Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
3 StR 364/10
vom
25. November 2010
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. November
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 10. Mai 2010 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz verneint und den Angeklagten deshalb nicht auch wegen tateinheitlichen versuchten Totschlags verurteilt hat. Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen schubsten sich der Angeklagte sowie der Nebenkläger und beleidigten sich gegenseitig. Der Nebenkläger war bereit, sich gegen die von ihm erwarteten Schläge des Angeklagten zu wehren und sich mit ihm zu schlagen. Der Angeklagte drohte dem Nebenkläger, ihn abzustechen und nahm ein mitgeführtes Klappmesser in die Hand. Als der Nebenkläger, der anfangs die Drohung nicht ernst genommen und weiterhin die Konfrontation gesucht hatte, das Messer sah, wich er aus Furcht nach hinten aus und beendete die Beleidigungen. Der Angeklagte folgte ihm und versetzte ihm mit einer schlagenden Bewegung einen Messerstich in den linken Brustkorb. Das Messer drang von oben unterhalb der linken Achsel durch die Rippenbögen in den Körper ein und verletzte den Geschädigten schwer.
3
Das Landgericht ist in seiner Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass der Angeklagte mit direktem Körperverletzungsvorsatz zugestochen hat. Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es im Wesentlichen mit folgender Begründung verneint: Der Angeklagte habe zwar durch den Stich in den Brustkorb des Geschädigten eine hochgradig gefährliche Gewalthandlung vorgenommen und auch erkannt, dass diese tödlich sein könne. Bei umfassender Würdigung aller objektiven und subjektiven Tatumstände könne daraus jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit auf eine Billigung des Todes geschlossen werden. Der Angeklagte habe sich bei der Tatbegehung in einem Zustand beträchtlicher affektiver Erregung befunden, sei durch den Konsum von Alkohol und Rauschgift erheblich enthemmt gewesen und durch die Beleidigungen seitens des Nebenklägers spontan zu dem Messerstich hingerissen worden, wobei er diesen vom Herzen weg geführt habe. Aufgrund seiner körperlichen Unterlegenheit habe er gemeint, sich nur mit dem Messer Respekt verschaffen zu können. Er habe erst zugestochen, nachdem der Geschädigte seine Drohung nicht ernst genommen habe. Zudem sei kein Motiv für eine Tötung ersichtlich. Die Äußerung "ich steche dich ab" sei nur eine Machtdemonstration gewesen und habe keine Indizwirkung für einen bedingten Tötungsvorsatz. Der Angeklagte habe lediglich einen einzelnen Messerstich ausgeführt und sei unmittelbar nach der Tat nicht geflüchtet.
4
2. Die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
5
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsge- richtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 3 StR 500/86, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Die Abgrenzung des bedingten Tötungsvorsatzes vom Körperverletzungsvorsatz erfordert bei schwerwiegenden Gewalttaten eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Der Täter handelt mit bedingtem Tötungsvorsatz, wenn er den Eintritt des Todes als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt sowie ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfindet. Dabei stellt die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Handlung für den Nachweis einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, sodass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der subjektive Tatbestand eines Tötungsdelikts sehr nahe liegt. Angesichts der hohen Hemmschwelle bei solchen Delikten bedarf die Frage der Billigung des Todes indes einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, in die vor allem auch die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Motive mit einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4; BGH, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24; BGH, Urteil vom 24. März 1993 - 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35; BGH, Urteil vom 7. November 2002 - 3 StR 216/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 55; BGH, Beschluss vom 26. August 2005 - 3 StR 259/05, NStZ-RR 2006, 9 f.). Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGH, Beschluss vom 23. April 2003 - 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009,

91).

6
b) Diesen rechtlichen Anforderungen an eine sorgfältige Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts gerecht. Es hat alle bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände der Tat in seine Überlegungen einbezogen und insbesondere ges ehen, dass der Messerstich in den Brustkorb des Tatopfers eine hochgradig lebensgefährliche Gewalthandlung war, die ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass der Angeklagte den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes auch billigte. Auch hat es sich mit der ausgesprochenen Drohung "ich steche dich ab, du bist tot" auseinandergesetzt. Soweit es wegen des in affektiver Erregung und unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol und Rauschgift spontan ausgeführten einzelnen Messerstichs , der körperlichen Unterlegenheit des Angeklagten, der vom Herzen wegführenden Stichbewegung, des fehlenden Tötungsmotivs und des Nachtatverhaltens des Angeklagten seine Zweifel am Vorliegen des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes nicht hat überwinden können, ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar hat das Landgericht - wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift im Einzelnen dargestellt hat - die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit gemäß § 21 StGB unzureichend begründet. Dieser Rechtsfehler schlägt jedoch nicht auf die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz durch; denn entscheidend ist insoweit, dass der Angeklagte, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben sind, nach den Urteilsfeststellungen die Tat aus einem spontanen, intoxikationsbedingten Handlungsimpuls heraus begangen hat. Die gegen die Überzeugungsbildung der Strafkammer vorgebrachten Beanstandungen des Be- schwerdeführers erschöpfen sich in einer eigenen Beweiswürdigung mit zum Teil urteilsfremdem Vorbringen und zeigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausführlich dargestellten Gründen keinen Rechtsfehler auf.
7
3. Für die Entscheidung kann offen bleiben, ob die sachverständig beratene Strafkammer rechtsfehlerhaft eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten bejaht und deshalb der Strafzumessung zu Unrecht den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der gefährlichen Körperverletzung zugrunde gelegt hat. Denn die Nachprüfung des Revisionsgerichts erstreckt sich bei der Revision eines Nebenklägers lediglich darauf, ob der Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts rechtsfehlerhaft unterblieben ist, nicht aber auf die Fehlerfreiheit der Strafzumessung. Dies folgt daraus, dass der Strafausspruch des abgeurteilten Nebenklagedeliktes gemäß § 400 Abs. 1 StPO selbst nicht Gegenstand einer zulässigen Revisionsrüge eines Nebenklägers sein kann. Diesem Anliegen des Gesetzgebers würde es widersprechen, wenn eine solche Nachprüfung des Strafmaßes allein dadurch erreicht werden könnte, dass die fehlerhafte Nichtaburteilung eines (weiteren) tateinheitlich begangenen - möglicherweise völlig fern liegenden - Nebenklagedelikts gerügt wird (BGH, Beschluss vom 23. April 2002 - 3 StR 106/02, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 3; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 400 Rn. 7). Becker von Lienen Sost-Scheible Hubert Mayer

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10 zitiert 9 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafprozeßordnung - StPO | § 400 Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers


(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt. (2) De

Strafgesetzbuch - StGB | § 15 Vorsätzliches und fahrlässiges Handeln


Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Mai 2008 - 3 StR 142/08

bei uns veröffentlicht am 08.05.2008

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 142/08 vom 8. Mai 2008 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4 StPO eins

Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Apr. 2003 - 2 StR 52/03

bei uns veröffentlicht am 23.04.2003

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 52/03 vom 23. April 2003 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 23. April 2003 beschlossen: 1. N
12 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 25. Nov. 2010 - 3 StR 364/10.

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13

bei uns veröffentlicht am 16.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 45/13 vom 16. Mai 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen gefährlicher Körperverletzung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Mai 2013 - 3 StR 78/13

bei uns veröffentlicht am 28.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 78/13 vom 28. Mai 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Mai 2013, an der teilgenommen haben: Präsident

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2013 - 3 StR 115/13

bei uns veröffentlicht am 27.06.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 115/13 vom 27. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juni 2013, an der teilgenommen haben: Präside

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Apr. 2019 - 2 StR 377/18

bei uns veröffentlicht am 24.04.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 377/18 vom 24. April 2019 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen versuchten Mordes u.a. ECLI:DE:BGH:2019:240419U2STR377.18.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlun

Referenzen

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 52/03
vom
23. April 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. April 2003 beschlossen:
1. Nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. November 2002 wird dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Seine hiergegen eingelegte, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat – nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist – Erfolg. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen: Der Zeuge R. verkaufte für den Angeklagten auf dem W. Platz in T. dem späteren Tatopfer I. ein Heroin-Bobble für 10 Euro. I. konsumierte das Bobble und rekla-
mierte, daß es zu klein gewesen sei. Der Angeklagte lehnte eine Geldrückzahlung ab. Zwischen dem Angeklagten und I. begann ein gegenseitiges Geschubse, das durch einen Faustschlag I. zu einer Schlägerei eskalierte. Der körperlich unterlegene Angeklagte ging zweimal zu Boden und blutete aufgrund eines herausgerissenen Ohrrings. Als I. auf den am Boden liegenden Angeklagten eintrat, schubste ihn R. weg und drängte ihn in Richtung eines Blumenkübels, in den beide hineinfielen. Nachdem ein anderer R. und I. aus dem Blumenkübel herausgezogen hatte, schlug I. auf R. ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Angeklagte ein Taschenmesser mit einer Klingenlänge von 9,5 cm und einer Klingenbreite von 2,5 cm aus der Hosentasche gezogen, es aufgeklappt und stach I. in den linken oberen Brustkorb, wobei er den Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm. I. brach wenige Meter vom Blumenkübel entfernt zusammen und starb infolge inneren Verblutens. 2. Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte habe zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Ausführungen des Landgerichts genügen nicht den Anforderungen, die an die Darlegung und Begründung des Tatvorsatzes zu stellen sind.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, daß er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet; bewußte Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft – nicht nur vage – darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Da diese beiden Schuldformen im
Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGHSt 36, 1, 9 f.; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es zwar nahe, daß der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen. Ob dies im Einzelfall zutrifft, bedarf jedoch im Hinblick auf die hohe Hemmschwelle bei Tötungsdelikten einer besonders sorgfältigen tatrichterlichen Prüfung. Insbesondere bei einer spontanen, unüberlegten , in affektiver Erregung ausgeführten Einzelhandlung kann aus dem Wissen von einem möglichen Erfolgseintritt nicht allein ohne Berücksichtigung der sich aus der Persönlichkeit des Täters und der Tat ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, daß auch das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist. Die Würdigung hierzu muß sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Angeklagten auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4).
b) Hier enthält das Urteil schon keine tragfähig belegten Angaben dazu, ob der Angeklagte die Gefährlichkeit des Messerstichs in den linken oberen Brustkorb erkannt und den Tötungserfolg als möglich vorausgesehen hat. Darüber hinaus hat das Landgericht auch die billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts nicht begründet und sich nicht mit den festgestellten Tatumständen auseinandergesetzt, die möglicherweise dagegen sprechen könnten. Nach den Urteilsgründen (UA S. 22) hat der Angeklagte aus Wut über die ihm zugefügten Mißhandlungen zum Messer gegriffen und I. den tödlichen Stich versetzt, also spontan und in affektiver Erregung gehandelt. Was er sich in dem Moment vorgestellt hat, ist nicht festgestellt, das Urteil enthält lediglich die
Angabe, daß der Angeklagte bei der Tathandlung den – später eingetretenen – Tod des Opfers zumindest billigend in Kauf nahm (UA S. 10). Hinzukommt, daß das Geschehen vor zahlreichen Zeugen stattfand; der Angeklagte mußte danach mit seiner Überführung als Täter rechnen. Dies könnte dafür sprechen, daß der Angeklagte zwar die Gefährdung I. , nicht aber auch dessen Tod in sein Bewußtsein und seinen Willen aufgenommen hatte. Möglicherweise war für die innere Tatseite beim Angeklagten auch von Bedeutung, daß objektiv eine Nothilfelage zugunsten des Zeugen R. bestand. Auch hiermit setzt sich das Urteil in Bezug auf die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tatausführung nicht auseinander. VRiinBGH Dr. Rissing-van Saan, Bode RiBGH Dr. h.c. Detter und RiBGH Prof. Dr. Fischer sind durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Bode Roggenbuck

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 142/08
vom
8. Mai 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 21. Januar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (Tötung aus niedrigen Beweggründen) zur Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
3
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet; vor der Annahme bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; BGH NStZ 2003, 603, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24, 33). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt es bei äußert gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne durch diese zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grundsätzlich möglich. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut haben könnte, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen kann aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH NStZ 2003, 603; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). Dabei wird in der Regel ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommen wird, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38). Wird das Opfer in einer Weise verletzt , die offensichtlich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit - etwa einem Stich in das Herz vergleichbar - zum Tode führt (vgl. BGHR aaO 35 und 51), so liegt (zumindest) bedingter Tötungsvorsatz auf der Hand, ohne dass es dafür besonderer Anforderungen an die Darlegung der inneren Tatseite in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHR aaO 57; BGH NStZ 2007, 150). Dass eine Hand- lung generell geeignet ist, tödliche Verletzungen herbeizuführen, macht hingegen eine sorgfältige Prüfung des bedingten Vorsatzes nicht entbehrlich. Der Schluss auf - bedingten - Tötungsvorsatz ist daher in solchen Fällen nur rechtsfehlerfrei , wenn der Tatrichter in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen können (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 27, 50).
4
b) Gemessen daran ist der von der Schwurgerichtskammer allein aus der Art der Tatausführung - sechs mit voller Kraft geführte Hiebe mit einer 75 cm langen und gut ein Kilo schweren Eisenstange auf den Rumpf des Opfers - gezogene Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten schon für sich nicht tragfähig. Schläge auf den Rumpf eines Menschen führen grundsätzlich nicht ohne weiteres zu Verletzungen, die wegen ihrer Gefährlichkeit mit hoher oder gar sehr hoher Wahrscheinlichkeit zum Tode führen. Dies gilt auch für die hier festgestellten Hiebe: Das Opfer hat im Wesentlichen Knochenbrüche im Bereich der Rippen, des Oberkörpers und an den Armen sowie großflächige Hämatome erlitten, war über mehrere Stunden nach der Tat bei Bewusstsein sowie ansprechbar und verstarb (erst) etwa drei Wochen später nach einer Lungenentzündung. Keinesfalls genügt den Anforderungen daher die pauschale Annahme des Landgerichts, dass ein Täter, der auf einem anderen in der festgestellten Art und Weise einschlage, eine für jedermann ersichtlich lebensbedrohliche Handlung vornehme und daher zumindest in der Weise mit Tötungsvorsatz handele, dass er mit der Möglichkeit tödlicher Verletzungen rechne und sich mit dem Tod des Opfers abfinde, und zwar bereits bei dem ersten heftigen Schlag. Diese Begründung lässt vielmehr besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes bereits die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Tathandlungen falsch eingeschätzt und zudem die konkreten Folgen der ausgeführten Schläge nicht genügend in den Blick genommen hat.
5
Hinzu kommt, dass das Landgericht weitere maßgebliche Umstände, die gegen das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes, insbesondere des voluntativen Vorsatzelements, sprechen könnten, nicht in die anzustellende Gesamtabwägung einbezogen hat. Insoweit lassen die Erwägungen des Landgerichts namentlich die Berücksichtigung der Tatentstehung und des Nachtatverhaltens des Angeklagten vermissen. Das Landgericht hat bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes nicht bedacht, dass die Tathandlungen ihren Ausgangspunkt in einem strafbaren Verhalten des in der Wohnung des Angeklagten von diesem beherbergten Opfers hatten, dieses den Angeklagten auch zwischen den einzelnen Schlagserien mehrfach zur Wut provozierte und Täter wie Opfer dem Trinkermilieu angehörten. Ferner lässt das Landgericht unberücksichtigt, dass der Angeklagte bereits kurz nach der Tat einen Notruf absetzen wollte und in den folgenden etwa sieben Stunden mehrere Nachbarn hilfesuchend ansprach sowie schließlich selbst den Rettungsdienst herbeirief, wobei er allein wegen seiner Furcht vor Bestrafung so lange gezögert hatte. Schließlich hat das Landgericht die hohe Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit (3,55 o/oo lediglich im Zusammenhang mit der Frage erörtert, ob der Angeklagte deswegen daran gehindert war, die Lebensgefährlichkeit seines Handelns zu erkennen. Dieser Umstand hätte indes auch bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelementes Berücksichtigung finden müssen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz , bedingter 55).
6
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung.
7
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum einen (bedingten) Tötungsvorsatz bejahen, so wird er bei der Prüfung der Frage, ob die Tötung aus niedrigen Beweggründen begangen wurde, alle für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit (st. Rspr.; vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 211 Rdn. 9 m.
w. N.) umfassend in den Blick nehmen müssen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen liegt es fern, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB gehandelt haben könnte. RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Becker Kolz Hubert Schäfer

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.