Strafprozessrecht: Welche richterlichen Äußerungen rechtfertigen Zweifel an seine Unvoreingenommenheit?
Praktisch relevant ist die Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen. Der Hintergrund wird im Folgenden erläutert:
Nehmen wir an, Der Angeklagte A bestreitet die ihm zur Last gelegte Tat vor Gericht. In einer Verhandlungspause beobachtet er den Vorsitzenden Richter beim Essen in der Mensa. Dieser erklärt dem Schöffen, dass die weitere Verhandlung an sich überflüssig sei, da der Angeklagte ja sowieso lüge wie gedrückt und eindeutig der Täter sei.
Hier ist der Fall klar: Das Recht des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101 I 2 GG und das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte mit einem Richter (oder einer anderen Gerichtsperson nach §31ff.StPO) konfrontiert wäre, der Anlass zum Zweifeln an seiner Unparteilichkeit gibt.
Die Ablehnung eines Richters kann nur auf Antrag erfolgen – mit einer einer entsprechenden gerichtlichen Entscheidung. Gemäß § 24 III StPO steht die Ablehnung der Staatsanwaltschaft, dem Privatkläger und dem Beschuldigten zu.
Maßgeblich für die Begründung einer Unvoreingenommenheit des Richters ist, ob aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten plausible und verständliche Zweifel an einer objektiven Einstellung des Richters bestehen. Irrelevant ist hierbei, ob der Richter tatsächlich befangen oder voreingenommen ist; ausreichend ist schon der Anschein, also der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität. Verneint das Gericht die Unvoreingenommenheit des Richters, so stellt dies ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr.2StPO dar und der Richter wird aus dem Verfahren ausgeschlossen.
Verhält sich der Richter gegenüber dem Angeklagten unhöflich, wird bei diesem schnell der Wunsch verursacht, ihn vom Verfahren ausgeschlossen zu sehen. Allerdings kann nicht jedes Verhalten einen Richter durch seinen Rechtsvertreter ersetzen. Doch welche Äußerungen rechtfertigen Zweifel an die richterliche Unvoreingenommenheit? – In diesem Artikel lesen Sie, welche richterliche Äußerungen durch das Gericht noch durchgegangen sind, und welche nicht.
(1) Äußerung: Richter sagt Anwalt, sein Mandant „dürfe den Schwanz vor dem Rechtsstreit nicht einziehen“
Im strittigen Fall äußerte der Richter seine Enttäuschung darüber, dass aufgrund des „Nichterscheinens“ des Mandanten eine Lösung des Streit unter den Gesellschaftern ausblieb. In der Folge stellte Anwalt einen Befangenheitsantrag.
Der Antrag hielt einer gerichtlichen Prüfung allerdings nicht stand: Nach den Ausführungen des Gerichtes (14 W 2/12) dürfe die strittige Äußerung nicht isoliert, sondern vielmehr in ihrem Zusammenhang betrachtet werden.
Aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten sei die Äußerung des Richters aber nicht so zu verstehen, dass dieser ihm gegenüber negativ eingestellt oder zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen nicht willig gewesen wäre.
Wichtig ist also, die Äußerung immer in dem Zusammenhang zu betrachten, in dem sie angebracht worden ist.
(2) Äußerung: Richter sagt im Verhandlungstermin „ihn interessiere die Wahrheit nicht“
Im strittigen Fall wollte der Prozessvertreter des Angeklagten einen in der Schweiz wohnhaften Zeugen zu laden. Der zuständige Richter des Landgerichtes weigerte sich allerdings, einen solchen Beweisantrag in das Protokoll in der mündlichen Verhandlung aufzunehmen. Als der Bevollmächtigte dem Richter darauf aufmerksam machte, dass es seine Aufgabe sei, die Wahrheit zu erforschen, antwortete dieser „Die Wahrheit interessiert mich nicht“. In der Folge lehnte die Beschwerdeführerin den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
a) LG erklärte Ablehnungsgesuch für unbegründet
Das LG (3 Ri AR 4/12) erachtete das Ablehnungsgesuch für unbegründet. Die Erklärung des abgelehnten Richters – die Wahrheit interessiere ihn nicht – sei zwar zu beanstanden, begründe jedoch im Endeffekt keine Richterablehnung. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung könnten nur dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie derart weit von dem geübten Verfahren entfernten, dass sich der Eindruck einer willkürlichen, sachwidrigen und auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge, für die im strittigen Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich seien.
b) OLG wies Ablehnungsgesuch ebenso zurück
Gegen den Beschluss des LG legte die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde ein. Das OLG (3 W 562/12) hielt das Ablehnungsgesuch allerdings ebenso für unbegründet und wies die Beschwerde zurück. Der abgelehnte Richter wollte seinem Amtseid vielmehr nicht zuwiderhandeln. Mit der gerügten Äußerung durch den Vertreter habe sich der abgelehnte Richter einer sachwidrigen Beeinflussung erwehrt.
c) Verfassungsbeschwerde vor dem BVerfG – mit Erfolg
Die Beschwerdeführerin erhob Verfassungsbeschwerde und rügte die Verletzung ihrer Rechte u.a. aus Art. 1101 I 2 GG, Art. 19 IV GG, Art. 20 III GG, Art. 6 EMRK.
Sie führte aus, dass sie ein Recht darauf habe, dass ihr Rechtsstreit von einem Richter bearbeitet, verhandelt sowie entschieden werde, der sich an seinen Amtseid gebunden fühle und nicht ankündige, diesem vorsätzlich zuwider handeln zu wollen. Den abgelehnten Richter interessierten nach seiner Aussage weder Wahrheit noch Gerechtigkeit – es sei ihr also nicht zumutbar, sich in dessen Willkür zu begeben. Ihrer Auffassung nach verkannte das LG und das OLG die Tragweite der Gewährleistung des gesetzlichen Richters.
Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1750/12) erachtete die Verfassungsbeschwerde für offensichtlich begründet. Dies begründete es u.a. mit der Verletzung des Art. 101 I 2 GG – dort lautet es: Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Art. 101 I 2 GG schütze den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtstreitigkeit durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter.
Dies soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wahren sowie das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte sichern. Die Verfassungsnorm garantiert außerdem, dass der Rechtsuchende vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber Verfahrensbeteiligten bietet.
Im vorliegenden Fall hätte ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände den Anlass gehabt, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Der grundrechtliche Anspruch auf den gesetzlichen Richter wurde nicht gewahrt. Mit der strittigen Äußerung, auf der sich der Befangenheitsantrag auch bezog, hat der Richter nicht nur seinen Unmut über ein Verhalten des Bevollmächtigen der Beschwerdeführerin zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich auch gezeigt, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei.
(3) Äußerung: „Sie werden sowieso fressen müssen, was ich entscheide. Und dann bleiben sie auf allem sitzen.“
Im strittigen Fall war die Verhandlungsatmosphäre derart angespannt, dass die Androhung einer Vertagung notwendig wurde.
Der Bundesgerichtshof (IX ZB 60/06) brachte hier zum Ausdruck, dass eine solche Ausdrucksweise und Stimmstärke in einer ruhigen Verhandlungssituation fehl am Platz ist sowie die Annahme einer Voreingenommenheit rechtfertigen kann.
Selbst wenn die unangemessene Wortwahl rein situationsbedingt ausgelöst worden sein sollte, konnte für die hierdurch angesprochene Prozesspartei der Eindruck entstehen, der Richter sei in seiner Ansicht abschließend festgelegt und sei nicht mehr bereit, die zur Entscheidung stehenden Fragen im Lichte der ihm unterbreiteten Argumente unvoreingenommen und kritisch zu überprüfen. Die angeführte Äußerung stelle damit einen Befangenheitsgrund dar.
(4) Andere Äußerungen, die gerechtfertigte Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters verursachten:
- Bezeichnung des Sachvortrags einer Partei als „Unsinns“ (LSG NRW; Beschluss vom 16. 06 2003, 11 AR 49/03)
-„Jetzt reicht es mir! Halten Sie endlich den Mund! Jetzt rede ich!“ (OLG Brandenburg, 15. 09 1999, 1 W 14/99)
- „Ich habe jetzt keine Zeit, mich mit solchen Klinkerklitzchen aufzuhalten“ (OLG Hamburg, Beschluss vom 23.03 1992, 7 W 10/92)
(5) Fazit
Präzedenzfälle zeigen uns, unter welchen Umständen richterliche Äußerungen begründete Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters erwecken können. Nicht jeder Fehltritt eines Richters hat seine Ablehnung aus dem Verfahren als Folge. Maßgeblich ist die Sicht eines verständigen Angeklagter, der plausible Gründe für die mangelnde Objektivität des Richters hegt. Zu beachten ist, dass die eigenständigen Äußerungen oft Zweifel an der Objektivität begründen können, eine solche dann verlieren, wenn sie in den Kontext gebracht werden, in denen sie geäußert werden.
Art. 101 I 2 GG hat verfassungsrechtliche Relevanz und gewährt dem Rechtsuchenden einen unabhängigen und unparteilichen Richter, der Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Sollte der Prozessbeteiligte infolge gewisser Äußerungen des Richters dieses Recht vereitelt sehen, so sollte er unbedingt einen Ablehnungsantrag im Strafprozess nach § 24 II StPO oder im Zivilprozess nach § 42 II ZPO stellen. Der Verteidiger des Beschuldigten wird namentlich in § 24 II als Antragsbefugter zwar nicht genannt. Allgemein anerkannt ist es aber - wegen § 137 StPO - dass dieser ein solches Ablehnungsgesuch auch für den Angeklagten stellen kann.
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[E.K.]
Rechtsanwalt
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Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 18. Januar 2012 (35 O 42/11 KfH) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Beschwerdewert: 50.000,00 EUR
Gründe
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Tenor
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Der Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 18. April 2012 - 3 Ri AR 4/12/3 Ri AR 32/11 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 28. Juni 2012 - 3 W 0562/12 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes.
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Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Chemnitz zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 24. Juli 2012 - 3 W 562/12 - wird damit gegenstandslos.
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Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
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...
Gründe
- 1
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Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung eines Befangenheitsantrags im Zusammenhang mit Äußerungen eines Zivilrichters während des Verhandlungstermins.
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I.
- 2
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1. Die Beschwerdeführerin ist Beklagte eines vor dem Landgericht anhängigen Zivilrechtsstreits. Klägerin des Ausgangsrechtsstreits ist eine in der Schweiz ansässige Aktiengesellschaft.
- 3
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a) Am 3. November 2011 fand im Rahmen des Ausgangsverfahrens ein Termin zur Güteverhandlung und Verhandlung über die Hauptsache statt. Nach Erörterung des Sach- und Streitstands äußerte der Prozessvertreter der Beschwerdeführerin, es sei seiner Auffassung nach geboten, einen in der Schweiz wohnhaften Zeugen zu laden. Der zuständige Einzelrichter der 2. Zivilkammer des Landgerichts weigerte sich jedoch, einen entsprechenden Beweisantrag in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufzunehmen. Der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin regte im weiteren Verlauf des Termins an, das Verfahren nach § 149 ZPO auszusetzen, und ergänzte sein tatsächliches Vorbringen; auch insoweit verweigerte der Richter die Protokollierung. Als der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin ihm daraufhin vorhielt, es sei auch seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen, entgegnete der Richter: "Die Wahrheit interessiert mich nicht." Daraufhin lehnte die Beschwerdeführerin den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Am 11. November 2011 gab der abgelehnte Richter eine dienstliche Stellungnahme ab, in der er bestätigte, sich wie beanstandet geäußert und die Protokollierungen verweigert zu haben.
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b) Mit Beschluss vom 18. April 2012 erklärte die zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufene Zivilkammer des Landgerichts dieses für unbegründet. Die Erklärung des abgelehnten Richters - die Wahrheit interessiere ihn nicht - sei zwar zu monieren, begründe indes keine Richterablehnung, da durch sie sowohl die Klägerin als auch die Beklagte beschwert würden. Dass der abgelehnte Richter den Beweisantrag weder ins Protokoll aufgenommen noch verbeschieden habe, begründe ebenfalls nicht die Besorgnis der Befangenheit, denn dies stehe in seinem Ermessen. Verfahrensverstöße im Rahmen der Prozessleitung könnten nur dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn sie sich derart weit von dem geübten Verfahren entfernten, dass sich der Eindruck einer willkürlichen, sachwidrigen und auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdränge, wofür es hier keinerlei Anhaltspunkte gebe.
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c) Gegen diesen Beschluss legte die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde ein, der das Landgericht mit Beschluss vom 15. Mai 2012 nicht abhalf. Mit Beschluss vom 28. Juni 2012, dem Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin zugegangen am 6. Juli 2012, wies das Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde zurück. Der abgelehnte Richter habe nicht seinem Amtseid zuwiderhandeln wollen, es sei vielmehr der Beklagtenvertreter gewesen, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel dafür eingesetzt habe, um den abgelehnten Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Mit der gerügten Äußerung habe sich der abgelehnte Richter dieser sachwidrigen Beeinflussung erwehrt. Auch im Übrigen seien die geltend gemachten Gründe nicht dazu geeignet, das Ablehnungsgesuch für begründet zu erklären.
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d) Mit Beschluss vom 24. Juli 2012 wies das Oberlandesgericht die gegen den Beschluss vom 28. Juni 2012 erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück.
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2. Mit ihrer am 3. August 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die im Rubrum genannten Entscheidungen und Maßnahmen. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 13 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK.
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Sie habe einen Anspruch darauf, dass ihr Rechtsstreit von einem Richter bearbeitet, verhandelt und entschieden werde, der sich an seinen Amtseid gebunden fühle und nicht ankündige, diesem vorsätzlich zuwider handeln zu wollen. Den abgelehnten Richter interessierten nach seiner Aussage weder Wahrheit noch Gerechtigkeit; es sei ihr nicht zumutbar, sich in dessen Willkür zu begeben. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hätten die Tragweite der Gewährleistung des gesetzlichen Richters grundlegend verkannt. Dies verletze zugleich ihr Grundrecht auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 EMRK und sei willkürlich. Durch die vom Landgericht und Oberlandesgericht vorgenommene Auslegung des § 46 Abs. 2 ZPO werde ihr das Recht auf wirksame Beschwerde genommen. Dies verletze das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz sowie die Rechte auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK), auf rechtliches Gehör und auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK). Sie werde zudem gehindert, sich effektiv gegen die Klageforderung zu verteidigen, was gegen Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG verstoße.
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II.
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Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa hat mitgeteilt, von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde werde abgesehen. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
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III.
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Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr in dem im Tenor bezeichneten Umfang statt, weil dies zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG angezeigt ist, § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG. Zu dieser Entscheidung ist die Kammer berufen, weil die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen durch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden sind und die Verfassungsbeschwerde insoweit zulässig und offensichtlich begründet ist (§ 93b Satz 1 in Verbindung mit § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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Die Verfassungsbeschwerde ist, soweit sie eine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Beschlüsse vom 18. April 2012 und vom 28. Juni 2012 rügt, zulässig und offensichtlich begründet. Auf die Frage, ob die Anhörungsrüge geeignet war, die Frist für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde offen zu halten, kommt es nicht an, da die Frist auch dann gewahrt ist, wenn sie mit dem Zugang des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 28. Juni 2012 zu laufen begann.
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1. a) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schützt den Anspruch des Bürgers auf eine Entscheidung seiner Rechtssache durch den hierfür von Gesetzes wegen vorgesehenen Richter (vgl. BVerfGE 22, 254 <258>). Damit soll die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 95, 322 <327>). Die Verfassungsnorm garantiert, dass der Rechtsuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. BVerfGE 10, 200 <213 f.>; 21, 139 <145 f.>; 30, 149 <153>; 40, 268 <271>; 82, 286 <298>; 89, 28 <36>).
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b) Zwar kann eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter durch die Rechtsprechung, der die Anwendung der Zuständigkeitsregeln und die Handhabung des Ablehnungsrechts im Einzelfall obliegt, nicht in jeder fehlerhaften Rechtsanwendung gesehen werden; andernfalls wäre jede fehlerhafte Handhabung des einfachen Rechts zugleich ein Verfassungsverstoß (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143>; 13, 72 <77>). Die Grenzen zum Verfassungsverstoß sind aber jedenfalls dann überschritten, wenn die Auslegung einer Verfahrensnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299> m.w.N.; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012 - 2 BvR 615/11 -, juris, Rn. 12). Ob die Entscheidung eines Gerichts auf grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 82, 159 <197>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <143 f.>; 13, 72 <77>) beruht oder ob sie darauf hindeutet, dass das Gericht Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat, kann nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>; 13, 72 <78>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012, a.a.O.).
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c) Eine Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 <38>). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; es genügt schon der "böse Schein", also der mögliche Eindruck mangelnder Objektivität (vgl. BVerfGE 46, 34 <41>). Entscheidend ist demnach, ob das beanstandete Verhalten für einen verständigen Verfahrensbeteiligten Anlass sein kann, an der persönlichen Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGK 5, 269 <281>; 13, 72 <79>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012, a.a.O., Rn. 13).
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2. Nach diesen Maßstäben wurde im vorliegenden Fall der grundrechtliche Anspruch auf den gesetzlichen Richter nicht gewahrt.
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Die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters, nach der er "wohl etwas ungehalten" reagiert habe, gibt keine Veranlassung, der Frage nachzugehen, unter welchen Voraussetzungen Unmutsbekundungen eines Richters, die sich auf das Verhalten von Prozessparteien oder Zeugen beziehen, bereits als solche geeignet sind, den Eindruck der Voreingenommenheit zu wecken (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 247/09 -, juris, Rn. 12; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2012 - 14 W 2/12 - NJW-RR 2012, S. 960 <960>; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 10 W 42/11 (Abl.) -, juris, Rn. 28; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl. 2012, § 42 Rn. 17; Gehrlein, in: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 2008, § 42 Rn. 24 m.w.N.). Mit der Äußerung, auf die sich der Befangenheitsantrag der Beschwerdeführerin bezog, hat der Richter nicht nur Unmut über ein Verhalten ihres Bevollmächtigten zum Ausdruck gebracht, sondern zugleich bekundet, dass er an der Erfüllung einer wesentlichen richterlichen Amtspflicht nicht interessiert sei. Der zivilprozessuale Beibringungsgrundsatz macht es zwar zur Sache der Parteien, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und Beweismittel zu benennen, und beschränkt insoweit die Aufgabe des Richters, den Sachverhalt zu erforschen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2008 - IX ZB 137/07 -, NZI 2008, S. 240 <241>). Er bedeutet aber ebenso wenig wie andere Beschränkungen der Pflicht zur Ermittlung und Berücksichtigung von Tatsachen - wie sie, etwa im Interesse der Verfahrensbeschleunigung, auch im Ansatz vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägte Verfahrensordnungen kennen -, dass den Richter die Wahrheit grundsätzlich nicht zu interessieren hätte. Auch der Zivilrichter ist nach Maßgabe der anwendbaren Verfahrensordnung, seinem Amtseid gemäß, verpflichtet, der Wahrheit zu dienen (§ 38 Abs. 1 DRiG).
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Bei der gebotenen Gesamtbetrachtung der Umstände (vgl. BVerfGE 82, 30 <38>; zur zivilprozessualen Rechtslage Schneider, Befangenheitsablehnung im Zivilprozess, 3. Aufl. 2008, Rn. 378; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Oktober 1992 - 11 W 76/92 -, OLG-Report 1992, S. 343; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 23. September 1997 - 6 W 140/97 -, NJW-RR 1998, S. 858 <859>; OLG Schleswig, Beschluss vom 30. September 2004 - 16 W 126/04 -, OLG-Report 2004, S. 561 <562>) kann eine Besorgnis der Befangenheit nicht verneint werden. Nachdem der Richter sich geweigert hatte, einen Beweisantrag und weitere Äußerungen des Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin in das Protokoll aufzunehmen, und dieser deshalb dem Richter vorgehalten hatte, es sei seine Aufgabe, die Wahrheit zu erforschen, stellte die daraufhin an den Bevollmächtigten gerichtete Äußerung des Richters, die Wahrheit interessiere ihn nicht, keinen bloßen Hinweis auf die zivilprozessrechtlichen Grenzen der richterlichen Pflicht zur Sachverhaltsermittlung dar. Unter diesen Umständen war die Annahme des Landgerichts, die Äußerung begründe keine Ablehnung, weil sie beide Parteien gleichermaßen beschwere, unvertretbar. Die grob unsachliche Äußerung des Richters war eindeutig als zurückweisende Reaktion auf ein vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin vorgebrachtes Anliegen erfolgt und daher offensichtlich geeignet, den Eindruck einer Voreingenommenheit gerade nach dieser Seite hin zu erzeugen. Erst recht ist die Annahme des Oberlandesgerichts nicht tragfähig, die Äußerung sei hinzunehmen als Reaktion auf eine sachwidrige Beeinflussung durch den Beklagtenvertreter, der die Pflicht zur Wahrheitsfindung als Druckmittel eingesetzt habe, um den Richter zur Anhörung des Zeugen zu bewegen. Weshalb in dem Hinweis auf eine bestehende Amtspflicht eine sachwidrige Druckausübung liegen soll, ist nicht ansatzweise nachvollziehbar. Selbst wenn der Bevollmächtigte der Beschwerdeführerin mit seinem Hinweis auf die Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts die Reichweite dieser Pflicht unter den gegebenen Umständen verkannt haben sollte, kann darin eine die Besorgnis der Befangenheit ausschließende Rechtfertigung für die anschließende Äußerung des Richters schon deshalb nicht liegen, weil in einem rechtsstaatlichen Verfahren die Pflicht des Richters zur Erfüllung seiner Amtspflichten und zu sachlichem Umgang mit dem Parteivorbringen nicht davon abhängt, dass dieses Vorbringen auf zutreffenden rechtlichen Einschätzungen beruht.
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Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Von einer weiteren Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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1. Der Beschluss des Landgerichts vom 18. April 2012 und der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Juni 2012 beruhen auf dem festgestellten Grundrechtsverstoß. Gemäß § 93c Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG sind sie daher aufzuheben und das Verfahren ist an das Landgericht Chemnitz zurückzuverweisen. Der ebenfalls angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 24. Juli 2012 wird damit gegenstandslos.
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2. Die vollständige Erstattung der Auslagen ist gemäß § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG anzuordnen, weil die Beschwerdeführerin ihr wesentliches Rechtsschutzziel erreicht hat.
(1) Der Beschuldigte kann sich in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers bedienen. Die Zahl der gewählten Verteidiger darf drei nicht übersteigen.
(2) Hat der Beschuldigte einen gesetzlichen Vertreter, so kann auch dieser selbständig einen Verteidiger wählen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.