unterhaltssicherung verweise. Im Übrigen sei es eine legitime Folge der Versagung der Aufenthaltserlaubnis an den Kläger, dass Druck auf die Familie zur nachhaltigen Erzielung von Einkünften ausgeübt werde. Denn dem Ziel der Schonung der öffentlichen Haushalte widerspreche die weitere Aufenthaltsverfestigung einer Familie, die Sozialleistungen in Anspruch nehme.

11

Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Argumentation des Beklagten angeschlossen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Beklagten ist zulässig und begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG mit einer Begründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält. Es ist davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des Klägers im Bundesgebiet gesichert und damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erfüllt ist, ohne dabei zu berücksichtigen, dass der Kläger für den Lebensunterhalt seiner Ehefrau und seines minderjährigen Sohnes H. auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen ist. Dies ist mit Bundesrecht nicht vereinbar. Mangels ausreichender Feststellungen im Berufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden, ob die besonderen Gesamtumstände des Falles eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung rechtfertigen. Das Verfahren ist daher an das Oberverwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

13

1. Das Oberverwaltungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis vom 20. Juni 2006 nach § 30 Abs. 3 AufenthG zu Recht verneint. Durch den Eintritt der ihr beigefügten Nebenbestimmung ist diese Erlaubnis im Oktober 2006 erloschen, nachdem der Kläger aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 17. Oktober 2006 Leistungen nach dem SGB II bezogen hat.

14

Der Aufenthaltserlaubnis war als Nebenbestimmung der Satz angefügt: "Erlischt mit dem Bezug von Leistungen nach dem SBG II oder SGB XII". Dabei handelt es sich um eine auflösende Bedingung. Sie soll dazu dienen, dem Bezug von Sozialleistungen vorzubeugen und ein Aufenthaltsrecht zunächst auch in solchen Fällen zu gewähren, in denen sich die Ausländerbehörde nicht sicher ist, ob die Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts während der gesamten Laufzeit des Aufenthaltstitels vorliegen wird.

15

Es kann offenbleiben, ob solch eine auflösende Bedingung rechtmäßig ist, da sie - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausführt - jedenfalls wirksam war und damit zum Erlöschen der dem Kläger erteilten Aufenthaltserlaubnis geführt hat. Grundsätzlich darf nach § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis mit Bedingungen erteilt werden. Streitig ist aber, ob eine auflösende Bedingung wie die hier verfügte rechtmäßig ist (so Huber, AufenthG 2010, § 12 Rn. 5, Maor, in: Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, § 4 Rn. 50, Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand Oktober 2009, § 12 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, Anm. 2 f., Wenger, in: Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 12 Rn. 5 und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. August 2007 - OVG 11 S 58.07 - InfAuslR 2007, 451; a.A. Hoppe, InfAuslR 2008, 292 <294 f.>). Dies kann hier aber dahingestellt bleiben, da eine derartige auflösende Bedingung jedenfalls nicht nichtig nach § 44 VwVfG ist. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass kein besonders schwerwiegender und offensichtlicher Mangel im Sinne von § 44 Abs. 1 VwVfG vorliegt. Für die Wirksamkeit der Nebenbestimmung genügt, dass sie bestandskräftig geworden ist. Das war hier der Fall, da gegen sie innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO kein Rechtsmittel eingelegt wurde.

16

2. Das Oberverwaltungsgericht hat daher zu Recht geprüft, ob dem Kläger ein Anspruch auf Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte nach § 30 Abs. 1 AufenthG zusteht.

17

a) Dabei ist es im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nicht am Vorliegen eines Ausweisungsgrundes scheitert (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 und § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

18

Der Kläger erfüllt nicht den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG. Dieser setzt voraus, dass der Ausländer für sich, seine Familienangehörigen oder für sonstige Haushaltsangehörige Sozialhilfe in Anspruch nimmt. Der Kläger nimmt zwar für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn H. Leistungen nach dem SGB II in Anspruch. Diese stellen jedoch keine Sozialhilfeleistungen im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG dar. Vielmehr erfasst der Ausweisungstatbestand nur die Sozialhilfe im engeren Sinne, insbesondere Leistungen nach dem SGB XII, nicht aber Leistungen nach dem SGB II (vgl. Armbruster, in: HTK-AuslR, Stand Dezember 2007, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 6 Anm. 1; Discher, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2009, § 55 Rn. 964; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2009, § 55 AufenthG Rn. 69; noch offengelassen im Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - BVerwGE 131, 370 Rn. 23). Dass der Bezug von Leistungen nach dem SGB II diesen Ausweisungsgrund nicht erfüllen soll, ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzgebungsverfahren. Der Bundesrat wollte nämlich den Begriff "Sozialhilfe" - ebenso wie in anderen Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes (etwa § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) - durch "Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch" ersetzt wissen, um auch Bezieher von Leistungen nach dem SGB II in den Ausweisungstatbestand einzubeziehen (vgl. BTDrucks 16/5527 S. 7). Diesen Änderungsvorschlag hat die Bundesregierung aber abgelehnt (vgl. BTDrucks 16/5527 S. 19). Die im Evaluierungsbericht zum Zuwanderungsgesetz vom Juli 2006 erneut empfohlene Einbeziehung von Leistungen nach dem SGB II in den Ausweisungsgrund (Bericht des Bundesministeriums des Innern zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Evaluierungsbericht -, Juli 2006, S. 142 f.) wurde ebenfalls nicht umgesetzt.

19

b) Das Oberverwaltungsgericht hat aber die Erteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu Unrecht bejaht. Es hat rechtsfehlerhaft nur auf den eigenen Bedarf des Klägers abgestellt und nicht berücksichtigt, dass es nach der gesetzlichen Regelung auf die Sicherung des Lebensunterhalts der in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen lebenden Kernfamilie - hier: bestehend aus dem Kläger, seiner Ehefrau und dem minderjährigen Sohn H. - ankommt. Der Lebensunterhalt der Kernfamilie kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II bestritten werden.

20

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs und des zur Verfügung stehenden Einkommens seit dem 1. Januar 2005 bei erwerbsfähigen Ausländern im Grundsatz nach den entsprechenden Bestimmungen des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches - SGB II - (vgl. Urteile vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 19 und vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 Rn. 29; vgl. aber unten Rn. 33). Erstrebt ein erwerbsfähiger Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zum Zusammenleben mit seinen Familienangehörigen in einer häuslichen Gemeinschaft oder lebt er - wie der Kläger - bereits in einer solchen, so gelten für die Berechnung seines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich die Regeln über die Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 3 SGB II.

21

Da sich im Grundsatz nach den Maßstäben des Sozialrechts bemisst, ob der Lebensunterhalt des Ausländers gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert ist, scheidet eine isolierte Betrachtung des Hilfebedarfs für jedes Einzelmitglied der familiären Gemeinschaft aus. Vielmehr gilt in einer Bedarfsgemeinschaft, wenn deren gesamter Bedarf nicht gedeckt werden kann, jede Person im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II). Insofern ergibt sich schon aus der Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, dass im Aufenthaltsrecht die Sicherung des Lebensunterhalts des erwerbsfähigen Ausländers allgemein den Lebensunterhalt des mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Ehepartners und der unverheirateten Kinder bis zum 25. Lebensjahr umfasst. Dies ist im Urteil des Senats vom gleichen Tag im Verfahren BVerwG 1 C 21.09, in dem es um die Sicherung des Lebensunterhalts bei Erteilung einer Niederlassungserlaubnis geht, im Einzelnen ausgeführt. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

22

Im Bereich des Familiennachzugs zeigt - unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen - auch die in § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG getroffene Regelung, dass bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf den Gesamtbedarf der Kernfamilie des Ausländers abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift werden bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug "Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen berücksichtigt". Wie diese Bestimmung zu verstehen ist, ist zwar im Einzelnen umstritten. Insbesondere ist fraglich, ob unter Familienangehörige im Sinne dieser Vorschrift - entsprechend der Terminologie in den Bestimmungen zum Familiennachzug - (auch) der nachziehende Familienangehörige fällt (so Hailbronner, AuslR, § 2 AufenthG, Stand April 2008, Rn. 41) oder ob darunter nur sonstige Familienangehörige fallen. Dies kann hier aber ebenso offenbleiben wie die Frage, ob mit Beiträgen im Sinne dieser Vorschrift sämtliche Einkünfte des Familienangehörigen oder nur die den eigenen Bedarf übersteigenden Einkünfte gemeint sind. Denn jedenfalls macht die Verwendung des Begriffs "Haushaltseinkommen" deutlich, dass der Gesetzgeber insoweit von einer einheitlichen Betrachtung der häuslichen Familiengemeinschaft ausgeht.

23

Dies entspricht auch den Bestimmungen der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG), die mit dem Aufenthaltsgesetz umgesetzt werden sollte. Nach deren Art. 7 Abs. 1 Buchst. c können die Mitgliedstaaten verlangen, dass der sich in dem Mitgliedstaat aufhaltende Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Auch die Richtlinie geht insoweit von einer familieneinheitlichen Betrachtung aus (vgl. auch Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie).

24

Die historische Auslegung spricht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber an dem Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts mit Blick auf die schon vor der Neuregelung maßgebliche Familiengemeinschaft festhalten wollte. Bereits nach dem Ausländergesetz 1990 war jedenfalls beim Familiennachzug nicht allein auf den Nachziehenden, sondern in erster Linie auf die wirtschaftliche Situation des Stammberechtigten und seiner Familie abzustellen. Eine Berücksichtigung der Erwerbseinkünfte des nachziehenden Familienangehörigen selbst war nur in besonderen Härtefällen unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Auch in diesen Fällen musste aber der Lebensunterhalt der Familie insgesamt gesichert sein (§ 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990). Es reichte danach in keinem Fall aus, dass der Nachziehende durch eigene Erwerbstätigkeit nur sich selbst unterhalten konnte, die aufnehmende Familie aber Sozialhilfe in Anspruch nehmen musste. Dahinter stand ersichtlich der Gedanke, dass nur ein wirtschaftlich integrierter Ausländer seinen Ehegatten oder seine Kinder sollte nachziehen lassen können und diese Integration einen aus eigenen Mitteln finanzierten Lebensunterhalt für die Familie voraussetzte. Dass der Gesetzgeber mit dem Aufenthaltsgesetz hieran etwas Grundlegendes ändern wollte, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen (BTDrucks 15/420 zu § 29 S. 81). Er hat lediglich davon abgesehen, die Lebensunterhaltssicherung weiterhin gesondert beim Familiennachzug zu regeln, sondern ist davon ausgegangen, dass sich die bisherigen Anforderungen des § 17 Abs. 2 Nr. 3 AuslG 1990 nunmehr in den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes finden. Dementsprechend regelt jetzt § 2 Abs. 3 Satz 4 AufenthG, dass bei der Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug die Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen zu berücksichtigen sind, also weiterhin auf den Unterhaltsbedarf der Familie abzustellen ist.

25

Auch die Regelung in § 27 Abs. 3 AufenthG spricht dafür, dass beim Familiennachzug auf den Unterhaltsbedarf der Familie und nicht nur des Nachzugswilligen abzustellen ist. Nach dieser Vorschrift kann der Familiennachzug versagt werden, wenn der Stammberechtigte anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen Unterhalt zu leisten hat und diese auf Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches angewiesen sind. Es ergibt wenig Sinn, dass bei Bezug von SGB II-Leistungen durch unterhaltsberechtigte Familienangehörige des Stammberechtigten zumindest ein fakultativer Versagungsgrund vorgesehen ist, der Bezug solcher Leistungen durch den Stammberechtigten selbst aber gänzlich unbeachtlich sein sollte.

26

Die auf den Bedarf der familiären Gemeinschaft abstellende Auslegung des Gebots der Sicherung des Lebensunterhalts entspricht auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Erteilungsvoraussetzung. Sie dient dazu, neue Belastungen für die öffentlichen Haushalte zu vermeiden (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 21). Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht das Erfordernis der Unterhaltssicherung dem Nachzug eines Familienangehörigen nicht entgegen, der seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann. Eine zusätzliche Belastung öffentlicher Haushalte trete durch dessen Aufenthalt in Deutschland nicht ein. Vielmehr komme ein etwa vorhandener Einkommensüberschuss den übrigen Familienmitgliedern zugute und entlaste damit die öffentlichen Kassen. Diese Sichtweise berücksichtigt nicht ausreichend, dass der Nachzug eines Familienangehörigen - hier des Familienvaters - typischerweise zu einer tatsächlichen Verfestigung des Aufenthalts der übrigen auf Sozialleistungen angewiesenen Mitglieder der Familie führt. Die Option, die eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland zu führen, rückt damit jedenfalls in die Ferne. Die dadurch bedingte Perpetuierung der Inanspruchnahme von Sozialleistungen entspricht schwerlich dem Willen des Gesetzgebers. Allerdings ist der Umfang der Belastung öffentlicher Haushalte durch den Nachzug eines Familienangehörigen, der seinen eigenen Lebensunterhalt bestreiten kann, im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob eine Ausnahme von dem Regelerteilungserfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegt (vgl. dazu unten Rn. 28).

27

c) Auf den Versagungsgrund des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kommt es bei diesem rechtlichen Ausgangspunkt nicht mehr an. Danach kann die Aufenthaltserlaubnis versagt werden, wenn derjenige, zu dem der Familiennachzug stattfindet, für den Unterhalt von anderen Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen auf Leistungen nach SGB II oder SGB XII angewiesen ist. Ist, wie oben ausgeführt, der Bezug von Leistungen nach dem SGB II durch die Ehefrau und den Sohn des Klägers bereits bei der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu berücksichtigen, wird er nicht zusätzlich noch von § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst. Dieser Versagungsgrund bezieht sich vielmehr nur auf nicht zur familiären Bedarfsgemeinschaft gehörende andere Familienangehörige oder Haushaltsangehörige des stammberechtigten Ausländers (vgl. BTDrucks 15/420 zu § 27 Abs. 3 S. 81).

28

d) Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es somit entscheidend darauf an, ob im vorliegenden Fall ausnahmsweise vom Regelerfordernis der Unterhaltssicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG abzusehen ist. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, aber auch dann, wenn höherrangiges Recht wie der Schutz von Ehe und Familie oder die unionsrechtlichen Vorgaben der Familienzusammenführungsrichtlinie (Richtlinie 2003/86/EG) es gebieten (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 27). Diese Frage hat das Berufungsgericht - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht geprüft. Zwar hat es im Rahmen der Versagungsgründe des § 27 Abs. 3 AufenthG (UA S. 17 ff.) eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen. Die hierzu angestellten Erwägungen reichen aber nicht aus, um alle für einen Ausnahmefall nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG maßgeblichen Gesichtspunkte zu erfassen. Der Rechtsstreit war daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das neue Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

29

Unionsrecht steht der Berücksichtigung des Unterhaltsbedarfs von Familienangehörigen im Rahmen des Familiennachzugs grundsätzlich nicht entgegen. Vielmehr ermächtigt die Familienzusammenführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c, den Nachzug von Familienangehörigen von festen und regelmäßigen Einkünften des Zusammenführenden abhängig zu machen, die ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen.

30

Auch aus dem Diskriminierungsverbot der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Ehe ergibt sich im vorliegenden Fall keine Ausnahme vom Erfordernis der Unterhaltssicherung. Die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht in seinem Kammerbeschluss vom 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - (NVwZ 2007, 1302) eine Diskriminierung der Ehe angenommen hat, liegen hier nicht vor. Das Bundesverfassungsgericht ist in dem von ihm entschiedenen Fall zu dem Ergebnis gekommen, dass es gegen das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Diskriminierungsverbot verstößt, wenn einem Ehegatten der weitere Aufenthalt nur wegen des Bestehens einer ehelichen Lebensgemeinschaft versagt wird, er dagegen bei Trennung vom Ehepartner ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG hätte. In einem solchen Fall beruhe die Versagung des Aufenthalts allein auf der Ehe, was nicht zulässig sei. Überträgt man diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall, so ergibt sich keine ehebedingte Diskriminierung. Denn der Kläger hatte zur Zeit des Erlöschens seiner Aufenthaltserlaubnis noch nicht - wie von § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG verlangt - zwei Jahre in ehelicher Lebensgemeinschaft rechtmäßig im Bundesgebiet gelebt. Die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis vom 20. Juni 2006 war schon vor Ablauf ihrer Gültigkeitsfrist (19. Juni 2007) gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erloschen. Denn im Oktober 2006 war die auflösende Bedingung des Bezugs von Sozialleistungen eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt war der Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet nicht mehr rechtmäßig. Damit hat er sich - auch unter Einrechnung des durch die Visumerteilung vom Dezember 2005 erfassten Zeitraums - weniger als ein Jahr rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten.

31

Allerdings sind bei der Frage, ob eine Ausnahme von der Regelvoraussetzung der Unterhaltssicherung zu bejahen ist, die in Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK und Art. 7 GR-Charta enthaltenen Wertentscheidungen zugunsten der Familie zu berücksichtigen. Damit müssen Ausnahmen vom Familiennachzug unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausgelegt werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11. Mai 2007 a.a.O.; Urteil vom 30. März 2010 - BVerwG 1 C 8.09 - NVwZ 2010, 964, zur Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, Rn. 30 ff.). Dabei ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seinen eigenen Unterhaltsbedarf in Deutschland decken kann. Das reicht aber für sich genommen noch nicht aus. Maßgeblich ist vielmehr, wie groß der Hilfebedarf der familiären Bedarfsgemeinschaft insgesamt ist und inwieweit der Kläger zur Reduzierung dieses Bedarfs beiträgt. Das hat das Berufungsgericht bisher nicht festgestellt. Insbesondere fehlen Feststellungen zum Einkommen der Ehefrau des Klägers. Weiterhin sind Feststellungen dazu von Bedeutung, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger seinen familiären Unterhaltsverpflichtungen während seines Türkeiaufenthalts von 1999 bis 2005 nachgekommen ist. Denn sie erleichtern die Prognose darüber, in welchem Umfang sich der Kläger auch zukünftig um die weitere Reduzierung der Bedarfslücke seiner Familienangehörigen bemühen wird, und erlauben damit eine Aussage zu den Erfolgsaussichten der wirtschaftlichen Integration. Auch insoweit fehlt es an Feststellungen des Berufungsgerichts. Weiter wird der Frage nachzugehen sein, ob die Familie auch in der Türkei leben könnte. Dabei sind die Dauer des Aufenthalts des Klägers, seiner Ehefrau und des Sohnes H. in Deutschland sowie der Umfang ihrer Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse zu würdigen. Allerdings dürfte die Tatsache, dass der inzwischen 17 Jahre alte Sohn seit 1994 in Deutschland aufgewachsen ist, ohne jede Feststellung zu seiner Integration und der familiären Gesamtsituation (nahende Volljährigkeit) für einen Ausnahmefall noch nicht genügen. Umgekehrt ist ein Ausnahmefall nicht schon wegen der Verstöße des Klägers gegen die deutsche Rechtsordnung, die zu seiner Ausweisung geführt haben, ausgeschlossen, nachdem die Ausländerbehörde die Wirkungen der Ausweisung befristet hat.

32

Bei der erforderlichen Berechnung des Hilfebedarfs der familiären Bedarfsgemeinschaft - bestehend aus dem Kläger, seiner Ehefrau und dem Sohn H. - wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:

33

Der Senat hat in seinem Urteil vom 26. August 2008 - BVerwG 1 C 32.07 - (a.a.O. Rn. 19) entschieden, dass bei der Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale von 100 € nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers zu berücksichtigen sind. Die Notwendigkeit einer solchen Berücksichtigung ergibt sich aus dem Verweis des Aufenthaltsgesetzes auf die Bedarfs- und Einkommensermittlung nach den Regelungen des Sozialrechts und hier speziell des § 11 SGB II. Diese Entscheidung des nationalen Gesetzgebers bedarf aber der Korrektur, soweit dem höherrangiges Recht - hier Unionsrecht - entgegensteht. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil vom 4. März 2010 in der Rechtssache Chakroun (C-578/08) für den Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie entschieden, dass der Begriff der "Sozialhilfeleistungen des ... Mitgliedstaats" ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist, der nicht anhand von Begriffen des nationalen Rechts ausgelegt werden kann (Rn. 45). Nach dem Unionsrecht bezieht sich der Begriff "Sozialhilfe" in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen (Rn. 49). Unter diesen unionsrechtlichen Begriff der Sozialhilfe fällt aber nicht der Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II, der in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt wird und eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben soll (vgl. Urteil vom 26. August 2008 a.a.O. Rn. 22), nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleicht. Dieser Freibetrag darf daher bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs im Anwendungsbereich der Familienzusammenführungsrichtlinie nicht zu Lasten des nachzugswilligen Ausländers angerechnet werden.

34

Die in § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II pauschaliert erfassten Werbungskosten stellen hingegen im Grundsatz Aufwendungen dar, die die tatsächlich verfügbaren Einkünfte eines Erwerbstätigen reduzieren, sodass ihrer Berücksichtigung bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht entgegensteht. Allerdings ist dem Gebot der individualisierten Prüfung jedes einzelnen Antrags auf Familienzusammenführung gemäß Art. 17 der Richtlinie dadurch Rechnung zu tragen, dass der Ausländer einen geringeren Bedarf als die gesetzlich veranschlagten 100 € nachweisen kann.

35

Im Übrigen weist der Senat auf die Regelung über den - allerdings antragsabhängigen - Kinderzuschlag in § 6a BKGG hin, durch die in Fällen, in denen nur der Lebensunterhalt von Kindern nicht vollständig aus eigenen Mitteln bestritten werden kann, über den Bezug eines (nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG unschädlichen) Kinderzuschlags unter bestimmten Voraussetzungen eine Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II vermieden werden kann. Sollten die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6a BKGG bei der Familie des Klägers vorliegen und sollte deshalb der Bezug von Leistungen nach dem SGB II entfallen, wäre der Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Abs. 3 AufenthG als gesichert anzusehen.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5000,- Euro festgesetzt.

IV

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren wird abgelehnt.

Gründe

Die Klägerin verfolgt mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug weiter.

Der zulässige Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Zulassungsgründe liegen nicht vor. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.). Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, die die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO rechtfertigen könnten, lägen nur vor, wenn die Klägerin einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B. v. 10.9.2009 - 1 BvR 814/09 - juris Rn. 11). Dies ist jedoch nicht der Fall.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung, die Klage der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu ihrem Ehemann abzuweisen, selbstständig tragend darauf gestützt, dass der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert sei (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) und die nach der RL 2003/86/EG erforderliche Einzelfallprüfung nicht ergebe, dass vom Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts vorliegend abzusehen sei. Die Klägerin halte sich erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet auf. Sie habe, obwohl sie bereits seit 2001 nach islamischem Recht mit ihrem im Bundesgebiet lebenden Ehemann verheiratet sei, bei der Familie des Ehemanns in Pakistan gelebt. Der Ehemann der Klägerin habe keine nennenswerten Bindungen zu seinen deutschen Kindern aus der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen.

Die Klägerin macht insoweit geltend, das Erstgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass die Klägerin und ihr Ehemann tatsächlich keine Sozialleistungen in Anspruch nähmen, und mit welchem Gewicht die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts in die (Abwägungs-) Entscheidung einzustellen sei. Zudem habe es verkannt, dass Art. 17 RL 2003/86/EG bei der Ablehnung eines Antrags auf Familienzusammenführung eine Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde fordere. Die Prüfung, ob eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliege, stelle keine Ermessensentscheidung dar.

Diese Ausführungen stellen aber die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die Entscheidung des Beklagten bestätigt, nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es auch die unionsrechtlichen Vorgaben der RL 2003/86/EG zulassen, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung von der Sicherung des Lebensunterhalts für den jeweiligen Antragsteller durch den Zusammenführenden abhängig zu machen. Gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. c RL 2003/86/EG kann der Mitgliedstaat vom Antragsteller den Nachweis verlangen, dass der Zusammenführende über feste und regelmäßige Einkünfte verfügt, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreichen. Ebenso zutreffend hat das Verwaltungsgericht erkannt, dass es bei diesem Nachweis nicht darauf ankommt, ob der Zusammenführende tatsächlich Sozialhilfeleistungen in Anspruch nimmt, sondern anhand abstrakter Kriterien, wie vorliegend den Sozialhilferegelsätzen, zu prüfen ist, ob der Zusammenführende nach der Einreise des Antragstellers Anspruch auf Sozialhilfeleistungen hätte. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die RL 2003/86/EG vorsieht, dass der Antrag auf Familienzusammenführung zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Mitgliedstaats aufhalten, in dem sich der Zusammenführende aufhält (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 RL 2003/86/EG). Entgegen dem Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen dargelegt, dass die Einkommensverhältnisse des Ehemanns der Klägerin die Prognose rechtfertigten, die Klägerin und ihr Ehemann könnten künftig nicht ohne die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen den notwendigen Lebensunterhalt sichern, und dass die fehlende Lebensunterhaltssicherung das Interesse der Klägerin an der Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft überwiege. Bezüglich der Lebensunterhaltssicherung hat es darauf abgestellt, dass das nach Abzug der Krankenversicherung und der Wohnkosten verbleibende Einkommen des Ehemanns deutlich unter dem nach § 20 Abs. 4 SGB II erforderlichen Mindestmaß dessen, was zur Sicherung des Lebensunterhalts erforderlich ist, bleibe, die Klägerin keinen Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhalts leisten werde, die Einkünfte des Ehemanns saisonabhängig und etwaige Krankheits- oder Urlaubszeiten nicht berücksichtigt seien. Im Rahmen der einzelfallbezogenen Prüfung anhand der in Art. 17 RL 2003/86/EG vorgegebenen Kriterien hat das Erstgericht zulasten der Klägerin berücksichtigt, dass sie sich erst seit kurzem in der Bundesrepublik aufhalte, sie trotz der seit 2001 bestehenden Ehe in Pakistan bei der Familie ihres Ehemanns verblieben sei und keine Bindungen in der Bundesrepublik aufgebaut habe. Auch die Beziehung des Ehemanns zu seinen deutschen Kindern hat das Erstgericht gewürdigt. Weder die Prognoseentscheidung zur Lebensunterhaltssicherung noch die Ausführungen zur Einzelfallprüfung nach Art. 17 RL 2003/86/EG hat die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Zulassungsantrag mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt.

Die nach Art. 17 RL 2003/86/EG erforderliche Einzelfallprüfung hat das Verwaltungsgericht dadurch vorgenommen, dass es anhand der konkreten Umstände geprüft hat, ob eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zuzulassen ist. Dieses Vorgehen begründet entgegen den Darlegungen der Klägerin keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils. Art. 17 RL 2003/86/EG fordert lediglich eine Berücksichtigung der in der Vorschrift genannten Kriterien in gebührender Weise. Weitere Vorgaben macht die Richtlinie nicht. Auch aus der zitierten Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (U. v. 4.3.2010 - Chakroun, C-578/08 - juris) ergibt sich entgegen dem Vorbringen der Klägerin nicht, dass die individuelle Prüfung als Ermessensentscheidung zu erfolgen habe. Der Europäische Gerichtshof verlangt lediglich „eine konkrete Prüfung der einzelnen Situation des Antragstellers“ bzw. „eine individualisierte Prüfung“ (EuGH, U. v. 4.3.2010, a. a. O., Rn. 48). Eine Ausnahme i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG kann - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - insbesondere aus verfassungs-, völker- oder unionsrechtlichen Aspekten in Betracht kommen (Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar, AufenthG, Stand Sept. 2013, § 5 Rn. 22; BVerwG, U. v. 13.6.2013 - 10 C 16.12 - juris Rn. 16). Die Prüfung des Ausnahmefalls bleibt folglich nicht nur auf atypische Umstände des Einzelfalls beschränkt, sondern umfasst gerade auch unionsrechtliche Wertentscheidungen, denen die ausländerrechtliche Entscheidung nicht widersprechen darf (Funke-Kaiser, a. a. O.). Die Einbeziehung der individualisierten Prüfung aus Art. 17 RL 2003/86/EG in die Prüfung des Ausnahmefalls i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG hat daher nicht zur Folge, dass den individuellen Belangen des Antragstellers weniger Gewicht zukäme. Denn ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist nicht nur dann anzunehmen, wenn besondere atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, sondern auch wenn dies aus Gründen höherrangigen Rechts, wie etwa Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK, geboten ist (st. Rspr. des BVerwG; U. v. 30.4.2009 - 1 C 3.08 - juris Rn. 13; U. v. 13.6.2013 - 10 C 16.12 juris Rn. 16 ff.). Die Beachtung und im Sinne des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angemessene Berücksichtigung gerade der (auch) in Art. 17 RL 2003/86/EG genannten familiären Belange des Antragstellers ist damit bei der Prüfung eines Ausnahmefalls ohnehin aufgrund höherrangigen Rechts geboten. Die vom Gerichtshof geforderte ausgewogene und sachgerechte Bewertung der bei der Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung nach Art. 17 RL 2003/86/EG zu berücksichtigenden Interessen (vgl. EuGH, U. v. 6.12.2012 - C-356/11 u. a. - juris Rn. 81) verlangt nichts anderes.

Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, „ob die nach Art. 17 RL 2003/86/EG geforderte Einzelfallprüfung mit der Prüfung des Vorliegens einer Atypik i. S. d. § 5 Abs. 1 AufenthG identisch ist“, führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache ist nur dann den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, wenn der Rechtsmittelführer u. a. erläutert, weshalb die formulierte Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (vgl. etwa BayVGH, B. v. 30.10.2013 -10 ZB 11.1390 - juris Rn. 17). Daran fehlt es vorliegend. Das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 13.6.2013 - 10 C 16.12 - juris Rn. 20) prüft - wie bereits oben dargelegt - im Rahmen der Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, ob alle nach Art. 17 RL 2003/86/EG zu berücksichtigenden Interessen ausgewogen und sachgerecht bewertet werden. Insoweit ist die von der Klägerin aufgeworfene Frage bereits vom Bundesverwaltungsgericht dahingehend beantwortet, dass die Einzelfallprüfung nach Art. 17 RL 2003/86/EG im Rahmen der Ausnahmefallprüfung erfolgt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergibt sich auch nicht mit Blick auf eine erforderliche Auslegung von Unionsrecht. Dann müsste die aufgeworfene Frage die Auslegung von Unionsrecht betreffen und sich für den Verwaltungsgerichtshof voraussichtlich die Notwendigkeit ergeben, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen (Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 124 Rn. 10). Die von der Klägerin gestellte Frage betrifft aber letztlich nicht die Auslegung von Unionsrecht, sondern die methodische bzw. verfahrensrechtliche Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben in das bestehende nationale Aufenthaltsrecht. Weder die RL 2003/86/EG noch der Gerichtshof geben vor, wie die ausgewogene und sachgerechte Bewertung der nach Art. 17 RL 2003/86/EG zu berücksichtigenden Interessen methodisch zu erfolgen hat. Dies überlässt der Gerichtshof ausdrücklich den zuständigen nationalen Behörden und Gerichten. Letzteren obliegt es zu prüfen, ob die Entscheidung, mit der ein Aufenthaltstitel zur Familienzusammenführung abgelehnt wurde, unter Beachtung der Art. 7 Abs. 1 Buchst. c RL 2003/86/EG und Art. 7 und 24 Abs. 2 und 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erfolgt ist (vgl. EuGH, U. v. 6.12.2012 - C-356/11 u. a. - juris Rn. 81 und LS 2).

Führt das Zulassungsvorbringen hinsichtlich eines die Entscheidung des Erstgerichts selbstständig tragenden Grundes nicht zur Zulassung der Berufung, so ist der Antrag auf Zulassung der Berufung schon deshalb abzulehnen.

Unabhängig davon würde aber auch das Vorbringen der Klägerin zum weiteren die Entscheidung des Erstgerichts selbstständig tragenden Grund der Einreise ohne das erforderliche Visum nicht zur Zulassung der Berufung führen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auch insoweit nicht vorliegen.

Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auch darauf gestützt, dass die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vorliege, weil die Klägerin nicht mit einem Visum zur Familienzusammenführung in das Bundesgebiet eingereist sei. Es hat die Vereinbarkeit der Regelung in § 5 Abs. 2 AufenthG mit der RL 2003/86/EG bejaht.

Das Verwaltungsgericht ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Familienzusammenführung vor der Einreise in den Aufnahmestaat zu stellen und zu prüfen ist. Dies ergibt sich aus Art. 5 Abs. 3 und Art. 13 RL 2003/86/EG. Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2003/86/EG steht dem nicht entgegen. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 21. Februar 2013 (10 CS 12. 2679) ausgeführt, dass die Gestattung der Einreise und des Aufenthalts nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2003/86/EG nicht nur unter dem Vorbehalt der in Kapitel IV sowie Art. 16 der Richtlinie genannten Bedingungen stehe, sondern dass die Mitgliedstaaten die Einreise und den Aufenthalt ausdrücklich nur „gemäß dieser Richtlinie“ gestatten. Folglich gilt insoweit auch Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG, wonach der Antrag für die Gestattung der Einreise zu stellen und zu prüfen ist, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhalten, selbst wenn sich diese Vorschrift im Kapitel III der Richtlinie befindet. Das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren gibt keinen Anlass, von dieser Rechtsauffassung abzuweichen. Wenn die Klägerin zunächst mit einem Schengen-Visum in die Bundesrepublik eingereist ist, hat sie damit die Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG nicht erfüllt. Die Richtlinie trifft ausschließlich Regelungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung (s. Art. 1 RL 2006/86/EG). Die Vorschriften über die Einreise und die Antragstellung vor der Einreise beziehen sich folglich auf die beabsichtigte Familienzusammenführung. Ein lediglich zu touristischen Zwecken erteiltes Visum genügt damit weder den Vorgaben des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG noch des Art. 5 Abs. 3 RL 2003/86/EG. .

Die von der Klägerin als klärungsbedürftig bezeichnete Frage, „ob die Voraussetzungen eines subjektiven Rechts auf Familienzusammenführung nur vorliegen, wenn ein Antragsteller ein Visum zur Familienzusammenführung beantragt hat“, führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Diese Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Es ergibt sich eindeutig aus Art. 13 RL 2003/86/EG, dass die Einreise des Familienangehörigen erst genehmigt wird, nachdem der Antrag auf Familienzusammenführung geprüft und ihm stattgegeben wurde. Die Einreise setzt somit grundsätzlich eine Antragstellung vom Ausland aus voraus, es sei denn der Mitgliedstaat lässt es zu, dass der Antrag auf Familienzusammenführung erst gestellt wird, wenn sich der Familienangehörige bereits in seinem Hoheitsgebiet befindet (Art. 5 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2003/86/EG). Diese Fälle sind im nationalen Aufenthaltsrecht abschließend in §§ 39 ff. AufenthV geregelt. Die Einreise mit einem Schengen-Visum befreit nicht vom Erfordernis der Antragstellung für die Genehmigung der Familienzusammenführung vom Ausland aus.

Der Antrag der Klägerin, ihr unter Beiordnung des von ihr benannten Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren zu bewilligen, ist abzulehnen. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 und § 121 Abs. 1 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (vgl. § 40 EGZPO in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts vom 31. August 2013) sind nicht erfüllt.

Nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO a. F. erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung der Klägerin bot aber zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfeantrags (st. Rspr.; vgl. z. B. BayVGH, B. v. 14.5.2013 - 10 C 10.3007 - juris Rn. 6 m. w. N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil Zulassungsgründe nicht vorliegen und der Antrag auf Zulassung der Berufung daher abzulehnen ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Einer Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens bedarf es nicht, weil Gerichtskosten nicht erhoben werden und eine Kostenerstattung nach § 166 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4ZPO ausgeschlossen ist.

Da Gerichtskosten nicht erhoben werden, ist eine Streitwertfestsetzung für das Prozesskostenhilfeverfahren entbehrlich.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2012 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

2

Der … 1983 in … /Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 wurde er während seines illegalen Aufenthalts in Hamburg vorläufig festgenommen und mit Bescheid vom 20. Februar 2003 wegen illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Der Bescheid wurde öffentlich zugestellt.

3

Am 14. April 2011 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung und eine Duldung, um seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige M., heiraten zu können. Er teilte mit, er sei am 6. März 2010 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist und habe hier Arbeit gesucht. Im Mai 2010 habe er seine Verlobte kennengelernt, bei der er seit September 2010 wohne. Wehrdienst habe er in der Türkei noch nicht geleistet. Die Beklagte erteilte dem Kläger am 18. April 2011 eine Duldung, die fortwährend verlängert wurde. Gegen die Ausweisung erhob der Kläger Widerspruch und machte u.a. geltend, sie sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.

4

Am … 2011 heiratete der Kläger seine Verlobte.

5

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 2011 wurde der Kläger wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt zu einer Geldstrafe von 60 Tages-sätzen verurteilt.

6

Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG oder § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Gegen den Bescheid erhob der Kläger am 28. September 2011 Widerspruch.

7

Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtete das Berufungsgericht mit Beschluss vom 9. Mai 2012 (4 Bs 15/12, juris) die Beklagte, die beabsichtigte Abschiebung des Klägers einstweilen auszusetzen. Mit Schreiben vom 14. Juni 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie betrachte die Ausweisungsverfügung vom 20. Februar 2003 als obsolet und habe diese im Register gelöscht.

8

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Sie verwies u.a. darauf, nach der Aufhebung der Ausweisung vom 20. Februar 2003 sei die Sperrwirkung nach § 11 Abs. 1 AufenthG weggefallen. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe aber entgegen, dass es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG fehle. Es liege ein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil das Verhalten des Klägers den Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfülle. Das Vorliegen eines abstrakten Ausweisungsgrundes sei ausreichend. Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege nicht vor. Der Sachverhalt unterscheide sich nicht von demjenigen anderer Ausländer, die mit deutschen Staatsangehörigen die Ehe geschlossen hätten. Der Umstand, dass es familiäre Bindungen gebe, sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Dabei übe sie, die Beklagte, das Ermessen zu Ungunsten des Klägers aus. Das öffentliche Interesse an einem geregelten Visumverfahren und damit an der staatlichen Steuerung der Zuwanderung überwiege das Interesse des Klägers an der sofortigen Aufnahme bzw. Fortführung der ehelichen Lebensgemeinschaft. Der Kläger sei nicht mit dem erforderlichen Visum im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG eingereist. Dem Kläger könne die Aufenthaltserlaubnis auch nicht visumfrei nach § 39 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) erteilt werden. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Erfüllung der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG seien nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht. Die Pflicht, das Bundesgebiet vorübergehend zu verlassen, um das Visumverfahren nachzuholen, sei für den Kläger zumutbar und verstoße nicht gegen seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG oder Art. 8 Abs. 1 EMRK. Somit sei das Ermessen nicht eröffnet. Eine Ausnahme von der Durchführung des Visumverfahrens im Fall des Ehegattennachzugs komme im Ergebnis nur nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und nur in den auf Seite 19 ff. der Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2012 aufgeführten Fällen in Betracht. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor.

9

Der Kläger hat am 29. Juni 2012 Klage erhoben und u.a. geltend gemacht: Ihm stehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufentG zu. Zwar liege die negative Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, es sei jedoch ein Ausnahmefall anzunehmen, weil er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG genieße. Von der Durchführung des Visumverfahrens hätte die Beklagte absehen müssen. Die Beklagte habe das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Dieses Ermessen sei auf Grund ihrer Fachanweisung Nr. 1/2012 gebunden, soweit darin ausgeführt werde, dass in Fällen des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens regelmäßig hinter dem durch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktrete.

10

Der Kläger hat beantragt,

11

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG,
hilfsweise ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Sie hat sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide bezogen.

15

Der Klage hat das Verwaltungsgericht Hamburg durch Urteil vom 24. Januar 2013 stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 1. September 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 2012 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt: Der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, ohne vorher ausreisen und das Visumverfahren durchführen zu müssen. Er erfülle die Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 1 Satz 1, Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Den Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse habe er erbracht. Auch § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG stehe der Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Zwar liege ein Ausweisungsgrund vor, weil der Kläger unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist sei und sich hier illegal aufgehalten habe. In seinem Fall liege jedoch kein Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, sondern ein Ausnahmefall. Der Kläger genieße als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. Diese in § 56 AufenthG zum Ausdruck kommende Wertung sei bei § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu berücksichtigen. Auch bestehe keine Wiederholungsgefahr. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehe auch § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Der Kläger erfülle wegen seiner illegalen Einreise zwar nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Er könne einen Anspruch auch nicht auf § 39 Nr. 5 AufenthV stützen. Es sei aber das Ermessen für eine Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnet. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lägen vor. Das Ermessen der Beklagten sei zu Gunsten des Klägers auf Null reduziert. Es sei durch die Fachanweisung Nr. 1/2012, Seite 17 ff., 20 entsprechend gebunden.

16

Mit der vom Berufungsgericht mit Beschluss vom 17. April 2013 zugelassenen und am 7. Mai 2013 begründeten Berufung macht die Beklagte u.a. geltend: Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis kein Ausweisungsgrund i.S.d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegenstehe. Der Kläger habe einen Ausweisungsgrund verwirklicht. Es komme nicht darauf an, ob er im konkreten Fall – etwa wegen besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG - tatsächlich (nicht) ausgewiesen werden könne. Auch sei es unerheblich, ob die Gefahr der Begehung neuer Straftaten drohe. Es gehe hier nicht um die Durchsetzung der Ausweisung und ein längeres Fernhalten des Klägers, sondern nur um die Einhaltung des Visumverfahrens, das üblicherweise drei bis vier Monate dauere und an dessen Durchsetzung auch bei mit Deutschen verheirateten Ausländern ein öffentliches Interesse bestehe. Der aufgrund besonderer familiärer Bindungen im Bundesgebiet bestehende besondere Ausweisungsschutz sei allein im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen, nicht aber bei der Prüfung eines Ausnahmefalls nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei die Ausnahmeregelung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nicht gegeben, weil ein gesetzlicher Anspruch nicht bestehe. Bei der illegalen Einreise träfen zwei Tatbestandsmerkmale zusammen: der Ausweisungsgrund nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und der Visumverstoß nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Diese Rechtsgrundlagen dürften nicht vermischt werden. Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG könne nie vorliegen, wenn ein Ausländer zur Eheschließung illegal eingereist sei und sich später dauerhaft hier aufhalten wolle. Ferner sei die Annahme des Verwaltungsgerichts falsch, das Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG sei im Fall eines gesetzlichen Anspruchs aufgrund der früheren und der nunmehr geltenden Fachanweisung der Behörde für Inneres und Sport zum Ausländerrecht Nr. 1/2013 auf Null reduziert. Die Ausführungen auf Seite 22 der aktuellen Fachanweisung bezögen sich auf sonstige Fälle des Rechtsanspruchs aus familiären Gründen und ausdrücklich nicht auf Fälle des Ehegattennachzugs.

17

Für den Fall, dass das Berufungsgericht weiterhin von einem gesetzlichen Anspruch i.S.d. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ausgehe und damit das nach dieser Vorschrift gegebene Ermessen als eröffnet ansehe, übe sie, die Beklagte, hilfsweise dieses Ermessen wie folgt aus: Sie habe zwischen dem Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet und dem öffentlichen Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens abzuwägen. Das private Interesse des Klägers ergebe sich u.a. daraus, dass ihm Kosten für Aus- und Wiedereinreise entstünden. Außerdem wären die Eheleute etwa drei bis vier Monate getrennt. Der Kläger habe aber die Situation selbst herbeigeführt, weil er - bereits zum zweiten Mal - bewusst unerlaubt eingereist sei. Er habe gezeigt, dass er die Einreisevorschriften nicht einhalten wolle und sogar in Kauf nehme, gegen Strafvorschriften zu verstoßen. Es bestehe ein öffentliches Interesse an dem geregelten Zuzug von Ausländern, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten. Dieses öffentliche Interesse umfasse auch die staatliche Pflicht, Schaden von den berechtigt im Bundesgebiet lebenden Personen möglichst abzuhalten. Dies erfordere die Kontrolle der einreisewilligen Personen, die einen Daueraufenthalt im Bundesgebiet anstrebten, vor ihrer Einreise. Das öffentliche Interesse an der Durchführung des Visumverfahrens entfalle auch dann nicht, wenn sich im konkreten Einzelfall herausstelle, dass der unerlaubt eingereiste Ausländer keine konkrete Gefahr darstelle oder sonst die öffentlichen Belange nicht beeinträchtige. Anderenfalls werde strafbares Verhalten prämiert. Die für den Kläger durch das Nachholen des Visumverfahrens entstehenden Nachteile seien gegenüber dem dargestellten öffentlichen Interesse von weitaus geringerer Bedeutung und stellten für ihn auch keine unzumutbare Belastung dar.

18

Die Beklagte beantragt,

19

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 24. Januar 2013 zu ändern und die Klage abzuweisen.

20

Der Kläger beantragt,

21

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

22

Er macht u.a. geltend, die Beklagte verkenne, dass § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG alle denkbaren Ausweisungsgründe betreffe, während nur § 5 Abs. 2 die Frage der unerlaubten Einreise und Ausnahmen hiervon regle. In jedem Einzelfall, in dem ein Ausweisungsgrund vorliege, müsse geprüft werden, ob ein Ausnahmefall gegeben sei. Bei dieser Prüfung sei es aber verfehlt, auf die Rechtsfolgen abzustellen, die sich aus der Feststellung eines Ausnahmefalls im Hinblick auf die Ausnahmemöglichkeiten des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ergäben. Die Beklagte sei zu Unrecht im Hinblick auf ihr Ziel, die Visumpflicht durchzusetzen, in Fällen wie dem vorliegenden generell der Ansicht, dass eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht angenommen werden könne. Gerade wenn diese Regelerteilungsvoraussetzung mit dem Grundrecht aus Art. 6 GG und mit Art. 8 EMRK nicht zu vereinbaren sei, müsse ein Ausnahmefall anerkannt werden.

23

Im Hinblick auf das der Beklagten nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufentG eingeräumte Ermessen bestehe eine Ermessensbindung aufgrund der nunmehr geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Die in der Fachanweisung für den Fall des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG beim Ehegattennachzug bindend festgelegten Ermessenserwägungen gälten auch für den Fall eines gesetzlichen Anspruchs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Eine voraussichtlich lange Dauer der Trennung von Familienangehörigen aufgrund der Nachholung des Visumverfahrens rechtfertige einen ausnahmsweisen Verzicht auf die Nachholung aus familiären Gründen. Eine solch lange Trennung sei wegen des 15-monatigen Wehrdienstes zu erwarten. Die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG von der Beklagten jetzt angestellten Ermessenserwägungen seien fehlerhaft, weil die Beklagte von einer Trennungszeit von drei bis vier Monaten für die Dauer des Visumverfahrens ausgehe, der in der Türkei bei seiner Rückkehr noch abzuleistende Militärdienst aber 15 Monate betrage. Die Ermessenerwägungen seien auch deshalb zu beanstanden, weil die Beklagte geltend mache, der Gesetzgeber halte auch in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich am Visumverfahren fest. Damit verkenne die Beklagte, dass das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen gerade ermögliche, hiervon anzusehen.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte des Verfahrens 4 Bs 15/12, die Sachakten der Beklagten und den Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die Türkei vom 26. August 2012 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht vollen Umfangs stattgegeben. Die zulässige Klage des Klägers hat nur insoweit Erfolg, als die Beklagte verpflichtet wird, über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden; insoweit ist das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts abzuändern. Die darüber hinausgehende Berufung hat keinen Erfolg.

I.

26

Die zulässige Klage des Klägers ist teilweise begründet.

27

Der Bescheid vom 1. September 2011 und der Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 sind rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, soweit die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau abgelehnt hat (dazu unter 1.). Die Sache ist aber nicht spruchreif. Deshalb hat der Kläger lediglich einen Anspruch darauf, dass die Beklagte über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entscheidet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO, dazu unter 2.).

28

1. Die Beklagte hat es in rechtswidriger Weise abgelehnt, dem Kläger die beantragte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.

29

Maßgebend für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st. Rspr., BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 24.12, juris Rn. 8; Urt. v. 7.4.2009, 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329, juris Rn. 10). Daher ist dem Begehren des Klägers das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Änderungsgesetzes vom 6. September 2013 (BGBl. I S. 3556), zu Grunde zu legen.

30

Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG steht nicht bereits § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegen. Denn aus dem Schreiben der Beklagten vom 14. Juni 2012 ergibt sich, dass sie die Ausweisungsverfügung vom 20. März 2012 aufgehoben hat. Dies hat sie im Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 bestätigt.

31

Die für die Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis erforderlichen besonderen Erteilungsvoraussetzungen (hierzu unter a) sowie die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG liegen vor (hierzu unter b). Der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis steht auch nicht zwingend entgegen, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, da der Beklagten Ermessen eingeräumt ist, von dieser Anforderung abzusehen (hierzu unter c). Die Beklagte hat von diesem Ermessen allerdings nicht bzw. fehlerhaft Gebrauch gemacht (hierzu unter d).

32

a) Die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung liegen vor.

33

Der Kläger hat für einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nachgewiesen, dass er den Aufenthaltstitel als Ehegatte seiner deutschen Ehefrau erstrebt, um mit ihr in der Bundesrepublik zusammenzuleben. Zweifel daran, dass der Kläger mit seiner Ehefrau eine eheliche Lebensgemeinschaft führt, bestehen nicht.

34

Der Kläger erfüllt zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung auch die in §§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vorgesehene Voraussetzung, sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können. Er hat bereits im Verwaltungsverfahren einen Nachweis darüber vorgelegt, dass er die deutsche Sprache auf dem Niveau A1 beherrscht (Bescheinigung des Diakonie – Cafes „Why Not“ vom 23.1.2012). Unerheblich ist, dass der Kläger die deutschen Sprachkenntnisse erst in der Bundesrepublik erworben und nachgewiesen hat (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11, m.w.N., n.v.). Weder dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG noch der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 173 f.) lässt sich entnehmen, dass der Nachweis über deutsche Sprachkenntnisse zwingend vor der Einreise erbracht werden muss. Deshalb besteht kein Grund, von dem allgemeinen Grundsatz für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzuweichen und nicht auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 12.9.2011, 4 Bs 153/11; Beschl. v. 27.9.2010, 2 Bs 183/10, NordÖR 2011, 250). Dies wird auch von der Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen.

35

b) Die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls erfüllt.

36

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dahinstehen kann, ob eine Berechnung des Einkommens der Eheleute ergeben würde, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sichern kann. Denn auch ein möglicher Anspruch des Klägers auf öffentliche Leistungen stünde der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Die Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung mit einem deutschen Ehepartner soll nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufentG in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Besondere Umstände, die es gebieten, ausnahmsweise entgegen der gesetzlichen Regel den Ehegattennachzug von einer Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 30), liegen nicht vor.

37

bb) Der Kläger ist im Besitz eines gültigen Nationalpasses (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG).

38

cc) Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist ebenfalls gegeben. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis setzt danach in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsgrund vorliegt. Ein Ausweisungsgrund liegt zwar vor, allerdings steht dieser der Erteilung nicht entgegen, da eine Ausnahme von der Regel anzunehmen ist.

39

(1) Ein Ausweisungsgrund liegt vor. Der Kläger, der nach eigenen Angaben am 6. März 2010 illegal in die Bundesrepublik eingereist ist, hat durch diese illegale Einreise und durch seinen anschließenden (nach eigenem Vortrag) 13-monatigen illegalen Aufenthalt einen Ausweisungsgrund verwirklicht.

40

Ein Ausweisungsgrund i. S. d. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liegt dann vor, wenn einer der Tatbestände der §§ 53 bis 55 AufenthG erfüllt ist. Das ist der Fall. Der Kläger hat einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen. Er hat durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt bis April 2011 gegen §§ 4, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verstoßen und damit den Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AufenthG vorsätzlich verwirklicht. Vorsätzlich begangene Straftaten stellen grundsätzlich keinen geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 2 AufenthG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.6.1998, 1 C 27.96, BVerwGE 107, 58, juris Rn. 27). Die hier begangenen Verstöße rechtfertigen nicht ausnahmsweise eine andere Bewertung.

41

Für das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes ist die Verwirklichung des Tatbestandes des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ausreichend, ohne dass es in diesem Zusammenhang auf die Zulässigkeit der Ausweisung im Einzelfall und das Eingreifen eines besonderen Ausweisungsschutzes ankommt (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 55 f.). Es ist somit nicht erforderlich, dass der Ausländer ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.7.2002, 1 C 8/02, BVerwGE 116, 378, juris Rn. 20; OVG Hamburg, Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 18; Beschl. v. 21.7.2010, 3 Bs 58/10, AuAS 2010, 256, juris Rn. 14; BayVGH, Beschl. v. 3.1.2007, 24 CS 06.2634, juris Rn. 13).

42

Der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG geht nicht § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als speziellere Regelung im – hier vorliegenden - Fall eines Verstoßes gegen Einreisevorschriften vor. Diese weitere allgemeine Erteilungsvoraussetzung verlangt die Einreise mit dem erforderlichen Visum und regelt damit die Verletzung von Einreisevorschriften ausdrücklich als einen der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Tatbestand; sie sieht ein eigenständiges Prüfungs- und Entscheidungsprogramm vor. Der Verstoß gegen Visumvorschriften hindert aber nicht die Prüfung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Zwar könnte die innere Systematik des § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG darauf hindeuten, dass solche Ausweisungsgründe von der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgeschlossen sind, die Gegenstand der Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sind. Allerdings ist § 5 Abs. 2 AufenthG nicht als in diesem Sinne speziellere Regelung zu verstehen. Die Vorschrift steht ausdrücklich neben dem allgemein und umfassend formulierten Abs. 1 mit der Folge, dass der konkrete Sachverhalt sowohl an der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG als auch an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu messen ist (so im Ergebnis: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 21, 23, 24; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27).

43

(2) Im Fall des Klägers liegt nicht der Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Vielmehr ist ein Ausnahmefall gegeben mit der Folge, dass der bestehende Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht.

44

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG hindert ein Ausweisungsgrund die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in der Regel, d.h. nur dann, wenn nicht ein Ausnahmefall anzunehmen ist. Dieser ist für jede einzelne Norm und für jeden Einzelfall zu prüfen. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn ein atypischer Sachverhalt gegeben ist, der sich von der Menge gleich liegender Fälle durch besondere Umstände unterscheidet, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht des der Regelerteilungsvoraussetzung zugrunde liegenden öffentlichen Interesses beseitigen. Auch Rechtsgründe, etwa verfassungsrechtliche Wertentscheidungen, insbesondere aus Art. 6 Abs. 1 GG, können die Annahme eines Ausnahmefalles gebieten (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.6.2013, 10 C 16.12, InfAuslR 2013, 364, juris Rn. 16; Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11; Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 27; OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 56; OVG Hamburg, Beschl. v. 16.6.2011, 3 Bf 361/06, BA S. 4 f.; OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 25; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, Stand Juli 2013, § 5 Rn. 22, 62; Hailbronner, AuslR, Stand April 2013/Juni 2011, § 5 Rn. 6). Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist gerichtlich voll überprüfbar (BVerwG, Urt. v. 22.5.2012, 1 C 6.11, BVerwGE 143, 150, juris Rn. 11 m.w.N.). Nach diesem Maßstab liegt im Fall des Klägers ein Sachverhalt vor, der im Hinblick auf den Regelungszweck der Norm vom Regelfall abweichende besondere Umstände aufweist.

45

Die Annahme eines Ausnahmefalls scheidet entgegen der Auffassung der Beklagten nicht bereits deshalb aus, weil sich - wie die Beklagte meint - der Kläger nicht von anderen deutschverheirateten Ausländern unterscheide. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist nicht auf eine bestimmte Gruppe von Ausländern ausgerichtet. Sie betrifft alle Ausländer und nicht nur diejenigen, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind. Die Regelung betrifft auch keineswegs nur Ausweisungsgründe, die auf Verstößen gegen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beruhen, sondern alle denkbaren Ausweisungsgründe, insbesondere auch solche, die so gewichtig sind, dass sie zwingend oder regelhaft zur Ausweisung führen würden. In jeder denkbaren Konstellation kann daher ein Ausnahmefall vorliegen.

46

Die besonderen, einen atypischen Sachverhalt begründenden Umstände beruhen darauf, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebt und dass der Ausweisungsgrund allein in der Einreise ohne das erforderliche Visum und dem anschließenden Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen besteht. Im Hinblick auf den Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bedarf es bei deutschverheirateten Ausländern, bei denen der Ausweisungsgrund allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht, einer besonderen Bewertung. Auf sie lassen sich die Rechtsfolgen, die für den Regelfall gelten, nicht ohne Weiteres übertragen. Bereits die Bewertung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit deutschen Staatsangehörigen im Ausländerrecht zeigt, dass hier gegenüber dem Regelfall eine differenzierende Betrachtung angezeigt ist. Eine differenzierende Betrachtung ist zudem angezeigt, wenn es um das Gewicht geht, das dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften durch deutschverheiratete Ausländer zukommt. Im Einzelnen:

47

Regelungszweck des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist es, solchen Personen den Aufenthalt zu verwehren, deren Aufenthalt die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder sonstige Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 55 Abs. 1 AufenthG beeinträchtigt (vgl. Funke-Kaiser, in GK-AufenthG, Stand August 2013, § 5 Rn. 63, m.w.N.). Soweit der Ausweisungsgrund darin besteht, dass der Ausländer gegen Rechtsvorschriften verstoßen und möglicherweise sogar Straftaten begangen hat, liegt dem ein (auch) spezialpräventiver Ansatz zugrunde; es sollen gegenwärtige bzw. in absehbarer Zukunft zu befürchtende Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit durch Versagung eines Aufenthaltsrechts abgewendet werden (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 10.12.2010, 18 B 1598/10, juris Rn. 3). Dieser Zweck verliert an Gewicht, wenn es - wie es hier der Fall ist - um Ausländer geht, die mit deutschen Staatsangehörigen verheiratet sind, und wenn deren Verstoß gegen die Rechtsordnung allein in dem oben genannten Verstoß gegen die Einreise- und Aufenthaltsvorschriften besteht. Denn nach den Wertungen des Aufenthaltsgesetzes soll in einem derartigen Fall ein Aufenthalt in Deutschland nicht zwingend verwehrt werden.

48

Die deutschverheiratete Ausländer betreffenden aufenthaltsrechtlichen Regelungen sind wegen der Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK grundsätzlich auf die Gewährleistung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet ausgerichtet. Für die ausländischen Ehepartner Deutscher gelten erleichterte Anforderungen an die Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 AufenthG) und an die Aufrechterhaltung des Aufenthalts sowie höhere rechtliche Hürden bei der Beendigung des Aufenthalts. Ehegatten deutscher Staatsangehöriger genießen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz und können deshalb jedenfalls hinsichtlich der hier relevanten Straftaten wegen illegaler Einreise und illegalen Aufenthalts nicht ausgewiesen werden; dies wäre nach § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich, an denen es hier fehlt. Der Einbeziehung von ausländischen Ehegatten deutscher Staatsangehöriger in den besonderen Ausweisungsschutz trägt Art. 6 Abs. 1 GG Rechnung. Auch aus Art. 8 EMRK folgt, dass jedenfalls dann, wenn eine Ausweisung zur Trennung der Ehegatten führt, ein qualifizierter Ausweisungsgrund gegeben sein muss (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 27.10.2009, 1 B 224/09, ZAR 2010, 32, juris Rn. 30, m.w.N.). Der hier verwirklichte Ausweisungsgrund würde somit nicht zu einer Beendigung des Aufenthaltes führen; ein bestehender Aufenthaltstitel würde nicht nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG durch Ausweisung erlöschen (gegen die Berücksichtigung einer solchen Wertung im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG: OVG Hamburg, Beschl. v. 19.6.2013, 3 Bs 163/13, n.v.).

49

Diese aufenthaltsrechtliche Bewertung bestehender ehelicher Lebensgemeinschaften mit deutschen Staatsangehörigen schlägt auch auf das Gewicht durch, das dem Ausweisungsgrund für die Frage zukommt, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Beruht der von einem deutschverheirateten Ausländer verwirklichte Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausschließlich auf Rechtsverstößen, die unmittelbar durch die Einreise selbst und den anschließenden illegalen Aufenthalt begründet sind, und bestehen keine Begleit- oder Folgedelikte wie z.B. die Fälschung eines Visums oder vorsätzlich falsche Angaben gegenüber der Botschaft zur Erlangung des Visums (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 135; juris Rn. 24 f.), kommt dem Ausweisungsgrund seine vertypte Gefahrenabwehrfunktion nicht mehr zu. Der spezialpräventive Zweck der (negativen) Erteilungsvoraussetzung geht ins Leere. In diesem Fall ist der Ausweisungsgrund nicht beachtlich, da die öffentliche Sicherheit und Ordnung aktuell nicht mehr beeinträchtigt wird (zu diesem Maßstab vgl. auch Nr. 5.1.2.2 der Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009, GMBl. S. 877, 918). Denn eine zukünftige Wiederholung der Verstöße gegen die Einreisevorschriften ist grundsätzlich ausgeschlossen. Ein Ausländer, der mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, hat - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – regelmäßig ein Aufenthaltsrecht und kann einen Aufenthaltstitel nach §§ 4 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG beanspruchen. Damit sind bezogen auf den Aufenthaltszweck der ehelichen Lebensgemeinschaft ein erneuter Verstoß gegen Visumbestimmungen sowie ein illegaler Aufenthalt und damit eine erneute Verletzung der einschlägigen Strafvorschriften (§ 95 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG) nicht zu erwarten (in diesem Sinne auch: VGH Mannheim, Beschl. v. 20.9.2012, 11 S 1608/12, InfAuslR 2013, 30, juris Rn. 5).

50

(3) Das Regel- / Ausnahmeverhältnis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wird in dem - hier vorliegenden - Fall, dass familiäre Bindungen zu berücksichtigen sind, nicht durch die Vorschrift des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG verdrängt.

51

Familiäre Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet sind bereits bei der Frage zu berücksichtigen, ob im konkreten Fall eine Ausnahme von der (negativen) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gegeben ist, und sie können zur Annahme einer Ausnahme führen. Familiäre Bindungen sind entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erst und ausschließlich im Rahmen der Ermessensausübung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu berücksichtigen. Denn § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG, wonach von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden kann, steht zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht in einem Verhältnis der Spezialität (a.A. OVG Magdeburg, Beschl. v. 9.2.2009, 2 M 276/08, juris Rn. 25; OVG Lüneburg, Urt. v. 27.4.2006, 5 LC 110/05, NVwZ-RR 2007, 62, juris Rn. 50; diese Frage nicht ansprechend: BVerwG, Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 292, juris Rn. 23).

52

Der Gesetzesbegründung zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG (BT-Drs. 15/420, S. 81) lässt sich zwar entnehmen, dass der Gesetzgeber die Vorstellung hatte, bei Vorliegen von Ausweisungsgründen sei wie im bisherigen Recht (§ 17 Abs. 5 AuslG) eine Ermessensentscheidung zu treffen. Weder die Gesetzessystematik noch der Wortlaut oder Sinn und Zweck der Vorschrift lassen aber den Schluss zu, dass sie darauf gerichtet ist, die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dahingehend einzuschränken, dass bei Vorliegen eines Ausweisungsgrundes familiäre Umstände keinen Ausnahmefall begründen, sondern nur im Rahmen der Ermessensbetätigung nach § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG berücksichtigt werden können (vgl. auch OVG Bautzen, Beschl. v. 7.3.2013, 3 A 132/12, juris Rn. 54; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 72). § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG regelt allein die Möglichkeit, von einem sonst zwingend der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehenden Ausweisungsgrund abzusehen. Die Ermessenseröffnung knüpft damit an § 5 Abs. 1 AufenthG und das dieser Vorschrift zugrunde liegende System von Regel und Ausnahme an. § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG setzt voraus, dass ein Regelfall vorliegt. Denn im Falle einer Ausnahme stünde der Ausweisungsgrund der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohnehin nicht entgegen; einer Ermessensentscheidung bedürfte es nicht. Die Vorschrift trifft hingegen keinerlei Aussagen zum Gegenstand möglicher Ausweisungsgründe. Sie regelt insbesondere nicht, wann die (negative) Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt und unter welchen Umständen ein Ausnahmefall anzunehmen ist.

53

Zur Auslegung des § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG und damit auch des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kann im Übrigen nicht auf die zum früheren § 7 Abs. 2 AuslG ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 29.7.1993, 1 C 25.93, BVerwGE 94, 35, juris Rn. 36) zurückgegriffen werden. Nach dieser Norm war im Falle einer Ausnahme vom Regelfall Ermessen eröffnet. Das ist nach dem heutigen System des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht der Fall. Vielmehr steht im Falle einer Ausnahme der Ausweisungsgrund der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis generell nicht entgegen. Deshalb lässt sich die zum früheren Recht ergangene Rechtsprechung auf § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht übertragen (vgl. zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 30.4.2009, 1 C 3.08, InfAuslR 2009, 333, juris Rn. 15).

54

(4) Liegt somit ein Ausnahmefall vor, ist die (negative) Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass kein Ausweisungsgrund bestehen darf, erfüllt. Der gleichwohl vorliegende Ausweisungsgrund steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Insoweit folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 30.7.2013, 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278, juris Rn. 23; Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 23) nichts anderes. Denn dort ist das Bundesverwaltungsgericht im Ergebnis von einem der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegenstehenden Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausgegangen.

55

c) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitert nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist. Zwar erfüllt der Kläger die weitere Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht (hierzu unter aa). Doch sind die Voraussetzungen gegeben, unter denen hiervon nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann (hierzu unter bb).

56

aa) Der Kläger erfüllt nicht die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

57

(1) Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Daran fehlt es. Der Kläger ist als türkischer Staatsangehöriger für die Einreise und den Aufenthalt zum Zweck der der Arbeitsaufnahme bzw. der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABl. EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I visumpflichtig. Ein solches Visum hat der Kläger vor seiner Einreise nicht eingeholt.

58

(2) Die Möglichkeit zur visumfreien Einreise folgt nicht aus dem Verschlechterungsverbot des Art. 13 ARB 1/80.

59

Der Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ANBA 1981 S. 4) - ARB 1/80 - berührt nicht die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet und über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen (vgl. EuGH, Urt. v. 16.12.1992, Rs. C-237/91 [Kus], Slg. 1992, I-06781, Rn. 25). Selbst wenn Art. 13 ARB 1/80 auch in Bezug auf die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaats der Einführung neuer Beschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit entgegenstehen sollte, kann sich dies nur auf solche Personen beziehen, die von dieser Freizügigkeit Gebrauch machen wollen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 20). Der Kläger als Ehemann einer deutschen Staatsangehörigen begehrt aber einen Aufenthaltstitel zum Zweck der Familienzusammenführung. Im Übrigen wäre eine Verschlechterung seiner Rechtsposition, der die Stillhalteklausel entgegenwirken könnte, jedenfalls nicht festzustellen. Er wäre weder im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 13 ARB 1/80 am 1. Dezember 1980 (vgl. Art. 16 Abs. 1 ARB 1/80) noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt berechtigt gewesen, ohne das erforderliche Visum in das Bundesgebiet einzureisen. Nach § 5 Abs. 2 AuslG 1965 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 DV AuslG in der Fassung der 11. Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 1. Juli 1980 (BGBl. I 1980, 782), in Kraft getreten am 5. Oktober 1980, galt das Erfordernis einer vor der Einreise in der Form eines Sichtvermerks einzuholenden Aufenthaltserlaubnis für einen geplanten Daueraufenthalt u.a. für die Staatsangehörigen eines Staates, der - wie die Türkei - in der Anlage zur Verordnung nicht aufgeführt war. Entsprechendes galt für den Kläger nach § 3 Abs. 3 AuslG 1990 i.V.m. §§ 2, 9 f. DVAuslG vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I 2983). Soweit der Kläger auch beabsichtigt, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, folgt für ihn aus der Stillhalteklausel ebenfalls keine Befreiung von der Visumpflicht. Denn schon vor Inkrafttreten des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 6 ARB 1/80 bestand für den Aufenthaltszweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nach § 5 Abs. 2 des Ausländergesetzes vom 28. April 1965 (BGBl. I S. 353 - AuslG 1965) i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes 1965 (hier in der Fassung der Bekanntmachung vom 29. Juni 1976, BGBl. I S. 1717) das Erfordernis, vor der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis in Form eines Sichtvermerks (Visum) einzuholen (vgl. hierzu OVG Hamburg, Beschl. v. 16.7.2013, 4 Bs 162/13, n.v.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 15).

60

(3) Die Visumpflicht entfällt auch nicht wegen Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl. 1972 II S. 385) - ZP-. Nach dem am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Art. 41 Abs. 1 ZP verpflichten sich die Vertragsparteien, untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einzuführen. Es fehlt bereits an einer neuen Beschränkung, soweit türkische Staatsangehörige – wie möglicherweise der Kläger bei seiner Einreise – im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen. Denn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 41 ZP bestand für diese die Visumpflicht (s.o.). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Vorschriften über die Assoziation EWG-Türkei nicht die Befugnis der Mitgliedsstaaten berühren, Vorschriften sowohl über die Einreise türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen, und lediglich die Stellung türkischer Arbeitnehmer regeln, die bereits ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt der Mitgliedstaaten eingegliedert sind (vgl. EuGH, Urt. v. 11.5.2000, Rs. C-37/98 [Savas], Slg. 2000, I-20927 Rn. 58). Mit dem Familiennachzug strebt der Kläger einen dauerhaften Aufenthalt im Bundesgebiet an; dieser unterfällt weder der Niederlassungs- noch der Dienstleistungsfreiheit (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.3.2010, 1 C 8.09, BVerwGE 136, 231, juris Rn. 19; OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 162/12, S. 12 f. BA, n.v.; OVG Münster, Beschl. v. 11.7.2012, 18 B 562/12, juris Rn. 4 ff.; OVG Saarlouis, Beschl. v. 2.5.2012, 2 B 47/12, juris Rn. 13). Die Stillhalteklausel ist im Übrigen auch nicht geeignet, türkischen Staatsangehörigen, die nur Dienstleistungen in einem Mitgliedsstaat empfangen wollen, allein auf der Grundlage des Unionsrechts ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen oder ein Recht auf visumfreie Einreise zu verschaffen. Denn der dort verwendete Begriff des freien Dienstleistungsverkehrs umfasst nicht die Freiheit türkischer Staatsangehöriger, sich als Dienstleistungsempfänger in einen Mitgliedstaat zu begeben, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH, Urt. v. 24.9.2013, Rs. C-221/11 [Demirkan], NVwZ 2013, 1465).

61

(4) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise einholen.

62

Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Der Kläger war weder zum Zeitpunkt der Antragstellung oder der letzten Behördenentscheidung noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Besitz einer Duldung, wie sie § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Zum Zeitpunkt der Antragstellung besaß der Kläger noch keine Duldung und auf die Duldungen, die ihm nach der Eheschließung bis jetzt erteilt wurden, kann sich der Kläger nicht berufen. Diese Duldungen dienten dem Zweck, ihm die Vorbereitung einer freiwilligen Ausreise zu ermöglichen und anschließend seine Abschiebung vorzubereiten bzw. gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Es widerspräche dem Sinn der Regelung in § 39 Nr. 5 AufenthV, wenn eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift auch dann in zulässiger Weise im Bundesgebiet eingeholt werden dürfte, wenn gerade über diese – von der Behörde verneinte – Berechtigung Streit besteht und die Duldungserteilung im Hinblick auf eine von der Behörde betriebene baldige Aufenthaltsbeendigung erfolgt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 37; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, AuAS 2011, 65, juris Rn. 10 ff.; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 10.1.2012, OVG 11 S 6.12, juris Rn. 10, OVG Münster, Beschl. v. 30.4.2010, 18 B 180/10, juris Rn. 10).

63

bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen, unter denen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Ermessen eröffnet ist, von der Einhaltung des Visumverfahrens abzusehen, liegen vor. Das ist der Fall, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind (1. Altern.) oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen (2. Altern.). Zwar ist das Ermessen nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG eröffnet (hierzu unter (1)). Der Kläger hat aber einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, sodass die Beklagte Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG auszuüben hat (hierzu unter (2)).

64

(1) Für den Kläger ist es nicht auf Grund besonderer Umstände unzumutbar im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG, das Visumverfahren nachzuholen. Gründe, die eine zeitweise Trennung der Eheleute als unzumutbar erscheinen lassen, liegen nicht vor.

65

Die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 5.8.2013, 2 BvR 586/13, juris Rn. 12; Beschl. v. 12.5.1987, 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 32 BvR 313/84, BVerfGE 76, 1, 49 ff., juris Rn. 103). Der Betroffene braucht es nicht hinzunehmen, unter unverhältnismäßiger Vernachlässigung dieser Gesichtspunkte daran gehindert zu werden, bei seinem im Bundesgebiet lebenden Ehepartner ständigen Aufenthalt zu nehmen. Eingriffe in seine diesbezügliche Freiheit sind nur dann und insoweit zulässig, als sie unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, NVwZ-RR 2011, 585, juris Rn. 14 m.w.N.).

66

Dass die zeitweise Trennung der Eheleute aus gesundheitlichen Gründen unzumutbar und deshalb unverhältnismäßig sein könnte, hat der Kläger nicht vorgetragen und dies ist auch nicht ersichtlich. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass der wehrpflichtige Kläger nach seiner Rückkehr in die Türkei den Wehrdienst ableisten muss, der grundsätzlich 15 Monate andauert (vgl. zu den altersmäßigen Anforderungen und zur Dauer des obligatorischen Wehrdienstes: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 26.8.2012, S. 17 f.). Eine Trennung von seiner Ehefrau für diese Zeit erscheint allerdings auch unter Berücksichtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen der Eheleute nicht unverhältnismäßig.

67

Nachzugshindernisse von begrenzter Zeitdauer, wie es das Visumverfahren darstellt, sind auch beim Ehegattennachzug zu deutschen Staatsangehörigen nicht von vornherein verfassungswidrig (vgl. zum Visumverfahren: BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011, 2 BvR 1367/10, juris Rn. 15; Beschl. v. 4.12.2007, 2 BvR 2341/06, InfAuslR 2008, 239 f., juris Rn. 6; BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34). Ob eine Warte- und Trennungszeit für Eheleute unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Ziele mit der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar ist, bedarf vielmehr der Bewertung des Einzelfalls.

68

Danach erweist sich die Trennungszeit von 15 Monaten, die - wenn der Kläger das Visumverfahren nachholt - wegen des noch zu leistenden Wehrdienstes zu erwarten ist, nicht als unverhältnismäßig. Zwar kann z.B. das gesetzlich verlangte Spracherfordernis nach § 28 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 30 Abs. 1 Satz Nr. 2 AufenthG als Nachzugsvoraussetzung im Visumverfahren das zumutbare Ausmaß der Beeinträchtigung der durch Art. 6 Abs. 1 GG qualifiziert geschützten Belange des ausländischen und des deutschen Ehegatten übersteigen und damit unzumutbar sein, wenn es dem ausländischen Ehegatten aus besonderen persönlichen Gründen oder wegen der besonderen Umstände in seinem Heimatland nicht möglich oder nicht zumutbar ist, die deutsche Sprache in seinem Heimatland zu erlernen. In einem solchen Fall schlägt die grundsätzlich verhältnismäßige Nachzugsvoraussetzung im Fall zumutbarer Bemühungen spätestens nach einem Jahr in ein unverhältnismäßiges dauerhaftes Nachzugshindernis um (vgl. BVerwG, Urt. v. 4.9.2012, 10 C 12.12, BVerwGE 144, 141, juris Rn. 26 ff.). Diese bezogen auf den Spracherwerb geltenden Wertungen lassen sich aber auf den Wehrdienst nicht übertragen. Der Wehrdienst ist nicht ein durch nationale Regelungen des deutschen Gesetzgebers bestimmtes Nachzugserfordernis, sondern beruht auf den gesetzlichen Bestimmungen und öffentlichen Interessen eines anderen Staates, denen der Kläger als türkischer Staatsangehöriger unterliegt. Dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes zu einer Trennung kommen könnte, war beiden Eheleuten bei Eingehung der Beziehung bekannt. Diese Trennung stellt einen von vornherein zeitlich beschränkten Zeitraum dar, der die Zeitdauer von einem Jahr nur geringfügig übersteigt. Das zeitweise Nachzugshindernis der Wehrpflicht kann nicht in ein der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet auf unabsehbare Zeit oder dauerhaft entgegenstehendes Nachzugshindernis umschlagen. Denn die Ableistung des zeitlich begrenzten Wehrdienstes ist - anders als der erfolgreiche Erwerb von Sprachkenntnissen - unabhängig von persönlichen Fähigkeiten des Wehrpflichtigen. Die durch die Ableistung des Wehrdienstes im Heimatland des Antragstellers bedingte Trennung wird im Übrigen dadurch gemildert, dass während dieser Zeit die Möglichkeit der Kommunikation mit seiner Ehefrau sowie von Besuchen besteht (vgl. auch OVG Hamburg, Beschl. v. 11.2.2013, 4 Bs 269/12, n.v., S. 16 BA; Beschl. v. 16.11.2010, 4 Bs 220/10, juris Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.1.2011, OVG 11 S 51.10, juris Rn. 14).

69

(2) Die Beklagte kann von der Einhaltung des Visumverfahrens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG absehen, weil im Fall des Klägers die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorliegen.

70

Unter einem „Anspruch“ ist grundsätzlich ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen, der nur vorliegt, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 27; vgl. zu § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, juris Rn. 24 m.w.N.). Die Voraussetzungen eines Anspruchs i.S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG sind auch dann erfüllt, wenn zwar eine regelhaft zu erfüllende Anspruchsvoraussetzung – vorliegend aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG – nicht vorliegt, dies jedoch unschädlich ist, weil ein Ausnahmefall gegeben ist (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 38; Beschl. v. 26.10.2011, 5 Bs 158/11, AuAS 2012, 2, juris Rn. 24). Denn in einem solchen Fall steht § 5 Abs. 1 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen.

71

Dem Anspruch auf Erteilung steht entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten nicht entgegen, dass hier die Voraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vorliegt und daher Ermessen nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VwGO eröffnet ist. Der Tatbestand des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG kann nur so verstanden werden, dass außer den Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1im Übrigen die Voraussetzungen eines gesetzlichen Anspruchs vorliegen müssen. Denn § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG setzt tatbestandlich für die Eröffnung des Ermessens und damit für ein mögliches Absehen von einer Voraussetzung des Satzes 1 gerade voraus, dass es an einer solchen Voraussetzung des Satzes 1 fehlt, ansonsten aber alle allgemeinen und besonderen Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Anderenfalls würde die Vorschrift des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG leerlaufen. Der Begriff des gesetzlichen Anspruchs bzw. des Rechtsanspruchs ist vor dem Hintergrund des jeweiligen Regelungskontexts zu verstehen (vgl. zu § 39 Abs. 3 AufenthV: BVerwG, Urt. v. 16.11.2010, 1 C 17.09, BVerwGE 138, 122, juris Rn. 24, 25; vgl. zum „strikten Rechtsanspruch“ i.S.d. § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG: BVerwG, Beschl. v. 16.2.2012, 1 B 22.11, juris Rn. 4; Urt. v. 16.12.2008, 1 C 37.07, BVerwGE 132, 382, Rn. 21 ff.; OVG Hamburg, Beschl. 16.1.2013, 4 Bs 185/12, n.v.; Beschl. v. 10.1.2013, 3 Bs 38/13, n.v.).

72

d) Die Entscheidung der Beklagten, von der Einhaltung des Visumverfahrens nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG abzusehen, ist fehlerhaft.

73

aa) In den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt.

74

Im maßgeblichen Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2012 hat die Beklagte die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. und 2. Altern. AufenthG geprüft und ihr Vorliegen verneint. Auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung konsequent, hat die Beklagte sodann Ermessen im Hinblick auf § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ausgeübt (S. 4 des Widerspruchsbescheids). Ferner hat sie - unter Bezugnahme auf die Fachanweisung 1/2012 – lediglich (hilfsweise) Erwägungen in Bezug auf § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellt (S. 6, Absatz 1 bis 3 des Widerspruchsbescheids).

75

Die zu § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG angestellten Ermessenserwägungen sind für die erforderliche Ausübung des Ermessens entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht maßgeblich. Es bedurfte eigenständiger Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG. Denn die 1. Tatbestandsalternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG besitzt einen eigenständigen Regelungsgehalt. Die Tatbestandsalternativen „gesetzlicher Anspruch“ und „Unzumutbarkeit“ weisen unterschiedliche Zweckrichtungen auf, denen die Ermessensbetätigung Rechnung tragen muss. Mit der 1. Alternative soll verhindert werden, dass das für die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung grundsätzlich unverzichtbare Visumverfahren im Einzelfall lediglich als eine bloße (für den Ausländer teure und auch für die Behörde zeit- und ressourcenaufwändige) Förmelei durchgeführt werden muss, wenn die materielle Prüfung schon zugunsten des Ausländers abgeschlossen ist (BT-Drs. 15/470, S. 70; vgl. auch Nr. 5.2.2.1 AVwV-AufenthG). Die 2. Alternative dient hingegen der Vermeidung von unzumutbaren Härten, die mit der (grundsätzlich erforderlichen) Nachholung des Visumverfahrens einhergehen (vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, a.a.O., § 5 Rn. 121). Hier stehen insbesondere individuelle Belastungen des Ausländers und/oder seiner Familienangehörigen durch seine Ausreise im Vordergrund, die im Fall der Nachholung des Visumverfahrens zu unverhältnismäßigen Eingriffen in geschützte Rechte aus Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1 GG führen können. Die Ausführungen der Beklagten zur (Un-)Zumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens (S. 6 des Widerspruchsbescheides) für die Eheleute tragen dem Regelungszweck der 1. Tatbestandsalternative „Anspruch auf Erteilung“ nicht Rechnung.

76

Die im Widerspruchsbescheid zu § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG angestellten Ermessenserwägungen können ebenfalls nicht als Ermessensentscheidung (auch) zu § 5 Abs. 2 Satz 1 1. Altern. AufenthG angesehen werden. Mit diesen Erwägungen hat die Beklagte das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens mit dem Interesse an der sofortigen Aufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft abgewogen und dabei die Zumutbarkeit der vorübergehenden Trennung bewertet. Dabei hat sie die Dauer der Trennung, fehlende die Ehe betreffende besondere Umstände und die Einbeziehung der Trennung in die Lebensplanung der Eheleute berücksichtigt. Den für die Ausübung des Ermessens im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG relevanten Gesichtspunkt, dass im Fall des Klägers ein Anspruch auf Erteilung besteht und dass sich das Visumverfahren deshalb als eine bloße Förmelei erweisen könnte, hat die Beklagte bei ihrer Ermessensbetätigung nicht berücksichtigt.

77

bb) Einschlägige Regelungen zur Ermessensausübung ergeben sich weder aus der Fachanweisung Nr. 1/2012, die die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens nach den Ausführungen im Widerspruchsbescheid zur Grundlage ihrer Verwaltungsübung gemacht hat, noch aus der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht geltenden Fachanweisung Nr. 1/2013. Darin hat die Beklagte Anordnungen für eine regelmäßige Ermessensausübung für den Fall des Ehegattennachzugs bei einem bestehenden gesetzlichen Anspruch (§ 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG) nicht getroffen. Wie die Beklagte inzwischen klargestellt hat, beziehen sich die Ausführungen unter Abschnitt A.VI. (S. 20 ff.), denen der Senat in seiner früheren Rechtsprechung eine einschlägige Ermessensbindung entnommen hat (Beschl. v. 9.5.2012, 4 Bs 15/12, juris Rn. 39), zunächst nur auf den Fall des Ehegattennachzugs nach § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Altern. AufenthG und die weiteren Ausführungen - in Abgrenzung zum geregelten Ehegattennachzug im Fall der 2. Alternative des § 5 Abs. 2 Satz 2 - allein auf sonstige Fälle eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen, nicht jedoch auf Fälle des Ehegattennachzugs. Ob dieses Verständnis der Verwaltungsvorschrift zwingend ist, kann dahingestellt bleiben. Entscheidend ist allein, dass die Beklagte sie in dieser Weise versteht und anwendet. An seiner in der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes geäußerten Rechtsansicht hält das Berufungsgericht deshalb nicht mehr fest.

78

cc) Die von der Beklagten nachgeholte Ermessensentscheidung ist fehlerhaft.

79

Die Beklagte hat Ermessenserwägungen zu § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG erstmals im Berufungsverfahren (hilfsweise) angestellt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Nachholung von Ermessenserwägungen im Fall des Ermessensausfalls auch dann zulässig ist, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und sich nicht erst wegen Umständen, die während des Klageverfahrens entstanden sind, die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (ausdrücklich offenlassend im Fall einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme: BVerwG, Urt. v. 13.12.2011, 1 C 14.10, BVerwGE 141, 253, juris Rn. 13). Denn die nachgeholten Ermessenserwägungen der Beklagten sind nach dem Prüfungsmaßstab des § 114 Satz 1 VwGO fehlerhaft. Die Beklagte ist im Hinblick auf die nach § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG in ihrem Ermessen stehende Entscheidung, im Fall eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung von den Anforderungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, teilweise von einem falschen Sachverhalt ausgegangen und hat zudem eine fehlerhafte Gewichtung der privaten und öffentlichen Belange zu Lasten des Klägers vorgenommen.

80

Die Beklagte hat die öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der Visumpflicht im Fall des beabsichtigten Ehegattennachzugs, bei dem sich der Ehegatte bereits im Bundesgebiet aufhält, und die privaten und wirtschaftlichen Interessen des Klägers nicht vollständig und zutreffend ermittelt und in ihre Abwägung eingestellt. Ein Ermessensfehler liegt darin, dass sie bei ihrer Abwägung teilweise von falschen Tatsachen ausgegangen ist. Sie hat nicht berücksichtigt, dass das (private) Interesse des Klägers an der ununterbrochenen Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau im Bundesgebiet im Fall der Nachholung des Visumverfahrens nicht nur durch die aus Sicht der Beklagten zumutbare Trennungszeit von drei bis vier Monaten während der Dauer des Visumverfahrens beeinträchtigt wird, sondern dass bei einer Rückkehr des Klägers in die Türkei eine durch die erforderliche Ableistung des Wehrdienstes bedingte Trennungszeit der Ehepartner von mindestens 15 Monaten zu erwarten ist. Dieser vom Kläger vorgetragene und in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erörterte Sachverhalt war der Beklagten bekannt. Ihre Ermessenserwägungen hat sie trotz des Hinweises des Klägers in seiner Berufungserwiderung und deren Darstellung in der mündlichen Verhandlung nicht korrigiert oder ergänzt.

81

Zudem besteht ein Ermessensfehler im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO darin, dass die Beklagte dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG nicht hinreichend Rechnung getragen und die in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet hat. Eine solche fehlerhafte Gewichtung kann z.B. dann vorliegen, wenn die Behörde einzelnen Tatsachen ein Gewicht beimisst, das objektiven Wertungsmaßstäben nicht entspricht (vgl. zur Überprüfung der einzustellenden Belange: BVerwG, Urt. v. 19.11.1996, 1 C 6.95, BVerwGE 102, 249, juris Rn. 24 ff.). Ein solcher bei der Abwägung relevanter Maßstab für die Gewichtung der einander gegenüberstehenden Belange kann sich aus der einfachrechtlichen Wertung des Gesetzes und insbesondere aus den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten privaten Belangen des Ausländers ergeben, die entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind (vgl. zum Maßstab Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2010, § 114 Rn. 181, 184; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 114 Rn. 7, 39-41).

82

Daran gemessen hat die Beklagte die auch durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Klägers zu gering gewichtet. Die Beklagte hat ein Übergewicht der öffentlichen Interessen mit der Begründung angenommen, das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Einreisevorschriften zum Zweck der Kontrolle von einreisewilligen Personen, die sich auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen wollten, sowie am geregelten Zuzug von Ausländern überwiege deutlich die privaten Interessen des Klägers. Der Staat führe die gesetzliche Regelung ad absurdum, wenn er die Visumpflicht einführe, aber nicht dafür sorge, dass diese eingehalten werde. Sehe er trotz illegaler Einreise des Ausländers – wie im Fall des Klägers – von der Durchführung des Visumverfahrens ab, prämiere er damit strafbares Verhalten. Demgegenüber stelle die Nachholung für den Kläger – auch unter Berücksichtigung der Kosten für die Aus- und Wiedereinreise und der zeitweisen Trennung - keine unzumutbare Belastung dar.

83

Mit dieser Gewichtung verkennt die Beklagte die Reichweite und den Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte generalpräventive Gesichtspunkte wie die Bedeutung und Wirksamkeit des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung (vgl. BT-Drs 15/420 S. 70) in ihre Ermessensbetätigung einstellt (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.1.2011, 1 C 23.09, BVerwGE 138, 353, juris Rn. 34; Urt. v. 4.9.1986, 1 C 19.86, BVerwGE 75, 20, juris Rn. 14). Die Beklagte hat aber auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Eröffnung des Ermessens in § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gerade ermöglichen will, im Einzelfall zu Gunsten des Ausländers von der Nachholung des Visumverfahrens abzusehen, und zwar nicht nur bei der Unzumutbarkeit der Nachholung des Visumverfahrens, sondern auch dann, wenn ein gesetzlicher Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis besteht. Dem hat die Beklagte nicht ausreichend Rechnung getragen. Die Beklagte hat trotz des gesetzlichen Anspruchs des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beim Ehegattennachzug generell dem – bereits die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG begründenden - öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Visumpflicht und an der Einholung des für den jeweiligen Aufenthaltszweck erforderlichen Aufenthaltstitels vom Ausland aus entscheidendes Gewicht beigemessen. Damit hat sie den vom Gesetzgeber eröffneten Ermessensspielraum faktisch nicht ausgenutzt und eine dem Einzelfall des Klägers Rechnung tragende Entscheidung nicht getroffen. Auch die weiteren Erwägungen tragen der Tatsache, dass im Fall des Klägers ein gesetzlicher Anspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Altern. AufenthG vorliegt, nicht ausreichend Rechnung. Da bereits feststeht, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen sein wird, ist die von der Beklagten generell für erforderlich gehaltene Kontrolle von einreisewilligen Personen zum Schutz vor Gefahren für die im Bundesgebiet lebenden Menschen nicht mehr notwendig. Damit steigt das Gewicht der privaten Belange, eine Trennung von seiner Ehefrau zu vermeiden und die Kosten für die Reise in die Türkei sowie die Rückreise zu ersparen. Inwieweit der Kläger in der Lage ist, diese Kosten aufzubringen, hat die Beklagte noch nicht einmal geprüft. Die generalpräventiv motivierte Erwägung der Beklagten, es dürften keine Anreize für eine Einreise unter Verstoß gegen die Einreisevorschriften geschaffen werden, verkennt, dass es eine zwangsläufige Folge der Eröffnung des Ermessens (im Fall eines gesetzlichen Anspruchs) ist, dass im Einzelfall von den Einreisevorschriften abgesehen werden kann. Mit der von der Beklagten gegebenen Begründung läuft der vom Gesetzgeber eingeräumte Ermessensspielraum leer.

84

Weiter hat die Beklagte bei ihrer Gewichtung der einander gegenüberstehenden Interessen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt. Auf der Grundlage ihrer Fachanweisung 1/2013 (Seite 22) lässt die Beklagte in sonstigen Fällen eines Rechtsanspruchs aus familiären Gründen (Nachzug von Kindern oder Eltern) das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des Visumverfahrens als wichtigem Steuerungsinstrument der Zuwanderung regelmäßig hinter dem gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutz von Ehe und Familie zurücktreten. Hierzu heißt es in der Fachanweisung weiter: „… Denn steht wegen des Vorliegens eines Rechtsanspruchs von vornherein fest, dass das Visum umgehend nach der Ausreise zu erteilen wäre, kommt der Nachholung des Visumverfahrens eine wesentliche Steuerungsfunktion, die eine Beeinträchtigung des gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gebotenen Schutzes von Ehe und Familie durch – vorübergehende – Trennung der Familienangehörigen rechtfertigen könnte, nicht mehr zu. Das Bestehen auf der Durchführung eines Visumverfahrens würde in solchen Fällen allein zu Arbeitsaufwand für die beteiligten Behörden sowie zu wirtschaftlichem Aufwand für die Betroffenen führen, ohne eine echte Funktion in der Steuerung der Zuwanderung zu erfüllen.“ Diese Gründe gelten grundsätzlich gleichermaßen im Fall des hier vorliegenden Ehegattennachzugs, bei dem der ausländische Ehepartner sich bereits im Bundesgebiet aufhält und einen Anspruch auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Familienzusammenführung hat. Die Beklagte hat keine Gründe angeführt und ihrer Entscheidung zugrunde gelegt, aus denen sich ergeben könnte, dass im Fall des Ehegattennachzugs der Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis weniger wiegt und die öffentlichen Interessen an der Einhaltung des Visumverfahrens ein höheres Gewicht haben als im Falle des Nachzugs von anderen Familienangehörigen.

85

2. Die Beklagte kann nicht zur Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis verpflichtet werden, da die Sache nicht spruchreif ist. Der Kläger hat keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Beklagte ihr Ermessen dahin ausübt, dass von der Durchführung des Visumverfahrens abgesehen wird.

86

Eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers ist vorliegend nicht gegeben. Auch unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen ist nicht ersichtlich, dass trotz des der Beklagten zukommenden Ermessensspielraums angesichts der konkreten Umstände des Einzelfalls nur die Erteilung des Aufenthaltstitels ermessensfehlerfrei wäre. Der mit der Nachholung des Visumverfahrens verbundene Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützte Rechtsposition des Klägers ist nicht so schwerwiegend, dass zwingend sogleich eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre. Wie ausgeführt, ergibt sich aus der Fachanweisung 1/2013 keine Bindung des Ermessens für den Fall des Ehegattennachzugs im Fall eines bestehenden Rechtsanspruchs auf eine Aufenthaltserlaubnis; dieser Fall ist nach der Verwaltungspraxis von der Fachanweisung nicht erfasst. Auch scheidet ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den in der Fachanweisung 1/2013 geregelten Fällen des Familiennachzugs aus, da es der Beklagten grundsätzlich unbenommen ist, eine etwa erforderliche Gleichbehandlung auf andere Weise, ggf. auch durch eine Änderung ihrer derzeitigen Entscheidungspraxis in Fällen des sonstigen Familiennachzugs, herzustellen.

87

Im Übrigen ist für das Berufungsgericht nicht abschätzbar, ob es über die von der Beklagten herangezogenen hinaus weitere Gründe gibt, trotz des bestehenden Rechtsanspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis den Kläger noch auf das Visumverfahren zu verweisen. Dass es derartige Gründe gibt, welche die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens berücksichtigen und zu den persönlichen Belangen des Klägers in ein angemessenes Verhältnis bringen dürfte, ist jedenfalls nicht auszuschließen.

88

Die Beklagte hat daher unter Beachtung der oben dargestellten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei das ihr bei der Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zustehende Ermessen (erneut) auszuüben.

II.

89

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

III.

90

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache wegen der höchstrichterlich nicht geklärten und in der Rechtsprechung umstrittenen Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Fall des Ehegattennachzugs zu einem deutschen Ehepartner grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Zusammenlebens mit seiner deutschen Ehefrau.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Im Dezember 2002 wurde er in Hamburg ohne Aufenthaltserlaubnis aufgegriffen, vorläufig festgenommen und im Februar 2003 wegen illegalen Aufenthalts ausgewiesen. Der Kläger reiste dann nach eigenen Angaben in die Türkei aus. Im April 2011 sprach er erneut bei der Ausländerbehörde der Stadt Hamburg vor und beantragte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, um seine Verlobte, eine deutsche Staatsangehörige, heiraten zu können. Er gab an, im März 2010 mit Hilfe eines Schleppers auf dem Landweg in die Bundesrepublik eingereist zu sein und hier Arbeit gesucht zu haben. Die Beklagte erteilte dem Kläger im April 2011 eine Duldung, die fortwährend verlängert wurde. Im August 2011 heiratete er seine Verlobte. Gegen die Ausweisung aus dem Jahr 2003 erhob der Kläger Widerspruch. Daraufhin teilte ihm die Beklagte mit, sie betrachte die Ausweisungsverfügung aus dem Jahr 2003 als nicht erlassen, da eine ordnungsgemäße Zustellung bis heute nicht erfolgt und auch nicht mehr beabsichtigt sei. Die Ausweisung werde daher im Register gelöscht.

3

Durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 11. August 2011 wurde der Kläger wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit illegalem Aufenthalt von März 2010 bis April 2011 zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Mit Bescheid vom 1. September 2011 lehnte die Beklagte seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG und nach § 25 Abs. 5 AufenthG ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie zurück.

4

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 10. April 2014 (InfAuslR 2014, 426) die verwaltungsgerichtliche Entscheidung geändert und die Beklagte verpflichtetet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Den Hilfsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht weiterverfolgt.

5

Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger erfülle nicht nur die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für die beantragte Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 30 AufenthG, sondern zugleich die für jeden Aufenthaltstitel erforderlichen allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG. Dies gelte auch für die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dass kein Ausweisungsgrund vorliegen darf. Ein Ausweisungsgrund im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG liege dann vor, wenn einer der Tatbestände der §§ 53 bis 55 AufenthG erfüllt sei. Das sei hier zwar der Fall. Der Kläger habe durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt bis April 2011 einen nicht geringfügigen Rechtsverstoß im Sinne von § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG begangen. Allerdings liege hier eine Ausnahme vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Die besonderen, einen atypischen Sachverhalt begründenden Umstände beruhten darauf, dass der Kläger mit einer deutschen Staatsangehörigen in ehelicher Lebensgemeinschaft lebe und der Ausweisungsgrund allein in der Einreise ohne das erforderliche Visum und dem anschließenden Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bestehe. In diesem Fall sei es nicht erforderlich, zur Abwehr von Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit die Aufenthaltserlaubnis zu versagen, weil derartige Beeinträchtigungen nicht mehr zu erwarten seien. Dem Ausweisungsgrund der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts komme hier seine typisierte Gefahrenabwehrfunktion nicht mehr zu. Eine zukünftige Wiederholung der Verstöße gegen die Einreisevorschriften sei bei einem deutschverheirateten Ausländer grundsätzlich ausgeschlossen. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitere auch nicht daran, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist sei. Zwar erfülle er die weitere Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Doch lägen die Voraussetzungen vor, nach denen hiervon gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden könne. Denn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis seien erfüllt. Dies sei auch dann der Fall, wenn zwar eine regelhaft zu erfüllende Anspruchsvoraussetzung - hier nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - nicht vorliege, dies jedoch unschädlich sei, weil ein Ausnahmefall gegeben sei.

6

Die Entscheidung der Beklagten, von der Einhaltung des Visumverfahrens nicht gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG abzusehen, sei fehlerhaft. Die Beklagte habe in den angefochtenen Bescheiden das ihr nach § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG eröffnete Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt. Da eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten des Klägers nicht vorliege, sei die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erneut zu entscheiden und dabei das ihr zustehende Ermessen (erneut) auszuüben.

7

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Sie vertritt die Auffassung, das Berufungsurteil beruhe auf einem fehlerhaften Verständnis vom Regelfall eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Für die Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG komme es nicht darauf an, ob aufgrund der konkreten Umstände eine Ausweisung möglich sein, sondern darauf, ob objektiv und abstrakt einer der gesetzlichen Ausweisungsgründe vorliege. Das sei hier in Gestalt der begangenen Straftat der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthalts der Fall (§ 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG). Auf die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten komme es insoweit nicht an. Auch die Nichteinhaltung des Visumverfahrens stehe der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen.

8

Der Kläger verteidigt die angefochtenen Urteile. Ergänzend weist er darauf hin, dass im vorliegenden Fall vom Erfordernis des Visumverfahrens abgesehen werden könne, weil ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bestehe. Ein Rechtsanspruch liege vor, wenn alle gesetzlichen Erteilungsvoraussetzungen vorlägen, auch wenn es sich um Ausnahmetatbestände handele. Im Übrigen sei die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft, weil sie die persönlichen Interessen des Klägers - u.a. an einer Vermeidung einer langen Trennung infolge des von ihm in der Türkei abzuleistenden Wehrdienstes - nicht zur Kenntnis genommen und bei ihrer Entscheidung berücksichtigt habe. Für den Fall, dass seinem Hauptbegehren auf Zurückweisung der Revision nicht entsprochen werde, beantragt der Kläger hilfsweise die Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu mehreren Fragen, die sich auf die Auslegung der Stillstandsklauseln des Assoziationsrechts EWG-Türkei sowie auf Art. 6 und Art. 10 ARB 1/80 beziehen (vgl. den in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz vom 9. Dezember 2014).

9

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgerichts beteiligt sich an dem Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass dem Kläger kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zustehe.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Einreise des Klägers und sein angestrebter Aufenthalt der Visumpflicht unterliegen (1.). Es hat aber unter Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG erfüllt sind, wenn sich ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis lediglich aus dem Vorliegen einer Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 AufenthG ergibt und deshalb von dem Visumerfordernis abgesehen werden kann (2.). Da es an einer Voraussetzung für den klageweise geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG fehlt, waren die vorinstanzlichen Urteile zu ändern und die Klage abzuweisen. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht (3.).

11

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, Urteil vom 30. Juli 2013 - BVerwG 1 C 15.12 - BVerwGE 147, 278 = Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 5, jeweils Rn. 7). Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung deshalb zutreffend die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes zur Änderung des Bundeszentralregistergesetzes und anderer registerrechtlicher Vorschriften zum Zweck der Zulassung der elektronischen Antragstellung bei Erteilung einer Registerauskunft vom 6. September 2013 (BGBl I S. 3556), zu Grunde gelegt. Seitdem hat sich die Rechtslage nicht geändert.

12

1. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis als Ehegatte einer Deutschen nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Es fehlt jedoch an der allgemeinen Voraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG.

13

Der Kläger ist im Jahr 2010 ohne Visum nach Deutschland eingereist. Er unterliegt als türkischer Staatsangehöriger aber der Visumpflicht für die Einreise und den Aufenthalt sowohl zum Zweck der Arbeitsaufnahme als auch zum Zweck der Familienzusammenführung nach §§ 4, 6 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 (ABI EG Nr. L 81 S. 1) und deren Anhang I. Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - BVerwGE 138, 122 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 1, jeweils Rn. 19).

14

a) Der Kläger war von der Visumpflicht nicht nach den Standstill-Regelungen des Assoziationsrechts EWG-Türkei befreit. Auf die Stillhalteklausel des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen vom 12. September 1963 (BGBl 1972 II S. 385) - Zusatzprotokoll (ZP) - kann der Kläger sich nicht berufen, denn er beabsichtigte zu keiner Zeit, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er strebt vielmehr die Aufnahme einer unselbständigen Arbeit an, wie vom Berufungsgericht festgestellt und vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt wurde. Die für türkische Arbeitnehmer geschaffenen Stillhalteregelungen des Art. 7 ARB 2/76 und des Art. 13 ARB 1/80 setzen jedoch einen ordnungsgemäßen Aufenthalt des Arbeitnehmers im Aufnahmestaat voraus, über den der Kläger nicht verfügt. Denn er ist illegal nach Deutschland eingereist, besitzt keine Aufenthaltserlaubnis und wird hier nur vorübergehend geduldet. Ein ordnungsgemäßer Aufenthalt liegt aber nur dann vor, wenn der türkische Staatsangehörige die Vorschriften des Aufnahmemitgliedstaats über die Einreise, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung beachtet hat, so dass seine Lage im Hoheitsgebiet dieses Staates rechtmäßig ist (so EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - Rs. C-225/12, Demir - NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 35 m.w.N.). Der Kläger kann auch von seiner Ehefrau kein Recht auf Beachtung der Stillhalteklausel des Art. 7 ARB 2/76 oder des Art. 13 ARB 1/80 ableiten mit der Folge, dass es allein auf deren ordnungsgemäßen Aufenthalt ankäme (vgl. dazu Urteil vom 6. November 2014 - BVerwG 1 C 4.14 - Rn. 15). Denn die Ehefrau ist deutsche und nicht türkische Staatsangehörige und kann daher ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht vermitteln. Damit kommt es nicht auf die Frage an, ob sich die Rechtslage hinsichtlich der Visumpflicht für türkische Staatsangehörige seit Inkrafttreten der Stillstandsregelungen zu Lasten der Betroffenen verändert hat.

15

b) Der Kläger kann die Aufenthaltserlaubnis auch nicht abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nach § 39 Nr. 5 AufenthV ohne vorherige Ausreise erlangen. Gemäß § 39 Nr. 5 AufenthV kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn seine Abschiebung nach § 60a AufenthG ausgesetzt ist und er auf Grund einer Eheschließung im Bundesgebiet während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben hat. Es kann offenbleiben, ob der Kläger die Voraussetzungen des § 60a AufenthG erfüllt, denn er hat während seines Aufenthalts in Deutschland keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erworben, wie dies § 39 Nr. 5 AufenthV voraussetzt. Denn unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 39 Nr. 5 AufenthV ist - ebenso wie bei § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. Urteil vom 16. November 2010 a.a.O., jeweils Rn. 24 m.w.N.). Einen solchen Anspruch hat der Kläger jedoch nicht erworben, da er die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt (dazu im Einzelnen Rn. 18 ff.). Auch insoweit kann sich der Kläger aus den oben ausgeführten Gründen nicht auf eine für ihn mögliche Veränderung der Rechtslage unter dem Gesichtspunkt des assoziationsrechtlichen Stand-Still berufen.

16

2. Vom Visumerfordernis kann - entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts - im vorliegenden Fall auch nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.

17

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass es für den Kläger nicht im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich nicht aus der verfahrensbedingten Trennung des Klägers von seiner Ehefrau. Zwar ist es möglich, dass es infolge der Nachholung des Visumverfahrens zu einer Trennung der Eheleute von 15 Monaten kommt, wenn der Kläger das Verfahren von der Türkei und nicht von einem Drittland zu betreiben hat und dann in der Türkei seiner Verpflichtung zur Wehrdienstleistung nachkommen muss. Der Senat verkennt nicht, dass eine mögliche Trennungszeit von dieser Dauer einen nicht unerheblichen Eingriff in die durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 8 EMRK geschützte eheliche Lebensgemeinschaft darstellt. Das Oberverwaltungsgericht sieht diesen Eingriff aber mit Recht als nicht unverhältnismäßig an. Denn der Kläger kommt mit der Wehrdienstleistung einer staatsbürgerlichen Pflicht nach, die auch bei Eheführung im Heimatland zu einer entsprechenden Trennung der Eheleute führen kann. Zudem war den Eheleuten bei Eingehung der Ehe bekannt, dass es wegen des noch nicht geleisteten Wehrdienstes in der Türkei zu einer hierdurch bedingten, zeitlich begrenzten Trennung kommen könnte - worauf bereits das Berufungsgericht hingewiesen hat. Der Kläger hat keine Gegenrügen gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erhoben, aus denen es das Fehlen von Gründen für eine Unzumutbarkeit im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG abgeleitet hat.

18

b) Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass ein Absehen vom Erfordernis der Durchführung des vorgeschriebenen Visumverfahrens auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil hier kein Anspruch auf Erteilung der erstrebten Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG vorliegt.

19

Unter einem „Anspruch“ im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsrecht - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG oder in § 39 Nr. 3 AufenthV - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen. Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (vgl. Urteil vom 16. November 2010 - BVerwG 1 C 17.09 - BVerwGE 138, 122 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 1, jeweils Rn. 24 zu § 39 Nr. 3 AufenthV; Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 = Buchholz 402.242 § 10 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 21 ff. zu § 10 Abs. 3 AufenthG). Von dieser Rechtsprechung des Senats weicht das Berufungsurteil ab, indem es auch im Fall einer Ausnahme von einer regelhaft zu erfüllenden Tatbestandsvoraussetzung einen Anspruch im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bejaht (UA S. 24).

20

Das in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vorgeschriebene Visumverfahren dient dem Zweck, die Zuwanderung nach Deutschland wirksam steuern und begrenzen zu können (vgl. Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 23.09 - BVerwGE 138, 353 = Buchholz 402.242 § 6 AufenthG Nr. 2, jeweils Rn. 20 unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung in BTDrucks 15/420 S. 70). Ausgehend von diesem Zweck sind Ausnahmen von der Visumpflicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG prinzipiell eng auszulegen (so auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: August 2013, § 5 Rn. 121). Das bedeutet für die Auslegung des Ausnahmetatbestands des Vorliegens eines gesetzlichen Anspruchs auf Erteilung der angestrebten Aufenthaltserlaubnis, dass sich ein solcher aus der typisierten gesetzlichen Regelung ergeben muss und Ausnahmetatbestände insoweit unberücksichtigt bleiben müssen. § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG wirkt auf diese Weise generalpräventiv dem Anreiz entgegen, nach illegaler Einreise Bleibegründe zu schaffen mit der Folge, dieses Verhalten mit einem Verzicht auf das vom Ausland durchzuführende Visumverfahren zu honorieren. Die bewusste Umgehung des Visumverfahrens darf nicht folgenlos bleiben, um dieses wichtige Steuerungsinstrument der Zuwanderung nicht zu entwerten (so schon Urteil vom 11. Januar 2011 a.a.O., jeweils Rn. 25).

21

Für den vorliegenden Fall kann daher offenbleiben, ob die vom Berufungsgericht als bedeutsam gewerteten Umstände der ehelichen Lebensgemeinschaft des Klägers mit einer Deutschen und die dadurch verminderte oder ganz entfallene Gefahr, dass der Kläger erneut Verstöße gegen Einreisevorschriften begehen wird, eine Ausnahme vom Regelerfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG begründen. Denn es fehlt jedenfalls an der Regelvoraussetzung dieser Vorschrift, dass kein Ausweisungsgrund vorliegen darf, da der Kläger durch seine illegale Einreise und den illegalen Aufenthalt den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt (vgl. Urteil vom 16. Juli 2002 - BVerwG 1 C 8.02 - BVerwGE 116, 378 <385> = Buchholz 402.240 § 21 AuslG Nr. 1 S. 6). Deswegen ist er im Übrigen auch strafgerichtlich verurteilt worden und diese Verurteilung ist auch noch nicht im Bundeszentralregister getilgt.

22

3. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV bedurfte es nicht. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Vorlage mehrerer Fragen an den Gerichtshof für den Fall angeregt, dass die Revision der Beklagten nicht zurückgewiesen wird. Die ersten drei Fragestellungen (1a, b und c) beziehen sich auf die Vereinbarkeit bestimmter nationaler Regelungen zur Visumerteilung und zu den Folgen von visumrechtlichen Verstößen mit den Stillhalteklauseln des Art. 13 ARB 1/80 und des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen EWG-Türkei. Die Voraussetzungen für die Einholung einer Vorabentscheidung zu diesen Fragen liegen jedoch nicht vor, weil sie nicht entscheidungserheblich sind. Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 14) kann sich der Kläger auf die assoziationsrechtlichen Stillhalteregelungen nicht berufen. Art. 41 des Zusatzprotokolls findet auf ihn keine Anwendung, denn er hatte zu keiner Zeit die Absicht, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Zur Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 7 ARB 2/76 und Art. 13 ARB 1/80 fehlt es am ordnungsgemäßen Aufenthalt des Klägers in Deutschland. Mit der vierten Fragestellung (Frage 2) möchte der Kläger geklärt wissen, ob bestimmte Verfahrensregeln in einem zukünftigen Visumverfahren bei einem subjektiven Anspruch auf Familienzusammenführung zu beachten seien. Eine Anrufung des Gerichtshofs zu dieser Frage scheidet deshalb aus, weil die rechtlichen Rahmenbedingungen eines künftigen Visumverfahrens nicht Streitgegenstand der vorliegenden Klage sind. Diese ist vielmehr auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Durchführung eines Visumverfahrens gerichtet.

23

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Die Klägerin erstrebt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen.

2

Die 1973 geborene Klägerin ist Staatsangehörige der Republik Weißrussland. Sie reiste am 1. August 2007 mit einem zunächst bis zum 29. August 2007 gültigen Schengen-Visum nach Deutschland ein. Das Visum wurde später bis zum 30. September 2007 verlängert. Im Visumverfahren hatte die Klägerin gegenüber der deutschen Auslandsvertretung in Minsk angegeben, sie wolle in Deutschland eine Freundin besuchen. Am 6. September 2007 heiratete sie während einer Kurzreise nach Dänemark einen deutschen Staatsangehörigen, kehrte anschließend mit diesem nach Deutschland zurück und beantragte am 18. September 2007 bei der Ausländerbehörde des Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Ehegattennachzugs. Diese lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. Oktober 2007 ab und drohte der Klägerin zugleich die Abschiebung an. Die Klägerin sei ohne das erforderliche nationale Visum eingereist, das man für auf Dauer gerichtete Aufenthaltszwecke benötige. Der Aufenthaltstitel könne auch nicht nach § 39 Nr. 3 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - im Bundesgebiet beantragt werden. Diese Bestimmung verlange, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden seien. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall, da der Anspruch mit der Heirat in Dänemark und damit vor der Einreise nach Deutschland entstanden sei. Von dem Erfordernis der Einholung eines nationalen Visums vom Ausland aus könne auch nicht im Rahmen des Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden.

3

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten verpflichtet, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung der Einreise mit dem erforderlichen Visum stehe dem geltend gemachten Anspruch nicht entgegen. Denn die Klägerin könne die Aufenthaltserlaubnis nach § 39 Nr. 3 AufenthV auch vom Bundesgebiet aus einholen, da der Anspruch nach der Einreise entstanden sei. Unter "Einreise" im Sinne der Vorschrift sei nämlich die erste Einreise in den Schengen-Raum zu verstehen. Da die Klägerin bereits am 1. August 2007 in den Schengen-Raum eingereist sei, sei die Ehe nach der Einreise geschlossen worden.

4

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit Urteil vom 16. Juli 2009 die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage abgewiesen. In der Begründung heißt es: Zwar lägen die besonderen Voraussetzungen für einen Ehegattennachzug nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG vor. Die Klägerin erfülle jedoch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil sie nicht mit dem für den beabsichtigten Daueraufenthalt erforderlichen Visum eingereist sei und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht habe. Sie sei entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch nicht nach § 39 Nr. 3 AufenthV von diesem Erfordernis befreit. Denn ihr Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nicht nach der Einreise entstanden. Es komme nach dieser Vorschrift auf die letzte vor der Antragstellung erfolgte Einreise in das Bundesgebiet an und nicht auf die Einreise in den Schengen-Raum. Dies ergebe sich u.a. aus dem Zweck der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs solle mit der Begrenzung der Privilegierung auf nach der Einreise entstandene Anspruchsfälle der missbräuchlichen Verwendung eines Schengen-Visums für einen von vornherein beabsichtigten langfristigen Aufenthalt entgegengewirkt werden. Dabei habe der Verordnungsgeber ausdrücklich die Heirat deutscher Staatsangehöriger in Dänemark vor Augen gehabt. Die Regelung begegne weder mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz noch mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie Bedenken. Eine andere Auslegung der Vorschrift sei schließlich auch unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten nicht geboten. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sei nicht einschlägig, weil der Ehemann der Klägerin nicht von seinem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht habe. Die Ermessensentscheidung des Beklagten, von dem Visumerfordernis nicht nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG zugunsten der Klägerin abzusehen, obwohl ihr ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zustehe, sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei der Ermessensausübung sei es erforderlich, die legitimen Interessen des Ausländers gegen das öffentliche Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Dem sei der Beklagte rechtsfehlerfrei nachgekommen. Er sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin das nationale Visumverfahren in offensichtlich missbräuchlicher Absicht umgangen habe und besondere Umstände, die eine vorübergehende Trennung von ihrem Ehemann mit Blick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRG als unzumutbar erscheinen ließen, weder dargetan noch ersichtlich seien.

5

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, das Berufungsgericht habe den Begriff der Einreise in § 39 Nr. 3 AufenthV fehlerhaft ausgelegt und dessen europarechtliche Prägung außer Acht gelassen. Die Auslegung des Berufungsgerichts führe zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Eheschließungen in Deutschland im Vergleich zu Eheschließungen in anderen Schengen-Staaten. Sie werde auch dem durch Art. 6 GG gewährleisteten Schutz der Ehe einschließlich der Eheschließungsfreiheit nicht gerecht. Außerdem sei vorliegend das Ermessen der Ausländerbehörde, von der Durchführung eines Visumverfahrens abzusehen, im Rahmen von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf Null reduziert. Das Bundesverwaltungsgericht habe bereits 1986 festgestellt, dass die Verweisung auf das Sichtvermerksverfahren unsinnig sei, wenn der weitere Aufenthalt des legal eingereisten Ausländers unbedenklich erlaubt werden könne.

6

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

7

Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 10. November 2010 darauf hingewiesen, dass die Klägerin ausweislich des in Ablichtung bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs im Visumverfahren auf die Rechtsfolgen falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen worden ist. Die sich aus dem Visumvorgang ergebenden Umstände sind mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von diesen nicht in Frage gestellt worden.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug ohne vorherige Durchführung eines nationalen Visumverfahrens verneint und den angefochtenen Bescheid als rechtmäßig bestätigt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes unterliegt (1.), dass sie die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Aufenthaltsgesetz - AufenthG - nicht erfüllt (2.a) und weder nach § 39 Aufenthaltsverordnung - AufenthV - hiervon befreit ist (2.b) noch verlangen kann, dass der Beklagte im Rahmen seines Ermessens nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG von dieser Erteilungsvoraussetzung absieht (2.c).

9

1. Zunächst ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Klagebegehren nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu beurteilen ist. Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ausgeschlossen, da die Rechtsstellung der Klägerin nicht von dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) erfasst wird. Denn nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und ihrer Familienangehörigen, nicht aber die Einreise und den Aufenthalt von Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger.

10

Allerdings unterfallen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ausnahmsweise auch Familienangehörige von Deutschen den unionsrechtlichen Nachzugsregelungen, nämlich dann, wenn es sich um sog. Rückkehrerfälle handelt (EuGH, Urteile vom 7. Juli 1992 - Rs. C-370/90, Singh - InfAuslR 1992, 341 und vom 11. Dezember 2007 - Rs. C-291/05, Eind - InfAuslR 2008, 114). Nach dieser Rechtsprechung kann sich der einem Drittstaat angehörende Ehegatte eines Unionsbürgers auch gegenüber dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht berufen, wenn der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen hat, der Ehegatte ihn in den anderen Mitgliedstaat begleitet hat oder ihm nachgezogen ist und sich mit ihm dort aufgehalten hat. Dies gilt auch, wenn die Ehe erst in dem anderen Mitgliedstaat geschlossen wurde, und ist unabhängig von dem Zeitpunkt der Einreise und der Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthalts des Ehegatten in dem Staat der Staatsangehörigkeit des Unionsbürgers (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 27 ff., 45) oder dem anderen Mitgliedstaat (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - Rs. C-127/08, Metock - NVwZ 2008, 1097 Rn. 48 ff.). Nach der Rechtsprechung des EuGH erfordert es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts des Unionsbürgers, dass in diesen Fällen der drittstaatsangehörige Ehegatte bei einer gemeinsamen Rückkehr in den Herkunftsstaat des Unionsbürgers auch dort ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht hat.

11

Dieses Recht darf von den Mitgliedstaaten grundsätzlich keinen weiteren Voraussetzungen als dem Nachweis der Identität und der Ehe unterworfen werden. Insbesondere darf nicht ein "Aufenthaltsvisum zum Zweck der Familienzusammenführung" verlangt werden (EuGH, Urteil vom 14. April 2005 - Rs. C-157/03, Kommission/Spanien - Slg. 2005, I-2911 Rn. 28). Selbst die Einreise ohne ein zulässigerweise gefordertes Einreisevisum in Gestalt eines Schengen-Visums darf allenfalls zur Belegung mit Verwaltungssanktionen, nicht aber zur Versagung des Aufenthaltsrechts und erst recht nicht zur Entfernung aus dem Hoheitsgebiet führen (EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002 - Rs. C-459/99, MRAX - InfAuslR 2002, 417 Rn. 56 und 59). Ob bei Bestehen eines solchen unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Deutschen die Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend anzuwenden sind (vgl. Hailbronner, AuslR, § 1 FreizügG/EU Rn. 2 und 14; VG Darmstadt, Beschluss vom 6. Oktober 2010 - 5 L 492/10.DA - S. 4 f.; wohl auch OVG Bremen, Beschluss vom 17. August 2010 - 1 B 166/10 - InfAuslR 2011, 1) oder ob eine unionsrechtskonforme Handhabung durch unmittelbaren Rückgriff auf das Unionsrecht sicherzustellen ist (vgl. Epe, in: GK-AufenthG, § 1 FreizügG/EU Rn. 26), braucht hier nicht abschließend geklärt zu werden. Aus Sicht des Senats sprechen durchaus gute Gründe für eine analoge Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU mit der Folge, dass bei Vorliegen eines sog. Rückkehrerfalles nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auch die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes ausgeschlossen ist. Das würde allerdings nicht bedeuten, dass in allen Fällen des Nachzugsbegehrens von Drittstaatsangehörigen zu ihrem deutschen Ehegatten vor einer Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auch stets eine Feststellung über das Nichtbestehen eines Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU gemäß § 11 Abs. 2 FreizügG/EU erforderlich wäre. Denn diese Regelung beruht auf der Vermutung eines Freizügigkeitsrechts zugunsten der in § 1 FreizügG/EU genannten Personen, die bei Familienangehörigen deutscher Staatsangehöriger gerade nicht besteht, und dürfte daher von einer entsprechenden Anwendung der Regelungen des Freizügigkeitsgesetzes/EU in Rückkehrerfällen ausgenommen sein.

12

Die vorstehend aufgeworfene Rechtsfrage bedarf hier keiner abschließenden Klärung, weil bei der Klägerin die Voraussetzungen eines sog. Rückkehrerfalles im Sinne der Rechtsprechung des EuGH nicht vorliegen. Denn ihr deutscher Ehemann hat durch die Kurzreise nach Dänemark und die dortige Heirat nicht in so nachhaltiger Weise von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht, dass es die praktische Wirksamkeit des Freizügigkeitsrechts erforderte, der Klägerin einen unionsrechtlichen Nachzugsanspruch zuzubilligen. Dabei kann dahinstehen, ob und in welchem Umfang der Ehemann der Klägerin bei seiner Kurzreise nach Dänemark durch Inanspruchnahme von Dienstleistungen von seinem wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht in Gestalt der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch gemacht hat. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die Anwendung der in den sog. Rückkehrerfällen entwickelten Grundsätze nicht mehr notwendig ein Gebrauchmachen des Unionsbürgers von den wirtschaftlichen Grundfreiheiten voraus (zum wirtschaftlichen Freizügigkeitsrecht durch Erbringung von Dienstleistungen vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - Rs. C-60/00, Carpenter - Slg. 2002, I-6279). Vielmehr kann auch ein Gebrauchmachen von dem allgemeinen mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEUV geeignet sein, die Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Familiennachzugsregeln zu begründen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Chen - InfAuslR 2004, 413 Rn. 34 ff.). Dennoch genügt, wie die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen, nicht jede auch noch so geringfügige Ausübung des Freizügigkeitsrechts durch den Unionsbürger. Vielmehr ist für eine "Mitnahme" des Freizügigkeitsstatus in den Heimatstaat und eine entsprechende Begünstigung des drittstaatsangehörigen Ehegatten erforderlich, dass der Unionsbürger mit einer gewissen Nachhaltigkeit von seiner Freizügigkeit Gebrauch macht (so auch die ganz überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung: VGH Mannheim, Beschluss vom 25. Januar 2010 - 11 S 2181/09 - InfAuslR 2010, 143; VGH München, Beschluss vom 29. September 2009 - 19 CS 09.1405 - juris Rn. 8; VG Darmstadt, Beschluss vom 23. Oktober 2009 - 5 L 557/09.DA(2) - InfAuslR 2010, 67; nachgehend VGH Kassel, Beschluss vom 22. Januar 2010 - 3 B 2948/09 - juris Rn. 16 ff.). Würde bereits jeder kurzfristige, von vornherein nicht auf eine gewisse Dauer angelegte Aufenthalt eines Unionsbürgers in einem anderen Mitgliedstaat - etwa zu touristischen Zwecken - für einen unionsrechtlich begründeten Nachzugsanspruch des mitreisenden drittstaatsangehörigen Ehegatten bei Rückkehr in den Heimatstaat ausreichen, liefe das Recht der Mitgliedstaaten zur Regelung von Einreise und Aufenthalt für den einem Drittstaat angehörenden Ehegatten oder sonstige Familienangehörige ihrer eigenen Staatsbürger weitgehend leer. Dieses Recht der Mitgliedstaaten hat der EuGH in seinen Entscheidungen aber immer wieder ausdrücklich anerkannt und betont, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (EuGH, Urteile vom 25. Juli 2008 a.a.O. Rn. 77 und vom 1. April 2008 - Rs. C-212/06, Gouvernement de la Communauté française etc. - Slg. 2008, I-1683 Rn. 39 m.w.N.). Insofern kann der Rechtsprechung des EuGH zu den Rückkehrerfällen eine Art Bagatellvorbehalt entnommen werden, nach dem - angesichts der erheblichen Rechtsfolgen des Gebrauchmachens von der Freizügigkeit im Rückkehrfall - auch dieses Gebrauchmachen selbst von einer gewissen Erheblichkeit bzw. Nachhaltigkeit sein muss. In die gleiche Richtung gehen auch die Überlegungen der Kommission zu einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Unionsrechts in diesem Zusammenhang, die die Begründung eines tatsächlichen und effektiven Aufenthalts in dem anderen Mitgliedstaat, d.h. der Sache nach in der Regel einen Umzug des Unionsbürgers, für erforderlich hält (Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 2. Juli 2009, KOM(2009) 313 endgültig, S. 19 f.).

13

Wo im Einzelnen die Grenze zu ziehen ist, von der an das Gebrauchmachen von den unionsrechtlichen Freizügigkeits- und Aufenthaltsrechten in einem anderen Mitgliedstaat als ausreichend nachhaltig angesehen werden kann, um bei Rückkehr in den Heimatstaat ein unionsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht des drittstaatsangehörigen Ehegatten zu rechtfertigen, und ob eine verallgemeinerungsfähige Konkretisierung insoweit überhaupt möglich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall ist durch den kurzfristigen, nur wenige Tage dauernden gemeinsamen Aufenthalt der Klägerin und ihres Ehemannes in Dänemark diese Grenze zweifellos nicht erreicht. Deshalb erübrigt sich auch eine Vorlage an den EuGH.

14

Die Notwendigkeit einer solchen Vorlage ergibt sich auch nicht aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in der der Großen Kammer des EuGH zugewiesenen Rechtssache C-34/09 - Zambrano - vom 30. September 2010. Die Generalanwältin hat darin grundsätzlich die Frage aufgeworfen, ob ein Unionsbürger sich gegenüber dem Staat seiner Staatsangehörigkeit auch ohne vorheriges Gebrauchmachen von der Freizügigkeit auf seine Rechte als Unionsbürger - einschließlich des damit verbundenen Anspruchs auf Familiennachzug nach unionsrechtlichen Regeln - berufen kann. Nach ihrer Auffassung ist eine solche Inländerdiskriminierung unionsrechtlich unzulässig. Dies widerspricht allerdings der bisherigen gefestigten Rechtsprechung des EuGH, nach der Unionsrecht auf rein innerstaatliche Sachverhalte keine Anwendung findet und über etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden ist (neben den oben zitierten Urteilen vom 25. Juli 2008 und 1. April 2008 auch Urteil vom 5. Juni 1997 - Rs. C-64/96 und C-65/96, Uecker und Jacquet - Slg. 1997, I-3171 Rn. 23). Dies hat der EuGH auf einen ähnlichen Vorstoß der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 28. Juni 2007, Rn. 121 in der Rechtssache C-212/06 durch Urteil vom 1. April 2008 a.a.O., Rn. 37 bis 39 ausdrücklich bestätigt. Aus Sicht des Senats stellt sich angesichts dieser eindeutigen Rechtsprechung derzeit insoweit keine europarechtliche Zweifelsfrage.

15

Die Anwendung des Aufenthaltsgesetzes auf inländische Unionsbürger, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der Verpflichtung zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben und der dadurch bedingten Betroffenheit unterschiedlicher Rechtskreise überhaupt gleiche oder vergleichbare Sachverhalte im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1989 - 1 BvR 986/89 - NJW 1990, 1033 und vom 13. Juni 2006 - 1 BvR 1160/03 - BVerfGE 116, 135 <159>). Denn die aus dem Nebeneinander von Unionsrecht und nationalem Recht entstehende Ungleichbehandlung ist jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Ist eine Übertragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf Familienangehörige von inländischen Unionsbürgern, die von ihrem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht haben, unionsrechtlich nicht geboten, liegen hinreichend gewichtige Gründe vor, dass in diesen Fällen die für alle nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer geltenden Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts zur Anwendung kommen (vgl. Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 Rn. 40).

16

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind daher die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten.

17

Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug zu einem Deutschen gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG erfordert neben dem Vorliegen der dort genannten Anspruchsvoraussetzungen grundsätzlich auch, dass die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist, d.h. dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist (Nr. 1) und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat (Nr. 2). Etwas anderes gilt nur, wenn der Ausländer nach § 39 AufenthV berechtigt ist, die Aufenthaltserlaubnis nach der Einreise einzuholen, oder ein Absehen von dieser Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG in Betracht kommt.

18

a) Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht erfüllt. Sie ist nicht mit einem zum Zweck des Ehegattennachzugs erteilten nationalen Visum gemäß § 6 Abs. 4 AufenthG eingereist und hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die für dessen Erteilung erforderlichen Angaben nicht bereits im Visumantrag gemacht.

19

Die Klägerin ist mit einem Schengen-Visum für einen Kurzaufenthalt von bis zu drei Monaten im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG und damit nicht unerlaubt im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist (vgl. zur Auslegung dieser Vorschrift: BTDrucks 15/420 S. 73 und BGH, Urteil vom 27. April 2005 - 2 StR 457/04 - NJW 2005, 2095). Für einen längerfristigen Aufenthalt ist aber gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 AufenthG - vorbehaltlich der oben genannten Ausnahmen - ein Visum für das Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird und der Zustimmung der zuständigen Ausländerbehörde bedarf (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV). Welches Visum im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG als das erforderliche Visum anzusehen ist, bestimmt sich nach dem Aufenthaltszweck, der mit der im Bundesgebiet beantragten Aufenthaltserlaubnis verfolgt wird (so auch die ganz überwiegende Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte: neben dem Berufungsurteil etwa VGH Kassel, Beschluss vom 16. März 2005 - 12 TG 298/05 - NVwZ 2006, 111; VGH Mannheim, Beschluss vom 14. März 2006 - 11 S 1797/05 - juris Rn. 12 ff.; OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. August 2008 - 13 ME 131/08 - juris Rn. 3; OVG Bremen, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 1 B 552/08 - juris Rn. 30; zur alten Rechtslage noch offenlassend, Urteil vom 18. Juni 1996 - BVerwG 1 C 17.95 - BVerwGE 101, 265 <267>). Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht neben ihrer systematischen Stellung bei den allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln auch der Sinn und Zweck der Regelung. Sie dient anders als § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht primär der Verhinderung oder Sanktion einer unerlaubten Einreise, sondern soll die Einhaltung des Visumverfahrens als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung gewährleisten (BTDrucks 15/420 S. 70). Diesem Zweck der Vorschrift wird eine weite, auch nachträgliche Änderungen des Aufenthaltszwecks erfassende Auslegung der Vorschrift am ehesten gerecht. Nur bei einem solchen Verständnis der Vorschrift erlangen im Übrigen die in § 39 Nr. 2, 3 und 6 AufenthV vorgesehenen Ausnahmen eine eigenständige Bedeutung. In den dort geregelten Fällen einer nachträglichen Änderung des Aufenthaltszwecks würde andernfalls schon nach § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Beantragung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet zulässig sein.

20

Da die Klägerin "nur" mit einem Schengen-Visum und nicht mit dem nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen nationalen Visum eingereist ist, fehlt es - ungeachtet des Umstandes, dass sie auch nicht die für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Eheschließung und Eheführung erforderlichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat - an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG.

21

b) Die Klägerin ist auch nicht nach den auf § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG beruhenden Regelungen der §§ 39 ff. AufenthV ausnahmsweise berechtigt, den Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einzuholen, und damit von dem Visumerfordernis befreit.

22

Die im Fall der Klägerin allein in Betracht kommende Regelung in § 39 Nr. 3 AufenthV ist in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes (vgl. Art. 7 Abs. 4 Nr. 13 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007, BGBl I S. 1970) anzuwenden. Umstände, die es aus Gründen des Vertrauensschutzes gebieten würden, abweichend von dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der aktuellen Rechtslage ausnahmsweise auf die zuvor geltende Rechtslage abzustellen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 - InfAuslR 2008, 129), liegen im Fall der Klägerin nicht vor. Denn die für die Anwendung der Vorschrift maßgebliche Eheschließung fand ebenso wie die Beantragung der Aufenthaltserlaubnis erst nach Inkrafttreten der Rechtsänderung statt, so dass es schon deshalb an einem unter Geltung der alten Rechtslage ins Werk gesetzten Vertrauen fehlt. Abgesehen davon kommt es, wie die folgenden Ausführungen zeigen, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts bei der Klägerin auch nicht entscheidend auf diese Rechtsänderung an.

23

Nach § 39 Nr. 3 AufenthV in der hier anzuwendenden neuen Fassung kann ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind. In der alten Fassung lautete der letzte Halbsatz: "..., sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erfüllt sind." Die Klägerin, für die allein die zweite Alternative der Vorschrift in Betracht kommt, war zwar bei der Stellung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug im Besitz eines gültigen Schengen-Visums für kurzfristige Aufenthalte, bei ihr liegen aber trotz der Heirat eines Deutschen nicht die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV vor, weil sie den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht hat und deshalb die Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, von der beim Familiennachzug gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Rahmen des behördlichen Ermessens abgesehen werden kann, nicht erfüllt.

24

Unter einem "Anspruch" im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ist ebenso wie bei vergleichbaren Formulierungen im Aufenthaltsgesetz - etwa in § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG - grundsätzlich nur ein strikter Rechtsanspruch zu verstehen (Urteil vom 16. Dezember 2008 - BVerwG 1 C 37.07 - BVerwGE 132, 382 Rn. 24 m.w.N.). Ein solcher Rechtsanspruch liegt nur dann vor, wenn alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind und die Behörde kein Ermessen mehr auszuüben hat (a.a.O. Rn. 21 ff.). Das ist bei der Klägerin nicht der Fall. Sie hat bei der Beantragung des Schengen-Visums bei der deutschen Auslandsvertretung in Minsk im Juli 2007 falsche Angaben zum Zweck der Erlangung dieses Visums gemacht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat sie seinerzeit angegeben, nur zu Besuchszwecken einreisen zu wollen, obwohl sie, wie die Reisechronologie belegt, von vornherein dauerhaft in Deutschland bleiben wollte (UA S. 15 f.). Von diesen nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren auszugehen (§ 137 Abs. 2 VwGO). Die Klägerin ist ferner ausweislich des bei den Gerichtsakten befindlichen Visumvorgangs ausdrücklich auf die Rechtsfolgen falscher und unvollständiger Angaben hingewiesen worden. Dies ist nach der Erörterung dieses Umstandes in der Revisionsverhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit hat die Klägerin den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG sowohl in der zum Zeitpunkt der Beantragung des Visums geltenden Fassung des Aufenthaltsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) als auch in der jetzigen, seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes geltenden Fassung (§ 55 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AufenthG) erfüllt.

25

Dieser Ausweisungsgrund ist auch im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV zu berücksichtigen und steht der Annahme eines strikten Rechtsanspruchs im Sinne dieser Vorschrift entgegen. Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise angenommen wird, dass § 39 Nr. 3 AufenthV gerade bei einer Eheschließung nach der Einreise auch den Fall eines von vornherein beabsichtigten Daueraufenthalts erfassen solle und deshalb der Ausweisungsgrund, der auf dem entsprechenden Verstoß gegen die Visumvorschriften beruhe, bei Anwendung dieser Vorschrift außer Betracht bleiben müsse (so OVG Münster, Beschluss vom 16. September 2008 - 19 B 871/08 - im Anschluss an VG Aachen, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 8 L 445/07 - zu § 39 Nr. 5 AufenthV, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenso die überwiegende obergerichtliche Rechtsprechung: vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 10. Juni 2010 - 18 B 606/10 - juris Rn. 8 ff.; VGH Mannheim, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 - InfAuslR 2008, 444; VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2009 - 10 CS 09.853 - InfAuslR 2009, 291). Die Vorschrift des § 39 Nr. 3 AufenthV befreit nur von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG; die selbständige Regelerteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bleibt aber weiterhin zu beachten. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 39 Nr. 3 AufenthV. Diese Vorschrift soll nur diejenigen Ausländer begünstigen, die im Schengen-Visumverfahren zutreffende Angaben gemacht haben und bei denen sich aufgrund nach der Einreise eingetretener neuer Umstände der Aufenthaltszweck geändert hat. Sie soll aber nicht den Versuch privilegieren, einen von Anfang an beabsichtigten Daueraufenthalt in Deutschland unter Umgehung der nationalen Visumvorschriften durchzusetzen. Andernfalls würde die bewusste Umgehung des Visumverfahrens folgenlos bleiben und dieses Verfahren als wichtiges Steuerungsinstrument der Zuwanderung entwertet. Dieser schon mit der ursprünglichen Fassung der Vorschrift verfolgte Regelungszweck (vgl. BRDrucks 731/04 S. 182 f.) wird in der Begründung der Neufassung der Vorschrift durch das Richtlinienumsetzungsgesetz noch stärker zum Ausdruck gebracht (BTDrucks 15/5065 S. 240).

26

Da § 39 Nr. 3 AufenthV schon mangels eines strikten Rechtsanspruchs der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht eingreift, kommt es auf die vom Berufungsgericht erörterte Auslegung des Begriffs der Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV nicht mehr an.

27

c) Ein Absehen von der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt auch nicht nach Satz 2 der Vorschrift in Betracht, da die Klägerin schon die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine solche Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde nicht erfüllt. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von dem Erfordernis eines Visumverfahrens nach Satz 1 abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Ebenso wie im Rahmen von § 39 Nr. 3 AufenthV setzt die erste Alternative der Vorschrift einen strikten Rechtsanspruch voraus, der wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Fall der Klägerin nicht besteht. Die Klägerin erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der zweiten Alternative der Vorschrift. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegen besondere Umstände, die es der Klägerin unzumutbar machen, das Bundesgebiet vorübergehend zur Nachholung des Visumverfahrens zu verlassen, nicht vor (UA S. 16). Allein der Umstand, dass die Eheleute möglicherweise eine vorübergehende Trennung für die übliche Dauer des Visumverfahrens hinnehmen müssen, reicht hierfür auch unter Berücksichtigung des Schutzes der Ehe durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht aus.

28

Um Missverständnisse zu vermeiden, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG der Klägerin im Fall einer Ausreise zur Nachholung des nationalen Visumverfahrens nicht mehr entgegengehalten werden kann.

29

Die Abschiebungsandrohung in dem angefochtenen Bescheid ist nach alledem ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.

(1) Vom Einkommen abzusetzen sind

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a)
zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b)
zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4.
geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag,
8.
bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Einkommen nach dem Vierten Abschnitt des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 67 oder § 126 des Dritten Buches bei der Berechnung der Leistungen der Ausbildungsförderung für mindestens ein Kind berücksichtigt wird, der nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung berücksichtigte Betrag.
Bei der Verteilung einer einmaligen Einnahme nach § 11 Absatz 3 Satz 4 sind die auf die einmalige Einnahme im Zuflussmonat entfallenden Beträge nach den Nummern 1, 2, 5 und 6 vorweg abzusetzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt.

(2a) § 82a des Zwölften Buches gilt entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 der Betrag nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die

1.
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
2.
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen,
3.
einem Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz nachgehen oder
4.
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen außerhalb der in § 11a Absatz 7 genannten Zeiten erwerbstätig sind; dies gilt nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen auch bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats.
Bei der Anwendung des Satzes 1 Nummer 3 gilt das Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes und nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, tritt in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 an die Stelle des Betrages nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches der Betrag von 250 Euro monatlich. Sofern die unter Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Personen die in § 11a Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 bis 5 genannten Leistungen, Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder einen Unterhaltsbeitrag nach § 10 Absatz 2 des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes erhalten, ist von diesen Leistungen für die Absetzbeträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag in Höhe von mindestens 100 Euro abzusetzen, wenn die Absetzung nicht bereits nach Satz 1 oder nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt ist. Satz 4 gilt auch für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 520 Euro beträgt, auf 20 Prozent,
2.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 520 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 30 Prozent und
3.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro. In den Fällen des Absatzes 2b ist Satz 2 Nummer 1 nicht anzuwenden.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Juni 2009 – 8 K 73/09 – geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 30. September 2008 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 5. Dezember 2008 verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der 1970 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahre 1992 längerfristig zu seiner seit 1971 in Stuttgart lebenden Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich hier bis zum Jahre 1996 geduldet auf. Am 13. März 1994 wurde sein aus einer nicht-ehelichen Beziehung hervorgegangener Sohn Aleksander geboren, der in der Folgezeit bei der Mutter in xxx lebte. Am 3. November 1995 heiratete er in Stuttgart die slowenische Staatsangehörige M. xxx. Während dieses Aufenthalts wurde der Kläger, wie folgt, strafgerichtlich verurteilt:
- Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. Februar 1991 wegen Beihilfe zum Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 DM.
- Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 21. Juli 1993 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30,00 DM.
- Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 4. April 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Der Kläger verließ am 22. Dezember 1996 das Bundesgebiet.
Im Januar 1999 reiste er mit einem von der französischen Botschaft in Belgrad für einen Besuchsaufenthalt ausgestellten Schengenvisum erneut in das Bundesgebiet ein und beantragte zunächst am 15. März 1999 die Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zwecke des Ehegattennachzugs zu seiner Ehefrau. Der Antrag wurde durch Verfügung der Beklagten vom 4. Januar 2000 abgelehnt, nachdem die eheliche Lebensgemeinschaft jedenfalls im September 1999 aufgelöst worden war. Am 16. Oktober 2000 stellte der Kläger einen Asylantrag. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 17. September 2001 ab und stellte gleichzeitig fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen und auch keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG bestehen. Der Kläger wurde unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgefordert.
Der Kläger lebt seit dem Jahre 2001 in Stuttgart in nicht-ehelicher (häuslicher) Lebensgemeinschaft mit der bosnischen Staatsangehörigen xxx xxx. Aus dieser Beziehung sind eine am 25. März 1999 geborene Tochter und ein am 13.Oktober 2001 geborener Sohn hervorgegangen, die die bosnische Staatsangehörigkeit besitzen. Für beide Kinder hat der Kläger die Vaterschaft anerkannt. Nach den Sorgerechtserklärungen der Eltern vom 8. Juli 2005 üben sie das Sorgerecht für beide Kinder gemeinsam aus. Für Frau xxx wurde aufgrund einer rechtskräftigen Verpflichtung durch das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 25. Juli 2003 (A 16 K 10520/02) vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Rücksicht auf ihre Erkrankung an einer posttraumatischen Belastungsstörung das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG festgestellt. Frau xxx und die Kinder sind im Besitz von Aufenthaltstiteln nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
Der Kläger beantragte am 9. Juli 2008, wie bereits schon am 25. Juni 2002, 25. Januar 2005 und 18. April 2007, die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen, insbesondere nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Zur Begründung verwies er u. a. auf seine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit xxx- xxx und ihren zwei gemeinsamen Kindern.
Nach seiner Wiedereinreise im Jahre 1999 wurde der Kläger, wie folgt, strafgerichtlich verurteilt:
10 
- Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 5. März 2002 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 5,00 EUR.
11 
- Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 16. September 2002 wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 5,00 EUR, wobei mit Entscheidung vom 20. Januar 2003 nachträglich unter Einbeziehung der früheren Entscheidungen vom 16. September 2002 und 5. März 2002 eine Gesamtstrafe von 40 Tagessätzen zu je 5,00 EUR gebildet wurde.
12 
- Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 19. August 2004 wegen unerlaubter Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 EUR.
13 
- Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt vom 18. Januar 2008 wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20,00 EUR.
14 
Mit Verfügung vom 30. September 2008 - zugestellt am 6. Oktober 2008 - lehnte die Beklagte sämtliche vom Kläger gestellten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab und führte zur Begründung aus: Die bisherigen strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers stellten einen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG dar. Damit erfülle der Kläger die Voraussetzungen der bundesgesetzlichen Altfallregelung des § 104a AufenthG nicht. Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG könne einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig sei, jedoch abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn dessen Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen sei. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis scheitere am Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, insbesondere weil Ausweisungsgründe nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorlägen. Der Kläger habe in regelmäßigen Abständen Rechtsvorschriften missachtet und sei zu Geld- und Freiheitsstrafen verurteilt worden. Die Ausländerbehörde dürfe beim Vorliegen von Ausweisungsgründen, wie im Falle des Klägers, keine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Ein atypischer Geschehensablauf sei vorliegend nicht gegeben, so dass ein Abweichen von der Regel nicht in Betracht komme. Allerdings ermögliche es § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Anwendung des § 5 Abs. 1 AufenthG abzusehen. lm Rahmen des der Behörde eröffneten Ermessens dürfe sich diese davon leiten lassen, dass der Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstehen dürfen. Ob dies der Fall sei, berücksichtige sie nach der Art und Schwere der Verstöße, nach der vom Ausländer ausgehenden Gefahr und der Nachhaltigkeit, mit der er Rechtsverstöße begehe, unter Beachtung der Dauer seines Aufenthalts. Der Kläger habe seit seiner Einreise in regelmäßigen Abständen gegen Rechtsnormen verstoßen. Neben mehreren Verkehrsdelikten lägen Delikte der gefährlichen Körperverletzung, der veruntreuenden Unterschlagung, der unerlaubten Erwerbstätigkeit und des Betrugs vor. Dabei sei besonders markant, dass das Betrugsdelikt erst vor kurzem begangen worden sei. Dieses erst kürzlich begangene Delikt lasse befürchten, dass sich der Kläger auch künftig nicht straffrei führen werde. Die regelmäßig begangenen Verstöße überstiegen auch die Grenze, die im Rahmen einer Aufenthaltsverfestigung außer Betracht bleiben könnten. Aus den vorgenannten Gründen könne beim Kläger auch kein Absehen von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 3 AufenthG in Betracht kommen. Damit scheitere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG bereits an § 5 Abs. 1 und 3 AufenthG, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen eines rechtlichen Ausreisehindernisses nach Art. 6 GG aufgrund der familiären Verbundenheit mit den leiblichen Kindern und der Lebensgefährtin vorlägen. Sonstige Gründe, die diese Entscheidung als unverhältnismäßig oder als Härte erscheinen ließen, seien nicht bekannt bzw. vorgetragen worden.
15 
Der Kläger erhob am 7. Oktober 2008 Widerspruch, der vom Regierungspräsidium Stuttgart mit am 8. Dezember 2008 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2008 zurückgewiesen wurde. ln seiner Begründung führte das Regierungspräsidium Stuttgart ergänzend aus: Im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG könnten Ausweisungstatbestände außer Betracht bleiben, die auch eine Aufenthaltsverfestigung nicht verhinderten (§ 9 Abs. 2 Nr. 4 AufenthG). Eine positive Ermessensentscheidung komme dann nicht in Betracht, wenn Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der Schwere oder Art des Verstoßes gegen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder der vom Ausländer ausgehenden Gefahr unter Berücksichtigung der Dauer des bisherigen Aufenthalts und dem Bestehen von Bindungen im Bundesgebiet entgegenstehe. Dies sei im Regelfall anzunehmen, wenn der Ausländer in den letzten drei Jahren nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe, einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten und einer Geldstrafe von mindestens 90 Tagessätzen verurteilt worden sei. Das würde im Falle des Klägers zutreffen, da er in der Zeit zwischen 2005 bis 2008 lediglich wegen eines Betrugsdelikts zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt worden sei. Beim Kläger bestehe jedoch die Gefahr weiterer zukünftiger Rechtsverletzungen, weshalb bei ihm nicht vom Regelfall ausgegangen werden könne. Seit dem Jahr 1991 verstoße er kontinuierlich gegen Rechtsvorschriften. Eine zukünftige erneute Straffälligkeit könne aufgrund dieses Schemas nicht ausgeschlossen werden. Dabei seien die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsmaßstab vom Gewicht des bedrohten Rechtsguts einerseits und den schützenswerten Belangen des Ausländers andererseits abhängig. Die Nachhaltigkeit, mit der sich der Kläger in verschiedenen Bereichen über Rechtsgüter hinwegsetze, lasse aber in der Abwägung derzeit eine abschließende positive Prognose nicht zu. Die Gefahr künftiger Rechtsverletzungen sei nicht ausgeschlossen, wie auch das neue Strafverfahren aus dem Jahr 2008 zeige. Deshalb sei im Falle des Klägers unter Berücksichtigung der schutzwürdigen privaten Belange wegen der von ihm ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Ausnahme nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht möglich.
16 
Der Kläger erhob am 8. Januar 2009 Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart und trug zur Begründung vor: Der strafgerichtlichen Verurteilung von 2003 habe zugrunde gelegen, dass er sich geweigert habe, eine defekte Videokassette, die die Familie ausgeliehen und die das Kind Marina in seinem Spieltrieb zerstört gehabt habe und für die mehrere hundert Mark verlangt worden seien, zu bezahlen. Die weitere Tat habe einen fahrlässigen Verstoß wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis betroffen. Mit der Verurteilung im Jahre 2004 sei das ausländerrechtliche Verbot, ohne Erlaubnis eine Geschäftsführertätigkeit auszuüben, geahndet worden. Die Verurteilung im Jahre 2008 habe sich auf eine von ihm nicht vollständig bezahlte Rechnung bezogen. Hintergrund seien dauerhafte Ehestreitigkeiten der Inhaberin der Gaststätte mit deren Ehemann, der ein Bekannter von ihm sei, gewesen. Ihm sei eine überhöhte Rechnung in Höhe von 170 EUR vorgelegt worden, während der tatsächliche Wert nur 100 EUR betragen habe; diesen Betrag habe er auch bezahlt. Er sei kein klassischer Straftäter und schon gar nicht einer der Ausweisung unterliegender „Wiederholungstäter" mit andauernder Missachtung der Rechtsordnung.
17 
Die Beklagte trat der Klage aus den Gründen der angefochtenen Verfügungen entgegen.
18 
Durch Urteil vom 10. Juni 2009 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 AufenthG.
19 
Die Ablehnung der Beklagten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Aufgrund der vom Kläger seit seiner Einreise begangenen, aus dem Bundeszentralregister noch nicht getilgten und daher verwertbaren Straftaten erfülle dieser die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht. Durch die vom Kläger begangenen zahlreichen Straftaten liege bei ihm zweifellos ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor. Die Beklagte habe im angefochtenen Bescheid die nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG notwendige Ermessensentscheidung getroffen und geprüft, ob hier die Erteilung eines Aufenthaltstitels ausnahmsweise in Betracht komme, da keine Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entgegenstünden. Unter Berücksichtigung der Art und Schwere der vom Kläger seit seiner Einreise in regelmäßigen Abständen begangenen Rechtsverstöße (Verkehrsdelikte, gefährliche Körperverletzung, veruntreuende Unterschlagung, unerlaubte Erwerbstätigkeit, Betrug) komme die Beklagte zum Ergebnis, es sei zu befürchten, dass sich der Kläger auch künftig nicht straffrei führen werde. Der Kläger habe kontinuierlich in den letzten 15 Jahren gegen die Rechtsordnung verstoßen, weshalb die Beklagte auch unter Berücksichtigung der schutzwürdigen privaten Belange wegen der von ihm immer noch ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eine Ausnahme nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ablehne. Diese Sicht sei jedenfalls zum Zeitpunkt der heutigen mündlichen Verhandlung noch vertretbar. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Altfallregelung des § 104 a Abs. 1 AufenthG. Nach § 104 a Abs. 1 Nr. 6 sei hierfür weitere Voraussetzung, dass der Ausländer nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt worden sei, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden könnten, grundsätzlich außer Betracht blieben. Mehrere Geldstrafen seien jeweils zu addieren. Die beim Kläger zu berücksichtigenden, nicht getilgten Vorstrafen überstiegen in ihrer Summe von über 100 Tagessätzen bei weitem die in § 104 a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG festgelegte Schranke von 50 Tagessätzen.
20 
Das Urteil wurde dem Kläger am 23. Juni 2009 zugestellt.
21 
Am 22. Juli 2009 hat der Kläger die Zulassung der Berufung beantragt und am 24. August (einem Montag) die Begründung vorgelegt.
22 
Mit Beschluss vom 7. September 2009 – dem Kläger am 14. September zugestellt - hat der Senat im Hinblick auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Berufung zugelassen.
23 
Am 9. Oktober 2009 hat der Kläger unter Stellung eines Sachantrags die Berufung begründet: Er ist der Auffassung, dass im Hinblick auf seine familiären Beziehungen zu seinen leiblichen Kindern ein Ausnahmefall gegeben sei, der es rechtfertige von der Nichterfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen, auch sei das im Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG der Beklagten eingeräumte Ermessen zu seinen Gunsten auszuüben; jedenfalls aber seien seine familiären grundrechtlich geschützten Belange nicht hinreichend gewürdigt worden, weshalb die Entscheidung ermessensfehlerhaft sei.
24 
Der Kläger beantragt,
25 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Juni 2009 - 8 K 73/09 - zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 30. September 2008 und des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 5. Dezember 2008 zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen; hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
26 
Die Beklagte beantragt,
27 
die Berufung zurückzuweisen.
28 
Sie führt ergänzend aus: Der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG stehe entgegen, dass die Vorschriften des 6. Abschnitts den Familiennachzug abschließend regelten. Insbesondere werde gerade durch § 29 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der hier vorliegenden Fallkonstellation ein Familiennachzug ausgeschlossen. Im Übrigen sei der Lebensunterhalt der Familie nicht vollständig gesichert.
29 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze vom 9. Oktober, 2., 12., 13. und 17. November 2009 verwiesen.
30 
Dem Senat lagen die von der Beklagten geführte Ausländerakte des Klägers (Bl. 1 – 285) und von Frau xxx (Bl. 1 - 221), die Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Bl. 1 – 97b) sowie die Strafakten des Amtsgerichts Stuttgart Bad-Cannstatt (Az. B 2 Cs 85 Js 422/08 3258, B 4 Cs 134 Js 63466/03 3258 und B 1 Cs 23 Js 60690/02 3256) vor.

Entscheidungsgründe

 
31 
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
32 
Der Kläger hat einen Regelanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Ihm ist es aus Rechtsgründen seit mehr als 18 Monaten unverschuldet unmöglich, auszureisen (vgl. § 25 Abs. 5 S. 2 und 3 AufenthG).
33 
Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK begründen im Falle des Klägers mit Rücksicht auf die seit Jahren gelebte familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin nicht nur ein rechtlich begründetes Abschiebungsverbot, sondern auch eine atypische Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
34 
Das Erstere wird auch von der Beklagten nicht infrage gestellt, wie sich nicht zuletzt aus der Tatsache ablesen lässt, dass sie seit dem Jahre 2002 dem Kläger ununterbrochen Duldungen erteilt hat.
35 
Nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon aus, dass der Kläger eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin, Frau xxx, weder in deren Herkunftsland Bosnien-Herzegowina noch in seinem Herkunftsland Serbien auf absehbare Zeit herstellen kann. Eine Herstellung in Bosnien und Herzegowina ist schon deshalb rechtlich nicht möglich, weil Frau xxx insoweit aufgrund der rechtskräftigen Feststellung des Bundesamts Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG genießt und aus diesem Grund zusammen mit den Kindern im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist und im Übrigen mittlerweile auch einen Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 3 AufenthG haben wird. Eine Herstellung der Lebensgemeinschaft in Serbien scheitert gegenwärtig daran, dass Frau xxx und die Kinder nach Überzeugung des Senats nur die Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina besitzen. Es gibt keinen ausreichenden Anhalt, dass sie die serbische Staatsangehörigkeit haben könnten. Die Eltern von Frau xxx wurden beide in Bosnien geboren und haben beide dort noch bis nach der Geburt von Frau xxx gelebt. Ihre Mutter ist erst später im Zuge der Trennung der Eltern nach Slowenien gegangen (vgl. Niederschrift des Bundesamts vom 2. November 2000, S. 3). Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Frau xxx durch Geburt die Staatsangehörigkeit der früheren Teilrepublik Bosnien erworben hat, die später in die Staatsangehörigkeit des neuen Staates Bosnien und Herzegowina überging (vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Bosnien und Herzegowina v. 4. Mai 2000). Davon geht auch das Verwaltungsgericht Stuttgart im Urteil v. 25. Juli 2003 (A 16 K 10520/02) aus. Zwar kommt auch in Betracht, dass Frau xxx durch ihre Geburt in Serbien die serbische Staatsangehörigkeit erworben haben könnte, die darauf beruht, dass ihre Mutter sich zur Geburt in das Krankenhaus der grenznahen Stadt L. begab. Allerdings konnte man von Rechts wegen nur die Staatsangehörigkeit einer Teilrepublik haben, weshalb die Eltern eine Bestimmung treffen mussten, welche Staatsangehörigkeit das Kind haben sollte (vgl. zu alledem auch Osteuropa-Institut v. 6. Februar 1995). Wenn in diesem Zusammenhang eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung über den Besitz der Staatsangehörigkeit von Bosnien und Herzegowina vom 26. Juli 1999 vorliegt und Frau xxx zwei Mal ein Pass von Bosnien und Herzegowina ausgestellt wurde (vgl. vgl. Niederschrift des Bundesamts vom 2. November 2000, S. 2), kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass die Option zugunsten Serbien ausgeübt worden war, wenn man den ständigen Aufenthalt der Eltern in Bosnien, aber auch den eigenen von Frau xxx in Rechnung stellt, die, wie sie in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, in Bosnien gelebt hat, dort zur Schule gegangen ist und ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hat, bis sie den Kläger kennen gelernt hat. Die von ihr im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 2. November 2000 gemachten Angaben sind, wie sich aus deren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ergab, wohl in der Weise zu verstehen, dass sie sich nur deshalb bei der Passbeschaffung der Hilfe anderer bedient hatte, weil sie, die damals ohne einen Pass in Serbien lebte, keine Möglichkeiten sah, sich einen Pass in Bosnien und Herzegowina ausstellen zu lassen. Dass Frau xxx nicht die serbische Staatsangehörigkeit besitzt, hat offenbar bislang auch die Beklagte so gesehen, nachdem es in den letzten etwa zehn Jahren keinen einzigen Versuch ihrerseits gegeben hat, den Aufenthalt nach Serbien zu beenden. Es kann daher offen bleiben, ob Frau xxx eine Ausreise nach Serbien zuzumuten wäre. Denn immerhin dürfte sie dort ihre schwere Traumatisierung, die heute noch ständig zu behandeln ist, erlitten haben. Mit Rücksicht auf die Bindungswirkung des § 42 AsylVfG wäre der Senat allerdings ohnehin an einer diesbezüglichen Feststellung gehindert.
36 
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise deshalb nicht entgegen, weil ein atypischer Ausnahmefall vorliegt.
37 
Es bedarf keiner Erörterung, dass der Kläger mit Rücksicht auf die vielfältigen bislang nicht getilgten Straftaten in seiner Person den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, weshalb dem Grundsatz nach an sich die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht gegeben ist. Auch wenn der Kläger seit Begehung der letzten Straftat im Oktober 2007 nicht erneut verurteilt wurde, so trifft es sicherlich zu, dass angesichts seiner bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen keine hinreichend gesicherte Grundlage für die Annahme besteht, er werde in Zukunft nicht wieder straffällig werden. Abgesehen von der nunmehr über 14 Jahre zurück liegenden Verurteilung im Jahre 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung, die einen - allerdings auf beiderseitige verbale Provokationen zurückzuführenden - gewalttätigen Angriff des Klägers betraf, bei dem dieser dem Opfer in den Unterleib trat, sodass diesem ein Hoden entfernt werden musste, und den Kiefer brach, handelte es sich aber durchgängig um nicht einmal mittel-schwere Delikte, die sämtlich nicht in ein Führungszeugnis einzutragen sind. Die höchste Einzelstrafe betrug, im Übrigen nur wegen eines im Jahre 1993 fahrlässig begangenen Delikts, 50 Tagessätze und nach der Wiedereinreise sogar nur noch 30 Tagessätze. Es besteht hiernach kein Anhaltspunkt, der Kläger könne wieder in einem Maße straffällig werden, wie dies im Jahre 1995 der Fall war, zumal er wegen eines einzigen Gewaltdelikts auffällig wurde, als er noch erheblich jünger und noch nicht in eine intensive familiäre Beziehung eingebunden war.
38 
Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK können im Einzelfall nach Abwägung mit allen Aspekten des den Ausweisungsgrund begründenden Sachverhalts einen atypischen Ausnahmefall begründen. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <42>). Art. 6 Abs. 1 GG begründet grundsätzlich aber noch keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 1987 – a.a.O.; Beschluss v. 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - InfAuslR 2007, 336 <337>). Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Frage, ob es den anderen Familienangehörigen zumutbar ist, den Kläger in sein Herkunftsland zu begleiten, von erheblicher Bedeutung. Denn wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist - etwa weil ihm dort flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung oder sonstige schwerwiegende Beeinträchtigungen von Leib, Leben oder Freiheit drohen -, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss v. 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <95>). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil v. 26. August 2008 - 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370, Rn. 27). Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist. Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteil v. 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 - InfAuslR 1996, 245, Gül; Urteil v. 28. November 1996 - 73/1995/579/665 - InfAuslR 1997, 141, Ahmut) oder ob der Nachzug das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zu leben (vgl. EGMR, Urteil v. 21. Dezember 2001 - 31465/96 - InfAuslR 2002, 334, Sen).
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Ausnahmefall vor, wenn entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333 m.w.N.). Der letztgenannte Gesichtspunkt wurde allerdings spezifisch im Zusammenhang mit der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entwickelt und bedarf hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des nicht vorliegenden Ausweisungsgrundes der Modifizierung. Denn allein der Umstand, dass die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist, vermag nicht unterschiedslos alle Ausweisungsgründe ungeachtet ihres jeweiligen Gewichts zu überwinden. Maßgeblich kann nur sein, dass das Gewicht des jeweils konkret verwirklichten Ausweisungsgrundes mit den verfassungsrechtlichen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgenden Erfordernissen in Beziehung gesetzt und abgewogen werden muss. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, dass nicht jeder Ausweisungsgrund von geringem Gewicht geeignet sein kann, den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie zu überspielen. Die Frage, ob eine Ausnahme vorliegt, unterliegt hiernach aber voller gerichtlicher Überprüfung und Einschätzung. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333 m.w.N.).
40 
Diese hier zu beachtende unmittelbare verfassungsrechtliche Wertung von hohem Rang relativiert das ohnehin nicht hohe Gewicht des Ausweisungsgrundes erheblich und nimmt ihm daher das typische, die Versagung des Titels rechtfertigende und tragende Gewicht, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die letzte Straftat immerhin über zwei Jahre zurückliegt. Für die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls, der ein Abweichen von der Regel gebietet, streitet nicht zuletzt, dass von Verfassungs wegen der Beziehung des Vaters zu seinen heranwachsenden Kindern und dem von ihm neben der Mutter zu leistenden eigenständigen Erziehungsbeitrag ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 - InfAuslR 2000, 67; v. 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 – InfAuslR 2006, 122). In gewissem Umfang wird man das Gewicht des Regelversagungsgrundes des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes auch mit der Erwägung vorsichtig relativieren müssen, dass es hier um einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG geht, der gerade in Abweichung von der Sperrwirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG erteilt werden kann (vgl. Bäuerle, in: GK-AufenthG § 5 Rdn. 187 m.w.N.), mit anderen Worten, dass hier als ein typischer Anwendungsfall gerade ein Fall vorliegen kann, bei dem in der Vergangenheit eine Ausweisung ausgesprochen worden war. Die vom Kläger gelebte enge familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern, die sich noch in einem Alter befinden, in dem die Beziehung zwischen ihnen und ihrem Vater und dessen umfassenden Einflüsse auf diese unverzichtbar sind, gebietet es, auch das geringe Risiko der Begehung kleinerer Straftaten hinzunehmen.
41 
Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, dann ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit, d.h. unter dem Aspekt des Ausweisungsgrundes, kein weiterer Spielraum für eine noch zu treffende Ermessensentscheidung gegeben (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333).
42 
Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, eine Trennung könne (und müsse) durch die Erteilung einer Duldung vermieden werden. Denn das Rechtsinstitut der Duldung ist nicht dazu bestimmt, einen von Verfassungs wegen gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen, was mit Blick auf § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG aus gesetzessystematischen Gründen keinem Zweifel unterliegen kann (vgl. GK-AufenthG § 60a Rdn. 133). Nur dann, wenn das Aufenthaltsgesetz keinerlei Möglichkeit eröffnet, einen legalen Aufenthalt zu begründen, kann und muss dann auch die Duldung diese Lücke schließen, selbst wenn sie einen auf unabsehbare Zeit angelegten Aufenthalt tatsächlich ermöglicht. Im vorliegenden Fall ist aber gerade die aufenthaltsrechtliche Rechtsordnung ausreichend offen, um jedenfalls als Ergebnis einer Abwägung zu einer Legalisierung des Aufenthalts zu kommen. Die aufenthaltsrechtlich anzustellende Abwägung hat hier auch zwischen den Alternativen Beendigung des Aufenthalts einerseits und weiterer zeitlich unabsehbarer Anwesenheit im Bundesgebiet andererseits zu erfolgen, weil andernfalls der nur temporäre Charakter der Duldung aus dem Auge verloren und als dessen Kehrseite das grundsätzlich bestehende rechtliche geschützte Interesse an einer Legalisierungsmöglichkeit vernachlässigt würde.
43 
Dem steht auch nicht entgegen, dass grundsätzlich die Vorschriften des 6. Abschnitts als eine vom Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraums vorgenommene umfassende Ausgestaltung des Komplexes des Familiennachzugs bzw. der Wahrung der Familieneinheit zu begreifen sind und regelmäßig ein den aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK abzuleitenden Anforderungen genügendes aufenthaltsrechtliches Regelwerk darstellen. Nicht zuletzt aus systematischen Gründen folgt hieraus, dass dann, wenn eine Herstellung bzw. Wahrung der Familieneinheit nach dem 6. Abschnitt rechtmäßig versagt werden kann, ein Rückgriff auf die Vorschriften des 5. Abschnitts - und hier regelmäßig auf § 25 Abs. 5 AufenthG - nicht möglich ist. Dies kann jedoch ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn Art. 6 Abs. 1 GG etwas anderes gebietet. Ist hiernach rechtlich zwingend eine Trennung der Familie dauerhaft nicht zulässig und kann die Familieneinheit nur im Bundesgebiet hergestellt oder aufrecht erhalten werden, so muss ein solcher Rückgriff zugelassen werden, um nicht in unauflösbaren Konflikt mit vorrangigem Verfassungsrecht zu kommen (vgl. auch VGHBW, Beschluss v. 10. März 2009 - 11 S 2990/08 - InfAuslR 2009, 236). Auch hier gilt wiederum, dass nicht in Art eines Zirkelschlusses darauf verwiesen werden darf, dass mit Rücksicht auf § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG es faktisch nicht zu einer Trennung kommen wird, da die Duldung nicht dazu bestimmt ist, einen voraussichtlich auf Dauer angelegten Aufenthalt zu regeln.
44 
Ein weiterer Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 AufenthG ist hier nicht ersichtlich, insbesondere ist der Lebensunterhalt des Klägers in einer Weise gesichert, dass er keine öffentlichen Mittel in Anspruch nehmen muss (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist bei der Bestimmung des Bedarfs und der Prüfung, ob der Kläger Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen muss (vgl. zum Maßstab des SGB II BVerwG, Urteil v. 26. August 2008 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370), Frau xxx nicht zu berücksichtigten. Der Kläger ist ihr gegenüber nicht unterhaltspflichtig, was von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen wird. Daraus folgt weiter, dass beim Kläger bei der Bedarfsberechnung eine diesbezügliche Unterhaltspflicht nicht eingestellt werden darf. Daraus wiederum folgt, dass der Kläger, wie sich aus der folgenden Berechnung ablesen lässt, keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat. Einen Leistungsanspruch nach SGB II hat allein Frau xxx. Um deren Aufenthaltsrecht geht es aber nicht, dieses ist auch gegenwärtig nicht infolge der mangelnden Sicherung des Lebensunterhalts in Frage gestellt (vgl. schon Münder, in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 122 Rdn. 15, und nunmehr Brühl, in: Münder, LPK-SGB II, 2005, § 7 Rdn. 29 ff, 33 und 37, wonach derjenige, der über ausreichendes Einkommen und/oder Vermögen verfügt, auch nicht als Empfänger von Sozialhilfeleistungen anzusehen ist, sondern ausschließlich das andere Mitglied der Bedarfsgemeinschaft; vgl. auch OVG BB, Urteil v. 27. August 2009 - 11 B 1.09 - juris; GK-AufenthG, § 2 Rdn. 50).
45 
Für den Kläger und seine beiden unterhaltsberechtigten Kinder ergibt sich folgende Bedarfberechnung:
46 
Regelsatz Kläger
        
359,00 EUR
Regelsätze Kinder
        
502,00 EUR
Miete/Nebenkosten (75 v.H. aus 465,00)
        
349,00 EUR
Pauschbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2
        
100,00 EUR
Freibetrag nach § 30 SGB II
        
   191,50 EUR
Bedarf
        
1501,50 EUR
47 
Der Freibetrag nach § 30 SGB II errechnet sich in diesem Zusammenhang, wie folgt:
48 
Teilbetrag nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II: 20 v.H. aus 700,- EUR
        
140,00 EUR
Teilbetrag nach § 30 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3: 10 v.H aus 515,- EUR
        
 51,50 EUR
49 
Dem stehen gegenüber Einnahmen:
50 
Nettoeinkommen
        
1315.00 EUR
Kindergeld
        
   328,00 EUR
Einkommen
        
1643,00 EUR
51 
Hieraus ergibt sich ein Überschuss in Höhe von 141,50 EUR.
52 
Selbst wenn man aber dem Ansatz der Beklagten folgt, die eine vollständige Gesamtbetrachtung für richtig erachtet, ergibt sich nicht, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert wäre.
53 
Es bestünde folgender Bedarf:
54 
Regelsätze Kläger und Partnerin
        
646,00 EUR
Regelsätze Kinder
        
502,00 EUR
Miete
        
465,00 EUR
Pauschbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2
        
100,00 EUR
Freibetrag nach § 30 SGB II
        
   191,50 EUR
Bedarf
        
1904,00 EUR
55 
Dem stehen gegenüber Einnahmen:
56 
Nettoeinkommen Kläger
        
1315,00 EUR
Nettoeinkommen Partnerin
        
 120,00 EUR
Kindergeld
        
   328,00 EUR
Einkommen
        
1763,00 EUR
57 
Daraus ergibt sich zwar ein gegenwärtiger Abmangel in Höhe von 152,50 EUR. Frau xxx wird jedoch, wie die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Zusage der Kindertagesstätte „Early Bird Club“ ausweist, ab 4. Januar 2010 auf der Basis von 400,00 EUR als Putzkraft tätig zu sein, weshalb prognostisch gesehen der Lebensunterhalt gesichert sein wird. An der Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit dieser Zusage zu zweifeln, besteht für den Senat kein ausreichender Anlass. Gleichermaßen besteht kein Anhalt dafür, das Frau xxx diese Stelle nicht antreten wird. Zum einen sind die beiden Kinder in einem Alter, das eine stundenweise Beschäftigung ohne weiteres erlaubt. Zum anderen ist sie sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass das Aufenthaltsrecht des Klägers andernfalls wieder infrage stehen kann, sofern die Beklagte nicht im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung absieht oder man - weitergehend -nicht auch hier mit Rücksicht auf die nur geringfügige Unterdeckung von einem atypischen Ausnahmefall auszugehen hätte, was aber gegenwärtig vom Senat nicht beantwortet werden muss (vgl. zu alledem nochmals BVerwG, Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333).
58 
Im Übrigen haben der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass nach dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Arbeitsvertrag vom 12. Mai 2009 ein höheres Gehalt vereinbart sei, was in der Tat zutrifft. Der Kläger hat hierzu noch ausgeführt, dass er dieses gegenwärtig nicht vollständig erreichen könne, weil er infolge der Duldung Baden-Württemberg nicht verlassen dürfe.
59 
Der 15 Jahre alte Sohn Alexander, der bei seiner Mutter in deren Familie in xxx lebt, und zu dem der Kläger keine persönliche Beziehung (mehr) hat, ist nicht in die Bedarfsberechnung einzubeziehen. Denn der Kläger hat noch niemals regelmäßig Unterhalt gezahlt, wie er in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Auch hat die Mutter bislang keinen Unterhalt gefordert, geschweige denn dass mit Rücksicht auf unterbliebene Zahlungen durch den Kläger ein Unterhaltsanspruch tituliert wäre. In Anbetracht dessen kann ein allenfalls theoretischer Anspruch, der nicht realisiert wird, nicht zulasten des Klägers in Rechnung gestellt werden. Wäre dies wider Erwarten in der Zukunft doch der Fall, so müsste möglicherweise von einer anderen Sachlage ausgegangen werden.
60 
Allerdings erfüllt der Kläger nicht die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG, da er nur mit einem Schengen-Visum für einen Besuchsaufenthalt eingereist war. Eine Unzumutbarkeit der Einholung des Aufenthaltstitels vom Herkunftsland aus im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG folgt zunächst noch nicht automatisch daraus, dass er mit seinen Kindern in familiärer Gemeinschaft lebt, zumindest dann, wenn, wie hier, die Kinder schon etwas älter sind. Eine Unzumutbarkeit folgt aber daraus, dass der Kläger sich mittlerweile eine berufliche Grundlage in ungekündigter Stellung geschaffen hat, mit der er gerade den Unterhalt der Familie weitgehend sichert. Eine u.U. mehrmonatige Abwesenheit wird den Bestand dieses Arbeitsverhältnis sicherlich ernsthaft gefährden, abgesehen davon kann der Kläger in dieser Zeit dann auf keinen Fall den Unterhalt der Kinder sichern, was auch nicht im öffentlichen Interesse stehen kann. Geht man aber von einer Unzumutbarkeit aus, dann ist - jedenfalls im vorliegenden Fall - nicht ersichtlich, welchen zulässigen Ermessenserwägungen die Beklagte noch anstellen könnte und dürfte, sodass von einer Ermessensreduzierung auszugehen ist (vgl. in diesem Sinne auch Bäuerle, GK-AufenthG, § 5 Rdn. 177).
61 
Im Übrigen können auch die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen in Bezug auf ein Absehen vom hier vorliegenden Ausweisungsgrund keinen Bestand haben (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Im Bescheid der Beklagten finden sich zu der gesamten familiären Situation des Klägers, insbesondere zu der Beziehung zu seinen Kindern nur der Satz: „Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG scheitert, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses nach Art. 6 GG aufgrund der familiären Verbundenheit mit den leiblichen Kindern und der Lebensgefährtin vorliegen, an § 5 Abs. 1 und 3 AufenthG“; weitere Erwägungen fehlen. Auch im Widerspruchsbescheid wird lediglich pauschal auf „schutzwürdige Belange“ hingewiesen. Beide Bescheide stellen sich der familiären Problematik nicht wirklich, sondern handeln diese lediglich an der Oberfläche mit Leerformeln ab. Insbesondere wird die Frage nicht näher erörtert, ob nicht die Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft gerade auch im Interesse der Kinder (und nicht in erster Linie des Klägers) es rechtfertigen kann, das geringe Risiko der Begehung weniger gewichtiger Straftaten hinzunehmen. Es fehlt jede vertiefte Auseinandersetzung mit den möglichen Beeinträchtigungen der familiären Gemeinschaft bzw. den konkreten grundrechtlichen Anforderungen an eine individuelle und einzelfallbezogene Abwägung. Vielmehr wird unübersehbar der Eindruck erweckt, dass jede konkrete Gefahr einer Begehung auch geringfügiger Delikte generell auch in Ansehung des Art. 6 GG keine Abweichung ermögliche. Damit und in dieser Pauschalität wird aber den oben unter 1 dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen einer konkreten einzelfallbezogenen Abwägung nicht genügt, die gleichermaßen Geltung beanspruchen, wenn die Frage zu entscheiden ist, ob wenigstens im Ermessenswege von einem Ausweisungsgrund abgesehen wird.
62 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
63 
Ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
64 
Beschluss vom 18. November 2009
65 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
66 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
31 
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
32 
Der Kläger hat einen Regelanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Ihm ist es aus Rechtsgründen seit mehr als 18 Monaten unverschuldet unmöglich, auszureisen (vgl. § 25 Abs. 5 S. 2 und 3 AufenthG).
33 
Art. 6 Abs. 1 und 2 GG bzw. Art. 8 EMRK begründen im Falle des Klägers mit Rücksicht auf die seit Jahren gelebte familiäre Gemeinschaft mit seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin nicht nur ein rechtlich begründetes Abschiebungsverbot, sondern auch eine atypische Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG.
34 
Das Erstere wird auch von der Beklagten nicht infrage gestellt, wie sich nicht zuletzt aus der Tatsache ablesen lässt, dass sie seit dem Jahre 2002 dem Kläger ununterbrochen Duldungen erteilt hat.
35 
Nach Aktenlage und nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon aus, dass der Kläger eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern und seiner Lebensgefährtin, Frau xxx, weder in deren Herkunftsland Bosnien-Herzegowina noch in seinem Herkunftsland Serbien auf absehbare Zeit herstellen kann. Eine Herstellung in Bosnien und Herzegowina ist schon deshalb rechtlich nicht möglich, weil Frau xxx insoweit aufgrund der rechtskräftigen Feststellung des Bundesamts Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG bzw. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG genießt und aus diesem Grund zusammen mit den Kindern im Besitz eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist und im Übrigen mittlerweile auch einen Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 3 AufenthG haben wird. Eine Herstellung der Lebensgemeinschaft in Serbien scheitert gegenwärtig daran, dass Frau xxx und die Kinder nach Überzeugung des Senats nur die Staatsangehörigkeit von Bosnien-Herzegowina besitzen. Es gibt keinen ausreichenden Anhalt, dass sie die serbische Staatsangehörigkeit haben könnten. Die Eltern von Frau xxx wurden beide in Bosnien geboren und haben beide dort noch bis nach der Geburt von Frau xxx gelebt. Ihre Mutter ist erst später im Zuge der Trennung der Eltern nach Slowenien gegangen (vgl. Niederschrift des Bundesamts vom 2. November 2000, S. 3). Es muss daher davon ausgegangen werden, dass Frau xxx durch Geburt die Staatsangehörigkeit der früheren Teilrepublik Bosnien erworben hat, die später in die Staatsangehörigkeit des neuen Staates Bosnien und Herzegowina überging (vgl. Auswärtiges Amt Lagebericht Bosnien und Herzegowina v. 4. Mai 2000). Davon geht auch das Verwaltungsgericht Stuttgart im Urteil v. 25. Juli 2003 (A 16 K 10520/02) aus. Zwar kommt auch in Betracht, dass Frau xxx durch ihre Geburt in Serbien die serbische Staatsangehörigkeit erworben haben könnte, die darauf beruht, dass ihre Mutter sich zur Geburt in das Krankenhaus der grenznahen Stadt L. begab. Allerdings konnte man von Rechts wegen nur die Staatsangehörigkeit einer Teilrepublik haben, weshalb die Eltern eine Bestimmung treffen mussten, welche Staatsangehörigkeit das Kind haben sollte (vgl. zu alledem auch Osteuropa-Institut v. 6. Februar 1995). Wenn in diesem Zusammenhang eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung über den Besitz der Staatsangehörigkeit von Bosnien und Herzegowina vom 26. Juli 1999 vorliegt und Frau xxx zwei Mal ein Pass von Bosnien und Herzegowina ausgestellt wurde (vgl. vgl. Niederschrift des Bundesamts vom 2. November 2000, S. 2), kann nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass die Option zugunsten Serbien ausgeübt worden war, wenn man den ständigen Aufenthalt der Eltern in Bosnien, aber auch den eigenen von Frau xxx in Rechnung stellt, die, wie sie in der mündlichen Verhandlung erläutert hat, in Bosnien gelebt hat, dort zur Schule gegangen ist und ihre Ausbildung zur Krankenschwester gemacht hat, bis sie den Kläger kennen gelernt hat. Die von ihr im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt am 2. November 2000 gemachten Angaben sind, wie sich aus deren Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ergab, wohl in der Weise zu verstehen, dass sie sich nur deshalb bei der Passbeschaffung der Hilfe anderer bedient hatte, weil sie, die damals ohne einen Pass in Serbien lebte, keine Möglichkeiten sah, sich einen Pass in Bosnien und Herzegowina ausstellen zu lassen. Dass Frau xxx nicht die serbische Staatsangehörigkeit besitzt, hat offenbar bislang auch die Beklagte so gesehen, nachdem es in den letzten etwa zehn Jahren keinen einzigen Versuch ihrerseits gegeben hat, den Aufenthalt nach Serbien zu beenden. Es kann daher offen bleiben, ob Frau xxx eine Ausreise nach Serbien zuzumuten wäre. Denn immerhin dürfte sie dort ihre schwere Traumatisierung, die heute noch ständig zu behandeln ist, erlitten haben. Mit Rücksicht auf die Bindungswirkung des § 42 AsylVfG wäre der Senat allerdings ohnehin an einer diesbezüglichen Feststellung gehindert.
36 
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise deshalb nicht entgegen, weil ein atypischer Ausnahmefall vorliegt.
37 
Es bedarf keiner Erörterung, dass der Kläger mit Rücksicht auf die vielfältigen bislang nicht getilgten Straftaten in seiner Person den Ausweisungsgrund des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt, weshalb dem Grundsatz nach an sich die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nicht gegeben ist. Auch wenn der Kläger seit Begehung der letzten Straftat im Oktober 2007 nicht erneut verurteilt wurde, so trifft es sicherlich zu, dass angesichts seiner bisherigen strafgerichtlichen Verurteilungen keine hinreichend gesicherte Grundlage für die Annahme besteht, er werde in Zukunft nicht wieder straffällig werden. Abgesehen von der nunmehr über 14 Jahre zurück liegenden Verurteilung im Jahre 1995 wegen gefährlicher Körperverletzung, die einen - allerdings auf beiderseitige verbale Provokationen zurückzuführenden - gewalttätigen Angriff des Klägers betraf, bei dem dieser dem Opfer in den Unterleib trat, sodass diesem ein Hoden entfernt werden musste, und den Kiefer brach, handelte es sich aber durchgängig um nicht einmal mittel-schwere Delikte, die sämtlich nicht in ein Führungszeugnis einzutragen sind. Die höchste Einzelstrafe betrug, im Übrigen nur wegen eines im Jahre 1993 fahrlässig begangenen Delikts, 50 Tagessätze und nach der Wiedereinreise sogar nur noch 30 Tagessätze. Es besteht hiernach kein Anhaltspunkt, der Kläger könne wieder in einem Maße straffällig werden, wie dies im Jahre 1995 der Fall war, zumal er wegen eines einzigen Gewaltdelikts auffällig wurde, als er noch erheblich jünger und noch nicht in eine intensive familiäre Beziehung eingebunden war.
38 
Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK können im Einzelfall nach Abwägung mit allen Aspekten des den Ausweisungsgrund begründenden Sachverhalts einen atypischen Ausnahmefall begründen. Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG umfasst namentlich die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. - BVerfGE 76, 1 <42>). Art. 6 Abs. 1 GG begründet grundsätzlich aber noch keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt. Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschluss v. 12. Mai 1987 – a.a.O.; Beschluss v. 11. Mai 2007 - 2 BvR 2483/06 - InfAuslR 2007, 336 <337>). Für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG ist die Frage, ob es den anderen Familienangehörigen zumutbar ist, den Kläger in sein Herkunftsland zu begleiten, von erheblicher Bedeutung. Denn wenn die familiäre Lebensgemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland gelebt werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar ist - etwa weil ihm dort flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung oder sonstige schwerwiegende Beeinträchtigungen von Leib, Leben oder Freiheit drohen -, drängt die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück (vgl. BVerfG, Beschluss v. 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <95>). Eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 GG liegt dagegen fern, wenn die Lebensgemeinschaft zumutbar auch im gemeinsamen Herkunftsland geführt werden kann (vgl. BVerwG, Urteil v. 26. August 2008 - 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370, Rn. 27). Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn dies auch in einem anderen Land zumutbar möglich ist. Auch für die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 EMRK kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob das Familienleben ohne Hindernisse auch im Herkunftsland möglich ist (vgl. EGMR, Urteil v. 19. Februar 1996 - 53/1995/559/645 - InfAuslR 1996, 245, Gül; Urteil v. 28. November 1996 - 73/1995/579/665 - InfAuslR 1997, 141, Ahmut) oder ob der Nachzug das einzige adäquate Mittel darstellt, in familiärer Gemeinschaft zu leben (vgl. EGMR, Urteil v. 21. Dezember 2001 - 31465/96 - InfAuslR 2002, 334, Sen).
39 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt ein Ausnahmefall vor, wenn entweder besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder die Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen höherrangigen Rechts wie etwa Art. 6 GG oder im Hinblick auf Art. 8 EMRK geboten ist, z.B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333 m.w.N.). Der letztgenannte Gesichtspunkt wurde allerdings spezifisch im Zusammenhang mit der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entwickelt und bedarf hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzung des nicht vorliegenden Ausweisungsgrundes der Modifizierung. Denn allein der Umstand, dass die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist, vermag nicht unterschiedslos alle Ausweisungsgründe ungeachtet ihres jeweiligen Gewichts zu überwinden. Maßgeblich kann nur sein, dass das Gewicht des jeweils konkret verwirklichten Ausweisungsgrundes mit den verfassungsrechtlichen aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgenden Erfordernissen in Beziehung gesetzt und abgewogen werden muss. Denn es kann nicht zweifelhaft sein, dass nicht jeder Ausweisungsgrund von geringem Gewicht geeignet sein kann, den verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie zu überspielen. Die Frage, ob eine Ausnahme vorliegt, unterliegt hiernach aber voller gerichtlicher Überprüfung und Einschätzung. Maßgeblicher Zeitpunkt ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333 m.w.N.).
40 
Diese hier zu beachtende unmittelbare verfassungsrechtliche Wertung von hohem Rang relativiert das ohnehin nicht hohe Gewicht des Ausweisungsgrundes erheblich und nimmt ihm daher das typische, die Versagung des Titels rechtfertigende und tragende Gewicht, wobei auch zu berücksichtigen ist, dass die letzte Straftat immerhin über zwei Jahre zurückliegt. Für die Annahme eines atypischen Ausnahmefalls, der ein Abweichen von der Regel gebietet, streitet nicht zuletzt, dass von Verfassungs wegen der Beziehung des Vaters zu seinen heranwachsenden Kindern und dem von ihm neben der Mutter zu leistenden eigenständigen Erziehungsbeitrag ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht zukommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 31. August 1999 - 2 BvR 1523/99 - InfAuslR 2000, 67; v. 8. Dezember 2005 – 2 BvR 1001/04 – InfAuslR 2006, 122). In gewissem Umfang wird man das Gewicht des Regelversagungsgrundes des Nichtvorliegens eines Ausweisungsgrundes auch mit der Erwägung vorsichtig relativieren müssen, dass es hier um einen Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG geht, der gerade in Abweichung von der Sperrwirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG erteilt werden kann (vgl. Bäuerle, in: GK-AufenthG § 5 Rdn. 187 m.w.N.), mit anderen Worten, dass hier als ein typischer Anwendungsfall gerade ein Fall vorliegen kann, bei dem in der Vergangenheit eine Ausweisung ausgesprochen worden war. Die vom Kläger gelebte enge familiäre Lebensgemeinschaft mit seinen Kindern, die sich noch in einem Alter befinden, in dem die Beziehung zwischen ihnen und ihrem Vater und dessen umfassenden Einflüsse auf diese unverzichtbar sind, gebietet es, auch das geringe Risiko der Begehung kleinerer Straftaten hinzunehmen.
41 
Liegt ein solcher Ausnahmefall vor, dann ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts insoweit, d.h. unter dem Aspekt des Ausweisungsgrundes, kein weiterer Spielraum für eine noch zu treffende Ermessensentscheidung gegeben (vgl. Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333).
42 
Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, eine Trennung könne (und müsse) durch die Erteilung einer Duldung vermieden werden. Denn das Rechtsinstitut der Duldung ist nicht dazu bestimmt, einen von Verfassungs wegen gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen, was mit Blick auf § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG aus gesetzessystematischen Gründen keinem Zweifel unterliegen kann (vgl. GK-AufenthG § 60a Rdn. 133). Nur dann, wenn das Aufenthaltsgesetz keinerlei Möglichkeit eröffnet, einen legalen Aufenthalt zu begründen, kann und muss dann auch die Duldung diese Lücke schließen, selbst wenn sie einen auf unabsehbare Zeit angelegten Aufenthalt tatsächlich ermöglicht. Im vorliegenden Fall ist aber gerade die aufenthaltsrechtliche Rechtsordnung ausreichend offen, um jedenfalls als Ergebnis einer Abwägung zu einer Legalisierung des Aufenthalts zu kommen. Die aufenthaltsrechtlich anzustellende Abwägung hat hier auch zwischen den Alternativen Beendigung des Aufenthalts einerseits und weiterer zeitlich unabsehbarer Anwesenheit im Bundesgebiet andererseits zu erfolgen, weil andernfalls der nur temporäre Charakter der Duldung aus dem Auge verloren und als dessen Kehrseite das grundsätzlich bestehende rechtliche geschützte Interesse an einer Legalisierungsmöglichkeit vernachlässigt würde.
43 
Dem steht auch nicht entgegen, dass grundsätzlich die Vorschriften des 6. Abschnitts als eine vom Gesetzgeber im Rahmen des ihm eingeräumten Spielraums vorgenommene umfassende Ausgestaltung des Komplexes des Familiennachzugs bzw. der Wahrung der Familieneinheit zu begreifen sind und regelmäßig ein den aus Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK abzuleitenden Anforderungen genügendes aufenthaltsrechtliches Regelwerk darstellen. Nicht zuletzt aus systematischen Gründen folgt hieraus, dass dann, wenn eine Herstellung bzw. Wahrung der Familieneinheit nach dem 6. Abschnitt rechtmäßig versagt werden kann, ein Rückgriff auf die Vorschriften des 5. Abschnitts - und hier regelmäßig auf § 25 Abs. 5 AufenthG - nicht möglich ist. Dies kann jedoch ausnahmsweise dann nicht gelten, wenn Art. 6 Abs. 1 GG etwas anderes gebietet. Ist hiernach rechtlich zwingend eine Trennung der Familie dauerhaft nicht zulässig und kann die Familieneinheit nur im Bundesgebiet hergestellt oder aufrecht erhalten werden, so muss ein solcher Rückgriff zugelassen werden, um nicht in unauflösbaren Konflikt mit vorrangigem Verfassungsrecht zu kommen (vgl. auch VGHBW, Beschluss v. 10. März 2009 - 11 S 2990/08 - InfAuslR 2009, 236). Auch hier gilt wiederum, dass nicht in Art eines Zirkelschlusses darauf verwiesen werden darf, dass mit Rücksicht auf § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG es faktisch nicht zu einer Trennung kommen wird, da die Duldung nicht dazu bestimmt ist, einen voraussichtlich auf Dauer angelegten Aufenthalt zu regeln.
44 
Ein weiterer Versagungsgrund nach § 5 Abs. 1 AufenthG ist hier nicht ersichtlich, insbesondere ist der Lebensunterhalt des Klägers in einer Weise gesichert, dass er keine öffentlichen Mittel in Anspruch nehmen muss (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist bei der Bestimmung des Bedarfs und der Prüfung, ob der Kläger Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen muss (vgl. zum Maßstab des SGB II BVerwG, Urteil v. 26. August 2008 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370), Frau xxx nicht zu berücksichtigten. Der Kläger ist ihr gegenüber nicht unterhaltspflichtig, was von der Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen wird. Daraus folgt weiter, dass beim Kläger bei der Bedarfsberechnung eine diesbezügliche Unterhaltspflicht nicht eingestellt werden darf. Daraus wiederum folgt, dass der Kläger, wie sich aus der folgenden Berechnung ablesen lässt, keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat. Einen Leistungsanspruch nach SGB II hat allein Frau xxx. Um deren Aufenthaltsrecht geht es aber nicht, dieses ist auch gegenwärtig nicht infolge der mangelnden Sicherung des Lebensunterhalts in Frage gestellt (vgl. schon Münder, in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 122 Rdn. 15, und nunmehr Brühl, in: Münder, LPK-SGB II, 2005, § 7 Rdn. 29 ff, 33 und 37, wonach derjenige, der über ausreichendes Einkommen und/oder Vermögen verfügt, auch nicht als Empfänger von Sozialhilfeleistungen anzusehen ist, sondern ausschließlich das andere Mitglied der Bedarfsgemeinschaft; vgl. auch OVG BB, Urteil v. 27. August 2009 - 11 B 1.09 - juris; GK-AufenthG, § 2 Rdn. 50).
45 
Für den Kläger und seine beiden unterhaltsberechtigten Kinder ergibt sich folgende Bedarfberechnung:
46 
Regelsatz Kläger
        
359,00 EUR
Regelsätze Kinder
        
502,00 EUR
Miete/Nebenkosten (75 v.H. aus 465,00)
        
349,00 EUR
Pauschbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2
        
100,00 EUR
Freibetrag nach § 30 SGB II
        
   191,50 EUR
Bedarf
        
1501,50 EUR
47 
Der Freibetrag nach § 30 SGB II errechnet sich in diesem Zusammenhang, wie folgt:
48 
Teilbetrag nach § 30 Satz 2 Nr. 1 SGB II: 20 v.H. aus 700,- EUR
        
140,00 EUR
Teilbetrag nach § 30 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3: 10 v.H aus 515,- EUR
        
 51,50 EUR
49 
Dem stehen gegenüber Einnahmen:
50 
Nettoeinkommen
        
1315.00 EUR
Kindergeld
        
   328,00 EUR
Einkommen
        
1643,00 EUR
51 
Hieraus ergibt sich ein Überschuss in Höhe von 141,50 EUR.
52 
Selbst wenn man aber dem Ansatz der Beklagten folgt, die eine vollständige Gesamtbetrachtung für richtig erachtet, ergibt sich nicht, dass der Lebensunterhalt nicht gesichert wäre.
53 
Es bestünde folgender Bedarf:
54 
Regelsätze Kläger und Partnerin
        
646,00 EUR
Regelsätze Kinder
        
502,00 EUR
Miete
        
465,00 EUR
Pauschbetrag nach § 11 Abs. 2 Satz 2
        
100,00 EUR
Freibetrag nach § 30 SGB II
        
   191,50 EUR
Bedarf
        
1904,00 EUR
55 
Dem stehen gegenüber Einnahmen:
56 
Nettoeinkommen Kläger
        
1315,00 EUR
Nettoeinkommen Partnerin
        
 120,00 EUR
Kindergeld
        
   328,00 EUR
Einkommen
        
1763,00 EUR
57 
Daraus ergibt sich zwar ein gegenwärtiger Abmangel in Höhe von 152,50 EUR. Frau xxx wird jedoch, wie die in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Zusage der Kindertagesstätte „Early Bird Club“ ausweist, ab 4. Januar 2010 auf der Basis von 400,00 EUR als Putzkraft tätig zu sein, weshalb prognostisch gesehen der Lebensunterhalt gesichert sein wird. An der Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit dieser Zusage zu zweifeln, besteht für den Senat kein ausreichender Anlass. Gleichermaßen besteht kein Anhalt dafür, das Frau xxx diese Stelle nicht antreten wird. Zum einen sind die beiden Kinder in einem Alter, das eine stundenweise Beschäftigung ohne weiteres erlaubt. Zum anderen ist sie sich sicherlich der Tatsache bewusst, dass das Aufenthaltsrecht des Klägers andernfalls wieder infrage stehen kann, sofern die Beklagte nicht im Ermessenswege nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von der Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung absieht oder man - weitergehend -nicht auch hier mit Rücksicht auf die nur geringfügige Unterdeckung von einem atypischen Ausnahmefall auszugehen hätte, was aber gegenwärtig vom Senat nicht beantwortet werden muss (vgl. zu alledem nochmals BVerwG, Urteil v. 30. April 2009 – 1 C 3.08 – InfAuslR 2009, 333).
58 
Im Übrigen haben der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass nach dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Arbeitsvertrag vom 12. Mai 2009 ein höheres Gehalt vereinbart sei, was in der Tat zutrifft. Der Kläger hat hierzu noch ausgeführt, dass er dieses gegenwärtig nicht vollständig erreichen könne, weil er infolge der Duldung Baden-Württemberg nicht verlassen dürfe.
59 
Der 15 Jahre alte Sohn Alexander, der bei seiner Mutter in deren Familie in xxx lebt, und zu dem der Kläger keine persönliche Beziehung (mehr) hat, ist nicht in die Bedarfsberechnung einzubeziehen. Denn der Kläger hat noch niemals regelmäßig Unterhalt gezahlt, wie er in der mündlichen Verhandlung erläutert hat. Auch hat die Mutter bislang keinen Unterhalt gefordert, geschweige denn dass mit Rücksicht auf unterbliebene Zahlungen durch den Kläger ein Unterhaltsanspruch tituliert wäre. In Anbetracht dessen kann ein allenfalls theoretischer Anspruch, der nicht realisiert wird, nicht zulasten des Klägers in Rechnung gestellt werden. Wäre dies wider Erwarten in der Zukunft doch der Fall, so müsste möglicherweise von einer anderen Sachlage ausgegangen werden.
60 
Allerdings erfüllt der Kläger nicht die Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 AufenthG, da er nur mit einem Schengen-Visum für einen Besuchsaufenthalt eingereist war. Eine Unzumutbarkeit der Einholung des Aufenthaltstitels vom Herkunftsland aus im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG folgt zunächst noch nicht automatisch daraus, dass er mit seinen Kindern in familiärer Gemeinschaft lebt, zumindest dann, wenn, wie hier, die Kinder schon etwas älter sind. Eine Unzumutbarkeit folgt aber daraus, dass der Kläger sich mittlerweile eine berufliche Grundlage in ungekündigter Stellung geschaffen hat, mit der er gerade den Unterhalt der Familie weitgehend sichert. Eine u.U. mehrmonatige Abwesenheit wird den Bestand dieses Arbeitsverhältnis sicherlich ernsthaft gefährden, abgesehen davon kann der Kläger in dieser Zeit dann auf keinen Fall den Unterhalt der Kinder sichern, was auch nicht im öffentlichen Interesse stehen kann. Geht man aber von einer Unzumutbarkeit aus, dann ist - jedenfalls im vorliegenden Fall - nicht ersichtlich, welchen zulässigen Ermessenserwägungen die Beklagte noch anstellen könnte und dürfte, sodass von einer Ermessensreduzierung auszugehen ist (vgl. in diesem Sinne auch Bäuerle, GK-AufenthG, § 5 Rdn. 177).
61 
Im Übrigen können auch die von der Beklagten angestellten Ermessenserwägungen in Bezug auf ein Absehen vom hier vorliegenden Ausweisungsgrund keinen Bestand haben (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Im Bescheid der Beklagten finden sich zu der gesamten familiären Situation des Klägers, insbesondere zu der Beziehung zu seinen Kindern nur der Satz: „Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG scheitert, unabhängig davon, dass die Voraussetzungen eines rechtlichen Abschiebungshindernisses nach Art. 6 GG aufgrund der familiären Verbundenheit mit den leiblichen Kindern und der Lebensgefährtin vorliegen, an § 5 Abs. 1 und 3 AufenthG“; weitere Erwägungen fehlen. Auch im Widerspruchsbescheid wird lediglich pauschal auf „schutzwürdige Belange“ hingewiesen. Beide Bescheide stellen sich der familiären Problematik nicht wirklich, sondern handeln diese lediglich an der Oberfläche mit Leerformeln ab. Insbesondere wird die Frage nicht näher erörtert, ob nicht die Aufrechterhaltung der familiären Lebensgemeinschaft gerade auch im Interesse der Kinder (und nicht in erster Linie des Klägers) es rechtfertigen kann, das geringe Risiko der Begehung weniger gewichtiger Straftaten hinzunehmen. Es fehlt jede vertiefte Auseinandersetzung mit den möglichen Beeinträchtigungen der familiären Gemeinschaft bzw. den konkreten grundrechtlichen Anforderungen an eine individuelle und einzelfallbezogene Abwägung. Vielmehr wird unübersehbar der Eindruck erweckt, dass jede konkrete Gefahr einer Begehung auch geringfügiger Delikte generell auch in Ansehung des Art. 6 GG keine Abweichung ermögliche. Damit und in dieser Pauschalität wird aber den oben unter 1 dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen einer konkreten einzelfallbezogenen Abwägung nicht genügt, die gleichermaßen Geltung beanspruchen, wenn die Frage zu entscheiden ist, ob wenigstens im Ermessenswege von einem Ausweisungsgrund abgesehen wird.
62 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
63 
Ein Grund nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
64 
Beschluss vom 18. November 2009
65 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,- EUR festgesetzt.
66 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.