Strafprozessrecht: Begründung der richterlichen Befangenheit aufgrund eines vom vorsitzenden Richter veröffentlichten Facebook-Posts

Worum ging es?
Im April 2015 verurteile das LG Rostock zwei Männer u.a. wegen erpresserischen Menschraubs zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Während des laufenden Gerichtsverfahrens entdeckte der Verteidiger eines Angeklagten Facebook-Profil des vorsitzenden Richters und stellte sodann einen Befangenheitsantrag.
Grund dafür war ein solcher: Der Richter des LG Rostocks hatte ein Foto auf seinem Profil veröffentlicht, auf welchem er abgelichtet war. Im Fokus des Fotos stand allerdings nicht er, sondern vielmehr die lesbare Schrift auf seinem T-Shirt: „Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA.“ Unter das Foto veröffentlichte der Richter den Kommentar „Das ist mein „Wenn du raus kommst, bin ich in Rente-Blick.""
Die Instanzen im Überblick
Das Landgericht (12 KLs 47/14) lehnte das Ablehnungsgesuch des Verteidigers ab. Die Absage begründete es damit, dass der Internetauftritt des Richters in Form des Fotos inkl. Kommentars ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich betreffe und offensichtlich als Witz konzipiert war. Gegen die Entscheidung des Landgerichts legten die beiden Männer Revision ein – der Bundesgerichtshof gab ihnen Recht und hob in der Folge die Urteile auf.
Der Senat (3 StR 482/15) führte in seiner Entscheidung aus, dass der Inhalt des Facebook Profils des Richters öffentlich zugänglich sei und eine Einstellung von diesem Preis gebe, die Anlass zur Sorge gebe, dass er seine Strafverfahren nicht objektiv beurteile, sondern Spaß an der Verhängung hoher Strafen habe sowie sich über die im Verfahren sitzenden Angeklagten amüsiere. Vielmehr betonte der Senat, dass sein Facebook-Auftritt mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren sei.
In der Folge musste das Strafverfahren vor einem anderen Landgericht wiederholt werden.
Fazit
Das Recht des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter i.S.v. Art. 101 I 2 GG und das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 6 EMRK wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte mit einem Richter (oder einer anderen Gerichtsperson nach §31ff.StPO) konfrontiert würde, der Anlass zum Zweifeln an seiner Unparteilichkeit gibt.
Maßgeblich für die Begründung einer Unvoreingenommenheit des Richters ist, ob aus Sicht einer vernünftigen Prozesspartei plausible und verständliche Zweifel an einer objektiven Einstellung des Richters bestehen.Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts zu Recht aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurück verwiesen.
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[E.K.]
Richterablehnung: Ablehnung des Vorsitzenden einer Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit aufgrund des Inhalts seines Facebook-Profils
Orientierungssatz
Die Facebook-Seite des Vorsitzenden einer Strafkammer, auf der dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA" bedruckt ist sowie den Vermerk enthält "2. Große Strafkammer bei Landgericht Rostock" und im Kommentarbereich den Eintrag des Vorsitzenden: "Das ist mein 'Wenn du raus kommst, bin ich in Rente-Blick", rechtfertigt die Besorgnis der Befangenheit, da der Inhalt der Facebook-Seite eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden dokumentiert, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig.
Tenor
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 22. April 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Strafkammer des Landgerichts Stralsund zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hatte die Angeklagten unter anderem des erpresserischen Menschenraubs schuldig gesprochen und den Angeklagten B. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sowie den Angeklagten Y. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Auf die Revisionen der Angeklagten hatte der Senat das erstinstanzliche Urteil wegen eines Rechtsfehlers bei der Beweiswürdigung mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Diese hat nunmehr gegen die Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung sowie wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung jeweils auf dieselben Gesamtfreiheitsstrafen wie zuvor erkannt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
Mit ihren Revisionen beanstanden die Angeklagten die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Rüge Erfolg, bei dem Urteil habe ein Richter mitgewirkt, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist, § 338 Nr. 3, § 24 StPO. Auf die übrigen Verfahrensbeanstandungen sowie die Sachrüge kommt es deshalb nicht an.
1. Der Rüge liegt im Wesentlichen folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Der Verteidiger des Angeklagten Y. nahm am Abend des 22. Januar 2015 erstmals von dem Facebook-Account des Vorsitzenden der Strafkammer Kenntnis. Im öffentlich zugänglichen Bereich war auf der Profilseite ein Lichtbild des Vorsitzenden zu sehen, auf dem dieser mit einem Bierglas in der Hand auf einer Terrasse sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit der Aufschrift: "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA" bedruckt ist. Auf derselben Seite war vermerkt: "2. Große Strafkammer bei Landgericht Rostock". In der Zeile darunter hieß es: "1996 bis heute". Im Kommentarbereich befand sich ein Eintrag des Vorsitzenden, der wie folgt lautete: "Das ist mein 'Wenn du raus kommst, bin ich in Rente'-Blick". Dieser Eintrag wurde von einem Benutzer mit den Worten: "…sprach der schwedische Gardinen-Verkäufer! :-))" kommentiert, was wiederum von zwei Personen, darunter der Vorsitzende, "geliked" wurde. Zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages lehnte der Angeklagte Y. daraufhin den Vorsitzenden wegen des Inhalts der Facebook-Seite und weiterer Umstände wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Der Angeklagte B. schloss sich diesem Gesuch an. In der Folgezeit äußerte sich der Vorsitzende dienstlich zu dem den Facebook-Account betreffenden Inhalt des Ablehnungsgesuches wie folgt: "Zum weiteren Vorbringen im Ablehnungsgesuch gebe ich keine Stellungnahme ab. Ich werde mich nicht zu meinen privaten Lebensverhältnissen äußern." Am 28. Januar 2015 wies die Strafkammer die Ablehnungsgesuche der Angeklagten als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Internetauftritt des Vorsitzenden betreffe ausschließlich dessen persönlichen Lebensbereich und sei offensichtlich humoristisch geprägt.
2. Die in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) erhobene Rüge ist begründet.
Die Ablehnung eines Richters ist nach § 24 Abs. 2 StPO gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann. Maßstab für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein vernünftiger bzw. verständiger Angeklagter (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. Mai 2014 - 1 StR 726/13, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 23; Urteil vom 12. November 2009 - 4 StR 275/09, BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 21).
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Inhalt der öffentlich und somit auch für jeden Verfahrensbeteiligten zugänglichen Facebook-Seite dokumentiert eindeutig eine innere Haltung des Vorsitzenden, die bei verständiger Betrachtung besorgen lässt, dieser beurteile die von ihm zu bearbeitenden Strafverfahren nicht objektiv, sondern habe Spaß an der Verhängung hoher Strafen und mache sich über die Angeklagten lustig. Die beschriebene Facebook-Seite enthält auch einen eindeutigen Hinweis auf die berufliche Tätigkeit des Vorsitzenden und betrifft deshalb nicht lediglich dessen persönliche Verhältnisse. Unter diesen Umständen war ein noch engerer Zusammenhang mit dem konkreten, die Angeklagten betreffenden Strafverfahren nicht erforderlich, um bei ihnen die berechtigte Befürchtung zu begründen, dem Vorsitzenden mangele es an der gebotenen Neutralität. Das in dem Ablehnungsgesuch dargelegte Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden ist deshalb gerechtfertigt. Dessen Internetauftritt ist insgesamt mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit eines im Bereich des Strafrechts tätigen Richters nicht zu vereinbaren.
3. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hat von der in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Verfahren an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass das neue Tatgericht gegebenenfalls bei der Bestimmung der Rechtsfolgen auch den weiteren Zeitablauf in den Blick zu nehmen haben wird.

Gesetze
Gesetze
Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung
Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung

Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Jan. 2016 - 3 StR 482/15
Bundesgerichtshof Urteil, 12. Nov. 2009 - 4 StR 275/09
Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Mai 2014 - 1 StR 726/13

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