Bundesgerichtshof Urteil, 22. März 2012 - 4 StR 558/11
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.
A.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
- 4
- Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
- 5
- II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
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- III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
- 7
- Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
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- Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.
B.
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- Die Revision des Angeklagten
- 10
- I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
- 11
- 1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
- 12
- Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
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- 2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
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- 3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
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- II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
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- III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
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- 2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.
C.
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- Die Revision der Staatsanwaltschaft
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- Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
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- I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
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- 1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
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- 2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
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- II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- 1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
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- 2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
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- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
- 27
- b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
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- aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
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- bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
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- Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
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- cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
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- Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
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- An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
- 34
- Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
- 35
- Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
- 36
- dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
- 37
- 3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
- 38
- III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
- 39
- IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Mutzbauer Quentin
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Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.
(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen
- 1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c), - 1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d), - 2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316), - 3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder - 4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.
(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.
(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.
(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.
(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.
(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.
(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in sieben Fällen, wegen Sachbeschädigung in 14 Fällen, wegen Betruges in 26 Fällen und wegen versuchten Betruges in 13 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt; außerdem hat es eine Maßregel nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat - unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Der Erörterung bedarf nur die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in den Fällen II. 7, II. 19, II. 50 und II. 60 der Urteilsgründe.
- 3
- 1. Nach den hierzu rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte im Zeitraum von September 2007 bis September 2008 vier Verkehrsunfälle jeweils absichtlich herbeigeführt (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB) und die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, dass er einen "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff" im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgenommen hat. Dabei sind an den Fahrzeugen der Unfallgegner Schäden in Höhe von 1.062,11€, 792,30 €, 800 € bzw. 885,84 € verursacht worden; dass ein darüber hinausgehender Sachschaden oder sogar ein Personenschaden konkret gedroht haben, ist in keinem dieser Fälle festgestellt.
- 4
- 2. Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass eine Gefährdung für fremde Sachen von bedeutendem Wert im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB zur Tatbestandserfüllung nur ausreicht, wenn auch der konkret drohende Schaden bedeutenden Umfangs war (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - 4 StR 1/07, NStZ-RR 2008, 83 m.w.N.), und hat diese Voraussetzung in den fraglichen vier Fällen als erfüllt angesehen. Dabei hat es sich an der Rechtsprechung des Senats ausgerichtet, wonach die Wertgrenze für die Annahme der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert bei mindestens 750 € liegt (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 121; Beschlüsse vom 27. September 2007 - 4 StR 1/07; vom 29. April 2008 - 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289; vom 20. Oktober 2009 - 4 StR 408/09, NZV 2010, 261). Gegenstand der letztgenannten Entscheidung war unter anderem ein Unfallgeschehen vom Januar 2008.
- 5
- 3. Für eine Anhebung dieser Wertgrenze sieht der Senat keinen Anlass.
- 6
- a) Allerdings wird in der Literatur teilweise eine höhere Wertgrenze von bis zu 1.300 € angenommen, die der Grenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB angeglichen ist (vgl. Heine, in: Schönke /Schröder, StGB, 28. Aufl., Vorbem. zu §§ 306 ff. Rn. 15; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 315 Rn. 16a; Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 21. Aufl., § 315c StGB Rn. 7; MünchKommStGB/Barnickel § 315 Rn. 69: ca. 850 € für Januar 2006; wie die Senatsrechtsprechung dagegen: König in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 315 Rn. 95; SSW-StGB/Ernemann § 315c Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 315c Rn. 24).
- 7
- Vereinzelt haben auch Oberlandesgerichte eine Wertgrenze von 1.300 € für die konkrete Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert angenommen. Das Thüringer OLG hat dies mit der Angleichung an die Grenze zum bedeutenden Schaden im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB begründet (Beschluss vom 17. September 2008 - 1 Ss 167/08, OLGSt StGB § 315c Nr. 16); das OLG Hamm hat ohne weitere Begründung lediglich auf die Kommentierung von Fischer, StGB, 55. Aufl., § 315 Rn. 16a verwiesen (Beschluss vom 2. Dezember 2008 - 4 Ss 466/08, NStZ-RR 2009, 185, 186).
- 8
- b) Eine Angleichung an die Wertgrenze des bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nicht angezeigt, weil die Vorschriften unterschiedliche Schutzzwecke verfolgen.
- 9
- Der Schadensbegriff des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist nach dem Normzweck des § 142 StGB zu bestimmen, der dem Interesse der Unfallbeteiligten an der Aufklärung der Unfallursachen zur Klarstellung der privatrechtlichen Verantwortlichkeit und damit an der Sicherung bzw. Abwehr zivilrechtlicher Ersatzansprüche dient (vgl. Geppert in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 69 Rn. 84, § 142 Rn. 1; Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder aaO § 142 Rn. 1a m.w.N.). Maßgeblich ist daher nicht der reine Sachschaden, sondern der Geldbetrag, der erforderlich ist, den Geschädigten so zu stellen, als wäre das schädigende Ereignis nicht eingetreten (vgl. MünchKommStGB/Athing § 69 Rn. 70 m.w.N.). Deswegen sind neben den Reparaturkosten auch Bergungsund Abschleppkosten einzubeziehen.
- 10
- Bei §§ 315b, 315c StGB ist demgegenüber allein auf den (drohenden) Schaden an der Sache selbst abzustellen, wobei der Wert der Sache nach deren Verkehrswert, die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2008 - 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 m.w.N.; vgl. auch König aaO § 315 Rn. 82a, 90). Die Vorschriften bezwecken den Schutz des Allgemeininteresses an der Sicherheit des Straßenverkehrs, der in ihnen verwirklichte Schutz auch des Einzelnen ist nur eine Nebenwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 - 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 15. Dezember 1998 - 4 StR 576/98, NStZ-RR 1999, 120). Das Schwergewicht der Vorwerfbarkeit liegt dementsprechend - ungeachtet der Ausgestaltung der Straftatbestände als Erfolgsdelikte (vgl. BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 - 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119) - in der besonderen Gefährlichkeit der Tathandlung für die Allgemeinheit und damit im Handlungsunrecht; der Erfolgsunwert - der Niederschlag der abstrakten Gefährdung in einer konkreten Gefahr für Individualrechtsgüter - hat lediglich strafbarkeitsbegrenzende Funktion (vgl. König aaO § 315 Rn. 5), der auch die weitere Einschränkung des bedeutenden Wertes dient (vgl. Barnickel aaO § 315 Rn. 69). Insofern rechtfertigt der Schutzzweck der §§ 315b, 315c StGB die Bestimmung eines niedrigeren Grenzwertes als bei § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB auch losgelöst von der unterschiedlichen Berechnungsgrundlage (zur Abhängigkeit verschiedener Wertgrenzen vom jeweiligen Norm- zweck vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2002 - 4 StR 165/02, BGHSt 48,
14).
- 11
- c) Schließlich gebietet auch die in den letzten Jahren eingetretene wirtschaftliche Entwicklung eine Anhebung des Grenzwertes für Sachwert und Schadenshöhe nicht. Bei der Wertgrenze handelt es sich zwar um eine veränderliche Größe, die maßgeblich von der Entwicklung der Preise und Einkommen abhängig ist (vgl. König aaO § 315 Rn. 94). Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen, insbesondere im Hinblick auf die Tatbestandsbestimmtheit, kommt eine Anhebung der Wertgrenze aber nur bei einer grundlegenden Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Betracht. Eine derartige Veränderung vermag der Senat nicht zu erkennen.
Franke Bender
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten dieses Rechtsmittels und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Zutreffend hat der Generalbundesanwalt dazu ausgeführt: „Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, weil weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag enthalten, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird.
Das Fehlen eines solchen ausdrücklichen Antrags ist dann unschädlich , wenn sich aus dem Inhalt der fristgerecht eingereichten Revisionsrechtfertigung das Anfechtungsziel eindeutig ergibt. Dies gilt auch für Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers (Senat in NJW 2003, 839 m. w. N.). Geht es indessen, wie im vorliegenden Fall, um einen Angeklagten, der entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft wegen einer Vielzahl von Straftaten verurteilt worden ist, läßt sich deren Anfechtungsziel aus einer nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge nicht sicher ermitteln. Gerade die Staatsanwaltschaft ist als unabhängiges Rechtspflegeorgan in jedem Stadium des Verfahrens zur Prüfung des Umfangs der Strafverfolgung verpflichtet (vgl. auch Nr. 156 RiStBV). Das Ergebnis dieser Prüfung muß in einem entsprechenden Revisionsantrag Ausdruck finden (Senat aaO).
Diesen Anforderungen entspricht das innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO beim Landgericht eingegangene Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 11. Dezember 2002 nicht. In diesem Schreiben wurde nämlich lediglich allgemein die Verletzung materiellen Rechts gerügt und erklärt, eine nähere Begründung bleibe einer gesonderten Verfügung vorbehalten. Erst aus dem weiteren Schreiben vom 17. Januar 2003 ergibt sich das eigentliche Anfechtungsziel des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels, nämlich die unterbliebene Anordnung der Wertersatzeinziehung.“ Harms Häger Gerhardt Brause Schaal
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten durch diese Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
G r ü n d e Das Landgericht hat vier Angeklagte von dem Vorwurf, sich in mehre- ren Fällen des Diebstahls, der Bestechlichkeit und der Bestechung strafbar gemacht zu haben, freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Zur Begründung der Revision rügt sie allgemein die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist unzulässig. Weder die Revisionseinlegungsschrift noch die Revisionsbegründung enthalten den nach § 344 Abs. 1 StPO erforderlichen Revisionsantrag, durch den der Umfang der Urteilsanfechtung bezeichnet wird. Das Fehlen eines solchen ausdrücklichen Antrags ist zwar dann unschädlich, wenn sich der Umfang der Anfechtung aus dem Inhalt der Revisionsbegründung ergibt. So ist nach der Rechtsprechung bei Revisionen des Angeklagten in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge regelmäßig die Erklärung zu sehen, daß das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1, 4; BGH NStZ-RR 2000, 38; BGH NStZ 1990, 96; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 344 Rdn. 2 m. w. N.). Auch bei Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers bedarf es in der Regel dann keines förmlichen Revisionsan- trags, wenn das Ziel der Revision aus dem Inhalt der Revisionsschrift oder dem Gang des bisherigen Verfahrens eindeutig hervorgeht (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 1; BGH bei Miebach NStZ 1989, 221; BGH, Urteile vom 7. Dezember 1982 – 1 StR 739/82 – und vom 12. August 1998 – 3 StR 196/98; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 344 Rdn. 4 m. w. N.). So liegt es hier jedoch nicht. Bei einem Strafverfahren gegen mehrere Angeklagte, denen eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt wird, läßt sich aus einer nicht näher ausgeführten allgemeinen Sachrüge das Anfechtungsziel der Staatsanwaltschaft nicht sicher ermitteln. Es bedarf vielmehr eines ausdrücklichen Antrags im Sinne der § 344 Abs. 1, § 352 Abs. 1 StPO, um das Begehren der Beschwerdeführerin hinreichend klar zu erkennen. Das in § 344 Abs. 1 StPO enthaltene Erfordernis, daß der Revisionsantrag den Umfang der Anfechtung erkennen lassen muß, ist vor allem in den Fällen von besonderer Bedeutung, in denen das Urteil wie hier mehrere Angeklagte und mehrere selbständige Straftaten betrifft. Die allgemeine Sachrüge macht nämlich – im Gegensatz zu einer insoweit begründeten Revision eines Angeklagten – nicht deutlich, daß damit alle Rechtsmittel begründet werden sollen. Richtet sich die Revision gegen ein Urteil mit mehreren selbständigen Tatvorwürfen, bleibt der Umfang des Revisionsangriffs unklar. Es ist nämlich gerade nicht selbstverständlich , daß die Staatsanwaltschaft ihren Verfolgungswillen nach Durchführung einer Hauptverhandlung entsprechend ihrer Anklageschrift aufrechterhält. Sie ist – als insoweit unabhängiges Rechtspflegeorgan – in jedem Stadium des Verfahrens zur Prüfung des Umfangs der Strafverfolgung verpflichtet. Das Ergebnis dieser Prüfung muß hier – wie es Nr. 156 Abs. 2 RiStBV vorsieht – in einem Revisionsantrag Ausdruck finden. Damit wird keine sachwidrige Ungleichbehandlung im Vergleich mit einer Revision eines Angeklagten begründet. Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urt. vom 4. September 1952 – 5 StR 51/52), daß im Hinblick auf sachliche Besonderheiten einer staatsanwaltschaftlichen Revision deren Begründung strenger auszulegen ist als die der Angeklagten und Nebenbeteiligten. Dies wird ganz besonders deutlich in Fällen der vorliegen- den Art: Die Angeklagten sollen zum Teil gemeinschaftlich, zum Teil allein und zum Teil als Gehilfen handelnd in 16 selbständigen Fällen Gedenkmünzen aus verschiedenen Landeszentralbanken entwendet sowie für die rechtswidrige Entwendung Provisionen gezahlt bzw. erhalten haben. Da die Rechtsmittel den Anforderungen des § 344 Abs. 1 StPO nicht genügen, sind sie als unzulässig zu verwerfen. Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 473 Rdn. 15).
Harms Häger Raum Brause Schaal
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räu berischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Strafausspruch beschränkte und auf die Sachrüge gestützte , vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Revision der Staatsanwaltschaft , mit der namentlich die Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB beanstandet wird, bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat im wesentlichen folgende Feststellun gen getroffen :
Der Angeklagte und der Mitangeklagte kamen überein, den dem Angeklagten bekannten Autohändler S in dessen Geschäft auszurauben. Sie begaben sich, der Angeklagte mit einem Kuhfuß, der Mitangeklagte mit einem Klappmesser ausgerüstet, zu dem Geschäft und zogen sich beim Be-
treten des ersten Büroraumes jeweils eine Sturmwollhaube, in die Augenschlitze eingeschnitten waren, über den Kopf. Während der Angeklagte den Kuhfuß hervorholte und zielstrebig in den angrenzenden zweiten Büroraum zu dem Zeugen S lief, befahl der Mitangeklagte der Büroangestellten K im ersten Raum: „Hinlegen! Guck mich nicht an! Wo ist das Geld?“ Anweisungsgemäß legte sich die völlig verängstigte Zeugin mit dem Gesicht nach unten auf den Boden und sagte, sie wisse nicht, wo sich das Geld befinde. Der Angeklagte forderte von dem Zeugen S : „Gib das Geld!“ Dabei hielt er drohend den Kuhfuß in seiner Hand. Aus Angst übergab der Zeuge dem Angeklagten 1.800 € aus seiner Hosentasche. Der Angeklagte nahm erneut eine drohende Haltung ein und fragte, wo „das andere Geld“ sei. Der ZeugeS übergab dem Angeklagten daraufhin sein Portemonnaie mit 200 €. Als sich zwei Kunden näherten, flüchteten die Angeklagten mit ihrer Beute. Auf der Flucht entledigten sie sich der Beute, des Kuhfußes und des Klappmessers.
Die psychischen und die daraus resultierenden sozialen Folg en der Tat für die beiden Tatopfer hat das Landgericht bei den Feststellungen (UA S. 12) und zudem im Rahmen der Beweiswürdigung (UA S. 16) als erheblich hervorgehoben: Beide Tatopfer haben beträchtliche Schwierigkeiten, allein außer Hauses zu gehen. Der GeschädigteS hat seinen Gewerbebetrieb verlegt. Der Geschädigten K fiel es schwer, „überhaupt noch arbeiten zu gehen“.
II.
Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprü fung stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen,
sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dagegen ist eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 349). Das gilt auch insoweit, als die tatrichterliche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht. Die vom Tatrichter vorgenommene Wertung ist vom Revisionsgericht nur begrenzt nachprüfbar. Weist sie keinen Rechtsfehler auf, ist sie deshalb auch dann zu respektieren, wenn eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre oder vielleicht sogar näher gelegen hätte (BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall Gesamtwürdigung , fehlerfreie 1 m.w.N.).
Hier ist das Landgericht aufgrund einer Gesamtwürdigu ng ohne Rechtsfehler insbesondere zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 250 Abs. 3 StGB gelangt. Es hat zu Lasten des Angeklagten in Rechnung gestellt, daß der geringfügig vorbestrafte Angeklagte die „treibende Kraft“ der beiden Täter war und daß „zwei Personen durch seine Tat … geschädigt wurden.“ Mit letzterer Wendung hat das Landgericht ersichtlich auch den festgestellten und bewerteten besonderen Grad der psychischen und sozialen Schädigung der beiden Tatopfer (UA S. 12, 16) in Bezug genommen. Zugunsten des Angeklagten hat das Landgericht insbesondere sein frühes Geständnis, das Ausbleiben eines dauerhaften materiellen Schadens, seine schriftliche Entschuldigung bei beiden Tatopfern, sein mit 22 Jahren geringes Alter und seine Beeindruckung durch die erfahrene Untersuchungshaft berücksichtigt.
Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Nennung des zulässigen Strafschärfungsgrundes der Maskierung der Täter (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 17; BGH, Urteil vom 11. Januar 2000
– 4 StR 611/99) vermißt, gilt – neben dem oben genannten begrenzten Überprüfungsmaßstab – folgendes: Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich. Daraus, daß ein für die Strafzumessung bedeutsamer Umstand nicht ausdrücklich angeführt worden ist, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden , der Tatrichter habe ihn überhaupt nicht gesehen oder nicht gewertet (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 24, 268; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 17).
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 301 StPO) sind nicht ersichtlich.
Häger Gerhardt Raum Brause Schaal
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen, jeweils im Zusammentreffen mit gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn vom Vorwurf , einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Dieses Rechtsmittel hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine Verfahrensrüge erhebt, ist unbegründet.
- 2
- Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schloss sich der Angeklagte spätestens im August 2007 mit dem M. K. und dem C. zusammen, um durch Raubüberfälle auf potentiell vermögende Tatopfer in deren Wohnungen an Geld und Wertgegenstände zu gelangen. Der Bande schlossen sich im weiteren Verlauf noch vier Personen an. Der erste Überfall, an dem der Angeklagte teilnahm, erfolgte am 29. August 2007 in M. . Dieser ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Von dem Vorwurf, am 28. Juli 2009 an dem Überfall auf L. in O. beteiligt gewesen zu sein, wurde der Angeklagte freigesprochen. Verurteilt wurde er wegen einer Tat in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 2009. Opfer waren die Ehefrau des M. K. , H. K. , und die im selben Haus wohnende E. .
II.
- 3
- Der Senat ist mit Vorsitzendem Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann , Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck sowie den Richtern am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer und Bender vorschriftsmäßig besetzt. Das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Absatz 1 Satz 2 GG) ist gewahrt (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2012 – 4 StR 523/11).
III.
- 4
- Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 5
- 1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung zudem, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 mwN; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36; BGH, Urteil vom 17. März 2005 – 4 StR 581/04, NStZ-RR 2005, 209; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, jew. mwN).
- 6
- 2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
- 7
- a) Die Erwägungen des Landgerichts, warum eine aktive Beteiligung des Angeklagten an der Tat vom 28. Juli 2009 trotz seiner eindeutigen Identifizierung als Spurenleger an einem am Tatort aufgefundenen 60 cm langen Klebeband (Spur T06.06) nicht nachweisbar sei, lassen besorgen, dass es überspannte Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die DNA-Antragung bei einem Anlass erfolgt sei, der in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geschehen zum Nachteil des L. stehe. Die DNA-Antragung befand sich an der gerissenen Seite des Klebebandes, während die andere Kante mittels eines Abrollers durchtrennt war. Aufgrund der generellen persönlichen Verflechtung des Angeklagten mit den Tätern bestehe die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass der Angeklagte die Klebebandrolle im anderen Zusammenhang in der Hand gehabt habe. Selbst wenn sich die gerissene Kante bei Tatbeginn noch im Rolleninneren befunden hätte, könne die DNA-Antragung seitlich der späteren Abrisskante erfolgt sein. Hierfür spreche , dass die Täter bei der Tatausführung Gummihandschuhe getragen hätten, also darauf bedacht gewesen seien, keine Spuren zu hinterlassen.
- 8
- Das Landgericht hat der Spur T06.06 den Beweiswert rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte vor der Tat zum Nachteil des L. und ohne Zusammenhang mit dieser die dort verwendete Klebebandrolle angefasst hätte, sind nicht festgestellt. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die Täter bei der Tatausführung Gummihandschuhe trugen, ist die Beweiswürdigung lückenhaft, denn sie setzt sich nicht mit dem Umstand ausei- nander, dass auch am Tatort in M. DNA-Spuren des nach der Überzeugung des Landgerichts tatbeteiligten Angeklagten gesichert worden sind. Im Übrigen belegen auch die Spuren an drei weiteren Gegenständen am Tatort (im Folgenden unter b), insbesondere diejenige am Küchenmesser des Geschädigten, dass es trotz der von den Tätern getragenen Gummihandschuhe zu Spurenantragungen am Tatort gekommen ist. Auch dies wird vom Landgericht nicht bedacht.
- 9
- b) Das Landgericht hat bei weiteren Spuren vom Tatort zu Unrecht eine Indizwirkung für eine Anwesenheit des Angeklagten verneint. Es wurden DNASpuren an einem weiteren Stück Klebeband (Spur RL51.03), an einem Küchenmesser des Geschädigten und an einem Kabelbinder gesichert, die jeweils Mischprofile ergaben. An dem Klebeband RL51.03 waren in allen bewerteten PCR-Systemen Merkmale nachweisbar, die mit denen des Geschädigten und denen des Angeklagten übereinstimmen. Hinsichtlich des Küchenmessers ergaben sich in allen elf überprüften PCR-Systemen Hinweise auf Übereinstimmungen des überwiegenden Spurenanteils mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten. An dem Kabelbinder waren neben Merkmalen, die mit denen des Geschädigten übereinstimmen, zusätzliche Allele nachweisbar, die Hinweise auf Übereinstimmungen mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten ergaben. Das Landgericht hat diesen Spuren jeglichen belastenden Beweiswert abgesprochen , weil sie keine Aussage zur Identitätswahrscheinlichkeit zuließen.
- 10
- Auch wenn von den drei am Tatort gesicherten Mischspuren jede für sich allein eine Überführung des Angeklagten nicht zuließ, durfte ihnen ein Indizwert in der Zusammenschau mit anderen Beweisanzeichen, insbesondere mit der Spur T06.06, nicht abgesprochen werden. Das Vorhandensein von Übereinstimmungen von DNA-Spuren mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten an drei (weiteren) Gegenständen am Tatort, wovon das Küchenmesser nicht von den Tätern mitgebracht worden war, kann für eine Anwesenheit des Angeklagten sprechen.
- 11
- c) Schließlich fehlt hinsichtlich des hier angegriffenen Freispruchs auch die gebotene Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, den Beweiswert der DNA-Spuren einzeln zu erörtern und auf ihren Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen jeweils zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit insbesondere auch zusammen mit denjenigen Indizien, die das Landgericht für die Zuordnung der Tat zu der Bande um M. K. angeführt hat (UA S. 30 f, 33), die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können. Es ist nicht auszuschließen, dass der Freispruch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.
IV.
- 12
- Die Revision des Angeklagten zeigt keinen ihn belastenden Rechtsfehler auf.
- 13
- 1. Der Angeklagte ist für die Verfolgung der verfahrensgegenständlichen Taten, die auch dem Europäischen Auslieferungshaftbefehl zugrunde lagen, von der Russischen Föderation ausgeliefert worden. Die Revision beanstandet mit einer Verfahrensrüge, dass das Landgericht Beweiserhebungen zu dem Raubüberfall am 29. August 2007 durchgeführt hat, der nicht Gegenstand des Europäischen Haftbefehls und der Auslieferungsbewilligung war. Als Ergebnis dieser Beweiserhebungen sei das Landgericht zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte den Überfall vom 30./31. Dezember 2009 als Bandenmitglied ausgeführt und so die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht habe, was sich strafschärfend ausgewirkt habe.
- 14
- Ob der Verurteilung des Angeklagten mit Rücksicht auf seine Auslieferung gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen entgegenstehen, ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Die Nachprüfung ergibt, dass die Verurteilung nicht gegen den Grundsatz der Spezialität verstößt.
- 15
- a) Die Auslieferungsbewilligung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 27. August 2010 erfasst ausdrücklich die Verfolgung des Angeklagten wegen Raubes nach § 250 StGB. Sie enthält keine Einschränkung hinsichtlich bestimmter Tatmodalitäten.
- 16
- Darüber hinaus schließt Art. 14 Abs. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) eine Verurteilung unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht aus, sofern ihr derselbe Sachverhalt zugrunde liegt und die Tatbestandsmerkmale der rechtlich neu gewürdigten strafbaren Handlung die Auslieferung gestatten würden (BGH, Urteil vom 6. März 1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318; Urteil vom 28. Mai 1986 – 3 StR 177/86, StV 1987, 6). Dies gilt auch im Verhältnis von Grundtatbestand und qualifizierenden bzw. privilegierenden Tatbeständen (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318 und vom 11. Januar 2000 – 1 StR 505/99, NStZ-RR 2000, 333; vgl. auch Vogel/Burchard in Grütz- ner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl. § 11 IRG Rn. 43).
- 17
- Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk sind im konkreten Fall erfüllt. Der Verurteilung liegt derselbe Sachverhalt zu Grunde. Der im Europäischen Auslieferungshaftbefehl nicht explizit angeführte Bandenraub ist eine auslieferungsfähige Straftat. Das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation kennt den Tatbestand des Raubes begangen „von einer organisierten Gruppe“, der mit Freiheitsentzug von acht bis fünfzehn Jahren geahndet wird (Art. 162 Nr. 4a, siehe Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation nach dem Stand vom 1.1.2007).
- 18
- b) Das Landgericht war auch nicht gehindert, Feststellungen zur Zugehörigkeit des Angeklagten zu der Bande um M. K. zu treffen, und zu diesem Zweck Beweiserhebungen über frühere Überfälle durchzuführen. Der Spezialitätsgrundsatz schließt nicht aus, Umstände, die eine Straftat darstellen, auf die sich die Auslieferung nicht erstreckt, bei der Überzeugungsbildung hinsichtlich der Täterschaft der Auslieferungstat als Indiz zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352 = NStZ 1987, 417; Urteil vom 20. Dezember 1968 – 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307, 310 f.; aA Gillmeister NStZ 2000, 344, 345). Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk verbietet u. a. die Aburteilung und die Verfolgung des Ausgelieferten wegen einer anderen Straftat als derjenigen , für welche die Auslieferung bewilligt worden ist. Von der „Verfolgung“ einer Tat kann aber nur bei einem Verfahren gesprochen werden, das diese Tat zum Gegenstand hat und mit dem Ziel ihrer Ahndung oder der Verhängung einer wegen ihr gebotenen Maßnahme durchgeführt wird. Gegenstand eines solchen eigenständigen Verfahrens wird eine Tat nicht schon dadurch, dass die Beweisaufnahme in dem eine andere Tat betreffenden Prozess auf sie erstreckt wird, weil sie als Indiz zum Nachweis dieser anderen Tat in Betracht kommt.
- 19
- c) Aufgrund der festgestellten Bandenmitgliedschaft hat das Landgericht hinsichtlich der Tat vom 30./31. Dezember 2009 den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB neben dem des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB als erfüllt angesehen und dies dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet. Auch dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar darf ein Sachverhalt, der nicht zu der Auslieferungstat im Sinne des § 264 StPO gehört, nicht bei der Bestimmung der Strafhöhe zum Nachteil des Angeklagten Verwendung finden (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86 aaO; Urteil vom 19. Februar 1969 – 2 StR 612/68, BGHSt 22, 318). Danach ist nicht nur die Festsetzung selbständiger Strafen für andere Taten als die Auslieferungstat ausgeschlossen, sondern auch deren Mitbestrafung auf dem Wege der Erhöhung der für die Auslieferungstat verwirkten Strafe. Dies schließt jedoch nicht aus, den Strafrahmen eines festgestellten Qualifikationstatbestandes der Verurteilung wegen der Auslieferungstat auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Feststellungen mittels Beweiserhebungen zu einer verfahrensfremden Tat getroffen wurden. Ob dies auch für die Verwirklichung von Regelbeispielen gelten würde, kann der Senat hier offen lassen. Das Vorliegen eines qualifizierenden Merkmals ist jedenfalls Teil des Tatbestandes der Auslieferungstat selbst. Die dem Qualifikationsstrafrahmen entnommene Strafe ahndet allein die Auslieferungstat, sie kennzeichnet deren Gefährlichkeit. Eine „Mitbestrafung“ der anderen Tat ist damit nicht verbunden. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Erfüllung mehrerer Qualifikationsmerkmale zusätzlich strafschärfend gewertet wird. Die Strafschärfung berücksichtigt allein die bei der Auslieferungstat erfüllten qualifizierenden Merkmale und damit deren erhöhte Gefährlichkeit, nicht die Begehung einer anderen Tat. Nur der nicht zum Tatbestand der Auslieferungstat gehörige Sachverhalt als solcher darf innerhalb des Strafrahmens nicht strafschärfend gewertet werden. Dies hat das Landgericht auch nicht getan; die Teilnahme an dem Überfall in M. hat es bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt.
- 20
- 2. Die weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Das Landgericht hat zwar übersehen, dass Pfefferspray ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 377). Dadurch, dass es nicht geprüft hat,ob das Einnebeln des Schlafzimmers von H. K. mit Pfefferspray geeignet war, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 3 StR 338/10 Rn. 7), ist der Angeklagte aber nicht beschwert. Dies gilt auch für die Annahme der Strafkammer, dass die tateinheitliche fahrlässige Körperverletzung hinter der vorsätzlichen Körperverletzung zurück tritt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 1997 – 2 StR 231/97, NStZ 1997, 493).
Mutzbauer Bender
Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1 (nachfolgend: Beklagte) auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Beteiligung an dem Filmfonds Vif Babelsberger Filmproduktion GmbH & Co. Dritte KG (nachfolgend: Vif 3 KG) in Anspruch.
- 2
- Am 14. Dezember 2000 beteiligte sich der Kläger mit einer Kommanditeinlage in Höhe von 200.000 DM zuzüglich Agio in Höhe von 5 % an der Vif 3 KG. Der Zweck dieser Gesellschaft bestand laut dem Emissionsprospekt vom 26. Mai 2000 darin, kommerzielle Fernseh- und Kinospielfilme sowie Fernsehserien zu entwickeln, zu produzieren und zu verwerten. Nach den Angaben im Prospekt sollten die Filmproduktionen durch den Abschluss von Erlösausfallversicherungen abgesichert werden. Die Beklagte hatte im Rahmen der Konsti- tuierung des Filmfonds verschiedene Aufgaben übernommen, darunter die Eigenkapitalvermittlung , die Erstellung des Prospektentwurfs und Beratungsleistungen. Im Jahre 2002 geriet die Vif 3 KG im Zusammenhang mit der Insolvenz des Produktionsdienstleisters in wirtschaftliche Schwierigkeiten. An den Produktionsdienstleister überwiesene Gelder waren nicht zurückzuerlangen. Es stellte sich heraus, dass keine Erlösausfallversicherungen für die einzelnen Produktionen abgeschlossen worden waren, sondern für die Vif 3 KG sowie drei weitere Fondsgesellschaften lediglich ein Rahmenvertrag ("cover-note") mit der R. - Versicherung bestand, der den späteren Abschluss von Einzelerlösausfallversicherungen vorsah. Am 7. Oktober 2002 einigten sich die Gesellschafter der vier Fondsgesellschaften mit der R. - Versicherung auf eine Aufhebung des Rahmenversicherungsvertrages gegen Zahlung von 6.171.246 €. Auf die Vif 3 KG entfiel ein Anteil in Höhe von 2.244.399 €.
- 3
- Die auf Rückzahlung der geleisteten Einlage Zug um Zug gegen Abtretung sämtlicher Ansprüche aus der Beteiligung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag gegen die Beklagte weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
- 4
- Das Berufungsgericht hat, soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse , ausgeführt, dass eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB nicht bestehe. Der Kläger habe jedenfalls nicht bewiesen , dass dem damaligen Geschäftsführer (nachfolgend: Geschäftsführer) der Beklagten klar gewesen sei, dass die Prospektaussage, Filmproduktionen wür- den durch Erlösausfallversicherungen abgesichert, unrichtig sei und dadurch potentielle Anleger sittenwidrig geschädigt würden. Der Senat schließe sich der vom 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München im Urteil vom 6. August 2008 (Az.: 15 U 1775/06) und vom 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München im Urteil vom 26. Februar 2008 (Az.: 18 U 1698/06) vorgenommenen Beweiswürdigung an, wonach sich der subjektive Tatbestand der deliktischen Anspruchsgrundlagen nicht nachweisen lasse. Der Geschäftsführer der Beklagten habe davon ausgehen dürfen, dass für die produzierten Filme entsprechende Erlösausfallversicherungen abgeschlossen werden könnten. Er habe geglaubt, dass durch den Wechsel des Erlösausfallversicherers und des Riskmanagers im Dezember 1999 die zuvor mit dem Erlösausfallversicherer eines Schwesterfonds - der Firma L. - bestehenden Probleme gelöst worden seien und deshalb ein Warnhinweis im Prospekt der Vif 3 KG nicht erforderlich sei. Darüber hinaus habe er durch ein von der Fondsgesellschaft eingeholtes Gutachten eines englischen Rechtsanwalts die Bestätigung erhalten, dass der nunmehrige Erlösausfallversicherer R. infolge der cover-note verpflichtet sei, für jede einzelne der geplanten Filmproduktionen eine Einzelversicherung abzuschließen.
- 5
- Es sei rechtlich unerheblich, dass der frühere Riskmanager bei einem Schwesterfonds trotz Vorliegens einer cover-note unhaltbare, einer Ausstellung von Einzelpolicen entgegenstehende Forderungen aufgestellt habe und trotz dieses Umstands die Produktion von zwei Filmen bereits im August 1999 aufgenommen worden sei. Ebenso komme es nicht darauf an, dass der Geschäftsführer der Beklagten bei einer Gesellschafterversammlung der Vif 3 KG vom 11. November 1999 hiervon Kenntnis erlangt habe. Denn eine Haftung der Beklagten komme nur dann in Betracht, wenn das Versicherungskonzept im Kern durch die Erfahrungen in der Vergangenheit in Frage gestellt gewesen sei. Nur dann hätte bei der Beklagten der Eindruck entstehen müssen, dass das Absicherungskonzept des Fonds grundsätzlich nicht durchführbar sein könnte. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Der Geschäftsführer der Beklagten sei davon ausgegangen, dass diesen Schwierigkeiten durch den Wechsel des Versicherers und des Riskmanagers begegnet worden sei und der nunmehrige Versicherer nach Unterzeichnung der cover-note verpflichtet sei, Einzelpolicen auszustellen. Abgesehen davon sei für die Verwirklichung des § 264a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht nur Kenntnis der tatsächlichen Umstände erforderlich; vielmehr müsse der Täter auch die rechtliche Wertung der Erheblichkeit nachvollziehen. Im Hinblick auf die eingeholte Rechtsauskunft und den Wechsel sowohl des Erlösausfallversicherers als auch des Riskmanagers habe der Geschäftsführer der Beklagten nicht davon ausgehen müssen, dass der Prospekt um einen Hinweis auf die nach seiner Vorstellung bewältigten Vorgänge zu erweitern sei. Die Vergleichszahlung des neuen Erlösausfallversicherers spreche im Übrigen dafür, dass die Annahme des Geschäftsführers der Beklagten, es hätten verbindliche Versicherungsverträge vorgelegen, nicht so falsch gewesen sein könne.
- 6
- Auch soweit die Beklagte im Emissionsprospekt der Vif 3 KG den noch im Prospekt der Vif 1 KG enthaltenen Hinweis darauf weggelassen habe, dass die Absicherung durch Versicherungen unter dem Vorbehalt stehe, dass die sicherungsgebenden Versicherungen solvent seien und keine bedingungsgemäßen Ausschlüsse zum Tragen kämen, scheide eine Haftung aus. Bei den weggelassenen Hinweisen handle es sich um jedermann geläufige Binsenwahrheiten , auf die nicht gesondert hingewiesen werden müsse. Abgesehen davon fehle es an dem erforderlichen Vorsatz. Der Geschäftsführer der Beklagten habe im Zeitpunkt der Erstellung des Prospekts nicht davon ausgehen müssen , dass ein solcher Hinweis rechtlich erforderlich sei.
II.
- 7
- Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts , es fehle an dem für eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB, § 826 BGB erforderlichen Vorsatz ihres Geschäftsführers.
- 8
- 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB voraussetzt, dass ihr gesetzlicher Vertreter den objektiven Tatbestand des § 264a StGB vorsätzlich - zumindest in der Form des bedingten Vorsatzes - verwirklicht hat. Entsprechendes gilt für eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB; sie erfordert, dass ihr gesetzlicher Vertreter den dem Kläger entstandenen Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass der Kläger die Beweislast für den danach erforderlichen Vorsatz des Geschäftsführers der Beklagten trägt. Denn als Anspruchsteller hat er alle Tatsachen zu beweisen, aus denen er seinen Anspruch herleitet (vgl. Senatsurteile vom 17. März 1987 - VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 195; vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, VersR 2002, 321; vom 19. Juli2011 - VI ZR 367/09, VersR 2011, 1276 Rn. 13; BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 - II ZR 218/03, BGHZ 160, 134, 145; Katzenmeier in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., § 823 Abs. 2 Rn. 1, 5; Luckey in Baumgärtel /Laumen/Prütting, aaO, § 826 Rn. 1, 4). Gegen diese Auffassung wendet sich die Revision nicht.
- 9
- 2. Entgegen der Auffassung der Revision ist Vorsatz aber nicht immer bereits dann zu bejahen, wenn ein vernünftig denkender Dritter in der Situation des in Anspruch Genommenen über Erkenntnisse in Bezug auf die relevanten Tatumstände verfügt hätte oder hätte verfügen müssen, aufgrund derer auf der Hand liegt, dass für ein Vertrauen in das Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolgs kein Raum ist. Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht gefolgt werden.
- 10
- a) Vorsatz enthält ein "Wissens-" und ein "Wollenselement". Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, - im Fall des § 264a StGB die Verwirklichung des objektiven Tatbestands, im Fall des § 826 BGB die Schädigung des Anspruchstellers - gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben (vgl. Senatsurteil vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615; BGH, Urteile vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 346; vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99; Beschluss vom 16. April 2008 - 5 StR 615/07, NStZ-RR 2008, 239, 240; Palandt /Grüneberg, BGB, 71. Aufl., § 276 Rn. 10; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 15 Rn. 3 ff.). Die Annahme der - vorliegend allein in Betracht kommenden - Form des bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. Senatsurteile vom 11. Februar 2003 - VI ZR 34/02, BGHZ 154, 11, 20; vom 21. April 2009 - VI ZR 304/07, VersR 2009, 942 Rn. 24; vom 23. November 2010 - VI ZR 244/09, VersR 2011, 216 Rn. 20; BGH, Urteil vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 33, 346 f.; Beschluss vom 16. April 2008 - 5 StR 615/07, NStZ-RR 2008, 239, 240 jeweils mwN). Entgegen der Auffassung der Revision genügt es dagegen nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, aaO, S. 322; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 15 Rn. 4, 9 b). In einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt.
- 11
- b) Von den materiellen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind die Anforderungen zu unterscheiden, die an seinen Beweis zu stellen sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2000 - 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30, 35; Staudinger/ Oechsler, BGB, Neubearbeitung 2009, § 826 Rn. 96). So kann sich im Rahmen des § 826 BGB aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben , dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat (vgl. BGH, Urteile vom 9. März 2010 - XI ZR 93/09, BGHZ 184, 365 Rn. 39 mwN; vom 17. Mai 2011 - XI ZR 300/08, juris Rn. 18). Auch kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen , dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 2001 - VII ZR 305/99, NJW-RR 2002, 740; vom 11. November 2003 - VI ZR 371/02, VersR 2004, 210, 212; vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 346). Allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, aaO, S. 322; BGH, Urteile vom 6. April 2000 - 1 StR 280/99, BGHSt 46, 30, 35; vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 346 f.; Beschlüsse vom 3. Oktober1989 - 5 StR 208/89, Wistra 1990, 20; vom 16. April 2008 - 5 StR 615/07, NStZ-RR 2008, 239, 240). Vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. März 1984 - VI ZR 246/81, WM 1984, 744, 745; vom 11. Februar 2003 - VI ZR 34/02, aaO, S. 20 f.; BGH, Urteile vom 26. August 2003 - 5 StR 145/03, aaO, S. 348; vom 12. Mai 2005 - 5 StR 283/04, NJW 2005, 2242, 2244).
- 12
- 3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, der Kläger habe den für eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 264a StGB, § 826 BGB erforderlichen Vorsatz ihres Geschäftsführers nicht nachgewiesen; er habe insbesondere nicht bewiesen, dass dem Geschäftsführer klar gewesen sei, die Prospektaussage, Filmproduktionen würden durch Erlösausfallversicherungen abgesichert, sei unrichtig und dadurch würden potentielle Anleger sittenwidrig geschädigt.
- 13
- a) Nach § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2009 - VI ZR 261/08, VersR 2009, 1406 Rn. 5 mwN; und Senatsurteile vom 6. Juli 2010 - VI ZR 198/09, VersR 2010, 1220 Rn. 14; vom 19. Oktober 2010 - VI ZR 241/09, VersR 2011, 223 Rn. 10).
- 14
- b) Derartige Rechtsfehler sind vorliegend nicht gegeben.
- 15
- aa) Das Berufungsgericht hat berücksichtigt, dass der Erlösausfallversicherer des VIP-Schwesterfonds, die Fa. L., im Sommer 1999 dem Abschluss von Einzelversicherungen entgegenstehende Bedingungen nachgeschoben und der Schwesterfonds trotzdem mit Filmproduktionen begonnen hatte. Es hat auch in seine Würdigung mit einbezogen, dass der Geschäftsführer der Beklagten hiervon Kenntnis hatte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das im Emissionsprospekt der Vif 3 KG vorgesehene Versicherungskonzept durch diese negativen Erfahrungen in der Vergangenheit aber nicht in Frage gestellt. Denn im Dezember 1999 sei ein neuer Rahmenversicherungsvertrag (cover-note) mit einem anderen Versicherer, der R. - Versicherung, abgeschlossen worden, der auch einen Wechsel des Riskmanagers zur Folge gehabt habe. In dem Bestätigungsschreiben zur cover-note vom 20. Dezember 1999 sei vermerkt gewesen, dass es sich um eine verbindliche Deckungsbestätigung handele (Berufungsurteil S. 8 unter c) i.V.m. S. 11 des Urteils des Oberlandesgerichts München vom 6. August 2008 - 15 U 1775/06). Der Geschäftsführer der Beklagten habe angenommen, dass durch den Wechsel des Versicherers und des Riskmanagers im Dezember 1999 die mit dem früheren Erlösausfallversicherer bestehenden Probleme gelöst worden seien und der neue Versicherer aufgrund der Unterzeichnung der cover-note verpflichtet sei, Einzelpolicen für die einzelnen Filmvorhaben auszustellen.
- 16
- bb) Gegen diese Feststellungen wendet sich die Revision ohne Erfolg. Entgegen ihrer Auffassung erweist sich die - vom Berufungsgericht für glaubhaft gehaltene - Aussage des Zeugen T. in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München vom 27. November 2007 in der Sache 18 U 1698/06, wonach mit der Produktion der Filme begonnen worden sei, sobald der Riskmanager seine Zustimmung erteilt habe, nicht deshalb als unwahr, weil das Landgericht Frankfurt/Main im Urteil vom 21. Dezember 2006 (2/25 O 147/03, S. 15) angenommen hat, der gemäß der cover-note erforderliche vollständige Risikomanagementbericht habe erst am 3. November 2000 vorgelegen. Diese Ausführungen entfalten keine Bindungswirkung.
- 17
- Entgegen der Auffassung der Revision steht aufgrund der Aussage des Zeugen T. auch nicht fest, dass bei dem VIP-Schwesterfonds die Filmproduktionen vor dem Bestehen jeglichen Versicherungsschutzes, d.h. vor Abschluss eines Rahmenvertrags, begonnen hätten. Soweit der Zeuge T. in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht München vom 9. November 2007 in der Sache 5 U 4081/05 angegeben hat, die Rahmenvereinbarung sei im Dezember 1999 unterzeichnet worden, hat er ersichtlich Bezug auf den mit der R-Versicherung im Dezember 1999 abgeschlossenen Rahmenvertrag genommen. Nach seinen Angaben in derselben Verhandlung sowie in der Verhandlung vom 27. November 2007 war zuvor aber bereits ein Rahmenvertrag mit der Fa. L. abgeschlossen worden (vgl. Protokoll 5 U 4081/05, S. 4 Abs. 4 sowie Protokoll 18 U 1698/06, S. 5, 6; Urteile des Oberlandesgerichts München vom 6. August 2008 - 15 U 1775/06, S. 15, 17 und vom 26. Februar 2008 - 18 U 1698/06, S. 14).
- 18
- Soweit die Revision geltend macht, der maßgebliche Sachverhalt habe sich durch den Wechsel des Erlösausfallversicherers nicht wesentlich geändert, der Wert einer cover-note sei weitgehend ausgehöhlt, weil sich der Versicherer durch das Nachschieben unerfüllbarer Bedingungen faktisch von seinen Verpflichtungen befreien könne, will sie lediglich aus den getroffenen Feststellungen andere Schlüsse ziehen. Damit kann sie keinen Erfolg haben. Gleiches gilt für den Einwand, der Geschäftsführer der Beklagten habe davon ausgehen müssen, dass mit dem Rahmenvertrag erhebliche tatsächliche und rechtliche Unsicherheiten verbunden gewesen seien, weshalb er auf eine eigene Prüfung der Versicherungsfrage nicht habe verzichten dürfen. Abgesehen davon könnte dies allenfalls einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen. Die Revision zeigt nicht auf, dass der Geschäftsführer der Beklagten diese rechtlichen Unsicherheiten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hätte.
- 19
- Die weiteren Verfahrensrügen hat der erkennende Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 ZPO abgesehen.
- 20
- 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Galke Zoll Diederichsen
Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 04.07.2005 - 32 O 4783/05 -
OLG München, Entscheidung vom 19.11.2010 - 10 U 4037/05 -
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , begangen in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2 (Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeuges) und Nr. 5 StGB (Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und die Eltern des Geschädigten als Nebenkläger beanstanden mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte am frühen Morgen des 12. Dezember 2010 gegen 03.45 Uhr mit drei Freunden auf dem Parkplatz einer Diskothek auf. Als es im Eingangsbereich zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit wechselseitigen Faustschlägen zwischen den Zeugen A. und C. kam, lief der Angeklagte in Richtung der Streitenden, um zu schlichten (UA 6/7). Etwa zum gleichen Zeitpunkt trat der ebenfalls um eine Streitschlichtung bemühte D. V. zwischen die Kontrahenten und wurde von dem Zeugen A. mit der Faust zu Boden geschlagen. Ob sich D. V. danach noch einmal zu erheben vermochte oder sofort regungslos liegenblieb, konnte das Landgericht nicht zweifelsfrei feststellen. Wenige Sekunden nachdem D. V. zu Boden gegangen war, trat ihm der Angeklagte ohne nachvollziehbaren Grund aus der Körperdrehung heraus mit seiner rechten Innenfußseite gegen die rechte Wange. Zu diesem Zeitpunkt lag D. V. auf der Seite oder auf dem Rücken, sodass sein Gesicht zur Seite oder nach oben ge- richtet war. Infolge des „mit nicht genau feststellbarer Intensität“ geführten Tritts wurde der Kopf des erheblich alkoholisierten Geschädigten nach hinten ge- schleudert und „im Radius von etwa 1/2 Meter in Trittrichtung gedreht. Die Fü- ße blieben am Ort liegen“. Dabei trug der Angeklagte geschnürte Sportschuhe, deren Innenseite so hart war, dass es dadurch bei Tritten zu erheblichen Verletzungen kommen konnte (UA 7).
- 3
- Der Zeuge C. und andere Umstehende bemühten sich sofort um eine Erstversorgung des Geschädigten und alarmierten um 3.53 Uhr den Rettungsdienst. Der Angeklagte zeigte sich ebenfalls besorgt und überließ dem Zeugen C. seine Telefonnummer. Danach fuhr er mit seinen Freunden nach Hause.
- 4
- Als der Rettungsdienst um 4.02 Uhr eintraf, war der Geschädigte bewusstlos und ohne eigene Atmung. Bei einem Intubationsversuch stellte der kurze Zeit später hinzu gekommene Notarzt fest, dass der Deckel der Luftröhre durch einen Kaugummi verlegt und deshalb keine Versorgung mit Sauerstoff über die Atemwege mehr möglich war. Nachdem er den Kaugummistreifen mit einem Spezialinstrument entfernt hatte, konnte der Tubus gelegt und eine maschinelle Beatmung eingeleitet werden. D. V. hatte daraufhin wieder ei- nen Spontankreislauf und einen stabilen Puls. Bis zu diesem Zeitpunkt war er etwa 15 Minuten ohne Bewusstsein. Nach dem Transport ins Krankenhaus wurde bei ihm eine bis dahin unbemerkt gebliebene massive Einblutung in die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) festgestellt, die noch am 12. Dezember 2010 eine operative Entfernung knöcherner Schädelteile erforderlich machte (Entlastungscraniektomie). D. V. verstarb am 16. Dezember 2010 an einer irreversiblen Hirnschädigung in Folge einer akuten schwersten globalen Minderversorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff.
- 5
- Das medizinisch-sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Geschädigte auf Grund des Faustschlages des Zeugen A. seinen Kaugummi in einer Weise verschluckt hat, dass dadurch sowohl der Kehlkopf als auch die Luftröhre verlegt wurden. In der Folge kam es zu einem reflektorischen Herz-Kreislauf-Stillstand (sog. Bolustod). Die Einblutung unter die weiche Hirnhaut ist nach Ansicht des Landgerichts „am ehesten durch den Sturz des Geschädigten ausgelöst worden und kann nicht zwangsläufig auf den Tritt des Angeklagten zurückgeführt werden“. Sie wurde zudem „wohl vom Bolustod überholt“ und ist „jedenfalls nicht mehr todesursächlich geworden“.
- 6
- 2. Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte billigend in Kauf nahm, dass durch seinen Tritt „das Leben des Geschädigten potentiell gefährdet würde“. Eshat deshalb einen bedingten Vorsatz in Bezug auf eine das Leben gefährdende Körperverletzungshandlung entsprechend § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB für gegeben erachtet (UA 24).
- 7
- Einen bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht verneint, weil die Feststellungen nicht belegen, dass der Angeklagte bei der Ausführung des Trittes den Tod des Geschädigten billigend in Kauf nahm. Dabei hat es auf die folgenden Punkte abgestellt (UA 26):
- 8
- Die Intensität des Trittes konnte nicht ausreichend festgestellt werden und war deshalb ohne Aussagekraft. Das Fehlen knöcherner Schädelverlet- zungen spricht eher gegen „eine besonders starke Intensität“(UA 27).
- 9
- Eine „deutliche Motivation“ für den Tritt ist nicht feststellbar, weil der An- geklagte an der vorausgegangenen Auseinandersetzung nicht beteiligt war. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gegenüber dem ihm unbekannten Geschädigten eine „grundsätzlich feindliche Willensrichtung“ eingenommen hatte, bestehen nicht. Eine Solidarisierung mit dem Zeugen A. , die die Annahme rechtfertigen könnte, der Angeklagte habe ihn auch um den Preis des Todes eines Menschen unterstützen wollen, ist nicht anzunehmen. A. war dem Angeklagten nur flüchtig bekannt und wurde von D. V. zuvor nicht angegriffen.
- 10
- Der Umstand, dass dem Angeklagten seine Tat sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, ist ein „weiteres Indiz“ gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 27).
- 11
- 3. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes abgelehnt hat, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 12
- a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, wenn sie möglich sind. Ein revisionsgerichtliches Eingreifen ist erst dann veranlasst , wenn dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, Rn. 23; Urteil vom 14. Dezember 2011 – 1 StR 501/11; KK-StPO/Schoreit, 6. Aufl., § 261 Rn. 51 mwN).
- 13
- Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699 Rn. 34 f. mwN.). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 – 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534; NK-StGB/Neumann 3. Aufl., § 212 Rn. 12 f.; Mößner, Die Überprüfung des bedingten Tötungsvorsatzes in der Revision S. 6 ff., jew. mwN). Bei der Würdigung des Willenselements ist neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; Beschluss vom 1. Juni 2007 – 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jew. mwN).
- 14
- b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht.
- 15
- Die Ausführungen des Landgerichts zur objektiven Gefährlichkeit des vom Angeklagten geführten Angriffs sind schon deshalb lückenhaft, weil sie sich nicht mit der von dem Angeklagten selbst geschilderten erheblichen Wirkung seines Tritts auf die Lage des Körpers des Geschädigten auseinanderset- zen (UA 7 und 14). Auch hätte an dieser Stelle nochmals erkennbar Berücksichtigung finden müssen, dass der Angeklagte die Trittwirkung gefährlich verstärkende Schuhe trug (UA 7) und auf den Geschädigten zu einem Zeitpunkt eintrat, als dieser – jedenfalls nach seiner Wahrnehmung (UA 13) – in Folge des Schlags des Zeugen A. regungslos am Boden lag. Bei seinen Erörterungen zum inneren Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB hat das Landgericht diese Umstände als Beleg dafür ausreichen lassen, dass der Angeklagte eine potentielle Gefährdung des Lebens seines Opfers in Kauf nahm (UA
24).
- 16
- Die Annahme des Landgerichts, der Tritt des Angeklagten könne nicht von „besonders starker Intensität“ (UA 27) oder „nicht von übermäßiger Wucht“ (UA 19) gewesen sein, weil bei dem Geschädigten keine knöchernen Schädelverletzungen festzustellen waren, stellt einseitig auf die ex post feststellbaren Verletzungsfolgen ab (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11 Rn. 28) und lässt die generelle Gefährlichkeit derartiger Tritte außer Acht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2011 – 1 StR 179/11, Rn. 10). Sie ist zudem nicht mit der an anderer Stelle getroffenen Feststellung vereinbar, dass die Knochenbrücke zwischen den Knochendeckeln des Schädelknochens einen nicht unterbluteten Bruch aufwies (UA 11). Zwar liegt es nicht fern, dass dieser Bruch auf die später durchgeführte Entlastungscraniektomie zurückzuführen ist, doch hätte dies einer ausdrücklichen Erörterung bedurft.
- 17
- Der Umstand, dass dem Angeklagten sein Tritt sofort Leid tat und er sich in der Folgezeit mehrfach für das Befinden des Geschädigten interessierte, durfte vom Landgericht nicht ohne weitere Darlegungen als Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gewertet werden.
- 18
- Nachträgliches Bedauern und Rettungsversuche sagen nur bedingt etwas über die innere Haltung des Täters im Tatzeitpunkt aus, da sie nicht selten auf einer spontanen Ernüchterung beruhen und mit Blick auf die Tatfolgen von der Sorge um das eigene Wohl geleitet sind (BGH, Urteil vom 8. August2001 – 2StR 166/01, NStZ-RR 2001, 369, 370; Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, nach dem Tritt „wach geworden“ zu sein. Dabei habe er begriffen, dass er etwas ge- tan habe, was nicht in Ordnung gewesen sei (UA 14). Der Angeklagte – dessen Einlassung das Landgericht im Übrigen gefolgt ist – hat damit selbst eingeräumt , dass sein Nachtatverhalten nicht mehr Ausdruck der ihn beherrschenden inneren Einstellung im Tatzeitpunkt gewesen ist, sondern auf einer veränderten Sicht der Dinge beruhte. Hieran durfte das Landgericht nicht vorübergehen.
- 19
- Bedenken bestehen schließlich auch insoweit, als das Landgericht in dem Umstand, dass es „keine deutliche Motivation für den Tritt“ festzustellen vermochte, ein Indiz gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gesehen hat.
- 20
- Mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter haben kein Tötungsmotiv , sondern gehen einem anderen Handlungsantrieb nach (BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318). Allerdings kann sich aus der Art des jeweiligen Handlungsantriebs ein Rückschluss auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs.1 Vorsatz, bedingter 22; Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317,
318).
- 21
- Das Landgericht hat mit der Verneinung einer feindlichen Grundhaltung gegenüber dem Geschädigten einerseits und einer unbedingten Solidarität mit seinem Kontrahenten A. andererseits lediglich zwei mögliche starke Handlungsantriebe ausgeschlossen. Dies allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass es dem Angeklagten deshalb an der Bereitschaft gefehlt hat, auch schwerste Tatfolgen in Kauf zu nehmen. Stattdessen wäre es an dieser Stelle erforderlich gewesen, näher auf die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Verhältnis zur Anwendung körperlicher Gewalt und seine Fähigkeit zur Kontrolle aggressiver Impulse einzugehen. Wie das Landgericht im Rahmen seiner Erwägungen zu § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG zutreffend festgestellt hat, lässt die Art und Weise, wie sich der Angeklagte zu der Tat hinreißen ließ, auf einen starken Mangel an Ausgeglichenheit und Besonnenheit schließen (UA 29). Auch musste er in der Vergangenheit bereits zweimal wegen Körperverletzung geahndet werden, wobei er seinen Opfern jeweils knöcherne Verletzungen des Gesichtsschädels zufügte (UA 4 f.). Mangelnde Impulskontrolle, wie sie bei dem Angeklagten schon mehrfach zutage getreten ist, führt nicht selten dazu, dass es bereits bei geringsten Anlässen zu massiven Gewalthandlungen kommt, bei denen dem Täter die Konsequenzen seines Handelns gleichgültig sind und deshalb selbst tödliche Folgen in Kauf genommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08, Rn. 9).
- 22
- 4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Ein Eingehen auf die von der Revision erhobenen Einwände gegen die unterbliebene Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist unter diesen Umständen ebenso wenig erforderlich wie die Erörterung einer Strafbarkeit nach § 231 Abs. 1 Alt. 2 StGB.
Franke Quentin
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Am 7. Januar 2004 verstarb die dreijährige K. . Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde das Kind vom Angeklagten A. , dem Lebensgefährten der Mutter des Kindes, der Angeklagten C. , mehrere Tage lang körperlich schwer misshandelt. Die Angeklagte schritt dagegen nicht mit der gebotenen Entschiedenheit ein; wirkte teilweise sogar aktiv mit. Am Abend des 4. Januar 2004 versetzte der Angeklagte K. mit solcher Gewalt einen Schlag ins Gesicht, dass sie mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte, röchelte und bewusstlos zu Boden sank. Bemühungen der Angeklagten, K. wieder zu Bewusstsein zu bringen, blieben erfolglos. Ärztliche Hilfe holten sie nicht herbei. Erst am nächsten Tag verbrach-ten sie das immer noch ohnmächtige Mädchen gegen 14.00 Uhr in eine Toilette eines Krankenhauses, wo es dann aufgefunden wurde. Trotz ärztlicher Intensivbehandlung war K. jedoch nicht mehr zu retten. Auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe hätte das Kind wahrscheinlich nicht überlebt. Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Memmingen hat beide Angeklagte wegen Misshandlung einer Schutzbefohlenen (§ 225 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1 StGB) - bei der Angeklagten begangen durch Unterlassen (§ 13 StGB) zu Freiheitsstrafen verurteilt , den Angeklagten - wegen erheblicher Verminderung der Steuerungsund damit der Schuldfähigkeit zur Tatzeit ausgehend von dem nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabgesetzten Strafrahmen des § 227 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von zehn Jahren und drei Monaten, die Angeklagte - unter Herabsetzung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB gemäß §§ 13 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB - zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Außerdem verfügte die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus, bei Anordnung des Vorwegvollzugs von drei Jahren Freiheitsstrafe. Tötungsvorsatz im Zusammenhang mit dem tödlichen Schlag hat die Strafkammer bei beiden Angeklagten verneint. Dies, sowie die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit jedenfalls wegen versuchten Mordes durch Unterlassen nach dem Schlag (keine sofortige Herbeiholung ärztlicher Hilfe) beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten sowie auf die Sachrüge und einige Formalrügen gestützte Revision und erstrebt die Aufhebung des Urteils. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Beweiswürdigung zur Feststellung fehlenden bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht frei von Rechtsfehlern. Auf die Formalrügen kommt es deshalb nicht mehr an.
II.
Im Einzelnen hat die Strafkammer Folgendes festgestellt:
1. Der 1973 in Deutschland geborene, hier aufgewachsene und zur Tatzeit 30-jährige Angeklagte A. konsumierte insbesondere im Alter von 12 bis 15 Jahren exzessiv gewalthaltige Videofilme und Computerspiele. Nach der achten Klasse verließ er die Hauptschule ohne Abschluss. Sein anschließendes Leben war bei kurzfristigen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnissen geprägt von Drogen- und Alkoholkonsum, Arbeitslosigkeit, der Begehung von - auch gewalttätigen - Straftaten, dadurch bedingten Haftzeiten sowie von zahlreichen Drogentherapien beziehungsweise Therapieversuchen. Zuletzt wurde er mit Methadon substituiert.
Die zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte C. kam im Jahre 1979 in Polen zur Welt. Nach ihrer Schulzeit führte sie ein unstetes Leben in Polen und Deutschland unter Erwerbstätigkeit im Amüsierbereich. Drogen (Marihuana , Ecstasy und Kokain) konsumierte sie zuletzt nicht mehr. Bier, Wein und Schnaps nimmt sie seit ihrem 14. Lebensjahr regelmäßig, manchmal auch im Übermaß, zu sich.
Im Alter von 21 Jahren wurde die Angeklagte von einem anderweitig gebundenen , etwa 15 Jahre älteren Mann - Türsteher, Bodyguard und damals ihr Zuhälter - ungewollt schwanger. Am 6. Dezember 2000 wurde K. , das spätere Tatopfer, in R. geboren. Während der ersten drei Monate betreute die Angeklagte ihre Tochter selbst. Dann überließ sie dies weitgehend anderen Personen, darunter ihrer in L. wohnhaften Mutter. Der Austausch von Zärtlichkeiten zwischen der Angeklagten und K. war die Aus-
nahme. Das Kind wurde von der Angeklagten öfters angeschrieen und beschimpft. Gelegentlich erhielt es Ohrfeigen. Zu weiteren Misshandlungen kam es jedoch nicht.
2. a) Im November 2003 fanden sich die Angeklagten und lebten von da an zusammen, zunächst in der Wohnung der Mutter der Angeklagten. Nach einem Wutanfall des Angeklagten - wobei er mit dem Kopf einen Spiegel zertrümmert hatte - der Wohnung verwiesen, fanden die Angeklagten in der zweiten Dezemberhälfte 2003 Unterschlupf im Einfamilienhaus eines Bekannten des Angeklagten im Stadtteil B. . Zwischen den Angeklagten gab es häufig Streit, wobei der Angeklagte seiner Lebensgefährtin auch Ohrfeigen versetzte. Im Übrigen verbrachten sie die Vormittage meist im Bett und die Nachmittage mit dem Konsum von Alkohol und mit Fernsehen. K. spielte währenddessen oder sollte schlafen. Wegen „Nichtigkeiten“, wie Hinauszögerns des angeordneten Mittagsschlafs, Problemen beim abendlichen Einschlafen, langsamen Essens und ähnlicher typisch kindlicher Verhaltensweisen ärgerte sich der Angeklagte. Er beschloss, K. mittels Strafen zu „erziehen“.
Vom 1. Januar 2004 an unterzog der Angeklagte K. deshalb einer Tortur, die am 4. Januar 2004 mit der Beifügung der zum Tode des Kindes führenden Verletzungen endete. Die Angeklagte, die alles miterlebte, und sich ihrer Fürsorgepflicht gegenüber ihrer Tochter bewusst war, widersetzte sich den Übergriffen des Angeklagten nicht mit der gebotenen - und ihr zumutbaren - Entschiedenheit. Erreichbare Hilfe, z.B. beim Wohnungsgeber oder von anderen Personen, suchte sie nicht. Sie unternahm auch nicht den Versuch, unter Mitnahme der Tochter auszuziehen, etwa zurück zur Mutter. Nur gelegentlich setzte sie zum Widerstand an. In Einzelfällen wirkte sie demgegenüber sogar aktiv an den Misshandlungen ihrer Tochter durch den Angeklagten mit.
Entsprechend der Forderung des Angeklagten, dass das Kind, das er immer wieder als Bastard bezeichnete, weg müsse, hatten die Angeklagten auch erwogen, das Kind vor einem Wohnanwesen oder in einer Kirche auszusetzen oder nach Polen zu verbringen. „Keiner der Angeklagten unternahm jedoch einen Versuch, einen dieser Pläne in die Tat umzusetzen.“ Von einer Tötung des Kindes war aber nie die Rede.
b) Folgende einzelne Vorfälle vermochte die Strafkammer dann festzustellen , wobei ihr eine genaue zeitliche Einordnung nur teilweise möglich war.
Am 1. Januar 2004 bemalte K. in der Wohnung herumliegendes Papier, was missfiel. Zur Strafe brachte der Angeklagte K. in einen unbeheizten Raum, die so genannte "Kalte Kammer". Dort schlug er dem Kind zunächst mit einem Holzstab auf die Finger beider Hände, so dass jene rot anliefen und anschwollen. Dann musste K. , nur mit einem kurzärmligen T-Shirt und mit einer Strumpfhose bekleidet, bei geöffnetem Fenster und bei Minustemperaturen im Außenbereich, einige Stunden in der „Kalten Kammer“ stehen bleiben. Nachdem sich der Angeklagte beruhigt hatte, cremte er K. s geschwollene Hände ein und verband sie.
Zum Ärger des Angeklagten spielte K. am Morgen des 2. Januar 2004 mit der letzten gefüllten Methadonflasche, die dem Angeklagten noch zur Verfügung stand. Er erhitze mit einem Feuerzeug den Plastikverschluss einer leeren Methadonflasche, packte die am Unterkörper entblößte K. am Nacken , drückte sie mit dem Gesicht auf eine Matratze und presste die angeschmorte Spitze des Verschlusses mit Drehungen auf das Gesäß und die Oberschenkel des Mädchens. Dies wiederholte der Angeklagte mehrfach so-
wohl an diesem wie auch am nächsten Tag. Die Angeklagte half hierbei dem Angeklagten jeweils „weisungsgemäß“, das Kind festzuhalten.
Bei anderer Gelegenheit zwang der Angeklagte K. , sich mit dem Bauch auf den Boden zu legen. Dann schlug er mit einem Ledergürtel so auf das entblößte Kind ein, dass es vom Rücken bis zu den Kniekehlen etwa sechs rote Striemen erlitt. Nach diesem Vorfall drohte die Angeklagte dem Angeklagten , ihn zu verlassen. Er entschuldigte sich, cremte das Kind ein und bandagierte es.
Zu einem weiteren Zeitpunkt versetze der Angeklagte dem Kind einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass das Mädchen mit dem Kopf gegen die Wand prallte.
An einem der Abende holte der Angeklagte K. aus dem ungeheizten Keller - dorthin hatte er sie einige Stunden zuvor verbracht - ins Schlafzimmer, haute ihr das schnurlose Telefon zwei Mal gegen den Kopf, setzte sich mit der Angeklagten auf das Bett und schlug dem vor ihm stehenden Kind mit der Hand so gegen den Hinterkopf, dass es mit dem Gesicht auf der Kommode aufschlug und dann zu Boden fiel. Dies wiederholte er auf ähnliche Art und Weise noch vier Mal, allerdings ohne dass sich das Mädchen erneut an der Kommode stieß. K. erlitt an den Ohren und im Gesicht blutende Verletzungen. Diese cremte der Angeklagte dann zwar ein und ließ den Kopf des Kindes von der Angeklagten in ein Tuch wickeln. Dann verbrachte er K. aber wieder in einen unbeheizten und dunklen Kellerraum und zwang sie, sich - Schuhe trug sie nicht - ohne Abstützen an der Wand auf einem Bein hinzustellen. Die Angeklagte versuchte nun, telefonisch polizeiliche Hilfe herbeizurufen. Dies unterband der Angeklagte, indem er ihr das schnurlose Telefon entriss.
In einer weiteren Nacht brachte der Angeklagte die bereits verletzte und am Auge stark geschwollene K. erneut in den Keller und legte sie bäuchlings auf einem Schrank ab. Von dort zog er sie einige Stunden später an den Beinen fassend wieder herunter und ließ sie in einem Nebenraum im Keller, wiederum auf einem Bein stehend, zurück. Erst am Morgen durfte die Angeklagte das vor Kälte zitternde Kind ins Bett bringen.
Als beim Essen Brotkrümel herunterfielen, schlug der Angeklagte K. mit der flachen Hand gegen den Kopf, brachte das Kind in die kalte Speisekammer und dann in den Keller. Nach einigen Stunden holte er K. - ihre Augen waren zugeschwollen, sie blutete, ihre Haare hatte ihr der Angeklagte teilweise, tonsurartig, ausgerissen - nach oben, indem er sie an der Kleidung am Hals packte und so die Treppe hinauftrug, der auf dem Bett sitzenden Angeklagten vor die Füße warf, wobei das laut schreiende und weinende Kind mit dem Kopf am Nachttisch anschlug. Die Angeklagte sollte das Mädchen waschen , da es eingekotet hatte. Als K. in der Badewanne wegen eines Wasserspritzers ins Gesicht aufschrie, schlug ihr der Angeklagte mit dem Duschkopf auf den Kopf. Anschließend rasierten die Angeklagten dem Mädchen die restlichen Haare vom Kopf. Kurze Zeit später schlug der Angeklagte K. mit der flachen Hand gegen die Brust, so dass sie gegen einen Schrank fiel und zu Boden sank. Der Angeklagte riss sie an den Kleidern hoch und warf sie zuerst aufs Bett. Dann sollte sich K. ins Zimmereck stellen. K. sank jedoch kraftlos zu Boden. Der Angeklagte verweigerte dem Mädchen gleichwohl zunächst den Schlaf, bis sie sich auf ein auf dem Boden zubereitetes Lager legen durfte. Als der Angeklagte bemerkte, dass sie eingenässt hatte, drückte er eine brennende Zigarette an ihrem Knie aus.
Am Nachmittag des 4. Januar 2004 sperrte der Angeklagte K. in den Tankraum im 2. Untergeschoss. Am Abend, nach der Rückkehr der Angeklagten vom Besuch bei einer Nachbarin drückte der Angeklagte den heißen Kopf eines Feuerzeugs auf die nackte Haut des Kindes. Später öffnete er mindestens vier Brandblasen vollends und cremte sie ein.
Als der Angeklagte im weiteren Verlauf des Abends über die Angeklagte in Wut geraten war, reagierte er sich an K. ab. Er schlug sie mit einem Ledergürtel ins Gesicht und auf den Kopf. Danach schlug er das Kind mit der flachen linken Hand „mit einer Wucht von mindestens 80 G“ seitlich gegen das Gesicht, so dass K. mit dem Kopf gegen die Zimmerwand prallte. K. röchelte und sank bewusstlos zu Boden. Der Angeklagte rief aus: „Das wollte ich nicht“.
Den Angeklagten gelang es nicht, K. wieder zu Bewusstsein zu bringen. Sie hofften dennoch, der Zustand des regelmäßig atmenden Kindes werde sich bessern. Sie rechneten nicht mit dessen Ableben. Am Tag darauf entschlossen sich die Angeklagten um 9.00 Uhr, K. in einer stark frequentierten Toilette eines Krankenhauses abzulegen. Erst fünf Stunden später setzten sie dies kurz nach 14.00 Uhr im Stiftungskrankenhauses W. in die Tat um. Um 15.45 Uhr wurde K. gefunden. Trotz sofortiger Intensivbehandlung erlangte sie das Bewusstsein nicht mehr und verstarb am 7. Januar 2004 um 10.40 Uhr. Todesursache war eine zentrale Lähmung aufgrund einer raumgreifenden Blutung unter die harte Hirnhaut, verursacht durch den vom Angeklagten zuletzt geführten Schlag und den Aufprall des Kopfes von K. gegen die Wand. Dieser tödliche Ausgang wäre auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe nicht auszuschließen gewesen.
c) Die Angeklagten hatten sich bereits am 6. Januar 2004, nachdem sie im Rundfunk vom Auffinden des Kindes gehört hatten, auf Drängen des Angeklagten auf die Flucht begeben. Bereits wenige Tage später konnten sie in B. festgenommen werden, nachdem die Angeklagte, die mit einer weiteren Flucht in die Türkei nicht einverstanden war, polizeiliche Hilfe in Anspruch genommen hatte.
3. - Bedingten - Tötungsvorsatz vermochte die Strafkammer weder bei dem Angeklagten A. noch bei der Angeklagten C. festzustellen.
Der Angeklagte habe sich unwiderlegt dahin eingelassen, dass er mit einem tödlichen Ausgang nicht gerechnet habe. Dass derartige Schläge gegen den Kopf wegen der dadurch ausgelösten Rotationsbewegung „besonders“ (UA S. 37) gefährlich sind und in Folge des Risses der Brückenvene zu einer tödlichen Hirnblutung führen kann, sei auch kein Allgemeinwissen (UA S. 17). Der Angeklagte habe diese Kenntnis bestritten. Bei Schlägen mit der flachen Hand handele es sich auch nicht um „äußerst“ (UA S. 36) gefährliche Gewalthandlungen und sie stünden - wie die Vorverurteilungen erhellten - am unteren Ende der Skala von Gewalttätigkeiten des Angeklagten. Auch habe das Kind - so die Strafkammer weiter - auf frühere gleichartige Schläge „nicht in einer Weise reagiert , dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein könnten“. Schließlich seien die Überraschung des Angeklagten nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit und die sofort einsetzenden hektischen Rettungsbemühungen „mit einem Wollen des Todes des Kindes nicht vereinbar“.
4. Das Landgericht kam zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte A. im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) handelte. Bei ihm lägen, so die sachverständig beratene Strafkammer, massive Persönlichkeitsstörungen (dissozial - ICD 10 F 60.2 - und emotional instabil vom Borderline-Typ ICD 10 F 60.3 -) vor, die hier als schwere andere Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB zu bewerten sind, sowie eine als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 einzuordnende Polytoxikomanie - ICD 10 F 19.2 - mit Abhängigkeiten von Heroin und Benzodiazepinen bei zusätzlichem chronischen Missbrauch von Alkohol vor. Dadurch sei die Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten zu den Tatzeitpunkten erheblich vermindert gewesen.
III.
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht zu der Feststellung gelangte , die Angeklagten hätten nicht mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Zwar ist auch insoweit die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Wenn bei der Beantwortung der Frage, ob Angeklagte vorsätzlich, bedingt vorsätzlich oder (bewusst) fahrlässig gehandelt haben, allein aus äußeren Umständen auf deren innere Einstellung zur Tat geschlossen werden muss, bedarf es jedoch einer umfassenden Würdigung des insoweit relevanten festgestellten Sachverhalts (vgl. BGH NStZ 2004, 35, 36). Dem genügen die Darlegungen der Strafkammer nicht; sie sind widersprüchlich und lassen eine umfassende Auseinandersetzung mit allen für die Bewertung der subjektiven Tatseite relevanten Umständen sowie der Persönlichkeit der Angeklagten vermissen. Zudem hat die Straf-
kammer zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten Vorsatzes gestellt.
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar zunächst davon aus, dass es bei „äußerst“ gefährlichen Gewalthandlungen grundsätzlich nahe liegt, dass der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei auch zu Tode kommen, wenn dies für sich allein betrachtet aber noch kein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes, vgl. BGH NStZ 2001, 475, 476). Schon die Grundvoraussetzung - äußerst gefährlich - verneint die Strafkammer dann aber, indem sie die vom Angeklagten ausgeübte und von der Angeklagten hingenommene Tathandlung lediglich als „besonders“ gefährlich bewertet. Abgesehen davon, dass allein aus dieser Nuance bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung kaum tragfähige Schlussfolgerungen zum Tötungsvorsatz zuverlässig gezogen werden können, ist die Begründung für diese Herabstufung des Gefährlichkeitsgrads nicht tragfähig.
Die Strafkammer hebt entscheidend darauf ab, der Angeklagte habe „das Kind unwiderlegbar lediglich mit der flachen Hand und nicht etwa mit der Faust oder irgendwelchen Gegenständen gegen den Kopf geschlagen“ (UA S. 36). Damit lässt das Landgericht bei der Bewertung dieses Vorgangs im Hinblick auf die subjektive Tatseite einen entscheidenden Teil des an anderer Stelle festgestellten Sachverhalts außer Acht, nämlich das Aufprallen des Kopfes auf die Wand infolge des wuchtigen Schlages. Mit dieser verkürzten Betrachtung setzt sich die Strafkammer zudem in Widerspruch zu den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. E. , „denen sich die Kammer anschließt“. Danach „war sowohl ein Faustschlag als auch ein mit Wucht (mindestens 80 G) geführter Schlag mit einer flachen Hand und anschließendem Aufprall des Kopfes ge-
gen einen festen Gegenstand geeignet, die tödliche Blutung mit Abriss einer Brückenvene auszulösen“ (UA S. 33). Die Tathandlung des Angeklagten entsprach also einem Faustschlag und war nicht weniger gefährlich. Das Aufschlagen des Kopfes war auch vorhersehbar. Auch schon früher traktierte der Angeklagte K. mehrfach so, dass deren Kopf gegen einen festen Gegenstand (Wand, Kommode, Nachttisch) prallte.
Die Strafkammer stellt des weiteren zu hohe Anforderungen an den Umfang der Kenntnis über die möglichen Folgen eines Schlages gegen den Kopf, wenn sie meint, „tatsächlich gehört es nicht zum allgemeinen Erfahrungswissen , dass seitliche Schläge gegen den Kopf im Kieferbereich wegen der dadurch ausgelösten Rotationsbewegungen von besonderer Gefährlichkeit sind und zum Riss der Brückenvene mit der Folge einer tödlichen Hirnblutung führen können“ (UA S. 37). Es entspricht gesicherter allgemeiner Kenntnis, dass derartige Schläge gegen den Kopf eines kleinen Kindes mit anschließendem Aufprall gegen einen festen Gegenstand immer äußerst schwerwiegende Folgen bis hin zum Tod haben können. Medizinischen Detailwissens bedarf es dazu nicht. Vor dem Hintergrund des Allgemeinwissens über mögliche Folgen derartiger Misshandlungen ist deshalb auch das Argument der Strafkammer, „trotz mehrfacher gleichartiger Schläge hat das Kind auf alle Schläge mit Ausnahme des letzten (tödlichen) nicht in einer Weise reagiert, dass der Angeklagte es für möglich halten musste, dass derartige Schläge tödlich sein könnten“ (UA S. 36) nicht tragfähig. Vielmehr lag schon bei den entsprechenden früheren Handlungen das Vorliegen bedingten Tötungsvorsatzes nicht fern. Ein Umstand, den die Strafkammer nicht in ihre Erwägungen einbezog. Denn letztlich war es eher ein Zufall, bei welcher dieser Misshandlungen K. zu Tode kam.
Die Strafkammer hat sich zudem bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite zu sehr allein mit dem letzten, dem dann tödlichen Vorfall befasst. Deshalb hat sie zu hohe Anforderungen an die Feststellung des bedingten Tötungsvorsatzes gestellt, worauf auch der Satz hindeutet, die Rettungsbemühungen seien mit dem Wollen des Todes des Kindes nicht vereinbar. Das Landgericht betont zunächst ausdrücklich - was an sich selbstverständlich ist -, der Tötungsvorsatz müsse sich gerade auf die Handlung beziehen, die den tatbestandsmäßigen Erfolg verursacht hat. Das Landgericht verweist dann auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten, die beim Angeklagten nicht herabgesetzt gewesen sei. Nun belegt zwar - wovon die Strafkammer damit im Ansatz zutreffend ausgeht - die Indizwirkung einer offen zutage tretenden Lebensgefährlichkeit wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen für sich gesehen noch nicht zwingend Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz. Bedeutung kommt dem aber insbesondere bei einmaligen Spontantaten in einer emotional aufgeladenen, häufig alkoholbedingt enthemmten Atmosphäre zu. Der Angeklagte misshandelte demgegenüber das Kind wiederholt hemmungslos und gleichwohl auf geradezu systematische Art und Weise und bedrohte das Leben des Mädchens in jedem Einzelfall in hohem Maße. Darüber hinaus hätten aus der viertägigen Tortur, auch soweit die teilweise geradezu sadistischen Handlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren , der der Angeklagte A. K. unterwarf - bei Duldung und teilweiser Mitwirkung der Angeklagten C. -, sowie aus der Persönlichkeit der Angeklagten, die bei A. unter anderem durch einen Mangel an Empathie, andauernde Verantwortungslosigkeit, Missachtung sozialer Normen geprägt ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite der Angeklagten gezogen werden können. All dies hätte jedenfalls eingehender Erörterung bedurft.
Das anschließende Erschrecken, wenn sich der nach den Feststellungen ja nicht von vornherein beabsichtigte, aber gleichwohl in Kauf genommene Erfolg realisiert, „das habe ich nicht gewollt“, steht bedingtem Vorsatz nicht entgegen. Vielmehr könnte hier das weitere Verhalten der Angeklagten nach dem Eintritt der Ohnmacht des Kindes trotz der „hektischen“ Rettungsbemühungen, die sich allerdings in eher untauglichen Maßnahmen, wie Beatmungsversuchen und Bespritzen mit Wasser erschöpften, nämlich dem Absehen von der Herbeiholung sofortiger ärztlicher Hilfe und das heimliche Ablegen des Kindes in einer Krankenhaustoilette tags darauf, eher dafür sprechen, dass sich die Angeklagten - insbesondere der Angeklagte A. - von vornherein der möglicherweise tödlichen Folgen der Misshandlungen bewusst war, deren strafrechtlichen Konsequenzen sich die Angeklagten zu entziehen suchten. Auch dies wäre jedenfalls zu erörtern gewesen.
Die bei der Prüfung der subjektiven Tatseite gebotene umfassende Erörterung der für die Tat bedeutsamen Umstände und der Persönlichkeit der Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1999, 507, 508) lassen die Urteilsgründe deshalb nicht ausreichend erkennen. Bei der sich über mehrere Tage erstreckenden brutalen und wiederholt lebensgefährlichen Behandlung liegt das voluntative Element des - zumindest bedingten - Vorsatzes im Grunde auf der Hand. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, die Mordmerkmale, namentlich der Grausamkeit und der sonstigen niedrigen Beweggründe, zu prüfen.
Bezüglich der Angeklagten C. wird zu erörtern sein, ob der Schwerpunkt ihrer Handlungen beim aktiven Tun liegt.
2. Schließlich begegnen die Darlegungen zur Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten A. Bedenken. Zwar sind die Eingangsmerkmale des § 20 StGB - sachverständig beraten - rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Generalbundesanwalt führt dann aber in seiner Antragsschrift - wie dann auch in der Hauptverhandlung - zutreffend aus: „Das Landgericht hat sich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. N. angeschlossen , nach dessen Ausführungen die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten [deshalb] erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei (UA S. 43 f.). Insoweit hat die Kammer jedoch verkannt, dass die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt ist, eine Rechtsfrage ist (st. Rspr.; BGHSt 49, 45, 53 = NStZ 2004, 437, 438). Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Entscheidend sind die Anforderungen, welche die Rechtsordnung an jedermann stellt (BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296, jeweils mit weiteren Nachweisen). Diese Anforderungen sind umso höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (Senat, Urteil vom 21. März 2001 - 1 StR 32/01). Dass sich das Landgericht eigenständig und losgelöst vom Sachverständigen mit diesen Anforderungen und der Frage der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB befasst hätte, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.“ Die Rechtsordnung darf erwarten, dass Menschen mit den hier festgestellten Störungen, ihr Verhalten so steuern, dass es nicht zu tagelangen, grausamen , letztlich tödlichen Misshandlungen eines kleinen Kindes kommt, wie hier bislang festgestellt.
IV.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch gemacht und die Sache an ein anderes Landgericht zurückverwiesen (vgl. Kuckein in KK, StPO 5. Aufl. § 354 Rdn. 37).
Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Graf
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung, Nötigung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Ferner hat es die Entziehung der Fahrerlaubnis, eine Sperre von 4 Jahren für die Erteilung einer Fahrerlaubnis sowie die Einziehung des Pkws des Angeklagten angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
I.
Der Verurteilung des Angeklagten liegt ein besonders schwerwiegender Fall der „Nötigung im Straßenverkehr“ zugrunde. Das Landgericht hat dazu im wesentlichen folgendes festgestellt:
Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw auf der linken Fahrspur der Bundesautobahn 656 in Richtung M. . Der zu diesem Zeitpunkt mit seinem Motorrad, einem sog. Chopper, auf der rechten Fahrspur in einigem Abstand vorausfahrende Nebenkläger wechselte nach Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers auf die linke Fahrspur, um das vor ihm fahrende langsamere Fahrzeug zu überholen. Der darüber verärgerte Angeklagte , fuhr zu dem Motorrad auf, so daß die Fahrzeuge in einem Abstand von nicht mehr als einem Meter bei einer Geschwindigkeit von 110 km/h hintereinander her fuhren. Der Angeklagte beschleunigte seinen Pkw mit der Absicht, das sich entfernende Motorrad, falls es ihm nicht enteilte, zum Räumen der linken Spur zu zwingen oder es rechts zu überholen. Als der Nebenkläger Anstalten machte, auf die rechte Fahrspur zu wechseln, zog der Angeklagte ebenfalls nach
rechts, um das Motorrad rechts zu überholen, und setzte den Beschleunigungsvorgang fort, um so gewaltsam das Vorbeifahren zu erzwingen. Der Nebenkläger bemerkte, daß die rechte Fahrspur durch das Fahrzeug des Angeklagten blockiert war, und "brach seinen Einschervorgang ab, da er einen Zusammenstoß und einen möglichen Sturz befürchten mußte“ (Fall II. 1.).
Im Rahmen der Weiterfahrt schloß der Nebenkläger auf der Abbiegespur zur Bundesstraße 38 A mit seinem Motorrad zu dem Pkw des Angeklagten auf und fuhr auf der mittleren Fahrspur neben dem Pkw des Angeklagten. Der Angeklagte, der möglicherweise einer abwärts führenden Handbewegung des Nebenklägers beleidigenden Charakter beimaß, geriet dadurch erneut in Wut und steuerte sein Fahrzeug abrupt nach links auf die mittlere Fahrspur. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Abstand zwischen Motorrad und Pkw etwa zwei Meter. "Dem Angeklagten war klar, daß er hiermit den Zeugen von seiner Fahrspur abdrängen würde". Der Nebenkläger zog sein Motorrad, das dabei ins Schlingern geriet, auf die linke der drei Fahrspuren (Fall II. 2.).
Nachdem beide im weiteren Verlauf eine Ampelanlage passiert hatten, in deren Bereich die Geschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt ist, beschleunigte der Angeklagte sein Fahrzeug auf der linken der drei Richtungsfahrbahnen und schloß zu dem auf der mittleren Spur fahrenden Motorrad auf. Im Rückspiegel bemerkte der Nebenkläger das Fahrzeug des Angeklagten und reduzierte seine Geschwindigkeit leicht, indem er das Gas wegnahm, um den Pkw vorbeifahren zu lassen. Der Pkw des Angeklagten hatte zu diesem Zeitpunkt eine Geschwindigkeit von mindestens 83 km/h, das Motorrad des Nebenklägers eine Geschwindigkeit von 78 km/h. Der Angeklagte "entschloß sich in diesem Augenblick, aus Wut darüber, daß der Geschädigte sich ihm wieder zu entziehen drohte, nach rechts zu fahren und auf die Spur des Motorrades zu wechseln , um dieses wegzudrängen oder aber den Motorradfahrer zu disziplinieren. Hierbei rechnete er gleichermaßen mit der Möglichkeit, daß der Motorradfahrer durch einen Anstoß zu
Fall kommen könnte und daß er durch den hierdurch verursachten Sturz möglicherweise tödlich verletzt werden würde".
Bevor der Angeklagte den Spurwechsel nach rechts einleitete , wandte er den Kopf nach hinten zum rückwärtigen Verkehr "und betrachtete ihn etwa eine Sekunde lang, so daß er blind auf den mittleren Fahrstreifen überwechselte". Als er mit einer abrupten Lenkbewegung nach rechts den Spurwechselvorgang einleitete, betrug der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen etwa 1,7 Meter. Der Pkw des Angeklagtenstieß auf der mittleren Fahrspur nach etwa 1,8 Sekunden mit dem vorderen Stoßfänger gegen den hinteren Reifen des Krades. Hierdurch wurde das Motorrad geringfügig beschleunigt und der Nebenkläger aus dem Sattel gehoben. Ihm gelang es nicht, das ins Schlingern geratene Motorrad zu stabilisieren, das zu Fall kam. Der Nebenkläger rutschte über eine Strecke von etwa 56 Metern über die Fahrbahn, rutschte unter der am Fahrbahnrand montierten Leitplanke hindurch und erlitt infolge des Sturzes erhebliche Verletzungen. Der Angeklagte war sich beim Einleiten des Spurwechsels bewußt, "daß angesichts des geringen Abstandes ein Zusammenprall der Fahrzeuge höchst wahrscheinlich war und daß das Motorrad seitlich angestoßen hierbei zu Fall kommen und der Motorradfahrer von dem Krad stürzen würde. Daß der Motorradfahrer infolge dieses als höchstwahrscheinlich angesehenen Sturzes möglicherweise tödlich verletzt werden würde", sah er als mögliche Folge seines Handelns voraus und nahm dies billigend in Kauf (Fall II. 3.).
II.
1. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts auf den Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Da es sich bei den dem Angeklagten zur Last gelegten drei Handlungen um eine Tat im Sinne des § 264 StPO handelt, ist eine Be-
schränkung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO und nicht eine Teileinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO auszusprechen (vgl. BGH, Beschluß vom 26. Februar 1998 - 4 StR 55/98). Die Beschränkung erfolgt, soweit es die Verurteilung im Fall II. 1. wegen Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung betrifft, weil die gemäß § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a StGB zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche konkrete Gefährdung durch die bisherigen Feststellungen nicht hinreichend belegt ist (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 261 m.N.). Zudem läßt sich den Strafzumessungserwägungen nicht entnehmen, ob das Landgericht den festgestellten Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), der bei der Bemessung der Einsatzstrafe im Fall II. 3. zu einer Unterschreitung der „bei normalem Verlauf des Verfahrens zu verhängende (n) Strafe“ um zwei Jahre geführt hat, auch bei der Bemessung der verhängten Einzelgeldstrafen von 80 Tagessätzen (Fall II. 1.) und 60 Tagessätzen (Fall II. 2.) berücksichtigt hat.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, halten insbesondere auch die Erwägungen des Landgerichts, auf die es die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes gestützt hat, rechtlicher Nachprüfung stand. Der auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aus dem Fahrverhalten des Angeklagten bei dem abrupten Spurwechsel gezogene Schluß, der Angeklagte habe dabei mit der Voraussicht gehandelt, daß es zur Kollision der Fahrzeuge und damit zum Sturz des Nebenklägers kommen könnte , ist nicht nur möglich, sondern liegt bei einem Spurwechsel während der Beschleunigung eines Fahrzeugs bei einer Geschwindigkeit von mehr als 80 km/h und einem Abstand von nur noch 1,7 Metern zu dem vorausfahrenden Fahr-
zeug nahe. Dies gilt auch für die Annahme des insoweit sachverständig beratenen Landgerichts, der Sturz des Nebenklägers infolge der Kollision sei aufgrund der hohen Sturzausgangsgeschwindigkeit von 75 km/h grundsätzlich geeignet gewesen, den Tod des Nebenklägers herbeizuführen, was der Angeklagte als mögliche Folge seines Handelns vorausgesehen habe. Der Senat hat keine Bedenken, diese Würdigung jedenfalls dann als rechtsfehlerfrei zu bestätigen, wenn der Täter - wie hier – mit einem Pkw ein mit (relativ) hoher Geschwindigkeit fahrendes Krad rammt, dessen Fahrer nicht weiter geschützt ist. Der aus der für den Angeklagten danach offensichtlichen Lebensgefährlichkeit seiner Vorgehensweise und dem gleichwohl durchgeführten Spurwechsel gezogene Schluß, daß dieser die "erkannte Möglichkeit, daß der Geschädigte bei dem Sturz tödlich verletzt werden würde, zumindest billigend in Kauf genommen" hat, ist möglich und daher ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 56).
3. Die Beschränkung der Strafverfolgung führt zur Änderu ng des Schuldspruchs und zum Wegfall der in den Fällen II. 1. und 2. verhängten Einzelgeldstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe. Die wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr verhängte Einzelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten bleibt als alleinige Strafe bestehen.
Der Senat ergänzt den Maßregelausspruch um die versehentlich unterbliebene Anordnung der Einziehung des Führerscheins (vgl. BGHSt 5, 168, 178 f.; BGH, Beschluß vom 5. November 2002 - 4 StR 381/02).
Maatz Kuckein Athing
RiBGH Dr. Ernemann befindet sich in Urlaub und ist deshalb verhindert zu unterschreiben. Maatz Sost-Scheible
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der erheblich alkoholisierte (BAK von maximal 2,5 ‰) Angeklagte in einer Diskothek mit einem anderen Gast in Streit. Als der Nebenkläger mit Blick zum Angeklagten zwischen die Kontrahenten trat, um die Auseinandersetzung zu beenden, drang der Angeklagte auf ihn ein, zog ein Messer und stach damit in Richtung von dessen Kopf. Er traf ihn am Kinn und verursachte dort eine Stichverletzung. Ein Ein- dringen des Messers in den Hals wurde dadurch verhindert, dass das Messer auf den Kieferknochen traf. Dem Nebenkläger gelang es, dem Angeklagten, der weiterhin auf ihn einstach und ihm noch zwei kleinere Stichwunden an der Hand zufügte, das Messer zu entwinden.
- 3
- Das Landgericht hat direkten Verletzungsvorsatz angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht zu überzeugen vermocht. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die generelle Gefährlichkeit von Stichverletzungen im Kopfbereich zwar für einen solchen Vorsatz sprechen könnte; wegen der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt , des Fehlens eines (nachvollziehbaren) Tötungsmotivs und der bei der Begehung von Tötungsdelikten generell hohen Hemmschwelle könne die Kammer jedoch nicht ausschließen, dass der Angeklagte auf das Ausbleiben tödlicher Verletzungen vertraut habe.
- 4
- 1. Die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 5
- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, wobei dies bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegt. Ferner sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
- 6
- Diese sorgfältige Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Es wird schon nicht erkennbar, ob die Kammer bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand (zur Bedeutung des Wissens- und des Willenselements bei der Prüfung des bedingten Vorsatzes vgl. BGH NStZ-RR 2006, 9 m. w. N.). Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel der Strafkammer auch am Wissenselement sprechen; die Erörterung der Motivlage und der Hemmschwelle könnte sich auf das Willenselement beziehen. Erkannte der Angeklagte jedoch, wozu sich das Urteil nicht verhält, trotz seiner Alkoholisierung die äußerste Gefährlichkeit eines mit einem Messer geführten Stiches in Richtung der für tödliche Verletzungen in hohem Maße anfälligen Kinn- und Halspartie, dann liegt bei der hier gegebenen Tatgestaltung auch die Billigung des Todes durchaus nahe. Denn der Angeklagte "fuchtelte" nicht etwa ziellos mit dem Messer herum und traf dabei (zufällig) mit dessen Spitze das Kinn des Nebenklägers, sondern stach nach den Feststellungen zielgerichtet in Richtung des Kopfes des Nebenklägers.
- 7
- Soweit das Landgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten abstellt, darf diese nicht dahin missverstanden werden, dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als einem gewichtigen, auf einen Tötungsvorsatz hinweisenden Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung in Frage gestellt werden soll und dieser Beweisgrund den Schluss auf einen Tötungsvorsatz in aller Regel nicht tragen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
- 8
- Hinzu kommt, dass die Erwägung des Landgerichts, für den Angeklagten habe es "keinen Grund" gegeben, den die Auseinandersetzung schlichtenden Nebenkläger zu töten, nicht gegen eine Billigung des Todes spricht und deshalb für die Überzeugungsbildung hinsichtlich eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes an Bedeutung verliert. Der für möglich erkannte Erfolg muss den Wünschen des Täters nicht entsprechen (vgl. BGHSt 7, 363, 369). Allenfalls hochgradig interessenwidrige Tatfolgen widerstreiten der Annahme einer Billigung des Erfolges durch einen in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten, ohnehin überaus unüberlegt handelnden Täter (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 51, 61 jew. m. w. N.). Zuletzt lässt das Landgericht außer Betracht , dass der Angeklagte nicht nur einmal, sondern mit dem Messer noch weiter in Richtung des Nebenklägers stach; dies hätte als ein Indiz dafür, dass er nicht auf einen glimpflichen Ausgang vertraute, erörtert werden müssen.
- 9
- 2. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich sowohl eine nähere Beschreibung des Tatwerkzeugs als auch eine Darstellung der Taten empfehlen wird, die zu den erheblichen Vorstrafen des Angeklagten wegen zahlreicher Gewaltdelikte geführt haben; letzteres auch mit Blick darauf, dass das Landgericht wegen der nicht ausschließbaren erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholkonsums eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen und sich dabei nicht damit auseinandergesetzt hat, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei selbstverschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung in der Regel nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33, 37; einschränkend BGHR aaO 35; BGH NStZ 2008, 619). Für einen Ausnahmefall (vgl. hierzu NStZ-RR 2009, 230) bestehen bislang keine Anhaltspunkte. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Nötigung und mit Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten S. hat es wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und bestimmt, dass die vom Angeklagten A. in dieser Sache in Portugal erlittene Freiheitsentziehung auf die verhängte Freiheitsstrafe in der Weise angerechnet wird, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht.
- 2
- Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger beanstanden das Verfahren und erheben die Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft wendet sich insbesondere gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite; zudem bemängelt sie die fehlende Prüfung der Unterbringung des Angeklagten A. in der Sicherungsverwahrung. Die Nebenkläger begehren unter anderem eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge. Die Angeklagten rügen ebenfalls die Anwendung des sachlichen Rechts. Der Angeklagte A. beanstandet insbesondere den Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Bewertung der Nötigung als besonders schweren Fall. Der Angeklagte S. meint, der Tatbestand des § 231 StGB sei nicht gegeben, weil es sich nicht um eine Schlägerei im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe; ferner beanstandet auch er die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung.
- 3
- Erfolg hat in geringem - aus dem Tenor ersichtlichem - Umfang lediglich das zum Nachteil des Angeklagten A. eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.
I.
- 4
- Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
- 5
- Die beiden Angeklagten waren Mitglieder der "Hells Angels", der Angeklagte A. als Vollmitglied ("full member"), der Angeklagte S. als Unterstützer ("supporter"). Dirk O. - das Tatopfer - war Vollmitglied der "Outlaws" und Präsident des "Chapters" Donnersbergkreis.
- 6
- Am 24. Juni 2009 hatte der Angeklagte S. in Bad Kreuznach aus ungeklärten Gründen eine körperliche Auseinandersetzung mit Tobias L. , einem Mitglied des dortigen neu gegründeten Outlaws-Chapters, an deren Ende er von Tobias L. darauf hingewiesen wurde, dass Bad Kreuznach "OutlawGebiet" sei.
- 7
- Am Nachmittag des 26. Juni 2009 trafen sich die Angeklagten in Landstuhl unter anderem mit Björn Sch. , der ebenfalls - als Anwärter ("prospect") - den Hells Angels angehörte. Sie beschlossen, nach Bad Kreuznach zu fahren, um dort "Präsenz zu zeigen"; gegebenenfalls wollten sie auch einem Mitglied der Outlaws wegen des Vorfalls vom 24. Juni 2009 eine "Abreibung verpassen". Gegen 20.00 Uhr brachen die Angeklagten und Björn Sch. in einem angemieteten Pkw nach Bad Kreuznach auf. Dort sahen sie zwar einen Motorradfahrer in "Rockerkluft", konnten ihm aber nicht folgen. Sie beschlossen daher, nach Marnheim zur Gaststätte "I. " zu fahren, dem Treffpunkt der Outlaws in deren neu gegründetem Chapter im Donnersbergkreis , um diese auszukundschaften und - so das Vorhaben des Angeklagten A. und von Björn Sch. - eine nicht näher bestimmte "Aktion" gegen dieses Chapter durchzuführen.
- 8
- Etwa um 23.00 Uhr verließen mehrere Mitglieder der Outlaws, unter anderem Dirk O. , das "I. " und fuhren nach Kirchheimbolanden. Die Angeklagten und Björn Sch. folgten ihnen. Während sich die Mitglieder der Outlaws in einer Gaststätte aufhielten, fassten der Angeklagte A. und Björn Sch. den Entschluss, dem - von ihnen als solchem erkannten - Vollmitglied der Outlaws bei sich bietender Gelegenheit die "Kutte", also die mit Aufnähern versehene Lederweste, abzunehmen, um hierdurch "ein Zeichen gegen die Outlaws zu setzen" sowie "Präsenz zu zeigen" und den Outlaws deutlich zu machen, dass deren Gebietsanspruch nicht akzeptiert werde. Den Angeklagten und Björn Sch. war dabei klar, dass es zu einer "harten körperlichen Auseinandersetzung" auch mit Waffen und Werkzeugen kommen kann. Ihnen war bewusst, dass ihr Handeln "auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte", sie vertrauten aber darauf, dass insbesondere wegen ihrer körperlichen und zahlenmäßigen Überlegenheit "ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde". Ein solcher tödlicher Ausgang war den Angeklagten unerwünscht; der Angeklagte A. fürchtete bei einem "tödlichen Zwischenfall" clubinterne Sanktionen, der Angeklagte S. , der als einziges Mitglied der Hells Angels im Donnersbergkreis wohnte, befürchtete eine "Retourkutsche" der Outlaws.
- 9
- Nachdem die Outlaws die Gaststätte verlassen hatten, folgten die Angeklagten - der Angeklagte S. als Fahrer - und Björn Sch. mit ihrem Pkw zwei Motorrädern der Outlaws, wobei sie die Stellung deren Fahrer als "full member" bzw. "prospect" erkannten, das Vollmitglied aber nicht als Dirk O. und den dortigen Chapter-Präsidenten identifizierten. Nachdem der zweite Motorradfahrer abgebogen war, fuhren Dirk O. und hinter ihm die Angeklagten und Björn Sch. gegen 23.50 Uhr auf der Landstraße 386 in Richtung Stetten. Der Angeklagte A. und Björn Sch. beschlossen nunmehr, Dirk O. zu überholen und zum Anhalten zu bringen, um ihm die Kutte abnehmen zu können. Auf Weisung des Angeklagten A. überholte der Angeklagte S. das Motorrad und bremste den Pkw anschließend bis zum Stillstand stark ab, wobei er darauf achtete und darauf vertraute, dass es nicht zu einer Kollision kam und Dirk O. nicht stürzte. Dirk O. gelang es wenige Meter hinter dem Pkw anzuhalten, wobei die Strafkammer ungeachtet einer Blockierspur von 13,3 Metern Länge nicht festzustellen vermochte, dass dabei tatsächlich die Gefahr bestand, er werde mit dem Pkw kollidieren oder stürzen.
- 10
- Während der Angeklagte S. - auch in der Folgezeit - in dem Pkw verblieb, sprangen der Angeklagte A. und Björn Sch. aus dem Fahrzeug , liefen auf Dirk O. zu und zogen diesen von seinem Motorrad herunter. Sodann schnitten sie mit einem Messer die rechte Hosentasche des Dirk O. auf, in der er - erkennbar - ein Messer mitführte, und warfen dieses Messer weg. Nachdem ein entgegenkommender Pkw vorbeigefahren war und Dirk O. das umgefallene Motorrad aufgerichtet hatte, um mit diesem zu fliehen, versetzte Björn Sch. Dirk O. sechs Stiche kurz unterhalb des Arms in die rechte Seite. Er handelte dabei aus Verärgerung darüber, dass "das gesamte Vorhaben" durch das zufällige Erscheinen des Pkws zu scheitern gedroht hatte, und wollte der "Aktion" endgültig und sicher zum Erfolg verhelfen. "Dass der Dirk O. dabei sterben könnte, war ihm klar, jedoch auch egal". Der Angeklagte A. sah diese nicht abgesprochene Messerattacke, konnte allerdings nicht mehr eingreifen; er ging - wie auch der Angeklagte S. - davon aus, dass das Opfer bereits tödlich verletzt sei und jede, auch eine sofort herbeigerufene Hilfe zu spät kommen werde. Er und Björn Sch. zogen Dirk O. die Kutte aus, um diese mitzunehmen. Welche Motivation dieser Wegnahme zugrunde lag, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen, insbesondere konnte sie nicht ausschließen, dass der Tatplan von vorneherein vorsah, die Kutte "zu vernichten" bzw. "verschwinden" zu lassen, damit sie nicht in die Hände der Outlaws gelangt. Sodann versetzte Björn Sch. ebenfalls ohne Absprache mit dem Angeklagten A. Dirk O. einen weiteren Messerstich in den Rücken, der zu einer Querschnittlähmung führte.
- 11
- Infolge der Stiche in die Seite und des dadurch eingetretenen Blutverlustes verstarb Dirk O. am 27. Juni 2009 um 2.17 Uhr.
II.
- 12
- Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben keinen (Rechtsmittel der Nebenkläger) bzw. nur in geringem Umfang Erfolg (Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft).
- 13
- 1. Die von Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
- 14
- Die Rügen, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt , dass es keinen "in so genannten Motorradclubs … szenekundigen, erfahrenen Ermittlungsbeamten eines Landeskriminalamts oder einer sonst überörtlich zuständigen Polizeidienststelle oder einen Kriminalwissenschaftler" zu deren "Herrschaftsgefüge, Befehlsstrukturen, Riten und Verhaltenskodizes" ange- hört hat, sind unzulässig. Denn die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger teilen nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise mit, warum sich eine solche Beweiserhebung entgegen und trotz der Ausführungen des Schwurgerichts zu einem nicht zu erwartenden weiteren Erkenntnisgewinn durch eine solche Beweisaufnahme (UA 80) aufgedrängt haben soll, nachdem das Gericht - neben einer Vielzahl weiterer Polizeibeamter sowie mehrerer Zeugen aus "Rockerkreisen" - auch die dem Polizeipräsidium Mainz angehörende Sachbearbeiterin vernommen und diese über die Informationen berichtet hat, die ihr "im Bereich der organisierten Kriminalität erfahrene Kollegen" unter anderem zum "Trophäenkult mit Kutten" gegeben hatten. So wird insbesondere die in den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger angesprochene polizeiliche Vernehmung des Angeklagten S. nicht vollständig mitgeteilt; die Staatsanwaltschaft hat es zudem unterlassen , den von ihr zitierten polizeilichen Abschlussbericht vollständig vorzutragen.
- 15
- Soweit die Staatsanwaltschaft ferner einen Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet und geltend macht, das Gericht habe in Zusammenhang mit dem Fluchtversuch des Dirk O. Feststellungen zu "inneren Vorgängen (Überlegungen )" beim Tatopfer getroffen, ohne hierfür über eine "äußere Grundlage" zu verfügen, fehlt es jedenfalls am Beruhen des Urteils auf einer etwaigen Gesetzesverletzung.
- 16
- Erfolglos ist auch die von zwei Nebenklägern in Zusammenhang mit der Zurückweisung einer Frage an den Zeugen G. erhobene Aufklärungsrüge. Insofern verweist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf, dass dem Zeugen G. das von ihm geltend gemachte Auskunftsverweigerungsrecht zustand.
- 17
- 2. Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat - abgesehen von der Entscheidung bezüglich des Angeklagten A. nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB aufgrund des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft - keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben.
- 18
- a) Das Schwurgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht nicht wegen besonders schweren Raubes (mit Todesfolge) oder besonders schwerer räuberischer Erpressung (mit Todesfolge) verurteilt.
- 19
- aa) Ein besonders schwerer Raub (mit Todesfolge) liegt - wie ersichtlich auch der Generalbundesanwalt meint - nicht vor.
- 20
- (1) Täter - auch Mittäter - kann beim Raub nur sein, wer bei der Wegnahme die Absicht hat, sich oder einem Dritten die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. Hierfür genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten “einverleiben” oder zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 mwN).
- 21
- An der Voraussetzung, dass der Wille des Täters auf eine Änderung des Bestandes seines Vermögens oder das des Dritten gerichtet sein muss, fehlt es in Fällen, in denen er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseitezuschaffen” oder „zu beschädigen” (BGH, Urteile vom 10. Mai 1977 - 1 StR 167/77, NJW 1977, 1460; vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 jeweils mwN). Der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruhende Schädigungswille ist zur Begründung der Zueignungsabsicht ebenso wenig geeignet wie der Wille, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812, 813 mwN; Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10). In solchen Fällen genügt es auch nicht, dass der Täter - was grundsätzlich ausreichen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1980 - 2 StR 224/80, NStZ 1981, 63) - für eine kurze Zeit den Besitz an der Sache erlangt.
- 22
- (2) Hiervon ausgehend handelten die Angeklagten und Björn Sch. nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen in Bezug sowohl auf die Kutte von Dirk O. als auch dessen Messer ohne die für eine Verurteilung wegen Raubes erforderliche Zueignungsabsicht.
- 23
- Zwar diente die Wegnahme der Kutte nach dem Tatplan "dem Ziel, diesem Outlaw im speziellen und den sich neuangesiedelten Outlaws im Allgemeinen gegenüber 'Präsenz zu zeigen' und ihnen klarzumachen, dass mit den in der Nähe angesiedelten Hells Angels stets zu rechnen ist". Eine über die Enteignung hinausgehende Zueignungsabsicht konnte die Strafkammer jedoch nicht feststellen (UA 17: "Ein weiteres Interesse an der zu erlangenden Kutte, etwa als Tauschobjekt, Arbeitsnachweis oder zum 'Angeben', war nicht feststellbar" ). Vielmehr vermochte sie nicht auszuschließen, "dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten." (UA 79). Entsprechendes gilt für das Dirk O. abgenommene Messer, das der Angeklagte A. und Björn Sch. sofort nach der Entwaffnung ihres Opfers wegwarfen (UA 20, 55).
- 24
- Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist - wie auch im Übrigen - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 161/07). Nach der durch § 261 und § 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen (BGH, Urteile vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10; vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10 mwN). Denn der vom Gesetz verwendete "Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, dass sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Es ist also die für die Schuldfrage entscheidende , ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“ (so bereits BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209; zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2010 - 5 StR 297/10). Ist das Tatgericht – wie vorliegend – ausgehend von einer lückenlosen Tatsachengrundlage im Rahmen einer Bewertung der erhobenen Beweise im Einzelnen (UA 79 ff.) sowie in einer Gesamtschau (UA 82) zu der möglichen - hier sogar plausiblen - Schlussfolgerung gelangt, die erhobenen Beweise seien mangels nachgewiesener Zueignungsabsicht nicht geeignet, eine Verurteilung der Angeklagten wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge zu tragen, hat dies – nicht anders als in gegenteiligen Verurteilungsfällen – als möglicher Schluss des Tatgerichts in der Revisionsinstanz Bestand. Die vom Revisionsgericht nicht mehr hinzunehmende, einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründende Grenze der Denkfehlerhaftigkeit wird vom Schwurgericht nirgendwo überschritten (zu diesen Maßstäben: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10).
- 25
- bb) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen aber auch eine besonders schwere räuberische Erpressung (mit Todesfolge) nicht vor.
- 26
- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine (besonders schwere) räuberische Erpressung zwar auch derjenige begehen, der das Opfer mit Gewalt dazu zwingt, die Wegnahme einer Sache zu dulden (BGH, Urteil vom 30. August 1973 - 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 228 mwN), eine Verurteilung wegen Raubes aber daran scheitert, dass die dafür erforderliche Zueignungsabsicht nicht vorliegt bzw. nicht nachweisbar ist (BGH, Urteile vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388, 390 f.; vom 6. August 1991 - 1 StR 430/91, BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 2; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103).
- 27
- Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung erfordert jedoch die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Diese Tatbestandsvoraussetzung des § 253 StGB deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug vorausgesetzten Bereicherungsabsicht (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9). Sie setzt nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen wirtschaftlichen Vermögensbegriff deshalb voraus, dass der erstrebte Vorteil zu einer objektiv günstigeren Gestaltung der Vermögenslage für den Täter oder den Dritten führen soll (BGH, Urteil vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN; ähnlich: BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 2. Mai 2001 - 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), also eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens angestrebt wird (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN).
- 28
- Als ein solcher Vermögenszuwachs kann auch die Erlangung des Besitzes an einer Sache bewertet werden und zwar selbst bei einem nur vorübergehenden Besitzwechsel (BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.). Jedoch ist der bloße Besitz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in den Fällen als Vermögensvorteil anerkannt, in denen ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (BGH, Urteil vom 17. August 2001 - 2 StR 159/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 2), was regelmäßig lediglich dann zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter oder der Dritte nutzen will (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 - 2 StR 303/95, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 1 mwN; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rdn. 98; zum Besitz an einem Kraftfahrzeug: BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.; Beschluss vom 24. April 1990 - 5 StR 111/90, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 7; Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103; ähnlich für den Betrug: BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 StR 58/08, NStZ 2008, 627).
- 29
- Dagegen genügt - wie beim Raub - nicht, wenn der Täter zwar kurzzeitigen Besitz begründen will, die Sache aber unmittelbar nach der Erlangung vernichtet werden soll (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 mwN; Vogel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 253 Rn. 29; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 253 Rn. 17). Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; ähnlich BGH, Beschluss vom 19. August 1987 - 2 StR 394/87, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 1) und allein einen anderen als einen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1971 - 4 StR 397/71).
- 30
- Auf dieser Grundlage fehlt es an einer Bereicherungsabsicht der Angeklagten bzw. des Björn Sch. in Bezug auf die Kutte des Dirk O. und dessen Messer. Denn das Landgericht vermochte - wie oben ausgeführt - nicht auszuschließen, dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten und das Messer sofort wegzuwerfen.
- 31
- b) Da die Angeklagten sowie Björn Sch. weder einen Raub noch eine räuberische Erpressung beabsichtigt haben, kommt auch eine Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB nicht in Betracht.
- 32
- c) Das Schwurgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Angeklagten zu Recht nicht wegen Täterschaft oder Teilnahme an der vorsätzlichen Tötung des Dirk O. verurteilt.
- 33
- aa) Einen Tötungsvorsatz der Angeklagten hat es rechtsfehlerfrei als nicht erwiesen erachtet.
- 34
- (1) Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN). Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN), mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373; ähnlich zum unerwünschten Erfolg bereits BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369). Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451).
- 35
- Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN); sowohl das Wissens - als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 jeweils mwN). Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZRR 2009, 372 jeweils mwN). Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jeweils mwN). Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 mwN).
- 36
- (2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Ab- grenzung des bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet. Ihre Bewertung, Tötungsvorsatz bei den Angeklagten sei nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf.
- 37
- Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wussten die Angeklagten, "dass es zur Erlangung der symbolträchtigen Kutte zu einer möglicherweise auch harten körperlichen Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Rocker" und "auch zum Einsatz von Waffen und Werkzeugen - wie etwa Schlaghölzern, Reizgas, Schlagstöcken, Motocrosshandschuhen und evtl. auch Messern - kommen könnte". Ihnen war "bewusst …, dass derartige Aktionen … ein hohes, unter Umständen auch tödliches, Gewaltpotential in sich tragen" und ihr Handeln "aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Gleichwohl vermochte sich das Landgericht - rechtsfehlerfrei - nicht davon zu überzeugen, dass das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes gegeben ist. Denn die Angeklagten vertrauten - wie das Schwurgericht ausführlich belegt - "im Hinblick auf ihre körperliche und auch zahlenmäßige Überlegenheit … darauf, dass ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde"; auch war ihnen aus unterschiedlichen Gründen ein tödlicher Ausgang unerwünscht.
- 38
- bb) Der Generalbundesanwalt meint auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als besonders schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge unter Hinweis auf das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2007 (1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281 und Walter, NStZ 2008, 548), der Angeklagte A. sei Gehilfe des vorsätzlichen Tötungsdelikts, weil sich "durch das gemeinsame Ausziehen und Ansichnehmen der Kutte des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten … sein Vorsatz sukzessive auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters Sch. erstreckt" habe. Der Senat lässt offen, ob dem bei Vorliegen einer räuberischen Erpressung zu folgen wäre. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da weder der Angeklagte A. noch Björn Sch. den Tatbestand des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung (mit Todesfolge) verwirklicht haben. Kann bei mehreren nacheinander aktiv werdenden Tätern der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Allein eine nachträgliche Billigung der tödlichen Gewalt kann deshalb jedenfalls im vorliegenden Fall eine strafbare Verantwortlichkeit des Angeklagten A. für die bereits abgeschlossene Tötungshandlung nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1984 - 4 StR 526/84 mwN). Dies gilt auch für die vom Generalbundesanwalt bejahte Beihilfe zum Mord und bezieht sich in gleicher Weise auf den Angeklagten S. .
- 39
- d) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist den Angeklagten auch der zur Querschnittlähmung des Opfers führende (letzte) Messerstich des Björn Sch. nicht zuzurechnen.
- 40
- Eine solche Zurechnung scheidet aus, wenn der unmittelbare Täter dem Opfer den weiteren Stich nicht mehr im Rahmen verabredeter Gewaltanwendung beibrachte, der Dritte die (weitere) Gewaltanwendung weder gebilligt noch zu ihr gefahrerhöhend beigetragen hat und er deren Folgen auch nicht dazu ausnutzen wollte, den Besitz von durch die Tat erlangten Vermögenswerten zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33, 34). So verhält es sich hier. Der Messerstich erfolgte nach der Wegnahme der Kutte, er entsprach nicht dem Tatplan, sondern wurde "ohne weitere Absprache" mit dem Angeklagten A. von Björn Sch. ausgeführt, um (nicht ausschließbar) "ganz sicher zu gehen, dass dieser [also Dirk O. ] versterbe" (UA 63).
- 41
- e) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts haben sich die Angeklagten auch nicht der Täterschaft oder Teilnahme an einem versuchten vorsätzlichen Tötungsverbrechen durch Unterlassen schuldig gemacht.
- 42
- Denn eine Handlungspflicht des Garanten für das Leben eines anderen entfällt, wenn die gebotenen Rettungsbemühungen sicher erfolglos geblieben wären (BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rdn. 63). Das ist nach den von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen und tragfähig begründeten Feststellungen der Fall. Danach ging der Angeklagte A. - der objektiven Lage entsprechend (UA 78 f.) - nach der ersten Messerattacke des Björn Sch. davon aus, "dass der Outlaw durch die Messerstiche bereits tödlich verletzt sei" und selbst "bei sofort herbeigerufener Hilfe sterben" werde. Dasselbe hat das Landgericht bezüglich des Angeklagten S. festgestellt.
- 43
- Da es durch das Sichentfernen der Angeklagten nicht zu einer Steigerung der für Dirk O. bestehenden Gefahr kam, haben sich die Angeklagten auch nicht nach § 221 StGB strafbar gemacht (vgl. SSW-StGB/Momsen, § 221 Rn. 10, 11).
- 44
- f) Nach den getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht die Angeklagten zu Recht auch nicht des (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB schuldig gesprochen.
- 45
- Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und er dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 82/10 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Ernemann, § 315b StGB Rn. 18). Einen solchen, mit dem Eingriff in den Straßenverkehr verbundenen Schädigungsvorsatz vermochte das Landgericht jedoch nicht festzustellen. Es kam vielmehr - rechtsfehlerfrei - zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte S. darauf vertraute, dass Dirk O. weder zu Fall kommt, noch auf den Pkw auffährt und dass eine solche Gefahr auch objektiv nicht bestand. Eine versuchte Anstiftung durch den Angeklagten A. (§ 30 Abs. 1, § 315b Abs. 1, 3, § 315 Abs. 3 StGB) liegt nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.
- 46
- g) Soweit eine Verurteilung der Angeklagten nach § 323c StGB in Betracht kam (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 323c Rn. 18), hat der Senat das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
- 47
- h) Auch die Rechtsfolgenaussprüche weisen - abgesehen von der den Angeklagten A. betreffenden Entscheidung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB - keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
- 48
- aa) Dies gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt und die revisionsführende Staatsanwaltschaft beim Angeklagten A. die Prüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vermissen.
- 49
- Denn es fehlt nach der vom Senat gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB, § 354a StPO zu beachtenden, am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Neufassung des § 66 StGB an Vorstrafen, die die dort geforderten Voraussetzungen erfüllen (vgl. BT-Drucks. 17/3403 S. 50). Insbesondere die im Jahr 2005 erfolgte Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und anderem ist nicht mehr geeignet, die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.
- 50
- bb) Die Revision der Staatsanwaltschaft führt jedoch zur Abänderung des Maßstabs für die Anrechung der in Portugal beim Angeklagten A. vollzogenen Auslieferungshaft, den das Landgericht mit 2:1 bestimmt hat.
- 51
- Besondere Erschwernisse, die diesen Anrechnungsmaßstab rechtfertigen könnten, hat die Strafkammer - ersichtlich aufgrund des Schweigens des Angeklagten A. zur Person und zur Sache (UA 25) - nicht festgestellt. Im Hinblick darauf, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union - auch in Portugal (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 251/10) - grundsätzlich Anhaltspunkte für eine andere Anrechnung als im Verhältnis 1:1 nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen sind, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst entsprechend bestimmt (BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3; vom 4. Juli 2007 - 1 StR 298/07; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2005 - 2 BvR 1593/03).
III.
- 52
- Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
- 53
- 1. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. ist unbegründet.
- 54
- a) Seine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
- 55
- Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, grundsätzlich nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 Rn. 15 mwN). Handelt ein Mittäter aber mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz, ein anderer dagegen nur mit Verletzungsvorsatz, so ist letzterer - wenn er den tödlichen Ausgang für das Opfer vorhersehen konnte - zwar nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts , aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar (BGH, Urteil vom 19. August 2004 - 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich). Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, mithin auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dem Mittäter das Wissenselement des Tötungsvorsatzes vorlag und dieser allein deshalb fehlte, weil es am Willenselement mangelte (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261, 262; vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 mwN).
- 56
- So verhält es sich hier. Beide Angeklagten rechneten - wie ausgeführt - mit Körperverletzungen unter Einsatz von Waffen und Werkzeugen, auch eines Messers, und billigten diese. Ihnen war ferner bewusst, dass "die Aktion aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Die damit gegebene Vorhersehbarkeit des Todes von Dirk O. reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente des § 227 StGB aus; einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN).
- 57
- b) Auch die Verurteilung des Angeklagten A. wegen mit der Körperverletzung mit Todesfolge und der Nötigung in Tateinheit stehenden Beteiligung an einer Schlägerei begegnet keinen Bedenken. Sie entspricht sowohl hinsichtlich der Bejahung des Tatbestandes des § 231 StGB als auch bezüglich der Konkurrenzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 3 StR 236/08; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN)
- 58
- c) Entsprechendes gilt für den Schuldspruch wegen Nötigung. Diese wird hinsichtlich des Ausbremsens vom Verteidiger des Angeklagten A. nicht in Frage gestellt. Sie liegt aber auch hinsichtlich der Wegnahme der Kutte vor, bezüglich derer der Einsatz des Messers von Anfang an vom Vorsatz des Angeklagten A. umfasst war (vgl. auch UA 79).
- 59
- d) Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Schwurgerichts, bei der vom Angeklagten A. begangenen Nötigung handle es sich um einen (unbenannten) besonders schweren Fall im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB. Sie wird vom Tatgericht zutreffend auf das "besonders grobe" Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck gestützt.
- 60
- e) Auch der Maßregelausspruch hält der Überprüfung stand. Zwar war der Angeklagte A. "nur" Beifahrer in dem vom Angeklagten S. gesteuerten Pkw. Indes hat der Angeklagte A. an der ihm zu Recht angelasteten Nötigung des Dirk O. durch das Ausbremsen nicht nur dadurch mitgewirkt, dass er den Angeklagten S. hierzu "verbal gedrängt" hat, sondern auch dadurch, dass er die "Weisung" für den Beginn des Überholmanövers gab. Dies rechtfertigt die Maßregel nach §§ 69, 69a StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2004 - 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617; Tepperwien in Festschrift Nehm, 2006, S. 427, 430).
- 61
- 2. Die Revision des Angeklagten S. ist ebenfalls unbegründet.
- 62
- a) Die Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge und zur Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen Nötigung ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist - wie ausgeführt - auch die Annahme von Tateinheit zwischen diesen Straftatbeständen.
- 63
- b) Der Strafausspruch hält im Ergebnis ebenfalls der Überprüfung stand.
- 64
- Zwar hat es das Schwurgericht unterlassen, beim Angeklagten S. trotz Vorliegens zweier vertypter Milderungsgründe (§ 27 Abs. 2, § 46b StGB) zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt. Der Senat schließt aufgrund der Besonderheiten des Falles jedoch aus, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn es lag im Hinblick auf die vom Landgericht zutreffend dargelegten Strafschärfungsgründe (u.a. Bewährungsversagen ) fern, einen minder schweren Fall gemäß § 227 Abs. 2 StGB ohne "Verbrauch" mindestens eines der vertypten Milderungsgründe anzunehmen. Wäre aber der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB einmal nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert worden, so wäre - bei nur geringfügig niedrigerer Strafrahmenobergrenze - die Strafrahmenuntergrenze höher gewesen als nach der vom Schwurgericht vorgenommenen doppelten Minderung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB.
- 65
- Die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung begegnet beim Angeklagten S. auch angesichts der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit dieser Bewertung in der Revision (vgl. Fischer aaO § 46 Rn. 85 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
IV.
- 66
- Das nur geringfügige Obsiegen der Staatsanwaltschaft rechtfertigt keine Kostenteilung. Da mithin sowohl die Revisionen der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben bzw. entsprechend zu behandeln sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch diese Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO); eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn dieser allein erfolglos Revision eingelegt hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführe- rin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. aber BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 405/10). Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Revisionen der Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Zwar sind auch die Revision der Nebenkläger erfolglos geblieben, dies rechtfertigt es jedoch nicht, von einer Auslagenerstattung zu ihren Gunsten abzusehen (§ 473 Abs. 1 Satz 2 StPO; zum Ganzen: BGH, Urteil vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05).
Franke Mutzbauer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitl ich begangener zweifacher gefährlicher Körperverletzung mit tateinheitlich begangener zweifacher versuchter gefährlicher Körperverletzung mit Widerstand gegen Vollstrekkungsbeamte und unerlaubtem Besitz von Schußwaffen zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen versuchten Totschlags. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dagegen ist die Revision des Angeklagten unbegründet.
I.
Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Begründung, mit welcher das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz ausgeschlossen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach den Feststellungen gab der Angeklagte, der sich durch seine Nachbarin und drei weitere Frauen in seiner Nachtruhe gestört fühlte und diese vertreiben wollte, vom Fenster seines im Erdgeschoß gelegenen Schlafzimmers mit einem halbautomatischen Selbstladegewehr Kaliber 22 aus der Hüfte heraus in schneller Folge sechs Schüsse auf die rund 27 Meter entfernten Frauen ab. Eine der Frauen wurde durch einen Geschoßsplitter von einem Abpraller am rechten Oberschenkel verletzt; eine Frau erlitt einen Durchschuß am rechten Fuß. Die beiden anderen Frauen wurden nicht getroffen. Die durch einen Ingenieur für Waffentechnik sachverständig beratene Strafkammer hat sich davon überzeugt, daß die Flugbahnen von insgesamt fünf Geschossen - einschließlich eines Pfostenschusses - in Richtung der Personengruppe verliefen. Die Geschoßwirkung reichte aus, um auf eine Entfernung von 25 Metern zwei hintereinander eingespannte Holzbretter von jeweils 20 mm zu durchschlagen. Aufgrund eines Treffers an einem Betonpfosten in Höhe von rund
1,10 Meter sowie des Spurenbildes der übrigen Einschüsse hat die Strafkammer ausgeschlossen, daß der Angeklagte in den Boden schießen wollte, um die Frauen zu vertreiben. Aufgrund der festgestellten Umstände habe es der Angeklagte nicht in der Hand gehabt, wo und wie er getroffen habe.
Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage von bedingtem Körperverletzungsvorsatz ausgegangen ist, weil der Angeklagte trotz der festgestellten Alkoholisierung (BAK maximal 2,18 o/oo) erkannt hatte, daß ein Feuern mit dem Kleinkalibergewehr auf die Frauen die körperliche Unversehrtheit dieser Personen verletzen konnte und dies billigend in Kauf nahm, ist nicht ersichtlich, warum er trotz Kenntnis von der Gefährlichkeit seines Handelns die Gefahr des Todes der Frauen nicht erkannt haben könnte. Wer - wie der im Umgang mit Schußwaffen und deren Wirkungen vertraute Angeklagte - sich dessen bewußt war, daß bei der gegebenen Vorgehensweise das Trefferbild unklar sein würde und deshalb die abgefeuerten Projektile ohne weiteres die im Einwirkungsbereich der Schüsse befindlichen Personen treffen konnten, weiß auch um deren mögliche tödliche Wirkung.
Die Auffassung des Landgerichts, dem Angeklagten sei nur bedingter Körperverletzungsvorsatz nachzuweisen, läßt besorgen, daß es sich zwar von dem für den bedingten Tötungsvorsatz notwendigen Wissenselement überzeugt hat, aber zu hohe Anforderungen an das Vorliegen des Willenselements gestellt hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird in der Regel das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, daß nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38).
2. Soweit das Landgericht bei der Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes darauf abstellt, daß der Angeklagte "deutlich minderbegabt ist", erhellt sich nicht, was damit konkret zum Ausdruck gebracht werden soll. Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen wirkt der Angeklagte deutlich minderbegabt, wobei die Minderbegabung jedoch nicht ein Ausmaß erreiche, daß auf Grund dieser eine verminderte Steuerungsfähigkeit i. S. d. § 21 StGB anzunehmen sei. Eine vorhandene Minderbegabung spielt, was allgemein die Schuld betrifft, jedoch keine Rolle. Sie kann strafrechtlich nur dann von Bedeutung sein, wenn sie sich auf die konkrete Tat ausgewirkt hat. Hierfür gibt es bei dem im Umgang mit Waffen vertrauten Angeklagten, der auch die Tatwaffe in den vergangenen Jahren dazu benutzt hatte, Jagd auf Greifvögel zu machen, keinen Anhalt.
3. Zu den Einwendungen der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch , insbesondere zu dem Vorbringen, das Landgericht habe zu Unrecht von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach § 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht, bemerkt der Senat:
a) Rechtliche Bedenken bestehen bereits gegen die Annahme, der Angeklagte sei schon deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt erheblich vermindert gewesen, weil bei ihm eine BAK von maximal 2,18 o/oo festgestellt und die einschreitenden Polizeibeamten den Eindruck hatten, der Angeklagte sei stark alkoholisiert. Diese Ausführungen lassen besorgen, daß die Strafkammer nicht die nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geforderte umfassende Gesamtwürdigung zu der Frage vorgenommen hat, ob beim Angeklagten unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der
Tat, seines Verhaltens vor, während und nach der Tat und seiner Alkoholgewöhnung zur Tatzeit eine durch Alkoholrausch bedingte krankhafte seelische Störung vorgelegen hat (BGHSt 43, 66, 69). Es fehlt nicht nur eine nähere Auseinandersetzung mit den Trinkgewohnheiten des Angeklagten, sondern den Urteilsgründen sind auch keine Ausführungen zur Vorgeschichte der Tat und zum Einfluß des Alkohols auf das Leistungsverhalten bei der Tatbegehung und das Nachtatverhalten zu entnehmen. Den bisherigen Feststellungen ist nur zu entnehmen, daß der Angeklagte pro Woche ca. einen Kasten Bier trinkt, und daß der Tat über längere Zeit nachbarschaftliche Streitigkeiten vorausgegangen sind. Andererseits verhielt sich der Angeklagte, der nach den Feststellungen zunächst geschlafen hatte, kurz nach der Tat noch situationsadäquat.
b) Das Urteil läßt auch nicht erkennen, daß sich die Strafkammer bewußt war, daß es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachver ständigen - in eigener Verantwortung zu beantworten hat (BGHSt aaO S. 77).
c) Bei der weiteren Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblich verminderter Schuld eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen werden soll, hat die Strafkammer zwar erörtert, daß eine Schuldmilderung dann ausgeschlossen sein kann, wenn die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruht (vgl. dazu BGHSt aaO S. 77 f.). Sie hat aber eine verschuldete Trunkenheit mit der Begründung verneint, der Angeklagte sei nicht in der Lage gewesen, die mit der Alkoholisierung einhergehende Gefährdung der Allgemeinheit richtig einzuschätzen : "Die Minderbegabung des Angeklagten hinderte diesen daran, bei
Aufnahme des Alkohols die Gefahren zu erkennen, die mit der Aufnahme verbunden sind." Dieser Schluß der Kammer wird weder von den bisherigen Feststellungen getragen noch entspricht er der Lebenserfahrung. Nach den bisher mitgeteilten persönlichen Verhältnissen hat der fast 70 Jahre alte Angeklagte sein bisheriges Leben durchaus gemeistert. Er ist bisher nicht vorbestraft und hat ein rechtschaffendes Berufsleben als Pflasterer und als Busfahrer geführt. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit der Bienen- und Taubenzucht und gehörte lange Jahre dem Schützenverein an. Ohne nähere Darlegung über das Ausmaß und den Einfluß einer Minderbegabung auf die Lebensgestaltung des Angeklagten liegt es nach dem bisher mitgeteilten Lebenslauf eher nahe, daß der Angeklagte - wie jedermann - die Gefahren des Alkohols kennt.
4. Die nach Zurückweisung der Sache nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB neu zu prüfen und die Gründe für die zu Gunsten des Angeklagten vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB näher darzulegen. Im übrigen wird zu erwägen sein, ob nach den getroffenen Feststellungen nicht nur - wie vom Landgericht angenommen - die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist, sondern auch die Voraussetzungen für die (versuchte) gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegen.
II.
Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des Urteils auf die Rüge der Verletzun g materiellen
Rechts hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. 1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers tragen die fehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch.
a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur in den Boden schießen wollen, um die Frauen zu vertreiben, für widerlegt erachtet. Die dem zugrundeliegenden Beweiserwägungen beruhen auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Nach den Feststellungen hatte der im Umgang mit Schußwaffen geübte Angeklagte von seinem Standort an dem - wie sich aus den gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Bezug genommenen Lichtbildern ergibt - im Erdgeschoß seines Anwesens befindlichen Schlafzimmerfenster freien Blick auf die rund 27 Meter entfernte Gartenbank, in deren Bereich sich die vier Tatopfer aufhielten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, daß der Angeklagte auf Grund der örtlichen Gegebenheiten ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, in sehr kurzer Entfernung vor seinem Schlafzimmerfenster in den Boden zu feuern, wenn es ihm nur darauf angekommen wäre, die Frauen zu vertreiben. Der Angeklagte gab gleichwohl aus der Hüfte in schneller Folge sechs Schüsse in Richtung der Frauengruppe ab. Die Einschußbeschädigungen fanden sich überwiegend im Bereich der Gartenbank und der benachbarten Haustüre. Die Geschädigte H. erlitt einen direkten Durchschuß am Fuß, die Geschädigte S. wurde durch einen Geschoßsplitter am Oberschenkel verletzt. Dies steIlt eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Überzeugung der Strafkammer dar, daß der zwar alkoholisierte, sich jedoch gegenüber den wenig später eintreffenden Polizeibeamten situationsangemessen verhaltende Angeklagte bewußt auf die vier Frauen geschossen und billigend in Kauf genommen hat, diese zu
verletzen.
b) Daß das Landgericht insoweit nur (versuchte) gefährliche Körperverletzungen mittels einer Waffe (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), nicht dagegen auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht.
c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Landgericht zu Recht Widerstand in einem besonders schweren Fall nach § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB angenommen. Der Täter verwendet die Waffe schon dann, wenn er sie zur Drohung mit Gewalt einsetzt (BGHSt 27, 176, 180). Im übrigen hat das Landgericht der Erfüllung des Regelbeispiels im Hinblick auf den geringen Unwert der Tat für die "tateinheitlich auszusprechende Strafe" ausdrücklich kein Gewicht beigemessen.
2. Die Strafzumessung bewegt sich innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums und weist keinen Rechtsfehler auf.
Wahl Boetticher Schluckebier Richterin am BGH Elf ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Wahl Graf
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, dass das Landgericht einen Tötungsvorsatz nicht für erwiesen erachtet und den Angeklagten deshalb nicht wegen Totschlags verurteilt habe. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- a) Der Angeklagte und S. , das spätere Tatopfer, waren in der Nacht zum 25. Dezember 2007 als Gäste auf einer Party des Zeugen E. , die in der Wohnung von dessen verreisten Eltern stattfand. Auf dieser Party nahmen der Angeklagte und S. in erheblichem Maß Alkohol (Wodka und Bier) zu sich. Außerdem verbrachten sie und ein weiterer männlicher Partygast, der wie der Angeklagte und S. ohne weibliche Begleitung gekommen war, ihre Zeit damit, mit nackten Oberkörpern an einem Fitnessgerät in einem Nebenraum zu „spielen“ oder auf dem Boden miteinander zu „catchen“. Der Angeklagte fiel hierbei durch seine grundlose verbale Aggressivität gegenüber den übrigen Partygästen auf, so dass der Gastgeber mehrfach beruhigend auf ihn einwirken musste.
- 4
- Gegen 2.30 Uhr rangen der Angeklagte und S. miteinander auf dem Wohnzimmerboden. Der Zeuge B. , ein weiterer Partygast, trennte die beiden stark alkoholisierten Kontrahenten, wobei er sich bei der anschließenden Auseinandersetzung mit dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zu diesem Zeitpunkt bei maximal 2,97 Promille lag, leichte Verletzungen an Nase und Rücken zuzog. S. , der zunächst das Wohnzimmer verlassen hatte, kam zurück und versetzte dem Angeklagten einen Stoß, so dass dieser auf einen Couchtisch mit Glasfläche fiel. Hierdurch kippte der Tisch nach hinten in Richtung Wand; das Glas zersplitterte, wodurch sich unmittelbar um den Glastisch ein „Splitterfeld“ mit zum Teil mehreren Zentimeter langen und breiten Glassplittern bildete. Der Angeklagte empfand den Stoß als demütigend und wollte sich hierfür rächen. Er stand sofort auf, nahm einen der Glassplitter und stach ihn unmittelbar mit der linken Hand von oben nach unten mit großer Wucht in S. s rechte Halsseite, um diesen zu verletzen. Die Steuerungs- fähigkeit des Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner Alkoholisierung in Verbindung mit seiner affektiven Erregung erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 21 StGB. Durch den Stich wurden die rechte innere Doppelvene, die rechte Unterschlüsselbeinarterie und die fast zehn Zentimeter unter dem Halsansatz liegende rechte Pleurakuppel von S. durchtrennt. Das Blut spritzte wie eine Fontäne aus der Wunde. S. ging zu Boden und verstarb innerhalb der nächsten fünf Minuten an den Verletzungsfolgen.
- 5
- Der Angeklagte war über die Folgen des Stiches zutiefst erschrocken. Er bemühte sich, die Blutung bei seinem Opfer mit einem Handtuch zu stillen. Außerdem telefonierte er zweimal mit dem Notruf der Polizei und drängte darauf, dass der Rettungsdienst möglichst schnell zu Hilfe kommen sollte. Als der Notarzt um 2.40 Uhr am Einsatzort eintraf, stand der Angeklagte nur mit Unterhose und Socken bekleidet und in einem „völlig aufgelösten Zustand“ auf der Straße, um die Rettungskräfte darauf hinzuweisen, dass sich der schwer verletzte S. oben in der Wohnung befinde. Nachdem der Notarzt in der Wohnung festgestellt hatte, dass S. an den Verletzungsfolgen bereits verstorben war, forderte der Angeklagte den Arzt beharrlich auf, seine Wiederbelebungsversuche fortzusetzen, weil er sich mit dem Tod seines Opfers nicht abfinden wollte. Dem Notarzt gelang es dabei nur sehr mühsam, den Angeklagten davon zu überzeugen, dass S. nicht mehr zu retten war. Anschließend nahm der Angeklagte von dem toten S. Abschied, nachdem er zuvor einen der Polizisten diesbezüglich um Erlaubnis gebeten hatte.
- 6
- b) Das Landgericht hat sich trotz der Gefährlichkeit der Gewalthandlung von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht. Zwar sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen, „dass ein mit Wucht in die Halsregion des S. geführter Stich dessen Tod zur Folge haben könnte“ (UA S. 9). Es sei aber nicht auszuschließen, dass die erhebliche alkoholische Enthemmung des Angeklagten und sein Erregungszustand trotz der objektiven Gefährlichkeit seines Tuns zu der - vermeidbaren - Fehleinschätzung geführt habe, sein Handeln würde nicht zum Tod S. s führen. Dabei hat das sachverständig beratene Landgericht angenommen , dass der Geschehensablauf das Vorliegen eines affektiven Erregungszustands bei dem Angeklagten nahe legen würde, da dieser zunächst von S. auf den Glastisch gestoßen worden sei und das wuchtige Zustechen mit der Glasscherbe in den Hals des Opfers als unmittelbare Reaktion des Angeklagten hierauf anzusehen sei. Schließlich hat das Landgericht das Nachtatverhalten des „über die Folgen seines Stichs zutiefst erschrockenen“ (UA S. 9) Angeklagten - insbesondere den Inhalt der Notruftelefonate - als gewichtiges Indiz dafür herangezogen, dass der Angeklagte den Tod des S. weder wollte noch in seine Vorstellung aufgenommen oder gebilligt hatte, als er zustach (UA S. 25).
- 7
- 2. Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Landgericht die Annahme eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes - in dubio pro reo - verneint hat, hält der rechtlichen Überprüfung stand. Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 16; BGH StV 1994, 580). Konnte sich das Tatgericht von der Täterschaft oder vom Vorsatz des Angeklagten nicht überzeugen, prüft das Revisionsgericht auch, ob das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeu- gungsbildung gestellt hat (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und Beweiswürdigung 5). Liegen derartige Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Überzeugungsbildung möglich gewesen wäre oder sogar nahe gelegen hätte. So verhält es sich auch hier.
- 8
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissensals auch das Wollenselement, geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen , rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz möglich. Dabei ist in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Es ist jedoch auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter im Einzelfall die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht stets geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603, 604; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
- 9
- b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts, das diese Grundsätze beachtet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat das Landgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, auch nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung überspannt. Vielmehr hält sich die Überzeugungsbildung zum Tatvorsatz noch im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Tatrichters.
- 10
- Allerdings liegt es angesichts der erheblichen Gefährlichkeit des Stichs mit der Glasscherbe, den der Angeklagte mit erheblicher Wucht ausführte und der zehn Zentimeter tief in den Hals des Getöteten eindrang, sehr nahe, dass der Angeklagte beim Zustechen mit der Möglichkeit einer tödlichen Verletzung rechnete und diese auch billigend in Kauf nahm. Dies hat das Landgericht aber erkannt. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung, in die es die Besonderheiten des vorliegenden Falles einbezogen hat, legt es dar, aus welchen Gründen es sich trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Gewalthandlung gleichwohl keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verschaffen konnte.
- 11
- Als gewichtigen Umstand gegen die Annahme, der Angeklagte habe beim Zustechen mit der Glasscherbe den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen , bezeichnet das Landgericht die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten , die zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Nach den Urteilsfeststellungen konnte die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit 2,97 Promille betragen haben.
- 12
- Als weiteren gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatz beim Angeklagten sprechenden - freilich eher ambivalenten - Umstand nennt das Landgericht, den Ausführungen eines psychiatrischen Sachverständigen folgend , die Tatsache, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem „wut- und aggressionsbedingten Erregungszustand“ befand. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Geschehensablauf war der Angeklagte über die ihm zugefügte Demütigung, den Stoß auf den Couchtisch, so verärgert , dass er spontan zu der Glasscherbe griff und aus Wut S. - ohne genauere Überlegung - den tödlichen Stich zufügte.
- 13
- Schließlich hat das Landgericht auch das Nachtatverhalten des Angeklagten als Gesichtspunkt dafür herangezogen, dass er den Tod des Opfers nicht wollte. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte bemühte sich unmittelbar nach dem Zustechen um die Rettung des Opfers vor dem Tod, indem er versuchte, die Blutung mit Hilfe eines Handtuchs zu stillen, und indem er sich aktiv an der Verständigung und Unterrichtung des Notarztes beteiligte. Zwar kann ein solches Nachtatverhalten auch bloß Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will. Eine solche - nach einer Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes mögliche (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141, 142) - Annahme, war hier aber nicht so nahe liegend, dass es einer ausdrücklichen Erörterung dieser Möglichkeit nicht bedurfte. Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht angesichts des „aufgelösten Zustands“ des Angeklagten beim Eintreffen des Notarztes, der Beharrlichkeit, mit der er auf den Notarzt einwirkte, damit dieser seine Rettungsbemühungen fortsetzen sollte, und des noch am Tatort geäußerten Wunschs des Angeklagten, sich von dem toten S. verabschieden zu dürfen, nicht bloß als Reue gewertet hat. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht damit auch hinreichend deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass dem Angeklagten im Zeitpunkt des Zustechens ein möglicher Tod des Opfers nicht gleichgültig war (vgl. dazu BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51).
- 14
- Angesichts der vom Landgericht aufgezeigten besonderen Umstände stellt es jedenfalls keine Überspannung der an die tatrichterliche Überzeugung zu stellenden Anforderungen dar, dass das Landgericht hier trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Tatausführung verbliebene Zweifel an einem Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überwinden vermochte (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141). Da auch sonst Rechtsfehler in der Beweiswürdigung nicht vorhanden sind, hat der Senat hinzunehmen, dass sich das Landgericht keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tatvorsatz verschaffen konnte. Es ist ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen, selbst wenn ein anderes Ergebnis wirklichkeitsnäher erscheinen könnte. Nack Kolz Elf Jäger Sander
BUNDESGERICHTSHOF
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Jugendstrafe vor der Maßregel angeordnet. Darüber hinaus hat es ihn verur- teilt, an den Neben- und Adhäsionskläger L. ein Schmerzensgeld in Hö- he von 10.000 € nebst Zinsen zu zahlen sowie seine Verpflichtung zum Er- satz weiterer Schäden wegen des Vorfalls vom 5. Juni 2010 festgestellt. Den Angeklagten S. hat es wegen gefährlicher sowie schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt.
- 2
- Die Revision des Angeklagten D. führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III.3 der Urteilsgründe und im gesamten Rechtsfolgenausspruch. Sie ist unbegründet hinsichtlich des Schuldspruchs im Fall II sowie hinsichtlich der Fälle III.1 und 2. Insoweit hat die revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler ergeben. Die zu Ungunsten des Angeklagten S. eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft , die den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (III.1 der Urteilsgründe) vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, ist erfolgreich.
- 3
- 1. Zum Tatgeschehen vom 5. Juni 2010 (III der Urteilsgründe), das allein näherer Erörterung bedarf, hat die Jugendkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 4
- a) Der damals fast 19 Jahre alte, mehrfach auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte D. war gemeinsam mit dem 17 Jahre alten, wegen jugendtypischer Straftaten mit Bagatellcharakter vorgeahndeten Mitangeklagten S. am Tatabend im Stadtgebiet von Hamburg-Harburg unterwegs. Die alkoholisierten Angeklagten schlugen den Passanten Kn. , von dem sie sich provoziert fühlten, jeweils mit der Faust gegen den Kopf. Nachdem dieser bei einer Rangelei zu Boden gegangen war, schlugen und traten beide Angeklagten weiter auf ihn ein, bis andere Passanten zugunsten des Geschädigten eingriffen (Fall 1).
- 5
- Nachdem Kn. auf seinem Fahrrad geflüchtet war, wandten sich die Angeklagten den bislang unbeteiligten Zeugen Di. und seiner Lebensge- fährtin De. zu. D. forderte den Zeugen auf, mit ihm zu kämpfen, schlug ihn gegen den Oberarm und Rücken. Er streifte den weitergehenden Zeugen durch einen kampfsportartigen Tritt in Richtung des Rückens. Der Angeklagte S. , der sich an den Gewalttätigkeiten gegen Di. nicht beteiligte, forderte D. auf, den Zeugen in Ruhe zu lassen (Fall 2).
- 6
- D. wandte sich nun dem unbeteiligt in unmittelbarer Nähe an einer Straßenecke stehenden Nebenkläger L. zu. D. schlug ihm unvermittelt so heftig ins Gesicht, dass der durch einen früher erlittenen Schlaganfall gesundheitlich vorgeschädigte Nebenkläger „wie ein Baum“ zu Boden fiel und verteidigungsunfähig liegen blieb (UA S. 21). Sodann trat D. ihm mehrfach in den Bauch und gegen den Oberkörper. „Völlig über- raschend“ lief in diesem Moment der Angeklagte S. zu dem am Boden liegenden Nebenkläger und trat ihm „mit voller Wucht“ (UA S. 21) von oben auf den Kopf, der dadurch zwischen Schuh und Straßenpflaster eingeklemmt wurde. Unmittelbar nach dem Tritt flüchtete S. , während D. mit der Faust noch zwei- bis dreimal „in Richtung Gesicht, möglicherweise auch ge- gen den Körper“ des Nebenklägers schlug (UA S. 22). Dieser erlitt potentiell lebensgefährliche Schädelverletzungen und es kam zur Vernarbung einer Arterie im Gehirn. Infolgedessen hat sich sein Allgemeinzustand erheblich verschlechtert. Aufgrund der Vernarbung der Gehirnarterie besteht die Gefahr , dass er einen weiteren Schlaganfall erleiden könnte (Fall 3).
- 7
- b) Die Jugendkammer vermochte keinen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten S. festzustellen: Es fehle bereits am kognitiven Vorsatzelement , weil S. im Zeitpunkt der Tat derart von aggressiven Gefüh- len überwältigt worden sei, dass er die Gefährlichkeit seines Handelns „nicht mehr vollumfänglich reflektieren konnte“ (UA S. 51). Hingegen geht das Tatgericht davon aus, dass der Angeklagte D. die Lebensgefährlichkeit des von S. geführten Tritts gegen den Nebenkläger erkannte und die Möglichkeit seines Todes billigend in Kauf nahm.
- 8
- Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten S. kommt die Jugendkammer zu dem Ergebnis, dass dieser im Fall 3 „durch einen Ge- fühlsausbruch im Zusammenwirken mit Alkohol als konstellativem Faktor re- gelrecht ‚überflutet‘ worden ist von ihm bisdahin unbekannten aggressiven Persönlichkeitsanteilen“ (UA S. 45) und dies bei ihm einen „Verwirrtheitszustand“ ausgelöst habe. Seine Steuerungsfähigkeit sei daher hier – anders als im Fall 1, in dem er voll schuldfähig gewesen sei – aufgrund einer tiefgreifen- den Bewusstseinsstörung „nicht unerheblich eingeschränkt“ gewesen.
- 9
- 2. Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes beim Angeklagten S. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 10
- a) Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es – wovon auch das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeht – nahe, dass der Täter mit dem Eintritt des Todes seines Opfers rechnet; indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, nimmt er einen solchen Erfolg billigend in Kauf (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1986 – 4StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, und vom 20. Juni 2000 – 5 StR 25/00, NStZ-RR 2000, 328; zu Tritten gegen den Kopf: BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 1 StR 178/05 – und vom 23. August 2011 – 1 StR 153/11, Rn. 51). Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz möglich und regelmäßig ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 28. April 1994 – 4 StR 81/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38).
- 11
- Die Brutalität der Tathandlung und die Augenfälligkeit der hiermit verbundenen Lebensgefahr machten hier das Todesrisiko kognitiv leicht erfass- bar. Dies drängt sich selbst bei Annahme erheblich verminderter „Reflekti- onsfähigkeit“ (UA S. 51) auf. Angesichts dessen ist die Verneinung des Tö- tungsvorsatzes unter Hinweis darauf, der Angeklagte S. habe „die volle Tragweite“ seiner Handlungen infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstö- rung nicht erkennen und deren Gefahr nicht realistisch einschätzen können, nicht hinreichend begründet.
- 12
- b) Hinzu kommt, dass die Begründung, mit der die Jugendkammer eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Fall 3 bejaht, lückenhaft und in wesentlichen Punkten widersprüchlich ist.
- 13
- Bei der unmittelbar vorangegangenen Tat (Fall 1) hat die Jugendkammer – im Einklang mit beiden Sachverständigen – keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gefunden. Seine Alkoholisierung – durch Rückrechnung der knapp sechs Stunden nach der Tat festgestellten Blutalkoholkonzentration ermittelt sie einen maximalen Tatzeitwert von 2,3 bis 2,4 ‰ – hält sie angesichts des langen Rückrechnungszeitraums und des Fehlens alkoholbedingter Ausfallerscheinungen zu Recht nicht für allein ausschlaggebend. Hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit bei dem nur wenige Augenblicke später erfolgenden Angriff auf den Nebenkläger (Fall 3) kommt die Jugendkammer zu einem anderen Ergebnis. Besondere Bedeutung misst sie dabei der Tatsache zu, dass sich der AngeklagteS. zuvor im Fall 2 beschwichtigend verhalten hat und der Tathergang – entsprechend der Analyse des Sachverständigen A. – somit einen „logi- schen Bruch“ aufweise. Aus diesem „logischen Bruch“ folgert das Tatgericht einen „Verwirrtheitszustand“ des Angeklagten S. imZeitpunkt der Tatbegehung im Fall 3.
- 14
- Die Annahme eines „unerklärlichen Verhaltensumschwungs“ findet in den Feststellungen zum Vorgehen des Angeklagten S. keine Stütze: Bereits im Fall 1 nahm er – gemeinsam mit D. – eine allenfalls geringfügige Provokation durch den Geschädigten zum Anlass, diesem Faustschläge ge- gen den Kopf zu versetzen und dem bereits auf dem Boden Liegenden gegen den Oberkörper und den Kopf zu treten. Gegenüber diesem Verhalten mag die Tat des Angeklagten S. im Fall 3 zwar eine Intensivierung der Gewaltanwendung darstellen; einen „logischen Bruch“ dokumentiert dieser Tatablauf auch unter Berücksichtigung des Verhaltens im Fall 2 gerade nicht.
- 15
- Allein aus der – scheinbaren – Unerklärlichkeit der von der Jugendkammer erkannten Verhaltensänderung des Angeklagten kann überdies nicht auf einen diese bedingenden, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden „Überflutungs- und Verwirrtheitszustand“ geschlos- sen werden, der ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfüllt.
- 16
- 3. Die Annahme eines Tötungsvorsatzes des BeschwerdeführersD. ist in den Urteilsgründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
- 17
- a) Die Jugendkammer hat D. die Handlung des Mitangeklagten S. über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet. Sie stellt insoweit zunächst fest, D. habe erkannt und „billigend in Kauf“ genommen, dass der Nebenklä- ger „durch den Kopftritt des Angeklagten S. zuTode kommen könnte“ (UA S. 21). An anderer Stelle führt sie beweiswürdigend aus, dass beide Angeklagte einen wesentlichen Tatbeitrag im Rahmen eines bestehenden Tat- plans geleistet hätten. Letzterer sei „während der Tat“ dahingehend gefasst worden, den Nebenkläger „unter Ausübung von Schlägen und Tritten anzu- greifen“ (UA S. 47). Diese Annahme sieht das Tatgericht belegt durch die von beiden Angeklagten vorgenommenen, wechselseitig gebilligten Gewalt- handlungen innerhalb eines einheitlichen Geschehensablaufs. „Dadurch, dass der Angeklagte S. sich in das Geschehen einschaltete und seinerseits auf den Geschädigten L. einwirkte, hat er sich mit den zuvor vom Angeklagten D. verübten Handlungen einverstanden erklärt. Auch hat der Angeklagte D. nachfolgend sein Einverständnis mit dem vom Angeklagten S. verübten Fußtritt zum Ausdruck gebracht, indem er seinerseits weiter auf den Geschädigten L. einschlug“ (UA S. 48).
- 18
- b) Zwar geht die Strafkammer damit im Ansatz zutreffend davon aus, dass der gemeinsame Tatplan auch konkludent durch arbeitsteilige Tatausführung gefasst werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289; hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 25 Rn. 17). Sie erörtert in diesem Zusammenhang indes nicht, wie sich damit die Feststellung vereinbaren lässt, S. habe dem Nebenkläger „völlig überraschend“ – mithinfür D. unvorhersehbar – den Tritt auf den Kopf versetzt (UA S. 21). Dieser Umstand legt einen Mittäterexzess nahe. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, welche Anknüpfungstatsachen das Tatgericht seiner Annahme eines mittäterschaftlichen Totschlagsversuchs zugrunde gelegt hat.
- 19
- c) Auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – keine rechtlich tragfähigen Anknüpfungspunkte. Diese sind in Bezug auf den Zurechnungsmaßstab (§ 25 Abs. 2 StGB) widersprüchlich.
- 20
- Das Tatgericht hebt nämlich einerseits ausdrücklich auf einen konkludent – zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt – während der Tatbege- hung gefassten Tatplan ab. Zum anderen erörtert es das „Vorliegen sukzessiver Mittäterschaft“ (UA S. 48) und führt aus, dass D. durch sein Verhal- ten nach dem Tritt seine Billigung der Handlungen des S. „zum Ausdruck gebracht hat“ (UA S. 49).
- 21
- Die Angabe, an welchem Maßstab die Strafkammer ihre Bewertung eines mittäterschaftlich begangenen versuchten Totschlags gemessen hat, war jedoch mit Blick auf die für eine Erfolgszurechnung im Wege sukzessiver Täterschaft erforderliche gemeinsame (versuchte) Tatvollendung unentbehrlich ; danach muss der Hinzutretende die Vorstellung haben, die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges durch sein eigenes Handeln weiter zu fördern (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 143/10, StraFo 2010, 296). Im angefochtenen Urteil ist indes nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer D. seine anschließenden Gewalthandlungen als möglicherweise todesfördernd oder -beschleunigend erfasste. Die von der Strafkammer festgestellten – auf den heftigen Tritt des Angeklagten S. folgenden – Schläge des Beschwerdeführers D. „in Richtung Gesicht möglicherweise auch gegen den Körper“ des Nebenklägers (UA S. 22) bele- gen dies nicht ohne weiteres. In diesem Zusammenhang kann zudem von Bedeutung sein, in welchem Zustand sich der Nebenkläger nach dem Tritt befunden hat, wozu sich das Landgericht gleichfalls nicht eindeutig verhält.
- 22
- d) Schließlich lässt die nicht näher ausgeführte Erwägung der Strafkammer , der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten im Anschluss an den Tritt des Angeklagten S. „zum Ausdruck gebracht“, dass er den „Fußtritt gebilligt hat“ (UA S. 49), besorgen, dass das Tatgericht allein aus der nachträglichen Billigung einer Handlung in unzulässiger Weise auf einen sukzessiv gefassten gemeinsamen Tatplan geschlossen hat (vgl. hierzu Fischer , aaO, Rn. 17). Dieser Gesichtspunkt hätte allenfalls bei einem zugrunde gelegten konkludent gefassten Tatentschluss beweiswürdigend zu Lasten des Beschwerdeführers herangezogen werden können.
- 23
- 4. Die Sache bedarf neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat hebt wegen des hier gegebenen engen Zusammenhangs im Fall 3 auch die Feststellungen zu den äußeren Tatumständen auf. Er weist darauf hin, dass sich zur Erhellung des Vorsatzes der Angeklagten ergänzende Feststellungen zu den zeitlich unmittelbar vorgelagerten Fällen III.1 und 2 empfehlen.
- 24
- 5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- 25
- a) Die Begründung, mit der die Jugendkammer – bei rechtsfehlerfreier Verneinung eines völligen Ausschlusses der Schuldfähigkeit – betreffend den Angeklagten D. auch die Voraussetzungen des § 21 StGB bei allen verfahrensgegenständlichen Taten ausschließt, ist teilweise widersprüchlich. Zwar sprechen die zeitnah nach den Taten gemessenen Atemalkoholkon- zentrationen (1,21 bzw. 1,33 ‰) zumindest indiziell (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 520/09 Rn 9, NStZ-RR 2010, 275; Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02, NStZ 2002, 532, 533) dafür, dass vor den Taten keine Alkoholaufnahme erfolgte, die zur Anwendung des § 21 StGB führen musste. Auch die beiden von der Strafkammer gehörten Sachverständigen kommen unter maßgeblicher Berücksichtigung – hier allerdings wenig aussagekräftiger – psychodiagnostischer Kriterien zur Verneinung einer alkoholbedingt erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Dieses Ergebnis steht indes in einem Spannungsverhältnis zu der – von der Jugendkammer im Zusammenhang mit der Feststellung der Voraussetzungen einer Unterbringung des alkoholabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gewürdigten – Äußerung des Sachverständigen B. , Alkohol führe bei dem Angeklagten „nicht lediglich zu einer Enthemmung, sondern zu unkontrollierten Aggressionsausbrüchen“ (UA S. 62).
- 26
- b) Da sich die Bemessung der Jugendstrafe an der erforderlichen erzieherischen Einwirkung zu orientieren hat (§ 18 Abs. 2 JGG), würde hier eine durch Alkoholisierung vermittelte Annahme des § 21 StGB – auch bei Wegfall des versuchten Tötungsdelikts (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 – 5 StR 290/04, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59) – allerdings nicht zwingend zu einer niedrigeren Sanktion führen. Das mit einer Alkoholisierung verbundene Risiko der Begehung von Straftaten war für den Angeklagten – insbesondere mit Blick auf seine zahlreichen einschlägigen erheblichen Vorstrafen – auch ersichtlich (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239).
- 27
- c) Der Senat hebt wegen des engen Zusammenhangs mit der Bewertung der Schuldfähigkeit auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Gleichwohl wird die Anordnung dieser Maßregel – jedenfalls soweit keine wesentlich anderweitigen Feststellungen getroffen werden – wiederum naheliegen.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die allgemein erhobene Sachrüge gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist aus den Erwägungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Hingegen hat das Rechtsmittel mit der Sachbeschwerde Erfolg; diese führt zur Aufhebung des Schuld- und des Strafausspruchs.
I.
Nach den getroffenen Feststellungen lag der Angeklagte mit dem Vermieter der von ihm und seiner Familie bewohnten Doppelhaushälfte im Streit.Nachdem ein rechtskräftiger Räumungstitel gegen ihn vorlag, zog er aus dem Hause aus. Aus Verärgerung und um den Vermieter in Verruf zu bringen nahm er zuvor mehrere Veränderungen u.a. an der Elektroinstallation des Hauses vor. So öffnete er im Eßzimmer und im Kinderzimmer jeweils eine Doppelsteckdose , klemmte an je einer der Steckdosen den Schutzleiter und den stromführenden Leiter ab und schloß den stromführenden Leiter an den Schutzleiterkontakt an. Dadurch bewirkte er, daß beim späteren Anschluß eines mit einem Schutzleiter ausgestatteten Elektrogeräts an eine dieser Steckdosen sofort eine Spannung von 230 Volt auf das Gehäuse des angeschlossenen Gerätes übertragen werden konnte. Er wollte erreichen, daß ein nachfolgender Nutzer des Hauses beim bestimmungsgemäßen Gebrauch der manipulierten Steckdosen einen Stromschlag erhielte. Überdies hatte der Angeklagte zuvor im Haussicherungskasten für die drei Stromkreise des Hauses die vorhandenen 16Ampere -Sicherungen und zudem die Sicherungslastschalter überbrückt, die die stromführenden Phasen zwischen Hausanschlußkasten und dem Haussicherungskasten nochmals mit jeweils 25 Ampere absicherten; sie waren damit funktionslos. Die einzige wirksame Sicherung war danach noch die sog. Panzersicherung im Hausanschlußkasten mit einer Absicherung von 50 Ampere. Die Manipulationen wurden alsbald bei einer Überprüfung der gesamten Elektroinstallation des Hauses entdeckt. Diese fand statt, nachdem der Hausverwalter Veränderungen an der Ölheizungsanlage des Hauses festgestellt hatte, die zu deren Ausfall geführt hatten. Das Landgericht geht - insoweit sachverständig beraten - davon aus, der Angeklagte habe um der Verwirklichung seines Vorhabens willen in Kauf genommen , daß ein Stromschlag beim Anschluß eines elektrischen Gerätes ohne weiteres auch tödliche Folgen hätte haben können.
II.
Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit seinem Handeln bereits das Stadium des Versuchs eines Tötungsdelikts erreicht, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Hingegen leiden die Erwägungen zum bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten an durchgreifenden Erörterungsmängeln. Überdies sind die Feststellungen zur Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit lückenhaft. 1. Zu Recht geht die Strafkammer davon aus, der Angeklagte habe unmittelbar zur Begehung der Tat angesetzt (§ 22 StGB). Er hatte aus seiner Sicht alles für das Gelingen seines Tatplanes Erforderliche getan. Für die Herbeiführung eines deliktischen Erfolges war zwar noch die unbewußte Mitwirkung des Opfers erforderlich, das eine der manipulierten Steckdosen hätte nutzen müssen. Das ändert aber nichts daran, daß bei ungestörtem Fortgang der Dinge alsbald und innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes die Nutzung einer der manipulierten Steckdosen durch einen nachfolgenden Mieter oder Handwerker wahrscheinlich war und nahelag. Hier, bei der Veränderung elektrischer Steckdosen in zentralen Räumen eines Wohnhauses, blieb nicht etwa ungewiß, ob und wann die Manipulationen einmal Wirkung entfalten würden. Es lag vielmehr auf der Hand, daß die Steckdosen in Kürze genutzt würden. Insofern verhält es sich anders als etwa beim Aufstellen eines vergifteten Getränks in der ungewissen Erwartung, Einbrecher würden erneut in ein Haus eindringen und das Getränk zu sich nehmen (dazu Senat, BGHSt 43, 177 = NStZ 1998, 241 - Giftfalle). Vielmehr liegt die Sache ähnlich wie beim Anbringen einer Handgranate an einem vor dem Hause geparkten Pkw (dazu Senat, NStZ 1998, 294, 295 - Sprengfalle).2. Die Ausführungen des Landgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten halten der rechtlichen Überprüfung indessen nicht stand. Das Urteil läßt nicht erkennen, ob das Landgericht die Grenze zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gezogen hat. Die Würdigung ist lückenhaft.
a) Der Bundesgerichtshof hat wiederholt hervorgehoben, daß vor allem wegen der höheren Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber ein zwingender Beweisgrund für die Billigung eines Todeserfolges durch den Täter ist (sog. voluntatives Element des Vorsatzes ). Der Schluß auf den bedingten Tötungsvorsatz ist deshalb nur dann tragfähig , wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch alle diejenigen Umstände einbezogen hat, die eine derartige Folgerung in Frage stellen können. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, daß er eine solche Prüfung vorgenommen hat. Bei der Würdigung sind alle dafür maßgeblichen Umstände zu berücksichtigen , namentlich das Ziel und der Beweggrund für die Tat, die Art der Ausführung, die von der Tat ausgehende Gefährlichkeit, der Kenntnisstand des Täters, aber auch seine psychische Verfassung. Bei der Abgrenzung ist weiter zu bedenken, daß der Täter einen Tötungserfolg zwar als möglich vorausgesehen , aber ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben kann, er werde dennoch nicht eintreten; dann würde er in bezug auf den Tötungserfolg nur fahrlässig handeln. Hingegen kann eine billigende Inkaufnahme des Erfolges und damit bedingter Tötungsvorsatz vorliegen, wenn ihm der Erfolgseintritt an sich unerwünscht ist, er sich aber wegen eines angestrebten anderen Zieles damit abfindet. Die Grenzziehung kann im Einzelfall durchaus schwierig sein; um so mehr bedarf sie in solchen Fällen der Erörterung (vgl. nur BGHR StGB
§ 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1, 5, 8, 11, 14 [Elektroschutzanlage], 30, 35, 37, 38, 39, jeweils m.w.N.).
b) Die Urteilsgründe lassen eine solche Abgrenzung des angenommenen bedingten Tötungsvorsatzes zur bewußten Fahrlässigkeit vermissen. Diese wäre auch im Blick auf besondere Umstände des Falles geboten gewesen. Zwar lag nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen die Annahme nahe, der Angeklagte könne sich um der Erreichung seines eigentlichen Zieles willen auch damit abgefunden haben, daß aufgrund seiner Manipulationen ein Mensch zu Tode kommen könne. Er hat den Beruf eines Elektrikers erlernt, zu dessen Grundwissen die von solchen Veränderungen ausgehenden Gefahren gehören. Darauf stellt auch das Landgericht ab. Zudem hat er nicht nur die Steckdosen manipuliert, sondern durch die Überbrückung der Absicherung der Stromkreise bewirkt, daß eine Stromstärke bis zu 50 Ampere auf dem Leiter möglich war. Schon ab 100 Milliampere können beim Durchfließen des menschlichen Körpers - abhängig von den weiteren Rahmenbedingungen - Herzkammerflimmern und Herzstillstand eintreten und zum Tode führen. Dies hat das Landgericht sachverständig beraten ebenfalls festgestellt. Das Landgericht hat aber aus subjektiven Gründen das Vorliegen von Mordmerkmalen verneint. Die hierzu angestellten Erwägungen hätte es auch bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes mit einbeziehen und erörtern müssen. Die Strafkammer vermochte nicht die Gewißheit zu erlangen, daß der Angeklagte das Heimtückische seines Vorgehens in sein Bewußtsein aufgenommen und die entsprechenden Umstände gedanklich beherrscht und "gewollt gesteuert" hat. Sie hebt darauf ab, daß dem Angeklagten im Herbst 1996 ein im seitlichen Schädel entstandener Hirntumor operativ entfernt wurde, der Angeklagte dadurch bedingt seine Berufstätigkeit einstellte und finanzielle Einbußen erlitt.
Zusammen mit seiner familiären Situation böten sich deshalb ausreichende Anhaltspunkte, daß er sich in einer verzweifelten Lage gesehen habe. Die konkrete Tatausführung stehe nicht der Annahme entgegen, daß er einen "spontan gefaßten Entschluß" umgesetzt habe. Zu seinen Gunsten sei deshalb davon auszugehen, er sei in erster Linie von dem Gedanken beherrscht gewesen, seinem Vermieter zu schaden, indem er ernsthafte Konflikte zwischen diesem und dem erwarteten Nachmieter auslösen und den Vermieter in Verruf bringen wollte. Für ihn habe nicht im Vordergrund gestanden, gerade die Arglosigkeit eines Nachmieters auszunutzen. Ebensowenig seien niedrige Beweggründe ein bestimmendes Motiv für eine Tötungshandlung gewesen. Auch hierzu hebt das Landgericht darauf ab, der Angeklagte sei in einer affektiv angespannten Situation in erster Linie auf die mittelbare Schädigung des Vermieters fixiert gewesen. Diese zu den subjektiven Elementen der Mordmerkmale angestellten Erwägungen - die für sich gesehen gerade hinsichtlich der Heimtücke wegen des objektiven Tatbildes durchaus fragwürdig erscheinen mögen, den Angeklagten insoweit jedoch nicht beschweren - hätte die Strafkammer auch bei der Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit bedenken und berücksichtigen müssen. Das ist nicht geschehen, obgleich die psychische Verfassung eines Täters für die insoweit zu bewertende Frage mitbedeutsam sein kann. Dabei wäre auch zu erörtern gewesen, welches Gewicht der Befindlichkeit des Angeklagten angesichts der objektiv möglichen Auswirkungen und des Ausmaßes seiner Manipulationen zukommen konnte.
c) Darüber hinaus erweist sich die Würdigung zur subjektiven Tatseite unter einem weiteren Gesichtspunkt als lückenhaft. Das Landgericht hat keine näheren Feststellungen dazu getroffen, von welcher Intensität und Wirkung der
operative Eingriff war, bei welchem dem Angeklagten nur wenige Monate vor der Tat im seitlichen Schädel ein Hirntumor entfernt worden war. Bei Verletzungen mit Gehirnbeteiligung gehört die Beurteilung der Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit zu denjenigen Fragen, für die eigene Sachkunde des Tatrichters regelmäßig nicht ausreicht. Die Beiziehung der Krankenunterlagen und die Anhörung eines medizinischen Sachverständigen drängen sich dann oft auf (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Sachverständiger 1, 2, 4, 8). Hier ist allerdings eine Aufklärungsrüge von der Revision nicht erhoben. Unbeschadet dessen erweist es sich aber auch als sachlich-rechtlicher Mangel, daß das Urteil keine Ausführungen zur erforderlichen Sachkunde der Strafkammer für die Beurteilung der Auswirkungen des Eingriffs auf den inneren Tatbestand - wie auch auf die Steuerungsfähigkeit - enthält. Das Landgericht hat lediglich die Ehefrau des Angeklagten und weitere Zeugen befragt und führt aus, diese hätten Wesensveränderungen beim Angeklagten oder ein sonst auffälliges Verhalten nach dem Eingriff verneint (UA S. 29 unten). Das genügte hier nicht, um die Frage etwaiger Auswirkungen des Eingriffs zunächst auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, im hier gegebenen Zusammenhang aber auch auf die subjektive Tatseite (Willenselement des Vorsatzes) tragfähig beantworten zu können. Denn die Tat des Angeklagten erscheint eher ungewöhnlich (vgl. dazu BGHR StGB § 21 Sachverständiger 8; BGH, Beschl. vom 10. Mai 1984 - 2 StR 145/84), und nach den Grundsätzen der fachmedizinischen Erfahrung legt ein nachgewiesener Hirnprozeß stets das Vorliegen schuldfähigkeitsmindernder Voraussetzungen nahe (vgl. Langelüddeke/Bresser, Gerichtliche Psychiatrie 4. Aufl. S. 170). Das kann hier auch für die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit Bedeutung erlangen. 3. Der bezeichnete Darlegungs- und Erörterungsmangel wirkt sich weiter auf die Würdigung zur Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähig-
keit des Angeklagten zur Tatzeit aus. Das Ausmaß und die Auswirkungen der Tumoroperation hätten auch insoweit näherer Feststellungen und der Bewertung bedurft. 4. Die aufgezeigten Rechtsfehler berühren die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen nicht. Diese können deshalb aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird die Abgrenzung zwischen bedingtem Tötungsvorsatz und bewußter Fahrlässigkeit sowie die Frage der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Blick auf die Operation eines Hirntumors zu prüfen haben; die Hinzuziehung eines medizinischen Sachverständigen dürfte naheliegen. Sollte wiederum ein bedingter Tötungsvorsatz und etwa auch das Vorliegen von Heimtücke bejaht werden, stünde das Verschlechterungsverbot einer Verurteilung wegen versuchten Mordes nicht entgegen; lediglich hinsichtlich der Art und
der Höhe der Rechtsfolgen wäre § 358 Abs. 2 StPO zu beachten. Sollte bedingter Tötungsvorsatz nicht anzunehmen sein, wäre auch der Versuch einer gefährlichen Körperverletzung (vgl. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) oder möglicherweise auch - nach Feststellungen insoweit - der schweren Körperverletzung (vgl. § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) zu prüfen. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision , mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.
- 2
- 1. Das Urteil hat keinen Bestand, da die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten I. auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht.
- 3
- a) Nach den Feststellungen griff der erheblich alkoholisierte Mitangeklagten E. , der sich in Begleitung des ebenfalls angetrunkenen Angeklagten befand, ohne jeden Grund den ihm auf dem Gehweg entgegenkommenden Ge- schädigten K. an und prügelte ihn in einen Hinterhof, wo er ihn zu Fall brachte. Der Angeklagte folgte dem Mitangeklagten nach. Als sich das Tatopfer aufzurichten versuchte, traten beide Angeklagte mit den Füßen gezielt gegen den Kopf des Geschädigten. Während E. mindestens fünf mal mit voller Wucht gegen den ungeschützten Kopf des Tatopfers trat, versetzte der Angeklagte diesem lediglich einen leichten Tritt gegen den Kopf, wobei er mit Körperverletzungsvorsatz handelte. Den Tritten des E. sah der Angeklagte zu, was den Mitangeklagten zur weiteren Tatausführung ermutigte. Das Tatopfer, von dem die Angeklagten abließen, als sie mit dem Eintreffen der Polizei rechneten , erlitt durch die Tritte multiple Gesichtsschädelbrüche, die zu einer lebensbedrohlichen Gehirnschwellung und zu dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen führten.
- 4
- Zur subjektiven Tatseite hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Tritte des E. trotz seiner Alkoholisierung und seines jungen Lebensalters ebenso erkannt habe wie den Umstand, dass E. durch sein Zusehen zum Weiterhandeln ermutigt worden sei. Der Eintritt des Todes des Tatopfers infolge dieser Tritte sei ihm gleichgültig gewesen. Der Angeklagte habe sich selbst mit dem Tritt an den Gewalttätigkeiten beteiligt und E. bei dessen Gewaltanwendung zugesehen, um ein "Lustgefühl an der Gewalt" auszuleben.
- 5
- b) Diese Feststellungen erschöpfen das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht. Danach ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass das an den Schuhen des Angeklagten I. aufgefundene Blut des Tatopfers dafür spricht, dass der Angeklagte "spät, eventuell sogar als letzter" den Geschädigten gegen den Kopf getreten hat. Dieses Beweisergebnis stellt jedoch das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten I. in Frage.
- 6
- Zwar liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit des Todes des Tatopfers rechnet und auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Wegen der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch auch immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen und unüberlegten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das selbständig neben dem Wissenselement stehende voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH NStZ 2003, 603). Der Tatrichter muss deshalb in seine Erwägungen alle Umstände einbeziehen, die einem solchen Ergebnis entgegenstehen können (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1, 5).
- 7
- Gemessen an diesen Grundsätzen ist der von der Strafkammer allein aus der Tatausführung des Mitangeklagten - fünf wuchtige, dem Angeklagten als Mittäter zugerechnete Fußtritte gegen den Kopf des Tatopfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten I. vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen und den Ausführungen in der Beweiswürdigung nicht tragfähig begründet. Das Landgericht hat bei Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes nicht berücksichtigt, dass sich der Angeklagte - wovon nach dem gefundenen Beweisergebnis zu seinen Gunsten auszugehen ist - erst am Ende, nachdem der Mitangeklagte dem Tatopfer die wuchtigen Tritte bereits verabreicht hatte, aktiv an dem Tatgeschehen beteiligte, hierbei nach den Feststellungen aber nur mit Körperverletzungsvorsatz handelte. Diese Bewertung der subjektiven Tatseite der eigenen Tathandlung ist jedoch mit der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den Eintritt des Todes des Tatopfers infolge der - seiner eigenen Handlung vorausgegangen - Fußtritte des Mitangeklagten bereits gebilligt, nicht vereinbar. Diesen Widerspruch hat die Strafkammer nicht aufgelöst. Die unterschiedliche Würdigung des subjektiven Tatbestands innerhalb desselben Tatgeschehens stellt beim Angeklagten I. deshalb zumindest die Bejahung des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes in Frage.
- 8
- 2. Der neue Tatrichter wird die Frage eines bedingten Tötungsvorsatzes daher erneut zu prüfen haben. Sollte er - wofür die Einlassung des Angeklagten sprechen könnte - zu der Überzeugung gelangen, dass der Angeklagte dem Tatopfer mit Körperverletzungsvorsatz den ersten Tritt gegen den Kopf versetzte und der Mitangeklagte erst anschließend mit Tötungsvorsatz auf den Geschädigten eintrat, wird er zu erwägen haben, ob eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (tateinheitlich begangenen) versuchten Totschlags durch Unterlassen aufgrund seines Vorverhaltens (Ingerenz) in Betracht kommt (BGHR StGB § 13 Abs. 1 Garantenstellung 7). Becker Sost-Scheible Hubert RiBGH Dr. Schäfer befindet Mayer sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Tötung aus niedrigen Beweggründen) zur Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- 1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
- 3
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet; vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). Dabei wird in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommen wird, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt , die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und 51), so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR aaO 57; BGH NStZ 2007, 150). Dass eine Hand- lung generell geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, macht hingegen eine sorgfältige Prüfung des bedingten Vorsatzes nicht entbehrlich. Der Schluss auf - bedingten - Tötungsvorsatz ist daher in solchen Fällen nur rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 50).
- 4
- b) Gemessen daran ist der von der Schwurgerichtskammer allein aus der Art der Tatausführung - sechs mit voller Kraft geführte Hiebe mit einer 75 cm langen und gut ein Kilo schweren Eisenstange auf den Rumpf des Opfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten schon für sich nicht tragfähig. Schläge auf den Rumpf eines Menschen führen grundsätzlich nicht ohne weiteres zu Verletzungen, die wegen ihrer Gefährlichkeit mit hoher oder gar sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Dies gilt auch für die hier festgestellten Hiebe: Das Opfer hat im Wesentlichen Knochenbrüche im Bereich der Rippen, des Oberkörpers und an den Armen sowie großflächige Hämatome erlitten, war über mehrere Stunden nach der Tat bei Bewusstsein sowie ansprechbar und verstarb (erst) etwa drei Wochen später nach einer Lungenentzündung. Keinesfalls genügt den Anforderungen daher die pauschale Annahme des Landgerichts, dass ein Täter, der auf einem anderen in der festgestellten Art und Weise einschlage, eine für jedermann ersichtlich lebensbedrohliche Handlung vornehme und daher zumindest in der Weise mit Tötungsvorsatz handele, dass er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechne und sich mit dem Tod des Opfers abfinde, und zwar bereits bei dem ersten heftigen Schlag. Diese Begründung lässt vielmehr besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes bereits die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Tathandlungen falsch eingeschätzt und zudem die konkreten Folgen der ausgeführten Schläge nicht genügend in den Blick genommen hat.
- 5
- Hinzu kommt, dass das Landgericht weitere maßgebliche Umstände, die gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes, insbesondere des voluntativen Vorsatzelements, sprechen könnten, nicht in die anzustellende Gesamtabwägung einbezogen hat. Insoweit lassen die Erwägungen des Landgerichts namentlich die Berücksichtigung der Tatentstehung und des Nachtatverhaltens des Angeklagten vermissen. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht bedacht, dass die Tathandlungen ihren Ausgangspunkt in einem strafbaren Verhalten des in der Wohnung des Angeklagten von diesem beherbergten Opfers hatten, dieses den Angeklagten auch zwischen den einzelnen Schlagserien mehrfach zur Wut provozierte und Täter wie Opfer dem Trinkermilieu angehörten. Ferner lässt das Landgericht unberücksichtigt, dass der Angeklagte bereits kurz nach der Tat einen Notruf absetzen wollte und in den folgenden etwa sieben Stunden mehrere Nachbarn hilfesuchend ansprach sowie schließlich selbst den Rettungsdienst herbeirief, wobei er allein wegen seiner Furcht vor Bestrafung so lange gezögert hatte. Schließlich hat das Landgericht die hohe Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (3,55 o/oo lediglich im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob der Angeklagte deswegen daran gehindert war, die Lebensgefährlichkeit seines Handelns zu erkennen. Dieser Umstand hätte indes auch bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelementes Berücksichtigung finden müssen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 55).
- 6
- Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.
- 7
- 2. Sollte der neue Tatrichter wiederum einen (bedingten) Tötungsvorsatz bejahen, so wird er bei der Prüfung der Frage, ob die Tötung aus niedrigen Beweggründen begangen wurde, alle für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit (st. Rspr.; vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 9 m.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
- 3
- a) Nachdem sich der Angeklagte und sein nicht revidierender Mitangeklagter A. , die bereits zuvor Cannabis konsumiert hatten, mehrere Stunden gemeinsam in einem Lokal aufgehalten und dort eine Flasche Wodka getrunken hatten, kam es zu einem Streit zwischen A. und dem spä- ter geschädigten Zeugen Y. . Aus diesem entwickelte sich eine Rangelei zwischen beiden Personen. Als der Angeklagte von der Toilette zurückkehrte , mischte auch er sich in die Auseinandersetzung ein und sagte zu dem Zeugen Y. , er sei ein „böser Mensch“. Um die Auseinandersetzung zu beenden, begab sich der Zeuge nun zum Tresenbereich. Der Angeklagte setzte ihm nach und klopfte ihm von hinten heftig auf die Schulter, woraufhin der Zeuge dessen Hand wegstieß und hinter den Tresen ging, um den dort an der Wand hängenden Knüppel zur „etwa notwendigen Verteidigung“ an sich zu nehmen. Nun zog der Angeklagte plötzlich ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 6,5 cm und „stach“ viermal in Richtung des Hals- und Gesichtsbereichs des Geschädigten. Dieser erlitt eine Stichverletzung am linken Kiefernwinkel, eine Schnittverletzung am linken Nasenrücken, an der Vorderseite des Halses, an der rechten Halsseite sowie der linken Seite des Halses.
- 4
- Der Geschädigte versuchte vergeblich, dem Angeklagten das Messer wegzunehmen. Auch einem weiteren Zeugen, der den Angeklagten von hinten gepackt hatte, gelang dies nicht. Er zog jedoch den Angeklagten vom Geschädigten weg. Der Angeklagte flüchtete aus dem Lokal. Auf der Flucht stürzte er und blieb auf dem Gehweg liegen. Nach Eintreffen der Polizei wurde er in ein Krankenhaus gebracht. Er war „nicht ausschließbar u. a. durch die Gegenwehr des Zeugen Y. durch stumpfe Einwirkung verletzt“. Zwei Tage nach dem Geschehen erkundigte sich der Angeklagte auf dem betreffenden Polizeiabschnitt nach den Einzelheiten des Geschehens.
- 5
- Die vom Geschädigten erlittenen Verletzungen waren oberflächlich und ungefährlich. Indes hatte der Angeklagte nach Annahme des Landgerichts erkannt, dass die von ihm gesetzten Stiche in den Hals- und Gesichtsbereich tödlich hätten sein können; er nahm dies zumindest billigend in Kauf.
- 6
- b) Der Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass er bei seiner Rückkehr von der Toilette einen kräftigen Faustschlag auf das Auge er- http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bghsted_bghrst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'StGB%2F212%2F1%2FVorsatz%2C%20bedingter_9'%5D&tf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&hlf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&qmf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&tocf=heymanns_bghsted_bghrst_tocFrame#xaverTitleAnchore [Link] http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bghsted_bghrst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'StGB%2F212%2F1%2FVorsatz%2C%20bedingter_9'%5D&tf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&hlf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&qmf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&tocf=heymanns_bghsted_bghrst_tocFrame#xaverTitleAnchore - 4 - halten habe, so dass er bewusstlos geworden und erst im Krankenhaus wieder zu sich gekommen sei. Er habe den Geschädigten nicht mit dem Messer verletzt und ihn weder verletzen noch gar töten wollen.
- 7
- c) Den Schluss auf den Tötungsvorsatz des Angeklagten zieht das Landgericht aus der Gefährlichkeit der Tatausführung, die ihm „den sicheren Blick auf die innere Tatseite eröffnet“. Der Angeklagte habe in Körperteile des Zeugen gestochen und geschnitten, die auch aus Sicht eines medizinischen Laien „geradezu klassisch“ als Ziele eines tödlichen Angriffs geeignet seien. Jede Form der unkontrollierbar gesetzten Messerstiche gegen den Hals lege wegen der außergewöhnlichen Lebensgefahr den Schluss auf den Tötungsvorsatz nahe. Dies gelte hier insbesondere deshalb, weil der Angeklagte mehrfach auf den Zeugen eingewirkt habe und er aufgrund der Dynamik des Geschehens nicht davon habe ausgehen können, dass sein Stich bzw. seine Schnitte nicht tödlich sein würden. Der Annahme eines Tötungsvorsatzes stehe auch nicht entgegen, dass der Angeklagte alkoholisiert war und darüber hinaus Cannabis konsumiert habe.
- 8
- 2. Die Begründung des Tötungsvorsatzes hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
- 9
- Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 9 und 50). Deshalb ist der Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz nur dann rechtsfehlerfrei, wenn das Tatgericht alle nach Sachlage in Betracht kommenden Tatumstände in seine Erwägungen einbezogen hat, die dieses Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55). http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bghsted_bghrst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'StGB%2F212%2F1%2FVorsatz%2C%20bedingter_9'%5D&tf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&hlf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&qmf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&tocf=heymanns_bghsted_bghrst_tocFrame#xaverTitleAnchore [Link] http://127.0.0.1:50000/Xaver/text.xav?SID=&skin=&bk=heymanns_bghsted_bghrst&start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'StGB%2F212%2F1%2FVorsatz%2C%20bedingter_9'%5D&tf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&hlf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&qmf=heymanns_bghsted_bghrst_mainFrame&tocf=heymanns_bghsted_bghrst_tocFrame#xaverTitleAnchore - 5 -
- 10
- Das Landgericht hat sich schon nicht mit der Frage auseinandergesetzt , ob die nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten dafür sprechen können, dass der Angriff vom Angeklagten nicht mit der Entschlossenheit geführt wurde, gefährliche Wunden zu verursachen. Insbesondere ist nicht festgestellt, dass etwa nur die Gegenwehr des Geschädigten oder das Eingreifen des weiteren Zeugen Schlimmeres verhindert hätte.
- 11
- Zwar konnte aufgrund der Dynamik des Geschehens bei vernünftiger Betrachtung nicht von der Beherrschbarkeit der Folgen der Verletzungshandlungen ausgegangen werden. Diese Erwägung lässt aber nur dann einen Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten zu, wenn dieser im Zeitpunkt der Tat über die insoweit notwendige Erkenntnisfähigkeit verfügte. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist auch insoweit lückenhaft.
- 12
- Es fehlt an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten. Zwar nimmt das Landgericht unter Bezugnahme auf Ausführungen des medizinischen Sachverständigen an, dass die Alkoholisierung einem Tötungsvorsatz nicht entgegensteht. Die in diesem Zusammenhang zitierten Darlegungen des Sachverständigen tragen diesen Schluss jedoch nicht. Sie betreffen lediglich das Maß der Alkoholisierung des Angeklagten und die Unbeachtlichkeit des zusätzlichen Cannabiskonsums und sagen nichts darüber aus, ob er durch die Wirkungen des Alkohols in seiner Erkenntnisfähigkeit beeinträchtigt war (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55). Eine Prüfung dieser Frage war indes erforderlich. Die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit betrug 2,6 ‰ und war mithin nicht unerheblich; von einer etwaigen, die Wirkungen mindernden Gewöhnung des Angeklagten an Alkohol geht das Urteil nicht aus. Schon vor der tätlichen Auseinandersetzung hatte sich der Angeklagte – nahe liegend infolge des Alkoholgenusses – auffällig verhalten: Er und sein Mitangeklagter hatten in ausgelassener Stimmung zur Musik im Lokal getanzt ; aufgrund der von den Tanzenden ausgehenden Störungen war es zu einem ersten, schnell geschlichteten Streit u. a. mit dem später Geschädig- ten gekommen; danach war der Angeklagte an seinem Tisch kurzzeitig eingeschlafen. Nach der Tat war er bei seiner offenbar unkoordinierten Flucht – er trug nur noch einen Schuh – nach einem Sturz bis zum Eintreffen der Polizei auf der Straße liegen geblieben. All dies spricht für ganz erhebliche alkoholbedingte Ausfälle. Zudem wurde der Angeklagte im Verlaufe der Tätlichkeiten selbst in einem Maße – nach seiner eigenen Einlassung am Kopf – verletzt, das eine Behandlung im Krankenhaus erforderlich machte. Dass er diese Verletzungen, zu deren Art und Umfang das Urteil keine Feststellungen trifft, erst nach Ausführung seiner Tathandlungen erlitt, ist dem Urteil nicht zu entnehmen. Schließlich ist von einem auf Seiten des Angeklagten von affektiver Erregung getragenen Kampfgeschehen auszugehen, zumal es das Opfer selbst war, das mit seinem Streben nach Bewaffnung eine neue Dimension der Gewalttätigkeiten einleitete. Das Landgericht hätte daher prüfen müssen , ob die Alkoholisierung des Angeklagten gegebenenfalls in Wechselwirkung mit seinen Verletzungen und seiner affektiven Erregung (vgl. BGH NStZ 2006, 169) Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seines Tuns oder auf seinen Willen gewonnen haben.
- 13
- In die Begründung des Tötungsvorsatzes hätte hier schließlich auch das Nachtatverhalten des Angeklagten einbezogen werden müssen. Seine Nachfrage bei der zuständigen Polizeistation zwei Tage nach der Tat kann nicht nur ein Hinweis auf eine erhebliche Beeinträchtigung seiner Wahrnehmungsfähigkeit zur Zeit der Tat sein. Sie kann auch Anhalt dafür geben, dass der Angeklagte sich jedenfalls im Nachhinein nicht bewusst war, ein schweres Verbrechen, die Tötung des Geschädigten, gewollt zu haben und sich insoweit eines „reinen Gewissens“ vermeinte.
- 14
- 3. Da die genannten Gesichtspunkte weder für sich noch in ihrer Gesamtheit der Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten von vornherein entgegenstehen, bedarf die subjektive Tatseite neuer tatgerichtlicher Überprüfung. Im Übrigen ist die Revision zum Schuldspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Daher können die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf aufrecht erhalten bleiben; sie dürfen durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden.
- 15
- Die Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf erneuter tatgerichtlicher Überprüfung. In diesem Zusammenhang wird auch zu klären sein, ob einschlägige Vortaten unter alkoholischer Beeinflussung begangen wurden. Ein zur Schuldfähigkeit erneut zu hörender Sachverständiger wird auch zum Maß der Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation Stellung nehmen müssen.
- 16
- Zum Strafausspruch weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die Ausführungen des Urteils nicht, wie geboten, eindeutig erkennen lassen, ob das Landgericht den einfach oder den doppelt nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 213 StGB zugrunde gelegt hat.
- 17
- 4. Der Schriftsatz der Verteidigung vom 21. April 2009 hat dem Senat vorgelegen.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) soweit der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Maßregel.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil
a) dahin abgeändert, dass der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Freiheitsberaubung schuldig ist,
b) in den Aussprüchen über die insoweit verhängte Einzelstrafe und die Gesamtstrafe aufgehoben.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung sowie wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt und eine Maßregelanordnung nach §§ 69, 69 a StGB getroffen; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Rechtsmittel mit der Sachrüge dagegen, dass der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe nicht auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes verurteilt worden ist; der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
I.
- 2
- Revision der Staatsanwaltschaft
- 3
- Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
- 4
- Sie beanstandet zu Recht, dass der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe lediglich wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist.
- 5
- 1. Nach den vom Landgericht insoweit getroffenen Feststellungen befand sich der Angeklagte in den Mittagsstunden des 22. Juli 2008 nach einem missglückten Wiederannäherungsversuch an seine ehemalige Lebensgefährtin, der mit einem körperlichen Übergriff auf diese geendet hatte (Fall 1 der Urteilsgründe ), im Zustand einer akuten Belastungsreaktion, die mit Angst vor strafrechtlicher Verfolgung und "verletztem Narzissmus" gepaart war. Während er mit seinem Pontiac Grand AM die Bundesstraße 9 von Worms in Richtung Ludwigshafen befuhr, kündigte er seinem Vater telefonisch an, sich das Leben nehmen zu wollen. Seine Geschwindigkeit von mehr als 140 km/h verringerte er auch dann nicht, als er sich einer Baustelle näherte, obwohl - kurz bevor die von ihm benutzte linke Fahrspur gesperrt und eine trichterförmige Verengung auf die rechte Fahrspur angeordnet war - eine schrittweise Geschwindigkeitsbegrenzung von 120 km/h auf 50 km/h bestand. Unmittelbar vor der Querabsperrung der linken Fahrspur lenkte er zur Verwirklichung seines Selbsttötungsentschlusses sein Fahrzeug mit unverminderter Geschwindigkeit auf die rechte Fahrspur und rammte den dort mit 50 km/h fahrenden Kleinwagen der Zeugin S. , in dem sich noch zwei weitere Insassen befanden. Durch den Zusammenprall wurde dieses Fahrzeug mehrfach um die Hochachse gedreht und rutschte schließlich 187 m weit diagonal über die Fahrbahnen der Bundesstraße 9. Es kam letztlich auf der rechten Fahrspur der Gegenfahrbahn zu liegen. Der diese Spur befahrende Zeuge H. konnte eine Kollision nur dadurch vermeiden, dass er sein Fahrzeug nach rechts auf die Verzögerungsspur lenkte. Die drei Insassinnen des Kleinwagens erlitten verschiedene, nicht lebensgefährliche Verletzungen und konnten das Krankenhaus nach wenigen Tagen verlassen.
- 6
- Das Fahrzeug des Angeklagten überschlug sich mehrfach und prallte in etwa 107 m Entfernung vom Unfallort gegen eine Baumgruppe.
- 7
- 2. Ausgehend von diesem Sachverhalt hat das Landgericht den Angeklagten nur des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (in drei tateinheitlichen Fällen, vgl. BGH, Urteil vom 16. August 2005 - 4 StR 168/05; vgl. auch Fischer StGB 57. Aufl. § 223 Rdn. 22) für schuldig befunden, nicht dagegen auch eines versuchten Tötungsdelikts. Das Landgericht hat zwar einer Gesamtschau der objektiven und subjektiven Tatumstände entnommen, dass der Angeklagte bei der Tat als möglich vorausgesehen hat, dass die Insassen des von ihm gerammten Fahrzeugs tödliche Verletzungen erleiden könnten; es ist aber zu der Überzeugung gelangt, dass er ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut hat, der Tötungserfolg werde nicht eintreten.
- 8
- 3. Die dafür vom Landgericht herangezogenen Erwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
- 9
- a) Die Auffassung des Landgerichts, dem Angeklagten sei lediglich ein Körperverletzungsvorsatz bezüglich der drei Insassen des von ihm gerammten Fahrzeugs nachzuweisen, lässt besorgen, dass es zu hohe Anforderungen an das Vorliegen des voluntativen Vorsatzelements gestellt hat. Zwar ist selbst bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 1992 - 4 StR 308/92 = BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N. und vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99 = NZV 2000, 88).
- 10
- Hier hätte der Tatrichter aber insbesondere den Umstand in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte den Unfall zu dem Zweck verursacht hat, seine Selbsttötungsabsicht zu verwirklichen. Von dieser Absicht hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei dadurch überzeugt, dass der Angeklagte kurz vor dem Unfall seinen Vater telefonisch davon unterrichtet und unmittelbar nach dem Unfall dem Zeugen Z. erklärt hat, es habe sich um einen Selbsttötungsversuch gehandelt. Es ging dem Angeklagten demnach darum, einen so heftigen Zusammenstoß beider Fahrzeuge herbeizuführen, dass er diesen nicht überleben würde, obwohl er - wenn auch nicht angeschnallt - in einem kompakten und technisch einwandfreien Fahrzeug der Mittelklasse saß. Deswegen erschließt es sich nicht, warum der Angeklagte ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut haben sollte, die Insassen des betroffenen Kleinwagens würden im Gegensatz zu ihm den heftigen Zusammenstoß überleben.
- 11
- b) Auch die weiteren Argumente des Landgerichts tragen sein Ergebnis nicht.
- 12
- aa) Aus der Tatsache, dass der Angeklagte im Rahmen früherer, gegenüber der Zeugin Se geäußerter Selbsttötungsfantasien, bei denen es ebenfalls um die Herbeiführung eines Unfalls mit einem anderen Fahrzeug ging, mehrfach betont hat, keinen anderen mit in den Tod nehmen zu wollen, kann kein tragfähiger Schluss auf die innere Tatseite zum Zeitpunkt der vorliegenden Tat gezogen werden. Wie der psychiatrische Sachverständige - nach Ansicht des Landgerichts überzeugend - ausgeführt hat, hat der Angeklagte damals keine ernsthaften Suizidabsichten gehegt, sondern die Äußerungen lediglich in noch jugendtypischer Manier eingesetzt, um seinen Willen durchzusetzen.
- 13
- bb) Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die in dem gerammten Fahrzeug befindlichen Personen aus der Sicht des Angeklagten durch Karosserie , Kopfstützen und Sicherheitsgurte wenigstens rudimentär vor dem Erleiden tödlicher Verletzungen geschützt gewesen seien, entbehrt dies schon angesichts der eingehaltenen Geschwindigkeit und der Beschaffenheit der beteiligten Fahrzeuge jeder Grundlage.
- 14
- cc) Das Landgericht kann sich für die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes auch nicht auf die von ihm zitierten Senatsentscheidungen (Beschlüsse vom 23. Juni 1983 - 4 StR 293/83 = NStZ 1984, 19 und vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99 = NZV 2000, 88 f.) stützen. Beide Entscheidungen betreffen ersichtlich Fallgestaltungen, die mit dem vorliegenden Tatgeschehen nicht vergleichbar sind.
- 15
- 4. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils im Fall 2. Die teilweise Aufhebung des Urteils zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
- 16
- Wegen des inneren Zusammenhangs mit der Verurteilung im Fall 2 der Urteilsgründe kann auch die gemäß §§ 69, 69 a StGB angeordnete, für sich genommen nicht zu beanstandende Maßregel nicht bestehen bleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 1999 - 4 StR 271/99 = NZV 2000, 88, 89).
- 17
- 5. Sollte der neu entscheidende Tatrichter zur Bejahung des (bedingten) Tötungsvorsatzes kommen, wird er zu prüfen haben, ob der Angeklagte mit einem gemeingefährlichen Mittel im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB gehandelt hat. Auch wenn sich der unmittelbare Angriff in erster Linie gegen die Insassen des Kleinwagens richtete, schließt das die Annahme, der Angeklagte habe ein gemeingefährliches Mittel eingesetzt, nicht aus. Nach den Feststellungen liegt es vielmehr nahe, dass infolge des durch den Aufprall unmittelbar verursachten Unfalls eine unbestimmte Anzahl weiterer Personen - etwa die Fahrer oder Beifahrer anderer Fahrzeuge oder die auf der Baustelle tätigen Bauarbeiter - tödliche Verletzungen hätten erleiden können (vgl. BGHSt 38, 353, 355; BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 - 4 StR 450/09).
II.
- 18
- Revision des Angeklagten
- 19
- 1. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
- 20
- Die Verurteilung wegen tateinheitlich mit versuchter gefährlicher Körperverletzung begangener vollendeter Freiheitsberaubung im Fall 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 21
- Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verbrachte der Angeklagte die Zeugin Se nach minutenlangem Gerangel mit Gewalt, unter anderem unter Einsatz eines Cuttermessers, und gegen ihren Willen in seinen Pkw, weil er eine Beendigung ihres Treffens verhindern wollte. Der Zeugin gelang es jedoch, unmittelbar danach - noch während der Angeklagte zur Fahrertür "hastete" - aus dem Fahrzeug zu fliehen.
- 22
- Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen vollendeter Freiheitsberaubung nicht. Allerdings setzt der Tatbestand des § 239 Abs. 1 StGB keine bestimmte Dauer der Entziehung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit voraus; es reicht vielmehr grundsätzlich auch eine nur vorübergehende Einschränkung aus (vgl. BGHSt 14, 314, 315). Jedoch erfüllt eine - wie hier - zeitlich nur unerhebliche Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit den Tatbestand nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2002 - 4 StR 432/02 = NStZ 2003, 371 und vom 21. Januar 2003 - 4 StR 414/02 = NStZ-RR 2003, 168). Der Angeklagte hat sich daher nur der versuchten Freiheitsberaubung schuldig gemacht.
- 23
- Der Senat ändert, da in der erneuten Hauptverhandlung weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
- 24
- Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der im Fall 1 erkannten Einzelstrafe, da das Landgericht bei deren Bemessung ausdrücklich zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, dass dieser tateinheitlich zu der versuchten gefährlichen Körperverletzung eine vollendete Freiheitsberaubung begangen habe. Die Aufhebung dieser Einzelstrafe entzieht auch der Gesamtstrafe die Grundlage.
- 25
- 2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts verwiesen.
- 26
- Soweit der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 - beanstandet, das Landgericht habe zu Unrecht Telefonverbindungsdaten aus einer auf § 100 g Abs. 1 Satz 1 StPO beruhenden Vorratsdatenspeicherung verwendet, fehlt es bereits an einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge.
III.
- 27
- Da sich das Verfahren nunmehr ausschließlich auf Straftaten bezieht, die der Angeklagte als Erwachsener begangen hat, verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
I.
Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 23. Mai 2000 werden verworfen. II. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und einem Monat verurteilt; ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von fünf Jahren bestimmt, vor deren Ablauf dem Angeklagten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen. Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend macht, insbesondere die Annahme vorsätzlich herbeigeführter Verletzung des Tatopfers. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem auf die Sachbeschwerde gestützten Rechtsmittel die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg.II.
Am Nachmittag des Tattages fuhr der Angeklagte zusammen mit den gesondert Verfolgten A. und D. mit einem Kleintransporter des Typs Renault Traffic auf den in Ratingen gelegenen Betriebshof der Spedition des 71-jährigen Johann Sch. , um dort gelagerte gebrauchte Gitterboxen und Paletten zu entwenden. Sie hatten bereits den Kleintransporter verlassen, als sie von dem Kraftfahrer der Firma, T. , bemerkt wurden, der etwa zeitgleich mit einem Lkw auf den Betriebshof gefahren war. Nach Rücksprache mit dem Juniorchef der Firma forderte T. die drei auf, das Gelände sofort zu verlassen , woraufhin sie sich zu dem Kleintransporter begaben. Bevor sie das Fahrzeug erreicht hatten, kam ihnen Johann Sch. , der Seniorchef der Firma, zusammen mit dem Kraftfahrer T. und drei weiteren Betriebsangehörigen entgegen und forderte sie auf, "zum Zwecke der Feststellung der Personalien stehen zu bleiben, er habe die Polizei verständigt." Der Angeklagte und seine Begleiter wollten sich "auf keinen Fall von der Polizei festnehmen lassen" und "entschlossen .... sich, mit dem Kleintransporter zu fliehen". Während D. und A. durch die Hofzufahrt auf die Straße rannten, gelang es dem Angeklagten trotz Eingreifens von Johann Sch. , in den Kleintransporter einzusteigen. Er wendete nunmehr das Fahrzeug, um das Gelände ebenfalls zu verlassen, schaffte den Wendevorgang jedoch nicht in einem Zuge, sondern mußte vor einer Mauer kurz anhalten und zurücksetzen. Der Versuch eines der Betriebsangehörigen, ihn in diesem Augenblick aus dem Fahrzeug zu ziehen, mißlang. "Der Angeklagte legte den Vorwärtsgang ein und gab kräftig Gas". Zu diesem Zeitpunkt stand Sch. auf dem Zufahrtsweg mit Blickrichtung zur Straße. "Als er hörte, wie hinter ihm der Kleintransporter mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen anfuhr, drehte er sich nach rechts um". Weiter stellt das Landgericht fest (UA 11):"Bevor er die Körperdrehung vollendet hatte, wurde er von der Fahrerseite des Kleintransporters, welcher nach dem Anfahren etwa eine Fahrzeuglänge zurückgelegt hatte, erfaßt, so daß er .... teils an die Motorhaube , teils an die Windschutzscheibe angeschmiegt wurde. Zugunsten des Angeklagten ist anzunehmen, daß er ... Sch. überhaupt nicht gesehen oder erst so spät bemerkt hat, daß er den Zusammenstoß nicht mehr hat verhindern können. Sicher ist jedoch, daß er jedenfalls nach dem Zusammenstoß erkannte, daß sich der Zeuge auf der Fahrzeugfront befand, bei Fortsetzung der Fahrt überfahren werden und dadurch auch tödliche Verletzungen davontragen konnte. (...) Aus Angst vor einer polizeilichen Festnahme .... setzte (er) die Fahrt mit unverminderter Beschleunigung fort. Hierbei nahm er erhebliche Verletzungen des Zeugen Sch. in Kauf, er vertraute aber darauf, daß der Zeuge das Überfahren überleben werde. 1 bis 2 Sekunden nach dem Zusammenstoß war der Zeuge Sch. s o weit nach unten gerutscht, daß sein rechtes Bein vom linken (fahrerseitigen) Vorderrad erfaßt und dadurch .... auf die Fahrbahndecke gezogen wurde. Sodann fuhr der Wagen mit dem linken Vorder- und dem linken Hinterrad über die rechte Wade, quer über den Rumpf und über das linke Schulterblatt und Schlüsselbein des Zeugen." Zwischenzeitlich war der Kraftfahrer T. mit einem Sattelschlepper der Firma an dem Kleintransporter vorbei auf die Straße gefahren, wo er dem Angeklagten den Weg abschnitt, indem er mit dem Lkw von rechts gegen den Kleintransporter stieß, der dadurch zwischen dem Lkw und zwei links geparkten Pkw eingekeilt wurde. Um sich aus dieser Situation zu befreien, gab der Angeklagte "Vollgas", so daß es ihm gelang, die Lücke zu durchstoßen und zu
flüchten. An einem der Pkw und dem Lkw entstand ein Sachschaden in Höhe von zusammen mindestens 20.000 DM. III. Revision des Angeklagten 1. Die Verfahrensbeschwerden, mit denen eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) geltend gemacht wird, sind unzulässig , da sie nicht der in § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form genügen. Soweit der Beschwerdeführer die fehlende Inaugenscheinnahme der vom Tatfahrzeug gefertigten Lichtbilder beanstandet, hätten die betreffenden Lichtbilder in die Revisionsbegründung aufgenommen werden müssen (BGH, Urteil vom 28. November 2000 - 5 StR 299/00). Im übrigen fehlt es hier ebenso wie bei der weiteren Aufklärungsrüge, die die im Fall eines Abbremsens durch den Angeklagten drohenden Verletzungsfolgen betrifft, an der konkreten Bezeichnung des Ergebnisses, das von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 81 m.N.). Mit den weiteren beiden Aufklärungsrügen wendet sich die Revision im Ergebnis ausschließlich gegen die Beweiswürdigung; sie sind deshalb nur im Rahmen der Sachrüge zu beachten. 2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachbeschwerde hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die gegen die Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet. Die Annahme des - sachverständig beratenen - Landgerichts, der Angeklagte habe den Geschädigten nach dem Anstoß, durch den er ihn auf dem Fahrzeug mitnahm, wahrgenommen, beruht auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch ein Handeln mit (bedingtem ) Körperverletzungsvorsatz durch den Angeklagten bejaht. Daß dem Angeklagten - wovon zu seinen Gunsten auszugehen ist - nur eine Sekunde für die Entscheidung verblieb, durch Abbremsen einer Verletzungsgefahr für den Geschädigten zu begegnen oder unter Inkaufnahme dieser Gefahr weiterzufahren , stellt den Vorsatz nicht in Frage. Der Kleintransporter fuhr - wie das Landgericht feststellt - beim Zusammenstoß mit dem Geschädigten nur "wenige Stundenkilometer", "so daß es ohne weiteres möglich gewesen wäre, das Fahrzeug durch Betätigung der Fußbremse sofort anzuhalten". Davon ausgehend stellt es einen möglichen - und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmenden - Schluß dar, wenn sich das Landgericht unter Berücksichtigung insbesondere der Motivlage des Angeklagten die Überzeugung verschafft hat, daß er sich "bewußt für die Fortsetzung der Flucht und - damit verbunden - für die Gefahr eines Überrollens des Zeugen Sch. entschieden hat". Ein Erfahrungssatz , daß - wie die Revision mit Blick auf den Begriff der "Schrecksekunde" meint - innerhalb einer Sekunde ein solcher Verletzungsvorsatz nicht gefaßt werden kann, besteht nicht; vielmehr ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß Reaktionszeiten von unter einer Sekunde in Betracht kommen (vgl. die Nachweise bei Hentschel Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. StVO § 1 Rdn. 29 und 30). Die Würdigung durch das Schwurgericht steht schließlich auch nicht im Widerspruch zur Verneinung eines (bedingten) Tötungsvorsatzes (dazu unten IV auf die Revision der Staatsanwaltschaft). Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und die Rechtsfolgenentscheidung sind frei von Rechtsfehlern zum Nachteil des Angeklagten. Insoweit erhebt die Revision auch keine ausdrücklichen Einwendungen.
IV. Revision der Staatsanwaltschaft Die Begründung, mit der das Landgericht zwar einen Verletzungsvorsatz beim Angeklagten bejaht, einen (bedingten) Tötungsvorsatz aber verneint hat, hält im Ergebnis ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand. Zwar liegt es bei besonders gefährlichen Verhaltensweisen, wie es das Mitschleifen eines Menschen an einem beschleunigenden Kraftfahrzeug darstellt , nahe, daß der Täter auch mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen. Das hat das Landgericht auch angenommen. Der bedingte Tötungsvorsatz setzt jedoch weiter voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, den er als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, auch billigt (st. Rspr.; BGH NStZ 1981, 22 f; 1984, 19 m.w.N.). Deshalb bedarf der Schluß von der Gefährlichkeit der Tathandlung auf einen bedingten Tötungsvorsatz im Hinblick auf die gegenüber der Tötung eines anderen Menschen bestehende hohe Hemmschwelle einer eingehenden Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles (st. Rspr.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter, 1, 2, 3, 5, 12, 13). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil noch gerecht. Die Beschwerdeführerin weist allerdings zu Recht darauf hin, daß sich der vorliegende Fall wesentlich von jenen Sachverhalten unterscheidet, in denen der Täter zwar mit einem Kraftfahrzeug auf eine Person zufährt, aber - wie namentlich in den Fällen der Polizeiflucht - darauf vertraut, der andere werde unter dem Eindruck des sich nähernden Fahrzeugs noch rechtzeitig die Fahrspur freigeben (vgl. BGH StV 1992, 420; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 28 und 43). Bei der hier gegebenen Situation, bei der der Angeklagte den Geschädigten nach dem Anstoß mit dem Fahrzeug mitschleifte, konnte sich jener kaum ohne Schaden außer Gefahr bringen. Dies vermag zwar den
von dem Schwurgericht zutreffend bejahten Körperverletzungsvorsatz zu begründen , belegt für sich jedoch noch nicht auch einen bedingten Tötungsvorsatz (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1993 - 4 StR 624/92). Daß der Angeklagte die Lebensgefährlichkeit der Verletzungshandlung erkannt, sich dennoch aber nicht bewußt mit dem Tod des Geschädigten abgefunden hat, entspricht der Unterscheidung des Gesetzes zwischen vorsätzlicher Tötungshandlung und vorsätzlicher Körperverletzung “mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung” (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10, 41) und läßt deshalb in bezug auf einen möglichen Tötungserfolg nur den Vorwurf der (bewußten) Fahrlässigkeit zu (std. Rspr.; BGH NJW 1999, 2533, 2534). Davon ist das Landgericht hier im Ergebnis ohne einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler ausgegangen. Was die Beschwerdeführerin dagegen einwendet, erschöpft sich letztlich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, die dem Tatrichter vorbehaltene Würdigung der zur inneren Tatseite getroffenen Feststellungen durch eine eigene zu ersetzen. Dabei verfehlt die Beschwerdeführerin schon insoweit den revisionsrechtlich zutreffenden Ansatz, als sie davon ausgeht, daß der Angeklagte "vorsätzlich auf den Zeugen zugefahren ist" (RB S. 4); denn hiermit wendet sie sich gegen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen , das sich gerade nicht die Überzeugung zu verschaffen vermocht hat, "daß der Angeklagte den Zeugen Sch. so rechtzeitig bemerkt hat, daß er den Zusammenstoß noch durch Abbremsen oder Ausweichen hätte verhindern können". Die nach den Umständen mögliche und deshalb rechtsfehlerfrei gezogene Schlußfolgerung, dem Angeklagten sei ein gezieltes Zufahren auf den Geschädigten nicht nachzuweisen, bindet das Revisionsgericht (Kuckein in KKStPO 4. Aufl. § 337 Rdn. 3 m.N.). Hiernach verblieb dem Angeklagten nach dem Anstoß bis zum Überrollen des Geschädigten nach dem Zweifelsgrund-
satz nur eine Sekunde für die Entschließung, entweder anzuhalten oder unter Inkaufnahme der für den Geschädigten bestehenden Gefahr die Fahrt zur Flucht fortzusetzen. Wenn sich das Landgericht angesichts dieser Kürze und Schnelligkeit des Geschehensablaufs, der Spontaneität des Tatentschlusses und des auf Flucht und – wie es ausdrücklich erörtert – nicht auf “Einsatz von körperlicher Gewalt” ausgerichteten Bestrebens des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit davon überzeugen konnte, daß der Angeklagte "auch die erhöhte Hemmschwelle, welche vor der Billigung eines tödlichen Ausgangs liegt, überwunden hat", so ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden (vgl. Senatsurteil vom 30. Mai 2000 – 4 StR 90/00, StraFo 2000, 417). Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes durch das Schwurgericht steht auch nicht in unauflösbarem Widerspruch zu Erwägungen im Rahmen der Strafzumessung. Zwar lastet das Landgericht dem Angeklagten straferschwerend an, es sei "einzig dem Zufall zu verdanken", daß der Unfall nicht tödlich ausgegangen sei. Damit umschreibt das Urteil aber - wie der Zusammenhang erkennen läßt - nur die objektive “besondere Gefährlichkeit der Tat-
handlung". Dies belegt aber - wie ausgeführt - nicht schon für sich das voluntative Element des (bedingten) Tötungsvorsatzes. Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Sachrüge und eine Verfahrensrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
1. Folgendes ist festgestellt:
Der Angeklagte hielt sich häufig im Obdachlosenmilieu auf, wo er als spendabel geschätzt wurde. Auch am 5. September 2000 hatte er mit G. V. , E. D. und anderen Bekannten den ganzen Tag im Freien gezecht, wobei er die Getränke bezahlt hatte. Am Spätnachmittag forderte er E. D. mit den Worten: "Du Schlampe gehst jetzt einkaufen !" auf, weitere Getränke zu besorgen und schwenkte dabei vor ihrem Gesicht ein "Bowie-Messer" (Klingenlänge 15,5 cm). V. trat an ihn heran,
und erklärte ihm, daß er - der Angeklagte - seine - V. s - Verlobte nicht als Schlampe zu bezeichnen habe und gab ihm dabei einen leichten Schlag ins Gesicht. Daraufhin beschwichtigte der Angeklagte, es sei schon alles in Ordnung. Für kurze Zeit kehrte darauf Ruhe ein; E. D. entfernte sich, während V. beim Angeklagten stehen blieb.
Plötzlich und unerwartet stieß der Angeklagte das Messer, das er immer noch in der Hand gehalten hatte, V. in horizontaler Stichführung mit einem kräftigen und gezielten Stich in die linke Brust. V. brach sofort zusammen. Mit den Worten: "Ich kann noch mehr!" stach der Angeklagte noch zweimal auf den zusammenbrechenden V. ein und fügte ihm zwei weitere (oberflächliche ) Verletzungen im Bereich des Schulterblatts und des Oberarms zu. Als die völlig überraschte E. D. laut um Hilfe rief, trat der Angeklagte beiseite. Kurz darauf wurde er noch am Tatort festgenommen. Bei seiner Festnahme erklärte er gegenüber den Polizeibeamten, mehrfach auf V. eingestochen zu haben; wörtlich sagte er unter anderem: "Wenn er verreckt, hat er Pech gehabt. .... Die Alte ist schuld, der G. kann nichts dafür."
V. , der eine Herzmuskelverletzung im Bereich des rechten Ventrikels erlitten hatte, konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
2. Der Generalbundesanwalt und die Revision meinen im wesentlichen übereinstimmend, die Strafkammer habe den Tötungsvorsatz allein aus dem äußeren Tatgeschehen geschlossen und damit nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Zwar liege es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. hierzu zusammenfassend nur Eser in Schönke/Schröder StGB, 26. Aufl. § 212 Rdn. 5 m.w.N.) bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Tä-
ter mit der Möglichkeit des Todes seines Opfers rechne und diesen Erfolg auch billigend in Kauf nehme, wenn er sein Verhalten gleichwohl fortsetze. Im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle gegenüber einer Tötung könne es aber im Einzelfall auch so sein, daû der Täter die Gefahr des Todes entweder nicht erkenne, oder zumindest ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraue, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Die für die Bejahung eines Tötungsvorsatzes erforderliche Gesamtwürdigung aller Umstände sei nicht vorgenommen, insbesondere habe sich die Strafkammer nicht mit dem Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs für eine so schwer wiegende Straftat auseinandergesetzt, und auch nicht geprüft, ob der Angeklagte trotz seiner erheblichen Alkoholisierung (die zur Bejahung der Voraussetzungen von § 21 StGB führte) erkennen konnte, daû er einen möglicherweise tödlichen Stich setzte.
3. Der Senat sieht keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
Angesichts der Feststellungen nicht nur zum Tat-, sondern auch zum Nachtatgeschehen (zu deren Bedeutung vgl. Eser aaO) waren weitere Ausführungen zu Erkenntnisfähigkeit, Hemmschwelle und dem voluntativen Element des Vorsatzes jedenfalls nicht zwingend geboten.
Es mag dahinstehen, unter welchen konkreten Umständen trotz eines aus nächster Nähe geführten kräftigen Messerstichs in die Herzregion von einem mehr als allenfalls vagen Vertrauen auf das Ausbleiben eines tödlichen Erfolgs ausgegangen werden kann oder sonst Zweifel am Tötungsvorsatz bestehen können (vgl. BGH NStZ 1999, 507; vgl. zusammenfassend auch Altvater , Rechtsprechung des BGH zu den Tötungsdelikten, NStZ 2001, 19, NStZ 2000, 18, 19 ). Hier hat der Angeklagte mit einem Messerstich in den Oberkör-
per nicht nur eine generell äuûerst gefährliche Handlung vorgenommen, sondern er hat auf die Herzregion gezielt, also willentlich gerade dorthin gestochen. Dies spricht für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz (vgl. BGHSt 39, 168, 181), dem der Umstand, daû er auf den zusammenbrechenden V. nach dem ersten Stich noch weiter eingestochen hat, nicht entgegensteht.
Die schon genannte Äuûerung, es sei Pech für V. , wenn er "verrekke" , spricht in ihrem Zusammenhang auch nicht etwa dafür, daû der Angeklagte den Tod V. s als unglückliche und von ihm eigentlich ungewollte Folge seines Verhaltens angesehen hätte. Vielmehr zeigt seine Äuûerung, daû V. nichts "dafür" könne und über die "Schuld" der "Alten", daû das "Pech" V. s darin liege, daû er wegen des Stichs möglicherweise sterben müsse, obwohl er selbst aus der Sicht des Angeklagten keinen Anlaû zu dem Stich gegeben hatte. Unter diesen Umständen waren auch Erwägungen dazu, daû sich aus dem Verhältnis zwischen V. und dem Angeklagten kein Grund für ein Tötungsdelikt erkennen läût, nicht geboten.
4. Hinsichtlich des Vorsatzes macht die Revision darüber hinaus mit einer Aufklärungsrüge (§ 244 Abs. 2 StPO) geltend, der gehörte Sachverständige sei nicht zur Auswirkung des Alkohols auf die Willensbildung befragt worden. Wäre dies geschehen, wäre ein Schuldspruch allein wegen gefährlicher Körperverletzung zumindest nicht auszuschlieûen gewesen. Auch unbeschadet der Fragen, unter welchen Voraussetzungen eine Aufklärungsrüge auf die Nichtausschöpfung eines Beweismittels gestützt werden kann (vgl. hierzu Kukkein in KK 4. Aufl. § 344 Rdn. 53 m.w.N.) und ob das nach Auffassung der Revision von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwartende Beweisergebnis hinreichend bestimmt mitgeteilt ist (vgl. hierzu Kuckein aaO Rdn. 51 m.w.N.),
geht diese Rüge ins Leere. Angesichts der gesamten Feststellungen zu dem Verhalten des Angeklagten brauchte sich die Strafkammer zu weiteren Beweiserhebungen über die Auswirkungen des Alkohols auf den Vorsatz des (zwar stark alkoholisierten, aber auch in hohem Maûe alkoholgewohnten) Angeklagten nicht gedrängt zu sehen.
5. Auch im übrigen hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend ist lediglich zu bemerken, daû die von der Revision vermiûte nähere Erörterung einer Unterbringung gemäû § 64 StGB nicht geboten war. Der Angeklagte neigt zwar zu Alkoholmiûbrauch - von dem er sich, anders als weitgehend von seinem früheren Drogenkonsum - auch nicht gelöst hat und er ist häufig vorbestraft. Seit 1996 wurde er jedoch nur mit Geldstrafen belegt, neben Drogendelikten vor allem wegen Beförderungserschleichung und Diebstahl. Ein Zusammenhang mit seiner Neigung zum Alkoholmiûbrauch ist hier jedoch ebenso wenig zu erkennen, wie bei seinen früheren, in den Urteilsgründen näher geschilderten, inzwischen mehr als zehn Jahre zurückliegenden
schwerwiegenderen Straftaten. § 64 StGB eröffnet nicht allgemein die Unterbringung behandlungsbedürftiger Täter; die Maûnahme ist vielmehr abhängig von der künftigen Entwicklung des Angeklagten als Straftäter (BGH StV 1996, 538 m.w.N.). Anhaltspunkte für die Gefahr weiterer hangbedingter erheblicher Straftaten sind jedoch weder aus den Urteilsgründen noch sonst erkennbar.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Kolz
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; ferner hat es im Adhäsionsverfahren den Erben des Tatopfers dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Angeklagten zuerkannt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat festgestellt:
- 3
- Opfer des Tötungsgeschehens war der zur Tatzeit 20-jährige Maik M., Sohn der Cornelia M., mit der der Angeklagte seit Anfang Mai 2005 eine Beziehung eingegangen war. Am Tattage, den der Angeklagte, Maik M. und dessen Mutter weitgehend gemeinsam verbrachten, kam es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Maik M. und seiner Mutter, in die der Ange- klagte zunächst beschwichtigend eingriff. Im Verlauf eines dieser Streitgespräche zog Maik M. einen metallenen Teleskopstab heraus und drohte damit "wer etwas wolle, könne kommen". Die Streitigkeiten zwischen Maik M. und seiner Mutter setzten sich auch am Abend in deren Wohnung fort. Dabei griff Maik M. seine Mutter nunmehr auch tätlich an, worauf der Angeklagte ihn zur Seite stieß. Darauf begannen sich Maik M. und der ihm körperlich weit unterlegene Angeklagte, die inzwischen am Esstisch im Wohnzimmer Platz genommen hatten , miteinander zu streiten, wobei Maik M. mehrfach aus dem Sitzen heraus mit der Hand oder Faust in Richtung des Angeklagten schlug, der jedoch jedes Mal ausweichen konnte. Nunmehr drohte der Angeklagte, der ein Springmesser mit 8,5 cm langer Klinge bei sich führte, dem späteren Tatopfer damit, er werde ihm "wenn er nicht aufhöre, ein Messer in den Kopf hauen". Aus Zorn über das Verhalten des Maik M. ihm und dessen Mutter gegenüber versetzte der Angeklagte dem Geschädigten mit dem Messer einen wuchtigen Stich in dessen linke obere Brust, wobei er das Messer von oben nach unten führte und es zunächst stecken ließ. Maik M. erlitt infolge des Stichs eine Lungenverletzung und eine Öffnung der Intercostalarterie, was zu einem raschen und erheblichen Blutverlust in die Brusthöhle hinein führte; er wurde "fast unmittelbar aktionsunfähig" und ging zu Boden. Möglicherweise stützte ihn dabei der Angeklagte, den sein Handeln im Zorn sofort reute und der deshalb versuchte, den Blutaustritt durch Aufdrücken eines Handtuchs zu stillen. Die über Notruf benachrichtigte Polizei sowie Rettungsdienst und Notarzt trafen den Angeklagten kniend neben dem Opfer an. Die ihm tatzeitnah entnommene Blutprobe ergab für den Tatzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,10 ‰. Nach Einschätzung der Tatortbeamten als auch des Arztes bei der Blutentnahme erschien der Angeklagte zwar alkoholisiert, wies aber keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen auf.
- 4
- Maik M. wurde alsbald nach der Tat in eine Klinik überführt und dort notfallmäßig versorgt. Trotz zweier Operationen verstarb er am Vormittag des folgenden Tages aufgrund eines durch die Stichverletzung verursachten verblutungsschockbedingten Multiorganversagens.
- 5
- 2. Ohne Rechtsfehler hat die Schwurgerichtskammer eine Notwehrrechtfertigung (§ 32 StGB) ebenso wie die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage durch den Angeklagten (Putativnotwehr) ausgeschlossen. Gleichwohl hat die Verurteilung wegen Totschlags keinen Bestand, weil die Beweiswürdigung, mit der das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz bejaht hat, der rechtlichen Nachprüfung nicht stand hält.
- 6
- Der Angeklagte hat einen Tötungsvorsatz bestritten; er habe gar nicht stechen wollen, vielmehr sei „das passiert“, als sich Maik M. am Tisch zu ihm vorgebeugt habe (UA 21). Diese Einlassung hält das Schwurgericht zur inneren Tatseite für widerlegt. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe nicht nur in dem Bewusstsein gehandelt, Maik M. könne sterben, sondern ihm sei dies "mindestens gleichgültig" gewesen (UA 28), setzt sich indes nur unzureichend mit den Besonderheiten dieses Falles auseinander. Zwar liegt es bei besonders gefährlichen Verhaltensweisen wie einem - zumal mit erheblicher Wucht - geführten Stich in die Brustgegend, nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne dabei zu Tode kommen, und dies, wenn er gleichwohl von der Tat nicht Abstand nimmt, auch billigend in Kauf nimmt. Anders liegt es aber dann, wenn sich aus dem Tatablauf und der Person des Täters besondere Umstände ergeben, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob der Angeklagte tatsächlich die Gefahr des Todeseintritts erkannt und den Tod des Opfers im Sinne billigender Inkaufnahme hingenommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2003, 603; 2006, 169). Solche Besonderheiten, die näherer Erörterung bedurften, liegen hier vor.
- 7
- Insbesondere stellt es einen durchgreifenden Rechtsmangel dar, dass das Landgericht dem Angeklagten zwar im Rahmen der Strafzumessung zugute hält, dass ihn die Tat unmittelbar reute und er sich darum bemüht hat, seinem Opfer durch Stillung der Blutung zu helfen, es dieses Nachtatverhalten aber nicht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes erörtert. Dieses Nachtatverhalten , durch das sich der Angeklagte im unmittelbaren Anschluss an den Messerstich bemühte, Maik M. zu retten, konnte schon für sich Zweifel daran begründen , dass der Angeklagte bei der Tat dessen Tod erkannt und billigend hingenommen hat (BGH NStZ 2006, 169; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11). Gegen die Annahme des Schwurgerichts, dem Angeklagten sei der Tod des Maik M. „mindestens gleichgültig“ gewesen, kann zudem auch die Reaktion des Angeklagten bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung am Tag nach der Tat deuten; auf die Mitteilung, Maik M. sei verstorben, stammelte er, er sei kein Mörder, und brach in Tränen aus, worauf die Vernehmung abgebrochen werden musste. Zwar kann ein solches Nachtatverhalten immer auch bloßer Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will. Abgesehen davon, dass das Schwurgericht darauf bei der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite aber nicht abgestellt hat, bedürfte eine solche Annahme sorgfältiger Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes, an der es hier gerade fehlt.
- 8
- Hinzu kommt, dass der Angeklagte infolge seiner hochgradigen Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB „sicher“ erheblich vermindert war und er in diesem Zustand durch das Verhalten des Maik M. zum Zorn gereizt im Sinne des § 213 1. Alt. StGB auf der Stelle zu der Tat hingerissen wurde (UA 33). Schon die damit vom Schwurgericht selbst angenommene tatauslösende affektive Erregung des Angeklagten konnte auch Einfluss auf dessen Vorstellungsbild über die möglichen Folgen seines Tuns, zumindest a- ber auf das Billigungselement des Vorsatzes gewinnen (vgl. BGH NStZ 2006, 169). Auch damit setzt sich das Landgericht nicht auseinander.
- 9
- Jedenfalls in ihrer Gesamtheit können die aufgezeigten Umstände dafür sprechen, dass der Angeklagte zwar eine Gefährdung des Maik M. in sein Bewußtsein aufgenommen, nicht aber eine mögliche Todesfolge erkannt und in seinen Willen aufgenommen hatte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter
11).
- 10
- 3. Die Verurteilung wegen Totschlags kann nach alledem keinen Bestand haben. Über die Sache ist deshalb insgesamt – auch hinsichtlich des Adhäsionsanspruchs – neu zu verhandeln und entscheiden. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen beanstanden die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, dass das Landgericht einen Tötungsvorsatz nicht für erwiesen erachtet und den Angeklagten deshalb nicht wegen Totschlags verurteilt habe. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- a) Der Angeklagte und S. , das spätere Tatopfer, waren in der Nacht zum 25. Dezember 2007 als Gäste auf einer Party des Zeugen E. , die in der Wohnung von dessen verreisten Eltern stattfand. Auf dieser Party nahmen der Angeklagte und S. in erheblichem Maß Alkohol (Wodka und Bier) zu sich. Außerdem verbrachten sie und ein weiterer männlicher Partygast, der wie der Angeklagte und S. ohne weibliche Begleitung gekommen war, ihre Zeit damit, mit nackten Oberkörpern an einem Fitnessgerät in einem Nebenraum zu „spielen“ oder auf dem Boden miteinander zu „catchen“. Der Angeklagte fiel hierbei durch seine grundlose verbale Aggressivität gegenüber den übrigen Partygästen auf, so dass der Gastgeber mehrfach beruhigend auf ihn einwirken musste.
- 4
- Gegen 2.30 Uhr rangen der Angeklagte und S. miteinander auf dem Wohnzimmerboden. Der Zeuge B. , ein weiterer Partygast, trennte die beiden stark alkoholisierten Kontrahenten, wobei er sich bei der anschließenden Auseinandersetzung mit dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zu diesem Zeitpunkt bei maximal 2,97 Promille lag, leichte Verletzungen an Nase und Rücken zuzog. S. , der zunächst das Wohnzimmer verlassen hatte, kam zurück und versetzte dem Angeklagten einen Stoß, so dass dieser auf einen Couchtisch mit Glasfläche fiel. Hierdurch kippte der Tisch nach hinten in Richtung Wand; das Glas zersplitterte, wodurch sich unmittelbar um den Glastisch ein „Splitterfeld“ mit zum Teil mehreren Zentimeter langen und breiten Glassplittern bildete. Der Angeklagte empfand den Stoß als demütigend und wollte sich hierfür rächen. Er stand sofort auf, nahm einen der Glassplitter und stach ihn unmittelbar mit der linken Hand von oben nach unten mit großer Wucht in S. s rechte Halsseite, um diesen zu verletzen. Die Steuerungs- fähigkeit des Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt aufgrund seiner Alkoholisierung in Verbindung mit seiner affektiven Erregung erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 21 StGB. Durch den Stich wurden die rechte innere Doppelvene, die rechte Unterschlüsselbeinarterie und die fast zehn Zentimeter unter dem Halsansatz liegende rechte Pleurakuppel von S. durchtrennt. Das Blut spritzte wie eine Fontäne aus der Wunde. S. ging zu Boden und verstarb innerhalb der nächsten fünf Minuten an den Verletzungsfolgen.
- 5
- Der Angeklagte war über die Folgen des Stiches zutiefst erschrocken. Er bemühte sich, die Blutung bei seinem Opfer mit einem Handtuch zu stillen. Außerdem telefonierte er zweimal mit dem Notruf der Polizei und drängte darauf, dass der Rettungsdienst möglichst schnell zu Hilfe kommen sollte. Als der Notarzt um 2.40 Uhr am Einsatzort eintraf, stand der Angeklagte nur mit Unterhose und Socken bekleidet und in einem „völlig aufgelösten Zustand“ auf der Straße, um die Rettungskräfte darauf hinzuweisen, dass sich der schwer verletzte S. oben in der Wohnung befinde. Nachdem der Notarzt in der Wohnung festgestellt hatte, dass S. an den Verletzungsfolgen bereits verstorben war, forderte der Angeklagte den Arzt beharrlich auf, seine Wiederbelebungsversuche fortzusetzen, weil er sich mit dem Tod seines Opfers nicht abfinden wollte. Dem Notarzt gelang es dabei nur sehr mühsam, den Angeklagten davon zu überzeugen, dass S. nicht mehr zu retten war. Anschließend nahm der Angeklagte von dem toten S. Abschied, nachdem er zuvor einen der Polizisten diesbezüglich um Erlaubnis gebeten hatte.
- 6
- b) Das Landgericht hat sich trotz der Gefährlichkeit der Gewalthandlung von einem auch nur bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überzeugen vermocht. Zwar sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen, „dass ein mit Wucht in die Halsregion des S. geführter Stich dessen Tod zur Folge haben könnte“ (UA S. 9). Es sei aber nicht auszuschließen, dass die erhebliche alkoholische Enthemmung des Angeklagten und sein Erregungszustand trotz der objektiven Gefährlichkeit seines Tuns zu der - vermeidbaren - Fehleinschätzung geführt habe, sein Handeln würde nicht zum Tod S. s führen. Dabei hat das sachverständig beratene Landgericht angenommen , dass der Geschehensablauf das Vorliegen eines affektiven Erregungszustands bei dem Angeklagten nahe legen würde, da dieser zunächst von S. auf den Glastisch gestoßen worden sei und das wuchtige Zustechen mit der Glasscherbe in den Hals des Opfers als unmittelbare Reaktion des Angeklagten hierauf anzusehen sei. Schließlich hat das Landgericht das Nachtatverhalten des „über die Folgen seines Stichs zutiefst erschrockenen“ (UA S. 9) Angeklagten - insbesondere den Inhalt der Notruftelefonate - als gewichtiges Indiz dafür herangezogen, dass der Angeklagte den Tod des S. weder wollte noch in seine Vorstellung aufgenommen oder gebilligt hatte, als er zustach (UA S. 25).
- 7
- 2. Die Beweiswürdigung, auf deren Grundlage das Landgericht die Annahme eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes - in dubio pro reo - verneint hat, hält der rechtlichen Überprüfung stand. Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGHSt 21, 149, 151). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 16; BGH StV 1994, 580). Konnte sich das Tatgericht von der Täterschaft oder vom Vorsatz des Angeklagten nicht überzeugen, prüft das Revisionsgericht auch, ob das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeu- gungsbildung gestellt hat (BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 und Beweiswürdigung 5). Liegen derartige Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Überzeugungsbildung möglich gewesen wäre oder sogar nahe gelegen hätte. So verhält es sich auch hier.
- 8
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissensals auch das Wollenselement, geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen , rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz möglich. Dabei ist in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Es ist jedoch auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter im Einzelfall die Gefahr der Tötung nicht erkannt hat oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht stets geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603, 604; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
- 9
- b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts, das diese Grundsätze beachtet hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer hat das Landgericht bei der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte mit Tötungsvorsatz gehandelt hat, auch nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung überspannt. Vielmehr hält sich die Überzeugungsbildung zum Tatvorsatz noch im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Tatrichters.
- 10
- Allerdings liegt es angesichts der erheblichen Gefährlichkeit des Stichs mit der Glasscherbe, den der Angeklagte mit erheblicher Wucht ausführte und der zehn Zentimeter tief in den Hals des Getöteten eindrang, sehr nahe, dass der Angeklagte beim Zustechen mit der Möglichkeit einer tödlichen Verletzung rechnete und diese auch billigend in Kauf nahm. Dies hat das Landgericht aber erkannt. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung, in die es die Besonderheiten des vorliegenden Falles einbezogen hat, legt es dar, aus welchen Gründen es sich trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Gewalthandlung gleichwohl keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verschaffen konnte.
- 11
- Als gewichtigen Umstand gegen die Annahme, der Angeklagte habe beim Zustechen mit der Glasscherbe den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen , bezeichnet das Landgericht die erhebliche Alkoholisierung des Angeklagten , die zu einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB geführt hat. Nach den Urteilsfeststellungen konnte die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit 2,97 Promille betragen haben.
- 12
- Als weiteren gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatz beim Angeklagten sprechenden - freilich eher ambivalenten - Umstand nennt das Landgericht, den Ausführungen eines psychiatrischen Sachverständigen folgend , die Tatsache, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem „wut- und aggressionsbedingten Erregungszustand“ befand. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Geschehensablauf war der Angeklagte über die ihm zugefügte Demütigung, den Stoß auf den Couchtisch, so verärgert , dass er spontan zu der Glasscherbe griff und aus Wut S. - ohne genauere Überlegung - den tödlichen Stich zufügte.
- 13
- Schließlich hat das Landgericht auch das Nachtatverhalten des Angeklagten als Gesichtspunkt dafür herangezogen, dass er den Tod des Opfers nicht wollte. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Angeklagte bemühte sich unmittelbar nach dem Zustechen um die Rettung des Opfers vor dem Tod, indem er versuchte, die Blutung mit Hilfe eines Handtuchs zu stillen, und indem er sich aktiv an der Verständigung und Unterrichtung des Notarztes beteiligte. Zwar kann ein solches Nachtatverhalten auch bloß Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will. Eine solche - nach einer Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes mögliche (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141, 142) - Annahme, war hier aber nicht so nahe liegend, dass es einer ausdrücklichen Erörterung dieser Möglichkeit nicht bedurfte. Es begegnet deshalb keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht angesichts des „aufgelösten Zustands“ des Angeklagten beim Eintreffen des Notarztes, der Beharrlichkeit, mit der er auf den Notarzt einwirkte, damit dieser seine Rettungsbemühungen fortsetzen sollte, und des noch am Tatort geäußerten Wunschs des Angeklagten, sich von dem toten S. verabschieden zu dürfen, nicht bloß als Reue gewertet hat. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht damit auch hinreichend deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass dem Angeklagten im Zeitpunkt des Zustechens ein möglicher Tod des Opfers nicht gleichgültig war (vgl. dazu BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51).
- 14
- Angesichts der vom Landgericht aufgezeigten besonderen Umstände stellt es jedenfalls keine Überspannung der an die tatrichterliche Überzeugung zu stellenden Anforderungen dar, dass das Landgericht hier trotz der erheblichen Gefährlichkeit der Tatausführung verbliebene Zweifel an einem Tötungsvorsatz des Angeklagten nicht zu überwinden vermochte (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 141). Da auch sonst Rechtsfehler in der Beweiswürdigung nicht vorhanden sind, hat der Senat hinzunehmen, dass sich das Landgericht keine Überzeugung von einem zumindest bedingten Tatvorsatz verschaffen konnte. Es ist ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene Beweiswürdigung zu ersetzen, selbst wenn ein anderes Ergebnis wirklichkeitsnäher erscheinen könnte. Nack Kolz Elf Jäger Sander
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt worden ist;
b) im Strafausspruch sowie hinsichtlich der Einziehungsanordnung.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags sowie wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt und das sichergestellte Tat- messer eingezogen. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
- 2
- Während der Schuldspruch wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung rechtlicher Nachprüfung standhält (§ 349 Abs. 2 StPO), müssen die Verurteilung wegen Totschlags und damit auch die einheitlich verhängte Jugendstrafe aufgehoben werden, weil das Landgericht den Tötungsvorsatz nicht rechtsfehlerfrei belegt hat.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts trafen der Angeklagte und der später getötete G. im Kreis von Gleichaltrigen nachts vor einer Diskothek aufeinander. Beide standen unter dem Einfluss zuvor genossenen Alkohols. G. begann aus nicht aufklärbarem Grund damit, den Angeklagten zu beschimpfen, schubste ihn und forderte ihn zu einer körperlichen Auseinandersetzung heraus. Der Angeklagte hatte indes daran kein Interesse und schickte sich an, mit seinen Begleitern den Ort zu verlassen. G. ging gleichwohl erneut auf ihn zu und schlug ihm mit der Hand oder der Faust hart ins Gesicht. Der Angeklagte, der glaubte, diese Provokation nicht mehr untätig hinnehmen zu können, ohne vor seinen Bekannten das Gesicht zu verlieren, zog ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern aus der Jackentasche und ging auf G. zu. Um den Streit zu schlichten, stellte sich nunmehr der Zeuge R. zwischen die Kontrahenten. Er breitete, mit dem Rücken zu G. und mit der Brust zum Angeklagten gewandt, seine beiden Arme aus und sprach beruhigend auf letzteren ein, wobei ihn G. hin und wieder von hinten schubste. Während der Zeuge "seine Schlichtungsversuche noch fortsetzte, stach der Angeklagte mit seinem Klappmesser unter der linken Achselhöhle des Zeugen hindurch in einem Bogen in Richtung des Oberkör- pers des Geschädigten. Dabei erkannte er die Möglichkeit, dass er dem Geschädigten durch diesen Stich tödliche Verletzungen zufügen könnte. Diese Möglichkeit nahm er billigend in Kauf". Der Stich führte beim Geschädigten zu einer Verletzung des Herzens, an der dieser, nachdem er zunächst noch hatte fliehen können und dabei aber alsbald zusammengebrochen war, am nächsten Morgen im Krankenhaus verstarb. Der Angeklagte berichtete sichtlich geschockt und teilweise unter Tränen in der Nacht seiner Freundin und einem Bekannten davon, dass er glaube, jemanden umgebracht zu haben. Als er am Morgen erfuhr, dass G. gestorben war, stellte er sich der Polizei.
- 4
- 2. Der Angeklagte hat einen Tötungsvorsatz bestritten und sich dahin eingelassen, er habe sein Messer nur vor dem Körper geschwenkt, um den Geschädigten und die anderen Anwesenden von sich fern zu halten. Diese Einlassung hat das Landgericht widerlegt aufgrund der für glaubhaft erachteten Angaben mehrerer Zeugen, der Angeklagte habe gezielt nach seinem Opfer gestochen. Seine Überzeugung vom bedingten Tötungsvorsatz hat das Landgericht wie folgt begründet: Der Angeklagte habe gezielt gestochen und so heftig , dass die Messerklinge das Herz erreicht habe. Dafür, dass dem Angeklagten die mit einem solchen Stich verbundene Gefahr nicht bewusst gewesen sein könnte, gebe es keine Anhaltspunkte. Der Angeklagte sei durchschnittlich intelligent und bei der Tat in seiner Einsichtsfähigkeit nicht erheblich beschränkt gewesen. Das Nachtatverhalten spreche nicht gegen einen bedingten Tötungsvorsatz ; es rechtfertige "nur" die Annahme, dass der Angeklagte seine Tat im Nachhinein bereue.
- 5
- 3. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht zum Wissenselement auf einem fehlerhaften Maßstab sowie im Übrigen auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
- 6
- Soweit das Landgericht die für die Annahme des Tötungsvorsatzes notwendige Kenntnis des Angeklagten von der Lebensgefährlichkeit seines Angriffs damit begründet hat, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Sinne der §§ 20, 21 StGB zur Tatzeit unbeeinträchtigt war, hat es einen fehlerhaften Maßstab angelegt. Die Fähigkeit zu erkennen, dass ein Mensch nicht getötet oder verletzt werden darf, ist etwas anderes, weiter verbreitet und von situativen Umständen in geringerem Maße beeinträchtigt als die Fähigkeit zu erkennen , dass eine bestimmte Handlung für das Opfer lebensgefährlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2011 - 3 StR 312/11 und vom 15. November 2011 - 3 StR 348/11).
- 7
- Darüber hinaus hat das Landgericht bei seiner Entscheidung den sowohl für das Wissens- als auch das Willenselement des bedingten Vorsatzes erheblichen Umstand nicht gewürdigt, dass die Sicht des Angeklagten auf seinen Kontrahenten durch den mit ausgebreiteten Armen vor ihm stehenden Zeugen eingeschränkt war. Aufgrund der beschränkten Sicht, des Körpers des vor ihm stehenden Zeugen R. sowie der durch das Schubsen des Zeugen durch den Geschädigten bewirkten Dynamik des Geschehens war die Möglichkeit eines gezielten Stiches in die Herzregion indes deutlich verringert. Entsprechend musste der Angeklagte das Messer bogenförmig um den Zeugen R. herumführen. Dem Umstand, dass der Stich des Angeklagten das Opfer am Herzen verletzt hat, kann deshalb nicht dieselbe Bedeutung beigemessen werden, die einem Stich ins Herzen eines unmittelbar vor dem Täter stehenden Opfers zukommt.
- 8
- Des Weiteren hat das Landgericht zwar dargelegt, dass insbesondere bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Tod des Opfers nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf das voluntative Vorsatzelement geschlossen werden kann. Gleichwohl hat es die durch die Provokationen des Geschädigten bewirkte "emotionale Erregung" des Angeklagten lediglich beiläufig bei der Erörterung erheblich verminderter Schuldfähigkeit erwähnt, bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes dagegen nicht in seine Überlegungen miteinbezogen.
- 9
- Zuletzt gibt die Würdigung des Nachtatverhaltens des Angeklagten Anlass zu rechtlichem Bedenken. Das Erschrecken des Angeklagten über seine Tat zwingt keinesfalls zu dem Schluss, es handele sich lediglich um Reue nach der Tat. Sollte es sich dabei nicht nur um eine fehlerhafte Formulierung handeln , wäre das Landgericht hiervon aber ausgegangen, soweit es dargelegt hat, dieses Verhalten rechtfertige "nur" diese Annahme.
- 10
- 4. Über den Vorwurf des Totschlags muss deshalb erneut verhandelt und entschieden werden. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung der einheitlichen Jugendstrafe sowie der Einziehungsanordnung nach sich.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt aufgrund der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache. Auf die - zudem verspätet eingelegte und deshalb unzulässige - Verfahrensbeschwerde kommt es danach nicht mehr an.
1. Die Jugendkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war ebenso wie Thomas E. und der später geschä- digte Benjamin G. Schüler der Sekundarschule in Gutenberg. Am Vormittag des Tattages kam es zunächst im Schulgebäude zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und E. . Auslöser des Streits war, daß E. sich an der lauten "Hip Hop-Musik", die die Schülergruppe um den Angeklagten anhörte, störte und statt dessen eine Kassette mit "rechter" Musik abspielen wollte, womit der Angeklagte nicht einverstanden war. Nachdem sich die Streitenden zunächst getrennt und sich zur "Klärung" der Angelegenheit für den nächsten Tag verabredet hatten, setzten sie ihre Auseinandersetzung auf Betreiben des E. alsbald auf dem Schulgelände fort, bis sich Benjamin G. einmischte und den Angeklagten von E. wegzog. Sie waren bereits auseinander gegangen, als G. wegen einer Bemerkung des Angeklagten umkehrte und zusammen mit seinen Freunden auf den Angeklagten zulief. Dieser bekam daraufhin Angst und wandte sich seinerseits "hilfesuchend" an seine "Kumpel", von denen einer ihm ein Klappmesser mit ca. 6 cm langer und extrem spitz zulaufender Klinge "zuspielte" (UA 6, 10). Der Angeklagte blieb, mit dem Messer in der Hosentasche, stehen, bis G. ihn erreicht hatte, "weil er vor seinen Klassen- und Schulkameraden nicht als Feigling gelten wollte" (UA 6). Um die Situation jedoch zu entschärfen, schlug er G. vor, den Streit, wie mit E. verabredet, am nächsten Tag auszutragen, und reichte dabei G. die Hand, die dieser aber mit den Worten: "Deine Krüppelpfoten fasse ich nicht an" zurückwies. Darauf geriet der Angeklagte in große Wut, holte das Messer aus seiner Hosentasche und stieß G. mit beiden Händen, das Messer mit der Spitze nach vorn in einer Hand, vor die Brust. Beide schlugen nunmehr gegenseitig aufeinander ein, wobei der Angeklagte das Messer weiter in der Hand hielt und G. mehrere Stiche und Schnittwunden zufügte. Als G. , der von beiden größere und kräftigere Gegner, den Angeklagten
schließlich umklammerte, "rammte" ihm der Angeklagte, der sich aus der Umklammerung befreien wollte, "das Messer mit voller Wucht in den Rücken und in die linke Seite". Schließlich ließen beide voneinander ab, ohne daß einer der umstehenden mindestens 15 bis 20 Mitschüler, die die Kämpfenden lautstark angefeuert hatten, eingegriffen hatte. G. bemerkte, daß er verletzt war, erst, als er sich bereits umgedreht hatte, um zur Turnhalle zurückzugehen. Im Krankenhaus wurden bei ihm mindestens neun insolierte Schnitt- und Stichverletzungen festgestellt, von denen eine sechs Zentimeter tiefe Stichverletzung in Höhe der elften Rippe einen lebensbedrohenden Zugang zur linken Brusthöhle eröffnet und zu einem Pneumothorax geführt hatte. Die Verletzungen sind folgenlos ausgeheilt.
2. Das Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
Das Landgericht meint, "ein solch heftiger Stich in die obere seitliche Körperregion eines anderen Menschen (lasse) bei verständiger Würdigung eines jeden Normaldenkenden ohne weiteres den Schluß zu, daß dadurch tödliche Verletzungen verursacht werden können". Und weiter: "Wer wie der Angeklagte dennoch in derart gefährlicher Weise einen Stich gegen einen anderen Menschen führt, nimmt das Risiko des Todeserfolges zumindest billigend in Kauf" (UA 12).
Diese Begründung genügt für die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß, wer wie der Angeklagte vorgeht, deshalb zugleich grundsätzlich auch mit tödlichen Folgen für das Opfer rechnet
und diese um den Preis der Fortsetzung seines gefährlichen Tuns innerlich billigt, besteht nicht. Vorsätzlich hätte der Angeklagte nur gehandelt, wenn er den bei objektiver Betrachtung sich aufdrängenden Schluß auch tatsächlich gezogen hätte. Demgegenüber hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, daß der Angeklagte in der Tatsituation darüber, den Geschädigten eventuell sogar tödlich verletzen zu können, "nicht näher nach(dachte)" (UA 7). Dieser auf die Einlassung des Angeklagten gestützten Feststellung, die schon das Wissenselement des Tötungsvorsatzes in Frage stellt, hat das Landgericht mit der Erwägung keine Bedeutung beigemessen, "das Unterlassen von sich aufdrängenden Überlegungen hinsichtlich der für das Opfer bestehenden Todesgefahr (sei) ausreichend, um einen bedingten Tötungsvorsatz des Täters zu begründen" (UA 13). Damit hat das Landgericht allein aus der objektiven Gefährlichkeit der Handlung sowohl das Wissens-, als auch das Wollenselement des Tötungsvorsatzes zu Lasten des Angeklagten unterstellt. Demgegenüber hätte sich das Landgericht damit auseinandersetzen müssen, daß der Angeklagte nach dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen die Tatsituation als extrem bedrohend und beängstigend empfunden habe, wodurch es zu einer "Einengung seiner Bewußtseinswahrnehmung" gekommen sei, bei der der Angeklagte "röhrenförmig" nur noch sein Gegenüber und dessen Reaktion wahrgenommen habe (UA 10). Auch wenn das Landgericht entgegen der Auffassung des Sachverständigen eine affektbedingte erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bei dem Angeklagten gemeint hat ausschließen zu können, durfte es die zum Bewußtseinszustand des Angeklagten getroffenen Feststellungen bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht unberücksichtigt lassen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 6). Im übrigen hat das Landgericht selbst festgestellt, dem Angeklagten sei erst später, nachdem er von den Verletzungen des G. erfahren
habe, "bewußt (geworden), was er getan hatte" (UA 8). Schließlich legt auch die Motivation des Angeklagten einen einsichtigen Beweggrund für eine - auch nur bedingt - vorsätzliche Tötung des Geschädigten nicht nahe. Das Landgericht hätte insoweit bedenken müssen, daß der Angeklagte die Situation zunächst zu entschärfen versucht hatte und erst auf die provozierende und beleidigende Bemerkung des G. zum Messer griff. Zudem handelte es sich um eine Auseinandersetzung unter Schülern in Anwesenheit einer größeren Anzahl von Mitschülern, denen gegenüber der körperlich unterlegene Angeklagte nicht als Feigling dastehen wollte (vgl. BGHR aaO Vorsatz, bedingter 8).
3. Im übrigen hat es das Landgericht von seiner Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes aus gesehen auch rechtsfehlerhaft unterlassen, die Frage eines freiwilligen Rücktritts vom Tötungsversuch zu erörtern, obwohl der Sachverhalt eine Auseinandersetzung hiermit erforderte. Dabei hätte das Landgericht sich mit den Vorstellungen des Angeklagten nach Abschluß der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung befassen müssen (sog. Rücktrittshorizont; vgl. BGHSt 31, 170; 39, 221, 227). Daß der Angeklagte nach der Zufügung des letzten Messerstichs mit der Möglichkeit gerechnet hat, die dem Tatopfer beigebrachten Verletzungen könnten zu dessen Tod führen, läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, da sie sich nicht dazu verhalten, welche - von dem Angeklagten wahrgenommenen - Wirkungen die Messerstiche bei dem Geschädigten hinterlassen hatten. Rechnet der Täter noch nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs und ist die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich, so liegt ein unbeendeter Versuch vor, bei dem das bloße (freiwillige) Aufgeben der weiteren Tatausführung zur Strafbefreiung nach § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB führt. Angesichts dessen, daß der Geschädigte selbst zunächst seine Verletzungen nicht bemerkt hatte und auch
dem Angeklagten erst später, nachdem er von den Verletzungen des Geschädigten erfahren hatte, bewußt wurde, was er getan hatte, drängte sich hier die Annahme eines unbeendeten Versuchs auf.
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Von den aufgezeigten Rechtsfehlern unberührt sind die vom Geständnis des Angeklagten getragenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt , die deshalb bestehen bleiben können.
Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß auch die Erwägungen zur Bemessung der Jugendstrafe im angefochtenen Urteil in mehrfacher Hinsicht rechtlichen Bedenken begegnen. Dies betrifft namentlich die Begründung für die Annahme schädlicher Neigungen bei dem Angeklagten. So ist durch nichts belegt, daß bei dem Angeklagten "die grundsätzliche Bereitschaft" bestehen soll, "sich unter Verwendung einer Waffe über hochrangige Rechtsgüter zur Verfolgung und Durchsetzung seiner persönlichen Interessen hinwegzusetzen" (UA 14). Ein vergleichbares oder auch sonst nur aggressives früheres Verhalten des Angeklagten kann dem Urteil nicht entnommen werden. Soweit das Landgericht dem Angeklagten anlastet, er habe die "von ihm erkannte Möglichkeit des kampflosen Rückzuges" nicht genutzt (UA 14), hat die Jugendkammer gegen den Angeklagten gewertet, daß er die Tat überhaupt begangen hat, ohne dabei zu berücksichtigen, daß er sich zuvor um eine Entschärfung der Situation bemüht hatte und ihm das Tatmesser durch einen Mitschüler "zugespielt" worden war. Die durch Besonderheiten gekennzeichnete Tatsituation macht jedenfalls nicht ohne weiteres plausibel, daß das
Verhalten des Angeklagten auf "gravierende Erziehungsdefizite" zurückzuführen ist. Schließlich hat das Landgericht den erheblichen Erziehungsbedarf damit begründet, bislang sei "keine ernsthafte Aufarbeitung der Tat zur Vermeidung von möglichen Wiederholungstaten erfolgt" (UA 16), ohne deutlich zu machen, wie der Angeklagte dies hätte tun sollen.
Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist – Erfolg. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Zeuge R. verkaufte für den Angeklagten auf dem W. Platz in T. dem späteren Tatopfer I. ein Heroin-Bobble für 10 Euro. I. konsumierte das Bobble und rekla-mierte, daß es zu klein gewesen sei. Der Angeklagte lehnte eine Geldrückzahlung ab. Zwischen dem Angeklagten und I. begann ein gegenseitiges Geschubse, das durch einen Faustschlag I. zu einer Schlägerei eskalierte. Der körperlich unterlegene Angeklagte ging zweimal zu Boden und blutete aufgrund eines herausgerissenen Ohrrings. Als I. auf den am Boden liegenden Angeklagten eintrat, schubste ihn R. weg und drängte ihn in Richtung eines Blumenkübels, in den beide hineinfielen. Nachdem ein anderer R. und I. aus dem Blumenkübel herausgezogen hatte, schlug I. auf R. ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 9,5 cm und einer Klingenbreite von 2,5 cm aus der Hosentasche gezogen, es aufgeklappt und stach I. in den linken oberen Brustkorb, wobei er den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm. I. brach wenige Meter vom Blumenkübel entfernt zusammen und starb infolge inneren Verblutens. 2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Ausführungen des Landgerichts genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewußte Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Ob dies im Einzelfall zutrifft, bedarf jedoch im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten , in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, daß auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Die Würdigung hierzu muß sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Angeklagten auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
b) Hier enthält das Urteil schon keine tragfähig belegten Angaben dazu, ob der Angeklagte die Gefährlichkeit des Messerstichs in den linken oberen Brustkorb erkannt und den Tötungserfolg als möglich vorausgesehen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht auch die billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts nicht begründet und sich nicht mit den festgestellten Tatumständen auseinandergesetzt, die möglicherweise dagegen sprechen könnten. Nach den Urteilsgründen (UA S. 22) hat der Angeklagte aus Wut über die ihm zugefügten Mißhandlungen zum Messer gegriffen und I. den tödlichen Stich versetzt, also spontan und in affektiver Erregung gehandelt. Was er sich in dem Moment vorgestellt hat, ist nicht festgestellt, das Urteil enthält lediglich die
Angabe, daß der Angeklagte bei der Tathandlung den – später eingetretenen – Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm (UA S. 10). Hinzukommt, daß das Geschehen vor zahlreichen Zeugen stattfand; der Angeklagte mußte danach mit seiner Überführung als Täter rechnen. Dies könnte dafür sprechen, daß der Angeklagte zwar die Gefährdung I. , nicht aber auch dessen Tod in sein Bewußtsein und seinen Willen aufgenommen hatte. Möglicherweise war für die innere Tatseite beim Angeklagten auch von Bedeutung, daß objektiv eine Nothilfelage zugunsten des Zeugen R. bestand. Auch hiermit setzt sich das Urteil in Bezug auf die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tatausführung nicht auseinander. VRiinBGH Dr. Rissing-van Saan, Bode RiBGH Dr. h.c. Detter und RiBGH Prof. Dr. Fischer sind durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode Roggenbuck
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für Recht erkannt:
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
- 2
- Am Samstag, dem 3. November 2007 verbrachten der Angeklagte, seine Ehefrau und Peter F. den Abend und die Nacht trinkend im Wohnzimmer. Am Sonntag, dem 4. November 2007, erwachte der Angeklagte in den Vormittagsstunden aus einem mehrstündigen Schlaf und sah, dass seine Ehefrau, nur mit einem vorne geöffneten Morgenmantel bekleidet, auf dem Schlafsofa lag. Auf ihr lag Peter F. mit teilweise heruntergelassener Hose. Der Angeklagte nahm an, dass seine Ehefrau mit Peter F. den Geschlechtsverkehr ausübte. Obwohl ihm intime Kontakte seiner Ehefrau mit Peter F. bereits bekannt waren, war er durch den "unverschämten Vertrauensbruch seines besten Freundes und seiner Ehefrau gekränkt und aufgebracht" und beschloss, Peter F. zu bestrafen. Er suchte einen Gegenstand, mit dem er Peter F.
- 3
- Der mit großer Wucht geführte Schlag verfehlte den Kopf Peter F. s knapp und traf den Kopf der Ehefrau des Angeklagten. Die Beilschneide zertrümmerte die Schädelkalotte im Bereich des linken Stirn- und Scheitelbeins und durchtrennte die harte und die weiche Hirnhaut. Die Schneide des Beils brach dabei ab und flog in einem hohen Bogen in Richtung des Wohnzimmerschranks. Peter F. sprang von der Schlafcouch und floh aus der Wohnung. Der Angeklagte, der glaubte, Peter F. am Hinterkopf getroffen zu haben, nicht aber seine Ehefrau, schlug in seiner Wut mit dem Beilstiel auf seine Ehefrau ein. Die Schwere der von dem Beilhieb herrührenden Kopfwunde wurde sowohl vom Angeklagten als auch von seiner Ehefrau verkannt, obwohl die Wunde heftig zu bluten begann. Der Angeklagte glaubte, seine Frau nur leicht mit dem Stiel des Beils verletzt zu haben. Sie erlag der schweren Kopfverletzung in den frühen Morgenstunden des 5. November 2007.
II.
- 4
- Die Rüge der Verletzung formellen Rechts ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
III.
- 5
- Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
- 6
- 1. Der Schuldspruch ist auch unter Berücksichtigung der von der Revision und vom Generalbundesanwalt dagegen erhobenen Einwendungen rechtlich nicht zu beanstanden.
- 7
- Der Verurteilung des Angeklagten steht nicht entgegen, dass er mit dem Beilhieb Peter F. , nicht aber seine Ehefrau töten wollte. Wirkt sich die Tat, wie hier, ohne Verwechslung des Angriffsobjekts an einem anderen Menschen aus (aberratio ictus, Fehlgehen des Angriffs), kann dem Täter, soweit die Wirkung des Angriffs auf das nicht in Aussicht genommene Opfer in Frage steht, der Vorwurf der vorsätzlichen Tatbestandserfüllung allerdings nur dann gemacht werden, wenn er weiß, dass ein solcher Erfolg eintreten kann, und er diese Möglichkeit billigend in Kauf nimmt (h.M.; BGHSt 34, 53, 55 ). Das ist hier nach den Feststellungen der Fall. Die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist, auch soweit sie die innere Tatseite und die Schuldfähigkeit des Angeklagten betrifft, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
- 8
- a) Die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte mit der Möglichkeit gerechnet hat, mit dem gegen den Kopf Peter F. s geführten wuchtigen Hieb mit dem Beil auch seine Ehefrau tödlich zu verletzen, ist durch die festgestellten Tatumstände hinreichend belegt. Danach war der wuchtige Hieb mit der Schneide des Beils eine äußerst gefährliche Gewalthandlung, die zu tödlichen Verletzungen führen und sich nicht nur, wie vom Angeklagten gewollt, auf Peter F. , sondern auch auf die unter diesem liegende Ehefrau des Angeklagten auswirken konnte. Der Angeklagte wusste, dass der Kopf seiner Ehefrau sich „direkt“ neben dem Peter F. s bzw. darunter befand, und hatte zudem bemerkt, dass sich seine Ehefrau und Peter F. bewegten. Dass ein Angriff mit dem Beil unter diesen Umständen fehlgehen und sich auf die Person auswirken kann, die nicht (primäres) Ziel des Angriffs ist, liegt auf der Hand, zumal ein wuchtiger Schlag mit einem schweren Gegenstand im Einzelnen nicht mehr kontrollierbar ist (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51).
- 9
- Zwar kann es je nach den Umständen des Einzelfalles auch bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen fraglich sein, ob der Täter das erforderliche Wissen um die mögliche Todesgefahr hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 26, 37). Das Landgericht hat sich aber mit nachvollziehbarer Begründung die Überzeugung verschafft, dass der Angeklagte trotz seines Zustands die Gefährlichkeit seines Tuns auch in Bezug auf seine Ehefrau erkannt hat.
- 10
- b) Schließlich ist die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte die Möglichkeit, seine Ehefrau tödlich zu verletzen, billigend in Kauf genommen hat, rechtsfehlerfrei belegt.
- 11
- Auch für das Willenselement stellt die Lebensbedrohlichkeit gefährlicher Gewalthandlungen ein gewichtiges Beweisanzeichen dar, jedoch ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38 jeweils m.w.N.). In diese Prüfung sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation mit einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39). Dies hat das Landgericht aber auch bei seinen Erwägungen, mit denen es das Willenselement des bedingten Vorsatzes bejaht hat, beachtet. Insbesondere hat es dabei entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts das Nachtatverhalten des Angeklagten nicht außer acht gelassen. Daraus, dass der Angeklagte nach dem Abspringen der Beilklinge sein aggressives Verhalten nunmehr durch Schläge mit dem Beilstiel gegen seine Ehefrau richtete, durfte das Landgericht den Schluss ziehen, dass der Angeklagte schon beim ersten Beilhieb (zumindest) mit bedingtem Tötungsvorsatz auch in Bezug auf seine Ehefrau handelte.
- 12
- Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte, dass der Angeklagte trotz der erkannten Lebensgefährlichkeit des Schlages mit dem Beil auch für seine Ehefrau ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51) darauf vertraut haben könne, es würde seine Ehefrau nicht zu Tode kommen , sind nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern.
- 13
- 2. Auch die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung des Strafrahmens und die Bemessung der Strafe halten rechtlicher Prüfung stand.
- 14
- Die Strafzumessung, zu der auch die Frage gehört, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen. Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 3, 179; 24, 268). Das Revisionsgericht darf die Gesamtwürdigung nicht selbst vornehmen, sondern nur nachprüfen, ob dem Tatrichter bei seiner Entscheidung ein Rechtsfehler unterlaufen ist (vgl. BGHSt 29, 319, 320; BGH StV 2002, 20; BGH, Urt. vom 20. April 2004 - 5 StR 87/04). Das ist hier nicht der Fall.
- 15
- a) Das Landgericht hat einen minder schweren Fall im Sinne der zweiten Alternative des § 213 StGB nur unter Heranziehung auch des vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB bejaht. Es hat deshalb unter Hinweis auf § 50 StGB von einer Milderung des Strafrahmens des § 213 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen (vgl. BGHR StGB § 50 Mehrfachmilderung 1; BGH StV 1992, 371).
- 16
- Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht ohne Rechtsfehler die vorliegenden unbenannten Strafmilderungsgründe für sich genommen als nicht ausreichend erachtet, einen minder schweren Fall zu bejahen. Eines Eingehens auf das Verhalten des Tatopfers nach der Tat bedurfte es dabei nicht. Dass die Ehefrau des Angeklagten keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hat, sondern weiter Alkohohl getrunken hat, vermag die Schuld des Angeklagten nicht zu mindern. Nach den Feststellungen hat sie, ebenso wie der Angeklagte, die Schwere ihrer Verletzung verkannt. Die Revision lässt zudem außer acht, dass die Zeugin S. am Abend des Tattages dem Angeklagten anbot, einen Krankenwagen zu rufen, was dieser ablehnte. Die strafschärfende Erwägung, dass sich die Tatbegehung „sehr dicht an der Grenze des Mordmerkmals der Heimtücke“ bewege, begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat das Landgericht zugunsten des Angeklagten die subjektive Tatseite dieses Mordmerkmals verneint. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Art des Angriffs gänzlich als Belastungsfaktor ausscheiden muss (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 294). Wie sich den Urteilsausführungen entnehmen lässt, war sich die Kammer bewusst, dass dieser Tatumstand dem Angeklagten nur eingeschränkt anzulasten ist.
- 17
- b) Die Bemessung der Strafhöhe lässt auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Insbesondere war es dem Landgericht hier nicht verwehrt, auf die Umstände, die schon zur Bestimmung des Strafrahmens gedient haben, Bezug zu nehmen (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 21). Die erkannte Strafe löst sich entgegen der Auffassung der Revision nicht nach oben von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein. Sie liegt vielmehr innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsrahmens und ist daher vom Revisionsgericht hinzunehmen.
Ernemann Mutzbauer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz verneint und den Angeklagten deshalb nicht auch wegen tateinheitlichen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen schubsten sich der Angeklagte sowie der Nebenkläger und beleidigten sich gegenseitig. Der Nebenkläger war bereit, sich gegen die von ihm erwarteten Schläge des Angeklagten zu wehren und sich mit ihm zu schlagen. Der Angeklagte drohte dem Nebenkläger, ihn abzustechen und nahm ein mitgeführtes Klappmesser in die Hand. Als der Nebenkläger, der anfangs die Drohung nicht ernst genommen und weiterhin die Konfrontation gesucht hatte, das Messer sah, wich er aus Furcht nach hinten aus und beendete die Beleidigungen. Der Angeklagte folgte ihm und versetzte ihm mit einer schlagenden Bewegung einen Messerstich in den linken Brustkorb. Das Messer drang von oben unterhalb der linken Achsel durch die Rippenbögen in den Körper ein und verletzte den Geschädigten schwer.
- 3
- Das Landgericht ist in seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit direktem Körperverletzungsvorsatz zugestochen hat. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der Angeklagte habe zwar durch den Stich in den Brustkorb des Geschädigten eine hochgradig gefährliche Gewalthandlung vorgenommen und auch erkannt, dass diese tödlich sein könne. Bei umfassender Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände könne daraus jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf eine Billigung des Todes geschlossen werden. Der Angeklagte habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand beträchtlicher affektiver Erregung befunden, sei durch den Konsum von Alkohol und Rauschgift erheblich enthemmt gewesen und durch die Beleidigungen seitens des Nebenklägers spontan zu dem Messerstich hingerissen worden, wobei er diesen vom Herzen weg geführt habe. Aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit habe er gemeint, sich nur mit dem Messer Respekt verschaffen zu können. Er habe erst zugestochen, nachdem der Geschädigte seine Drohung nicht ernst genommen habe. Zudem sei kein Motiv für eine Tötung ersichtlich. Die Äußerung "ich steche dich ab" sei nur eine Machtdemonstration gewesen und habe keine Indizwirkung für einen bedingten Tötungsvorsatz. Der Angeklagte habe lediglich einen einzelnen Messerstich ausgeführt und sei unmittelbar nach der Tat nicht geflüchtet.
- 4
- 2. Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
- 5
- a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsge- richtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt sowie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle bei solchen Delikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4; BGH, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24; BGH, Urteil vom 24. März 1993 - 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35; BGH, Urteil vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55; BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 259/05, NStZ-RR 2006, 9 f.). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009,
91).
- 6
- b) Diesen rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Es hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in seine Überlegungen einbezogen und insbesondere ges ehen, dass der Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Auch hat es sich mit der ausgesprochenen Drohung "ich steche dich ab, du bist tot" auseinandergesetzt. Soweit es wegen des in affektiver Erregung und unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol und Rauschgift spontan ausgeführten einzelnen Messerstichs , der körperlichen Unterlegenheit des Angeklagten, der vom Herzen wegführenden Stichbewegung, des fehlenden Tötungsmotivs und des Nachtatverhaltens des Angeklagten seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes nicht hat überwinden können, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen dargestellt hat - die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB unzureichend begründet. Dieser Rechtsfehler schlägt jedoch nicht auf die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz durch; denn entscheidend ist insoweit, dass der Angeklagte, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, nach den Urteilsfeststellungen die Tat aus einem spontanen, intoxikationsbedingten Handlungsimpuls heraus begangen hat. Die gegen die Überzeugungsbildung der Strafkammer vorgebrachten Beanstandungen des Be- schwerdeführers erschöpfen sich in einer eigenen Beweiswürdigung mit zum Teil urteilsfremdem Vorbringen und zeigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargestellten Gründen keinen Rechtsfehler auf.
- 7
- 3. Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob die sachverständig beratene Strafkammer rechtsfehlerhaft eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten bejaht und deshalb der Strafzumessung zu Unrecht den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung zugrunde gelegt hat. Denn die Nachprüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich bei der Revision eines Nebenklägers lediglich darauf, ob der Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts rechtsfehlerhaft unterblieben ist, nicht aber auf die Fehlerfreiheit der Strafzumessung. Dies folgt daraus, dass der Strafausspruch des abgeurteilten Nebenklagedeliktes gemäß § 400 Abs. 1 StPO selbst nicht Gegenstand einer zulässigen Revisionsrüge eines Nebenklägers sein kann. Diesem Anliegen des Gesetzgebers würde es widersprechen, wenn eine solche Nachprüfung des Strafmaßes allein dadurch erreicht werden könnte, dass die fehlerhafte Nichtaburteilung eines (weiteren) tateinheitlich begangenen - möglicherweise völlig fern liegenden - Nebenklagedelikts gerügt wird (BGH, Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 106/02, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 3; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 400 Rn. 7). Becker von Lienen Sost-Scheible Hubert Mayer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Jugendstrafe. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils des Jugendschöffengerichts Stade vom 5. Juni 1998 (Jugendstrafe von einem Jahr mit Strafaussetzung zur Bewährung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung ) zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, daß dasLandgericht in den zwei Fällen, in denen der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, den bedingten Tötungsvorsatz mit fehlerhafter Begründung verneint hat. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Nach den Feststellungen schlug der bereits mehrmals wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilte Angeklagte in einer Diskothek dem Auszubildenden M. mit der Faust in das Gesicht, nachdem es zuvor zwischen einem Freund des Angeklagten und dem Geschädigten zu einer Rempelei auf der Tanzfläche gekommen war. Daraufhin schlug ein Ordner so heftig in das Gesicht des Angeklagten, daß dieser einen stark blutetenden Nasenbeinbruch davontrug, und entfernte ihn aus der Diskothek.
Der alkoholisierte Angeklagte, der benommen und wütend über die Behandlung durch den Ordner war sowie erhebliche Schmerzen verspürte, bewaffnete sich mit einem Baseballschläger. Als kurze Zeit später M. und seineBekannten Ma. , B. und K. die Diskothek friedlich verließen, wurden sie von dem Angeklagten und weiteren mit einer Eisenstange und einer Flasche bewaffneten Personen angegriffen. Der Angeklagte holte beidhändig mit dem Baseballschläger aus und schlug nacheinander gezielt und wuchtig auf die Köpfe des Ma. und des K. ein, um diese auszuschalten. Obwohl Ma. beide Hände zum Schutz über seinen Kopf gehalten hatte, fiel er nach dem Schlag bewußtlos zu Boden. Er erlitt u.a. eine starke Schwellung an der rechten Hand, einen Splitterbruch am kleinen Finger, eine Gehirnerschütterung und Prellungen. K. wurde durch den Schlag sofort bewußtlos, fiel "um wie ein Baum" und erlitt eine lebensbedrohende beiderseitige Schädelkalottenfraktur mit Blutergüssen innerhalb des Schädels. Er mußte dreieinhalb Wochen lang stationär
behandelt werden und leidet noch heute an Konzentrationsstörungen und gelegentlichen Kopfschmerzen. Es besteht die Gefahr von Spätfolgen in Form epileptischer Anfälle.
2. Gegen die Begründung, mit der das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz abgelehnt hat, bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
a) Rechtsfehlerfrei hat das Tatgericht das Wissen des Angeklagten um die möglicherweise tödliche Wirkung der Schläge als erwiesen angesehen. Gleichwohl hat es sich nicht davon überzeugen können, daß der Angeklagte den Tod der Nebenkläger billigend in Kauf genommen hat. Dazu hat es im wesentlichen ausgeführt:
Zwar sei die objektive Gefährlichkeit der mit großer Kraft ausgeführten Schläge ein Indiz für einen Tötungsvorsatz. Wegen der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung sei jedoch auf Grund einer Gesamtabwägung aller objektiven und subjektiven Umstände zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen , daß er auf das Ausbleiben eines tödlichen Ausgangs vertraut habe. Gegen einen Tötungsvorsatz spreche, daß der Angeklagte jeweils nur einen Schlag ausgeführt und auf die am Boden liegenden Nebenkläger nicht weiter eingeschlagen habe; weiterhin, daß er zwar den Baseballschläger vom Parkplatz geholt, diesen aber wohl nicht geplant, sondern eher spontan und impulsiv eingesetzt habe. Zur Kompensation seiner Wut über die üble Behandlung durch den Ordner - dem in Betracht kommenden Tatmotiv - hätte es ausgereicht , die Geschädigten niederzuschlagen; deren Tod sei hierzu nicht erforderlich gewesen. Auch die Würdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, sein psychischer und körperlicher Zustand zum Tatzeitpunkt sowie der gruppendynamische Einfluß ließen an der Billigung des Todes zweifeln.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, wobei dies bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38 jeweils m.w.Nachw.). Ferner sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39).
c) Die Jugendkammer geht bei ihren Erwägungen zwar im Ansatz von diesen Kriterien aus. Ihre Ausführungen lassen jedoch besorgen, daß sie dem äußeren Tatgeschehen nicht den ihm zukommenden hohen Indizwert für die Billigung des Todes eingeräumt hat. Das festgestellte gezielte, beidhändige und kraftvolle Schlagen mit dem schweren Baseballschläger auf den für schwerste und tödliche Verletzungen sehr anfälligen Kopf im Bewußtsein einer möglicherweise tödlichen Wirkung und die dadurch verursachten - in einem Fall lebensbedrohenden - Verletzungen legen die Billigung des Todes wegen der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB) sehr nahe. Dies gilt vor allem deshalb, weil das wuchtige Zuschlagen mit einem schweren Baseballschläger im einzelnen nicht mehr kontrollierbar ist und Abwehr- und Ausweichbewegungen eines Opfers wenig erfolgversprechend sind. In einem solchen Fall darf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten nicht dahin mißverstanden werden, daß durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als einem gewichtigen, auf Tö-
tungsvorsatz hinweisenden Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung in Frage gestellt werden soll und dieser Beweisgrund den Schluß auf Tötungsvorsatz in aller Regel nicht tragen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35).
d) Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, daß der Angeklagte trotz der - von ihm erkannten - Lebensgefährlichkeit der Schläge ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 24) darauf vertraut haben könnte, es würden die angegriffenen Nebenkläger nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB).
Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht das Unterlassen weiterer Schläge nicht gegen die Billigung des Todes. Da es dem Angeklagten jeweils mit einem Schlag gelungen ist, seine Gegner bewußtlos zu Boden stürzen zu lassen und dadurch - wie beabsichtigt - "auszuschalten" (UA S. 6, 17), hatte er sein Ziel erreicht. Somit waren weitere Schläge auf die am Boden liegenden Opfer zur Zweckerreichung nicht erforderlich. Das Unterlassen weiterer Schläge ist nur für die Frage des Rücktritts vom Versuch eines Tötungsdelikts von Bedeutung.
Der Schluß des Tatrichters, daß der Angeklagte eher spontan und impulsiv gehandelt hat, was eine realistische Einschätzung der Gefahrenlage beeinträchtigt haben könnte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38), findet in den Feststellungen keine ausreichende Stütze, abgesehen davon, daß dies eine Billigung des Todes nicht ausschließen würde. Die Einsichtsund Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war weder durch die Alkoholisierung
noch seinen psychischen Zustand erheblich eingeschränkt (UA S. 18 f.). Der Angriff war nach seiner Entfernung aus der Diskothek geplant und vorbereitet, was sich aus der Bewaffnung der Angreifer und dem sofortigen Angriff auf die die Diskothek friedlich verlassenden Tatopfer ergibt.
Weiterhin hat die Jugendkammer die Persönlichkeit des Angeklagten, der nach ihrer Überzeugung "leicht aufbraust und bereits auf leichte Provokationen mit unangemessenen Aggressionen reagiert", unvollständig gewürdigt; er ist bereits zweimal wegen Körperverletzung in insgesamt fünf Fällen verurteilt worden. Nicht ausreichend berücksichtigt hat sie insbesondere die geringe Hemmschwelle des Angeklagten hinsichtlich besonders gefährlicher Gewalthandlungen , die sich auf Grund seines Vorlebens aufdrängte. So hatte der Angeklagte am 7. Dezember 1997 dem Freund seiner früheren Freundin aus Eifersucht mit einem Besteckmesser in den Nacken gestochen, wobei eine erhebliche Verletzung nur deshalb nicht entstand, weil sich das Messer verbog (UA S. 4).
Das Fehlen eines einsichtigen Beweggrundes für die Tötung eines Menschen braucht jedenfalls bei der gegebenen Sachlage nicht gegen die Billigung des Todes zu sprechen (vgl. BGH NStE Nr. 27 zu § 212 StGB). Die Verwirklichung des vom Angeklagten angestrebten Ziels, die Nebenkläger auszuschalten , ist angesichts der lebensgefährdenden Umstände, unter denen dies geschah , durchaus damit in Einklang zu bringen, daß ihm die als möglich erkannte Tötung gleichgültig war. Schon dies würde für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ausreichen (BGHSt 40, 304, 306). Daß dem Angeklagten der Tod der Tatopfer möglicherweise unerwünscht war, stünde dem
nicht entgegen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 42 m.w.Nachw.).
3. Da somit der bedingte Tötungsvorsatz nicht rechtsfehlerfrei verneint worden ist, ist der Schuldspruch in den z wei Fällen der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung aufzuheben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tathergang können bestehen bleiben; ergänzende Feststellungen sind zulässig. Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs führt auch zur Aufhebung der verhängten Jugendstrafe.
4. Der neue Tatrichter wird die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles erneut prüfen und gegebenenfalls das Vorliegen des Mordmerkmals eines niedrigen Beweggrundes in Betracht ziehen müssen. Sollte er zur Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes kommen, wird er auch die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch zu prüfen haben. Dabei könnten die vom Angeklagten vorsätzlich geführten lebensgefährdenden Schläge, die erkannte Bewußtlosigkeit der Opfer und die Schwere der Verletzungen der Annahme eines unbeendeten Versuchs entgegenstehen (vgl. BGHSt 31, 170, 177; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 24 Rdn. 4 ff.; Lackner/Kühl, StGB
23. Aufl. § 24 Rdn. 4). Für den Fall der Bejahung eines bedingten Tötungsvorsatzes weist der Senat darauf hin, daß das versuchte Tötungsdelikt in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung stünde (BGHSt 44, 196 ff.).
Kutzer Miebach RiBGH Winkler ist durch Urlaub v erhindert zu unterschreiben. Kutzer Pfister von Lienen
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten sowie dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zum Nachteil des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der erheblich alkoholisierte (BAK von maximal 2,5 ‰) Angeklagte in einer Diskothek mit einem anderen Gast in Streit. Als der Nebenkläger mit Blick zum Angeklagten zwischen die Kontrahenten trat, um die Auseinandersetzung zu beenden, drang der Angeklagte auf ihn ein, zog ein Messer und stach damit in Richtung von dessen Kopf. Er traf ihn am Kinn und verursachte dort eine Stichverletzung. Ein Ein- dringen des Messers in den Hals wurde dadurch verhindert, dass das Messer auf den Kieferknochen traf. Dem Nebenkläger gelang es, dem Angeklagten, der weiterhin auf ihn einstach und ihm noch zwei kleinere Stichwunden an der Hand zufügte, das Messer zu entwinden.
- 3
- Das Landgericht hat direkten Verletzungsvorsatz angenommen, sich hingegen von einem (auch nur bedingten) Tötungsvorsatz nicht zu überzeugen vermocht. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die generelle Gefährlichkeit von Stichverletzungen im Kopfbereich zwar für einen solchen Vorsatz sprechen könnte; wegen der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten im Tatzeitpunkt , des Fehlens eines (nachvollziehbaren) Tötungsmotivs und der bei der Begehung von Tötungsdelikten generell hohen Hemmschwelle könne die Kammer jedoch nicht ausschließen, dass der Angeklagte auf das Ausbleiben tödlicher Verletzungen vertraut habe.
- 4
- 1. Die Ablehnung des bedingten Tötungsvorsatzes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 5
- Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig zu prüfen, ob der Täter, der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt, wobei dies bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegt. Ferner sind vor allem die konkrete Angriffsweise, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
- 6
- Diese sorgfältige Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Es wird schon nicht erkennbar, ob die Kammer bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand (zur Bedeutung des Wissens- und des Willenselements bei der Prüfung des bedingten Vorsatzes vgl. BGH NStZ-RR 2006, 9 m. w. N.). Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel der Strafkammer auch am Wissenselement sprechen; die Erörterung der Motivlage und der Hemmschwelle könnte sich auf das Willenselement beziehen. Erkannte der Angeklagte jedoch, wozu sich das Urteil nicht verhält, trotz seiner Alkoholisierung die äußerste Gefährlichkeit eines mit einem Messer geführten Stiches in Richtung der für tödliche Verletzungen in hohem Maße anfälligen Kinn- und Halspartie, dann liegt bei der hier gegebenen Tatgestaltung auch die Billigung des Todes durchaus nahe. Denn der Angeklagte "fuchtelte" nicht etwa ziellos mit dem Messer herum und traf dabei (zufällig) mit dessen Spitze das Kinn des Nebenklägers, sondern stach nach den Feststellungen zielgerichtet in Richtung des Kopfes des Nebenklägers.
- 7
- Soweit das Landgericht auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten abstellt, darf diese nicht dahin missverstanden werden, dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als einem gewichtigen, auf einen Tötungsvorsatz hinweisenden Beweisanzeichen in der praktischen Rechtsanwendung in Frage gestellt werden soll und dieser Beweisgrund den Schluss auf einen Tötungsvorsatz in aller Regel nicht tragen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51 m. w. N.).
- 8
- Hinzu kommt, dass die Erwägung des Landgerichts, für den Angeklagten habe es "keinen Grund" gegeben, den die Auseinandersetzung schlichtenden Nebenkläger zu töten, nicht gegen eine Billigung des Todes spricht und deshalb für die Überzeugungsbildung hinsichtlich eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes an Bedeutung verliert. Der für möglich erkannte Erfolg muss den Wünschen des Täters nicht entsprechen (vgl. BGHSt 7, 363, 369). Allenfalls hochgradig interessenwidrige Tatfolgen widerstreiten der Annahme einer Billigung des Erfolges durch einen in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten, ohnehin überaus unüberlegt handelnden Täter (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 51, 61 jew. m. w. N.). Zuletzt lässt das Landgericht außer Betracht , dass der Angeklagte nicht nur einmal, sondern mit dem Messer noch weiter in Richtung des Nebenklägers stach; dies hätte als ein Indiz dafür, dass er nicht auf einen glimpflichen Ausgang vertraute, erörtert werden müssen.
- 9
- 2. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich sowohl eine nähere Beschreibung des Tatwerkzeugs als auch eine Darstellung der Taten empfehlen wird, die zu den erheblichen Vorstrafen des Angeklagten wegen zahlreicher Gewaltdelikte geführt haben; letzteres auch mit Blick darauf, dass das Landgericht wegen der nicht ausschließbaren erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund des Alkoholkonsums eine Strafrahmenverschiebung vorgenommen und sich dabei nicht damit auseinandergesetzt hat, dass nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei selbstverschuldeter Trunkenheit eine Strafrahmenverschiebung in der Regel nicht mehr in Betracht kommt (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31, 33, 37; einschränkend BGHR aaO 35; BGH NStZ 2008, 619). Für einen Ausnahmefall (vgl. hierzu NStZ-RR 2009, 230) bestehen bislang keine Anhaltspunkte. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von sieben weiteren Tatvorwürfen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, so unter anderem die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts und die Nichtanwendung des § 225 Abs. 1 und 3 StGB für einige Taten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
- 2
- a) Der Angeklagte ist der Vater der am 28. März 1999 geborenen M. M. . Seine Tochter lebte bis Sommer 2005 von ihm getrennt bei ihrer Mutter. Nachdem das Jugendamt die Mutter für überfordert erachtet hatte, das Kind zu erziehen, erklärte sich der Angeklagte bereit, M. zu sich zu nehmen. Altersgerecht entwickelt zog sie am 17. Oktober 2005 zu ihrem Vater, der mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen ein und zwei Jahre alten Töchtern zusammenlebte. Während die jüngeren Kinder angemessen versorgt wurden, bekam M. nur unzureichend zu essen, so dass sie Hunger litt. Sie erhielt hauptsächlich über mehrere Tage hinweg nur „Buchstabensuppe“. Auch wenn sie um weitere Nahrung bat, bekam sie nichts anderes zu essen. M. magerte sichtbar ab, sie wurde immer schwächer und apathisch. Schon kurze Zeit nach ihrem Einzug misshandelte der Angeklagte das Mädchen mindestens einmal täglich schwer. Er ließ sie Rechen- und Schreibübungen durchführen, welche die gerade erst eingeschulte M. nicht bewältigen konnte, was er zum Anlass für Misshandlungen und zur Nahrungsverweigerung nahm. M. ging nicht zur Schule; der Angeklagte hatte sie dort entschuldigt. Gegenüber seiner Lebensgefährtin , die er mit Gewalttätigkeiten davon abhielt, M. zu helfen, äußerte er mehrfach, dass er „die Missgeburt am liebsten im Kanal versenken würde“.
- 3
- b) Im Einzelnen führte der Angeklagte zwischen dem 28. Oktober und 28. November 2005 folgende Handlungen aus, wobei er aus gefühlloser und fremdes Leiden missachtender Gesinnung seiner Tochter Schmerzen zufügen wollte:
- 4
- (II. 1. der Urteilsgründe) Mit Händen und einem Badeschuh schlug er so häufig auf das nackte Gesäß M. s ein, dass die Haut an mehreren Stellen aufplatzte und blutete.
- 5
- (II. 2.) Mit einem harten, länglichen Gegenstand schlug er auf die Hände seiner Tochter, wodurch diese stark anschwollen. Schließlich biss er ihr kräftig in die linke Hand, so dass eine später vereiterte Fleischwunde entstand.
- 6
- (III. 3. – 5.) In drei Fällen duschte er die nackte M. mit kaltem Wasser ab und sperrte sie ungeschützt, der kalten Witterung ausgesetzt, für mindestens jeweils 30 Minuten auf den Balkon, wobei er sie zwischendurch noch mit kaltem Wasser begoss. In einem Fall fasste er ihr anschließend an die Schamlippen und verdrehte diese, um ihr besondere Schmerzen zu bereiten und sie zu demütigen. In zwei Fällen versetzte er ihr mehrere Faustschläge in den Unterbauch.
- 7
- (II. 6.) Er hob M. an den Haaren hoch, ließ sie auf den Fußboden fallen und versetzte ihr mehrere Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Kopf.
- 8
- (II. 7. und 8.) Nachdem M. Schreibübungen an zwei aufeinander folgenden Tagen nicht zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte, bestimmte er sie jeweils dazu, eine Tasse mit heißer Flüssigkeit über mehrere Minuten auf dem Kopf zu balancieren. Infolge der Druck- und Hitzeeinwirkung starb das Kopfgewebe auf einer Fläche von 15 Zentimetern Durchmesser. Die Wunde infizierte sich, und es kam zur Eiterbildung zwischen Schädel und Kopfhaut; bei ungehinderter Entwicklung hätte diese Verletzung zum Tod geführt.
- 9
- (II. 9. – 31.) In 23 Fällen schlug der Angeklagte kräftig, wahllos und teilweise auch mehrfach auf seine Tochter ein, wodurch diese zahlreiche, teilweise großflächige Hämatome und Hautverfärbungen, Rötungen, Schwellungen, Vernarbungen , Einblutungen der Augen und Vereiterungen erlitt.
- 10
- (II. 32.) Er fesselte die Hände seiner auf dem Boden liegenden Tochter eine ganze Nacht hindurch mit Handschellen an das Bein eines Sofas und band ihre Beine an einem Tisch fest.
- 11
- (II. 33.) Mehrere Tage vor dem 28. November 2005 gab der Angeklagte in Kenntnis des durch die mangelhafte Versorgung und die zahlreichen Verletzungen schlechten und ausgezehrten Zustands seiner Tochter ihr nichts mehr zu essen und zu trinken, um ihr weitere Leiden zuzufügen. Dadurch verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand dramatisch, sie konnte sich nicht mehr ihre Schlafanzughose anziehen und später nicht mehr alleine stehen. Der Angeklagte erkannte, dass sich M. in schwerer, ihr Leben beeinträchtigender Gefahr befand, wenn er ihr weiterhin Nahrung und Getränke versagen würde. Dennoch bestimmte er, dass sie weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bekam; dadurch litt das Mädchen ständig großen Hunger und Durst.
- 12
- c) Am 28. November 2005 erschien eine Familienhelferin, die den schlechten Zustand M. s erkannte und sie dem Zugriff des Angeklagten entzog. M. litt infolge der mangelnden Versorgung an borkigen Vertrocknungen mit Schorfablagerungen an den Lippen, ihre Leberenzymwerte waren erhöht, Albumin- und Hämatokritwerte herabgesetzt und die Gallenflüssigkeit verdickt. Ihr Zustand war sowohl wegen der Unterversorgung als auch wegen der Kopfverletzung potentiell lebensbedrohlich. Sie wurde bis zum 17. Dezember 2005 intensivmedizinisch und noch weitere zwei Wochen stationär behandelt. Aufgrund des Gesamtgeschehens war M. psychisch stark beeinträchtigt und traumatisiert. Mit Hilfe mehrerer Hauttransplantationen konnte der Umfang der Kopfverletzung verringert werden.
- 13
- 2. Das Landgericht hat die Taten zu II. 1., 2., 7., 8. und 33. seiner Urteilsgründe als Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da das Leben der Geschädigten noch nicht konkret gefährdet gewesen sei und die Kopfverletzung durch ärztliches Eingrei- fen nicht zu einer dauerhaften Entstellung geführt habe. Zudem sei zwar der körperliche und seelische Zustand des Kindes durch die Tathandlungen schwer geschädigt, diese Folgen seien aber dem Gesamtgeschehen und nicht einer einzelnen Tat zuzuordnen. Die Taten zu II. 3. bis 5. und 32. hat die Strafkammer als Misshandlung von Schutzbefohlenen, bei der Tat zu II. 32. in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewertet. Die Taten zu II. 6. und 9. bis 31. hat es jeweils als vorsätzliche Körperverletzung gewürdigt.
- 14
- 3. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Verurteilungsfälle beschränkt. Zwar hat die Revisionsführerin einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Der ausgeführten Sachrüge ist indes im Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt zu entnehmen , dass der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nur die Verurteilungsfälle erfasst und die in der Revisionsbegründung an keiner Stelle erwähnten Teilfreisprüche nicht angegriffen sind (vgl. BGH wistra 2007, 112, 113 m.w.N.).
- 15
- 4. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, soweit es das Landgericht in Fall 33 unterlassen hat, seine Kognition auf das Vorliegen eines versuchten Tötungsdelikts – wie angeklagt und zur Hauptverhandlung zugelassen – zu erstrecken.
- 16
- Angesichts der getroffenen Feststellungen hätten sich Ausführungen zu einem möglichen Tötungsvorsatz aufgedrängt. Insbesondere das Maß der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung, die vom Angeklagten erkannten Folgen seines Handelns, die geradezu systematisch anmutende Misshandlung des Mädchens in einem wenige Wochen betragenden Zeitraum sowie die Persönlichkeit des Angeklagten hätten in die gebotene Gesamtbetrachtung zum Vorliegen eines Tötungsvorsatzes miteinbezogen werden müssen.
- 17
- a) So hätte erwogen werden müssen, dass der Angeklagte in Kenntnis seiner Garantenstellung der durch seine Handlungen in wenigen Wochen be- reits abgemagerten, geschwächten und an zahlreichen Verletzungen leidenden Tochter mehrere Tage weder Nahrungs- noch Flüssigkeitsaufnahme ermöglichte , obwohl sie danach verlangte. Den Angaben der Zeugen und Sachverständigen , denen die Strafkammer uneingeschränkt folgt, lassen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dieser Zeitraum vier bis fünf Tage betragen hat. Die medizinischen Sachverständigen haben hierzu ausgeführt, dass die Verdickung der Flüssigkeit in der Gallenblase und der Zustand der Lippen der Geschädigten darauf schließen lassen, dass diese vier bis fünf Tage vor der Untersuchung am 28. November 2005 keine Nahrung und über längere Zeit hinweg wenig oder mitunter gar keine Flüssigkeit zu sich genommen habe; bei kleineren Kindern, wie der hier geschädigten M. , könnten eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr und ein Gewichtsverlust viel schneller gesundheitsschädigende Folgen haben als bei Erwachsenen. Dem entspricht, dass sich M. am 28. November 2005 durch die mangelnde Versorgung in einem potentiell lebensbedrohlichen Zustand befand.
- 18
- b) Diese Gefährlichkeit war für den Angeklagten auch erkennbar. Das sechsjährige Mädchen war nach den Urteilsausführungen nur noch Haut und Knochen, sie konnte nicht mehr allein stehen und sich kaum aufrecht halten oder bewegen. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer hieraus den nahe liegenden Schluss gezogen, dass der Angeklagte die schwere, das Leben beeinträchtigende Gefahr, in der sich M. befand, erkannte, sie aber dennoch von Nahrung und Flüssigkeit abhielt, um ihr weitere Leiden zuzufügen, sie zu erniedrigen und zum Objekt seiner Willkür zu machen.
- 19
- c) Darüber hinaus hätten aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten seiner Tochter gegenüber, auch wenn die meisten der gravierenden Misshandlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren, sowie aus der Persönlichkeit des Angeklagten, die – wie festgestellt – durch einen besonderen Mangel an Empathie, vollständige Abwesenheit eines moralischen Wertesystems und ein seine Selbstwertdefizite kompensierendes Dominanzstreben gekenn- zeichnet ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite gezogen werden können.
- 20
- d) Angesichts dieser Tatsachen ist das gänzliche Fehlen einer Erörterung , ob der Angeklagte den Tod seiner Tochter geistig vorweggenommen und gebilligt hat – auch unter Berücksichtigung, dass die Billigung der Tötung des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06) – rechtsfehlerhaft, da sie die Besorgnis begründet, das Tatgericht habe die Möglichkeit einer Strafbarkeit gemäß §§ 211, 212, 22, 13 StGB nicht hinreichend bedacht.
- 21
- e) Sollte das neue Tatgericht zur Annahme eines Tötungsvorsatzes gelangen , so wird es Gelegenheit haben, das Vorliegen von Mordmerkmalen, namentlich der Grausamkeit (vgl. dazu BGH NStZ 2007, 402, 403), zu prüfen.
- 22
- 5. Auch die rechtliche Bewertung im Übrigen begegnet durchgreifenden Bedenken.
- 23
- a) Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt hat, soweit es die Voraussetzungen des qualifizierten Tatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB abgelehnt hat. Die Ausführungen, zwar habe der Angeklagte eine erhebliche Schädigung der körperlichen und der seelischen Entwicklung bei der Geschädigten verursacht, dies könne aber keiner einzelnen Tat, sondern nur dem Gesamtgeschehen zugeordnet werden, lassen besorgen, dass das Landgericht die Deliktsstruktur des § 225 StGB verkannt und dadurch dem Unrechtsgehalt des festgestellten Geschehens nicht ausreichend Rechnung getragen hat. Gleiches gilt für die Würdigung, die Feststellungen zu II. 6. und 9. bis 31. führten lediglich zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen, wobei eine Strafbarkeit nach § 225 StGB unerörtert bleibt.
- 24
- Die Strafkammer hat jeden Einzelakt der schmerzhaften Einwirkung auf die Geschädigte isoliert betrachtet, eine rechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer deliktischen Einheit im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. BGHSt 43, 1, 3; BGHR StGB § 99 Ausüben 6; zu § 225: Warda , FS-Hirsch, S. 391 ff.; Hirsch in LK, 11. Aufl. § 225 Rdn. 12) hat es indes nicht erwogen. Dazu hätte aber angesichts der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung des § 225 Abs. 1 StGB – in der Tatbestandsvariante des Quälens – sowie der zeitlichen, situativen und subjektiven Zusammengehörigkeit der Einzelakte Anlass bestanden. Für den Fall einer zusammenfassenden rechtlichen Bewertung drängen sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen der Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB auf.
- 25
- aa) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden (BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 8a). Dieses Tatbestandsmerkmal wird typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht; oft macht erst die ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt aus (BGHSt 41, 113, 115; BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Hardtung in MünchKomm-StGB 2003 § 225 Rdn. 14). Deswegen stellt jedenfalls das auf Dauer angelegte Quälen als Handlungskomplex eine Handlungseinheit dar (Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 225 Rdn. 12).
- 26
- bb) Für eine Verknüpfung der Handlungen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in diesem Sinne spricht die äußere und innere Geschlossenheit des Tatgeschehens. Neben der Identität des Opfers und der Kontinuität der Tatsituation – sämtliche Taten spielten sich in der Wohnung des Angeklagten ab – wird der Handlungskomplex vor allem durch die zeitliche Dichte der Misshandlungen geprägt. So kam es mindestens jeden Tag zu körperlicher Misshandlung , teilweise dauerten diese, wie die mangelhafte Versorgung, auch über den gesamten Tatzeitraum fort (anders im Tatsächlichen BGH NStZ-RR 2006, 42). Ferner kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass das Ge- samtgeschehen durch die durchgehend ablehnende Haltung des Angeklagten seiner Tochter gegenüber und seine ohne Zäsur vorhandene gefühllose, ihr Leiden missachtende Gesinnung ein einheitliches subjektives Gepräge erhält. Danach liegt sogar nahe, dass der Angeklagte einen den Tatzeitraum überspannenden Vorsatz hatte, M. bei gegebenem Anlass erneut zu misshandeln.
- 27
- b) Auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Anwendung des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB namentlich bezogen auf die Einzelfälle II. 7, 8 und 33 ausschließt, begegnen durchgreifenden Bedenken.
- 28
- Eine schwere Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 zweite Variante StGB liegt schon dann vor, wenn die Gesundheit des Betroffenen ernstlich, einschneidend oder nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl. Schroth NJW 1998, 2861, 2865). Diese Voraussetzung ist jedenfalls immer dann zu bejahen, wenn intensivmedizinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit und/oder zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen notwendig sind (vgl. Schroth, aaO). Solches war hier hinsichtlich der Kopfverletzungen und des durch Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung hervorgerufenen Allgemeinzustandes der Fall.
- 29
- 6. Im Anschluss an BGH NStZ 2005, 268 verneint der Senat mit dem Generalbundesanwalt ein Sexualdelikt; allein insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos.
- 30
- 7. Dem Senat ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen verwehrt, zum Schuldspruch durchzuentscheiden. Die hier an materiellrechtliche Voraussetzungen geknüpfte Frage, ob insgesamt Tateinheit anzunehmen sein wird, und die Voraussetzungen eines Tötungsdeliktes – wofür insbesondere der Umstand, wie lange M. Nahrung und Flüssigkeit gänzlich vorenthalten wurden und der subjektive Tatbestand ergänzend aufzuklären sein werden – sowie die die Qualifikationstatbestände des § 225 Abs. 3 StGB begründenden Umstände bedürfen neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung. Deshalb sind die bisherigen Feststellungen aufzuheben. Ausgenommen sind allerdings diejenigen zu den äußeren Tatumständen, die auch von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen werden. Dadurch erscheint eine erneute Vernehmung des geschädigten Kindes vermeidbar. Darauf sollte das neue Tatgericht Bedacht nehmen. Die noch näher aufzuklärenden zeitlichen Umstände des vollständigen Nahrungsentzuges werden mit der Gedächtnisleistung eines Kindes kaum zu ermitteln sein.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) schwerer Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers H in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen Ho ,
b) gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers S und
c) gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen Pa verurteilt ist, ferner im Gesamtstrafausspruch.
Die Aufhebung des Urteils zu a) und b) erfolgt auch auf die Revisionen der Nebenkläger H und S .
2. Die Revision des Angeklagten C gegen das genannte Urteil wird verworfen. Er hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der übrigen Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten C wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen den gesamten Schuldspruch. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt – wie die Nebenkläger H und S , soweit diese betroffen sind – in den drei Fällen, in denen die Nebenkläger und der Zeuge Pa verletzt wurden, eine weitergehende Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben Erfolg. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen : Der zur Tatzeit 23 Jahre alte türkische Angeklagte C betreibt seit Jahren Bodybuilding mit sich steigerndem hormongestützten Muskelaufbau. Seit Februar 2003 führte der Angeklagte eine „Kur für Qualitätsmuskulatur“ durch, in deren Verlauf er sich ab März wöchentlich 525 mg Hormonpräparate oral und 18 ml subkutan zuführte – die nahezu doppelte der in der Bodybuilderszene sonst üblichen Dosis. Der Angeklagte erreichte vor allem einen übermäßigen Aufbau der Arm-, Brust- und Schultermuskeln und wog – bei 185 cm Körpergröße – aufgrund seiner Muskelmasse 120 kg. Der Hormonmissbrauch führte auch zu einer Wesensveränderung des Angeklagten. Sein Aggressions- und Durchsetzungsverhalten steigerte sich deutlich und führte zu einem übermäßigen Dominanzstreben.
Trotz einer Warnung vor der in der Diskothek „M 1“ herrschenden aggressiven Stimmung betrat der Angeklagte in Begleitung der Mitangeklagten K und Gü am 18. April 2003 gegen 0.30 Uhr dieses Lokal. Der Angeklagte drängelte sich rücksichtslos durch die Menge und rempelte den Zeugen Sc von hinten an. Nachdem H den Angeklagten gefragt hatte, was er in der Diskothek suche und ob er nicht in seinem eigenen Bezirk bleiben könne, versuchte der Angeklagte, H in den „Schwitzkasten“ zu nehmen. Der Nebenkläger konnte sich aber dem Griff des Angeklagten entwinden. Auf eine Beleidigung des H entgegnete der Angeklagte mit den Worten : „Ich ficke deine Mutter, ich stech dich ab, du Schwein.“ Hieraus entwickelte sich ein heftiges Wortgefecht, das in Handgreiflichkeiten zwischen den sich um den Angeklagten und den Nebenkläger H gebildeten Besuchergruppen auszuufern drohte. Die Türsteher traten dazwischen und drängten beide Gruppen aus der Diskothek.
Der Zeuge Ho folgte der Gruppe um den Angeklagten auf den Parkplatz und rief: „Halt! Bleibt stehn, ihr Arschlöcher, ihr Kanaken!“ Gü trat daraufhin mit einer am Flaschenhals ergriffenen Glasflasche auf den Zeugen Ho zu und schlug auf ihn ein. K griff Ho an dessen Kleidung und schlug ihm mit der Faust in das Gesicht. Ho wehrte sich mit Fußtritten, so dass Gü nur Fuß und Oberschenkel traf und K am Kinn verletzt wurde. Die Nebenkläger und der Zeuge He beobachteten diese Auseinandersetzung und eilten herbei, um Ho zu helfen.
Jetzt griff der Angeklagte C ein, um Gü und K bei deren Auseinandersetzung mit Ho zu unterstützen. Er nahm ein mit einer spitz zulaufenden zweischneidigen Klinge von 6,5 cm versehenes Klappmesser in die rechte Hand und trat damit H wortlos entgegen. Dem Nebenkläger gelang es, den ersten Angriff des Angeklagten auf den Kopf durch Erheben des linken Armes abzuwehren. H erlitt oberhalb des linken Ellenbogens eine Stichverletzung. Der Angeklagte traf danach mit einer Schwingbewegung seines rechten Arms den Nebenkläger mit dem Messer am linken Nacken. Das Messer drang bis in das Rückenmark ein. H sackte sofort zusammen. Dies hatte S beobachtet. Er wollte H zu Hilfe kommen. Der Angeklagte trat auf S zu und führte – wie gegen H – einen Messerangriff mit einem Schwinger gegen den Kopf des Zeugen. Dem konnte S ausweichen, ohne verletzt zu werden. Der zweite Angriff des Angeklagten führte zu einer tiefen und stark blutenden Schnittwunde am linken Oberarm. Der Zeuge Pa trat hinzu, um S zu helfen. Ihm fügte der Angeklagte mit einer weiteren Schwingbewegung gegen den Kopf eine heftig pulsierende Verletzung der Schläfenschlagader zu. Mehrere Männer umringten den Angeklagten. Diese hielt er auf Distanz, indem er sein Messer hin und her schwenkte und drohte: „Ich stech euch alle ab, ihr Schweine.“ Dem Angeklagten gelang es zu fliehen. Er traf später am Rand des Parkplatzes auf den alkoholisierten Zeugen F . Der Angeklagte verbarg zunächst das Messer hinter dem Rücken und griff dann den Zeugen durch einen Schwinger mit dem Messer in Richtung des Kopfes an. F konnte einen Stich gegen den Kopf durch Erheben beider Arme abwehren. Dabei wurde er am linken Unterarm verletzt.
Die linke Körperseite des Nebenklägers H ist vollständig gelähmt, die rechte unsensibel. H leidet unter Störungen der Sexualfunktion und Einschränkungen bei der Stimmbildung. Er ist depressiv. Nur mit Gehstützen kann er sich deutlich verlangsamt und unter höchster Konzentration fortbewegen. Der Nebenkläger S musste Einschränkungen in der Feinmoto- rik seines verletzten Armes hinnehmen. Seinen Beruf als Zahntechniker kann er nicht mehr ausüben.
Das Landgericht hat – sachverständig beraten – angenommen, dass die Hemmungs- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der psychischen Auswirkungen der Hormonbehandlung und der zur Tatzeit wirkenden Alkoholbeeinflussung im Umfang von maximal 1,37 Promille BAK erheblich vermindert war. Es verneint das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes im Blick auf ein fehlendes Motiv. Der Angeklagte habe lediglich verhindern wollen, dass die Geschädigten dem Zeugen Ho zu Hilfe kommen. Der Angeklagte habe seine Opfer auch nicht gekannt. Ferner hätten der äußerst dynamische Verlauf der Kampflage und das ausgeprägte Aggressions - und Dominanzverhalten des Angeklagten dazu führen können, dass der Angeklagte sich keine Gedanken über die möglicherweise tödlichen Folgen seines Verhaltens gemacht habe.
Das Landgericht hat die dem Regelstrafrahmen der § 226 Abs. 1, § 224 Abs. 1 StGB entnommenen Strafen nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren (Nebenkläger H ), zwei Jahren (Nebenkläger S ), einem Jahr und sechs Monaten (Zeuge Pa ) sowie einem Jahr (Zeuge F ) festgesetzt.
2. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben Erfolg. Das Landgericht hat das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes mit Wertungsfehlern verneint.
a) Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Für den Nachweis stellt die offen- sichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, so dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände , in die auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, 38, 51; BGH NStZ-RR 2000, 165; BGH, Urt. v. 24. März 2005 – 3 StR 402/04).
b) Die Würdigung der äußeren Umstände der Tat zum Nachteil des Nebenklägers H durch das Landgericht lässt besorgen, dass es der hier vorliegenden offensichtlichen Lebensgefährlichkeit des Angriffs des Angeklagten nicht in dem gebotenen Maße indizielles Gewicht für die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes beigemessen hat (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 57; BGH, Urt. v. 24. März 2005 – 3 StR 402/04). Der Angeklagte drang mit seinem Messer in die Halswirbelsäule bis in das Rückenmark ein. Die beidseitig geschliffene, relativ schmale und kurze Klinge war in der Hand des kräftigen Angeklagten besonders geeignet, weiter in und durch die Halswirbelsäule zu dringen und bei schon geringfügig größerem Kraftaufwand den Tod sofort herbeizuführen. Bei der vom Angeklagten gewählten Art der Messerführung, einer dem Boxsport entlehnten Schwingbewegung , war der Krafteinsatz aber nicht im Einzelnen dosierbar (vgl. BGH, Urt. v. 24. März 2005 – 3 StR 402/04), so dass es hier dem Zufall überlassen blieb und nicht dem Willen des Angeklagten zuzurechnen ist, dass Rückenmark und Wirbelsäule nicht weiter durchtrennt worden sind. Damit hätte es tragfähiger Anhaltspunkte dafür bedurft, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (vgl. BGH aaO). Solche hat das Landgericht aber nicht festgestellt: Soweit das Landgericht aus den objektiven Umständen gefolgert hat, der Angeklagte habe lediglich verhindern wollen, dass die Geschädigten dem von K und Gü angegriffenen Zeugen Ho zu Hilfe kommen und dass der Angeklagte somit über kein Tötungsmotiv verfügt habe, steht dem entgegen , dass es dem Angeklagten schon allein durch bloßes Hin- und Herschwenken des Messers und einer Drohung mit Worten problemlos gelungen war, mehrere Personen gleichzeitig von einem Eingreifen abzuhalten. Eines zielgerichteten Stiches hätte es also nicht bedurft, um gegen Dritte nur eine abschreckende Wirkung zu erzielen.
Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe seine Opfer nicht gekannt, trifft auf den Nebenkläger H nicht zu. Der Angeklagte und H hatten sich noch in der Diskothek wechselseitig beleidigt. Der Angeklagte hatte darüber hinaus dem Nebenkläger gedroht, ihn „abzustechen“.
Auch die Erwägung des Landgerichts, der dynamische Verlauf der Kampflage habe dem Angeklagten kaum Gelegenheit geboten, sich über die seinem Handeln innewohnende Todesgefahr Gedanken zu machen, wird von den Feststellungen nicht getragen. Die Tat zum Nachteil des Nebenklägers H war nicht durch eine besondere Kampflage, womit ein wechselndes Agieren und Reagieren der Kämpfenden gemeint ist, gekennzeichnet. Vielmehr griff allein der Angeklagte, ohne ein Wort zu sagen, zielgerichtet den überraschten Zeugen H an, der lediglich den ersten Angriff auf den Kopf unter Hinnahme einer Stichverletzung am Arm abwehren konnte. Dominierte somit allein der Angeklagte das Kampfgeschehen, konnte seine Gedankenführung nicht durch Kampfhandlungen seines Gegners beeinflusst werden.
Soweit das Landgericht es nicht auszuschließen vermochte, dass sich der Angeklagte im Blick auf sein deutlich ausgeprägtes Aggressionsund Dominanzverhalten keine Gedanken über die möglicherweise tödlichen Folgen seines Verhaltens gemacht hatte, steht dem – worauf die Revisionen zu Recht hinweisen – entgegen, dass umgekehrt ein solches Verhalten bei gezielten Stichen gegen den Hals eines Menschen die Annahme eines Vernichtungswillens eher aufdrängt.
Die subjektiven Tatumstände der Messerstiche zum Nachteil des Nebenklägers H bedürfen demnach neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat ist nicht in der Lage, auf versuchten Totschlag durchzuentscheiden. Es bleibt allein dem Tatrichter vorbehalten, die subjektiven Tatumstände umfassend festzustellen und zu bewerten. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den äußeren Tatumständen können indes aufrechterhalten bleiben.
c) Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers S ist der Schuldspruch auch aufzuheben, soweit der Angeklagte wegen der Taten zum Nachteil dieses Nebenklägers und des Zeugen Pa ebenfalls nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Zwar belegen die objektiven Tatumstände in geringerem Umfang als bei der Tat zum Nachteil des Nebenklägers H Indizien, die für eine Gesamtschau zur Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes heranzuziehen gewesen wären. Im Blick auf die gleichartige Tatausführung und die mögliche indizielle Wirkung der Umstände der Tat zum Nachteil des Nebenklägers H (vgl. BGH wistra 2002, 260, 261; 430) ist aber eine – bisher nicht vorgenommene – differenzierte Feststellung und Bewertung aller subjektiven Umstände auch in diesen Fällen geboten.
3. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet. Die wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen F festgesetzte Freiheitsstrafe von einem Jahr ist damit rechtskräftig. Sie wird in eine neu zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe einzubeziehen sein.
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
a) Auch wenn die tatrichterliche Wertung bei der Abgrenzung zwischen (Mit-)Täterschaft und Beihilfe vom Revisionsgericht bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (BGHSt 47, 383, 385 m.w.N.), kann solches nicht von der Pflicht entbinden, die für die Wertung herangezogenen Umstände zumindest knapp darzustellen. Für die hierfür in Betracht kommende Tathandlung des Angeklagten zum Nachteil des Zeugen Ho wird es freilich naheliegen, von § 154a Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen.
b) Für den Fall, dass erneut eine verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten festgestellt werden kann, wird der Tatrichter über die fakultative Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nach seinem pflichtgemäßen Ermessen und aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände zu entscheiden haben (vgl. BGHSt 49, 239, 241). Hier liegen Umstände vor, die es rechtfertigen könnten, dem Angeklagten die Strafmilderung zu versagen.
Der Senat hat solches bei erheblicher Alkoholisierung angenommen, wenn der Täter die für ihn besonders ungünstige Wirkung des Alkoholgenusses kannte und wusste oder wissen musste, dass er dann zu Gewalttätigkeiten oder anderen Straftaten neigt, und hat darauf abgestellt, ob besondere Umstände in der Person des Täters im konkreten Einzelfall vorhersehbar das Risiko der Begehung rechtswidriger Taten signifikant erhöht haben (BGHSt aaO S. 242). Dies ist auch bei Einnahme aggressivitätssteigernder Substanzen allein oder in Verbindung mit einer weiteren Enthemmung durch Alkoholgenuss in Betracht zu ziehen.
Der Angeklagte hat durch systematische übermäßige Einnahme von männlichen Sexualhormonen eine Wesensveränderung – gesteigerte Angriffslust und übermäßiges Dominanzstreben – herbeigeführt. Die Erhöhung der Aggressivität ist vorliegend ein vom Angeklagten geschaffener Dauerzustand , der in besonderem Maß geeignet ist, wenigstens in aggressionsträchtigen Situationen schon ohne alkoholbedingte Enthemmung das Risiko einer Verletzung erheblicher Rechtsgüter Dritter zu steigern. Hier tritt als weiterer gefahrerhöhender Umstand eine nicht unerhebliche Alkoholisierung des An- geklagten im Umfang einer Blutalkoholkonzentration von 1,37 Promille hinzu und ferner, dass der Angeklagte – nach Ausschlagen einer Warnung – bewusst eine gewaltträchtige Situation aufgesucht hat (vgl. BGHSt aaO S. 244).
Im Blick auf diese Anhäufung von Umständen, die das Risiko der Begehung von Straftaten erhöhen, dürfte es eher fernliegen, dass der Angeklagte sein erhöhtes Aggressionspotential nicht erkannt hatte oder wenigstens nicht hatte erkennen müssen.
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
- 2
- Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft zum Nachteil des Angeklagten Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Sie erstrebt eine Verurteilung wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
II.
- 3
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
- 4
- Am Tattag war der Angeklagte, ein syrischer Staatsangehöriger, 20 Jahre und fünf Monate alt. Am Abend des 16. August 2005 feierte er in einer Gaststätte in Villingen-Schwenningen u.a. mit dem Zeugen M. einen Geburtstag. Gegen 20.00 Uhr zog er an einem Joint. Er trank Whiskey, Wodka und Rotwein. Nach Mitternacht ließ er sich und den Zeugen M. von dem Zeugen E. zu einer Tankstelle chauffieren. Alle drei verließen das Fahrzeug und holten sich am Nachtschalter etwas zu essen und alkoholfreie Getränke. Danach standen sie am Rande der Anlage und unterhielten sich. Kurz vor 1.54 Uhr kam der damals 24-jährige B. H. - der Nebenkläger - auf sie zu. Er hatte zuvor in einer anderen Gruppe in derselben Gaststätte gezecht. Er schrie den Angeklagten, der ihm bis dahin unbekannt war, ohne jeden Anlass mit Ausdrücken wie "Arsch, kleiner Pisser, Stinker, Fixer" an und schubste ihn mehrfach weg. Obwohl der Angeklagte die beträchtliche Alkoholisierung des Nebenklägers erkannte - dieser hatte eine Blutalkoholkonzentration von etwas mehr als 2,53 Promille - stieß er gegen den Angreifer und gewann die Oberhand. Er schlug ihm so heftig mit der Faust ins Gesicht, dass dieser zu Boden ging und mit dem Hinterkopf auf einen Randstein aufschlug. Der Angeklagte trat dann mehrfach mit den Füßen, an denen er festes Schuhwerk trug, auf den Kopf, in das Gesicht und in die Bauchgegend des am Boden Liegenden ein. Seinen beiden Begleitern gelang es schließlich, den Angeklagten vom Opfer wegzuziehen. Momente später stand der Nebenkläger, der nun am Kopf blutete, auf und ging schwankend auf den Angeklagten zu. Dieser konnte sich aus der Umklammerung seiner Begleiter losreißen. Seine Wut steigerte sich. Er war jetzt entschlossen , seinen Kontrahenten zu töten. Er sprang mit dem Ruf "Ich bring Dich um" oder "Ich schlag Dich tot" auf ihn zu und streckte ihn mit mindestens einem Faustschlag ins Gesicht zu Boden. Das Opfer fiel mit dem Hinterkopf mit solcher Wucht auf eine Betonplatte, dass ein Bersten des Schädels zu hören war.
- 5
- Als der Angeklagte nach der Tat darauf hingewiesen wurde, dass die Tankstelle über eine Videoüberwachungsanlage verfüge, flüchtete er in die nähere Umgebung, bevor er festgenommen werden konnte. Die Auswertung der Videoüberwachung war allerdings unergiebig.
- 6
- Das Opfer erlitt u.a. ein Schädelhirntrauma, eine Schädelfraktur mit Schädelbasisfraktur und eine Hörminderung beiderseits. Es befand sich in Lebensgefahr und konnte nur durch eine äußerst zeitnahe Notoperation gerettet werden. Sein Hörvermögen ist dauerhaft rechts um 60 % und links um 80 % vermindert.
- 7
- Die dem Angeklagten entnommene Blutprobe ergab bei Rückrechnung auf die Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,74 Promille. Sie wies außerdem ein positives Ergebnis hinsichtlich von Cannabinoiden auf.
- 8
- 2. Auf Grund dieser Feststellungen bejaht die Jugendkammer für den ersten Angriff einen Körperverletzungsvorsatz, der auch die Qualifikationsmerkmale des gefährlichen Werkzeugs (festes Schuhwerk) und der lebensgefährdenden Behandlung umfasst (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB). Sie nimmt - sachverständig beraten - an, zu Beginn der Auseinandersetzung sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund eines Zusammenwirkens verschiedener Alkoholika und des Konsums von Cannabis erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Ab dem Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger nach dem Niederschlag wieder aufstand - beim zweiten Angriff -, geht sie zwar vom Tötungsvorsatz des Angeklagten aus, gelangt aber zu der Überzeugung, dass nunmehr seine Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar völlig aufgehoben war (§ 20 StGB). Die Überzeugung begründet sie damit, der Angeklagte habe sich in diesen Zustand gesteigert auf Grund der durch die tätliche Auseinandersetzung eingetretenen Erregung und auf Grund der durch die Beleidigungen angestachelten Wut.
- 9
- Der Angeklagte hat sich in der Hauptverhandlung zur Sache eingelassen , aber teilweise Erinnerungslücken geltend gemacht, was die Kammer ihm abnimmt. Sie ist davon überzeugt, das Motiv seines Handelns war Wut.
III.
- 10
- 1. Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 11
- Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sie ist etwa dann rechtsfehlerhaft, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht erörtert, widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Dies ist auch dann der Fall, wenn eine nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerung nicht gezogen ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., BGH NStZ-RR 2003, 371; BGH NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).
- 12
- Die Kammer hätte einen Tötungsvorsatz des Angeklagten schon zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung in ihre Erwägungen einbeziehen müssen. Insoweit ist die Beweiswürdigung lückenhaft.
- 13
- Äußerst gefährliche Gewalthandlungen legen trotz der hohen Hemmschwelle hinsichtlich der Tötung eines Menschen die Annahme von zumindest bedingtem Tötungsvorsatz nahe (st. Rspr., BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 3, 33, 38 jeweils m.w.N.). Der Täter handelt bereits dann mit bedingtem Vorsatz, wenn er den Erfolgseintritt als nur möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt und einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Das gefährliche Handeln des Angeklagten, nachdem er seinen Gegner erstmals zu Boden gestreckt hatte, nämlich das mehrfache Eintreten mit festem Schuhwerk auf den Kopf, in das Gesicht und in die Bauchgegend des wehrlosen Opfers, ist hier ein gewichtiges Beweisanzeichen für einen bedingten Tötungsvorsatz. Auch der Tatsache, dass er nicht freiwillig von seinem Opfer abließ, sondern schon im ersten Teilakt durch seine Begleiter weggezogen werden musste, kann ein hoher Indizwert für die innere Einstellung des Angeklagten gegenüber der Tötung seines Opfers zukommen. Das gewollte weitere Tun legt es nahe, dass ihm die Folgen seiner Tat - der mögliche Tod des Opfers - zumindest gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Vorsatz genügen (BGHSt 40, 304, 306; BGH, Urt. vom 30. August 2006 - 2 StR 198/06) und war deshalb erörterungsbedürftig.
- 14
- Wenn die Kammer für den ersten Teilakt eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die Tat in der Vorstellung des Angeklagten auf eine Lebensgefährdung "angelegt" war (BGHSt 36, 262, 265). Demnach erkannte der Angeklagte trotz seiner Wut und seiner sonstigen psychischen Verfassung - Einfluss von Alkohol und Cannabis - die Lebensgefährlic hkeit seiner Tritte. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dennoch darauf vertrauen konnte, der Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt.
- 15
- 2. Schon die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ist nicht frei von Rechtsfehlern.
- 16
- Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass der erfolgte Konsum von Cannabis die Wirkungen des getrunkenen Alkohols so erheblich zu einer explosiven Mischung verstärkt hat, dass zu Beginn der Begehung der Straftat der gefährlichen Körperverletzung das Steuerungsvermögen des Angeklagten erheblich vermindert gewesen sei. Dem hat sich die Kammer angeschlossen (UA S. 9). Die Ausführungen lassen besorgen, dass dem Tatrichter nicht bewusst war, dass es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit "erheblich" im Sinne von § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen - in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (st. Rspr., BGHSt 43, 66, 77 m.w.N.). Dabei fließen normative Überlegungen ein. Dies lässt das Urteil nicht erkennen.
- 17
- 3. Eine nicht ausschließbare Schuldunfähigkeit des Angeklagten ab dem Zeitpunkt, in dem der Nebenkläger wieder aufstand, ist nicht tragfähig begründet. Die Ausführungen hierzu sind widersprüchlich und unklar. Die Annahme der Steigerung von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit in einen Zustand des völligen Ausschlusses ist nicht nachvollziehbar.
- 18
- Nach dem festgestellten objektiven Tatgeschehen erfolgten die Beleidigungen durch das Opfer vor dem ersten Faustschlag des Angeklagten (UA S. 4). Nach der Überzeugung der Kammer geriet er dadurch in Wut, sodass die Wut das Motiv seines gesamten Handelns war (UA S. 10, 11). Weitere Beleidi- gungen hat das Landgericht nicht festgestellt. Somit können Beleidigungen seine Wut oder Erregung nicht weiter gesteigert haben (UA S. 9). Das gilt auch für den Verlauf der tätlichen Auseinandersetzung, den die Kammer hier widersprüchlich zu den getroffenen Feststellungen heranzieht. Der Angeklagte hat sich entgegen UA S. 9 nach den Fußtritten nicht freiwillig vom Opfer zurückgezogen , sondern wurde durch seine Begleiter zurückgezogen (UA S. 4). Das Verhalten des Angeklagten legt eher einen anhaltenden Willen nahe, den Nebenkläger endgültig auszuschalten.
- 19
- 4. Danach war das Urteil auf die Sachrüge der Staatsanwaltschaft wegen der den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler aufzuheben. Nach den bisherigen Feststellungen liegt es nicht fern, dass es sich um ein einheitliches Tatgeschehen mit durchgängigem Tötungsvorsatz handelt. Die Annahme einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit drängt sich jedenfalls unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht auf.
- 20
- Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten sind nicht erkennbar geworden (§ 301 StPO). Nack Wahl Boetticher Hebenstreit Elf
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung in vier Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, des Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung sowie der Bedrohung schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung von drei früheren Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die auf die Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe und den Strafausspruch beschränkte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts zu diesem Fall kam es in den frühen Morgenstunden des 26. Juli 2008, gegen 2.45 Uhr zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten, dem Mitangeklagten L. und dem geschädigten Nebenkläger E.. Dieser hatte vom Fenster aus beobachtet, wie die beiden Angeklagten, die im Laufe des Abends im Bereich der Nordweststadt Frankfurt in alkoholisiertem Zustand bereits mehrfach Schlägereien mit anderen Jugendlichen gesucht hatten, gemeinsam einen weiteren Jugendlichen angriffen und schlugen. Da er - irrtümlich - annahm, der Angegriffene befinde sich in Lebensgefahr, wollte er ihm zu Hilfe kommen und begab sich vor das Haus. Dort wurde er von dem Angeklagten sogleich aggressiv bedrängt. Da inzwischen die Polizei benachrichtigt worden war und der Nebenkläger einer tätlichen Auseinandersetzung ausweichen wollte, wandte er sich zum Gehen. Der Angeklagte setzte ihm jedoch nach und bedrängte ihn körperlich; hierauf schubste der Nebenkläger ihn zurück. Der Angeklagte schlug ihn nun mit der Faust ins Gesicht. Als der Nebenkläger Anstalten machte, sich zu wehren, schlug auch der Mitangeklagte L. auf ihn ein; beide Angeklagte schlugen aus wechselnden Positionen auf Kopf und Oberkörper des Nebenklägers und schrieen unter anderem: "Ich stech Dich ab". Der Mitangeklagte L. war mit einem Malerspachtel bewaffnet, setzte diesen aber nicht ein; der Angeklagte trug ein Messer bei sich; L. rechnete nicht damit, dass er dieses einsetzen würde.
- 3
- Als der Angeklagte aufgrund der Gegenwehr des Nebenklägers befürchtete zu unterliegen, holte er aufgrund eines spontanen Entschlusses sein Messer hervor, klappte es unbemerkt auf, zog den Nebenkläger am Hemd zu sich hin und stach sofort zu. Er stach hierbei ungezielt von unten nach oben in die rechte Flanke des Nebenklägers. Der Stich drang etwa 10 cm tief ein, verletzte die Leber und verfehlte eine große Hohlvene nur um etwa 2 cm. Bei geringfügig anderem Stichverlauf hätte konkrete Todesgefahr bestanden. Der Nebenkläger, der den Stich bemerkt hatte, wandte sich zur Flucht. Der Angeklagte verfolgte ihn, konnte ihn aber nicht mehr erreichen. Die Verletzungen des Nebenklägers sind folgenlos ausgeheilt.
- 4
- Das Landgericht hat nicht feststellen können, dass der Angeklagte den Stich mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführt habe. Es hat gesehen , dass die sehr gefährliche Tathandlung zwar ein Indiz für einen solchen Vorsatz war, und hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur das Bein des Nebenklägers treffen wollen, als widerlegt angesehen. Andererseits hat es angenommen , der Stich sei ungezielt gewesen (UA S. 44); überdies habe der Angeklagte bis zur Flucht des Nebenklägers nur einmal gestochen, obgleich ihm weitere Stiche (entgegen der Einlassung des Angeklagten selbst) möglich gewesen wären (UA S. 47). Auch seine erhebliche, zur Einschränkung der Steuerungsfähigkeit führende Alkoholisierung spreche gegen einen Tötungsvorsatz; weiterhin der Charakter der Tat als spontane Einzelhandlung in affektiver Erregung (UA S. 49).
- 5
- 2. Gegen diese Beweiswürdigung und die Verurteilung in diesem Fall nur wegen gefährlicher Körperverletzung wendet sich die Revision mit Recht. Die tatrichterliche Würdigung der Beweislage zum subjektiven Vorstellungsbild des Täters ist in Fällen wie dem vorliegenden nur rechtsfehlerfrei, wenn sie auf einer umfassenden Erörterung der festgestellten Beweisanzeichen beruht; Voraussetzung hierfür ist wiederum, dass die Beweisbedeutung einzelner Umstände zutreffend erkannt und deren Gewicht fehlerfrei beurteilt wird. Hieran fehlt es vorliegend, wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat.
- 6
- Die vom Landgericht angeführten Beweisanzeichen gegen einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten sind schon für sich nicht geeignet, das Beweisergebnis zu tragen. Weder eine erhebliche Alkoholisierung noch gar ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses sprechen gegen das Vorliegen von Tötungsvorsatz zum Handlungszeitpunkt; vielmehr sind diese Umstände nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, die Hemmschwelle auch für besonders gravierende Gewalthandlungen herabzusetzen. Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem aufgrund schwerster Berauschung oder tiefgreifender Bewusstseinsstörung schon die Erkenntnisfähigkeit des Täters beeinträchtigt ist, sind vorliegend ersichtlich nicht gegeben.
- 7
- Es liegt nahe, dass das Landgericht zu einer anderen Bewertung auch der sonstigen Tatumstände gelangt wäre, wenn es die Bedeutung der von ihm als gewichtig angesehenen Indizien zutreffend eingeordnet und beurteilt hätte. Die Gesamtwürdigung des Tatrichters, für die grundsätzlich ein der Überprüfung nur eingeschränkt zugänglicher Spielraum besteht, beruht hier auf unzutreffenden Grundlagen und ist daher insgesamt rechtsfehlerhaft. Das Urteil war daher insoweit aufzuheben.
- 8
- Ein Rücktritt vom - möglicherweise - versuchten Tötungsdelikt kommt hier aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen nach den bisherigen Feststellungen nicht in Betracht, da es auch bei Annahme eines unbeendeten Versuchs an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen würde. Voraussetzung für eine Beurteilung wären im Übrigen nähere Feststellungen zum Rücktritts-Horizont des Angeklagten, die das Landgericht - aus seiner Sicht konsequent - nicht getroffen hat.
- 9
- Der neue Tatrichter wird gegebenenfalls auch die Voraussetzungen des Mordmerkmals der Heimtücke zu prüfen haben. Frau VorsRinBGH Appl Fischer Prof. Dr. Rissing-van Saan ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung verhindert. Fischer Cierniak Schmitt