Strafprozessrecht: Zur Besorgnis wegen Befangenheit
published on 13/07/2017 12:43
Strafprozessrecht: Zur Besorgnis wegen Befangenheit
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Im vorliegenden Verfahren begründet eine Gesamtschau der Umstände die Besorgnis, dass der abgelehnte Richter bei der Beurteilung von Vorwürfen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betreffen, eine innere Haltung hat, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
Das LG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 02.06.2017 (20 KLs 70 Js 3429/12-10/15) folgendes entschieden:
Tenor:
Dem Antrag des Angeklagten, mit dem dieser den Schöffen Pp. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, wird stattgegeben.
Gründe:
Der gegen den Schöffen Pp. angebrachte Befangenheitsantrag des Angeklagten ist im Ergebnis begründet.
Zutreffend führt der Angeklagte in seiner Antragsschrift aus, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Richter befangen ist oder nicht, sondern dass insoweit zu prüfen ist, ob aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten zu besorgen ist, dass der Richter befangen sein könnte.
Vorliegend ist im Ergebnis zu bejahen, dass eine solche Besorgnis besteht.
Anzumerken ist allerdings, dass die in dem Befangenheitsgesuch dargelegten Meinungsäußerungen des abgelehnten Richters im Internet die Grenzen des Art. 5 GG nicht überschreiten. Richtern und auch Schöffen ist es nicht grundsätzlich verwehrt, sich politisch zu äußern. Dies gilt auch, wenn die geäußerte politische Meinung manch einem nicht gefallen sollte und sich - wie hier — kritisch zu Migrationsthemen verhält. Aus kritischen Äußerungen eines Richters bzw. Schöffen zu Migrationsthemen lässt sich auch nicht grundsätzlich ableiten, dass ein solcher Richter bzw. Schöffe in einem Strafverfahren gegen einen Angeklagten mit Migrationshintergrund oder einen Angeklagten mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit voreingenommen ist oder sein muss.
Vielmehr kommt es regelmäßig auf die genaue Betrachtung der Umstände des Einzelfalles an.
Diesbezüglich ist vorliegend eine inhaltliche und eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Zumindest das Zusammenspiel von Inhalt und zeitlichem Zusammenhang einer der Meinungsäußerungen begründet angesichts des konkreten Tatvorwurfs im Zusammenhang mit einer weiteren Meinungsäußerung vorliegend aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Schöffen.
Gegenstand dieses Strafverfahrens ist der Vorwurf einer schweren Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Während des Laufs der Hauptverhandlung hat der abgelehnte Richter öffentlich eine Meldung des Express über - ebenfalls - eine schwere Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommentiert, und dies in einer Welse, die im Ergebnis hinsichtlich ihres Sinngehalts nur die Deutung zulässt, dass der abgelehnte Richter davon ausgeht, dass der dortige Tatverdächtige, der die Tatbegehung abstreitet, die Tat begangen hat.
Die Frage, ob dies vorliegend die Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, wenn es sich um die einzige öffentliche Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall gehandelt hätte, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand, muss die Kammer nicht beantworten, weil es nicht die einzige Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall ist, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand.
Der abgelehnte Richter hat nämlich auch den Fall des früheren Bundestagsabgeordneten Edathy kommentiert, Diesem war im Jahr 2014 der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften vorgeworfen worden, Das Verfahren ist in der dortigen Hauptverhandlung gemäß § 153a StPOgegen Zahlung eines Geldbetrages von 5.000,- € vorläufig eingestellt worden.
Der abgelehnte Richter hat dazu auf der Internetseite „Netzfrauen.org" geschrieben, dass er sich für „das Gerichtsurteil" schäme; er sei selbst bei Gericht tätig.
Dass die Einstellung durch Beschluss und nicht durch ein Urteil erfolgte, ist unerheblich.
Erheblich ist vorliegend die Kommentierung durch den abgelehnten Richter in der Zusammenschau mit seiner Kommentierung während der hier laufenden Hauptverhandlung zu der Meldung des Express.
Der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist ein Delikt, das - gerade wegen des Bezugs zu Kindern - in der Öffentlichkeit regelmäßig als besonders verwerflich angesehen wird. Und das, was Herr Edathy gemacht hat, ist moralisch ohne jede Frage verwerflich gewesen.
Die auch in der Öffentlichkeit diskutierte Frage war in jenem Fall aber, ob das, was Herr Edathy erworben hatte, nach der seinerzeit gegebenen Rechtslage überhaupt pornographisches Material darstellte oder ob es nach der damaligen Gesetzeslage noch in einer Grauzone angesiedelt war, die den Straftatbestand noch nicht erfüllte. Es bestand deshalb durchaus die Möglichkeit, dass Herr Edathy nicht schuldig gesprochen worden wäre. Dies war - neben der moralischen Entrüstung - Gegenstand auch der öffentlichen Diskussion. Das Bestehen dieser Möglichkeit ändert an der moralischen Verwerflichkeit rein gar nichts, wird aber bei der dortigen Entscheidung, das Verfahren einzustellen, zumindest auch eine Rolle gespielt haben.
Wenn angesichts jener Situation jemand, der als Schöffe „bei Gericht tätig" ist, erklärt, dass er sich für eine auf dem Boden des geltenden Rechts getroffene gerichtliche Entscheidung „schämt", begründet das noch nicht notwendig die Besorgnis der Befangenheit in jedwedem zukünftigen Verfahren, an dem dieser Schöffe teilnimmt.
Im vorliegenden Verfahren begründet es aber in der Gesamtschau der Umstände eben diese Besorgnis, weil es in dem hiesigen Verfahren um den Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht und der abgelehnte Schöffe zweimal Fälle, in denen es ebenfalls um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht bzw. ging, in einer Weise kommentiert hat, die aus der Sicht des hiesigen Angeklagten und der Sicht eines vernünftigen Angeklagten auch bei ruhiger Prüfung der Sachlage besorgen lassen, dass der abgelehnte Richter eben bei der Beurteilung von Vorwürfen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betreffen, eine innere Haltung hat, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend. beeinflussen kann.
Das LG Düsseldorf hat in seinem Beschluss vom 02.06.2017 (20 KLs 70 Js 3429/12-10/15) folgendes entschieden:
Tenor:
Dem Antrag des Angeklagten, mit dem dieser den Schöffen Pp. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hat, wird stattgegeben.
Gründe:
Der gegen den Schöffen Pp. angebrachte Befangenheitsantrag des Angeklagten ist im Ergebnis begründet.
Zutreffend führt der Angeklagte in seiner Antragsschrift aus, dass es nicht darauf ankommt, ob ein Richter befangen ist oder nicht, sondern dass insoweit zu prüfen ist, ob aus der Sicht eines vernünftigen Angeklagten zu besorgen ist, dass der Richter befangen sein könnte.
Vorliegend ist im Ergebnis zu bejahen, dass eine solche Besorgnis besteht.
Anzumerken ist allerdings, dass die in dem Befangenheitsgesuch dargelegten Meinungsäußerungen des abgelehnten Richters im Internet die Grenzen des Art. 5 GG nicht überschreiten. Richtern und auch Schöffen ist es nicht grundsätzlich verwehrt, sich politisch zu äußern. Dies gilt auch, wenn die geäußerte politische Meinung manch einem nicht gefallen sollte und sich - wie hier — kritisch zu Migrationsthemen verhält. Aus kritischen Äußerungen eines Richters bzw. Schöffen zu Migrationsthemen lässt sich auch nicht grundsätzlich ableiten, dass ein solcher Richter bzw. Schöffe in einem Strafverfahren gegen einen Angeklagten mit Migrationshintergrund oder einen Angeklagten mit einer bestimmten Religionszugehörigkeit voreingenommen ist oder sein muss.
Vielmehr kommt es regelmäßig auf die genaue Betrachtung der Umstände des Einzelfalles an.
Diesbezüglich ist vorliegend eine inhaltliche und eine zeitliche Komponente zu berücksichtigen. Zumindest das Zusammenspiel von Inhalt und zeitlichem Zusammenhang einer der Meinungsäußerungen begründet angesichts des konkreten Tatvorwurfs im Zusammenhang mit einer weiteren Meinungsäußerung vorliegend aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Schöffen.
Gegenstand dieses Strafverfahrens ist der Vorwurf einer schweren Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
Während des Laufs der Hauptverhandlung hat der abgelehnte Richter öffentlich eine Meldung des Express über - ebenfalls - eine schwere Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung kommentiert, und dies in einer Welse, die im Ergebnis hinsichtlich ihres Sinngehalts nur die Deutung zulässt, dass der abgelehnte Richter davon ausgeht, dass der dortige Tatverdächtige, der die Tatbegehung abstreitet, die Tat begangen hat.
Die Frage, ob dies vorliegend die Besorgnis der Befangenheit begründet hätte, wenn es sich um die einzige öffentliche Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall gehandelt hätte, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand, muss die Kammer nicht beantworten, weil es nicht die einzige Kommentierung des abgelehnten Richters zu einem Fall ist, bei dem der Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Raum stand.
Der abgelehnte Richter hat nämlich auch den Fall des früheren Bundestagsabgeordneten Edathy kommentiert, Diesem war im Jahr 2014 der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften vorgeworfen worden, Das Verfahren ist in der dortigen Hauptverhandlung gemäß § 153a StPOgegen Zahlung eines Geldbetrages von 5.000,- € vorläufig eingestellt worden.
Der abgelehnte Richter hat dazu auf der Internetseite „Netzfrauen.org" geschrieben, dass er sich für „das Gerichtsurteil" schäme; er sei selbst bei Gericht tätig.
Dass die Einstellung durch Beschluss und nicht durch ein Urteil erfolgte, ist unerheblich.
Erheblich ist vorliegend die Kommentierung durch den abgelehnten Richter in der Zusammenschau mit seiner Kommentierung während der hier laufenden Hauptverhandlung zu der Meldung des Express.
Der Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist ein Delikt, das - gerade wegen des Bezugs zu Kindern - in der Öffentlichkeit regelmäßig als besonders verwerflich angesehen wird. Und das, was Herr Edathy gemacht hat, ist moralisch ohne jede Frage verwerflich gewesen.
Die auch in der Öffentlichkeit diskutierte Frage war in jenem Fall aber, ob das, was Herr Edathy erworben hatte, nach der seinerzeit gegebenen Rechtslage überhaupt pornographisches Material darstellte oder ob es nach der damaligen Gesetzeslage noch in einer Grauzone angesiedelt war, die den Straftatbestand noch nicht erfüllte. Es bestand deshalb durchaus die Möglichkeit, dass Herr Edathy nicht schuldig gesprochen worden wäre. Dies war - neben der moralischen Entrüstung - Gegenstand auch der öffentlichen Diskussion. Das Bestehen dieser Möglichkeit ändert an der moralischen Verwerflichkeit rein gar nichts, wird aber bei der dortigen Entscheidung, das Verfahren einzustellen, zumindest auch eine Rolle gespielt haben.
Wenn angesichts jener Situation jemand, der als Schöffe „bei Gericht tätig" ist, erklärt, dass er sich für eine auf dem Boden des geltenden Rechts getroffene gerichtliche Entscheidung „schämt", begründet das noch nicht notwendig die Besorgnis der Befangenheit in jedwedem zukünftigen Verfahren, an dem dieser Schöffe teilnimmt.
Im vorliegenden Verfahren begründet es aber in der Gesamtschau der Umstände eben diese Besorgnis, weil es in dem hiesigen Verfahren um den Vorwurf einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht und der abgelehnte Schöffe zweimal Fälle, in denen es ebenfalls um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung geht bzw. ging, in einer Weise kommentiert hat, die aus der Sicht des hiesigen Angeklagten und der Sicht eines vernünftigen Angeklagten auch bei ruhiger Prüfung der Sachlage besorgen lassen, dass der abgelehnte Richter eben bei der Beurteilung von Vorwürfen, die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung betreffen, eine innere Haltung hat, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend. beeinflussen kann.
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16/01/2021 21:15
Dieser Artikel bietet Ihnen einen Überblick, welche richterlichen Äußerungen einen Ausschluss des Richters aus dem Verfahren verursacht haben. Nicht jeder Verdacht über die Unvoreingenommenheit des Richters ist begründet. Die Äußerung muss immer in dem Kontext betrachtet werden, in dem sie geäußert worden ist - Streifler & Kollegen, Dirk Streifler. Rechtsanwalt für Strafrecht
16/01/2021 20:58
Zwischen unterschiedlichen Graden persönlicher oder beruflicher Beziehung zum Richter muss unterschieden werden, um gerechtfertigte Zweifel über seine Objektivität zu hegen. In diesem Artikel lesen Sie, wann ein Richter aufgrund der Vermutung der Befangenheit aus dem Verfahren ausgeschlossen wurde und unter welchen Voraussetzungen ein solches Ablehnungsgesuch als unbegründet verwiesen worden ist - Streifler & Kollegen, Dirk Streifler, Anwalt für Strafrecht
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Veröffentlicht ein Strafrichter auf seinem öffentlich zugänglichen Facebook-Profil ein Foto von sich mit seinem lesbaren T-Shirt Aufdruck „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA` inklusive Kommentar „Das ist mein - wenn du raus kommst, bin ich in Rente-Blick“, so rechtfertigt dieses Handeln eine Besorgnis der Unvoreingenommenheit des Richters. Der Richter wird in Folge eines solchen Beitrages aufgrund der Besorgnis der Befangenheit nach § 22 IIStPO vom Verfahren abgelehnt und das Verfahren muss zwingend neu „aufgerollt“ werden – Streifler & Kollegen, Dirk Streifler, Anwalt für Strafrecht
17/01/2021 22:05
In dieser Grundsatzentscheidung vom 17.06 2015 befand der Bundesgerichtshof (2 StR 228/14) über die Unzulässigkeit der Nutzung eines Mobiltelefones durch den Richter in der Hauptverhandlung. Eine solche Handlung würde die Annahme der Befangenheit des Richters rechtfertigen. Irrelevant hierbei ist die Bedeutung der privaten Handynutzung sowie ob der Richter tatsächlich befangen war. Eine Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 II StPO liege jedenfalls dann vor, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit beeinflussen kann. Dies sei bei der Handynutzung während der Hauptverhandlung zu bejahen – Streifer & Kollegen, Dirk Streifler, Anwalt für Strafrecht
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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.