Arbeitsgericht Stuttgart Urteil, 15. Apr. 2015 - 26 Ca 947/14

bei uns veröffentlicht am15.04.2015

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2014 nicht zum 30. November 2014 aufgelöst wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 74% und die Beklagte 26% zu tragen.

5. Der Streitwert wird auf 41.503,71 Euro festgesetzt.

6. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

 
Die Parteien streiten zuletzt noch über eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses, Entschädigungsansprüche nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und Rückforderungsansprüche des Arbeitgebers bezüglich gezahlter Urlaubsvergütung.
Die am ...19... geborene, geschiedene und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Klägerin trat zum 25. November 2013 in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten am Standort K. als „Sachbearbeiterin Vertrieb“ ein. Das Arbeitsentgelt betrug zuletzt 2.406,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden.
Für den Betrieb der Beklagten in K. ist ein Betriebsrat gewählt; nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.
Vom 3. bis 5. März 2014 nahm die Klägerin an einer Schulungsveranstaltung der Beklagten im Werk eines Lieferanten teil. Zu den Teilnehmern gehörte ua. auch der Kollege der Klägerin, Herr R. Am Abend des 4. März 2014 fand ein gemeinsames Abendessen mit mehreren Kollegen statt. Auf dem Weg zum Lokal führten die Klägerin und deren Kolleginnen bzw. Kollegen Gespräche, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Jedenfalls äußerte der Kollege Herr R gegenüber der Klägerin „Hast Du eigentlich einen Freund? Weil: Dich muss man mal wieder richtig durchvögeln (Beklagte: ‚durchschrubben‘), damit Du mal wieder entspannter bist“. Für diese Äußerung entschuldigte sich Herr R später bei der Klägerin. Mit Schreiben vom 7. Juli 2014 mahnte die Beklagte Herrn R wegen des Vorfalls vom 4. März 2014 ab.
Am 15. April 2014 führte der Vorgesetzte der Klägerin, Herr E, mit dieser ein Gespräch, wobei streitig ist, welche weiteren Personen in welchem zeitlichen Umfang an diesem Gespräch beteiligt waren. Gegenstand des Gesprächs waren die bisherigen Leistungen der Klägerin. Ob Herr E im Laufe des Gesprächs Verständnis für Herrn R zum Ausdruck brachte, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 20. Mai 2014 führte Herr E erneut ein Gespräch mit der Klägerin, in dessen Verlauf er der Klägerin eröffnete, die Beklagte habe sich zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin entschlossen. Am Ende des Gesprächs übergab Herr E der Klägerin eine Kopie eines Kündigungsschreibens vom 20. Mai 2014, mit der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2014 erklärt wurde. Nach dem 20. Mai 2014 erkrankte die Klägerin arbeitsunfähig. Das Originalkündigungsschreiben gab die Beklagte am Folgetag als Abholeinschreiben zur Post. Ob die Klägerin durch eine Benachrichtigung der Post AG von der Lagerung eines an sie adressierten Schreibens unterrichtet wurde ist zwischen den Parteien streitig. Nachdem die Klägerin das Schreiben nicht abgeholt hatte, ging das Kündigungsschreiben als Rückläufer am 23. Juni 2014 bei der Beklagten ein, die daraufhin die Kündigung an die Klägerin erneut versendete. Das Originalkündigungsschreiben ging der Klägerin am 26. Juni 2014 zu.
Bereits am 10. Juni 2014 machte die Klägerin den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses mit der an das Arbeitsgericht Stuttgart gerichteten Klage geltend.
Nachdem der Gütetermin vom 2. Juli 2014 ohne vergleichsweise Einigung geendet hatte, forderte die Beklagte die Klägerin „zur Vermeidung von Verzugsfolgen“ auf, die Arbeit ab Freitag, den 4. Juli 2014 aufzunehmen (Schreiben vom 3. Juli 2014). Die Klägerin arbeitete daraufhin im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014. Ab dem 15. Juli 2014 erkrankte die Klägerin erneut arbeitsunfähig.
Im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 zahlte die Beklagte an die Klägerin Urlaubsentgelt, nachdem die Klägerin bereits lange zuvor für diesen Zeitraum Urlaub beantragt hatte. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen liegen für diesen Zeitraum nicht vor.
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Nachdem die Klägerin mit Bescheid vom 1. Juli 2014 (rückwirkend zum 9. Mai 2014) einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden ist, beantragte die Beklagte mit Schreiben vom 1. August 2014 beim zuständigen Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Bescheid vom 28. Oktober 2014 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. Oktober 2014 zum 30. November 2014.
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Die Klägerin meint zunächst, die Kündigung vom 20. Mai 2014 sei am Maßstab des Kündigungsschutzgesetztes zu messen, da sich die Klägerin keinen vor dem 26. Juni 2014 liegenden Zugangszeitpunkt für das Kündigungsschreiben entgegenhalten lassen müsse. In jedem Fall sei die Kündigung vom 20. Mai 2014 deshalb unwirksam, weil die Kündigung die Klägerin wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteilige. Die Benachteiligung ergebe sich daraus, dass Herr R nach seiner Äußerung vom 4. März 2014 die Klägerin - auch gegenüber Herrn E - schlecht gemacht habe. Herr E seinerseits habe sich am 15. April 2014 gegenüber der Klägerin in der Weise geäußert, dass sie sich in Herrn R hineinversetzen solle; dieser habe schließlich keine Freundin; wie sie sich denn fühlen würde, wenn sie jemand abweise. Sie solle Herrn R verstehen und einfach einen lockeren Umgang an den Tag legen. Er erwarte ohnehin von ihr, dass sie an sich arbeite und Kunden und Kollegen einfach ein bisschen mehr um den Finger wickle. Die Klägerin trägt daher vor, Kündigungsgrund seien nicht - wie die Beklagte behaupte - Leistungsmängel, sondern letztlich die Zurückweisung des Kollegen R und die Beschwerden der Klägerin über dessen Verhalten. Das Arbeitsverhältnis bestehe ohnehin fort, nachdem die Klägerin - ohne Abschluss einer wirksamen Vereinbarung zur Prozessbeschäftigung - tatsächlich wieder gearbeitet habe. Was die Kündigung vom 29. Oktober 2014 anbelange, so sei diese Kündigung sozial nicht gerechtfertigt.
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Die Beklagte meint im Wesentlichen, die Kündigung vom 20. Mai 2014 sei nicht am Kündigungsschutzgesetz zu messen, da ein früherer Zugang des Schreibens wegen Zugangsvereitelung anzunehmen sei. Insbesondere im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014, auf dessen gesamten Inhalt Bezug genommen wird, führt die Beklagte aus, Grund für die Kündigung vom 20. Mai 2014 seien ausschließlich Fehlleistungen der Klägerin, zunehmende Kundenbeschwerden und Probleme in der Teamarbeit. Im Gespräch vom 15. April 2014 sei der Vorfall vom 4. März 2014 nicht thematisiert worden, insb. nachdem Herr R in einem Telefonat vom 7. März 2014 sein Verhalten gegenüber Herrn E offenbart und mitgeteilt habe, sich bei der Klägerin entschuldigt zu haben und Herr E Herrn R schon wegen dessen Äußerung gerügt habe. Keinesfalls habe Herr E Verständnis für Herrn R bzw. dessen Verhältnis gezeigt. Im Gespräch vom 15. April 2014 habe dieser lediglich im geschäftlichen Zusammenhang geäußert, er erwarte von der Klägerin, dass sie Kunden besser „um den Finger wickle“. Die Klägerin stelle Äußerungen von Herrn E in einem völlig falschen Zusammenhang dar; ein irgendwie diskriminierendes Verhalten sei Herrn E nicht vorzuwerfen.
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Mit Schreiben vom 8. Dezember 2014 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 32.500,00 Euro wegen der im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 zu den Vorfällen am 4. März und 15. April 2014 aufgestellten Behauptungen geltend, die sie mit der am 13. Februar 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung auch gerichtlich gegenüber der Beklagten verfolgt.
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Die Klägerin behauptet, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 diskriminierten die Klägerin mittelbar. Insbesondere mit dem Sachvortrag, das Gespräch am 15. April 2014 habe nicht mit dem laut Klageschrift behaupteten Inhalt stattgefunden, die Klägerin erfinde das Gespräch, habe sich die Beklagte unangemessen mit der Thematik vom 4. März und 15. April 2014 auseinandergesetzt und die Klägerin diskriminiert. Anstatt die Vorgänge zu prüfen, habe sich die Beklagte dem prozessualen Vorbringen der Klägerin verschlossen und sei lediglich den Sachverhaltsdarstellungen der Herren R und E gefolgt. Durch dieses Vorgehen und unter Missachtung der Verpflichtungen aus §§ 12, 13 AGG habe sich die Beklagte selbst mittelbar diskriminierend verhalten. Die Beklagte dränge die Klägerin von der Opfer- in die Täterrolle; der Klägerin stehe daher eine angemessene Entschädigung in Höhe einer Bruttojahresvergütung zu.
15 
Im Kammertermin vom 20. Februar 2015 haben die Parteien einen Teilvergleich mit dem folgenden Inhalt geschlossen:
16 
1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20. Mai 2014 zum 30. Juni 2014 aufgelöst wird. Die Parteien sind sich vielmehr darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis ungekündigt über den 30. Juni 2014 hinaus fortbesteht.
17 
2. Die beklagte Partei verpflichtet sich, an die klagende Partei als Arbeitsentgelt für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 4. Juli 2014 einen Betrag in Höhe von 217,39 EUR brutto zu bezahlen.
18 
3. Damit sind Entgeltansprüche der klagenden Partei im Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 4. Juli 2014 erledigt.
19 
Die Klägerin beantragt daraufhin:
20 
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 nicht zum 30. November 2014 aufgelöst wird.
21 
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine angemessene Entschädigung nach Rechtsauffassung des Gerichts, mindestens jedoch 32.500,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit Klagezustellung zu bezahlen.
22 
Die Beklagte beantragt:
23 
1. Die Klage abzuweisen.
24 
2. Die Klägerin zur Rückzahlung des für die Zeit vom 4. August bis 22. August 2014 erhaltenen Urlaubsentgelts in Höhe von 1.785,71 Euro brutto zu verurteilen.
25 
Die Klägerin beantragt,
26 
die Widerklage abzuweisen.
27 
Die Beklagte behauptet im Wesentlichen, Grund für die Kündigung vom 29. Oktober 2014, zu der der Betriebsrat am 28. Oktober 2014 angehört worden sei, seien Leistungsmängel der Klägerin im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014, die Diskriminierungsvorwürfe der Klägerin gegenüber Herrn E und Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin. Was Fehlleistungen im Zeitraum 7. bis 14. Juli 2014 anbelange, so habe die Klägerin beispielsweise zu einem Vorgang (Auftrags-Nr. 30824174, Fa. S) zu einer Position des Lieferauftrags eine falsche Artikel-Nr. ermittelt, beim Lieferanten statt „ab Lager“ bestellt und eine falsche Stückzahl angegeben; der Retourenauftrag sei ebenfalls falsch bearbeitet worden (an „Industrie“ statt „ans Lager“ zurückgesandt und die Retoure „mit Abholschein“ statt „Retouren-Auftrag über SAP“). In einer Email vom 29. April 2014 an Herrn Kx von der Fa. Si zeige die Klägerin unstreitig einen Erfassungsfehler an; nicht nachvollziehen könne die Beklagte, weshalb die Klägerin Herrn Kx in der Email duze. Beim Auftrag der Fa. Br vom 7. Juli 2014 habe die Klägerin den Auftrag falsch erfasst, weshalb eine Kollegin und ein Lagerarbeiter viel Zeit investiert hätten, um eine korrekte Lieferung zu gewährleisten. Am 9. Juli 2014 habe die Klägerin auf die Bitte einer Kollegin, bei der Auftragserfassung zu helfen, geantwortet, keine Zeit zu haben, obwohl die Auftragserfassung hohe Priorität habe. Zudem habe die Klägerin die Anweisung „Erfassung des Angebots wie gespeichert“ nicht befolgt; beim Angebot 10115712 HN habe die Klägerin entgegen dieser Anweisung den Kunden angerufen und einen eigenen Kalkulationsrabatt bestimmt. Im Übrigen stelle die Klägerin Behauptungen zum Gespräch vom 15. April 2014 auf, die nicht stimmten. Auch halte die Klägerin an ihrem Vortrag fest, von Herrn E - trotz Aufklärung und Stellungnahme durch diesen - diskriminiert worden zu sein. Was die Widerklage betreffe, so sei die Klägerin mit Ausnahme des Zeitraums vom 7. bis 14. Juli 2014 arbeitsunfähig erkrankt gewesen, wenn auch die Klägerin für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Die Beklagte gehe davon aus, dass durchgehend Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Probleme als Grunderkrankung bestanden habe, wie die Diagnose aus der Erstbescheinigung vom 15. Juli 2014 nahelege. Wenn die Klägerin aber arbeitsunfähig gewesen sei, habe sie keinen Entgeltanspruch, insb. keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Überschreitung des 6-Wochen-Zeitraums.
28 
Im Kammertermin vom 20. Februar 2015 haben die Parteien einen widerruflichen Vergleich geschlossen, den die Klägerin innerhalb der vereinbarten Frist widerrufen hat. Für den Fall des Widerrufs hat das Gericht die Bestimmung eines Verkündungstermins von Amts wegen angeordnet, der mit Verfügung vom 26. März 2015 auf den 15. April 2015 bestimmt wurde.
29 
Mit Schriftsatz vom 26. März 2015 beantragt die Klägerin erweiternd,
30 
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine weitere angemessene Entschädigung nach Rechtsauffassung des Gerichts, mindestens jedoch 48.750,00 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über Basiszins seit Klagezustellung zu bezahlen.
31 
Die Klägerin behauptet insoweit im Wesentlichen, sie sei durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 mittelbar diskriminiert worden, weil die Beklagte ihre Kündigung vom 29. Oktober 2014 ua. mit dem Vorwurf, sie habe ihrem Vorgesetzten - zu Unrecht - diskriminierendes Verhalten vorgeworfen, begründet wurde. Durch den unangemessenen Umgang mit der Thematik und unter Verstoß gegen die Pflichten aus §§ 12, 13 AGG habe die Beklagte die Klägerin mittelbar diskriminiert.
32 
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 2. Juli 2014 und 20. Februar 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
A.
33 
Die Klage hat nur hinsichtlich des Bestandsschutzantrags Erfolg. Die Widerklage war insgesamt abzuweisen.
I.
34 
Die Klage ist nur hinsichtlich des Feststellungsbegehrens begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet nicht durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 zum 30. November 2014. Der Klägerin steht die geforderte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 32.500,00 Euro nicht zu. Die Klageerweiterung um eine weitere Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist unzulässig.
35 
1. Die allein noch im Streit stehende Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2014 ist nicht sozial gerechtfertigt und daher unwirksam.
36 
a) Die Kündigung gilt zunächst nicht bereits nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, denn die Klägerin hat die Kündigung rechtzeitig innerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Die Klägerin hat insbesondere bereits mit der ursprünglichen Klageschrift einen sog. „Schleppnetzantrag“, dh. allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO gestellt, der auch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 erfasste. Die Klägerin hat darüber hinaus gesondert innerhalb der 3-Wochenfrist einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG in Bezug auf die Kündigung vom 29. Oktober 2014 gestellt.
37 
b) Die Kündigung vom 29. Oktober 2014 ist am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, welches nach seinen persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen Anwendung findet (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG); die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, insb. nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt.
38 
aa) Eine Kündigung ist durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 81).
39 
(1) Für eine verhaltensbedingte (ordentliche wie außerordentlich) Kündigung gilt dabei das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen (vgl. BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5). Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227 ff.; Schlachter, NZA 2005, 433, 436). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung, d.h. aufgrund objektiver Umstände geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragsverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO.; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - AP BGB § 174 Nr. 20; KR-Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB, Rn. 266; vHH/L/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 498, 512). Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - NZA 2006, 917 ff; Schlachter, NZA 2005, 433 ff.). Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 16, aaO). Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 160/06 - aaO) oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des - auch entsprechenden einmaligen - Verhaltens durch den Arbeitgeber offenkundig ausgeschlossen ist (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 15, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - BAGE 99, 331). Eine frühere, unwirksame Kündigung kann die Funktion einer Abmahnung dann erfüllen, wenn der Kündigungssachverhalt feststeht und die Kündigung aus anderen Gründen - zB wegen fehlender Abmahnung - für unwirksam erachtet worden ist (vgl. BAG 31. August 1989 - 2 AZR 13/89 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 23 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).
40 
(2) Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Die Vertragsverletzung ist vom Arbeitgeber anhand von Tatsachen konkret darzulegen. Pauschale Erklärungen und Tatsachenwertungen, wie "schludrige Arbeitsweise", "häufiges Zuspätkommen", reichen nicht aus (vgl. KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 412; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 207). Sofern Abmahnungen erfolgt sind, hat der Arbeitgeber diese vorzutragen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer zu beweisen, dass diese Abmahnungen wirksam, dh. insbesondere berechtigt waren (vgl. vHH/L/Krause KSchG § 1 Rn. 560). Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 - zu II 3 a der Gründe, RzK I 10h Nr. 30).
41 
bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Beklagte die Kündigung weder erfolgreich auf Leistungsmängel noch den Umstand, die Klägerin werfe Herrn E ein tatsächlich nicht vorliegendes diskriminierendes Verhalten vor, stützen. Soweit die Beklagte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin angibt, liegt jedenfalls kein Pflichtenverstoß im Arbeitsverhältnis vor.
42 
(1) Nach vorheriger Abmahnung kann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mit der geschuldeten Qualität oder Quantität erfüllt (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 14, BAGE 125, 257; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 278; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 128; HaKo-KSchR/Zimmermann 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 387; KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 448; HWK/Quecke 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 239; AR/Kaiser 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 50).
43 
(a) Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen. Dem Arbeitnehmer ist es allerdings nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach freiem Belieben zu bestimmen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 15, aaO; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - Rn. 90, BAGE 109, 87; APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 278a; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 448; Friemel/Walk NJW 2005, S. 3669 ff.; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 15; aA vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 684; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 131 Rn. 48).
44 
(b) Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Leistungsmängeln sowie für eine zuvor erfolgte Abmahnung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber. Die einzelnen Leistungsmängel hat er dabei so konkret wie möglich zu bezeichnen, und zwar unter Aufzeigung der jeweiligen Pflichtwidrigkeiten sowie unter Darlegung der einzelnen Fehler. Durch pauschale Werturteile über die von einem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung genügt der Arbeitgeber der ihm obliegenden Darlegungslast grundsätzlich nicht. Zu einem schlüssigen Vortrag gehört vielmehr die Darlegung, worin das Versagen des Arbeitnehmers im Einzelnen besteht, welche Minder-, Fehl- oder Schlechtleistungen ihm zur Last zu legen sind und welche Mängel in der fachlichen oder persönlichen Qualifikation vorliegen (vgl. BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 46, 163; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 449). Dabei ist auch der herangezogene Vergleichsmaßstab substantiiert vorzutragen. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, selbständig feststellen zu können, ob bzw. dass eine nicht mehr zu tolerierende Fehlerquote vorliegt. Die lediglich allgemeine Beschreibung fehlerhafter Arbeitsleistungen genügt diesen prozessualen Anforderungen nicht (vgl. APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 281).
45 
(aa) Es ist daher zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt der Arbeitgeber aber lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Da der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 546/06 - Rn. 22, aaO). Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber bei vorgeworfener qualitativer Minderleistung näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 22, aaO; LAG Schleswig-Holstein 24. Februar 2010 - 6 Sa 399/09 - NZA-RR 2010, 466 ff.; LAG Köln 07. August 2009 - 4 Sa 1394/08 -; Friemel/Walk NJW 2010, 1557 ff.). In diesem Zusammenhang muss der Arbeitgeber die Vergleichsgruppe transparent, d.h. nachvollziehbar darlegen. Die dabei einbezogenen Mitarbeiter müssen hinsichtlich ihrer Qualifikation, Berufserfahrung und hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit erbringen, vergleichbar sein. Schließlich kann ein längerfristiges Überschreiten der durchschnittlichen Fehlerquote nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber seinen Angaben einen längeren Referenzzeitraum nachvollziehbar zugrunde legt (vgl. Friemel/Walk NJW 2010, 1557, 1559 f.).
46 
(bb) Genügt der Arbeitgeber diesen Maßstäben, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen, gegebenenfalls das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Trägt der Arbeitnehmer derartige Umstände nicht vor, gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO(vgl. BAG 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - Rn. 92, aaO; HaKo-KSchR/Zimmermann § 1 KSchG Rn. 389; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 18).
47 
(c) Unabhängig davon, dass die Beklagte nach diesen Maßstäben schon ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, als sie teilweise auch nur vorgetragen hat, die Klägerin habe einen „Auftrag falsch erfasst“, was für eine substantiierte Darlegung von Schlechtleistungen nicht genügt und nicht im Ansatz aufgezeigt, dass die Fehler der Klägerin zu einer nicht mehr tolerierbaren Fehlerquote geführt haben, fehlt es in jedem Fall an einer der Kündigung vorausgehenden Abmahnung. Die der Klägerin vorgeworfenen Schlechtleistungen stellen ein typisches Verhalten dar, bei dem grundsätzlich davon auszugehen ist, dass bereits der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht hätte, um dem Risiko künftiger gleichgelagerter Pflichtverletzungen zu begegnen. Dies gilt auch, soweit die Beklagte behauptet, die Klägerin habe mit dem Hinweis auf „keine Zeit“ die Übernahme von Tätigkeiten abgelehnt bzw. sich unangemessen gegenüber Kunden (duzen) verhalten. Eine Abmahnung war vorliegend auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte bereits zuvor eine unwirksame Kündigung (vom 20. Mai 2014) ausgesprochen hätte und diese mit Leistungsmängeln in der gerichtlichen Auseinandersetzung begründet hat. Zum Einen ging die Beklagte bei der Kündigung vom 20. Mai 2014 davon aus, keine Gründe - mangels Erfüllung der Wartezeit - angeben zu müssen. Der Kündigungssachverhalt stand daher - für die Klägerin erkennbar - nicht fest, sondern war lediglich Gegenstand des Beklagtenvortrags. Zum Anderen ist die Kündigung vom 20. Mai 2014 auch nicht unwirksam. Vielmehr haben sich die Parteien auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 30. Juni 2014 hinaus im Teilvergleich vom 20. Februar 2014 verständigt. Die Kündigung vom 20. Mai 2014 kann daher nicht - als unwirksame Kündigung - die Funktion einer Abmahnung erfüllen. Mit anderen Worten: durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 war die Klägerin nicht hinsichtlich ihres Leistungsverhaltens abmahnungsgleich gewarnt.
48 
(2) Die Klägerin hat durch ihren prozessualen Vortrag, der die Behauptung einschließt, von Herrn E diskriminiert worden zu sein, nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen.
49 
(a) Einen die ordentliche bzw. - je nach den Umständen des Einzelfalls - fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. (grobe) Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 240 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 43). Die Meinungsfreiheit muss regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 15, NJW 2013, 3021; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, aaO mwN). Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1).
50 
(b) Danach liegt im prozessualen Vortrag der Klägerin keine die Kündigung rechtfertigende üble Nachrede oder aber eine Beleidigung ihres Vorgesetzten Herrn E.
51 
(aa) Zu berücksichtigen ist, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 24, NZA 2014, 1258 mit Hinweis auf BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO). Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren überschreiten nur in Ausnahmefällen die Grenzen des aufgrund der Meinungsfreiheit Zulässigen. Gegen Prozessbehauptungen kann nur dann rechtlich vorgegangen werden, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich die Mitteilung als missbräuchlich darstellt (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 20, NJW 2013, 3021; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 20; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 67 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 62). Die bloße "Unangemessenheit" und "Unnötigkeit" der Äußerung reichen dafür nicht aus (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - aaO). Im Übrigen gilt: wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit seinen Gegner zum Einlenken veranlassen will (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 29, aaO). Eine Schmähkritik liegt erst dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 15, aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312).
52 
(bb) Bei dem prozessualen Vorbringen der Klägerin, mit dem sie - für den Fall der Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Kündigung vom 20. Mai 2014 - die Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 7 Abs. 1, 3, 1 AGG darzulegen suchte, handelt es sich weder um einen Vortrag, dessen Unhaltbarkeit auf der Hand LAG, was auch die Beklagte nicht behauptet, noch um eine Schmähkritik des Vorgesetzten. Die Klägerin hat - nach ihrem Erleben - die Vorgänge vom 4. März, 15. April und das Kündigungsgespräch vom 20. Mai 2014 geschildert. Ob sich diese Schilderung - ggf. im Wege einer Beweisaufnahme - als zutreffend erwiesen hätten, ist unerheblich, jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin - erkennbar - völlig unhaltbare Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Die Äußerungen in den klägerischen Schriftsätzen stellen auch keine Schmähkritik dar, vielmehr eine an der Sache „Unwirksamkeit der Kündigung“ orientierte Schilderung des von der Klägerin wahrgenommenen Sachverhalts.
53 
2. Keinen Erfolg hat die Klage aber hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Entschädigung iHv. mindestens 32.500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG.
54 
a) Die Klage ist allerdings insoweit zulässig.
55 
aa) Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens (§ 15 Abs. 2 AGG) wegen einer behaupteten Benachteiligung durch den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014, nicht ein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 (ein solcher wäre nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen).
56 
bb) Der Antrag ist auch nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichend bestimmt. Insbesondere durfte die Klägerin die Höhe der Forderung in das Ermessen des Gerichts stellen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG). Erforderlich ist allein, dass der Kläger - wie vorliegend durch die Klägerin geschehen - Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 16 mwN, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).
57 
b) Die Klage ist aber unbegründet. Der Klägerin steht keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
58 
aa) Für die Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten ist der persönliche Anwendungsbereich des AGG (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG) eröffnet. Die Beklagte ist als Arbeitgeberin iSv. § 6 Abs. 2 AGG passivlegitimiert und der Entschädigungsanspruch ist rechtzeitig iSv. § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.
59 
bb) Ein Entschädigungsanspruch steht der Klägerin aber deshalb nicht zu, weil der Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot iSv. § 7 AGG im sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 2 AGG) voraussetzt, an dem es vorliegend fehlt. § 15 Abs. 2 AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung. Für die Voraussetzungen ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen
60 
(1) Bereits der sachliche Anwendungsbereich des AGG ist im Falle von Aufstellen von Tatsachenbehauptungen und dem Äußern von Rechtsansichten in einem gerichtlichen Verfahren nicht eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn über Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis gestritten wird.
61 
(a) Nach § 2 Abs. 1 AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ua. unzulässig in Bezug auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg (Nr. 1) und die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg (Nr. 2).
62 
(aa) Nach Nr. 1 wird der vorvertragliche Kontakt wie auch die Vertragsschlusssituation in den Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots einbezogen, also die Vertragsanbahnungsphase, die dem Zugang zu jeder Form von selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit vorausgeht (vgl. ErfK/Schlachter § 2 AGG Rn. 4). Auch die Stellen(neu)besetzung nach Auslauf einer Befristung gehört zum „Zugang“ (vgl. BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 20, BGHZ 193, 110).
63 
(bb) Unter den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG sind alle Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist(vgl. BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 12, BAGE 141, 73). Entlassungsbedingungen im Sinne der Norm sind alle Bedingungen, die das „Ob“ und „Wie“ der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses regeln (vgl. BAG 6. April 2011 - 7 AZR 524/09 - Rn. 14, AP AGG § 10 Nr. 1). § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG umfasst damit den gesamten Inhalt des Arbeitsverhältnisses einschließlich dessen Beendigung(vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 9). Als „Maßnahmen“ sind sämtliche Anordnungen des Arbeitgebers, also beispielsweise Weisungen, einseitige Leistungsbestimmungen, Versetzungen und Umsetzungen zu betrachten (vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 32, BAGE 129, 181).
64 
(b) Die Klägerin macht eine Benachteiligung durch einen prozessualen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 geltend. Hierbei handelt es sich nicht um Bedingungen für den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) oder um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Durch den Vortrag in einem Schriftsatz zu einem geführten Prozess beeinflusst die Beklagte die Bedingungen der Prozessführung und die Umstände, die das Gericht für die Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat, nicht aber die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (eine Kündigung wird mit ihrem Zugang wirksam; für die gerichtliche Entscheidung kommt es auf diesen Zeitpunkt an) oder die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Durch die Erhebung der Klage ist zwischen den Parteien vielmehr ein Prozessrechtsverhältnis begründet worden, welches die Beziehungen der Parteien untereinander, aber auch zum Gericht verknüpft und aus dem sich Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, eine allgemeine Prozessförderungspflicht, Wahrheits- und Vollständigkeitspflichten, eine allgemeine Redlichkeitspflicht und ein prozessuales Missbrauchsverbot ergeben (vgl. Zöller/Vollkommer 30. Aufl. Einleitung Rn. 52 ff.). Macht eine Partei unzutreffende oder nicht vollständige Ausführungen etc., so knüpft das Prozessrecht hieran Folgen. Das Prozessrechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur und von der Privatrechtsbeziehung, über die gestritten wird, zu trennen (vgl. HK-ZPO/Saenger 5. Aufl. Einführung Rn. 90; Musielak ZPO 11. Aufl. Einleitung Rn. 56; MüKo-ZPO/Rauscher 4. Aufl. Einleitung Rn. 30). Die Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 betreffen insb. den über die Kündigung vom 20. Mai 2014 geführten Rechtsstreit. Die Beklagte stellt hierin Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten. Es geht mithin nicht um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen oder Entlassbedingungen, sondern um Ausführungen zur Rechtsverteidigung in einem geführten Prozess; nur das Prozessrechtsverhältnis, nicht aber das Arbeitsverhältnis ist insoweit betroffen. Das AGG soll nicht das geltende Prozessrecht verändern, weil die Parteien über ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis im Anwendungsbereich des AGG streiten.
65 
(2) Aber selbst wenn man annehmen wollte, das Arbeitsverhältnis strahle über die in ihm statuierten Nebenpflichten auch in das Prozessrechtsverhältnis hinein, mit der Folge, dass auch für Äußerungen in einem Arbeitsgerichtsprozess der sachliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet sei, muss das Begehren der Klägerin scheitern, weil ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§§ 7 Abs. 1, 3 AGG) nicht vorliegt. Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellen keine Benachteiligung iSv. § 3 AGG dar.
66 
(a) Die Klägerin hat weder eine unmittelbar noch eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG durch die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 erfahren.
67 
(aa) Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Ein Arbeitnehmer erfährt nicht bereits dann eine „weniger günstige Behandlung“ iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn er objektiv anders als ein anderer, das Merkmal nach § 1 AGG tragender Arbeitnehmer behandelt wird (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 25, BAGE 133, 265). Ob eine Benachteiligung vorliegt oder nicht, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 29). Die „weniger günstige Behandlung“ kann in der Versagung einer Chance im Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22, AP AGG § 3 Nr. 9 = EzA AGG § 7 Nr. 2), der Ablehnung eines Vertragsschlusses, im Diktieren ungünstiger Vertragsbedingungen oder einer Kündigung (vgl. BAG 12. Dezember 20132 - 8 AZR 838/12 - Rn. 21, NZA 2014, 722), aber auch in rein faktischen Vorgängen, wie bspw. dem Ausschluss von der Internetnutzung, liegen. Insgesamt geht es um ein negatives Betroffensein (vgl. Däubler/Betzbach-Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 16). Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (vgl. BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 28, ZTR 2014, 731).
68 
(bb) Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist letztlich ein Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots der unmittelbaren Diskriminierung, weshalb auch eine konkrete Betroffenheit vorausgesetzt ist (vgl. BAG 14. November 2013 - 8 AZR 997/12 - Rn. 37, AP AGG § 15 Nr. 16 = EzA AGG § 7 Nr. 3). Die Benachteiligten müssen von der mittelbaren Benachteiligung konkret betroffen sein bzw. es muss eine hinreichend konkrete Gefahr bestehen, dass den Betroffenen im Vergleich zu Angehörigen anderer Personengruppen ein besonderer Nachteil droht (vgl. Adomeit/Mohr § 3 Rn. 125; Däubler/Bertzbach-Schrader-Schubert § 3 Rn. 51).
69 
(cc) Danach hat die Klägerin keinen Nachteil im vorgenannten Sinne durch die Ausführungen der Beklagten in deren Schriftsatz erfahren. Die Ausführungen der Beklagten, dh. der „Streit um das Recht“ - konkret: über die Frage, ob die Kündigung der Beklagten vom 20. Mai 2014 die Klägerin iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligte, stellen nicht ihrerseits Benachteiligungen iSv. § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 2 AGG dar.
70 
(aaa) In ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellt die Beklagte Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten, die ihrerseits Grundlage für eine Entscheidung durch das Gericht bilden sollen. Hierdurch wird auf die Rechtsposition der Klägerin im Arbeitsverhältnis nicht eingewirkt. Weder entsteht ein Nachteil hierdurch noch droht ein solcher. Die Ausführungen sollen lediglich die Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung bilden, wobei das Gericht für eine Entscheidung an die Prozessordnung und die (Justiz-)Grundrechte gebunden ist und die Entscheidung unter Würdigung aller Umstände (§ 286 ZPO) zu treffen hat. Eine Benachteiligung kann nur in dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis, etwa im Ausspruch einer diskriminierenden Kündigung, liegen, nicht aber in den Ausführungen beim gerichtlichen Streit über das Arbeitgeberhandeln. Mit anderen Worten: diskriminierend kann allenfalls die Kündigung vom 20. Mai 2014 gewesen sein, nicht das Vorbringen der Beklagten im Prozess, dass dem nicht so gewesen ist.
71 
(bbb) Für das gefundene Ergebnis spricht ganz klar auch die gesetzgeberische Konzeption, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche mit einer Ausschlussfrist (§ 15 Abs. 4 AGG) zu verknüpfen, die zu laufen beginnt, wenn der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Die Ausschlussfrist könnte ihren Zweck, schnell Rechtssicherheit über das Bestehen von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche herbeizuführen, nicht erfüllen, läge in der Rechtsverteidigung zu einem bestimmten, als diskriminierend beschriebenen Verhalten bzw. Sachverhalt wiederum seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG, mit der Folge, dass erneut eine Ausschlussfrist zu laufen begönne. Die Negierung eines Verhaltens als „diskriminierend“ würde so zu einer immer neue Ausschlussfristen auslösenden Kaskade, mit der Folge der „Unverfallbarkeit“ eines Entschädigungsbegehrens wegen eines in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts. Dies widerspricht der gesetzgeberischen Konzeption und zeigt, dass ein Negieren einer Diskriminierung nicht seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG darstellen kann.
72 
(ccc) Schließlich spricht auch die gesetzgeberische Konzeption, in § 16 AGG ein Maßregelungsverbot zu schaffen, der es dem Arbeitgeber verbietet, Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem 2. Abschnitt des AGG oder der Weigerung, eine gegen den 2. Abschnitt des AGG verstoßende Anweisung auszuführen, zu benachteiligen, gegen die Annahme, Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten über die Frage einer Benachteiligung könnten ihrerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein. An § 16 AGG wird deutlich, dass der Gesetzgeber zwar „Benachteiligungen“ wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG verbietet, gleichzeitig aber die „Benachteiligung“ iSv. § 16 AGG eine andere Qualität hat, als eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG und nicht bedeutungsgleich(vgl. ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 16 AGG Rn. 2), sondern wie in § 612a BGB zu verstehen ist(vgl. Voigt in: Scheusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 16 Rn. 4). Dementsprechend ist auch das Rechtsfolgensystem von § 16 AGG ausgestaltet. Benachteiligungen iSv. § 16 AGG sind unwirksam, können aber keine Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG auslösen(vgl. Däubler/Bertzbach-Deinert § 16 Rn. 36; AR/Kappenhagen § 17 AGG Rn. 4; MüKo-BGB/Thüsing 6. Aufl. § 16 AGG Rn. 16). Ein Vorbringen bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG (insb. Tatsachenbehauptungen) kann folglich allenfalls eine Maßregelung iSv. § 16 AGG, nicht aber eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein.
73 
(b) Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 sind schließlich auch keine Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 bzw. keine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG.
74 
(aa) Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG liegt auch dann vor, wenn von einer Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG auszugehen ist. Dabei ist die Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Die Würdeverletzung und ein „feindliches Umfeld“ - als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ - müssen für die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG kumulativ vorliegen(vgl. BAG 17. Oktober 2013 - 8 AZR 742/12 - Rn. 41, AP AGG § 15 Nr. 15 = EzA AGG § 3 Nr. 8). Weder behauptet die Klägerin, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 beinhalteten eine Würdeverletzung und dienten der Schaffung eines „feindlichen Umfelds“. Selbiges ist auch nicht ansatzweise ersichtlich. Die Tatsachenbehauptungen gehen nicht über das zur Rechtsverteidigung notwendige Maß hinaus, ein Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG ist nicht gegeben.
75 
(bb) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 17; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18, aaO; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 150); einer Wiederholungsgefahr bedarf es nicht (vgl. Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert § 3 Rn. 77). Ob ein Verhalten sexuell bestimmt ist, beurteilt sich aus der Sicht eines objektiven Beobachters (vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 151; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 21). Auch die Klägerin behauptet nicht ansatzweise, der Schriftsatz der Beklagten vom 6. Oktober 2014 enthalte Ausführungen, die eine sexuelle Belästigung darstellten. Ein sexuell bestimmtes Verhalten, dh. sexuell bestimmte Ausführungen sind dem Schriftsatz nicht zu entnehmen.
76 
3. Nicht zu entscheiden war über die Klageerweiterung vom 26. März 2015, mit der die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.7500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG erstrebt. Die Klageerweiterung ist unzulässig.
77 
a) Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro zu verurteilen, ist deshalb unzulässig, weil Sachanträge, wie sich aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2 und § 297 ZPO ergibt, spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen(vgl. BGH 27. Oktober 2011 - III ZR 235/10 - Rn. 2; 19. März 2009 - IX ZB 152/08 - Rn. 8 mwN, NJW-RR 2009, 853; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 296a Rn. 2a). Mangels Antragstellung in mündlicher Verhandlung durfte über die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung nicht entschieden werden (vgl. BGH 19. März 2009 - IX 152/08 - Rn. 9, aaO; aA BGH 12. Mai 1992 - XI ZR 251/91 - NJW-RR 1992, 1085: Klageabweisung möglich).
78 
b) Das Gericht hatte die mündliche Verhandlung auch nicht wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO). Die Kammer hat geprüft, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO gegeben sind oder ob nach dem Ermessen des Gerichts (§ 156 Abs. 1 ZPO) die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Gründe iSv. § 156 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, insb. unter Berücksichtigung der Konzentrationsmaxime hat die Kammer das ihr eingeräumte Ermessen iSd. Nichteröffnung iSv. § 156 Abs. 1 ZPO ausgeübt.
II.
79 
Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Beklagte Zahlung an sich verlangt. Der Widerklageantrag ist jedoch unbegründet. Der Beklagten steht ein auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützter Anspruch zur Rückzahlung der gewährten Urlaubsvergütung iHv. 1.785,71 Euro wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu. Vielmehr bildet der der Klägerin unstreitig für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 gewährte Urlaub den Rechtsgrund (§§ 11, 7 BUrlG) für das Behaltendürfen iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist irrelevant, ob die Klägerin im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig war oder nicht; auch § 9 BUrlG ändert hieran nichts.
80 
1. § 9 BUrlG will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaubsanspruch verliert. Allerdings besteht ohne ärztliches Attest kein Nachgewährungsanspruch, wie sich eindeutig aus dem Wortlaut von § 9 BUrlG ergibt. Einerseits wird so ein Missbrauch zulasten des Arbeitgebers verhindert, andererseits wird dem Arbeitnehmer ermöglicht, auf eine Nachgewährung zu verzichten, indem kein Attest vorgelegt wird. Verlangt der Arbeitnehmer keine Nachgewährung durch Vorlage eines Attests, behält er für die Dauer des Urlaubs seine (Urlaubs-)Vergütung als Arbeitsentgelt, während ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ggf. nicht bestünde (vgl. ErfK/Gallner § 9 BUrlG Rn. 5; Powietzka/Rolf BUrlG § 9 Rn. 23).
81 
2. Die Klägerin hat für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 kein ärztliches Attest vorgelegt und klargestellt, keine Nachgewährung zu begehren. Damit verbleibt es bei dem der Klägerin gewährten Urlaub und der ihr gewährten Vergütung, auch wenn sie im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig gewesen sein sollte.
B.
82 
Nachdem die Klägerin und Beklagte jeweils nur zum Teil obsiegt haben, waren die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens verhältnismäßig zu teilen, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 92 Abs. 1 ZPO.
C.
83 
Die Festsetzung des Urteilsstreitwerts beruht auf § 61 Abs. ArbGG, für den Bestandsschutzantrag liegen drei Bruttomonatsvergütungen (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG) und im Übrigen die bezifferten Zahlungsanträge der Klage (Entschädigungsbegehren iHv. 32.500,00 Euro) bzw. Widerklage zugrunde. Nicht zu addieren war der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Antrag auf Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro (vgl. Zöller/Greger § 296a Rn. 2a aE).
D.
84 
Nachdem Gründe iSv. § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen, ist noch ausgesprochen, dass eine gesonderte Berufungszulassung nicht erfolgt (§ 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG).

Gründe

 
A.
33 
Die Klage hat nur hinsichtlich des Bestandsschutzantrags Erfolg. Die Widerklage war insgesamt abzuweisen.
I.
34 
Die Klage ist nur hinsichtlich des Feststellungsbegehrens begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet nicht durch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 zum 30. November 2014. Der Klägerin steht die geforderte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 32.500,00 Euro nicht zu. Die Klageerweiterung um eine weitere Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro nach Schluss der mündlichen Verhandlung ist unzulässig.
35 
1. Die allein noch im Streit stehende Kündigung der Beklagten vom 29. Oktober 2014 ist nicht sozial gerechtfertigt und daher unwirksam.
36 
a) Die Kündigung gilt zunächst nicht bereits nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam, denn die Klägerin hat die Kündigung rechtzeitig innerhalb der 3-Wochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG angegriffen. Die Klägerin hat insbesondere bereits mit der ursprünglichen Klageschrift einen sog. „Schleppnetzantrag“, dh. allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO gestellt, der auch die Kündigung vom 29. Oktober 2014 erfasste. Die Klägerin hat darüber hinaus gesondert innerhalb der 3-Wochenfrist einen Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG in Bezug auf die Kündigung vom 29. Oktober 2014 gestellt.
37 
b) Die Kündigung vom 29. Oktober 2014 ist am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, welches nach seinen persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen Anwendung findet (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG); die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 2 KSchG, insb. nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt.
38 
aa) Eine Kündigung ist durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 16, EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 81).
39 
(1) Für eine verhaltensbedingte (ordentliche wie außerordentlich) Kündigung gilt dabei das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für die Vertragspflichtverletzung, sondern dient der Vermeidung des Risikos weiterer Pflichtverletzungen (vgl. BAG 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5). Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch in der Zukunft belastend auswirken. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - NZA 2010, 1227 ff.; Schlachter, NZA 2005, 433, 436). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung, d.h. aufgrund objektiver Umstände geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragsverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO.; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - AP BGB § 174 Nr. 20; KR-Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB, Rn. 266; vHH/L/Krause KSchG 15. Aufl. § 1 Rn. 498, 512). Die Abmahnung ist zugleich aber auch Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - NZA 2006, 917 ff; Schlachter, NZA 2005, 433 ff.). Eine Kündigung ist nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete Mittel gibt, um die Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 16, aaO). Dieser Aspekt, der durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren hat, ist auch bei Störungen des Vertrauensbereichs zu beachten. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann (vgl. BAG 19. April 2007 - 2 AZR 160/06 - aaO) oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des - auch entsprechenden einmaligen - Verhaltens durch den Arbeitgeber offenkundig ausgeschlossen ist (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 15, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - BAGE 99, 331). Eine frühere, unwirksame Kündigung kann die Funktion einer Abmahnung dann erfüllen, wenn der Kündigungssachverhalt feststeht und die Kündigung aus anderen Gründen - zB wegen fehlender Abmahnung - für unwirksam erachtet worden ist (vgl. BAG 31. August 1989 - 2 AZR 13/89 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 23 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).
40 
(2) Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Die Vertragsverletzung ist vom Arbeitgeber anhand von Tatsachen konkret darzulegen. Pauschale Erklärungen und Tatsachenwertungen, wie "schludrige Arbeitsweise", "häufiges Zuspätkommen", reichen nicht aus (vgl. KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 412; ErfK/Oetker § 1 KSchG Rn. 207). Sofern Abmahnungen erfolgt sind, hat der Arbeitgeber diese vorzutragen und im Falle des Bestreitens durch den Arbeitnehmer zu beweisen, dass diese Abmahnungen wirksam, dh. insbesondere berechtigt waren (vgl. vHH/L/Krause KSchG § 1 Rn. 560). Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen (vgl. BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262; 18. Oktober 1990 - 2 AZR 204/90 - zu II 3 a der Gründe, RzK I 10h Nr. 30).
41 
bb) Unter Beachtung dieser Grundsätze kann die Beklagte die Kündigung weder erfolgreich auf Leistungsmängel noch den Umstand, die Klägerin werfe Herrn E ein tatsächlich nicht vorliegendes diskriminierendes Verhalten vor, stützen. Soweit die Beklagte Zweifel an der Arbeitsfähigkeit der Klägerin angibt, liegt jedenfalls kein Pflichtenverstoß im Arbeitsverhältnis vor.
42 
(1) Nach vorheriger Abmahnung kann eine verhaltensbedingte Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht mit der geschuldeten Qualität oder Quantität erfüllt (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 14, BAGE 125, 257; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 278; ErfK/Müller-Glöge 15. Aufl. § 626 BGB Rn. 128; HaKo-KSchR/Zimmermann 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 387; KR-Griebeling 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 448; HWK/Quecke 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 239; AR/Kaiser 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 50).
43 
(a) Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Ist die Arbeitsleistung im Vertrag, wie meistens, der Menge und der Qualität nach nicht oder nicht näher beschrieben, so richtet sich der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers. Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann. Die Leistungspflicht ist nicht starr, sondern dynamisch und orientiert sich an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Ein objektiver Maßstab ist nicht anzusetzen. Dem Arbeitnehmer ist es allerdings nicht gestattet, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung einseitig nach freiem Belieben zu bestimmen. Er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 15, aaO; 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - Rn. 90, BAGE 109, 87; APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 278a; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 448; Friemel/Walk NJW 2005, S. 3669 ff.; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 15; aA vHH/L/Krause 15. Aufl. § 1 KSchG Rn. 684; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 15. Aufl. § 131 Rn. 48).
44 
(b) Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Leistungsmängeln sowie für eine zuvor erfolgte Abmahnung ist nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber. Die einzelnen Leistungsmängel hat er dabei so konkret wie möglich zu bezeichnen, und zwar unter Aufzeigung der jeweiligen Pflichtwidrigkeiten sowie unter Darlegung der einzelnen Fehler. Durch pauschale Werturteile über die von einem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung genügt der Arbeitgeber der ihm obliegenden Darlegungslast grundsätzlich nicht. Zu einem schlüssigen Vortrag gehört vielmehr die Darlegung, worin das Versagen des Arbeitnehmers im Einzelnen besteht, welche Minder-, Fehl- oder Schlechtleistungen ihm zur Last zu legen sind und welche Mängel in der fachlichen oder persönlichen Qualifikation vorliegen (vgl. BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 46, 163; KR-Griebeling § 1 KSchG Rn. 449). Dabei ist auch der herangezogene Vergleichsmaßstab substantiiert vorzutragen. Das Gericht muss in die Lage versetzt werden, selbständig feststellen zu können, ob bzw. dass eine nicht mehr zu tolerierende Fehlerquote vorliegt. Die lediglich allgemeine Beschreibung fehlerhafter Arbeitsleistungen genügt diesen prozessualen Anforderungen nicht (vgl. APS/Dörner/Vossen § 1 KSchG Rn. 281).
45 
(aa) Es ist daher zunächst Sache des Arbeitgebers, zu den Leistungsmängeln das vorzutragen, was er wissen kann. Kennt der Arbeitgeber aber lediglich die objektiv messbaren Arbeitsergebnisse, so genügt er seiner Darlegungslast, wenn er Tatsachen vorträgt, aus denen ersichtlich ist, dass die Leistungen des betreffenden Arbeitnehmers deutlich hinter denen vergleichbarer Arbeitnehmer zurückbleiben, also die Durchschnittsleistung erheblich unterschreiten. Da der Vergleich durchschnittlicher Fehlerquoten für sich noch keinen hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob durch die fehlerhafte Arbeit des gekündigten Arbeitnehmers das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stark beeinträchtigt ist, muss der Arbeitgeber hier weitere Umstände darlegen (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 546/06 - Rn. 22, aaO). Anhand der tatsächlichen Fehlerzahl, der Art, Schwere und Folgen der fehlerhaften Arbeitsleistung des betreffenden Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber bei vorgeworfener qualitativer Minderleistung näher darzulegen, dass die längerfristige deutliche Überschreitung der durchschnittlichen Fehlerquote nach den Gesamtumständen darauf hinweist, dass der Arbeitnehmer vorwerfbar seine vertraglichen Pflichten verletzt (vgl. BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 536/06 - Rn. 22, aaO; LAG Schleswig-Holstein 24. Februar 2010 - 6 Sa 399/09 - NZA-RR 2010, 466 ff.; LAG Köln 07. August 2009 - 4 Sa 1394/08 -; Friemel/Walk NJW 2010, 1557 ff.). In diesem Zusammenhang muss der Arbeitgeber die Vergleichsgruppe transparent, d.h. nachvollziehbar darlegen. Die dabei einbezogenen Mitarbeiter müssen hinsichtlich ihrer Qualifikation, Berufserfahrung und hinsichtlich der Bedingungen, unter denen sie ihre Arbeit erbringen, vergleichbar sein. Schließlich kann ein längerfristiges Überschreiten der durchschnittlichen Fehlerquote nur dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber seinen Angaben einen längeren Referenzzeitraum nachvollziehbar zugrunde legt (vgl. Friemel/Walk NJW 2010, 1557, 1559 f.).
46 
(bb) Genügt der Arbeitgeber diesen Maßstäben, ist es Sache des Arbeitnehmers, hierauf zu entgegnen, gegebenenfalls das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten und/oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Trägt der Arbeitnehmer derartige Umstände nicht vor, gilt das schlüssige Vorbringen des Arbeitgebers als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO(vgl. BAG 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - Rn. 92, aaO; HaKo-KSchR/Zimmermann § 1 KSchG Rn. 389; Maschmann NZA-Beilage 1/2006, S. 13, 18).
47 
(c) Unabhängig davon, dass die Beklagte nach diesen Maßstäben schon ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist, als sie teilweise auch nur vorgetragen hat, die Klägerin habe einen „Auftrag falsch erfasst“, was für eine substantiierte Darlegung von Schlechtleistungen nicht genügt und nicht im Ansatz aufgezeigt, dass die Fehler der Klägerin zu einer nicht mehr tolerierbaren Fehlerquote geführt haben, fehlt es in jedem Fall an einer der Kündigung vorausgehenden Abmahnung. Die der Klägerin vorgeworfenen Schlechtleistungen stellen ein typisches Verhalten dar, bei dem grundsätzlich davon auszugehen ist, dass bereits der Ausspruch einer Abmahnung ausgereicht hätte, um dem Risiko künftiger gleichgelagerter Pflichtverletzungen zu begegnen. Dies gilt auch, soweit die Beklagte behauptet, die Klägerin habe mit dem Hinweis auf „keine Zeit“ die Übernahme von Tätigkeiten abgelehnt bzw. sich unangemessen gegenüber Kunden (duzen) verhalten. Eine Abmahnung war vorliegend auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beklagte bereits zuvor eine unwirksame Kündigung (vom 20. Mai 2014) ausgesprochen hätte und diese mit Leistungsmängeln in der gerichtlichen Auseinandersetzung begründet hat. Zum Einen ging die Beklagte bei der Kündigung vom 20. Mai 2014 davon aus, keine Gründe - mangels Erfüllung der Wartezeit - angeben zu müssen. Der Kündigungssachverhalt stand daher - für die Klägerin erkennbar - nicht fest, sondern war lediglich Gegenstand des Beklagtenvortrags. Zum Anderen ist die Kündigung vom 20. Mai 2014 auch nicht unwirksam. Vielmehr haben sich die Parteien auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 30. Juni 2014 hinaus im Teilvergleich vom 20. Februar 2014 verständigt. Die Kündigung vom 20. Mai 2014 kann daher nicht - als unwirksame Kündigung - die Funktion einer Abmahnung erfüllen. Mit anderen Worten: durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 war die Klägerin nicht hinsichtlich ihres Leistungsverhaltens abmahnungsgleich gewarnt.
48 
(2) Die Klägerin hat durch ihren prozessualen Vortrag, der die Behauptung einschließt, von Herrn E diskriminiert worden zu sein, nicht gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen.
49 
(a) Einen die ordentliche bzw. - je nach den Umständen des Einzelfalls - fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. (grobe) Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 240 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 43). Die Meinungsfreiheit muss regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 15, NJW 2013, 3021; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 15, aaO mwN). Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgte (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1).
50 
(b) Danach liegt im prozessualen Vortrag der Klägerin keine die Kündigung rechtfertigende üble Nachrede oder aber eine Beleidigung ihres Vorgesetzten Herrn E.
51 
(aa) Zu berücksichtigen ist, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 24, NZA 2014, 1258 mit Hinweis auf BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - aaO). Äußerungen in einem gerichtlichen Verfahren überschreiten nur in Ausnahmefällen die Grenzen des aufgrund der Meinungsfreiheit Zulässigen. Gegen Prozessbehauptungen kann nur dann rechtlich vorgegangen werden, wenn die Unhaltbarkeit der Äußerung auf der Hand liegt oder sich die Mitteilung als missbräuchlich darstellt (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 20, NJW 2013, 3021; BAG 31. Juli 2014 - 2 AZR 434/13 - Rn. 20; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 67 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 62). Die bloße "Unangemessenheit" und "Unnötigkeit" der Äußerung reichen dafür nicht aus (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - aaO). Im Übrigen gilt: wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit seinen Gegner zum Einlenken veranlassen will (vgl. BAG 8. Mai 2014 - 2 AZR 249/13 - Rn. 29, aaO). Eine Schmähkritik liegt erst dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 2. Juli 2013 - 1 BvR 1751/12 - Rn. 15, aaO; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 36, EzA KSchG § 9 nF Nr. 65; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, BAGE 138, 312).
52 
(bb) Bei dem prozessualen Vorbringen der Klägerin, mit dem sie - für den Fall der Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Kündigung vom 20. Mai 2014 - die Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 7 Abs. 1, 3, 1 AGG darzulegen suchte, handelt es sich weder um einen Vortrag, dessen Unhaltbarkeit auf der Hand LAG, was auch die Beklagte nicht behauptet, noch um eine Schmähkritik des Vorgesetzten. Die Klägerin hat - nach ihrem Erleben - die Vorgänge vom 4. März, 15. April und das Kündigungsgespräch vom 20. Mai 2014 geschildert. Ob sich diese Schilderung - ggf. im Wege einer Beweisaufnahme - als zutreffend erwiesen hätten, ist unerheblich, jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin - erkennbar - völlig unhaltbare Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Die Äußerungen in den klägerischen Schriftsätzen stellen auch keine Schmähkritik dar, vielmehr eine an der Sache „Unwirksamkeit der Kündigung“ orientierte Schilderung des von der Klägerin wahrgenommenen Sachverhalts.
53 
2. Keinen Erfolg hat die Klage aber hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Entschädigung iHv. mindestens 32.500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG.
54 
a) Die Klage ist allerdings insoweit zulässig.
55 
aa) Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung wegen eines immateriellen Schadens (§ 15 Abs. 2 AGG) wegen einer behaupteten Benachteiligung durch den Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014, nicht ein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung durch die Kündigung vom 20. Mai 2014 (ein solcher wäre nach § 15 Abs. 4 AGG verfallen).
56 
bb) Der Antrag ist auch nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ausreichend bestimmt. Insbesondere durfte die Klägerin die Höhe der Forderung in das Ermessen des Gerichts stellen (§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG). Erforderlich ist allein, dass der Kläger - wie vorliegend durch die Klägerin geschehen - Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 16 mwN, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).
57 
b) Die Klage ist aber unbegründet. Der Klägerin steht keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
58 
aa) Für die Klägerin als Arbeitnehmerin der Beklagten ist der persönliche Anwendungsbereich des AGG (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG) eröffnet. Die Beklagte ist als Arbeitgeberin iSv. § 6 Abs. 2 AGG passivlegitimiert und der Entschädigungsanspruch ist rechtzeitig iSv. § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.
59 
bb) Ein Entschädigungsanspruch steht der Klägerin aber deshalb nicht zu, weil der Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot iSv. § 7 AGG im sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes (§ 2 AGG) voraussetzt, an dem es vorliegend fehlt. § 15 Abs. 2 AGG enthält nur eine Rechtsfolgenregelung. Für die Voraussetzungen ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen
60 
(1) Bereits der sachliche Anwendungsbereich des AGG ist im Falle von Aufstellen von Tatsachenbehauptungen und dem Äußern von Rechtsansichten in einem gerichtlichen Verfahren nicht eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn über Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsverhältnis gestritten wird.
61 
(a) Nach § 2 Abs. 1 AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund ua. unzulässig in Bezug auf die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg (Nr. 1) und die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg (Nr. 2).
62 
(aa) Nach Nr. 1 wird der vorvertragliche Kontakt wie auch die Vertragsschlusssituation in den Geltungsbereich des Benachteiligungsverbots einbezogen, also die Vertragsanbahnungsphase, die dem Zugang zu jeder Form von selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit vorausgeht (vgl. ErfK/Schlachter § 2 AGG Rn. 4). Auch die Stellen(neu)besetzung nach Auslauf einer Befristung gehört zum „Zugang“ (vgl. BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 20, BGHZ 193, 110).
63 
(bb) Unter den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG sind alle Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist(vgl. BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 12, BAGE 141, 73). Entlassungsbedingungen im Sinne der Norm sind alle Bedingungen, die das „Ob“ und „Wie“ der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses regeln (vgl. BAG 6. April 2011 - 7 AZR 524/09 - Rn. 14, AP AGG § 10 Nr. 1). § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG umfasst damit den gesamten Inhalt des Arbeitsverhältnisses einschließlich dessen Beendigung(vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 2 Rn. 9). Als „Maßnahmen“ sind sämtliche Anordnungen des Arbeitgebers, also beispielsweise Weisungen, einseitige Leistungsbestimmungen, Versetzungen und Umsetzungen zu betrachten (vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 32, BAGE 129, 181).
64 
(b) Die Klägerin macht eine Benachteiligung durch einen prozessualen Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 geltend. Hierbei handelt es sich nicht um Bedingungen für den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) oder um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen iSv. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Durch den Vortrag in einem Schriftsatz zu einem geführten Prozess beeinflusst die Beklagte die Bedingungen der Prozessführung und die Umstände, die das Gericht für die Entscheidungsfindung zu berücksichtigen hat, nicht aber die Umstände der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (eine Kündigung wird mit ihrem Zugang wirksam; für die gerichtliche Entscheidung kommt es auf diesen Zeitpunkt an) oder die Umstände, unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Durch die Erhebung der Klage ist zwischen den Parteien vielmehr ein Prozessrechtsverhältnis begründet worden, welches die Beziehungen der Parteien untereinander, aber auch zum Gericht verknüpft und aus dem sich Mitwirkungs- und Aufklärungspflichten, eine allgemeine Prozessförderungspflicht, Wahrheits- und Vollständigkeitspflichten, eine allgemeine Redlichkeitspflicht und ein prozessuales Missbrauchsverbot ergeben (vgl. Zöller/Vollkommer 30. Aufl. Einleitung Rn. 52 ff.). Macht eine Partei unzutreffende oder nicht vollständige Ausführungen etc., so knüpft das Prozessrecht hieran Folgen. Das Prozessrechtsverhältnis ist öffentlich-rechtlicher Natur und von der Privatrechtsbeziehung, über die gestritten wird, zu trennen (vgl. HK-ZPO/Saenger 5. Aufl. Einführung Rn. 90; Musielak ZPO 11. Aufl. Einleitung Rn. 56; MüKo-ZPO/Rauscher 4. Aufl. Einleitung Rn. 30). Die Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 betreffen insb. den über die Kündigung vom 20. Mai 2014 geführten Rechtsstreit. Die Beklagte stellt hierin Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten. Es geht mithin nicht um Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen oder Entlassbedingungen, sondern um Ausführungen zur Rechtsverteidigung in einem geführten Prozess; nur das Prozessrechtsverhältnis, nicht aber das Arbeitsverhältnis ist insoweit betroffen. Das AGG soll nicht das geltende Prozessrecht verändern, weil die Parteien über ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis im Anwendungsbereich des AGG streiten.
65 
(2) Aber selbst wenn man annehmen wollte, das Arbeitsverhältnis strahle über die in ihm statuierten Nebenpflichten auch in das Prozessrechtsverhältnis hinein, mit der Folge, dass auch für Äußerungen in einem Arbeitsgerichtsprozess der sachliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet sei, muss das Begehren der Klägerin scheitern, weil ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§§ 7 Abs. 1, 3 AGG) nicht vorliegt. Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellen keine Benachteiligung iSv. § 3 AGG dar.
66 
(a) Die Klägerin hat weder eine unmittelbar noch eine mittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG durch die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 erfahren.
67 
(aa) Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Ein Arbeitnehmer erfährt nicht bereits dann eine „weniger günstige Behandlung“ iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn er objektiv anders als ein anderer, das Merkmal nach § 1 AGG tragender Arbeitnehmer behandelt wird (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 25, BAGE 133, 265). Ob eine Benachteiligung vorliegt oder nicht, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten (vgl. Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 29). Die „weniger günstige Behandlung“ kann in der Versagung einer Chance im Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22, AP AGG § 3 Nr. 9 = EzA AGG § 7 Nr. 2), der Ablehnung eines Vertragsschlusses, im Diktieren ungünstiger Vertragsbedingungen oder einer Kündigung (vgl. BAG 12. Dezember 20132 - 8 AZR 838/12 - Rn. 21, NZA 2014, 722), aber auch in rein faktischen Vorgängen, wie bspw. dem Ausschluss von der Internetnutzung, liegen. Insgesamt geht es um ein negatives Betroffensein (vgl. Däubler/Betzbach-Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 16). Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (vgl. BAG 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 28, ZTR 2014, 731).
68 
(bb) Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Das Verbot der mittelbaren Diskriminierung ist letztlich ein Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots der unmittelbaren Diskriminierung, weshalb auch eine konkrete Betroffenheit vorausgesetzt ist (vgl. BAG 14. November 2013 - 8 AZR 997/12 - Rn. 37, AP AGG § 15 Nr. 16 = EzA AGG § 7 Nr. 3). Die Benachteiligten müssen von der mittelbaren Benachteiligung konkret betroffen sein bzw. es muss eine hinreichend konkrete Gefahr bestehen, dass den Betroffenen im Vergleich zu Angehörigen anderer Personengruppen ein besonderer Nachteil droht (vgl. Adomeit/Mohr § 3 Rn. 125; Däubler/Bertzbach-Schrader-Schubert § 3 Rn. 51).
69 
(cc) Danach hat die Klägerin keinen Nachteil im vorgenannten Sinne durch die Ausführungen der Beklagten in deren Schriftsatz erfahren. Die Ausführungen der Beklagten, dh. der „Streit um das Recht“ - konkret: über die Frage, ob die Kündigung der Beklagten vom 20. Mai 2014 die Klägerin iSv. § 7 Abs. 1 AGG benachteiligte, stellen nicht ihrerseits Benachteiligungen iSv. § 3 Abs. 1 oder § 3 Abs. 2 AGG dar.
70 
(aaa) In ihrem Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 stellt die Beklagte Tatsachenbehauptungen auf und äußert Rechtsansichten, die ihrerseits Grundlage für eine Entscheidung durch das Gericht bilden sollen. Hierdurch wird auf die Rechtsposition der Klägerin im Arbeitsverhältnis nicht eingewirkt. Weder entsteht ein Nachteil hierdurch noch droht ein solcher. Die Ausführungen sollen lediglich die Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung bilden, wobei das Gericht für eine Entscheidung an die Prozessordnung und die (Justiz-)Grundrechte gebunden ist und die Entscheidung unter Würdigung aller Umstände (§ 286 ZPO) zu treffen hat. Eine Benachteiligung kann nur in dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis, etwa im Ausspruch einer diskriminierenden Kündigung, liegen, nicht aber in den Ausführungen beim gerichtlichen Streit über das Arbeitgeberhandeln. Mit anderen Worten: diskriminierend kann allenfalls die Kündigung vom 20. Mai 2014 gewesen sein, nicht das Vorbringen der Beklagten im Prozess, dass dem nicht so gewesen ist.
71 
(bbb) Für das gefundene Ergebnis spricht ganz klar auch die gesetzgeberische Konzeption, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche mit einer Ausschlussfrist (§ 15 Abs. 4 AGG) zu verknüpfen, die zu laufen beginnt, wenn der Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt. Die Ausschlussfrist könnte ihren Zweck, schnell Rechtssicherheit über das Bestehen von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche herbeizuführen, nicht erfüllen, läge in der Rechtsverteidigung zu einem bestimmten, als diskriminierend beschriebenen Verhalten bzw. Sachverhalt wiederum seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG, mit der Folge, dass erneut eine Ausschlussfrist zu laufen begönne. Die Negierung eines Verhaltens als „diskriminierend“ würde so zu einer immer neue Ausschlussfristen auslösenden Kaskade, mit der Folge der „Unverfallbarkeit“ eines Entschädigungsbegehrens wegen eines in der Vergangenheit liegenden Sachverhalts. Dies widerspricht der gesetzgeberischen Konzeption und zeigt, dass ein Negieren einer Diskriminierung nicht seinerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1, Abs. 2 AGG darstellen kann.
72 
(ccc) Schließlich spricht auch die gesetzgeberische Konzeption, in § 16 AGG ein Maßregelungsverbot zu schaffen, der es dem Arbeitgeber verbietet, Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem 2. Abschnitt des AGG oder der Weigerung, eine gegen den 2. Abschnitt des AGG verstoßende Anweisung auszuführen, zu benachteiligen, gegen die Annahme, Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten über die Frage einer Benachteiligung könnten ihrerseits eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein. An § 16 AGG wird deutlich, dass der Gesetzgeber zwar „Benachteiligungen“ wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG verbietet, gleichzeitig aber die „Benachteiligung“ iSv. § 16 AGG eine andere Qualität hat, als eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG und nicht bedeutungsgleich(vgl. ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 16 AGG Rn. 2), sondern wie in § 612a BGB zu verstehen ist(vgl. Voigt in: Scheusener/Suckow/Voigt AGG 4. Aufl. § 16 Rn. 4). Dementsprechend ist auch das Rechtsfolgensystem von § 16 AGG ausgestaltet. Benachteiligungen iSv. § 16 AGG sind unwirksam, können aber keine Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG auslösen(vgl. Däubler/Bertzbach-Deinert § 16 Rn. 36; AR/Kappenhagen § 17 AGG Rn. 4; MüKo-BGB/Thüsing 6. Aufl. § 16 AGG Rn. 16). Ein Vorbringen bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung über eine Benachteiligung iSv. § 3 AGG (insb. Tatsachenbehauptungen) kann folglich allenfalls eine Maßregelung iSv. § 16 AGG, nicht aber eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AGG sein.
73 
(b) Die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 sind schließlich auch keine Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 bzw. keine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG.
74 
(aa) Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG liegt auch dann vor, wenn von einer Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG auszugehen ist. Dabei ist die Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Die Würdeverletzung und ein „feindliches Umfeld“ - als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ - müssen für die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG kumulativ vorliegen(vgl. BAG 17. Oktober 2013 - 8 AZR 742/12 - Rn. 41, AP AGG § 15 Nr. 15 = EzA AGG § 3 Nr. 8). Weder behauptet die Klägerin, die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 6. Oktober 2014 beinhalteten eine Würdeverletzung und dienten der Schaffung eines „feindlichen Umfelds“. Selbiges ist auch nicht ansatzweise ersichtlich. Die Tatsachenbehauptungen gehen nicht über das zur Rechtsverteidigung notwendige Maß hinaus, ein Belästigung iSv. § 3 Abs. 3 AGG ist nicht gegeben.
75 
(bb) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(vgl. BAG 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 17; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18, aaO; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 150); einer Wiederholungsgefahr bedarf es nicht (vgl. Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert § 3 Rn. 77). Ob ein Verhalten sexuell bestimmt ist, beurteilt sich aus der Sicht eines objektiven Beobachters (vgl. Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt § 3 Rn. 151; ErfK/Schlachter 15. Aufl. § 3 AGG Rn. 21). Auch die Klägerin behauptet nicht ansatzweise, der Schriftsatz der Beklagten vom 6. Oktober 2014 enthalte Ausführungen, die eine sexuelle Belästigung darstellten. Ein sexuell bestimmtes Verhalten, dh. sexuell bestimmte Ausführungen sind dem Schriftsatz nicht zu entnehmen.
76 
3. Nicht zu entscheiden war über die Klageerweiterung vom 26. März 2015, mit der die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.7500,00 Euro nach § 15 Abs. 2 AGG erstrebt. Die Klageerweiterung ist unzulässig.
77 
a) Der nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, die Beklagte zur Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro zu verurteilen, ist deshalb unzulässig, weil Sachanträge, wie sich aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2 und § 297 ZPO ergibt, spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen(vgl. BGH 27. Oktober 2011 - III ZR 235/10 - Rn. 2; 19. März 2009 - IX ZB 152/08 - Rn. 8 mwN, NJW-RR 2009, 853; Zöller/Greger ZPO 30. Aufl. § 296a Rn. 2a). Mangels Antragstellung in mündlicher Verhandlung durfte über die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Klageerweiterung nicht entschieden werden (vgl. BGH 19. März 2009 - IX 152/08 - Rn. 9, aaO; aA BGH 12. Mai 1992 - XI ZR 251/91 - NJW-RR 1992, 1085: Klageabweisung möglich).
78 
b) Das Gericht hatte die mündliche Verhandlung auch nicht wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO). Die Kammer hat geprüft, ob Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 Abs. 2 ZPO gegeben sind oder ob nach dem Ermessen des Gerichts (§ 156 Abs. 1 ZPO) die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen ist. Gründe iSv. § 156 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Unter Abwägung aller Gesichtspunkte, insb. unter Berücksichtigung der Konzentrationsmaxime hat die Kammer das ihr eingeräumte Ermessen iSd. Nichteröffnung iSv. § 156 Abs. 1 ZPO ausgeübt.
II.
79 
Die Widerklage ist zulässig, insbesondere ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die Beklagte Zahlung an sich verlangt. Der Widerklageantrag ist jedoch unbegründet. Der Beklagten steht ein auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützter Anspruch zur Rückzahlung der gewährten Urlaubsvergütung iHv. 1.785,71 Euro wegen ungerechtfertigter Bereicherung nicht zu. Vielmehr bildet der der Klägerin unstreitig für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 gewährte Urlaub den Rechtsgrund (§§ 11, 7 BUrlG) für das Behaltendürfen iSv. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist irrelevant, ob die Klägerin im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig war oder nicht; auch § 9 BUrlG ändert hieran nichts.
80 
1. § 9 BUrlG will verhindern, dass der Arbeitnehmer durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaubsanspruch verliert. Allerdings besteht ohne ärztliches Attest kein Nachgewährungsanspruch, wie sich eindeutig aus dem Wortlaut von § 9 BUrlG ergibt. Einerseits wird so ein Missbrauch zulasten des Arbeitgebers verhindert, andererseits wird dem Arbeitnehmer ermöglicht, auf eine Nachgewährung zu verzichten, indem kein Attest vorgelegt wird. Verlangt der Arbeitnehmer keine Nachgewährung durch Vorlage eines Attests, behält er für die Dauer des Urlaubs seine (Urlaubs-)Vergütung als Arbeitsentgelt, während ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung ggf. nicht bestünde (vgl. ErfK/Gallner § 9 BUrlG Rn. 5; Powietzka/Rolf BUrlG § 9 Rn. 23).
81 
2. Die Klägerin hat für den Zeitraum 4. bis 22. August 2014 kein ärztliches Attest vorgelegt und klargestellt, keine Nachgewährung zu begehren. Damit verbleibt es bei dem der Klägerin gewährten Urlaub und der ihr gewährten Vergütung, auch wenn sie im Zeitraum 4. bis 22. August 2014 arbeitsunfähig gewesen sein sollte.
B.
82 
Nachdem die Klägerin und Beklagte jeweils nur zum Teil obsiegt haben, waren die Kosten des Rechtsstreits im Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens verhältnismäßig zu teilen, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 495, 92 Abs. 1 ZPO.
C.
83 
Die Festsetzung des Urteilsstreitwerts beruht auf § 61 Abs. ArbGG, für den Bestandsschutzantrag liegen drei Bruttomonatsvergütungen (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG) und im Übrigen die bezifferten Zahlungsanträge der Klage (Entschädigungsbegehren iHv. 32.500,00 Euro) bzw. Widerklage zugrunde. Nicht zu addieren war der nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichte Antrag auf Zahlung einer weiteren Entschädigung iHv. 48.750,00 Euro (vgl. Zöller/Greger § 296a Rn. 2a aE).
D.
84 
Nachdem Gründe iSv. § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen, ist noch ausgesprochen, dass eine gesonderte Berufungszulassung nicht erfolgt (§ 64 Abs. 3a Satz 1 ArbGG).

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Zivilprozessordnung - ZPO | § 256 Feststellungsklage


(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverh

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(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt. (2) Die Berufung kann nur eingelegt werden, a) wenn sie in dem Urtei

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


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Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt is

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(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift). (2) Die Klageschrift muss enthalten:1.die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;2.die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Ansp

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 5


(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund


(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unte

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 812 Herausgabeanspruch


(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mi

Zivilprozessordnung - ZPO | § 138 Erklärungspflicht über Tatsachen; Wahrheitspflicht


(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. (2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. (3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestrit

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 15 Entschädigung und Schadensersatz


(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Wegen eines Schadens,

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 46 Grundsatz


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 156 Wiedereröffnung der Verhandlung


(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen. (2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn 1. das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295),

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 3 Begriffsbestimmungen


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Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 61 Inhalt des Urteils


(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest. (2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen

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Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung er

Bundesurlaubsgesetz - BUrlG | § 7 Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs


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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 42 Wiederkehrende Leistungen


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 314 Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund


(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, Abfindung des Arbeitnehmers


(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältni

Zivilprozessordnung - ZPO | § 261 Rechtshängigkeit


(1) Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet. (2) Die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung ge

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 7 Wirksamwerden der Kündigung


Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 10 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters


Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 6 Persönlicher Anwendungsbereich


(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,2. die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,3. Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu di

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 2 Anwendungsbereich


(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf: 1. die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 174 Einseitiges Rechtsgeschäft eines Bevollmächtigten


Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die

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(1) Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Be

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 612a Maßregelungsverbot


Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

Arbeitsgerichtsgesetz - ArbGG | § 61b Klage wegen Benachteiligung


(1) Eine Klage auf Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes muss innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden. (2) Machen mehrere Bewerber wegen Benachteiligung b

Zivilprozessordnung - ZPO | § 495 Anzuwendende Vorschriften


(1) Für das Verfahren vor den Amtsgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten, soweit nicht aus den allgemeinen Vorschriften des Buches 1, aus den nachfolgenden besonderen Bestimmungen und aus der Verfassung der Amtsger

Zivilprozessordnung - ZPO | § 297 Form der Antragstellung


(1) Die Anträge sind aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge z

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 12 Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers


(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen. (2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und

Bundesurlaubsgesetz - BUrlG | § 9 Erkrankung während des Urlaubs


Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 13 Beschwerderecht


(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Be

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 16 Maßregelungsverbot


(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Besch

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - AGG | § 17 Soziale Verantwortung der Beteiligten


(1) Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen sind aufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken. (2) In Betrieben, in denen die Voraus

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Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13

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Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. März 2013 - 25 Sa 2304/12, 25 Sa 311/13 - wird zurückgewiesen.

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Bundesarbeitsgericht Urteil, 12. Dez. 2013 - 8 AZR 838/12

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Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Februar 2009 - 7 Sa 1132/08 - wird zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 24. März 2011 - 2 AZR 674/09

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Tenor 1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das U

Bundesarbeitsgericht Urteil, 09. Sept. 2010 - 2 AZR 482/09

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Dezember 2008 - 3 Sa 781/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09

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Tenor 1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

Bundesarbeitsgericht Urteil, 25. Feb. 2010 - 6 AZR 911/08

bei uns veröffentlicht am 25.02.2010

Tenor 1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. September 2008 - 9 Sa 525/07 - wird zurückgewiesen.

Referenzen

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen.

(2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1.

(3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

(4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

(5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.

(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.

(2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen. Dieser Schutz umfasst auch vorbeugende Maßnahmen.

(2) Der Arbeitgeber soll in geeigneter Art und Weise, insbesondere im Rahmen der beruflichen Aus- und Fortbildung, auf die Unzulässigkeit solcher Benachteiligungen hinweisen und darauf hinwirken, dass diese unterbleiben. Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1.

(3) Verstoßen Beschäftigte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen.

(4) Werden Beschäftigte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit durch Dritte nach § 7 Abs. 1 benachteiligt, so hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen.

(5) Dieses Gesetz und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes sowie Informationen über die für die Behandlung von Beschwerden nach § 13 zuständigen Stellen sind im Betrieb oder in der Dienststelle bekannt zu machen. Die Bekanntmachung kann durch Aushang oder Auslegung an geeigneter Stelle oder den Einsatz der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- und Kommunikationstechnik erfolgen.

(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.

(2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Juli 2011 - 18 Sa 592/11 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2011 - 38 Ca 15552/10 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten und über Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1974 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 70 anerkannt. Er war bei der Beklagten seit dem 31. Juli 2000 als Busfahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst betrug 2.100,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzernverbund der B (B) - einer Anstalt des öffentlichen Rechts - und führt für diese Fahrdienstleistungen durch, unter anderem im Linienbusverkehr mit Fahrzeugen der B. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

3

Der Kläger war seit dem Jahr 2001 wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt durchgängig seit dem 8. November 2007. In einem vorausgegangenen Rechtsstreit ist rechtskräftig entschieden, dass eine wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 27. März 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

4

Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, am 19. März 2010 einer Untersuchung bei der Betriebsärztin der B zur Feststellung seiner Fahrdiensttauglichkeit nachzukommen. Der Kläger nahm den Termin nicht wahr. In einem Personalgespräch erklärte er, seine Tauglichkeit sei bereits am 11. Dezember 2009 durch eine von ihm aufgesuchte Fachärztin festgestellt worden.

5

Mit Schreiben vom 24. März 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn erneut zu einer Untersuchung zur Feststellung der Betriebsdiensttauglichkeit bei dem betriebsärztlichen Dienst der B am 30. März 2010 auf. Der Kläger nahm auch diesen Termin nicht wahr. Deshalb erteilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 8. April 2010 eine weitere Abmahnung und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins beim betriebsärztlichen Dienst der B am 13. April 2010 auf. Der Kläger kam auch dieser Aufforderung nicht nach. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 20. April 2010. Nachdem der Kläger die fortbestehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen hatte, hielt sie an dieser Kündigung nicht fest. Sie beantragte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung, welche dieses am 9. September 2010 erteilte. Mit Zustimmung auch des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 23. September 2010 zum 31. Januar 2011.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben und Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 geltend gemacht. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da es hierfür keine Veranlassung gegeben habe. Aufgrund der fachärztlichen Begutachtung vom 11. Dezember 2009 hätten keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit bestanden. Er habe auch Bedenken gegen eine Untersuchung durch die Betriebsärzte der B, da diese „im Lager der Beklagten“ stünden. Diese Zweifel habe er stets geäußert und angeboten, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Am 1. Juni 2010 habe er sich außerdem zu einer Untersuchung durch den Betriebsarzt bereit erklärt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 Euro brutto abzüglich 1.635,26 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin(TV-N) sei sie bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer wahlweise durch den Betriebs- oder den Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei. Es hätten berechtigte Zweifel bestanden, dass dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Seiner Mitwirkungspflicht sei dieser trotz mehrfacher Abmahnung schuldhaft nicht nachgekommen. Die Betriebsärztin der B sei jedenfalls als Vertrauensärztin iSd. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen. Während der arbeitsmedizinische Dienst des TÜV für sie die betriebsärztlichen Aufgaben in Bezug auf die Regeluntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) wahrnehme, führe der betriebsärztliche Dienst der B für sie die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durch. Zudem sei nach der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BO-Kraft) der Betriebsleiter berechtigt, jeden fachlich geeigneten Arzt mit der Feststellung der Eignung zu beauftragen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung der begehrten Vergütung unzulässig. Im Übrigen ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Zahlungsantrag angegriffen ist. Es fehlt an der erforderlichen Begründung.

12

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 a der Gründe mwN, BAGE 109, 145). Bei mehreren Streitgegenständen muss bei einer unbeschränkt eingelegten Revision für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig(BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - aaO; 15. März 2006 - 4 AZR 73/05 - Rn. 17, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - zu B I der Gründe mwN, BAGE 103, 312). Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt, so dass mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen unrichtig ist ( BAG 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - BAGE 68, 1).

13

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Beklagte hat das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt. Die Revisionsbegründung setzt sich lediglich mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 23. September 2010 auseinander. Auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Vergütung geht sie nicht ein und erhebt insoweit auch keine Rügen. Dessen hätte es aber bedurft. Bei dem Zahlungsantrag handelt es sich gegenüber dem Feststellungsbegehren um einen eigenständigen Streitgegenstand. Die Entscheidung über diesen hängt nicht notwendig von derjenigen über die Wirksamkeit der Kündigung ab. Die Kündigung wurde zum 31. Januar 2011 erklärt. Vergütungsansprüche hat der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2011, mithin ausschließlich für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht.

14

B. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann eine Verpflichtung des Klägers, sich der von der Beklagten geforderten Untersuchung bei dem betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, nicht verneint werden. Ob die Kündigung vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

15

I. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

16

1. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

17

2. Auch der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 103, 277; 6. November 1997 - 2 AZR 801/96  - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Lepke NZA 1995, 1084, 1090 ; Bezani Die krankheitsbedingte Kündigung S. 72 f.). Die Beklagte macht hier die Verletzung einer solchen, sich aus § 3 Abs. 4 TV-N(idF vom 9. Mai 2006) ergebenden Mitwirkungspflicht des Klägers geltend. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den Betriebsarzt oder den Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

18

II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei - bei unterstellter Geltung des TV-N - nicht verpflichtet gewesen, den Aufforderungen der Beklagten zur Untersuchung bei der Betriebsärztin der B Folge zu leisten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte konnte die betreffende Ärztin grundsätzlich als Vertrauensärztin mit der Begutachtung beauftragen. Die getroffene Wahl widerspricht - ausgehend von den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - nicht Grundsätzen billigen Ermessens.

19

1. Das Landesarbeitsgericht ist von der Anwendbarkeit des TV-N auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ausgegangen, ohne Feststellungen zu einer beiderseitigen Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder einer einzelvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags getroffen zu haben. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. In der BO-Kraft (in der maßgebenden Fassung vom 16. November 2007) ist - anders als die Beklagte möglicherweise meint - keine Pflicht zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit geregelt.

20

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelte es sich bei der von der Beklagten zur Untersuchung des Klägers bestimmten Ärztin nicht um die Betriebsärztin der Beklagten, sondern um die von der B, dh. einem anderen Unternehmen bestellte Betriebsärztin. Die Beklagte hat damit nicht, wovon § 3 Abs. 4 Alt. 1 TV-N ausgeht, ihren eigenen Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt. Das sieht die Revision, die hiergegen keine Einwände erhebt, ersichtlich auch so.

21

3. Als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N kann der Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens für die Untersuchung bestimmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen nach seinem Belieben von Fall zu Fall bestellten Arzt handelt, sondern - zumindest in größeren Unternehmen und Behörden - um einen solchen Arzt oder einen ärztlichen Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige Begutachtungsaufgaben bestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 277). Hierbei kann es sich auch um einen Arzt handeln, der beim Arbeitgeber selbst angestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b cc der Gründe, aaO). § 3 Abs. 4 TV-N enthält insoweit ebenso wenig eine Beschränkung wie § 7 Abs. 2 BAT. Dafür, dass dem Begriff des Vertrauensarztes in § 3 Abs. 4 TV-N ein anderes Verständnis zugrunde läge, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Interessenlage ist grundsätzlich nicht anders als im Anwendungsbereich des BAT. Hinzu kommt, dass gemäß § 3 Abs. 4 TV-N - anders als nach § 7 Abs. 2 BAT - ausdrücklich der eigene Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt werden kann. Danach kann grundsätzlich auch ein Arzt, der bei einem mit dem Arbeitgeber rechtlich verbundenen Unternehmen angestellt oder von diesem als Betriebsarzt iSd. Arbeitssicherheitsgesetzes bestellt ist, Vertrauensarzt iSd. § 3 Abs. 4 Alt. 2 TV-N sein.

22

4. Die in § 3 Abs. 4 TV-N geregelte Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtigt nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieses schließt zwar die Freiheit der Arztwahl ein. Der Arbeitgeber kann die Mitwirkung des Arbeitnehmers aber zum einen nur aus gegebener Veranlassung, also nur bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters verlangen. Zum anderen steht es mit Blick auf die schutzwürdigen Belange des Arbeitnehmers trotz des Wahlrechts des Arbeitgebers nicht etwa in dessen Belieben, wer die Begutachtung durchführt. Die Auswahl hat vielmehr nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 BGB ) zu erfolgen. Macht der Arbeitnehmer rechtzeitig vor oder während der Begutachtung begründete Bedenken etwa gegen die Fachkunde oder Unvoreingenommenheit des begutachtenden Arztes geltend, so kann es je nach den Umständen allein billigem Ermessen entsprechen, dass der Arbeitgeber einen anderen Arzt mit der Begutachtung beauftragt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Mit dieser Einschränkung ist es zur Gewährleistung gleichmäßiger Untersuchungsstandards grundsätzlich interessengerecht, das Bestimmungsrecht dem Arbeitgeber einzuräumen. Eine übermäßige Beeinträchtigung berechtigter Belange des Arbeitnehmers liegt darin nicht. Dieser muss das Ergebnis nicht hinnehmen, es wäre vielmehr in einem gerichtlichen Verfahren vollumfänglich nachzuprüfen (BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - aaO).

23

5. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, soweit es angenommen hat, die Beklagte habe im Grundsatz den betriebsärztlichen Dienst der B als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N bestimmen dürfen. Von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen wird hingegen die Würdigung, die Betriebsärztin der B sei im Streitfall deshalb nicht als Vertrauensärztin iSv. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen, weil der Kläger Bedenken gegen ihre Unvoreingenommenheit erhoben und angeboten habe, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

24

a) Das Landesarbeitsgericht meint zu Unrecht, es komme nicht darauf an, ob die Bedenken des Klägers gegen die Unvoreingenommenheit der Betriebsärztin der B berechtigt gewesen seien oder nicht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, nicht an dem von ihm bestimmten Arzt für die Untersuchung festzuhalten, kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer begründete Einwände gegen ihn erhebt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Aus der Luft gegriffene oder in der Sache unbeachtliche Bedenken gegen den vom Arbeitgeber bestimmten Arzt sind dagegen nicht ausreichend. So liegt gerade kein begründeter Einwand darin, der vom Arbeitgeber bestimmte Arzt stehe „in dessen Lager“, wie der Kläger geltend gemacht hat.

25

b) Ob der Kläger - rechtzeitig - andere, begründete Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder ausreichende Fachkunde der von der Beklagten bestimmten Ärztin geltend gemacht hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

26

III. Die angegriffene Entscheidung erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig noch ist die Sache zur Endentscheidung reif. Eine abschließende Beurteilung, ob die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, ist dem Senat - weil es an erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt - nicht möglich.

27

1. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob für die von der Beklagten geforderte Untersuchung eine Veranlassung iSv. § 3 Abs. 4 TV-N gegeben war. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine solche Veranlassung bestand. Der Kläger war seit dem 8. November 2007 arbeitsunfähig erkrankt. Daraus konnten sich Zweifel ergeben, ob er zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit wieder in der Lage war. Diese Zweifel müssen nicht schon durch das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 11. Dezember 2009 ausgeräumt gewesen sein. Zum einen darf nach § 3 Abs. 4 TV-N grundsätzlich der Arbeitgeber den für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers seines Erachtens geeigneten Arzt bestimmen. Zum anderen bezieht sich das vom Kläger beigebrachte Gutachten ausschließlich auf eine Untersuchung des Leistungsvermögens gemäß Anlage 5 Nr. 2 und des Sehvermögens gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Eine solche verkehrsmedizinische Eignungsfeststellung sagt nichts über die Fähigkeit des Arbeitnehmers aus, die konkrete arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Begutachtung nach der FeV dient allein dem Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung - einschließlich des Sehvermögens - für das Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen und die Personenbeförderung (vgl. § 48 Abs. 4 iVm. § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 6 FeV). Aus der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eines Busfahrers können sich aber weitere Anforderungen, wie etwa bei besonderen Belastungen aufgrund von Schichtdienst, ergeben.

28

2. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. ferner zu prüfen haben, ob der Kläger rechtzeitig berechtigte Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder Fachkunde des betriebsärztlichen Dienstes der B für die Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TV-N geltend gemacht hat. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe sich pflichtwidrig geweigert, den Aufforderungen der Beklagten nachzukommen, sich zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit der Untersuchung durch den betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, wird es unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen haben, ob der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war oder nicht. Hierbei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Kläger sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Mitwirkungspflichten befand (vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 103, 277) und ob er sich, wie von ihm behauptet, noch vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt hat, sich „vom Betriebsarzt“ untersuchen zu lassen, wie dieses Angebot ggf. zu verstehen war und ob es - sollte es nicht ihrem Verlangen entsprochen haben - der Beklagten zumutbar gewesen wäre, darauf einzugehen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Juli 2011 - 18 Sa 592/11 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2011 - 38 Ca 15552/10 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten und über Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1974 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 70 anerkannt. Er war bei der Beklagten seit dem 31. Juli 2000 als Busfahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst betrug 2.100,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzernverbund der B (B) - einer Anstalt des öffentlichen Rechts - und führt für diese Fahrdienstleistungen durch, unter anderem im Linienbusverkehr mit Fahrzeugen der B. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

3

Der Kläger war seit dem Jahr 2001 wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt durchgängig seit dem 8. November 2007. In einem vorausgegangenen Rechtsstreit ist rechtskräftig entschieden, dass eine wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 27. März 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

4

Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, am 19. März 2010 einer Untersuchung bei der Betriebsärztin der B zur Feststellung seiner Fahrdiensttauglichkeit nachzukommen. Der Kläger nahm den Termin nicht wahr. In einem Personalgespräch erklärte er, seine Tauglichkeit sei bereits am 11. Dezember 2009 durch eine von ihm aufgesuchte Fachärztin festgestellt worden.

5

Mit Schreiben vom 24. März 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn erneut zu einer Untersuchung zur Feststellung der Betriebsdiensttauglichkeit bei dem betriebsärztlichen Dienst der B am 30. März 2010 auf. Der Kläger nahm auch diesen Termin nicht wahr. Deshalb erteilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 8. April 2010 eine weitere Abmahnung und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins beim betriebsärztlichen Dienst der B am 13. April 2010 auf. Der Kläger kam auch dieser Aufforderung nicht nach. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 20. April 2010. Nachdem der Kläger die fortbestehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen hatte, hielt sie an dieser Kündigung nicht fest. Sie beantragte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung, welche dieses am 9. September 2010 erteilte. Mit Zustimmung auch des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 23. September 2010 zum 31. Januar 2011.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben und Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 geltend gemacht. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da es hierfür keine Veranlassung gegeben habe. Aufgrund der fachärztlichen Begutachtung vom 11. Dezember 2009 hätten keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit bestanden. Er habe auch Bedenken gegen eine Untersuchung durch die Betriebsärzte der B, da diese „im Lager der Beklagten“ stünden. Diese Zweifel habe er stets geäußert und angeboten, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Am 1. Juni 2010 habe er sich außerdem zu einer Untersuchung durch den Betriebsarzt bereit erklärt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 Euro brutto abzüglich 1.635,26 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin(TV-N) sei sie bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer wahlweise durch den Betriebs- oder den Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei. Es hätten berechtigte Zweifel bestanden, dass dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Seiner Mitwirkungspflicht sei dieser trotz mehrfacher Abmahnung schuldhaft nicht nachgekommen. Die Betriebsärztin der B sei jedenfalls als Vertrauensärztin iSd. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen. Während der arbeitsmedizinische Dienst des TÜV für sie die betriebsärztlichen Aufgaben in Bezug auf die Regeluntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) wahrnehme, führe der betriebsärztliche Dienst der B für sie die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durch. Zudem sei nach der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BO-Kraft) der Betriebsleiter berechtigt, jeden fachlich geeigneten Arzt mit der Feststellung der Eignung zu beauftragen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung der begehrten Vergütung unzulässig. Im Übrigen ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Zahlungsantrag angegriffen ist. Es fehlt an der erforderlichen Begründung.

12

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 a der Gründe mwN, BAGE 109, 145). Bei mehreren Streitgegenständen muss bei einer unbeschränkt eingelegten Revision für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig(BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - aaO; 15. März 2006 - 4 AZR 73/05 - Rn. 17, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - zu B I der Gründe mwN, BAGE 103, 312). Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt, so dass mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen unrichtig ist ( BAG 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - BAGE 68, 1).

13

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Beklagte hat das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt. Die Revisionsbegründung setzt sich lediglich mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 23. September 2010 auseinander. Auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Vergütung geht sie nicht ein und erhebt insoweit auch keine Rügen. Dessen hätte es aber bedurft. Bei dem Zahlungsantrag handelt es sich gegenüber dem Feststellungsbegehren um einen eigenständigen Streitgegenstand. Die Entscheidung über diesen hängt nicht notwendig von derjenigen über die Wirksamkeit der Kündigung ab. Die Kündigung wurde zum 31. Januar 2011 erklärt. Vergütungsansprüche hat der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2011, mithin ausschließlich für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht.

14

B. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann eine Verpflichtung des Klägers, sich der von der Beklagten geforderten Untersuchung bei dem betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, nicht verneint werden. Ob die Kündigung vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

15

I. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

16

1. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

17

2. Auch der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 103, 277; 6. November 1997 - 2 AZR 801/96  - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Lepke NZA 1995, 1084, 1090 ; Bezani Die krankheitsbedingte Kündigung S. 72 f.). Die Beklagte macht hier die Verletzung einer solchen, sich aus § 3 Abs. 4 TV-N(idF vom 9. Mai 2006) ergebenden Mitwirkungspflicht des Klägers geltend. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den Betriebsarzt oder den Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

18

II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei - bei unterstellter Geltung des TV-N - nicht verpflichtet gewesen, den Aufforderungen der Beklagten zur Untersuchung bei der Betriebsärztin der B Folge zu leisten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte konnte die betreffende Ärztin grundsätzlich als Vertrauensärztin mit der Begutachtung beauftragen. Die getroffene Wahl widerspricht - ausgehend von den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - nicht Grundsätzen billigen Ermessens.

19

1. Das Landesarbeitsgericht ist von der Anwendbarkeit des TV-N auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ausgegangen, ohne Feststellungen zu einer beiderseitigen Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder einer einzelvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags getroffen zu haben. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. In der BO-Kraft (in der maßgebenden Fassung vom 16. November 2007) ist - anders als die Beklagte möglicherweise meint - keine Pflicht zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit geregelt.

20

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelte es sich bei der von der Beklagten zur Untersuchung des Klägers bestimmten Ärztin nicht um die Betriebsärztin der Beklagten, sondern um die von der B, dh. einem anderen Unternehmen bestellte Betriebsärztin. Die Beklagte hat damit nicht, wovon § 3 Abs. 4 Alt. 1 TV-N ausgeht, ihren eigenen Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt. Das sieht die Revision, die hiergegen keine Einwände erhebt, ersichtlich auch so.

21

3. Als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N kann der Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens für die Untersuchung bestimmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen nach seinem Belieben von Fall zu Fall bestellten Arzt handelt, sondern - zumindest in größeren Unternehmen und Behörden - um einen solchen Arzt oder einen ärztlichen Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige Begutachtungsaufgaben bestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 277). Hierbei kann es sich auch um einen Arzt handeln, der beim Arbeitgeber selbst angestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b cc der Gründe, aaO). § 3 Abs. 4 TV-N enthält insoweit ebenso wenig eine Beschränkung wie § 7 Abs. 2 BAT. Dafür, dass dem Begriff des Vertrauensarztes in § 3 Abs. 4 TV-N ein anderes Verständnis zugrunde läge, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Interessenlage ist grundsätzlich nicht anders als im Anwendungsbereich des BAT. Hinzu kommt, dass gemäß § 3 Abs. 4 TV-N - anders als nach § 7 Abs. 2 BAT - ausdrücklich der eigene Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt werden kann. Danach kann grundsätzlich auch ein Arzt, der bei einem mit dem Arbeitgeber rechtlich verbundenen Unternehmen angestellt oder von diesem als Betriebsarzt iSd. Arbeitssicherheitsgesetzes bestellt ist, Vertrauensarzt iSd. § 3 Abs. 4 Alt. 2 TV-N sein.

22

4. Die in § 3 Abs. 4 TV-N geregelte Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtigt nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieses schließt zwar die Freiheit der Arztwahl ein. Der Arbeitgeber kann die Mitwirkung des Arbeitnehmers aber zum einen nur aus gegebener Veranlassung, also nur bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters verlangen. Zum anderen steht es mit Blick auf die schutzwürdigen Belange des Arbeitnehmers trotz des Wahlrechts des Arbeitgebers nicht etwa in dessen Belieben, wer die Begutachtung durchführt. Die Auswahl hat vielmehr nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 BGB ) zu erfolgen. Macht der Arbeitnehmer rechtzeitig vor oder während der Begutachtung begründete Bedenken etwa gegen die Fachkunde oder Unvoreingenommenheit des begutachtenden Arztes geltend, so kann es je nach den Umständen allein billigem Ermessen entsprechen, dass der Arbeitgeber einen anderen Arzt mit der Begutachtung beauftragt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Mit dieser Einschränkung ist es zur Gewährleistung gleichmäßiger Untersuchungsstandards grundsätzlich interessengerecht, das Bestimmungsrecht dem Arbeitgeber einzuräumen. Eine übermäßige Beeinträchtigung berechtigter Belange des Arbeitnehmers liegt darin nicht. Dieser muss das Ergebnis nicht hinnehmen, es wäre vielmehr in einem gerichtlichen Verfahren vollumfänglich nachzuprüfen (BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - aaO).

23

5. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, soweit es angenommen hat, die Beklagte habe im Grundsatz den betriebsärztlichen Dienst der B als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N bestimmen dürfen. Von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen wird hingegen die Würdigung, die Betriebsärztin der B sei im Streitfall deshalb nicht als Vertrauensärztin iSv. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen, weil der Kläger Bedenken gegen ihre Unvoreingenommenheit erhoben und angeboten habe, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

24

a) Das Landesarbeitsgericht meint zu Unrecht, es komme nicht darauf an, ob die Bedenken des Klägers gegen die Unvoreingenommenheit der Betriebsärztin der B berechtigt gewesen seien oder nicht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, nicht an dem von ihm bestimmten Arzt für die Untersuchung festzuhalten, kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer begründete Einwände gegen ihn erhebt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Aus der Luft gegriffene oder in der Sache unbeachtliche Bedenken gegen den vom Arbeitgeber bestimmten Arzt sind dagegen nicht ausreichend. So liegt gerade kein begründeter Einwand darin, der vom Arbeitgeber bestimmte Arzt stehe „in dessen Lager“, wie der Kläger geltend gemacht hat.

25

b) Ob der Kläger - rechtzeitig - andere, begründete Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder ausreichende Fachkunde der von der Beklagten bestimmten Ärztin geltend gemacht hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

26

III. Die angegriffene Entscheidung erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig noch ist die Sache zur Endentscheidung reif. Eine abschließende Beurteilung, ob die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, ist dem Senat - weil es an erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt - nicht möglich.

27

1. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob für die von der Beklagten geforderte Untersuchung eine Veranlassung iSv. § 3 Abs. 4 TV-N gegeben war. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine solche Veranlassung bestand. Der Kläger war seit dem 8. November 2007 arbeitsunfähig erkrankt. Daraus konnten sich Zweifel ergeben, ob er zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit wieder in der Lage war. Diese Zweifel müssen nicht schon durch das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 11. Dezember 2009 ausgeräumt gewesen sein. Zum einen darf nach § 3 Abs. 4 TV-N grundsätzlich der Arbeitgeber den für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers seines Erachtens geeigneten Arzt bestimmen. Zum anderen bezieht sich das vom Kläger beigebrachte Gutachten ausschließlich auf eine Untersuchung des Leistungsvermögens gemäß Anlage 5 Nr. 2 und des Sehvermögens gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Eine solche verkehrsmedizinische Eignungsfeststellung sagt nichts über die Fähigkeit des Arbeitnehmers aus, die konkrete arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Begutachtung nach der FeV dient allein dem Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung - einschließlich des Sehvermögens - für das Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen und die Personenbeförderung (vgl. § 48 Abs. 4 iVm. § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 6 FeV). Aus der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eines Busfahrers können sich aber weitere Anforderungen, wie etwa bei besonderen Belastungen aufgrund von Schichtdienst, ergeben.

28

2. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. ferner zu prüfen haben, ob der Kläger rechtzeitig berechtigte Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder Fachkunde des betriebsärztlichen Dienstes der B für die Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TV-N geltend gemacht hat. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe sich pflichtwidrig geweigert, den Aufforderungen der Beklagten nachzukommen, sich zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit der Untersuchung durch den betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, wird es unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen haben, ob der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war oder nicht. Hierbei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Kläger sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Mitwirkungspflichten befand (vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 103, 277) und ob er sich, wie von ihm behauptet, noch vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt hat, sich „vom Betriebsarzt“ untersuchen zu lassen, wie dieses Angebot ggf. zu verstehen war und ob es - sollte es nicht ihrem Verlangen entsprochen haben - der Beklagten zumutbar gewesen wäre, darauf einzugehen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

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Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet, gehbehindert und mit einem Grad von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war beim beklagten Land seit 1989 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staatlichen Immobilienmanagement, Niederlassung W (im Folgenden: Immobilienmanagement), tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 53 BAT war der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar.

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Im Jahr 2007 beschwerte sich eine beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin bei der Leitung der Niederlassung über den Kläger. Sie fühlte sich von ihm belästigt. Es kam zu einem Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit Schreiben vom 19. April 2007 teilte die Beschwerdestelle dem Kläger mit, dass die Mitarbeiterin weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

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Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 wandte sich eine andere, seit Februar 2009 beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an dessen Direktor. Dieser leitete das Schreiben am 12. Oktober 2009 an die zuständige Personalabteilung in der Zentrale weiter. In dem Schreiben erklärte die Mitarbeiterin, dass sie sich durch den Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt fühle. Obwohl sie sich ihm gegenüber deutlich abweisend geäußert habe, suche er weiterhin Kontakt zu ihr. In der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Anfang Oktober 2009 hatte der Kläger - unstreitig - insgesamt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mitarbeiterin versandt. Das beklagte Land teilte dem Kläger am 13. Oktober 2009 mit, dass eine Beschwerde gegen ihn vorliege, der Sachverhalt aber noch aufgeklärt werden müsse. Als „Sofortmaßnahme“ ordnete es an, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung jeden dienstlichen und privaten Verkehr mit der Beschwerdeführerin zu unterlassen habe und nur in dienstlichen Dingen über Dritte Kontakt zu ihr aufnehmen dürfe. Am 15. Oktober 2009 hörte das beklagte Land die Mitarbeiterin an, die ihm am 16. Oktober 2009 den gesamten E-Mail-Verkehr mit dem Kläger überließ. Noch am selben Tag wurde der Kläger schriftlich über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23. Oktober 2009. Mit Schreiben von diesem Tage, das beim beklagten Land am 26. Oktober 2009 einging, nahm er zu den Vorwürfen Stellung.

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Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 hörte das beklagte Land den Personalrat der Niederlassung W zu einer - nach noch einzuholender Zustimmung des Integrationsamts - beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung, hilfsweise jeweils mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. Juni 2010 an. Der Personalrat stimmte der Kündigung tags darauf zu. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 hörte das beklagte Land auch die örtliche Schwerbehindertenvertretung an. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragte es beim Integrationsamt die Zustimmung, die dieses am 13. November 2009 erteilte.

6

Noch mit Schreiben vom 13. November 2009 erklärte das beklagte Land gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2010.

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Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor. Das beklagte Land habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen fehle es an einem wichtigen Grund. Nachdem die betreffende Mitarbeiterin Anfang September 2009 erklärt habe, keinen privaten Kontakt mehr mit ihm zu wünschen, habe er nur noch wenige Male den Kontakt zu ihr gesucht. Das beklagte Land habe ihn allenfalls abmahnen dürfen. Dass er zu einer Verhaltensänderung in der Lage sei, zeige sein Verhalten nach Erhalt des Schreibens vom 19. April 2007, welches freilich seinerseits gerade keine Abmahnung darstelle. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

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Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 weder fristlos noch mit Ablauf des 30. Juni 2010 beendet worden ist.

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Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bereits die außerordentliche fristlose Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Einer (weiteren) Abmahnung habe es nicht bedurft, nachdem der Kläger sich bereits im Jahr 2007 in vergleichbarer Weise pflichtwidrig verhalten habe.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

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I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die außerordentliche Kündigung vom 13. November 2009 an einem wichtigen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.

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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem inhaltsgleichen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

14

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).

15

b) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 37, BAGE 134, 349). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

16

c) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).

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2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, mangels einschlägiger Abmahnung sei die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 wegen Fehlens eines wichtigen Grundes iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, auf der Basis seiner bisher getroffenen Feststellungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme, eine Abmahnung sei im Streitfall nicht entbehrlich gewesen, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

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a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei dem Schreiben der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 habe es sich nicht um eine Abmahnung gehandelt.

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aa) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass das Schreiben nicht auf die Änderung eines generellen Verhaltens auch gegenüber anderen Beschäftigten des beklagten Landes abzielte. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die zu unterlassende Pflichtverletzung losgelöst vom konkreten Verstoß generalisierend beschreibt. Der mit einer Abmahnung verbundene Hinweis auf eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall erstreckt sich grundsätzlich auch auf vergleichbare Pflichtverletzungen. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit gegebene Abmahnungs- und potentielle Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

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bb) Entgegen der - Teilen des Schrifttums folgenden - Auffassung des Klägers fehlt dem Schreiben vom 19. April 2007 auch nicht deshalb der Abmahnungscharakter, weil die darin für den Wiederholungsfall enthaltene Androhung von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ zur Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung nicht ausreichend wäre.

21

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion) (BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringen und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 76, 35). Der Senat hat einer „ordnungsgemäßen Abmahnung“ ein „nur als Abmahnung bezeichnetes Schreiben“ gegenübergestellt, in welchem nicht ausdrücklich auf kündigungsrechtliche Konsequenzen hingewiesen, sondern nur „mit weiteren rechtlichen Schritten“ für den Wiederholungsfall gedroht worden war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. Dezember 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 60). Die Androhung „arbeitsrechtlicher Schritte“ sei zur Erfüllung der Warnfunktion hingegen ausreichend (BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34: Androhung „individualrechtlicher Konsequenzen“).

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(2) Im Schrifttum wird zumeist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt, dass die Abmahnung einen Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses enthalten muss, um ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; HaKo-Fiebig/Zimmermann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Hoyningen-Huene RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht unbedingt die ausdrückliche Androhung einer Kündigung notwendig, der Arbeitgeber müsse aber in einer dem Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Art und Weise konkret bestimmte Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstanden und damit den eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis verbinden, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen seien Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das Inaussichtstellen konkreter kündigungsrechtlicher Maßnahmen, etwa einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung bzw. einer Beendigungs- oder Änderungskündigung, sei hingegen nicht erforderlich (Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert aaO; APS/Dörner/Vossen aaO; HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO); es reiche die Androhung „kündigungsrechtlicher Konsequenzen“ (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO). Zum Teil wird auch der Hinweis auf „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für ausreichend gehalten (Beckerle Die Abmahnung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, jedenfalls unter besonderen Umständen, die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Schritte“ (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497 unter Hinweis auf BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Abmahnung als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber S. 164). Nach anderer Ansicht genügt die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ nicht, da dadurch nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher auf dem Spiel stehe; arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten auch Versetzungen, Umsetzungen oder weitere Abmahnungen sein (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO).

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(3) Nach zutreffender Auffassung kann schon die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausgedrückt, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist dafür nicht erforderlich. Es ist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, der Arbeitgeber werde im Wiederholungsfall möglicherweise auch mit einer Kündigung reagieren.

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cc) Das Schreiben vom 19. April 2007 stellt gleichwohl keine Abmahnung dar. Es fehlt an einer Rüge vorherigen Fehlverhaltens. In dem Schreiben ist als Ergebnis des Beschwerdeverfahrens lediglich dokumentiert, dass die betroffene Mitarbeiterin keinen Kontakt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außerdem - zur Vermeidung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ - die Beachtung dieses Wunsches der Mitarbeiterin für die Zukunft verlangt. Das Schreiben enthält aber nicht die eindeutige Bewertung, dass das vorangegangene Verhalten des Klägers eine Pflichtverletzung dargestellt habe.

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b) Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen, hält dagegen - auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

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aa) Es steht nicht fest, welchen Kündigungssachverhalt das Landesarbeitsgericht dieser Würdigung zugrunde gelegt hat. Es hat dahingestellt sein lassen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin eine Straftat oder jedenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung dargestellt oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründet habe. Es hat angenommen, der Kläger habe, selbst wenn nur sein Sachvortrag als wahr unterstellt werde, die ihm aufgrund des Arbeitsvertrags obliegenden Verhaltenspflichten in jedem Fall verletzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Basis des Vorbringens des beklagten Landes von einer erheblich schwerer wiegenden Pflichtverletzung auszugehen wäre. Festgestellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die betroffene Mitarbeiterin gesandten Nachrichten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes hatte sich der Kläger jedoch immer wieder auch auf andere Weise, wie etwa durch unerwünschte persönliche Kontaktaufnahmen, aufgedrängt. Das beklagte Land hat ua. geltend gemacht, der Kläger habe sich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mitarbeiterin wiederholt und zunehmend aggressiv und aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine Anstellung beim Land bekomme, und werde ihren Ehemann, der über keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, bei der Polizei und der Ausländerbehörde anzeigen. Bei der Mitarbeiterin habe dies massive Angstzustände verursacht.

27

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dem Kläger habe die Distanzlosigkeit seines Verhaltens und die damit einhergehende Pflichtverletzung „aufgrund des schleichenden Prozesses“ entgehen können, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, die betroffene Mitarbeiterin habe dem Kläger Anfang September 2009 den „eindeutigen“ Hinweis gegeben, nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen mit ihm Kontakt haben zu wollen. Warum dem Kläger die Pflichtwidrigkeit und der bedrängende Charakter seines Verhaltens auch nach diesem Hinweis nicht erkennbar gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Nach dem vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt war aus den dem Hinweis nachfolgenden Nachrichten gerade nicht herauszulesen, der Kläger habe, wie von ihm behauptet, weiterhin lediglich einen rein freundschaftlichen Kontakt gewollt. Die Nachrichten hätten vielmehr einen drohenden Charakter angenommen. Abweichende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

28

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht ausreichend geprüft, ob eine Abmahnung im Streitfall deshalb entbehrlich war, weil dem Kläger schon aufgrund des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens und des Schreibens der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 bewusst sein musste, dass die Verletzung der Privatsphäre von Mitarbeiterinnen durch beharrliche Kontaktaufnahme gegen deren Willen eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, deren abermalige Hinnahme durch das beklagte Land ausgeschlossen wäre. Dem stünde nicht entgegen, dass sich das Schreiben nur mit dem zu respektierenden Wunsch der damals betroffenen Mitarbeiterin befasste. Der Kläger konnte nicht annehmen, das beklagte Land würde den entsprechenden Wunsch einer anderen Mitarbeiterin nicht für gleichermaßen verbindlich halten.

29

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers stelle sich nicht als so gravierend dar, dass seine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land „unter keinen Umständen zuzumuten“ sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist erneut nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten das Landesarbeitsgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers steht jedenfalls nicht notwendig entgegen, dass dieser auf die entsprechende Aufforderung des beklagten Landes vom 13. Oktober 2009 hin jegliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Mitarbeiterin unterlassen hat. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger den Wunsch einer anderen Mitarbeiterin, ihre Privatsphäre zu respektieren, künftig wiederum solange missachten wird, wie ihn das beklagte Land nicht auffordert, ihm nachzukommen.

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II. Die angegriffene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig oder sonst zur Endentscheidung reif. Ob die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann noch nicht beurteilt werden.

31

1. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem beklagten Land unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Weiterbeschäftigung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar war.

32

a) Der Kündigungssachverhalt ist bisher nicht umfassend festgestellt. Ob eine Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens entbehrlich war, kann der Senat daher nicht abschließend würdigen. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

33

b) Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liegt nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser hat die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Ob das Nachstellen zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere vom Ausmaß und von der Intensität der Pflichtverletzung und deren Folgen - vor allem für die betroffenen Mitarbeiter -, einer etwaigen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens. Die für diese Würdigung relevanten Umstände sind deshalb festzustellen.

34

2. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht geprüft, ob das beklagte Land die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt hat. Sollte es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB bestand, wird es dies nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

20

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

21

3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

22

4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

23

5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

25

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

26

aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

27

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

30

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

46

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Dezember 2008 - 3 Sa 781/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch um einen von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit als Auflösungsgrund zu Lasten des Klägers das Prozessverhalten seines Anwalts berücksichtigt werden darf.

2

Der Kläger ist seit dem Jahre 1997 bei der Beklagten mit einer durchschnittlichen Monatsvergütung von zuletzt 4.800,00 Euro brutto beschäftigt. Nach mehreren Änderungen der vertraglichen Aufgabenstellung, die seit dem Jahre 2003 auch zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen ua. über die Rechtswirksamkeit von Versetzungen führten, war der Kläger seit Mitte Juni 2006 als „Leiter internes Help Desk“ tätig.

3

Mit Schreiben vom 22. August 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. Dezember 2007 und stellte den Kläger zeitgleich unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei.

4

Das Arbeitsgericht hat der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte hilfsweise beantragt,

        

das Arbeitsverhältnis durch Urteil des Gerichts gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen.

5

Diesen Antrag hat sie damit begründet, der Kläger habe ihr fortwährend zu Unrecht rechtswidriges und gesetzwidriges Verhalten unterstellt. Seinem früheren Vorgesetzten habe er unterstellt, dieser werde im Prozess die Unwahrheit sagen, nur um seine Kündigung zu erreichen. Der Kläger habe unter anderem behauptet, sie habe seine „Degradierung“ betrieben, ihn in ein „Sterbezimmer“ versetzt, versucht ihn mit „Kettenversetzungen“ „mürbe zu machen“ und insgesamt ein typisches Muster des „Weichkochens“ mit ihm betrieben. Alles gipfele in der vom Klägervertreter selbst als solche bezeichneten „rhetorischen“ Frage, „ob überhaupt irgend ein Vortrag der Beklagten der Wahrheit entspreche“. Schließlich habe der Kläger durch seinen Anwalt aus dem erstinstanzlichen Urteil eine Zwangsvollstreckung mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung betrieben, ohne dass ein derartiger Anspruch tituliert gewesen sei.

6

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen. Gründe für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses lägen nicht vor. Sein prozessualer Vortrag sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Einzelne, von der Beklagten gerügte Formulierungen seien der besonderen Emotionalität geschuldet, mit der der Rechtsstreit von beiden Seiten geführt werde, und müssten daher auch unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt werden.

7

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten einschließlich des Auflösungsantrags zurückgewiesen. Mit der vom Senat für den Auflösungsantrag zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte diesen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung steht zwar mit § 9 KSchG nicht in vollem Einklang. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den Auflösungsantrag nicht zurückweisen (I.). Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich aber auch bei Beachtung der vom Senat in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze als richtig (II.).

9

I. Ein Auflösungsgrund für den Arbeitgeber nach § 9 KSchG kann auch in einem Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers liegen, das letzterer nicht veranlasst hat.

10

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Die nach Auffassung des Arbeitgebers maßgeblichen Gründe sind von ihm im Prozess vorzutragen und - falls bestritten - zu beweisen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzes nur ausnahmsweise in Betracht. Dass allerdings auch die während des Kündigungsschutzprozesses auftretenden Spannungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen können, ist dem Gesetz nicht fremd (Senat 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

11

a) Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen. Auch das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bedingen. Dies gilt für vom Arbeitnehmer nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn er sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - mwN; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

12

b) Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können. So hat der Senat etwa die schriftsätzliche Äußerung eines Klägers, ihm sei „ganz erhebliches Unrecht geschehen durch eine als betriebsbedingt vorgeschobene Kündigung“, als regelmäßig durch berechtigte Interessen des Arbeitnehmers gedeckt angesehen (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 -; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 31 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

13

2. An diesen Vorgaben gemessen trägt die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung nicht das von ihm gefundene Ergebnis.

14

a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unternommenen Zwangsvollstreckungsversuch als „rein prozessuales Verhalten“ des Anwalts dem Kläger von vornherein nicht zurechnen zu dürfen. Diese Begründung beachtet nicht ausreichend, dass nach der Rechtsprechung des Senats auch prozessuales Verhalten seines Anwalts dem Arbeitnehmer im Rahmen des § 9 KSchG zugerechnet werden kann. Vom Prozessverhalten ein „rein prozessuales“ Verhalten des Bevollmächtigten abzuschichten, ist nicht gerechtfertigt. Es mag zwar prozessuale Bereiche geben, deren Funktionsweise der juristische Laie schwer nachvollziehen kann. Indes zeigt § 85 Abs. 2 ZPO, dass eine Aufteilung des Prozessrechts in solche Gebiete, für die eine Zurechnung des anwaltlichen Handelns geboten ist, und solche, für die eine Zurechnung zu unterbleiben hat, nicht mit der Vorstellung des Gesetzgebers übereinstimmt.

15

b) Was die Prozessführung im Übrigen betrifft, hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Emotionalisierung des Klägers sei möglicherweise auf seinen Prozessbevollmächtigten „übergesprungen“ und dafür könne der Kläger nicht verantwortlich gemacht werden. Da es auf die objektive Lage ankommt, berechtigt jedoch auch eine besondere Gefühlslage des Prozessbevollmächtigten nicht dazu, die Zurechnung seiner etwaigen verbalen Entgleisungen im Rahmen von § 9 KSchG von vornherein auszuschließen.

16

c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine längere Betriebszugehörigkeit falle bei der Gewichtung des Auflösungsgrundes ohne Weiteres in die Waagschale, ist unzutreffend. Die Frage der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist zukunftsbezogen zu beantworten. Das schließt es aus, der Betriebszugehörigkeit als solcher ohne nähere Betrachtung der mit ihr verbundenen Einschätzungen des künftigen betriebsdienlichen Zusammenwirkens Bedeutung beizumessen.

17

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich aus anderen Gründen dennoch als richtig. Der Auflösungsantrag ist unbegründet. Tatsachen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten ließen, liegen nicht vor.

18

1. Der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angestrengte Vollstreckungsversuch kommt als Auflösungsgrund nicht in Betracht. Der Kläger hatte in erster Instanz keinen Beschäftigungsantrag gestellt. Folglich enthielt das Urteil des Arbeitsgerichts keinen Beschäftigungstitel. Der Versuch, einen nicht vorhandenen Titel - unter Vorlage des Urteils, aus dem sich dessen Fehlen ergab - zu vollstrecken, war daher von Anfang an und offensichtlich zum Scheitern verurteilt. Er konnte die Beklagte nicht im Ernst berühren, sondern allenfalls dem Kläger finanziellen Schaden und seinem Prozessbevollmächtigten eine Beeinträchtigung seines juristischen Rufs eintragen. Irgendeinen Rückschluss auf eine zu erwartende Störung des Leistungsaustauschs im Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien lässt diese anwaltliche Fehlleistung nicht zu. Zu einer solchen Störung der Zusammenarbeit hat die Beklagte auch nichts vorgetragen.

19

2. Die übrigen von der Beklagten benannten Tatsachen scheiden schon deshalb als Auflösungsgründe aus, weil es sich insoweit um Prozessvortrag handelt, der durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt ist. Die Formulierungen des Klägervertreters sind zwar an einigen Stellen zugespitzt und weisen einen beißenden und scharfen Ton auf. Sie stehen aber stets in einem sachlich nachvollziehbaren Bezug zu den maßgeblichen rechtlichen Fragen und übertreten weder im Inhalt noch in der Form die Grenze zu persönlicher Schmähung, Gehässigkeit oder Lüge.

20

a) Zu beachten ist, dass der vorliegende Prozess vor dem Hintergrund einer bei Kündigung schon seit etwa vier Jahren auch gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzung (drei Versetzungen, vier Abmahnungen) um das Arbeitsverhältnis geführt wurde. Dabei hatte eine Kammer des Arbeitsgerichts bereits im Rechtsstreit über die erste Versetzung die Einschätzung geäußert, der Kläger solle offenbar von der Beklagten „weichgekocht“ werden. Diesen Ausdruck hat der Klägervertreter in seinem Schriftsatz vom 31. Januar 2008 in Anführungszeichen zitiert. Er hat ihn jedenfalls auf den ersten Blick dadurch als plausibel erscheinen lassen, dass er vortrug, der Kläger sei mit der damals streitigen Versetzung vom Abteilungsleiter zum Sachbearbeiter degradiert und in ein Praktikantenbüro umgesetzt worden. Der Klägervertreter hat dieses sodann als öffentliches „Sterbezimmer“ apostrophiert. Diese Ausdrucksweise ist zwar bildhaft und polemisch, aber weder beleidigend noch ungehörig. Vor dem Hintergrund des Eindrucks, der sich dem Bevollmächtigten durch die Vorgehensweise der Beklagten offenbar aufdrängte, überschreitet sie nicht die Grenzen erlaubter Härte. Sowohl die Ausdrücke „weichkochen“ und „Sterbezimmer“ als auch der Ausdruck „mürbe machen“ sind erkennbar nicht wörtlich gemeinte, sondern bildhafte, umgangssprachlich geläufige Wendungen, mit denen dem Arbeitgeber anschaulich eine gewisse Unnachgiebigkeit bei der Verfolgung seines Ziels zugeschrieben wird. Dabei geht es hier nicht darum, ob die geäußerten Einschätzungen zutreffen, sondern allein, ob sie geäußert werden durften.

21

b) Soweit der Klägervertreter den Wahrheitsgehalt des Vorbringens der Beklagten angezweifelt hat, ist dies - abgesehen davon, dass auch die Beklagte dem Kläger wiederholt unwahren Vortrag vorhielt - nicht zu beanstanden. Er hat sich dabei in den Grenzen des § 138 ZPO gehalten. Der Bevollmächtigte durfte auch die - dem Kläger nicht aus eigener Beobachtung bekannten - Behauptungen der Beklagten zum Zustandekommen der unternehmerischen Entscheidung in Zweifel ziehen. Solche Zweifel lagen aus seiner Sicht deshalb besonders nahe, weil die Beklagte den Kläger erst im Frühjahr 2006 auf eben die Stelle versetzt hatte, deren Wegfall sie kurze Zeit später, nämlich im Herbst 2006 zunächst einleitete, dann aber bis Mitte 2007 verschob. In diesem Zusammenhang und unter dem Eindruck der seit 2003 andauernden zähen Auseinandersetzungen ist es dem Klägervertreter nicht vorzuwerfen, dass er die - bei betriebsbedingten Kündigungen vom Arbeitnehmer zu begründende - Möglichkeit des Missbrauchs der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ansprach. Dazu mag er sich aus anwaltlicher Vorsorge sogar gehalten gesehen haben. In ähnlicher Weise durfte der Klägervertreter auch Zweifel des Gerichts an der von der Beklagten behaupteten Möglichkeit wecken oder bereits geweckte Zweifel wach halten, der betreffende Kollege sei in der Lage, die vorher vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in dem von der Beklagten behaupteten Umfang alleine zu verrichten.

22

c) Entgegen der Darstellung der Beklagten hat der Kläger weder ihr noch den von ihr benannten Zeugen unterstellt, sie hätten die Absicht zu „lügen“. Er hat - bezogen auf einzelne Personen - lediglich in freilich süffisanten Wendungen darauf hingewiesen, dass sie - gleichsam im Lager der Beklagten stehend - an deren Auseinandersetzungen mit dem Kläger beteiligt seien. Dies ist ein möglicherweise unhöflicher, aber doch nicht verleumderischer oder ehrabschneidender Hinweis an das Gericht, im Falle einer Beweisaufnahme Bedacht auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu nehmen.

23

d) Ebenso fügt sich in das Bild eines von Seiten des Klägervertreters zwar hart, aber nicht ungehörig geführten Rechtsstreits die von ihm selbst als rhetorisch apostrophierte und erkennbar nicht ernst gemeinte Formulierung, es frage sich, ob überhaupt etwas Wahres am Vortrag der Beklagten sei.

24

e) Alle diese Umstände lassen keine negativen Rückschlüsse auf das Arbeitsverhältnis und gedeihliche Zusammenwirken der Parteien zu. Die Beklagte hat nicht einmal ansatzweise dargelegt, inwiefern sich die Prozessführung, soweit sie sie beanstandet hat, auf den Leistungsaustausch im Arbeitsverhältnis negativ auswirken soll. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers setzt die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus (Senat 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 20, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Davon kann hier nach dem Vortrag der Beklagten und den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Rede sein. Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebs entgegenstünden, sind nicht ersichtlich; zumindest haben sie sich nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen.

25

III. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten zur Last.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor“ tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung“ und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.

3

In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 - dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit - wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr - anders als zuvor - ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting“ über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten“ ein.

4

Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor“ einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie - neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung“ - eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:

        

„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:

        

…       

        

Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …

        

Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …

        

Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro“ und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.“

5

Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.

6

Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.

7

Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte - unstreitig - eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie - erkennbar - ein „menschen- und aufgabenleeres Büro“ gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting“ über „DM-Aktivitäten“ habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen“ eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.

9

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor“ weiter zu beschäftigen.

10

Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,

        

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.

11

Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting“ und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team“ seien der Klägerin - bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen - geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]“ und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]“, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro“ verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr - der Beklagten - bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem - der Beklagten - Nachteil zu erzielen.

12

Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.

13

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung - wie hier - die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.

17

B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).

18

I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).

19

1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).

20

2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

21

3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen - ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen - nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).

22

4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).

23

5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.

24

a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

25

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.

26

aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten“ einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin - unstreitig - lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank“ und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung - fälschlich - zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.

27

bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden“. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch“ keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage - erneut - nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen - ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont - dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.

28

cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das - unstreitige - Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.

29

dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro“, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer“ an Aufgaben und anderen Menschen.

30

ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe“ keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere“ des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal - insbesondere durch zeitliche Eingrenzung - eigens deutlich gemacht.

31

c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.

32

aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).

33

bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).

34

cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.

35

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.

36

(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.

37

(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel - eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor“ - zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten“ angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche“ Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.

38

d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.

39

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

40

bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]“. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager“ zu berichten - was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach - musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.

41

cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).

42

II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

43

1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. August 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).

44

2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.

45

a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.

46

b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid“ (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung - den 26. Juli 2012 - zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.

47

aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.

48

bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung - selbst bei einem positiven Bescheid - keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).

49

cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält - anders als die Klägerin meint - nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.

50

(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.

51

(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX)bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.

52

(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.

53

c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung“ eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).

54

3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.

55

III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens“ in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag(vgl. BAG 16. November 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Alex    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

2

Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.

3

Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.

4

Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.

5

Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.

6

Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.

8

Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.

9

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.

11

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).

15

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.

16

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).

17

2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.

18

III. Ob für die Beklagte Auflösungsgründe iSv. § 9 KSchG vorliegen, steht noch nicht fest.

19

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

20

a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

21

b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).

22

c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

23

2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.

25

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.

26

Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.

27

Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.

28

c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.

29

aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.

30

bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.

31

(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

32

(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.

33

cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.

34

dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.

35

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. September 2010 - 4 Sa 18/10 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seiner Behinderung bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.

2

Der 1964 geborene Kläger absolvierte von 1982 bis 1985 eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann. Nachdem er 1987 die Fachhochschulreife erworben hatte, studierte er anschließend bis 1992 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule F. Er schloss mit dem Diplom als „Betriebswirt FH“ ab. Danach übte der Kläger bis 1996 verschiedene Tätigkeiten aus. Dem schloss sich bis 1998 eine weitere Berufsausbildung als Chemisch-Technischer Assistent an, die in den Folgejahren zu keiner stabilen Beschäftigung führte. Im September 1997 wurde die Schwerbehinderung des Klägers aufgrund eines nicht behandlungsbedürftigen essentiellen Tremors mit einem GdB von 60 anerkannt.

3

Von September 2004 bis August 2005 nahm der Kläger bei einer Gemeinde am praktischen Einführungsjahr für den gehobenen Verwaltungsdienst teil. Anschließend studierte er bis September 2008 an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in K. Für das Hauptstudium wählte er das Fach „Wirtschaft“ und das Wahlpflichtfach „Rechnungswesen“. Die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst absolvierte der Kläger mit der Gesamtnote „befriedigend“ (7 Punkte).

4

Die Beklagte ist eine Gemeinde mit rd. 3.700 Einwohnern, die in ihrer Verwaltung auf acht Stellen zwölf Arbeitnehmer beschäftigt. Im Sommer 2009 schrieb die Beklagte eine Stelle für einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt zur Mutterschaftsvertretung aus. Für dieses Aufgabengebiet suchte die Beklagte „eine/n Mitarbeiter/in mit der Qualifikation des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes und umfassenden Kenntnissen“. Die Vergütung sollte gemäß dem TVöD erfolgen. Nach seiner Staatsprüfung hatte sich der Kläger um zahlreiche Stellen im öffentlichen Dienst beworben. Nachdem er anfänglich in den Bewerbungsschreiben auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen hatte, entschloss er sich wegen der Erfolglosigkeit seiner Bewerbungen ab einem bestimmten Zeitpunkt, nur noch den Hinweis auf eine „Behinderung“ zu geben. Vom 12. Januar bis 31. März 2010 arbeitete der Kläger bei einem öffentlichen Arbeitgeber in Oberbayern.

5

Mit Schreiben vom 8. Juli 2009 bewarb sich der Kläger um die ausgeschriebene Stelle der Beklagten. Am Ende des Bewerbungsschreibens führte er aus:

        

„Durch meine Behinderung bin ich, insbesondere im Verwaltungsbereich, nicht eingeschränkt.“

6

Bei der Beklagten bearbeitete die Beschäftigte M das Bewerbungsverfahren. Diese kannte den Kläger von dem gemeinsamen Besuch der Fachhochschule K her flüchtig. Frau M hatte dabei den Eindruck gewonnen, dass sich der Kläger anderen Studentinnen und Studenten aufdränge. Davon unterrichtete sie den Bürgermeister der Beklagten, der sich daraufhin gegen eine Berücksichtigung des Klägers entschied. Die Beklagte nahm keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf und prüfte nicht, ob die ausgeschriebene Stelle mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne. Im weiteren Verlauf wurden zwei der ca. zehn Bewerber dem Gemeinderat vorgestellt. Eingestellt wurde schließlich Frau Mü, die ihr Staatsexamen mit acht Punkten bestanden hatte und während des Hauptstudiums den Bereich „Verwaltung“ und das Schwerpunktfach „Kommunalpolitik“ gewählt hatte. Unter dem 30. Juli 2009 sagte die Beklagte dem Kläger schriftlich ab.

7

Durch Schreiben seiner damaligen Anwälte ließ der Kläger am 14. August 2009 der Beklagten mitteilen, dass er seit September 1997 im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB von 60 sei. Er rügte, nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein und machte vorsorglich Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG dem Grunde nach geltend. Der spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers in den Vorinstanzen bezifferte mit Schreiben vom 10. September 2009 die vom Kläger begehrte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG auf drei Bruttomonatsgehälter oder 6.689,85 Euro. Mit Schreiben vom 24. September 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass wegen offensichtlich fehlender fachlicher Eignung eine Einladung zum Vorstellungsgespräch entbehrlich gewesen sei.

8

Mit Eingang beim Arbeitsgericht am 26. Oktober 2009 hat der Kläger die von ihm verlangte Entschädigung gerichtlich geltend gemacht. Zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung betrieb der Kläger in mindestens 27 weiteren Fällen Entschädigungsklagen gegen öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch begründe bereits die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung. Auch habe es die Beklagte unterlassen, die freie Stelle der Bundesagentur für Arbeit zu melden und den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung über seine Bewerbung und die Ablehnungsgründe zu unterrichten. Jedenfalls habe Frau M gewusst, dass er schwerbehindert sei. Dies sei ohne weiteres an seinem Tremor und daran erkennbar gewesen, dass er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nur als Schwerbehinderter die Zulassung zum Studium habe erhalten können. Zumindest habe die Beklagte eine Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund der Zulassungsbestimmungen zur Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst erkennen müssen.

10

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 6.689,85 Euro nebst fünf % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. September 2009 zu zahlen.

11

Den Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass Frau M nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger schwerbehindert sei. Frau M und der Kläger hätten weder im selben Semester studiert noch seien sie näher bekannt gewesen, weshalb Frau M auch das Alter des Klägers nicht gekannt habe. Auch habe die Beklagte aus sonstigen Umständen die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht erkannt bzw. erkennen müssen. Im Übrigen sei die ausgeschriebene Stelle nicht als Arbeitsplatz iSv. SGB IX anzusehen.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers nach Beweisaufnahme zur Frage des Bestehens einer Schwerbehindertenvertretung bzw. eines Personalrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, § 81 Abs. 2 SGB IX. Über die Höhe des Entschädigungsanspruchs kann der Senat nicht entscheiden. Insoweit fehlen tatsächliche Feststellungen, die das Landesarbeitsgericht innerhalb seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums rechtlich zu würdigen haben wird.

14

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bestehe nicht, da der Kläger nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei. Zwar habe er Umstände vorgetragen, die als Indiztatsachen iSv. § 22 AGG eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen. Dem Kläger habe die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich gefehlt. Die Beklagte habe als öffentliche Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtung nach den § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, § 82 SGB IX verstoßen, der Agentur für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze zu melden. Diese Verpflichtung beziehe sich aber nur auf das Vorfeld des eigentlichen Stellenbesetzungsverfahrens. Offenbare ein Bewerber seine Schwerbehinderung nicht, so sei die unterlassene Meldung gegenüber der Agentur für Arbeit nicht kausal für die in Unkenntnis der Schwerbehinderung getroffene Entscheidung des Arbeitgebers. Entsprechendes gelte für den Verstoß gegen die Pflicht der öffentlichen Arbeitgeber zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX. Aus den Bewerbungsunterlagen habe die Beklagte die Schwerbehinderung weder gekannt noch erkennen müssen, auch habe eine Pflicht zur Erkundigung nicht bestanden. Der Beschäftigten M seien die persönlichen Umstände des Klägers nicht bekannt gewesen, weshalb die Beklagte auch nicht von seinem Alter oder den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Studienzulassung auf eine Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers habe schließen müssen. Die Beweisaufnahme habe zum Ergebnis gehabt, dass bei der Beklagten weder ein Personalrat noch eine Schwerbehindertenvertretung bestehe, so dass die Nichtbeteiligung derartiger Gremien kein Indiz darstelle. Im Ergebnis fehle es damit an Indizien, die eine Benachteiligung „wegen“ Behinderung vermuten ließen.

15

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

16

I. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Grundlage hierfür ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld vorsieht. Dem Gericht wird bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38), weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21, jeweils mwN). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht grundsätzlich die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung mit 6.689,85 Euro beziffert.

17

II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat bei der Besetzung der Stelle im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt im Juli 2009 gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7 und 1 AGG). Der Kläger hat als benachteiligter schwerbehinderter Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 AGG Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.

18

1. Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG „Beschäftigter“ und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Unerheblich ist dabei, ob der Bewerber für die ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet ist (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12; 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

19

2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber eines Bewerbers ist also der, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis gebeten hat (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Aufgrund ihrer Stellenausschreibung trifft dies auf die Beklagte zu.

20

3. Der Kläger hat auch die gesetzlichen Fristen nach § 15 Abs. 4 AGG zur Geltendmachung des Anspruchs auf Entschädigung gewahrt.

21

a) Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG). Nach der schriftlichen Ablehnung des Klägers vom 30. Juli 2009 durch die Beklagte war das Schreiben des vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10. September 2009 fristwahrend. Auf das vorangegangene Schreiben seiner ehemaligen Bevollmächtigten vom 14. August 2009 kommt es nicht an. Im Geltendmachungsschreiben vom 10. September 2009 werden unter Vorlage des Schwerbehindertenausweises und unter Bezugnahme auf das Bewerbungsschreiben des Klägers vom 8. Juli 2009 Pflichtverstöße gegen die §§ 81, 82 SGB IX gerügt und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. drei Monatsgehältern mit der Bezifferung auf 6.689,85 Euro geltend gemacht.

22

b) Die am 26. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - eingegangene Klage wahrte die Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG. Dass die Klage zunächst bei einem örtlich unzuständigen Gericht eingereicht und mit Beschluss vom 11. November 2009 an das Arbeitsgericht Pforzheim verwiesen wurde, ist schon deswegen nicht von Bedeutung, weil der Rechtsstreit nach Zustellung der Klage an die Beklagte innerhalb der Klagefrist an das zuständige Gericht verwiesen wurde (vgl. BGH 21. September 1961 - III ZR 120/60 - BGHZ 35, 374; GMP/Germelmann 7. Aufl. § 61b ArbGG Rn. 6).

23

4. Die Beklagte hat den Kläger auch benachteiligt. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

24

a) Der Kläger erfuhr eine weniger günstige Behandlung als Frau Mü, die tatsächlich zum Vorstellungsgespräch bei der Beklagten eingeladen, in die Auswahl einbezogen und schließlich eingestellt wurde. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung liegt vor, wenn der Bewerber - wie hier der Kläger - nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt bereits in der Versagung einer Chance (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; EuGH 22. April 1997 - C-180/95 - [Draehmpaehl] Slg.1997, I-2195 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB § 611a Nr. 12; BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276 = AP BGB § 611a Nr. 9 = EzA BGB § 611a Nr. 9; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 24; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 13). Wie sich auch aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist nicht erforderlich, dass der Bewerber aufgrund des Benachteiligungsgrundes nicht eingestellt worden ist. Auch dann, wenn der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ist ein Anspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt.

25

b) Der Kläger und Frau Mü befanden sich auch in einer vergleichbaren Situation.

26

aa) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

27

Grundsätzlich ist für die objektive Eignung nicht auf das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber erstellt hat, abzustellen, sondern auf die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenbeschreibung bekanntgegebene Anforderungsprofil gebunden (BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - mwN, BAGE 131, 232 = AP SBG IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

28

bb) Bei der Besetzung von Stellen öffentlicher Arbeitgeber ist weiter Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Darunter sind auch Stellen zu verstehen, die mit Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient mit der Anforderung einer Bestenauslese zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden sollen. Zum anderen trägt sie dem berechtigten Interesse der Bewerber an ihrem beruflichen Fortkommen Rechnung. Art. 33 Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl und eine Durchführung des Auswahlverfahrens anhand der in der Regelung genannten Auswahlkriterien(BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 23. Januar 2007 - 9 AZR 492/06 - BAGE 121, 67 = AP ZPO 1977 § 233 Nr. 83 = EzA GG Art. 33 Nr. 30). Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist somit verpflichtet, für die zu besetzende Stelle ein Anforderungsprofil festzulegen und nachvollziehbar zu dokumentieren, weil nur so seine Auswahlentscheidung nach den Kriterien der Bestenauslese gerichtlich überprüft werden kann (BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - mwN, aaO). Die Festlegung des Anforderungsprofils muss dabei im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein, wobei allerdings der von der Verfassung dem öffentlichen Arbeitgeber gewährte Beurteilungsspielraum nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle zulässt.

29

cc) Unter Beachtung dieser Maßstäbe bestehen an der objektiven Eignung des Klägers für die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle keine Zweifel. Die Beklagte hat mit ihrer Ausschreibung, wonach ein/e Mitarbeiter/in mit „der Qualifikation des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes und umfassenden Kenntnissen“ gesucht wird, das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle aufgestellt und dokumentiert. Weder werden die „umfassenden Kenntnisse“ in einem bestimmten Gebiet verlangt, noch wird zusätzlich zur Qualifikation für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst eine bestimmte Mindestnote in der Staatsprüfung als Voraussetzung aufgestellt. Der Kläger hat die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst abgelegt und verfügt damit über umfassende Kenntnisse, wenn auch - aufgrund seiner Schwerpunktsetzung - eher auf betriebswirtschaftlichem Gebiet. Dies ist jedoch im Hinblick auf das verbindliche Anforderungsprofil der Beklagten nicht relevant.

30

5. Bei der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle handelt es sich auch um einen Arbeitsplatz iSd. § 82 Satz 1 SGB IX.

31

§ 82 Satz 1 SGB IX verweist auf § 73 SGB IX, der in Abs. 1 einen funktionalen Arbeitsplatzbegriff enthält(Großmann GK-SGB IX Stand Oktober 2011 § 73 Rn. 15; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 73 Rn. 5). Danach sind Arbeitsplätze im Sinne des Teils 2 des SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Arbeitsplatz ist diejenige Stelle, in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses mit all den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vollzogen wird (vgl. BVerwG 8. März 1999 - 5 C 5/98 - NZA 1999, 826). Bei der ausgeschriebenen Stelle handelt es sich um einen Arbeitsplatz iSv. §§ 82, 73 Abs. 1 SGB IX. Ob die Einschränkungen des § 73 Abs. 2 SGB IX nur für die Berechnungs- und Anrechnungsvorschriften der §§ 71, 74, 75 und 76 SGB IX von Bedeutung sind und es im Übrigen beim allgemeinen Arbeitsplatzbegriff des § 73 Abs. 1 SGB IX verbleibt, kann vorliegend schon deswegen dahinstehen, weil die von der Beklagten zu besetzende Stelle gerade eine Mutterschaftsvertretung sein sollte, also noch nicht mit einer Vertreterin oder einem Vertreter besetzt war(§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).

32

6. Die nachteilige Behandlung hat der Kläger auch „wegen seiner Behinderung“ erfahren.

33

a) Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Menschen sind danach behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Begriff der „Behinderung“ ist damit weiter als der Begriff der „Schwerbehinderung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX; auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 39). Die Ausweitung des Benachteiligungsverbots über den Kreis der Schwerbehinderten (§ 81 Abs. 2 SGB IX) auf alle behinderten Menschen ist durch das unionsrechtliche Begriffsverständnis gefordert (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 1 AGG Rn. 10 mwN). Im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78/EG ist eine einheitlich geltende Auslegung des Behindertenbegriffs notwendig, der eine Beschränkung auf „Schwerbehinderung“ nicht kennt (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - aaO). Der Kläger, der an einem essentiellen Tremor leidet und für den seit dem 23. September 1997 ein Grad der Behinderung von 60, also eine Schwerbehinderung, festgestellt ist, unterfällt damit dem Behindertenbegriff des § 1 AGG.

34

b) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 7 Rn. 14; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 11; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 7 AGG Rn. 3). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - aaO).

35

Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität erfordern, die aber die Annahme rechtfertigen, dass Kausalität gegeben ist(BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

36

c) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einer Behinderung und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6 zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bzgl. einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung).

37

d) Ob die Verletzung einer Unterrichtungspflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX Indizwirkung nur bei bestehendem Personalrat und/oder Schwerbehindertenvertretung hat - wovon das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist - oder aber eine eigenständige, von den Sätzen 4 bis 8 unabhängige Pflicht des Arbeitgebers darstellt, die auch dann besteht, wenn es keinen Betriebs-/Personalrat oder keine Schwerbehindertenvertretung gibt(so Knittel SGB IX Kommentar 5. Aufl. § 81 Rn. 44) kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls ist von einer Indizwirkung iSd. § 22 AGG nur dann auszugehen, wenn wie bei der Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung des Bewerbers bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Andernfalls kann der Pflichtenverstoß dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden (vgl. BAG 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19; 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; Knittel aaO Rn. 91b; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 10 zur Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung). Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und eines der in § 1 AGG genannten Merkmale kann aus einem Verfahrensverstoß nur dann abgeleitet werden, wenn der Arbeitgeber anhand der objektiv bestehenden Umstände erkannt hat oder erkennen musste, dass ihn eine entsprechende Pflicht trifft. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber positive Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung oder zumindest Anlass dazu hatte, eine solche anzunehmen.

38

aa) Daher obliegt es dem abgelehnten Bewerber darzulegen, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen müssen (Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19). Andererseits hat der Arbeitgeber die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren, dass er seine gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann. Die für den Arbeitgeber handelnden Personen sind verpflichtet, das Bewerbungsschreiben vollständig zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Ein ordnungsgemäßer Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen (BAG 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17). Zwar muss der Bewerber keinen Schwerbehindertenausweis oder seinen Gleichstellungsbescheid vorlegen, jedoch muss sein Hinweis so beschaffen sein, dass ein gewöhnlicher Leser der Bewerbung die Schwerbehinderung oder Gleichstellung zur Kenntnis nehmen kann.

39

bb) Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wonach den Bewerbungsunterlagen des Klägers kein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung des Klägers zu entnehmen war und im Übrigen auch keine positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei der Beklagten bestand.

40

Der Kläger hatte seinen Bewerbungsunterlagen keinen Schwerbehindertenausweis beigelegt, wozu auch keine Pflicht bestand. Allerdings hat er auch im Bewerbungsschreiben ausgeführt „durch meine Behinderung bin ich, insbesondere im Verwaltungsbereich, nicht eingeschränkt“. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, hieraus habe die Beklagte nicht entnehmen müssen, dass beim Kläger eine Schwerbehinderung vorliegt, verstößt nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze. Aufgrund der Weite des Behindertenbegriffs fallen auch Einschränkungen hierunter, die unterhalb der Schwelle eines Grades der Behinderung von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX), 30 oder gar 20 liegen und daher die besonderen Pflichten nach §§ 81, 82 SGB IX, die nur für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen gelten(§ 68 Abs. 1 SGB IX), nicht auslöst. Der Senat hat zwischenzeitlich kargestellt, dass sich für die Zeit nach Inkrafttreten des AGG ein einfachbehinderter Bewerber im Sinne von Vermutungstatsachen auf Verstöße des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren gegen die §§ 81 ff. SGB IX nicht mit Erfolg berufen kann (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; Beyer jurisPR-ArbR 35/2011 Anm. 2).

41

Aus den sonstigen Bewerbungsunterlagen, insbesondere dem Lebenslauf des Klägers ergeben sich keine ausreichenden Hinweise auf eine Schwerbehinderung. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass wegen des Alters des Klägers im Zusammenhang mit der Zulassung zum Studium und des Hinweises auf die Behinderung kein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung vorlag. Unabhängig von der Frage, ob ein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung auch dann vorliegt, wenn diese wiederum nur aus sonstigen Umständen wie Lebensalter bei Ausbildungsbeginn etc. abgeleitet werden kann, musste die Beklagte aus dem Lebensalter des am 23. März 1964 geborenen Klägers und dem Beginn des Studiums an der Fachhochschule K im September 2005 (Einführungspraktikum ab September 2004) nicht von einer Schwerbehinderteneigenschaft ausgehen. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 APrOVw gD BW(Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den gehobenen Verwaltungsdienst Baden-Württemberg) wird zur Ausbildung zugelassen, wer als schwerbehinderter Mensch im Zeitpunkt der Einstellung in den Vorbereitungsdienst das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben wird bzw. wer die Voraussetzungen voraussichtlich zum Zeitpunkt der Einstellung in das Einführungspraktikum erfüllen wird. Hiernach war eine Zulassung des schwerbehinderten Klägers zur Ausbildung gar nicht möglich. Auch der Kläger behauptet dies nicht. Vielmehr trägt der Kläger selbst vor, die ausnahmsweise Zulassung zur Ausbildung habe auf einer Entscheidung des Landespersonalausschusses nach § 55 Landeslaufbahnverordnung Baden-Württemberg iVm. § 6 Abs. 3 APrOVw gD BW beruht.

42

Zu Recht ist schließlich das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass bei Frau M keine positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bestand, die der Beklagten zuzurechnen wäre. Selbst wenn zugunsten des Klägers eine Stellung von Frau M unterstellt wird, die eine Wissenszurechnung ermöglicht und darüber hinaus nicht nur das geschäftlich erlangte Wissen von Frau M, sondern auch privat erlangtes Wissen in das zuzurechnende Wissen einbezogen wird (vgl. Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 166 BGB Rn. 6), fehlt es an einer vom Kläger dargelegten positiven Kenntnis Frau M von seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Auch mit der Revision bringt der Kläger allein vor, „an der FH K sei bekannt gewesen, dass er schwerbehindert ist“. Dies stellt keinen ausreichenden Sachvortrag zur Kenntnis von Frau M dar, die mit dem Kläger weder im gleichen Semester studiert hat noch näher persönlich bekannt war. Auch der Kläger behauptet nicht, er habe Frau M über seine Schwerbehinderung zu irgendeinem Zeitpunkt informiert. Entsprechendes gilt für den Sachvortrag des Klägers, Frau M habe die Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund seines Alters oder des Tremors erkennen müssen. Auch dieser Sachvortrag ist nicht schlüssig. Der Kläger behauptet nicht, dass Frau M sein Alter bekannt gewesen sei. Auch gibt er nicht an, was Frau M bezüglich seines Tremors wahrgenommen haben soll. Zwar ist der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber dann entbehrlich, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - EzA SGB IX § 85 Nr. 7; 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - mwN, BAGE 125, 345 = AP SGB IX § 85 Nr. 5 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 83). Dabei muss jedoch nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde. Eine von Frau M wahrgenommene, offenkundige Beeinträchtigung, die ebenso offenkundig auch mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten war, hat der Kläger nicht schlüssig vorgetragen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass seine Bewegungsstörungen so erheblich waren oder sind, dass sie auch von Frau M ohne sozialmedizinische Vorbildung als offensichtliche Schwerbehinderung wahrzunehmen und einzustufen waren. Daher hat das Landesarbeitsgericht zu Recht von einer Beweisaufnahme hierzu abgesehen.

43

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht eine Pflicht des Arbeitgebers, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, abgelehnt. Eine solche, von einem etwa bestehenden Recht zur Erkundigung zu unterscheidende Pflicht zur Erkundigung besteht schon deshalb nicht, weil der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn er hiermit keine positive Fördermaßnahme verbinden will. Gerade durch solche Nachfragen kann der Arbeitgeber Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen können. Eine Pflicht zur Erkundigung zielte auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in Verb. mit § 1 AGG und stellte eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung dar(ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 BGB Rn. 272 mwN; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 22; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 30, 32 f.). Der Arbeitgeber kann nicht verpflichtet sein, mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft Tatsachen zu schaffen, die ihm als Indiztatsachen nach § 22 AGG in einem späteren möglichen Prozess entgegengehalten werden können.

44

e) Der Kläger hat aber ein Indiz iSd. § 22 AGG dadurch dargelegt, dass er darauf verwiesen hat, die Beklagte habe ihre Prüf- und Meldepflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX verletzt.

45

aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Weiter ist nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jeder Arbeitgeber verpflichtet, vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Die Verletzung dieser Pflicht ist als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

46

Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts prüfte die Beklagte entgegen der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ergebenden Pflicht vor der Besetzung der Stelle nicht, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Auch die Agentur für Arbeit wurde nicht eingeschaltet, § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Daher wurde auch der frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplatz der Agentur für Arbeit nicht gemeldet (§ 82 Satz 1 SGB IX).

47

bb) Der Senat teilt die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kausalität zwischen dem Merkmal der Behinderung und der benachteiligenden Behandlung entfalle, weil der Kläger der Beklagten nur eine „Behinderung“ mitgeteilt habe. Als schwerbehinderter Mensch (GdB von 60) kann sich der Kläger auf Verstöße gegen § 81 SGB IX berufen(vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3). Der zurechenbare Pflichtverstoß der Beklagten begründet eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal der Behinderung beruht. Mit ihrem Verhalten erweckt die Beklagte den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 57). Der Verstoß gegen die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX deutet darauf hin, dass das Merkmal der Behinderung Teil des Motivbündels der Beklagten bei der benachteiligenden Behandlung von Schwerbehinderten und damit auch des schwerbehinderten Klägers war. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer Benachteiligung weitgehend leerlaufen (BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - Rn. 27, BVerwGE 139, 135). Ob sich ein solcher Verfahrensverstoß in der Auswahlentscheidung konkret ausgewirkt hat, ist unerheblich, da § 15 Abs. 2 AGG auch bei der besseren Eignung von Mitbewerbern eine Entschädigung gewährt. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass § 15 Abs. 2 AGG in Verb. mit § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX bereits vor einem diskriminierenden Verfahren schützt(BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 42, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

48

7. Die Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung des Klägers nicht widerlegt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigt ihr Vorbringen nicht den Schluss, dass die Behinderung des Klägers in dem Motivbündel nicht enthalten war, das die Beklagte beim Ausschluss des Klägers aus dem Auswahlverfahren beeinflusste.

49

a) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht auch auf der Behinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19), und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war. Für die Mitursächlichkeit reicht es aus, dass die vom Arbeitgeber unterlassenen Maßnahmen objektiv geeignet sind, schwerbehinderten Bewerbern keine oder weniger günstige Chancen einzuräumen, als sie nach dem Gesetz zu gewähren sind (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 44, aaO; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 67).

50

b) Die Beklagte kann die Benachteiligungsvermutung nicht durch den Verweis auf die bessere Eignung der tatsächlich eingestellten Frau Mü widerlegen. Eine solche bessere Eignung der bevorzugten Mitbewerberin schließt eine Benachteiligung nicht aus. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selbst dann eine Entschädigung zu leisten ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre(vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15). Auch aus dem Vortrag der Beklagten, Frau M habe das Verhalten des Klägers während der Zeit an der Fachhochschule K als aufdrängend wahrgenommen, was den Bürgermeister veranlasst habe, den Kläger nicht weiter am Auswahlverfahren teilnehmen zu lassen, ergibt sich keine Widerlegung der Vermutung. Damit hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten. Der Sachgehalt eines solchen Auswahlkriteriums steht zudem in Frage.

51

8. Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs, § 242 BGB, ausgeschlossen.

52

a) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird(vgl. BGH 16. Februar 2005 - IV ZR 18/04 - NJW-RR 2005, 619; BAG 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - AP BGB § 242 Kündigung Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 4; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 = AP BGB § 242 Kündigung Nr. 9 = EzA BGB § 242 Nr. 39; Palandt/Grüneberg 70. Aufl. § 242 BGB Rn. 38). § 242 BGB eröffnet damit die Möglichkeit jede atypische Interessenlage zu berücksichtigen, bei der ein Abweichen von der gesetzlichen Rechtslage zwingend erscheint(vgl. BAG 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 - AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 61; MünchKommBGB/Roth 5. Aufl. § 242 BGB Rn. 180). Zur Konkretisierung atypischer Interessenlagen wurden Fallgruppen gebildet, in denen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nahe liegt. Hierzu zählt die Fallgruppe des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung (vgl. BAG 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 - aaO; Palandt/Grüneberg aaO Rn. 42 f.).

53

Im Falle von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der Rechtsstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche zu erlangen(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135; Windel RdA 2011, 193, 194 f.; Jacobs RdA 2009, 193, 198 f.; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; HK-ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist dabei ein anerkannter Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (EuGH 9. März 1999 - C-212/97 - [Centros] Rn. 24, Slg. 1999, I-1459; 12. Mai 1998 - C-367/96 - [Kefalas ua.] Rn. 20, Slg. 1998, I-2843; Däubler/Bertzbach-Deinert AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 53; Windel RdA 2011, 193 f.).

54

Für die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit, dh. den Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet (vgl. MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 17; HK-ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9), wobei der Arbeitgeber Indizien vortragen muss, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; Windel RdA 2011, 193, 195; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 6 Rn. 12). Zwar könnte ein krasses Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle und der Qualifikation des Bewerbers die Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Frage stellen (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2; MünchKommBGB/Thüsing aaO; DFL/Kappenhagen/Kramer 4. Aufl. § 11 AGG Rn. 5). Der Kläger hat jedoch die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst abgelegt und besitzt damit die Qualifikation für eine Tätigkeit im gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst. Ein Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil und Qualifikation des Klägers als Bewerber liegt nicht vor.

55

b) Danach hat die Beklagte keine ausreichenden Indizien für eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers vorgetragen.

56

Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädigungsklagen gegen öffentliche Arbeitgeber in Folge der Vielzahl seiner Bewerbungen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein ausreichender Umstand, der die Bewerbung bei der Beklagten als subjektiv nicht ernsthaft erscheinen ließe (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 54). Der Kläger hat im fortgeschrittenen Alter und trotz vorhandener anderer Berufsabschlüsse das Studium an der Fachhochschule K mit der Staatsprüfung im September 2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Ausbildung bei einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften beworben. Der Kläger stand zum Zeitpunkt der Bewerbung in keinem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Die Vielzahl der Bewerbungen spricht - auch angesichts des Lebenslaufs des Klägers - mehr für die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlangung einer Entschädigung gegangen sein könnte. Gegen eine fehlende Ernsthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger auch erfolgreich beworben und eine entsprechende Tätigkeit bei einem öffentlichen Arbeitgeber im Zeitraum 12. Januar bis 31. März 2010 in Oberbayern ausgeübt hat.

57

III. Über die Höhe der dem Kläger nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zustehenden angemessenen Entschädigung kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

58

1. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein, um bei der Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung die Besonderheiten jedes einzelnen Falls berücksichtigen zu können. Hängt die Höhe des Entschädigungsanspruchs von einem Beurteilungsspielraum ab, ist die Bemessung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

59

2. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, welche Höhe angemessen ist und ob die Entschädigung in der Höhe auf drei Monatsgehälter begrenzt werden muss. Für die Höhe der festzusetzenden Entschädigung sind Art und Schwere der Verstöße sowie die Folgen für den schwerbehinderten Kläger von Bedeutung (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 55, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 60, AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19). Hierbei wird das Landesarbeitsgericht insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte nicht zurechenbar gegen § 81 Abs. 1 Sätze 4 bis 9, § 82 Satz 2 SGB IX verstoßen hat, sondern allein gegen die Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Döring    

        

    Warnke    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine Klage auf Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes muss innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.

(2) Machen mehrere Bewerber wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder beim beruflichen Aufstieg eine Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerichtlich geltend, so wird auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht, bei dem die erste Klage erhoben ist, auch für die übrigen Klagen ausschließlich zuständig. Die Rechtsstreitigkeiten sind von Amts wegen an dieses Arbeitsgericht zu verweisen; die Prozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.

(3) Auf Antrag des Arbeitgebers findet die mündliche Verhandlung nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Erhebung der ersten Klage statt.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

20
bb) Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird auch der Fall erfasst, dass die Bestellung eines Geschäftsführers aufgrund einer Befristung endet und die Stelle neu besetzt werden soll. Wenn sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer - wie hier der Kläger - wiederum um die Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen - neuen - Zugang zu dieser Tätigkeit (vgl. BVerwG, NZA-RR 2011, 233 Rn. 26; MünchKommBGB/Thüsing, 6. Aufl., AGG § 2 Rn. 7; Horstmeier, GmbHR 2007, 125, 126; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 31b ff.; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329; Lutter, BB 2007, 725, 728 f.).

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2010 - 20 Sa 2058/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 8. Juli 2009 - 3 Ca 140/09 - wird zurückgewiesen und der Tenor dieses Urteils zur Klarstellung neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Klägerin für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein weiterer Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.

3. Der Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in den Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils 29 oder 30 Urlaubstage hatte.

2

Die am 27. Oktober 1971 geborene Klägerin ist seit dem 1. September 1988 bei dem beklagten Landkreis als Angestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Fünftagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 (TVöD) Anwendung. Dieser bestimmt ua.:

        

§ 26 

        

Erholungsurlaub

        

(1)     

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

                 

bis zum vollendeten 30. Lebensjahr

26 Arbeitstage,

                 

bis zum vollendeten 40. Lebensjahr

29 Arbeitstage und

                 

nach dem vollendeten 40. Lebensjahr

30 Arbeitstage.

                 

Maßgebend für die Berechnung der Urlaubsdauer ist das Lebensjahr, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.

        

…       

        
        

§ 27   

        

Zusatzurlaub

        

(1)     

Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit nach § 7 Abs. 1 oder ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 leisten und denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 zusteht, erhalten

                 

a)    

bei Wechselschichtarbeit für je zwei zusammenhängende Monate und

                 

b)    

bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate

                 

einen Arbeitstag Zusatzurlaub.

        

(2)     

Im Falle nicht ständiger Wechselschicht- oder Schichtarbeit (z. B. ständige Vertreter) erhalten Beschäftigte des Bundes, denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 2 oder Abs. 6 Satz 2 zusteht, einen Arbeitstag Zusatzurlaub für

                 

a)    

je drei Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Wechselschichtarbeit geleistet haben, und

                 

b)    

je fünf Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Schichtarbeit geleistet haben.

        

…       

                 
        

(4)     

Zusatzurlaub nach diesem Tarifvertrag und sonstigen Bestimmungen mit Ausnahme von § 125 SGB IX wird nur bis zu insgesamt sechs Arbeitstagen im Kalenderjahr gewährt. Erholungsurlaub und Zusatzurlaub (Gesamturlaub) dürfen im Kalenderjahr zusammen 35 Arbeitstage nicht überschreiten. Satz 2 ist für Zusatzurlaub nach den Absätzen 1 und 2 hierzu nicht anzuwenden. Bei Beschäftigten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, gilt abweichend von Satz 2 eine Höchstgrenze von 36 Arbeitstagen; § 26 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

        

…“    

        
3

Mit Schreiben vom 5. November 2008 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen jährlichen Gesamturlaub in Höhe von 30 Tagen für das Jahr 2008 und die Zukunft nach dem TVöD geltend. Der Beklagte lehnte die Gewährung von 30 Urlaubstagen vor der Vollendung des 40. Lebensjahres der Klägerin unter Hinweis auf die Verbindlichkeit der Regelung des § 26 Abs. 1 TVöD mit Schreiben vom 28. November 2008 ab. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11. Februar 2009 die vorliegende Klage erhoben.

4

Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe auch vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres Anspruch auf jährlich 30 und nicht nur 29 Urlaubstage. Die an das Lebensalter anknüpfende Staffelung des tariflichen Urlaubsanspruchs sei eine Diskriminierung wegen des Alters. Die in der Tarifregelung enthaltene Ungleichbehandlung jüngerer Arbeitnehmer sei nicht durch § 10 AGG gerechtfertigt. Im Übrigen würden die gesundheitlichen Wirkungen zusätzlichen Urlaubs zur Vermeidung beispielsweise von Stresserscheinungen am Arbeitsplatz auch in der medizinischen Literatur kontrovers diskutiert.

5

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass ihr für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.

6

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Diese sei bereits unzulässig, da das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nötige Feststellungsinteresse fehle. Schließlich sei die Klage auch unbegründet. Die Altersstufenregelung des § 26 Abs. 1 TVöD sei durch einen sachlichen Grund nach § 10 AGG gerechtfertigt. Die Festlegung eines Mindestalters für die Gewährung von 30 Urlaubstagen pro Kalenderjahr stelle eine besondere Beschäftigungsbedingung zum Schutz älterer Beschäftigter bzw. eine Mindestanforderung an das Alter für einen mit der Beschäftigung verbundenen Vorteil dar, der zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und erforderlich sei. Ältere Arbeitnehmer seien mit zunehmendem Alter aufgrund beruflicher Belastungen länger krank. Um diesen Umstand Rechnung zu tragen, hätten die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD auf das verstärkte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer reagiert und deren Leistungsfähigkeit stärken wollen. Der Aspekt des Gesundheitsschutzes älterer Arbeitnehmer sei daher geeignet, die Ungleichbehandlung jüngerer Beschäftigter zu rechtfertigen. Schließlich würde auch eine Diskriminierung keine Angleichung „nach oben“ zur Folge haben.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

A. Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachten Ersatzurlaubstage.

9

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Feststellungsklage zulässig ist. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, ob ihr für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht ( § 256 Abs. 1 ZPO ). Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt haben will, nicht entgegen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10  - Rn. 13 bis 15, EzA BUrlG § 7 Nr. 123).

10

II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den ihr in den Jahren 2008 und 2009 jeweils verweigerten 30. Urlaubstag gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf jeweils einen Tag Ersatzurlaub. Die Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstößt gegen die §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Denn sie gewährt Beschäftigten, die das 30., aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben, einen um einen Tag kürzeren Urlaub. Sie ist deshalb nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB unwirksam. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin auch vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Urlaubstage hatte. Ihr steht für die Jahre 2008 und 2009 jeweils noch ein Tag Ersatzurlaub zu, weil der Beklagte ihr in diesen Jahren nur jeweils 29 Urlaubstage gewährte.

11

1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD standen der am 27. Oktober 1971 geborenen Klägerin in den Jahren 2008 und 2009 jeweils 29 Urlaubstage zu. Erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr gewährt ihr diese Tarifregelung einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Diese an das Lebensalter anknüpfende Staffelung der Urlaubsdauer verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist als sachlich nicht nach den §§ 8, 10 AGG gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB unwirksam. Zur Beseitigung dieser Diskriminierung ist eine Anpassung auf 30 Urlaubstage erforderlich.

12

2. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD am AGG gemessen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gelten die Diskriminierungsverbote der §§ 1, 7 AGG auch für die in kollektivrechtlichen Vereinbarungen geregelten Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Unter solchen Bedingungen sind alle Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (vgl. BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 54, BAGE 132, 210). Zu den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gehört damit auch der Urlaub. Der Umstand, dass die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b TVöD bereits am 1. Januar 2006 und somit schon vor dem AGG vom 14. August 2006 in Kraft getreten ist, steht dem nicht entgegen. Die für die Jahre 2008 und 2009 geltend gemachte Benachteiligung durch § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD ist erst nach Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 eingetreten. Da § 33 Abs. 1 AGG insoweit keine Übergangsregelung enthält, findet dieses Gesetz auch dann Anwendung, wenn die Benachteiligung auf einem vor Inkrafttreten des AGG abgeschlossenen Tarifvertrag beruht. Es kommt allein auf den Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung an (BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33, BAGE 129, 72).

13

3. Die Urlaubsstaffelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD enthält eine auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung der Beschäftigten, die das 30. bzw. das 40. Lebensjahr nicht vollendet haben. Das ist eine unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.

14

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Beim Alter handelt es sich um einen in § 1 AGG genannten Grund, wobei unter Alter das Lebensalter zu verstehen ist. Dies folgt aus dem gesetzlichen Wortlaut und auch aus der Gesetzesbegründung ( BT-Drucks. 16/1780 S. 31; BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 49, BAGE 132, 210; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07  - Rn. 36, BAGE 129, 181). Der für eine unmittelbare Benachteiligung erforderliche Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 AGG genannte Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 50, aaO).

15

b) Diese Voraussetzung ist erfüllt. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD sieht für Beschäftigte bei einer Fünftagewoche in jedem Kalenderjahr einen Urlaubsanspruch bis zum vollendeten 30. Lebensjahr in Höhe von 26 Arbeitstagen, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr in Höhe von 29 Arbeitstagen und erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr in Höhe von 30 Arbeitstagen vor. Die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft damit in allen Stufen unmittelbar an das Lebensalter der Beschäftigten an. Danach haben Beschäftigte wie die Klägerin, die zwar das 30. Lebensjahr, aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben, in jedem Jahr nur Anspruch auf 29 statt auf 30 Urlaubstage. Sie werden ebenso wie die unter 30-Jährigen im Vergleich zu den Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich der Höhe des Urlaubsanspruchs wegen ihres geringeren Alters ungünstiger behandelt.

16

4. Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.

17

a) Bei ihr handelt es sich nicht um eine nach § 8 AGG zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen. Die Urlaubsstaffel des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung an. Sie stellt nicht auf die Art der auszuübenden Tätigkeit ab und beansprucht damit Geltung für alle dem TVöD unterfallenden Beschäftigten.

18

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Ungleichbehandlung auch nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt(so ebenfalls die herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Linck/Schütz FS Leinemann, S. 181 f.; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand Januar 2012 E § 26 TVöD Rn. 22; AGG/Voigt 3. Aufl. § 10 Rn. 33; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 42b; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 105; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478; vgl. ferner bereits zu § 48 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). § 10 Satz 1 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ungeachtet der Regelung des § 8 AGG zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Zudem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die an das Lebensalter anknüpfende Differenzierung in § 26 Abs. 1 TVöD nicht sachlich gerechtfertigt, weil sie einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung trägt und deren Gesundheit schützen will. Dabei kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Ziel des Gesundheitsschutzes eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde. Die Tarifvorschrift verfolgt dieses Ziel schon nicht.

19

aa) Die Tarifvertragsparteien haben das mit der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD geregelten Urlaubsstaffelung verfolgte Ziel nicht ausdrücklich genannt. Nennt eine Regelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus dem Kontext abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der Regelung oder der Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, um die Legitimität des Ziels sowie die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die sozialpolitischen Ziele als legitim angesehen werden, die im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07  - [Age Concern England] Rn. 45 ff., Slg. 2009, I-1569; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08  - Rn. 36 ff., BAGE 131, 61). Denn das nationale Gericht hat zu prüfen, ob die Regelung oder Maßnahme ein rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgt. Gleiches gilt für die Frage, ob die Tarifvertragsparteien als Normgeber angesichts des vorhandenen Wertungsspielraums davon ausgehen durften, dass die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich waren (vgl. EuGH 5. März 2009 -  C-388/07  - [Age Concern England] Rn. 49 ff., aaO; vgl. auch BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 57, BAGE 132, 210).

20

bb) Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD dient nicht dem Schutz älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Diese gesetzliche Regelung konkretisiert das legitime Ziel, nämlich ua. die Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Arbeitsbedingungen einschließen kann. Aus einer tariflichen Urlaubsstaffelung, die - wie die in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD - den Beschäftigten bereits nach Vollendung des 30. Lebensjahres drei weitere Urlaubstage und dann nach Vollendung des 40. Lebensjahres letztmals einen zusätzlichen Urlaubstag gewährt, lässt sich nicht ableiten, dass die Tarifvertragsparteien einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten und das Ziel verfolgten, den Schutz älterer Beschäftigter iSd. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG sicherzustellen. Wenn sich auch eine genaue Schwelle für die Zuordnung zu den älteren Arbeitnehmern weder dieser Regelung selbst noch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG entnehmen lässt, so ist diese freilich an der Zielsetzung (vgl. zu dieser Däubler/Bertzbach/Brors 2. Aufl. § 10 Rn. 42) auszurichten. Einen arbeitsmarktpolitischen Zweck verfolgt zB § 417 Abs. 1 SGB III, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung haben. Diese Regelung der Entgeltsicherung bezweckt, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer abzubauen und ihren Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung zu erhöhen (vgl. BT-Drucks. 17/1945 S. 17). Im Vergleich zu der in § 417 Abs. 1 SGB III genannten Altersgruppe setzt sich die durch die Urlaubsstaffel in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD begünstigte Beschäftigtengruppe, der ein Urlaubsanspruch von jährlich 30 Arbeitstagen eingeräumt wird, nicht ausnahmslos aus älteren Beschäftigten zusammen. Vielmehr gehören ihr alle Beschäftigten ab Vollendung des 40. Lebensjahres an. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Arbeitnehmer jedenfalls ab Vollendung des 31. Lebensjahres offensichtlich kein älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ist(BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 55, BAGE 132, 210).

21

cc) Ein legitimes Ziel iSd. § 10 AGG ergibt sich entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch nicht aus § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG. Danach kann eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile einschließen. Diese Regelung bestimmt selbst kein legitimes Ziel, sondern beschreibt nur ein mögliches Mittel, mit der ein auf andere Weise zu legitimierendes Ziel gerechtfertigt werden kann (vgl. ErfK/Schlachter 12. Aufl. § 10 AGG Rn. 6), sofern es erforderlich und angemessen iSd. § 10 Satz 2 AGG ist.

22

dd) Die Tarifvertragsparteien verfolgen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht das Ziel des Gesundheitsschutzes älterer Arbeitnehmer.

23

(1) Das mit der Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verfolgte Ziel lässt sich nicht mit ausreichender Deutlichkeit aus dem Wortlaut des § 26 TVöD entnehmen. § 26 TVöD normiert ausweislich seiner Überschrift den Erholungsurlaub. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TVöD haben Beschäftigte in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD legt die Dauer dieses Erholungsurlaubs fest. Der Begriff des Erholungsurlaubs wird dabei nicht näher definiert und ist dem BUrlG entlehnt, auf das § 26 Abs. 2 TVöD im Übrigen verweist. Der Erholungsurlaub nach dem BUrlG soll nach der Gesetzesbegründung dem sozialpolitischen Anliegen der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft der Arbeitnehmer dienen (vgl. den schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit, BT-Drucks. IV/785; Begründung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesurlaubsgesetzes, BT-Drucks. IV/207). Durch den Erholungsurlaub wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gesichert, für eine bestimmte Dauer im Jahr, die ihm eingeräumte Freizeit zur selbstbestimmten Erholung zu nutzen (st. Rspr., vgl. BAG 20. Juni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b bb 1 der Gründe, BAGE 95, 104; 8. März 1984 - 6 AZR 600/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 45, 184; ebenso st. Rspr. des EuGH zum Jahresurlaub nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG , EuGH 22. No-vember 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7; 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06  - [Schultz-Hoff] Rn. 25, Slg. 2009, I-179). Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen. Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD rechtfertigt eine solche Annahme freilich nicht, sondern schließt sie aus.

24

(2) Das folgt bereits aus dem Inhalt der Regelung. Die Tarifvorschrift räumt den Beschäftigten schon ab dem 30. Lebensjahr drei weitere Urlaubstage ein. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien von einem so deutlich gesteigertem Erholungsbedürfnis bereits nach der Vollendung des 30. Lebensjahres ausgegangen sind, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen eine solche Annahme spricht auch, dass die Tarifvertragsparteien den Beschäftigten nach der Vollendung des 40. Lebensjahres letztmals nur einen weiteren Urlaubstag gewährt und davon abgesehen haben, ein gesteigertes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten in der Zeit bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der Regelaltersrente (§ 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD) zu berücksichtigen. Hätten die Tarifvertragsparteien ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter vor Augen gehabt, hätten sie nicht einem 30-Jährigen einen gegenüber einem 29-jährigen Beschäftigten um drei Tage längeren Urlaub gewährt, nach der Vollendung des 40. Lebensjahres des Beschäftigten eine wesentlich geringere Steigerung des Erholungsbedürfnisses angenommen und für die Zeit danach bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der Regelaltersrente ein zunehmendes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten überhaupt nicht mehr berücksichtigt (vgl. Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478). Auch das Schrifttum nimmt ganz überwiegend an, dass eine tarifliche Urlaubsstaffelung nicht schon auf die Vollendung des 30. bzw. des 40. Lebensjahres abstellen darf, wenn sie einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen will (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Tempelmann/Stenslik DStR 2011, 1183, 1186; Richter Benachteiligung wegen des Alters im Erwerbsleben S. 170; Meinel/Heyn/Herms § 10 Rn. 42b; AGG/Voigt § 10 Rn. 33; Hey AGG § 10 Rn. 28; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdle ZTR 2006, 622, 623; Linck/Schütz FS Leinemann S. 181 f.; Senne Auswirkungen des europäischen Verbots der Altersdiskriminierung auf das deutsche Arbeitsrecht S. 269; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 246). Selbst wenn die Erholungsbedürftigkeit von Arbeitnehmern mit zunehmendem Lebensalter steigen sollte (zweifelnd Däubler/Bertzbach/Brors § 10 Rn. 50; aA Waltermann NZA 2005, 1265, 1269), hätte es mit dem Schutz älterer Arbeitnehmer nichts zu tun, bereits mit dem 30. Lebensjahr eine erste Verlängerung des Urlaubsanspruchs um drei Tage und die zweite und zugleich letzte Verlängerung um einen weiteren Urlaubstag bereits mit Vollendung des 40. Lebensjahres vorzusehen (so auch Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Adomeit/Mohr § 10 Rn. 105; so bereits zu § 48 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). Es fehlt in beiden Stufen an dem erkennbaren Schutz Älterer. Die Verlängerung des Urlaubsanspruchs bereits mit dem vollendeten 30. Lebensjahr lässt sich kaum mit der Erhaltung der Leistungsfähigkeit Älterer begründen. Auch mit der Vollendung des 40. Lebensjahres hat ein Beschäftigter regelmäßig allenfalls die Mitte seines Erwerbsalters erreicht (vgl. auch Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). Hätten die Tarifvertragsparteien gemäß der Ansicht des Beklagten ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter berücksichtigen wollen, hätten sich die gewählten Altersgrenzen nicht an dem mit dem Alter zunehmenden Erholungsbedürfnis orientiert und wären willkürlich.

25

(3) Gerade dieser Umstand bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 26 TVöD weder den Schutz der Gesundheit bezweckten noch einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten. Hätten sie diese Ziele verfolgt, hätte es nahe gelegen, gerade für die älteren Beschäftigten, zB die Gruppe der über 50- oder über 60-jährigen Beschäftigten, die Dauer des Erholungsurlaubs zu verlängern. Bei dieser Personengruppe ist ein altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis eher nachvollziehbar. Ein solches Schutzbedürfnis für die über 50-Jährigen haben die Tarifvertragsparteien aber nur hinsichtlich der Beschränkung der Höchstdauer des Gesamturlaubs bei besonders belastenden Arbeiten (Schicht- und Wechselschicht) gesehen. Das folgt aus § 27 Abs. 4 Satz 4 TVöD. Danach erhöht sich ab diesem Lebensalter die maximal erreichbare Gesamturlaubsdauer von jährlich 35 auf 36 Arbeitstage.

26

(4) Die Tarifgeschichte bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der Urlaubsstaffel nicht einem mit dem Lebensalter steigenden Erholungsbedürfnis Rechnung tragen wollten. Bereits seit dem Inkrafttreten des BAT wurde die Urlaubsdauer an das Lebensalter geknüpft (§ 48 Abs. 1 BAT). Sie steigerte sich auch nach dem vollendeten 30. Lebensjahr und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr. Innerhalb der Lebensaltersstufen verlängerte sich die Urlaubsdauer teilweise nach Vergütungsgruppen. Je höher der Angestellte eingruppiert war, je länger war sein Urlaubsanspruch. Dies zeigt, dass nicht der Erholungszweck maßgebend für die Urlaubsdauer sein sollte. Der Urlaub wurde vielmehr als Quasi-Gegenleistung für die Arbeitsleistung geregelt. Nur so lässt sich die normierte Abhängigkeit der Urlaubsdauer von der Vergütungsgruppe erklären. Es kann deshalb nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten bei Angestellten in höheren Vergütungsgruppen ein gesteigertes Erholungsbedürfnis ausgleichen wollen. Die Differenzierung resultiert vielmehr aus der überkommenen Auffassung, der Urlaub werde „verdient“.

27

5. Die Diskriminierung der Klägerin kann nur durch die Verpflichtung des Beklagten beseitigt werden, der Klägerin für die Jahre 2008 und 2009 jeweils einen Ersatzurlaubstag zu gewähren. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die diskriminierende Regelung unwirksam ist. Auch wird vom Senat nicht verkannt, dass es sich bei § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD um ein Stufensystem handelt, sodass grundsätzlich keine Stufe als die von den Tarifvertragsparteien als „übliche“ Urlaubsdauer gewollte angesehen werden kann. Jedoch kann die Beseitigung der Diskriminierung vorliegend nur durch eine Anpassung „nach oben“ erfolgen.

28

a) Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, eine benachteiligungsfreie Regelung zu treffen, wofür ihnen verschiedene Möglichkeiten zu Verfügung stehen. Doch scheidet eine Aussetzung des Rechtsstreits unter Fristsetzung zur Lückenschließung durch die Tarifvertragsparteien selbst von vornherein aus (aM Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind für den Fall, dass gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, die nationalen Gerichte gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie die Regelung für die nicht benachteiligte Gruppe auch auf die benachteiligte Gruppe anwenden, ohne die Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise abzuwarten (vgl. so bereits zur Richtlinie 76/207/EWG: EuGH 20. März 2003 - C-187/00 - [Kutz-Bauer] Rn. 75, Slg. 2003, I-2741). Auch nach Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre eine Aussetzung grundsätzlich allenfalls zur Beseitigung einer Diskriminierung für die Zukunft geboten(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 28, NZA 2012, 161). Vorliegend geht es jedoch um die Beseitigung einer Diskriminierung in der Vergangenheit.

29

b) Die Benachteiligung der Klägerin kann nicht auf andere Weise für die Jahre 2008 und 2009 ausgeschlossen werden. Ein Rückgriff auf den noch unterhalb der Eingangstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD liegenden gesetzlichen Mindesturlaub gemäß den §§ 1, 3 BUrlG in Höhe von 20 Arbeitstagen bei einer Fünftagewoche ist hierzu nicht geeignet(aM Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 483; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Februar 2012, § 26 Rn. 163.5). Der von den §§ 1, 7 AGG bzw. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgte Zweck, Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen, würde nicht erreicht. Da diskriminierende Maßnahmen oder Vereinbarungen nicht hingenommen und ihre Fortwirkung nicht akzeptiert werden darf (vgl. ErfK/Schlachter § 7 AGG Rn. 5), ist auch nicht auf die Eingangsstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD mit 26 Urlaubstagen abzustellen. Hätte die Klägerin nur Anspruch auf die erste Stufe der Urlaubsstaffel, fehlte es an einer Sanktion, die einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährt und abschreckende Wirkung hat (vgl. zu diesem Aspekt: BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 18 ff., NZA 2012, 161).

30

c) Hingegen ist eine Anpassung „nach oben“ zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, wenn auf andere Weise die Diskriminierung nicht behoben werden kann, weil der Arbeitgeber den Begünstigten für die Vergangenheit die Leistung nicht mehr entziehen kann (vgl. ausführlich: BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 20 ff., NZA 2012, 161). Dies ist vorliegend der Fall. Der den begünstigten Beschäftigten in den Jahren 2008 und 2009 gewährte Urlaub von jährlich 30 Arbeitstagen kann nicht rückwirkend auf 29 oder 26 Arbeitstage begrenzt werden. Die als Urlaub bereits gewährte Freizeit ist nicht kondizierbar.

31

d) Schließlich steht der Anpassung „nach oben“ auch nicht § 15 Abs. 3 AGG entgegen. Danach ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fährlässig handelt. Diese Bestimmung bezieht sich allein auf die immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 38, NZA 2012, 161; ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 13) und verhält sich nicht zur Beseitigung einer Diskriminierung durch eine den Diskriminierungsverboten genügende Regelung.

32

e) Der Beklagte kann auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. In den Jahren 2008 und 2009 galt bereits das am 18. August 2006 in Kraft getretene AGG. Dieses nimmt Dauerschuldverhältnisse und damit auch Arbeitsverhältnisse ebenso wenig wie Tarifverträge aus, die vor dem Inkrafttreten des AGG bereits abgeschlossen waren. Übergangsvorschriften oder Vertrauensschutzregelungen sind insoweit in § 33 AGG nicht vorgesehen. Gemäß § 1 AGG ist ua. Ziel dieses Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen des Alters nicht nur zu verhindern, sondern auch zu beseitigen. Die damit einhergehende unechte Rückwirkung ist zulässig. Der zeitliche Geltungsbereich wird je nach Lage der Verhältnisse im Einzelfall nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt (vgl. so bereits zu § 81 Abs. 2 SGB IX aF: BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 38, BAGE 129, 72). Dies setzt jedoch in jedem Fall das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens voraus, das vorliegend nicht gegeben ist, selbst wenn man die Grundsätze zum Vertrauensschutz bei unechter Rückwirkung von Gesetzen anwendet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes nur dann verletzt, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfG 10. August 2006 - 2 BvR 563/05  - Rn. 14, BVerfGK 9, 28). Zum einen dient das AGG der Umsetzung von EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung im Bereich Beschäftigung und Beruf und enthält insoweit insbesondere im Bereich der Altersdiskriminierung unionsrechtlich verankerte notwendige und bedeutende Regelungen. Zum anderen wäre ein Vertrauen in den Fortbestand der angewandten tarifvertraglichen Regelungen nicht schutzwürdig. Denn die Richtlinie 2000/78/EG wurde schon im Jahr 2000 erlassen und stellt in Art. 16 Buchst. b ausdrücklich klar, dass die Diskriminierungsverbote auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung finden. Nach Art. 18 der Richtlinie 2000/78/EG war diese zudem spätestens zum 2. Dezember 2006 in nationales Recht umzusetzen. Der Beklagte musste ebenso wie die Tarifvertragsparteien damit rechnen, dass tarifvertragliche Regelungen auch am Verbot der Altersdiskriminierung gemessen werden. Deshalb konnte der Beklagte nicht darauf vertrauen, dass auch nach Inkrafttreten des AGG die Urlaubsstaffelregelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD zulässig war, zumal in der Gesetzesbegründung zum AGG die Anknüpfung an das bloße Lebensalter als Mindestgrenze für mit der Beschäftigung verbundener Vorteile nicht unkritisch gesehen wurde(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 36) und im Schrifttum nicht nur vereinzelt die Unwirksamkeit des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung angenommen wurde (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22 mwN; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; so bereits zu § 48 Abs. 1 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156).

33

6. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatzurlaub gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Resturlaubsansprüche für die Jahre 2008 und 2009 waren mangels Vorliegens eines Übertragungsgrundes nach § 26 Abs. 1 Satz 6 TVöD iVm. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres verfallen. Diesen Untergang hat der Beklagte zu vertreten, weil er sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befand.

34

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus Verzug gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB liegen vor. Die Klägerin hatte in den Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils 30 Urlaubstage. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt ( BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05  - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116).

35

b) Die Klägerin machte mit Schreiben vom 5. November 2008 unter der Überschrift „Geltendmachung von Urlaubsansprüchen“ Urlaub in Höhe von 30 Tagen nach dem TVöD geltend und bat zudem, den Urlaubsanspruch auch für die Zukunft entsprechend anzupassen. Dahingestellt bleiben kann, ob dies schon ein konkretes Verlangen beinhaltet hat, den Urlaub in den Jahren 2008 und 2009 zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Senats ist hierfür zumindest erforderlich, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des § 133 BGB davon ausgehen muss, der Arbeitnehmer wünsche ab einem bestimmten Zeitpunkt Erholungsurlaub(vgl. BAG 17. November 2009 - 9 AZR 745/08 - Rn. 45; 11. April 2006 -  9 AZR 523/05  - Rn. 28, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Maßgebend ist, dass der Beklagte mit Schreiben vom 28. November 2008 erklärt hat, er lehne den Antrag auf Verlängerung des Urlaubs „auf 30 Tage vor Erreichen des 41. Lebensjahres“ ab, weil der Klägerin nach dem für ihn verbindlichen § 26 Abs. 1 TVöD derzeit nur 29 Urlaubstage zustünden. Aus objektiver Empfängersicht lag darin eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Beklagten als Schuldner des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin entbehrlich machte(vgl. BAG 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89  - zu II der Gründe). Denn der Beklagte gab mit diesem Schreiben vor Ablauf des Urlaubsjahres 2008 klar zu erkennen, dass er nicht bereit sei, im laufenden Jahr mehr als 29 Tage Urlaub zu gewähren. Hinsichtlich des weiteren Urlaubstags für das Jahr 2009 folgt der Verzug des Beklagten zudem daraus, dass er jedenfalls mit dem Antrag auf Klageabweisung vom 24. April 2009 und somit vor Ablauf des Urlaubsjahres 2009 zu erkennen gegeben hat, den weiteren Urlaubstag auch im Jahr 2009 nicht gewähren zu wollen. Darin lag ebenso seine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung als Schuldner des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin ebenfalls entbehrlich machte(vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 14, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 138; 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89  - zu II der Gründe).

36

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    Preuß    

        

    Neumann-Redlin    

        

        

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Februar 2009 - 7 Sa 1132/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 30. Juni 2008 geendet hat. Hilfsweise macht der Kläger den Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags geltend. Für den Fall des Obsiegens begehrt er seine Weiterbeschäftigung. Hilfsweise verlangt er Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.

2

Der am 25. Januar 1968 geborene Kläger promovierte im Jahr 2003. Aufgrund eines zwischen ihm und dem Land Nordrhein-Westfalen am 31. Mai 2005 geschlossenen und vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Mai 2007 befristeten Arbeitsvertrags war er bei der beklagten Universität als wissenschaftlicher Angestellter auf einer Stelle zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beschäftigt. Neben der Erfüllung der ihm übertragenen Lehraufgaben arbeitete er an seiner Habilitation. Die Beklagte nimmt keine sog. Hausberufungen vor, dh. sie beruft keine „im eigenen Hause“ habilitierten Wissenschaftler auf eine Professorenstelle. Vor dem 31. Mai 2007 beantragte das Institut für O eine Verlängerung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger um zwei Jahre. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf einen Beschluss des Rektorats vom 21. November 2005 ab. Dieser Beschluss sieht vor, dass die Einstellung von wissenschaftlichem Personal auf befristet zu besetzenden Nachwuchsstellen in aller Regel nur zulässig ist, wenn das Beschäftigungsverhältnis vor dem vollendeten 40. Lebensjahr - ausnahmsweise spätestens ein halbes Jahr danach - endet. Am 14. Mai 2007 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag vom 31. Mai 2005, wonach der Kläger „befristet bis zum 30.06.2008 im Rahmen einer Befristung gem. §§ 1 ff. Wissenschaftszeitvertragsgesetz weiterbeschäftigt“ wurde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre der Arbeitsvertrag mit dem Kläger, der am 25. Januar 2008 sein 40. Lebensjahr vollendete, ohne den Rektoratsbeschluss mit einem über den 30. Juni 2008 hinausgehenden Endtermin - jedenfalls mit einer Dauer bis zum 31. Mai 2009 - vereinbart worden.

3

Unter dem 28. Januar/1. Februar 2008 beantragte das Institut für O erneut eine Verlängerung des Arbeitsvertrags um zwei Jahre. Das Rektorat der beklagten Universität lehnte den Verlängerungsantrag mit Schreiben vom 15. Februar 2008 ab und führte ua. aus:

        

„Einer Weiterbeschäftigung auf einer Nachwuchsstelle steht der Rektoratsbeschluss vom 21.11.2005 entgegen, der grundsätzlich eine Beschäftigung eines Mitarbeiters über das vollendete 40. Lebensjahr hinaus ablehnt. Über Ausnahmen entscheidet das Rektorat, stellvertretend der Kanzler. Die abschließend vereinbarten Ausnahmetatbestände sind:

        

1.    

die Beschäftigung in einem Exzellenzbereich,

        

2.    

geringfügige (< 6 Monate) Überschreitung des 40. Lebensjahres,

        

3.    

Kindererziehungszeiten in Höhe der Überschreitung des 40. Lebensjahres.

        

Andere Konstellationen werden in Absprache mit dem Kanzler nicht mehr vorgelegt. Leider scheiden die Punkte 1 - 3 im vorliegenden Fall aus.“

4

Mit seiner am 28. Mai 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Befristung des Arbeitsvertrags vom 14. Mai 2007 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seines Alters. Sie sei daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Im Hinblick auf die diskriminierende Ablehnung der Vertragsverlängerung mit Schreiben vom 15. Februar 2008 sei die Beklagte jedenfalls verpflichtet, ihm einen bis zum 30. Juni 2010 befristeten Vertrag anzubieten. Bestehe diese Verpflichtung nicht, habe die Beklagte eine Entschädigung wegen der Diskriminierung zu zahlen.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch die Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 nicht zum 30. Juni 2008 aufgelöst wird, sondern unverändert fortbesteht;

        

hilfsweise hierzu

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Angebot auf Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2010 als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Angestellter der Entgeltgruppe E 13 TVÜ-L zu unterbreiten;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. oder 2., die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen als vollbeschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter der Entgeltgruppe E 13 TVÜ-L weiterzubeschäftigen;

        

äußerst hilfsweise

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung in angemessener Höhe zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Befristung sei wirksam. Die im Rektoratsbeschluss vom 21. November 2005 festgelegte unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern aufgrund deren Alters sei durch legitime Ziele gerechtfertigt, erforderlich und angemessen. Unterstelle man zugunsten des Klägers eine unzulässige Altersdiskriminierung, folge hieraus nicht die Unwirksamkeit der Befristungsabrede. Der Kläger stünde sonst besser als ohne die Benachteiligung, denn der letzte Arbeitsvertrag wäre auch ohne den Rektoratsbeschluss nur befristet bis zum 31. Mai 2009 abgeschlossen worden.

7

Das Arbeitsgericht hat dem Befristungskontroll- und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Befristungskontrollklage entsprochen. Über die weiteren Anträge hatte der Senat nicht zu befinden.

9

A. Der zulässige Klageantrag zu 1. ist begründet.

10

I. Bei ihm handelt es sich ausschließlich um eine Befristungskontrollklage nach § 17 Satz 1 TzBfG. Dem Antragswortlaut „... sondern unverändert fortbesteht“ kommt keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu. Dies ergibt die Auslegung des Klageantrags unter Hinzuziehung der Klagebegründung. Dort wird ausschließlich begründet, warum das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der vereinbarten Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 zum 30. Juni 2008 geendet haben soll. Andere Beendigungstatbestände sind zwischen den Parteien nicht im Streit.

11

II. Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 gegen § 7 Abs. 1 AGG verstößt und deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist.

12

1. Die Befristung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Die Klage ist am 28. Mai 2008 und damit noch vor dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags beim Arbeitsgericht eingegangen. Die materiell-rechtliche Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG wird nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt(vgl. etwa BAG 23. Juni 2010 - 7 AZR 1021/08 - Rn. 12 mwN, EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 8).

13

2. Die Dauer der vereinbarten Befristung benachteiligt den Kläger wegen seines Alters iSv. § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

14

a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet auf den Streitfall Anwendung. Die Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses ist eine Entlassungsbedingung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Solche Bedingungen sind neben Kündigungen - unbeschadet der Sonderregelung des § 2 Abs. 4 AGG - auch alle anderen Beendigungstatbestände. Sie beziehen sich sowohl auf das „Ob“ als auch auf das „Wie“ der Beendigung und umfassen damit auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aufgrund einer vereinbarten Befristung endet (vgl. zB Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 9).

15

b) Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam. Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe - hierzu gehört auch das Alter - benachteiligt werden. Der Kläger wurde durch die Vereinbarung der Befristung im Vertrag vom 14. Mai 2007 wegen seines Alters benachteiligt. Die unterschiedliche Behandlung war nicht zulässig.

16

aa) Der Kläger wurde durch die im Vertrag vom 14. Mai 2007 vereinbarte Befristungsdauer wegen seines Alters unmittelbar benachteiligt.

17

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde(vgl. BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 62 mwN).

18

(2) Das ist hier der Fall. Der Kläger erfuhr gegenüber einer hypothetischen Vergleichsperson in vergleichbarer Situation eine ungünstigere Behandlung, weil sein Arbeitsvertrag lediglich bis zum 30. Juni 2008 befristet wurde. Mit einer hypothetischen Vergleichsperson wäre ein Vertrag mit längerer Befristungsdauer abgeschlossen worden. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre die Änderungsvereinbarung vom 14. Mai 2007, mit der das befristete Arbeitsverhältnis verlängert worden ist, ohne den Rektoratsbeschluss vom 21. November 2005 von vornherein mit einem anderen, nach dem 30. Juni 2008 liegenden Beendigungstermin geschlossen worden. Einem jüngeren, im Übrigen aber vergleichbaren Beschäftigten wäre ein Vertrag mit längerer Vertragslaufzeit angeboten worden.

19

bb) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, war die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht nach § 10 AGG zulässig.

20

(1) § 10 Satz 1 AGG lässt - unbeschadet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach § 10 Satz 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Rechtfertigungsgründe werden in § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG zunächst in Form einer Generalklausel umschrieben. § 10 Satz 3 AGG zählt sodann sechs Anwendungsfälle auf. Diese stellen, wie das Wort „insbesondere“ deutlich macht, keinen abschließenden Katalog, sondern die Generalklausel konkretisierende Beispiele dar (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 35 mwN, AP AGG § 3 Nr. 3 = EzA AGG § 10 Nr. 3; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn.  40 mwN, BAGE 129, 181 ). Bei Anwendung der Generalklausel des § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG müssen die nationalen Gerichte sicherstellen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters nicht ausgehöhlt wird. Deshalb genügen allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung zu dienen, nicht zur Darlegung eines legitimen Ziels iSd. § 10 AGG. Vielmehr müssen zumindest aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter ihr stehenden Ziels ermöglichen, um die Rechtmäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Als rechtmäßig sind jedenfalls Ziele anzusehen, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 39 mwN, aaO). Insgesamt erfordert die Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG - ebenso wie nach der nahezu wortgleichen Regelung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) - der Sache nach, „dass sich die zugrunde liegende Maßnahme auf ein legitimes Ziel stützt und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält“ (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 6. Mai 2010 in der Rechtssache - C-499/08 - [Andersen] Rn. 47, dort auch unter Rn. 41 bis 46 zur Bedeutung und Einordnung der Worte „objektiv und angemessen“ sowie „angemessen und erforderlich“; vgl. dazu auch EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 65, Slg. 2009, I-1569).

21

(2) Hier kann zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass diese mit der wegen des Alters des Klägers gewählten Befristungsdauer legitime Ziele verfolgte. Das hierzu gewählte Mittel, das Arbeitsverhältnis des Klägers kürzer zu befristen als das vergleichbarer jüngerer Arbeitnehmer, war zur Erreichung der Ziele aber weder erforderlich noch angemessen.

22

(a) Die Beklagte verfolgt mit der bei ihr geltenden Regelung, wissenschaftliche Nachwuchskräfte auf den Qualifikationsstellen bis höchstens zur Erreichung eines Lebensalters von 40 ½ Jahren zu beschäftigen, verschiedene Ziele. Zum einen soll die Regelung dazu dienen, das Erstberufungsalter von Professoren herabzusetzen und damit im Interesse der Allgemeinheit sicherzustellen, dass aus Steuermitteln qualifizierte Nachwuchswissenschaftler möglichst lange der selbstständigen Forschung zur Verfügung stehen. Zum anderen soll der laufende Zustrom junger Wissenschaftler und neuer Ideen gewährleistet werden. Und schließlich soll sie verhindern, dass Inhaber von Nachwuchsstellen erst in einem Lebensalter, in dem eine berufliche Neuorientierung nicht mehr oder nur noch schwer möglich ist, realisieren, ihre angestrebte Habilitation und das Ziel einer Hochschulprofessur nicht erreichen zu können. Dabei ist - entgegen der, im Ergebnis allerdings offengelassenen Fragestellung des Landesarbeitsgerichts - nicht entscheidend, ob der Beschluss des Rektorats vom 21. November 2005 wegen eines unzulässigen Eingriffs in das Recht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG unwirksam ist. Nähme man dies an, folgte allein daraus nicht, dass die mit einer Altersgrenze begründete Befristung des Arbeitsvertrags des Klägers eine ungerechtfertigte Benachteiligung wäre. Maßgeblich ist allein, ob die zur Begründung der - an das Lebensalter anknüpfenden - Befristungsdauer vorgebrachten Ziele iSd. § 10 Satz 1 AGG legitim und die Mittel zur Erreichung dieser Ziele iSd. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sind.

23

(b) Die von der Beklagten verfolgten Ziele unterfallen keinem der in § 10 Satz 3 AGG genannten Beispielsfälle. Sie mögen zwar iSv. § 10 Satz 1 AGG legitim sein. Das gewählte Mittel ist aber weder erforderlich noch angemessen.

24

(aa) Keines der Ziele unterfällt einem der in § 10 Satz 3 AGG aufgeführten Beispielsfälle. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 10 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 AGG nicht gegeben. Nach § 10 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 AGG ist die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand möglich. Die Vorschrift zielt auf ältere Beschäftigte, deren Rentenalter bereits absehbar ist und bei denen einer aufwendigen Einarbeitung am Arbeitsplatz eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Mindestdauer einer produktiven Arbeitsleistung gegenüberstehen soll (BT-Drucks. 16/1780 S. 36). Im vorliegenden Fall geht es der Beklagten nicht darum, Beschäftigte nur bis zu einem bestimmten Alter auf den Nachwuchsstellen einzustellen, um auf diesen Stellen eine Mindestbeschäftigungszeit bis zum Eintritt in den Ruhestand zu erreichen.

25

(bb) Zugunsten der Beklagten kann angenommen werden, dass die von ihr mit der Ungleichbehandlung verfolgten Ziele legitim sind. Das gewählte Mittel ist aber nicht verhältnismäßig.

26

(aaa) Die von der Beklagten verfolgten Ziele mögen legitim iSd. § 10 Satz 1 AGG sein. So hat das Bundesverfassungsgericht die Vorgabe einer die Mobilität des wissenschaftlichen Personals sichernden Regelaltersgrenze für die Erstberufung, die beim Abschluss des Qualifikationswegs nicht überschritten sein sollte, als probates Mittel zur Verfolgung hochschulpolitischer Reformziele anerkannt (vgl. BVerfG 27. Juli 2004 - 2 BvF 2/02 - zu B IV der Gründe, BVerfGE 111, 226). Auch stellen die Schaffung einer hochwertigen Lehre und die optimale Verteilung von Professorenstellen auf die Generationen legitime Ziele iSv. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG dar(EuGH 18. November 2010 - C-250/09 und C-268/09 - [Georgiev] Rn. 68, NZA 2011, 29). Schließlich mag auch das Ziel, im objektiven Interesse der Nachwuchswissenschaftler Sackgassen in ihrer Erwerbsbiographie zu vermeiden, iSv. § 10 Satz 1 AGG legitim sein.

27

(bbb) Das von der Beklagten gewählte Mittel - die Reduzierung der an sich nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG möglichen Befristungsdauer - ist zur Erreichung der Ziele weder erforderlich noch angemessen(verhältnismäßig im engeren Sinn). Zur Senkung des Erstberufungsalters von Professoren der Beklagten erscheint die Altersgrenze für befristete Verträge mit Habilitanden ohnehin ungeeignet, nimmt doch die Beklagte keine sog. Hausberufungen vor. Ferner ist sie aber auch deshalb unverhältnismäßig, weil die Habilitation nicht notwendig der Vorbereitung einer universitären Laufbahn dient. Nicht jeder Habilitand wird nach erfolgreicher Habilitation Professor. Nichts anderes gilt für das Interesse der Forschung und Lehre an der kontinuierlichen Fluktuation der Nachwuchswissenschaftler. Es wäre unverhältnismäßig, die Höchstdauer der Zeitbefristungen nach dem WissZeitVG im Hinblick auf das Lebensalter noch weiter zu reduzieren. Im Übrigen hängt - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - das Ausmaß der Fluktuation im wissenschaftlichen Bereich der Universitäten und staatlichen Hochschulen nicht davon ab, wie alt die Bewerber zum Zeitpunkt der Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses sind, sondern davon, wie lange sie auf den von ihnen besetzten Stellen verweilen. Dass sich die Verweildauer der Wissenschaftler auf den ohnehin nur befristet zu besetzenden Stellen in Abhängigkeit vom Lebensalter verkürzt oder verlängert, ist nicht ersichtlich. Auch zur Vermeidung beruflicher Sackgassen ist die an das Lebensalter anknüpfende Reduzierung der Befristungsdauer jedenfalls unangemessen, nimmt sie doch auch den Habilitanden, die keine universitäre Laufbahn im Auge haben, die Möglichkeit, sich im Rahmen eines nach dem WissZeitVG befristeten Arbeitsverhältnisses zu habilitieren.

28

3. Das Landesarbeitsgericht hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die unzulässige Benachteiligung des Klägers bei der Befristungsdauer gemäß § 7 Abs. 2 AGG zur Unwirksamkeit der Befristungsabrede „an sich“ führt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat deshalb nicht etwa zu einem späteren Zeitpunkt, sondern - jedenfalls aufgrund der Befristungsabrede - überhaupt nicht geendet.

29

a) § 139 BGB ist auf das Verhältnis zwischen der Befristungsdauer und der Vereinbarung der Befristung nicht anwendbar. § 139 BGB setzt die Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts voraus. Der unwirksame Teil des Rechtsgeschäfts muss von dem wirksamen in dem Sinn trennbar sein, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil hätte vorgenommen werden können (Palandt/Ellenberger BGB 70. Aufl. § 139 Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall. Die Befristungsvereinbarung ist nur Teil eines Rechtsgeschäfts, nämlich des Arbeitsvertrags. Sie ist als einheitliche Klausel auch nicht teilbar. Es gibt keine Befristung ohne bestimmte Dauer (vgl. [bei der unwirksamen Länge der Ausschlussklausel] BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - zu II 5 f der Gründe, BAGE 116, 66).

30

b) Weder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung noch der Umdeutung nach § 140 BGB oder der Anwendung der Grundsätze zur „Anpassung nach oben“ bei diskriminierender Vorenthaltung von Leistungen kann eine andere - längere - Befristungsdauer angenommen werden.

31

aa) Durch die Unwirksamkeit der gesamten Befristungsvereinbarung entsteht keine Vertragslücke, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. Die Beklagte hat deutlich zum Ausdruck gebracht, vor dem Hintergrund des Rektoratsbeschlusses zur Altersgrenze gerade die gewählte Befristungsdauer zu wünschen. Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus, wenn eine der Vertragsparteien einen abschließenden Willen zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Palandt/Ellenberger BGB § 157 Rn. 3 mwN).

32

bb) Der unwirksam bis zum 30. Juni 2008 befristete Vertrag kann nicht nach § 140 BGB in einen bis zu einem anderen Beendigungstermin befristeten Vertrag umgedeutet werden. § 140 BGB erfordert das Vorliegen eines nichtigen Rechtsgeschäfts, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht. Die nichtige Befristungsvereinbarung ist kein Rechtsgeschäft, sondern Teil eines solchen, nämlich des - gerade nicht nichtigen - Arbeitsvertrags.

33

cc) Eine Aufrechterhaltung der vereinbarten Befristung mit verlängerter Befristungsdauer kommt auch nicht etwa vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum Anspruch benachteiligter Arbeitnehmer auf „Anpassung nach oben“ in Betracht. Ist eine - gesetzliche oder tarifliche - Regelung unwirksam, weil sie unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einem Arbeitnehmer eine Leistung vorenthält oder kürzt, kann dieser einen Anspruch auf die Leistung haben(vgl. BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZR 287/07 - Rn. 35 f., BAGE 129, 93; 24. September 2003 - 10 AZR 675/02 - zu II 4 der Gründe, BAGE 108, 17). Dies ist auf eine den Arbeitnehmer benachteiligende Befristungsdauer nicht übertragbar. Sie stellt keine einseitig gewährte Leistung des Arbeitgebers dar, sondern ist als Vereinbarung eine einheitliche belastende Regelung, die nicht in einen belastenden und einen begünstigenden Teil aufgespalten werden kann. Im Übrigen begegnete es erheblichen Bedenken, den ungerechtfertigt benachteiligten Arbeitnehmer mit der Unsicherheit zu belasten, welche Dauer seines Arbeitsvertrags die „richtige“ ist. Dies gilt insbesondere wegen der von ihm nach § 17 Satz 1 TzBfG einzuhaltenden Klagefrist.

34

c) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht schließlich davon aus, dass der Annahme eines unbefristeten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bei diskriminierender Befristungsdauer § 15 Abs. 6 AGG nicht entgegensteht. § 15 Abs. 6 AGG schließt seinem Wortlaut nach einen gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsverhältnisses oder auf Gewährung des beruflichen Aufstiegs aus. Der in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Schutz der Privatautonomie gebietet nicht die entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6 AGG auf eine nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksame Befristungsabrede. Es fehlt an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage. § 15 Abs. 6 AGG trägt der grundrechtlich geschützten Auswahlfreiheit des Arbeitgebers Rechnung(vgl. zB Adomeit/Mohr AGG § 15 Rn. 113). Es ist wertungsmäßig ein Unterschied, ob ein Arbeitgeber verpflichtet ist, einen von ihm abgelehnten Arbeitnehmer einzustellen oder auf einer anderen (Beförderungs-)Position zu beschäftigen, oder ob er verpflichtet ist, einen Arbeitnehmer, den er aus eigener Willensentscheidung auf einer bestimmten Position eingestellt hat, weiterzubeschäftigen.

35

d) Auch die Argumentation der Beklagten, der Kläger stünde bei der Annahme eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses letztlich aufgrund der Diskriminierung besser, als er ohne sie gestanden hätte, vermag die Annahme eines zu einem späteren - nicht diskriminierenden - Zeitpunkt befristeten Arbeitsvertrags nicht zu rechtfertigen. § 7 Abs. 2 AGG begründet keinen Schadensersatzanspruch des benachteiligten Arbeitnehmers, sondern normiert als Rechtsfolge und Sanktion der diskriminierenden Vereinbarung deren Unwirksamkeit.

36

B. Die Klageanträge zu 2. und 4. sind dem Senat als echte, nur für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. gestellte Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen. Auch über den zu 3. gestellten Weiterbeschäftigungsantrag war nicht zu befinden. Er ist inhaltlich auf die Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag gerichtet. Die Entscheidung des Senats über den Feststellungsantrag wird mit der Verkündung rechtskräftig.

37

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Linsenmaier    

        

    Gallner    

        

    Schmidt    

        

        

        

    Für den durch Ablauf der Amtszeit
an der Unterschrift gehinderten
Richter Güner.
Linsenmaier    

        

    M. Zwisler    

                 

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

1.
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,
2.
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,
3.
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,
4.
die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen,
5.
eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt,
6.
Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. September 2008 - 9 Sa 525/07 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung oder wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Abfindung verpflichtet ist.

2

Der 1949 geborene Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten beschäftigt. Im Juni 2006 legte die Beklagte, bei der betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu diesem Zeitpunkt tariflich noch bis mindestens 31. Dezember 2011 ausgeschlossen waren, für die bei ihr und bei bestimmten konzernangehörigen Gesellschaften Beschäftigen ein Abfindungsmodell für Arbeitnehmer auf, die bis zum 30. Juni 2007 freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden. Für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse zwischen dem 1. Juni und dem 30. September 2006 aufgrund entsprechender Aufhebungsverträge endeten, war eine zusätzliche „Turbo-Prämie“ von 54.000,00 Euro brutto vorgesehen. Dieses Modell richtete sich ausdrücklich lediglich an Mitarbeiter der Jahrgänge 1952 und jünger. Es stand unter einem doppelten Freiwilligkeitsvorbehalt: Kein Arbeitnehmer musste zu den dargelegten Bedingungen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden; die Beklagte behielt sich vor, Angebote von Arbeitnehmern auf ein Ausscheiden abzulehnen. Bis zum 1. Januar 2007 hatten 5.937 Arbeitnehmer Aufhebungsverträge unterschrieben, darunter 24 Arbeitnehmer, die wie der Kläger vor dem 1. Januar 1952 geboren sind. Das ergibt sich aus einem „Flash-Report“ mit Stand vom 1. Januar 2007. Zwischen den Parteien ist streitig, zu welchen Konditionen die 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer, mit denen die Beklagte Aufhebungsverträge geschlossen hat, aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.

3

Der Kläger erhielt das Rundschreiben von Mai 2006, aus dem sich die Einzelheiten des Abfindungsmodells ergaben, nicht. Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 bat er unter Bezug auf dieses Rundschreiben die Beklagte darum, ihm ein „entsprechendes“ Angebot zu unterbreiten. Dem Kläger stünde nach dem von der Beklagten aufgelegten Modell bei Ausscheiden bis zum 30. September 2006 inklusive der Turbo-Prämie unstreitig eine Abfindung von 171.720,00 Euro brutto zu. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 22. Juni 2006 den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung zu den im Rundschreiben niedergelegten Bedingungen ab. Sie wies auf die bei ihr bestehende tarifliche Altersteilzeitregelung hin und erklärte sich bereit, dem Kläger eine Abfindung zu zahlen, die sich an den Altersteilzeitregelungen orientierte. Nach den bei der Beklagten geltenden tariflichen Regelungen darf die Altersteilzeit 24 Kalendermonate nicht unter- und 60 Kalendermonate nicht überschreiten. Während der Altersteilzeit dürfen grundsätzlich nur geringfügige Tätigkeiten unterhalb der Grenze des § 8 SGB IV ausgeübt werden.

4

In der Güteverhandlung bot die Beklagte dem Kläger eine Abfindung von 58.700,00 Euro netto an. Dieser bat daraufhin mit Schreiben vom 26. Oktober 2006 um kurzfristige Mitteilung, welche Bruttoabfindung der Berechnung der Beklagten zugrunde liege, und um Übersendung der entsprechenden Berechnungen. Die Beklagte antwortete daraufhin mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 wie folgt:

        

„... teilen wir Ihnen mit, dass es uns nicht möglich ist, Ihnen eine Bruttoabfindungssumme zu nennen, weil diese abhängig vom konkreten Verdienst und den Steuerdaten Ihres Mandanten zum Auszahlungszeitpunkt ist. Die Nettosumme errechnet sich nach den Monaten bis zu einem frühestmöglichen Renteneintritt Ihres Mandanten (in diesem Fall 60 Jahre nach Altersteilzeit, also bei Austritt noch in diesem Oktober 36 Monate) und den Nettobeträgen, die er in einer Altersteilzeit monatlich lt. Zumutbarkeitstabelle erhalten würde (unter Berücksichtigung der Steuerklasse III 1.632,46 €).

        

...“

5

Ein Aufhebungsvertrag zu diesen Konditionen kam zwischen den Parteien nicht zustande.

6

Mit der am 22. September 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro brutto.

7

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, sein Anspruch ergebe sich aus dem Verbot der Altersdiskriminierung. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) finde bereits Anwendung. Die Beklagte habe auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch den Abschluss des Aufhebungsvertrags zu den begehrten Bedingungen abgelehnt. Sie habe falsche Vergleichsgruppen gebildet. Zu vergleichen seien die Arbeitnehmer, die einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung schließen wollten, und die Arbeitnehmer, die das Arbeitsverhältnis fortsetzen wollten. Die Möglichkeit, Altersteilzeit in Anspruch nehmen zu können, rechtfertige die Ungleichbehandlung der kontrahierungswilligen Arbeitnehmer der Geburtsjahrgänge 1951 und älter nicht. So könne er - unstreitig - frühestens im Jahr 2009 Altersteilzeit in Anspruch nehmen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das von der Beklagten aufgelegte Abfindungsmodell bereits abgelaufen sei. Personalabbau sei kein legitimes und angemessenes Ziel iSd. § 10 AGG.

8

Der Kläger behauptet, er werde auch gegenüber den vor dem 1. Januar 1952 geborenen 24 Arbeitnehmern ungleich behandelt, mit denen die Beklagte Aufhebungsverträge geschlossen habe. Aus dem Flash-Report ergebe sich, dass die Aufhebungsverträge zu den Bedingungen der Turbo-Prämie abgeschlossen worden seien. Andernfalls wären sie in diesem nicht aufgeführt, der sich nach seinem Sinn und Zweck lediglich auf die Turbo-Prämie beziehe. Weitere Darlegungen seien ihm nicht möglich, da ihm diese Mitarbeiter namentlich nicht bekannt seien.

9

Der Kläger hat beantragt,

        

1.   

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung einer Abfindung in Höhe von 117.720,00 Euro zuzüglich eines Zuschlags in Höhe von 54.000,00 Euro, insgesamt also eine Abfindung in Höhe von 171.720,00 Euro beinhaltet, zu unterbreiten, sowie

        

2.   

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger dadurch entstanden sind und entstehen werden, dass die Beklagte dem Kläger wegen seines Alters keinen Aufhebungsvertrag über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bis zum 30. September 2006 und Zahlung einer Abfindung in Höhe von 117.720,00 Euro zuzüglich Zuschlag in Höhe von 54.000,00 Euro, insgesamt also eine Abfindung in Höhe von 171.720,00 Euro, angeboten hat.

10

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf den doppelten Freiwilligkeitsvorbehalt verwiesen, unter dem der Abschluss der Aufhebungsverträge im Rahmen der aufgelegten Aktion gestanden habe. Da sie das Angebot des Klägers, gegen Zahlung einer Abfindung zu den Bedingungen des Rundschreibens aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, vor Inkrafttreten des AGG endgültig abgelehnt habe, finde dieses keine Anwendung. Jedenfalls habe sie den Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert. Für ihn sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich am vorteilhaftesten.

11

Die Beklagte hat behauptet, sie habe mit den Arbeitnehmern, die vor dem 1. Januar 1952 geboren seien, zu anderen Konditionen als denen des Rundschreibens kontrahiert. Sie hat insoweit drei Arbeitnehmer aus dem Werk H, in dem auch der Kläger beschäftigt war, namentlich benannt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass diese Arbeitnehmer nicht zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 ausgeschieden sind. Der Flash-Report werte insgesamt aus, mit wie vielen Arbeitnehmern einvernehmliche Ausscheidensregelungen getroffen worden seien.

12

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausschluss der vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer aus dem Personenkreis des 2006 aufgelegten Abfindungsmodells sei durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und objektiv angemessen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den 24 Arbeitnehmern, die als Angehörige des Jahrgangs 1951 und älter Aufhebungsverträge erhalten hätten. Die Beklagte biete auch älteren Arbeitnehmern Abfindungen an, wie sie es unstreitig auch beim Kläger getan habe. Deshalb reiche es aus, wenn die Beklagte lediglich bestreite, dass im Flash-Report ausschließlich Arbeitnehmer aufgeführt seien, die zu den Konditionen des Turbo-Modells ausgeschieden seien.

13

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, mit der er ua. geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast rechtsfehlerhaft überspannt, soweit es die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verneint habe.

Entscheidungsgründe

14

Der Kläger ist im Rahmen der von der Beklagten im Jahr 2006 aufgelegten Abfindungsaktion weder wegen seines Alters diskriminiert noch von der Beklagten gleichheitswidrig benachteiligt worden. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

15

A. Die Beklagte hat bei ihrer im Rahmen eines Personalabbaus durchgeführten Abfindungsaktion den Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert. Er hat deshalb unter diesem Gesichtspunkt keinen Anspruch auf das begehrte Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro.

16

I. Die Beklagte hat den Kläger durch die Herausnahme aus dem Personenkreis, mit dem sie bereit war, den Abschluss von Aufhebungsverträgen zu den Bedingungen des Rundschreibens vom Mai 2006 in Betracht zu ziehen, nicht wegen seines Alters iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar benachteiligt. Bereits aus diesem Grund besteht kein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags als Erfüllungsanspruch aus § 7 Abs. 1 AGG(zum Anspruch auf Abschluss eines Änderungsvertrags als vorenthaltene Leistung nach dem Rechtsgedanken des durch das AGG aufgehobenen § 611a Abs. 3 Satz 1 BGB siehe BAG 14. August 2007 - 9 AZR 943/06 - Rn. 48, BAGE 123, 358; zum Anspruch auf Erfüllung derjenigen Ansprüche, die der begünstigten Gruppe zustehen, bei Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes siehe BAG 24. September 2009 - 8 AZR 636/08 - Rn. 37, NZA 2010, 159; zum Erfüllungsanspruch aus § 7 Abs. 1 AGG allg. siehe Wendeling-Schröder/Stein AGG § 7 Rn. 6; Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 19 f.). Ob einem solchen Erfüllungsanspruch die Bestimmung des § 15 Abs. 6 AGG entgegenstünde, der einen Vertragsabschlusszwang als Schadenersatz bei Verstößen des Arbeitgebers gegen § 7 Abs. 1 AGG bei Begründung eines Beschäftigungs- und Berufsausbildungsverhältnisses und bei beruflichem Aufstieg ausschließt, kann deshalb dahinstehen. Vertragsänderungen und -beendigungen wie die vom Kläger verlangte werden von dieser Bestimmung jedenfalls ihrem Wortlaut nach nicht erfasst (ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 13; für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Vereinbarung jeglichen Vertrags und jeglicher Vertragsänderung gleichwohl MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 42). Ebenso kann dahinstehen, ob ein etwaiger Kontrahierungszwang mit der durch Art. 2, 12 GG gewährleisteten Vertragsfreiheit vereinbar wäre(vorsichtig bejahend ErfK/Dieterich 10. Aufl. Art. 12 GG Rn. 31 zur Sicherung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen bei gesetzlicher Grundlage mwN zum Streitstand).

17

1. Nach Auffassung des EuGH ist das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt ist und den die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konkretisiert (EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 21 f.). Die unionsrechtliche Frage, welcher Rechtscharakter dem Verbot der Altersdiskriminierung zukommt, ist damit vom EuGH endgültig beantwortet. Dieses Verbot ist vom EuGH in den Rang eines Primärrechts erhoben worden, das unabhängig von einer nationalen Umsetzung auch im Verhältnis zwischen Privaten von den Gerichten unmittelbar anzuwenden ist. Ob dieses Verbot verletzt worden ist, ließ sich angesichts seiner Unbestimmtheit bis zum Inkrafttreten des AGG nur am Maßstab der es konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG ABl. EG Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) feststellen. Seit dem 18. August 2006 ist eine Verletzung des Verbots der Altersdiskriminierung anhand des diese Richtlinie in nationales Recht umsetzenden AGG zu prüfen.

18

Auch wenn die Beklagte das Angebot des Klägers auf Kontrahierung zu den Bedingungen des Rundschreibens noch vor Inkrafttreten des AGG endgültig abgelehnt hat, ist damit die Frage, ob sie dadurch das Verbot der Altersdiskriminierung verletzt hat und der Kläger Anspruch auf Abgabe der begehrten Willenserklärung hat (§ 894 Satz 1 ZPO), am Maßstab des AGG zu beantworten. Dies gilt um so mehr, als der Kläger sein Verlangen nach einem Angebot zum Abschluss eines entsprechenden Aufhebungsvertrags spätestens mit seiner der Beklagten am 29. September 2006 zugestellten Klageschrift und damit vor Ablauf der von der Beklagten für den Anspruch auf die höchste Stufe der Turbo-Prämie gesetzten Frist am 30. September 2006 wiederholt hat, der Sachverhalt also bei Inkrafttreten des AGG noch nicht abgeschlossen iSd. § 33 Abs. 1 AGG war(dazu zuletzt BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 31 ff.).

19

2. Die das Verbot der Altersdiskriminierung konkretisierende Richtlinie 2000/78/EG soll ausweislich ihres Art. 1 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festlegen und in diesem Rahmen Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf bekämpfen. Verboten ist deshalb im hier interessierenden Zusammenhang jede unmittelbare und mittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Welches Verhalten als unzulässige Diskriminierung zu werten ist, legt Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie fest. Regelungstechnisch ist das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie ein Verbot, eine differenzierende, benachteiligende Behandlung an das Alter zu knüpfen. Erfährt eine Person wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung als andere Personen in vergleichbaren Situationen, stellt eine solche Ungleichbehandlung begrifflich zunächst einmal eine „unmittelbare Diskriminierung“ iSd. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dar (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9).

20

Eine derartige Ungleichbehandlung unterliegt - anders als unmittelbare Diskriminierungen im Europarecht im Allgemeinen - jedoch nicht uneingeschränkt dem Verdikt, rechtswidrig zu sein. Das Differenzierungsmerkmal des Alters als solches besitzt nämlich im Unterschied zu den übrigen in Art. 1 der Richtlinie genannten verbotenen Anknüpfungspunkten die zur Annahme einer verbotenen Diskriminierung erforderliche abschließende Aussagekraft für sich allein genommen noch nicht. Auch bei Anknüpfung an ein solches Merkmal können die Betroffenen tatsächlich nicht nachteilig belastet sein. Alter ist eine lineare Eigenschaft, denn jeder Beschäftigte weist irgendein Alter auf, das sich auf einer horizontalen, nach Lebensjahren eingeteilten Skala entwickelt, auf der sich Abschnitte festlegen und Differenzierungen nach Altersstufen vornehmen lassen. Die anderen in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsmerkmale lassen sich nicht in derartigen Stufen messen und sind keiner ständigen, unausweichlichen Veränderung unterworfen, sondern - jedenfalls im Regelfall - ein für alle Mal festgelegt. Das Alter ist dagegen ein ambivalentes, relatives Differenzierungsmerkmal (Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5 S. 22, 25; Sprenger Das arbeitsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG S. 58 mwN zu Fn. 357). Von einer Altersdiskriminierung ist darum potenziell jeder Mensch betroffen. Eine bloße Differenzierung anhand des Lebensalters indiziert deshalb selbst dann, wenn sie zu einer Benachteiligung einer Personengruppe bestimmten Alters führt, eine Diskriminierung im Sinne einer rechtswidrigen Benachteiligung (vgl. Brockhaus Enzyklopädie 21. Aufl. „Diskriminierung“; Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1981 2. Bd. S. 245 „diskriminieren“) noch nicht. Vielmehr kann es gerechtfertigt sein, eine Maßnahme altersabhängig zu gestalten. Das bringt der Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie 2000/78/EG zum Ausdruck, der eine Unterscheidung zwischen einer bloßen Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer zu verbietenden Diskriminierung verlangt.

21

Wegen dieser Besonderheiten des Alterskriteriums als Anknüpfungspunkt einer Diskriminierung sieht die Richtlinie 2000/78/EG abweichend von der üblichen Systematik unionsrechtlicher Diskriminierungsverbote nicht nur in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b bei mittelbaren Diskriminierungen Rechtfertigungsmöglichkeiten vor, sondern eröffnet in Art. 6 auch bei unmittelbar an das Alter anknüpfenden Maßnahmen die Möglichkeit, diese durch den Nachweis ihrer Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen(Schlachter Altersgrenzen und Alterssicherung im Arbeitsrecht S. 355, 366 f.).

22

3. Diese Systematik der Richtlinie 2000/78/EG behält das AGG bei. Danach hat die Beklagte den Kläger schon nicht wegen seines Alters iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar benachteiligt.

23

a) Die Beklagte hat den Kläger aus dem Kreis der Arbeitnehmer ausgenommen, mit denen sie den Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu den Konditionen des Rundschreibens in Erwägung gezogen hat, weil er vor dem 1. Januar 1952 geboren ist. Damit ist der Anwendungsbereich des AGG eröffnet, denn unter die Entlassungsbedingungen iSd. § 2 Abs. 1 Ziff. 2 AGG fallen auch Aufhebungsverträge (Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 16; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 8; vgl. EuGH 16. Februar 1982 - C-19/81 - [Burton] Rn. 9, Slg. 1982, 555 für die Richtlinie 76/207).

24

b) Die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern, die vor oder nach dem 1. Januar 1952 geboren sind, benachteiligte Arbeitnehmer wie den Kläger, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, nicht unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Solche Arbeitnehmer haben dadurch, dass sie von dem geplanten Personalabbau ausgenommen worden sind, keine weniger günstige Behandlung als jüngere Arbeitnehmer erfahren, denen das Angebot unterbreitet worden ist, zu den im Rundschreiben vom Mai 2006 genannten Bedingungen auszuscheiden, und die dieses Angebot angenommen haben. Das gilt auch dann, wenn ältere Arbeitnehmer wie der Kläger ein Angebot der Beklagten, zu den Bedingungen des Rundschreibens bis zum 30. September 2006 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, angenommen hätten.

25

aa) Ein Arbeitnehmer erfährt nicht bereits dann eine „weniger günstige Behandlung“ iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn er objektiv anders als ein älterer oder jüngerer Arbeitnehmer behandelt wird(vgl. Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 4; MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 3 AGG Rn. 2; vgl. für die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 1 GG ErfK/Schmidt 10. Aufl. Art. 3 GG Rn. 34; Osterloh in Sachs Grundgesetz 5. Aufl. 2009 Art. 3 Rn. 84). Die dargelegte fehlende Eindeutigkeit des ambivalenten Diskriminierungsmerkmals „Alter“ verlangt bereits auf der Tatbestandsebene zur Feststellung einer objektiv vorliegenden Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG eine Ungleichbehandlung, die für den Betroffenen einen eindeutigen Nachteil bewirkt. Die Differenzierung zwischen unterschiedlich alten Arbeitnehmern muss sich also für eine bestimmte Altersgruppe negativ auswirken, indem sie sie zurücksetzt (Wendeling-Schröder/Stein aaO; Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 2).

26

bb) Ob ein Arbeitnehmer, der von einem durch Abschluss freiwilliger Aufhebungsverträge unter Zahlung von Abfindungen durchgeführten Personalabbau wegen seines Alters ausgenommen wird, im vorstehend dargelegten Sinn eine „weniger günstige Behandlung“ erfährt als jüngere Arbeitnehmer, denen Aufhebungsverträge gegen Zahlung einer Abfindung angeboten werden, und deshalb im unionsrechtlichen Sinne zunächst unmittelbar diskriminiert wird, kann nur unter Heranziehung der Gründe beurteilt werden, die zur Aufnahme des Alters als verpöntes Differenzierungsmerkmal in die Richtlinie 2000/78/EG und damit in das AGG geführt haben.

27

(1) Ziel für die Schaffung einer Richtlinie zur einheitlichen Bekämpfung von Diskriminierungen in der Europäischen Union war es, sicherzustellen, dass ein möglichst hoher Prozentsatz der Personen im erwerbsfähigen Alter tatsächlich einer Beschäftigung nachgeht. Ältere Menschen werden im Bereich Beschäftigung bei Arbeitsplatzverlusten, Einstellung, Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und in Bezug auf die Bedingungen für den Eintritt in den Ruhestand besonders diskriminiert (KOM [1999] 565 endgültig S. 3).

28

Diese von der Kommission in ihrem Vorschlag zum Erlass einer Gleichbehandlungsrichtlinie angeführte Zielrichtung des Schutzes und der Integration gerade älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt hat auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2000/78/EG Niederschlag gefunden. Nach Art. 253 EGV bedarf das gesamte Sekundärrecht der Gemeinschaft einer Begründung, die die wichtigsten rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen darlegt, auf denen die Rechtshandlungen beruhen und die für das Verständnis des Gedankengangs erforderlich sind. Motive und Hintergründe, die zum Erlass der Maßnahme geführt haben, sollen durch sie transparent gemacht werden. Mitgliedsstaaten und den Gemeinschaftsrichtern dienen sie als Indikator und maßgebliche Erkenntnisquelle zur Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit einer Maßnahme (Calliess in Calliess/Ruffert EUV/EGV 3. Aufl. 2007 Art. 253 EGV Rn. 2, 6; Schwarze EU-Kommentar 2. Aufl. Artikel 253 EGV Rn. 5 f.). Erwägungsgründe stellen deshalb nicht etwa unbeachtliche Programmsätze dar, sondern geben für die Auslegung der Regelungen einer Richtlinie entscheidende Hinweise (vgl. Senat 26. Oktober 2006 - 6 AZR 307/06 - Rn. 43, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 9 [insoweit in der amtl. Sammlung nicht abgedruckt]; vgl. auch BVerfG 20. September 2007 - 2 BvR 855/06 - Rn. 33, NJW 2008, 209).

29

Der Erwägungsgrund Nr. 6 nimmt auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer Bezug, in der anerkannt werde, wie wichtig die Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung und geeignete Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung älterer Menschen und Menschen mit Behinderung seien. Der Erwägungsgrund Nr. 8 betont, dass der Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung besonderer Aufmerksamkeit gebührt. Erwägungsgrund Nr. 11 stellt fest, dass Diskriminierungen ua. wegen des Alters die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren könnten, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz. Schließlich stellt nach dem bereits angeführten Erwägungsgrund Nr. 25 das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Nach Art. 2 Abs. 1 erster Gedankenstrich EU und Art. 2 EG zählt die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus zu den Zielen, die sowohl von der Europäischen Union als auch von der Gemeinschaft verfolgt werden(EuGH 16. Oktober 2007 - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 64, Slg. 2007, I-8531).

30

(2) Dem Schutz älterer Menschen vor Benachteiligung im Beschäftigungsverhältnis kommt auch nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers besondere Bedeutung zu (BT-Drucks. 16/1780 S. 31, 36). Dieser hat bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG darauf abgestellt, dass es auch in Deutschland Hinweise dafür gebe, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen schlechtere Chancen im Arbeitsleben als andere hätten. Insbesondere Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderte und ältere Menschen seien schlechter in die Arbeitswelt eingebunden. Menschen über 55 und unter 20 Jahren arbeiteten überdurchschnittlich häufig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Die Erwerbsbeteiligung der über 55-Jährigen gehe drastisch zurück. Bei Männern falle sie zwischen 55 und 64 Jahren von 82,1 % auf 27 %. Diese soziale Lage könne zwar nicht allein mit gesetzlichen Benachteiligungsverboten verbessert werden, mache aber deutlich, dass auch in Deutschland diese Personengruppen besonderen Schutzes bedürften (BT-Drucks. 16/1780 S. 23 bis 25).

31

(3) Schutz und Integration älterer Arbeitnehmer stehen somit im Vordergrund der mit der Richtlinie 2000/78/EG und dem AGG verfolgten Ziele, soweit diese die Diskriminierung wegen des Alters verbieten (vgl. ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 11; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 67). Dies wird auch daran deutlich, dass die in Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen wegen des Alters, soweit sie in Abs. 1 Satz 2 Buchst. a die Entlassungsbedingungen ausdrücklich ansprechen, den Schutz älterer Arbeitnehmer verstärken und nicht etwa schwächen sollen (Schlachter Altersgrenzen und Alterssicherung im Arbeitsrecht S. 355, 369 f.).

32

Zwar ist unbestritten auch die Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch die Richtlinie 2000/78/EG untersagt (Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 66; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 11; Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5 S. 22, 25; zu einer Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch ein Punkteschema bei Versetzungen vgl. BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - DB 2010, 397). Gleichwohl darf die oben dargestellte Hauptzielrichtung der Richtlinie bei der Auslegung des § 3 AGG nicht unbeachtet bleiben.

33

cc) Angesichts dieser Zielrichtung der das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG und des diese umsetzenden AGG werden ältere Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber generell von einem Personalabbau ausnimmt, auch dann nicht iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar gegenüber jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt, wenn der Personalabbau durch freiwillige Aufhebungsverträge unter Zahlung attraktiver Abfindungen erfolgen soll. Bei Anlegung des von der Richtlinie 2000/78/EG und des AGG geforderten objektiven Maßstabes zur Beurteilung einer Benachteiligung (ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 3; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 4; aA wohl Schleusner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 12) werden ältere Arbeitnehmer durch die Herausnahme aus dem Personalabbau gegenüber jüngeren Arbeitnehmern, die unter Zahlung einer Abfindung freiwillig aus dem Unternehmen ausscheiden können und sich neue Erwerbschancen suchen müssen, im Regelfall nicht weniger günstig behandelt. Im Gegenteil ist der Zweck des Diskriminierungsverbots wegen des Alters grundsätzlich gerade durch den weiteren Verbleib älterer Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis verwirklicht. Diese stehen dadurch nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis, das bei Vorliegen der Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes bestandsgeschützt ist. Sie erhalten so bei typisierender Betrachtung aus der ex ante-Perspektive die Chance, bis zum Eintritt in den Ruhestand bzw. bis zum Erreichen der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Altersgrenze erwerbstätig zu bleiben. Dass in Einzelfällen Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen vor Erreichen der Altersgrenze ausscheiden oder später aus betriebsbedingten Gründen doch ihren Arbeitsplatz verlieren, muss dabei außer Betracht bleiben. Auch die subjektive Einschätzung einzelner älterer Arbeitnehmer, es sei für sie wirtschaftlich attraktiver, unter Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden als im Arbeitsverhältnis zu verbleiben - etwa in der Hoffnung oder Erwartung, sich neue Einkommensquellen zu erschließen -, kann nach dem Regelungszweck des AGG, der mit dem der Richtlinie 2000/78/EG in Einklang steht, eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG nicht begründen(vgl. bereits Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 31, NZA 2010, 273). Das Verbot der Altersdiskriminierung zwingt deshalb Arbeitgeber im Rahmen eines von ihnen geplanten Personalabbaus im Regelfall nicht dazu, auf Verlangen älterer Arbeitnehmer mit diesen einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung zu schließen.

34

II. Jedenfalls war die Herausnahme älterer Arbeitnehmer aus der von der Beklagten im Jahr 2006 vorgenommenen Personalabbaumaßnahme gerechtfertigt iSd. § 10 AGG.

35

1. § 10 AGG hat Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG unionsrechtskonform umgesetzt. Der Gesetzgeber hat die möglichen Rechtfertigungsgründe zunächst in § 10 Satz 1 und 2 AGG in Form einer Generalklausel umschrieben, die mit der des Art. 6 Abs. 1 nahezu wortgleich ist. In § 10 Satz 3 AGG sind dann sechs nicht abschließende Anwendungsfälle von denkbaren Rechtfertigungen aufgeführt(vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 40, EzA AGG § 15 Nr. 1). Zur weitergehenden Festlegung von rechtfertigenden Zielen war der nationale Gesetzgeber nicht verpflichtet. Die Mitgliedstaaten sind durch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG nicht gezwungen, einen abschließenden Katalog rechtfertigender Ausnahmen aufzustellen. Die darin genannten Ziele sind nicht abschließend, sondern haben nur Hinweischarakter (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 43, 52, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 49, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 12; 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31).

36

Auch die Generalklausel in § 10 Satz 1 und 2 AGG ist unionsrechtskonform. Der Gesetzgeber kann über eine solche Regelung Tarif-, Betriebsparteien oder auch einzelnen Arbeitgebern Ermessens- und Gestaltungsbefugnisse bei der Festlegung von Zielen, die als rechtmäßig iSv. Art. 6 der Richtlinie angesehen werden können, einräumen und damit den Arbeitgebern bei der Verfolgung der in der Umsetzungsnorm genannten rechtmäßigen Ziele eine gewisse Flexibilität gewähren(vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 46, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; Schlussantrag des Generalanwalts Mazák vom 23. September 2008 - C-388/07 - Rn. 83; Sprenger EuZA 2009, 355, 358; vgl. für Tarifvertrags- und Betriebsparteien BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 50, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 12; 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 38, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31). Dies hat der nationale Gesetzgeber getan, der in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch einzel- und kollektivvertragliche Regelungen einer Rechtfertigung über die Generalklausel zugänglich machen will (BT-Drucks. 16/1780 S. 36).

37

2. Die von der Beklagten vorgenommene Maßnahme unterfällt keinem der Regelbeispiele in § 10 Satz 3 Nr. 1 bis 6 AGG. Das in Nr. 6 dieser Norm aufgeführte Regelbeispiel ist nicht analog auf einzelvertragliche Abfindungsregelungen anzuwenden (aA Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 59; für eine Ausdehnung nur auf freiwillige Sozialpläne und bei Sozialplänen nach dem Personal- oder Mitarbeitervertretungsrecht Wendeling-Schröder/Stein AGG § 10 Rn. 61; der Senat hat in seiner Entscheidung vom 19. November 2009 - 6 AZR 561/08 - Rn. 30 die für Sozialpläne geltenden Grundsätze des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG auch auf eine von einer paritätisch besetzen Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission beschlossene kirchliche Arbeitsvertragsregelung angewandt). Nach dem eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Wortlaut dieser Vorschrift sind davon nur kollektivrechtlich vereinbarte Leistungen erfasst. Es fehlt zudem bereits an der für eine analoge Anwendung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG erforderlichen Regelungslücke. Einzelvertragliche Abfindungsregelungen unterfallen der Generalklausel in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AGG.

38

3. Die Maßnahme der Beklagten ist nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt.

39

a) Kommt die Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG zur Anwendung, müssen die nationalen Gerichte feststellen, ob generell-abstrakte Regelungen, die an das Alter anknüpfen und zu einer Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG führen, durch rechtmäßige Ziele im Sinne dieser Generalklausel gerechtfertigt sind. Sie haben sicherzustellen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters nicht ausgehöhlt wird. Deshalb genügen allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung zu dienen, nicht zur Darlegung eines legitimen Ziels iSd. § 10 AGG. Vielmehr müssen zumindest aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter ihr stehenden Ziels ermöglichen, um die Rechtmäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können als rechtmäßig nur Ziele angesehen werden, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 45 ff., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36 ff., AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31). Inwieweit danach auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen Berücksichtigung finden können (bejahend BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 53 mwN zum Streitstand in Rn. 45 ff., EzA AGG § 15 Nr. 1), kann dahinstehen, weil die Beklagte solche nicht anführt.

40

b) Danach war hier der Ausschluss der Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, aus der Personalabbaumaßnahme gerechtfertigt. Die Beklagte hat diese älteren Arbeitnehmer aus der Personalabbaumaßnahme ausgenommen und hat ihnen mit der bei ihr geltenden Altersteilzeitregelung einen gleitenden Übergang in die Altersrente ermöglicht (vgl. § 1 Abs. 1 AltTZG). Sie hat damit dem Personenkreis, dem der Kläger angehört, die weitere Teilnahme am Erwerbsleben ermöglicht. Dies ist ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel iSd. § 10 Satz 1 AGG, das sich mit dem dargelegten Regelungsziel der Richtlinie 2000/78/EG und des diese umsetzenden AGG deckt und deshalb die Herausnahme älterer Arbeitnehmer aus dem Personenkreis, mit dem die Beklagte den Abschluss von Aufhebungsverträgen gegen Zahlung von Abfindungen auf freiwilliger Basis zum Zwecke des Personalabbaus in Betracht gezogen hat, sachlich rechtfertigt(zum Verständnis der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 10 Satz 1 AGG BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 55, EzA AGG § 15 Nr. 1). Zur Erreichung dieses Ziels einer weiteren Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben war der Ausschluss älterer Arbeitnehmer aus dem Personalabbau auch ein verhältnismäßiges Mittel iSd. § 10 Satz 2 AGG.

41

III. Würde dem Arbeitgeber wegen des Verbots der Altersdiskriminierung generell untersagt, ältere Arbeitnehmer aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Annahme, dass diesem Personenkreis der Verbleib im Erwerbsleben ermöglicht werden solle, generell von einem Personalabbau durch freiwilliges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auszunehmen, würde dies auch zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen und Brüchen in der Systematik des nationalen Vertragsrechts führen. Dass die Arbeitsvertragsparteien in Wahrnehmung ihrer auch verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie die freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer Abfindung vereinbaren können, steht außer Zweifel. Letzten Endes geht es darum, den von beiden Seiten für angemessen gehaltenen Preis für ein „Abkaufen“ des Bestandsschutzes zu ermitteln. Folgte man jedoch der Rechtsauffassung des Klägers, wäre dem Arbeitgeber die Ablehnung des Angebots des kontrahierungswilligen Arbeitnehmers verwehrt. Ein derartiger Kontrahierungszwang würde im Ergebnis jeden Personalabbau durch freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung unmöglich machen, weil das zur Verfügung stehende Abfindungsvolumen überwiegend von älteren Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden würde, ohne dass der Arbeitgeber das mit dem geplanten Personalabbau verfolgte Ziel einer Kostenersparnis tatsächlich erreicht.

42

IV. Die zu I. und II. dargestellten Grundsätze zum Verständnis und zur Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a sowie Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2000/78/EG sind, soweit sie nicht ohnehin offenkundig sind, durch die angeführte jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, so dass ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 Abs. 3 EGV nicht erforderlich war(vgl. EuGH 6. Oktober 1982 - C-283/81 - Ls. 4, Slg. 1982, 3415, 3429; 15. September 2005 - C-495/03 - [Intermodal Transports] Rn. 33, Slg. 2005, I-8151).

43

B. Der Kläger hat auch aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen Anspruch auf Abschluss des begehrten Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro.

44

I. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der ungeachtet seiner umstrittenen dogmatischen Herleitung inhaltlich durch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt wird, knüpft an eine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers an. Er gebietet diesem, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln. Er verbietet somit nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Nicht anwendbar ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch, wenn Leistungen oder Vergünstigungen individuell vereinbart werden. Insoweit genießt die Vertragsfreiheit Vorrang vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz (st. Rspr., zuletzt Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 29, NZA 2010, 273).

45

II. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

46

1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte den Kläger wie alle anderen Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, aus dem Personenkreis, dem sie angeboten hat, zu den Bedingungen des Rundschreibens Stand Mai 2006 auszuscheiden, von vornherein ausgenommen hat. Dieser Grundsatz findet keine Anwendung, wenn ein Arbeitgeber mit Arbeitnehmern individuelle Vereinbarungen über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses unter Zahlung von Abfindungen trifft. Dies gilt auch dann, wenn die Abfindungen dem Grunde und der Höhe nach in einer Betriebsvereinbarung oder wie hier in einem von der Beklagten aufgestellten Regelungsplan festgelegt sind. Die Beklagte hat sich ausdrücklich vorbehalten, in jedem Einzelfall darüber zu entscheiden, ob sie Angebote von Arbeitnehmern auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu den im Rundschreiben von Mai 2006 dargestellten Bedingungen annehmen will. In einem solchen Fall fehlt es bereits an einer verteilenden Entscheidung des Arbeitgebers nach einer von ihm selbst aufgestellten Regel (vgl. Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 30, NZA 2010, 273). Auf die vom Kläger angezogene Entscheidung (BAG 18. September 2007 - 9 AZR 788/06 - AP BGB § 307 Nr. 29 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 15) kommt es deshalb nicht an.

47

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit den 24 Arbeitnehmern, die wie er vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, und mit denen die Beklagte unstreitig bis zum 31. Dezember 2006 Aufhebungsverträge abgeschlossen hat. Er hat nicht dargelegt, dass die Konditionen der mit diesen Arbeitnehmern vereinbarten Aufhebungsverträge den Bedingungen, wie sie die Beklagte im Rundschreiben vom Mai 2006 festgelegt hat, entsprechen und die Beklagte sich insoweit an die von ihr selbst gesetzte Regelung nicht gehalten, sondern eine neue, wiederum generalisierende Regelung geschaffen hat, mit einer Mehrzahl kontrahierungswilliger Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, einen Aufhebungsvertrag zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 zu schließen.

48

a) Die Beklagte hat dargelegt, dass sie mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern zu den Bedingungen, wie sie sie auch dem Kläger mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 angeboten hat, kontrahiert hat. Damit hat sie der ihr obliegenden Verpflichtung, die Gründe für eine Differenzierung zwischen beiden Arbeitnehmergruppen offenzulegen und so substantiiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht (BAG 15. Juli 2009 - 5 AZR 486/08 - Rn. 14, EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 20), genügt. Der Kläger hätte nunmehr seine Behauptung, dieser Vortrag der Beklagten sei inhaltlich unzutreffend, näher begründen müssen. Dies ist nicht hinreichend geschehen. Darauf hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgestellt.

49

aa) Die bloße Aufnahme der 24 Arbeitnehmer in den Flash-Report lässt entgegen der Auffassung des Klägers keinen Rückschluss darauf zu, dass die Aufhebungsverträge auch dieser älteren Arbeitnehmer zu den von ihm begehrten Konditionen geschlossen worden sind. Dieser Report gibt laut seiner S. 1 den „Realisierungsstand der abgeschlossenen Aufhebungsverträge“ wieder. Ausgehend vom Ziel der Abfindungsaktion, zur Kostensenkung Personal abzubauen, ist es folgerichtig, sämtliche Arbeitnehmer, die anlässlich dieser Aktion bis zu dem gewünschten Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, im Report aufzuführen, auch soweit Aufhebungsverträge zu anderen Konditionen als denen des Rundschreibens von Mai 2006 geschlossen worden sind.

50

bb) Auch die auf S. 5 des Flash-Reports erfolgte „Aufteilung abgeschlossener Aufhebungsverträge“ spricht entgegen der Auffassung des Klägers nicht für seine Behauptung, sondern im Gegenteil gegen diese. Der Flash-Report wertet dort unter Aufschlüsselung nach Entgeltstufen und Dauer der Betriebszugehörigkeit aus, wie hoch der Anteil angeschriebener Arbeitnehmer ist, die tatsächlich einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben. Dem Kläger ist zuzugeben, dass die vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer unstreitig nicht von der Beklagten angeschrieben worden sind. Gleichwohl sind Basis auch dieser Statistik alle bis zum 31. Dezember 2006 geschlossenen 5.937 Aufhebungsverträge einschließlich der auf S. 11 des Flash-Reportsausgewiesenen 24 Verträge, die mit vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern geschlossen worden sind. Aussagen zu den Konditionen der Aufhebungsverträge lassen sich damit S. 5 des Flash-Reports nicht entnehmen, sondern nur das Bemühen der Beklagten, alle bis zum 31. Dezember 2006 abgeschlossenen Aufhebungsverträge statistisch zu erfassen und zu bewerten.

51

cc) Schließlich ist auch der Vortrag des Klägers, Abfindungen an ältere Arbeitnehmer seien stets netto gezahlt worden, kein schlüssiges Indiz für seine Behauptung, die Konditionen der 24 auf S. 11 des Flash-Reports aufgeführten Aufhebungsverträge entsprächen denen des Rundschreibens. Der Kläger nimmt insoweit ausdrücklich Bezug auf das Schreiben der Beklagten vom 30. Oktober 2006,aus dem sich lediglich ergibt, dass sie im konkreten Fall des Klägers eine Nettoabfindung errechnet hat, weil ihr mangels der erforderlichen Daten die Ermittlung einer Bruttoabfindung nicht möglich war.

52

b) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast nicht überspannt. Es hat vielmehr zu Recht vom Kläger verlangt, weitere Indizien vorzutragen, aus denen geschlossen werden könne, dass seine Behauptung, die Beklagte habe auch mit 24 älteren Arbeitnehmern zu den Bedingungen des Rundschreibens vom Mai 2006 kontrahiert, richtig sei. Trotz des unstreitigen Umstands, dass der Kläger die Bedingungen der 24 auf S. 11 des Flash-Reports aufgeführten Aufhebungsverträge, die mit vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern geschlossen sind, nicht kennt und keine Einsicht in die Personalunterlagen hat, war die Beklagte nicht zu weitergehendem Vortrag verpflichtet.

53

aa) Allerdings genügt nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das einfache Bestreiten des Gegners der primär darlegungspflichtigen Partei nicht, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, der Gegner dagegen alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. In diesen Fällen kann von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 16, NJW 2008, 982; BAG 6. September 2007 - 2 AZR 715/06 - Rn. 38, BAGE 124, 48). Der Gegner der primär darlegungs- und beweispflichtigen Partei muss deren Vortrag also positive Gegenangaben gegenüberstellen (Stein/Jonas/Leipold 22. Aufl. § 138 Rn. 36 f.; umfassend zu den Modifizierungen der Darlegungslast unter dem Gesichtspunkt der sekundären Behauptungslast Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. Vor § 284 Rn. 34 ff.).

54

Diesen Anforderungen hat die Beklagte genügt. Sie hat vorgetragen, dass sie mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge zu den Bedingungen geschlossen habe, wie sie sie auch dem Kläger angeboten hat . Sie hat diesen Vortrag mit der namentlichen Benennung von drei Arbeitnehmern, die wie der Kläger im Werk H beschäftigt und im Flash-Report erfasst seien, untermauert. Unstreitig sind diese Arbeitnehmer tatsächlich zu anderen Bedingungen als denen des Abfindungsmodells des Jahres 2006 ausgeschieden. Ebenso unstreitig hat die Beklagte jedenfalls dem Kläger lediglich die Konditionen angeboten, zu denen sie nach ihrem Vortrag mit den 24 älteren Arbeitnehmern kontrahiert hat. Sie hat damit den vom Kläger behaupteten Sachverhalt hinreichend substantiiert bestritten.

55

Weitergehende Vortragspflichten trafen die Beklagte aufgrund des Grundsatzes der sekundären Behauptungslast nicht. Insbesondere verlangen diese vom Gegner der beweispflichtigen Partei nicht die Preisgabe von Namen und ladungsfähiger Anschrift von (potentiellen) Zeugen. Dass die Beklagte die 24 Arbeitnehmer nicht namentlich benannt hat, hatte deshalb entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass sein Vortrag, diese Arbeitnehmer seien zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 ausgeschieden, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen war(vgl. BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 18 f., NJW 2008, 982).

56

bb) Die Zivilprozessordnung kennt keine - über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende - allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei. Dass im Zivilprozess die Wahrheitspflicht wesentliche Bedeutung hat, erlaubt nicht den Schluss, die Parteien seien generell zu dem Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung dient. Weder die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindert den Gesetzgeber daran, den Zivilprozess der Verhandlungsmaxime zu unterstellen und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen. Im Grundsatz gilt, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner das Material für dessen prozessuales Obsiegen zu verschaffen (BAG 1. Dezember 2004 - 5 AZR 664/03 - BAGE 113, 55, 58 f.; BGH 11. Juni 1990 - II ZR 159/89 - NJW 1990, 3151).

57

Ohnehin ist außer einem ausdrücklichen Geständnis der Beklagten kein Vortrag erkennbar, der dem Kläger die weitere Substantiierung seiner Behauptung, die Aufhebungsverträge mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern seien zu denselben Bedingungen wie die der 5.913 bis zum 31. Dezember 2006 ausgeschiedenen jüngeren Arbeitnehmer geschlossen, ermöglichen würde. Trüge die Beklagte die Namen und Konditionen von 21 weiteren vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern vor, mit denen sie 2006 Aufhebungsverträge geschlossen hat, könnte der Kläger ebenso, wie er es bereits bei den drei von der Beklagten namentlich benannten Arbeitnehmern des Werks H getan hat, einwenden, dass deren Aufhebungsverträge nicht im Flash-Report aufgeführt seien. Legte die Beklagte - unter Hintanstellung datenschutzrechtlicher Bedenken - alle 5.937 von ihr bis zum 31. Dezember 2006 geschlossenen Aufhebungsverträge vor, wären davon 24 mit Arbeitnehmern geschlossen, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, und würden diese Verträge andere Konditionen als die im Rundschreiben vom Mai 2006 genannten aufweisen, könnte der Kläger ebenfalls einwenden, dass dies nicht die Verträge der 24 im Flash-Report aufgeführten Arbeitnehmer seien.

58

c)  Das Landesarbeitsgericht hat auch seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO entgegen der Aufklärungsrüge der Revision nicht verletzt. Zum einen hatte es bereits laut Protokoll vom 4. Februar 2008 auf seine Auffassung hingewiesen, der Kläger habe konkret vorzutragen, zu welchen Bedingungen die Arbeitnehmer, die älter als 55 Jahre gewesen seien, aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden seien. Zum anderen war der vom Kläger auf den vermissten Hinweis gehaltene Vortrag, den er in der Revisionsbegründung mitgeteilt hat, nicht entscheidungserheblich. Wie ausgeführt, ändert der Umstand, dass der Kläger die 24 im Flash-Report aufgeführten, vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer nicht kennt und unter der Vielzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer auch nicht ausfindig machen kann, nichts daran, dass er seiner Darlegungslast nicht genügt hat.

59

C. Der Antrag auf Feststellung einer künftigen Schadenersatzpflicht ist aus den dargelegten Gründen unbegründet.

60

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Schmidt    

        

    B. Stang    

        

        

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. November 2010 - 17 Sa 1410/10 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seines Alters bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.

2

Unter dem 22. Juni 2009 schrieb die Beklagte Stellen über ein Internetportal aus. In der Stellenanzeige heißt es ua. (wörtliche Wiedergabe):

        

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Für unsere aktuelle Projekte suchen wir zur Unterstützung zwei freiberufliche Mitarbeiter (bei Eignung auch Festanstellung möglich) zwischen 25 und 35 Jahren

        

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.Net Entwickler (m/w)

        

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SQL Datenbankentwickler

        

Ihre Aufgaben:

        

Sie sind zuständig für die Entwicklung von Bedienoberflächenentwicklungen unter VB.Net sowie die Entwicklung von Datenbankmodellen unter dem MS SQL Server 2000/2005.

        

Wir erwarten von den Bewerbern einen kommunikativen, dynamischen Charakter sowie eine gute Teamfähigkeit.“

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Der am 27. März 1956 geborene Kläger bewarb sich erfolglos auf eine der Stellen. Nachdem die Beklagte zumindest einen Bewerber aus Berlin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, sah sie letztlich von einer Einstellung von Mitarbeitern ab.

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Mit der am 27. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 26.400,00 Euro in Anspruch genommen.

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Er behauptet, die Beklagte habe ihn wegen seines Alters benachteiligt. Dafür spreche der Inhalt der Stellenausschreibung. Für die ausgeschriebenen Stellen sei er objektiv geeignet gewesen.

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Der Kläger beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.400,00 Euro zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie bestreitet, den Kläger wegen dessen Alters benachteiligt zu haben. Dieser habe in der ihr vorgelegten Projekthistorie lediglich sieben Monate Projekterfahrung mit der erforderlichen Software VB.Net und der Datenbank MS SQL Server 2005 vorweisen können. Andere Bewerber hätten mehr Erfahrung als der Kläger gehabt. Die weiteren vom Kläger nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten seien weder notwendig noch durch die Ausschreibung gefordert gewesen. Dem Kläger fehle daher die objektive Eignung für die ausgeschriebenen Stellen. Auch habe sich der Kläger nicht subjektiv ernsthaft beworben, was sich daraus ergebe, dass bei einer ernsthaften Bewerbung die Bewerbungsunterlagen ausführlicher gewesen und stärker die Vorzüge des Klägers dargelegt worden wären. Auch sei deshalb von einem „AGG-Hopping“ auszugehen, weil der Kläger überzogene Vergütungsvorstellungen habe, wie sich aus der Klageforderung mit einem vermeintlich entgangenen Gehalt von 8.800,00 Euro brutto monatlich ergebe. Letztlich sei der Kläger auch aufgrund seines Wohnsitzes für die ausgeschriebene „Stelle“ nicht infrage gekommen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Entschädigungsklage mit einer nicht tragfähigen Begründung abgewiesen.

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A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Dem Kläger stehe ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht zu. Eine unmittelbare Benachteiligung eines nicht zum Zuge gekommenen Stellenbewerbers iSd. § 3 Abs. 1 AGG setze ua. voraus, dass die ausgeschriebene Stelle tatsächlich besetzt wurde. Eine gegen § 1 AGG verstoßende Stellenausschreibung bedeute für sich genommen noch keine Benachteiligung. Deshalb könne dahinstehen, ob der Kläger für die Stelle objektiv geeignet gewesen wäre, da er keine schlechtere Behandlung als die übrigen Bewerber erfahren habe, die ebenfalls nicht eingestellt worden seien.

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B. Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere ist sie ausreichend iSd. § 551 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG begründet.

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Die Revisionsbegründung enthält zwar keine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts. Der Kläger durfte allerdings auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde Bezug nehmen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

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Soll eine solche Bezugnahme zur Zulässigkeit der Revision führen, muss zum einen die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung entsprechen, zum anderen muss diese Bezugnahme innerhalb der Zweimonatsfrist des § 72a Abs. 6 Satz 3 iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bei Gericht eingehen(BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 875/08 - AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 54).

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Die Revisionsbegründung, welche die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält, ist innerhalb der Zweimonatsfrist nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses des Senats an den Kläger eingegangen. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde führt der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Senats aus, dass eine ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegen könne, sodass es auf die anschließende Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nicht mehr ankomme. Dies stellt eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Landesarbeitsgerichts dar.

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C. Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Berufung des Klägers nicht zurückgewiesen werden.

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I. Zunächst ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch um einen solchen nach § 15 Abs. 2 AGG handelt. Ob ein solcher jedoch besteht, konnte der Senat aufgrund der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden.

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1. Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AGG „Beschäftigter“ und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Unerheblich ist, dass sich die Ausschreibung vorrangig auf eine „freiberufliche Mitarbeit“ bezog und ein Arbeitsverhältnis nur für den Fall der Eignung in Aussicht gestellt wurde (vgl. BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - AP AGG § 7 Nr. 2 = EzA AGG § 15 Nr. 6). § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGG bezieht in die durch das AGG geschützten Beschäftigungsverhältnisse nämlich auch arbeitnehmerähnliche Personen ein. Außerdem erstreckt § 6 Abs. 3 AGG die Anwendbarkeit der §§ 7 bis 18 AGG auch auf Selbständige, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft.

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Für den persönlichen Anwendungsbereich nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG ist es unerheblich, ob der Bewerber für die in Aussicht genommene Stelle objektiv geeignet ist(vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16; 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12). Für den Bewerberstatus ist zudem die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Voraussetzung. Vielmehr kann die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit allenfalls den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB begründen(vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - aaO).

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2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

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3. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Für die Voraussetzungen des Anspruchs ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen(vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21). Entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts scheitert eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers nicht allein daran, dass die Beklagte auf die ausgeschriebenen Stellen letztlich niemanden eingestellt hat.

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a) Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine weniger günstige Behandlung erfordert das Zufügen eines Nachteils. Eine bloße Ungleichbehandlung genügt hierfür nicht (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - BAGE 133, 265 = AP AGG § 3 Nr. 3 = EzA AGG § 10 Nr. 3). Ob die Zufügung eines Nachteils vorliegt, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - EzA AGG § 3 Nr. 7) und in Relation zur Vergleichsperson.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - mwN, NZA 2012, 667). Wie sich aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist auch dann, wenn der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ein Entschädigungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Selbst eine später vorgenommene Einstellung oder tatsächliche Beschäftigung eines zuvor benachteiligten Bewerbers beseitigt dessen ungünstigere Behandlung nicht (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7).

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Da die ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 15 AGG Rn. 20; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 51; MünchKommBGB/Müller-Glöge 4. Aufl. 2005 § 611a BGB Rn. 64; aA LAG Rheinland-Pfalz 30. November 2006 - 4 Sa 727/06 -; LAG Düsseldorf 1. Februar 2002 - 9 Sa 1451/01 - NZA-RR 2002, 345). Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch geeignete Verfahrensgestaltung, etwa das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern wegen ihrer Merkmale nach § 1 AGG so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird(vgl. BVerfG 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - BVerfGK 9, 218 = AP BGB § 611a Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 4 für geschlechtsbezogene Benachteiligungen). Der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. MüKoBGB/Thüsing aaO; MünchKommBGB/Müller-Glöge aaO).

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b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine ungünstigere Behandlung des Klägers vor. Diese besteht darin, dass der Kläger aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden und er anders als mindestens ein anderer Bewerber von der Beklagten nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist. Dem Kläger wurde damit bereits im Vorfeld der eigentlichen Besetzungsentscheidung die Chance auf Einstellung genommen. Dies stellt eine ungünstigere Behandlung dar, unabhängig davon, ob der Kläger bei „passendem“ Alter eingestellt worden wäre (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - mwN, AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7). Unerheblich ist es deshalb, dass sich die Beklagte später entschlossen hat, keinen Bewerber einzustellen. Hierdurch wurde die bereits zuvor erfolgte Benachteiligung des Klägers nicht beseitigt.

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II. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat die Frage der objektiven Eignung des Klägers für die ausgeschriebenen Stellen dahinstehen lassen und hierzu auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die fehlenden Feststellungen wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen und bei der Frage der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG ua. Folgendes zu beachten haben:

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1. Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist also keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

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2. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber über den der Stelle zuzuordnenden Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stellenbewerbers frei entscheiden. Durch das Stellen von Anforderungen an Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf der Arbeitgeber aber die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen (BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2). Deshalb ist für die objektive Eignung nicht (allein) das Anforderungsprofil maßgeblich, welches der Arbeitgeber erstellt hat, sondern die Anforderungen, welche an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Im Übrigen ist die objektive Eignung von der individuellen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers zu trennen, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - aaO). Bewerber, welche die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten können, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, bedürfen des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12). Ebenfalls keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation kann aus gesetzessystematischen Erwägungen das Vorliegen des verbotenen Merkmals selbst haben (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2).

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3. Unter Berücksichtigung der für den Nachweis der objektiven Eignung geltenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 49) wird das Landesarbeitsgericht unter Beachtung der genannten Maßstäbe zu prüfen haben, ob der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war.

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4. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war und damit nach § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt wurde, wird es weiter zu prüfen haben, ob dies - wie vom Kläger behauptet - wegen seines Alters, dh. wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist.

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a) Eine weniger günstige Behandlung wegen des Alters ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Alter anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass das Alter Bestandteil eines Motivbündels war, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10).

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b) Das Landesarbeitsgericht wird zu beachten haben, dass hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen ist, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt.

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aa) Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist(BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

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bb) Die Verletzung der Verpflichtung, einen Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG auszuschreiben(§ 11 AGG), kann die Vermutung begründen, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten Merkmals erfolgt (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10).

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cc) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals iSd. § 1 AGG(hier: des Alters) vermuten lassen, trägt die Beklagte nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorgelegen hat. Sie muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung des Klägers nicht (auch) auf dessen Alter beruht hat. Damit muss sie Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung des Klägers geführt haben (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10) und in ihrem Motivbündel dessen Alter keine Rolle gespielt hat.

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5. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. weiter zu prüfen haben, ob der Kläger den von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 AGG schriftlich geltend gemacht und seine Klage innerhalb der Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG erhoben hat.

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6. Sollte das Berufungsgericht einen Entschädigungsanspruch des Klägers dem Grunde nach bejahen, so wird es auch zu prüfen haben, ob der Entschädigungsanspruch des Klägers ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB)ausgeschlossen ist.

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Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG können unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dann wegen Verstoßes gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgt ist, um Entschädigungsansprüche zu erlangen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich der Bewerber nicht ernsthaft beworben hat und der Anspruch nach § 15 AGG sonach ausnahmsweise ausgeschlossen ist, trägt der Arbeitgeber. Er muss dafür Indizien vortragen, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16).

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7. Sollte sich danach ergeben, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, wird das Berufungsgericht auch über die Höhe der Entschädigung zu befinden haben. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist auch der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen wäre, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (vgl. BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - AP AGG § 7 Nr. 2 = EzA AGG § 15 Nr. 6; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - mwN, BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

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8. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision mitzuentscheiden haben.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Der ehrenamtliche Richter Brückmann ist wegen Ende der Amtszeit an der Unterschriftsleistung verhindert.
Hauck    

        

    Bloesinger    

        

        

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 2012 - 3 Sa 129/12 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.

2

Die 1978 geborene, geschiedene und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, seit dem 1. September 2010 bei einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 750,00 Euro als Vertriebsmitarbeiterin angestellt. In der Jahresmitte 2011 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft mit voraussichtlichem Entbindungstermin am 16. Januar 2012 festgestellt. Am 4. Juli 2011 bescheinigte ihr Gynäkologe ein sofortiges, generelles Beschäftigungsverbot iSd. § 3 Abs. 1 MuSchG. Davon unterrichtete die Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten, der verärgert reagierte und die Klägerin drängte, weiter zu arbeiten. Die Klägerin lehnte dies ab.

3

Durch eine weitere Untersuchung wurde am 14. Juli 2011 festgestellt, dass die Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendigen Eingriff wurde die Klägerin für den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Darüber informierte die Klägerin noch am 14. Juli 2011 ihre Vorgesetzte, die Innendienstleiterin S der Beklagten. Nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung. Frau S informierte den Geschäftsführer der Beklagten.

4

Dieser verfasste noch am 14. Juli 2011 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2011 „aus betriebsbedingten Gründen“ und ließ diese am Abend desselben Tages in den Briefkasten der Klägerin einwerfen.

5

Am 15. Juli 2011 wurde die Klägerin stationär im Klinikum G aufgenommen. Die Diagnose lautete „missed abortion Mens IV“, dh. fehlender Abgang der (toten) Leibesfrucht im vierten Schwangerschaftsmonat. Die Frucht wurde durch Vakuumextraktion entfernt, danach wurde eine Ausschabung vorgenommen. Am 16. Juli 2011 wurde die Klägerin aus der Klinik entlassen; bei ihrer Rückkehr fand sie in ihrem Hausbriefkasten die Kündigung vom 14. Juli 2011.

6

Unter dem 9. August 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal „aus betriebsbedingten Gründen“, diesmal zum 15. September 2011. Die Beklagte hat dazu vortragen lassen, dass diese zweite Kündigung erfolgte, da sie nicht wusste, ob bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch galten oder nicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen anderer Arbeitnehmer kam es nicht. Im Zeitraum der ersten Kündigung wurde mit einem anderen Mitarbeiter auf dessen Wunsch ein Aufhebungsvertrag geschlossen. Die Klägerin hat mittlerweile nach Zustellung des Berufungsurteils das Arbeitsverhältnis unter dem 30. August 2012 außerordentlich zum 31. August 2012 gekündigt.

7

Die Klägerin hat beide Kündigungen der Beklagten mit fristgerechten Feststellungsklagen angegriffen. Die Beklagte habe keine billigenswerten Motive für ihre Kündigungen gehabt, vielmehr ergebe sich schon aus der zeitlichen Nähe zum Ende ihrer Schwangerschaft und aus der Verärgerung des Geschäftsführers über ihr vorausgegangenes Beschäftigungsverbot eine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Kündigung sei zur Unzeit erfolgt, die zweite Kündigung stelle darüber hinaus eine Maßregelung wegen Erhebung der Klage gegen die erste Kündigung, verbunden mit einem Antrag auf Entschädigung, dar. Sie sei der Beklagten am 9. August 2011 zugestellt worden.

8

Soweit für die Revision noch von Bedeutung hat die Klägerin beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG für die mit Datum vom 14. Juli 2011 ausgesprochene Kündigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 3.000,00 Euro nicht unterschreiten darf.

9

Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Kündigung nur zufällig eine zeitliche Nähe zur Beendigung der Schwangerschaft aufweise. Die Kündigung beruhe auf unternehmerischer Entscheidung und sei von normalen geschäftlichen Überlegungen getragen.

10

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung vom 14. Juli 2011 für unwirksam befunden, die Klage gegen die Kündigung vom 9. August 2011 sowie den Klageantrag auf Zahlung einer Entschädigung hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht auch in diesen beiden Anträgen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht für die Beklagte im Hinblick auf die ausgeurteilte Entschädigung zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit das Ziel einer Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 3.000,00 Euro zugesprochen.

12

A. Seine Entscheidung zum Anspruch der Klägerin auf Entschädigung hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin habe ausreichend Tatsachen vorgetragen, die aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie durch die Beklagte eine Benachteiligung wegen ihrer Schwangerschaft und damit unmittelbar wegen ihres Geschlechts erfahren habe. Die Beklagte habe nur der Klägerin gekündigt. Ihr Vorbringen, noch eine weitere Kündigung ausgesprochen zu haben, habe sie nicht substanziiert. Vielmehr habe sie den Vortrag der Klägerin, es sei ein Aufhebungsvertrag auf Wunsch eines Arbeitnehmers abgeschlossen worden, unbestritten gelassen. Die Umstände zu diesem Aufhebungsvertrag habe die Beklagte nicht dargelegt. Damit könne nicht von einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung zum Personalabbau ausgegangen werden.

13

Der Geschäftsführer der Beklagten habe auf das Beschäftigungsverbot verärgert reagiert und die Klägerin gedrängt, weiter zu arbeiten. Schließlich sei der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Wegfall des Mutterschutzes und dem Kündigungsausspruch am 14. Juli 2011 zu berücksichtigen. Damit lägen hinreichende Indizien für die Annahme vor, dass die Kündigung vom 14. Juli 2011 eine Reaktion der Beklagten auf das Beschäftigungsverbot gewesen sei und dessen Einhaltung durch die Klägerin. Es sei zu vermuten, dass die Beklagte gegenüber einer nicht schwangeren und von keinem Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG betroffenen Arbeitnehmerin eine Kündigung nicht ausgesprochen hätte. Die Beklagte habe der ihr nach § 22 AGG obliegenden Darlegungslast, die Schwangerschaft der Klägerin sei in ihrem Motivbündel nicht enthalten gewesen, nicht entsprochen. Vielmehr habe sie nur pauschal auf die „Betriebsbedingtheit“ der Kündigungen verwiesen und auf eine unternehmerische Entscheidung, wegen rückläufigen Arbeitsanfalls das Arbeitsverhältnis zur Klägerin zu kündigen. Dies stehe aber in Widerspruch zu den sonstigen Umständen und sei von der Beklagten nicht weiter substanziiert worden. Damit sei die Klägerin wegen des Beschäftigungsverbots, mithin wegen ihrer Schwangerschaft und folglich wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Diese Benachteiligung wiege schwer, zumal sie bewusst und gewollt geschehen sei, worauf auch der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hindeute. Unter dem Gesichtspunkt einer fühlbaren Sanktion, aber auch zur Abschreckung hinsichtlich künftigen Fehlverhaltens sei unter Berücksichtigung der geringen Betriebsgröße der Beklagten ein Betrag von 3.000,00 Euro angemessen, aber auch ausreichend. § 2 Abs. 4 AGG stehe dem nicht entgegen. Das Bundesarbeitsgericht habe bereits Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung ausdrücklich für möglich gehalten.

14

B. Diese Begründung des Berufungsurteils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt, § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wird nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen.

15

I. Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Als Arbeitnehmerin ist die Klägerin „Beschäftigte“ iSd. AGG, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Die Beklagte, die die Klägerin beschäftigt hat, ist Arbeitgeberin, § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

16

II. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht. Bereits die am 5. August 2011 beim Arbeitsgericht Z eingegangene Klage gegen die Kündigung vom 14. Juli 2011 enthielt unter Ziff. 2 den Antrag auf Entschädigung. Damit hat die Klägerin sowohl die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt.

17

III. Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann die Klägerin grundsätzlich auch in Ansehung der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG geltend machen.

18

1. Der Wortlaut von § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen“ ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück (BT-Drucks. 16/2022 S. 6). Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für Kündigungen „vorrangig“ die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu gelten hätten (BT-Drucks. 16/1780 S. 7). Für die Beurteilung von Kündigungen hat dies in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch primärrechtswidrig die „Kündigung“ aus dem Anwendungsbereich des AGG ausklammere(zB Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 260, 262 unter Verweis auf EuGH 22. November 2005 - C-144/04 - [Mangold] Slg. 2005, I-9981), oder ob mit der Norm nur ein „doppelter Kündigungsschutz“ vermieden werden sollte (zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59). Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 -).

19

2. Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen(vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15 f.; 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20). Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen (zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso - im Hinblick auf das unionsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs - Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257). Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt. Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung - wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung - über das Normalmaß hinausgeht.

20

3. Es ist nicht zu entscheiden, ob bei diskriminierenden Kündigungssachverhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG in Betracht kommen können. Grundsätzlich wird bei einer für unwirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere materielle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts unabhängig von § 15 Abs. 1 AGG seit jeher zur Verfügung, zB § 615 BGB.

21

IV. Durch die Kündigungen hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, denen nicht gekündigt wurde. Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.

22

1. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht“ ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Schwangerschaft - das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BAGE 142, 158 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Die Schwangerschaft muss mithin nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.

23

Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

24

2. Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von der Klägerin vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen (Hilfs-)Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem Anknüpfungsmerkmal - hier die Schwangerschaft oder das Geschlecht - und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34, BAGE 142, 158 = AP AGG § 22 Nr. 5 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).

25

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Kausalität zwischen der Schwangerschaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten der Beklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei bejaht.

26

a) Die Kündigung vom 14. Juli 2011 ist der Klägerin während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zugegangen. Damit verstieß sie objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war.

27

aa) Die Klägerin hatte am 14. Juli 2011 erfahren, dass ihre Leibesfrucht abgestorben ist. Eine natürliche Fehlgeburt war bis dahin nicht erfolgt, weswegen sie auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt worden war, um eine solche Fehlgeburt künstlich einzuleiten oder durch einen entsprechenden Eingriff zu ersetzen. Hierüber unterrichtete die Klägerin die Beklagte über ihre Vorgesetzte Frau S noch am 14. Juli 2011. Daraufhin setzte der Geschäftsführer der Beklagten sofort ein Kündigungsschreiben auf und ließ dieses noch am 14. Juli 2011 in den Hausbriefkasten der Klägerin einwerfen. Dadurch ging die Kündigung der Klägerin spätestens am Morgen des 15. Juli 2011 zu, als die Schwangerschaft noch bestand.

28

bb) § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Kündigungsverbot - wie § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Beschäftigungsverbot - stellen auf den Begriff der Schwangerschaft und auf deren Ende durch „Entbindung“ ab. Unter „Entbindung“ ist grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib“ zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist (vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - BAGE 25, 70; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 6 MuSchG Rn. 2). Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gesprochen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte (vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - zu II 1 der Gründe, aaO). Nach einer Änderung der Personenstandsverordnung (§ 29 Abs. 2 PStV aF, gültig ab 1. April 1994; seit 1. Januar 2009 § 31 Abs. 2 PStV) entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1977 gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 d der Gründe). Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt hatte, in dem es zu einem selbständigen Leben - wenn auch nur kurz - grundsätzlich fähig war (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 der Gründe). Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet. Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.

29

cc) Dem entspricht die medizinische Terminologie und Einteilung. Ärzte sprechen bei einem Gewicht des Fötus von 500 g und mehr von einer Totgeburt. Dieses Gewicht ist ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erwarten (Runnebaum/Rabe Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin Bd. 2, S. 414). Generell wird zwischen Fehlgeburten aus natürlicher Ursache (Spontanaborten) und Schwangerschaftsabbrüchen (artifizielle Aborte) unterschieden. Bei einer „missed abortion“, also einem verhaltenen Abort, ist die Fruchtanlage abgestorben, wird aber nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen. Es gibt außer fehlenden Vitalitätszeichen keine äußeren Anhaltspunkte wie eine Blutung oder Gewebsabgang. Der Zervikalkanal ist geschlossen. Eine sicher diagnostizierte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um möglicherweise letale Komplikationen wie das Dead-Fetus-Syndrom zu vermeiden. Dies bedeutet, dass auch medizinisch der Abort „verhalten“, also vom Körper nicht natürlich vorgenommen wird und die Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erst durch den artifiziell herbeigeführten Abort erfolgt. Erst in diesem Zeitpunkt ist auch aus medizinischer Sicht die Schwangerschaft beendet.

30

dd) Juristisch wie medizinisch hat daher die Schwangerschaft der Klägerin nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter geendet. Entscheidend war vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib, die erst im Verlauf des 15. Juli 2011 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung der Klägerin schon zugegangen (vgl. BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21 und 22, EzA KSchG § 5 Nr. 41). Wann die Klägerin als Empfängerin die Kündigung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, ist unerheblich. Es kommt nicht darauf an, dass dies - aus individuell verständlichen Gründen - erst am 16. Juli 2011 nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus geschah. Da die Kündigung mit Zugang wirksam wurde und die Klägerin in diesem Zeitpunkt noch schwanger war, verstieß die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2011 gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

31

b) Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG iVm. § 1 AGG. Die Beklagte kann diesen Kausalzusammenhang nicht dadurch mit Erfolg bestreiten, dass sie auf eine am 14./15. Juli 2011 bestehende komplizierte kündigungs- und mutterschutzrechtliche Konstellation verweist. Im Gegenteil: Ihr Hinweis in der Revisionsbegründung, sie habe nicht gewusst, ob „bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch gelten oder nicht“ und deswegen das Arbeitsverhältnis am 9. August 2011 nochmals gekündigt, wirkt verstärkend: Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, will „erst recht“ wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen. Im Übrigen deutet diese Argumentation der Beklagten darauf hin, dass weder ein neuer, vom Geschlecht der Klägerin unabhängiger Kündigungsentschluss bei der Kündigung vom 9. August 2011 zugrunde lag noch, dass der ersten Kündigung „betriebsbedingte“ Motivationen zugrunde gelegen hätten.

32

c) Die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch die Tatsache, dass sich der Geschäftsführer der Beklagten über das Beschäftigungsverbot vom 4. Juli 2011 verärgert gezeigt und die Klägerin - erfolglos - zur Weiterarbeit gedrängt habe, deute darauf hin, dass die nur zehn Tage später ausgesprochene Kündigung eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft gewesen sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Würdigung ist möglich, in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Erfahrungssätze, zumal die Klägerin bei ihrer Nachricht an Frau S am 14. Juli 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung und damit - juristisch korrekt - das Ende des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes mit dem Abschluss der artifiziellen Fehlgeburt mitgeteilt hatte.

33

d) Darüber hinaus ist die Kündigung vom 14. Juli 2011 „zur Unzeit“ erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskriminierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht der Beklagten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie - für die Beklagte bekannt - einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträchtigen musste (vgl. BAG 14. November 1984 - 7 AZR 174/83 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 88; 12. Juli 1990 - 2 AZR 39/90 - zu B IV 2 a der Gründe; 5. April 2001 - 2 AZR 185/00 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 97, 294).

34

V. Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Bestimmung der Höhe der ausgeurteilten Entschädigung sind nicht erkennbar. Entgegen der mit der Revision vertretenen Meinung liegt auch kein Anwendungsfall des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vor.

35

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Hauck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Eimer    

        

    Wroblewski    

                 

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. März 2013 - 25 Sa 2304/12, 25 Sa 311/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG.

2

Der Kläger ist nach erfolgreichem Universitätsstudium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation Diplom-Kommunikationswirt. Zudem hat er an der Universität Island Business Administration studiert. Studienbegleitend war er als universitärer Tutor tätig und beriet Studierende über Studieninhalte. Im Jahr 2006 leitete er das Projekt „B“ des B, mit dem ein Studierendenwettbewerb für Sozialmarketing durchgeführt wurde. Seit Januar 2009 ist er als freiberuflicher Kommunikationsberater tätig. Wegen einer Gehbehinderung ist er schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100.

3

Ende Oktober 2011 schrieb die beklagte Universität, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, für ihre Abteilung Gründungsservice die jeweils für die Dauer von zwei Jahren befristeten Stellen als Communitymanager/in und Gründungsberater/in aus. Voraussetzung war in beiden Fällen ein erfolgreich abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium oder das Vorhandensein gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen, betriebswirtschaftliches Verständnis oder Projektmanagementerfahrung, praktische Erfahrungen in den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten sowie Begeisterung für die Förderung von Unternehmertum und Technologietransfer in der Universität. Beide Stellenausschreibungen enthielten den Hinweis „Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt“. Es war jeweils eine Vergütung nach der EG 13 des Tarifvertrags zur Übernahme des TV-L für die Hochschulen im Land Berlin angegeben (mit einem Grundentgelt der ersten Stufe von monatlich jeweils 2.882,00 Euro brutto).

4

Die Beklagte veröffentlichte die Stellenausschreibungen auf ihrer Webseite und im Onlinemarkt der Wochenzeitung „D“. Sie nahm im Zusammenhang der beiden Stellenausschreibungen keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf und prüfte nicht die Möglichkeit der Besetzung der Stellen mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen (Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX). Der frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplatz wurde der Agentur für Arbeit entgegen § 82 Satz 1 SGB IX nicht gemeldet.

5

Mit Schreiben vom 7. November 2011 bewarb sich der Kläger auf beide Ausschreibungen. In seinem Schreiben hieß es ua.:

        

„Meine berufspraktischen Erfahrungen sowie der erfolgreiche Abschluss meines Studiums habe ich mit einer Schwerbehinderung erreicht, die weder meine geistige noch meine soziale Kompetenz beeinflusst. Dabei bin ich weder auf fremde Hilfe noch auf andere Hilfsmittel angewiesen.“

6

Nach einer Vorauswahl anhand der eingegangenen Bewerbungsunterlagen lud die Beklagte den Kläger als einen von acht Kandidat/inn/en für die Stelle als Communitymanager/in und als einen von neun für die Stelle als Gründungsberater/in zu zwei Gesprächsterminen am 25. und 30. November 2011 ein. Im jeweiligen Termin war zunächst ein 25-minütiger schriftlicher Test mit praktischen Fragen zum Aufgabenschwerpunkt zu absolvieren. Zudem fand im Verlauf der ca. 30-minütigen Gespräche je ein kurzes Rollenspiel zur Kommunikationsfähigkeit statt. An den Gesprächen - wie auch an der abschließenden Auswahl - nahmen neben der Leiterin der Abteilung Gründungsservice - Frau M - ua. ein Mitglied der bei der Beklagten gebildeten Schwerbehindertenvertretung teil. Im ersten Termin des Klägers wurde angesprochen, dass der Umzug der Abteilung Gründungsservice in ein Gebäude ohne Fahrstuhl mit Arbeitsräumen im ersten und zweiten Obergeschoss geplant sei.

7

Der Kläger erfuhr von dem für ihn erfolglosen Ausgang des Bewerbungsverfahrens durch eigene Nachfrage im Dezember 2011 (in der 50. Kalenderwoche). Die Stelle als Communitymanager/in erhielt eine Mitbewerberin; für die Tätigkeit als Gründungsberater/in wurden zwei Mitbewerberinnen in Teilzeitarbeit eingestellt, darunter eine mit einer Behinderung (GdB von 30). Mit Schreiben vom 10. Januar 2012 machte der Kläger gegenüber der Beklagten, die mit Schreiben vom 23. Januar 2012 antwortete, erfolglos Entschädigungsansprüche iHv. insgesamt 17.292,00 Euro (pro Stelle drei Bruttomonatsentgelte) geltend. Am 14. Februar 2012 reichte er seine Klage beim Arbeitsgericht ein.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung ergebe sich bereits aus der Verletzung der Prüf- und Meldepflicht des § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX. Folglich gehe nach § 22 AGG die Beweislast auf die Beklagte über, die die von ihm vorgebrachten Indizien nicht widerlegt habe. Zudem seien durch Ablauf, Wortwahl und die Art und Weise des Gesprächs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl ausreichend Hilfstatsachen vorhanden, die zur Annahme einer Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung führten. Die Abteilungsleiterin habe ihn am Gesprächsende nach der Art seiner in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Schwerbehinderung und der damit verbundenen Einschränkung gefragt. Er habe erwidert, dass es sich um eine Gehbehinderung handele, die ihn nicht einschränke. Nur beim Treppensteigen habe er Schwierigkeiten. Daraufhin sei eine ihn verunsichernde „Totenstille“ eingetreten und er habe ergänzt, dass ein Aufzug für ihn hilfreich sei. Die Abteilungsleiterin habe sodann gefragt, wie er die im Haus des Bewerbungsgesprächs befindlichen Stufen „gepackt“ habe. Er habe geantwortet, dass er Treppen steigen könne, wenn ein Geländer vorhanden sei. Nachdem daraufhin die Abteilungsleiterin gemeint habe, er brauche dann wohl keinen Aufzug, habe er sich erkundigt, ob seine Gehbehinderung ein Problem darstelle. Erst dann sei der anstehende Umzug der Abteilung einschließlich der zukünftigen Notwendigkeit des Treppensteigens erklärt worden.

9

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung zu zahlen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag iHv. 17.292,00 Euro nicht unterschreiten sollte.

10

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Behinderung des Klägers habe keine Rolle im Bewerbungsverfahren gespielt und der Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX sei nicht kausal für die Nichteinstellung des Klägers, der durch die Einladung zum und Teilnahme am Bewerbungsgespräch die gebotene Chance erhalten habe. Auf beide Stellen seien Personen eingestellt worden, die sich durch mehr Erfahrungen, Kompetenzen, konkrete Ideen in der Umsetzung und durch eine sehr gute Kommunikationsfähigkeit ausgewiesen hätten.

11

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.764,00 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Umfang ihres Unterliegens hat die Beklagte dagegen Berufung eingelegt; der Kläger hat mit seiner Anschlussberufung seine Forderung im Hinblick auf weitere 11.528,00 Euro nebst Zinsen verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten hin die Klage insgesamt ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

13

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorgetragen. Weder bei einer Einzel- noch bei einer Gesamtbetrachtung ergebe sich die vom Kläger behauptete Vermutungswirkung iSd. § 22 AGG.

14

Zwar sei die Verletzung der Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX grundsätzlich als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet. Jedoch liege im Streitfall keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme vor, die Beklagte als Arbeitgeberin sei an einer Bewerbung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert gewesen und habe möglichen Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen wollen. Dies zeige sich daran, dass der Kläger, dessen Schwerbehinderung aus dem Bewerbungsschreiben bekannt gewesen sei, mit den Einladungen zu beiden Vorstellungsgesprächen die Möglichkeit erhalten habe, die Beklagte von seiner persönlichen Eignung und Befähigung zu überzeugen. Die Beklagte habe zudem bei den im Internet der Öffentlichkeit zugänglichen Stellenausschreibungen ausdrücklich den Hinweis auf bei gleicher Eignung bevorzugte Einstellung schwerbehinderter Menschen gegeben und die Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen einbezogen.

15

Auch der vom Kläger behauptete Ablauf des ersten Bewerbungsgesprächs - der zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden könne -, insbesondere die von der Beklagten bestrittene Frage nach der Art seiner Schwerbehinderung, begründe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Behinderung des Klägers in dem Motivbündel der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt habe. Diese Frage sei vor dem Hintergrund des bevorstehenden Umzugs in ein Gebäude ohne Fahrstuhl offensichtlich auf die Klärung bezogen gewesen, ob und inwieweit seine körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehen könne. Die abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin, er brauche dann wohl keinen Aufzug, zeige, dass auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstehe.

16

B. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, sodass die Revision zurückzuweisen ist.

17

I. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber Beschäftigter (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG) und die Beklagte Arbeitgeberin (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG)iSd. AGG (vgl. ua. BAG 23. Januar 2014 - 8 AZR 118/13 - Rn. 17).

18

II. Die zweimonatige Geltendmachungs- und die im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch maßgebende dreimonatige Klagefrist (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG) sind eingehalten worden.

19

1. Dahinstehen kann dabei, ob dem Kläger bereits bei seiner eigenen Nachfrage im Dezember 2011 eine „Ablehnung“ iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zugegangen ist.

20

a) Seinen Vortrag, er habe auf Nachfrage erfahren, eine für ihn negative Entscheidung sei getroffen worden, müsse jedoch noch „durch den Personalrat gehen“, haben die Vorinstanzen nicht weiter aufgeklärt oder gewürdigt. Es wurden auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem Kläger - wie er ausgeführt hat - tatsächlich keine letztliche Absage zugegangen ist.

21

b) Unterstellt, die Antwort auf seine telefonische Nachfrage in der 50. Kalenderwoche des Jahres 2011 (also von Montag dem 12. Dezember bis vermutlich Freitag dem 16. Dezember 2011), sei als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG aufzufassen, so wahrt seine per Telefax und einfacher Post erfolgte schriftliche Geltendmachung vom 10. Januar 2012 die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG. Die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage, der Beklagten am 23. Februar 2012 „demnächst“ iSd. § 167 ZPO zugegangen, wahrt die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.

22

2. Spätestens das Schreiben der Beklagten vom 23. Januar 2012 als Antwort auf seine Geltendmachung vom 10. Januar 2012 ist als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zu verstehen. Jedenfalls die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage wahrt sowohl die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.

23

III. Das Landesarbeitsgericht hat den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ohne Rechtsfehler verneint. Die weniger günstige Behandlung des Klägers ist nicht wegen seiner Behinderung erfolgt.

24

1. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG(zur Bezugnahme auf die Voraussetzungen in § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG - ohne die des Verschuldens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG - vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 25; BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16.10 - Rn. 14, BVerwGE 139, 135). Nach näherer Maßgabe des AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund (hier: wegen einer Behinderung) in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich der Auswahlkriterien und der Einstellungsbedingungen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und von der beruflichen Position unzulässig(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

25

Bei einer Behinderung iSd. § 1 AGG(zum Begriffsverständnis ausführlich: BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 57 ff. mwN) kommt es auf einen bestimmten GdB nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32 mwN). Voraussetzung ist also nicht, wie beim Kläger jedoch gegeben, eine Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX.

26

2. Der Nachteil des Klägers iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 7 AGG beim Zugang zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) besteht in der Nichteinstellung.

27

3. Der Kläger hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer „vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Diese Voraussetzung - deren Erfüllung das Landesarbeitsgericht letztlich dahinstehen gelassen hatte - liegt vor.

28

a) Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (zur Auslegung der übereinstimmenden Maßgabe in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG ua. EuGH 12. Dezember 2013 - C-267/12 - [Hay] Rn. 32 f. mwN; 10. Mai 2011 - C-147/08 - [Römer] Rn. 41 ff., Slg. 2011, I-3591; 1. April 2008 - C-267/06 - [Maruko] Rn. 67 ff., Slg. 2008, I-1757; ebenfalls BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist fallbezogen im Zusammenhang der jeweils streitgegenständlichen Benachteiligung zu bestimmen: Bezugspunkt kann das Ziel einer eine Ungleichbehandlung festsetzenden Regelung (EuGH 12. September 2013 - C-614/11 - [Kuso] Rn. 45 mwN), einer Leistung (EuGH 12. Dezember 2013 - C-267/12 - [Hay] Rn. 33 mwN) oder einer sonstigen Maßnahme (EuGH 30. September 2010 - C-104/09 - [Roca Álvarez] Rn. 24 f., Slg. 2010, I-8661) sein. In jedem Fall darf die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte (hier bezogen auf die Richtlinie 2000/78/EG) nicht durch einen zu eng gefassten Vergleichsmaßstab praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert (Grundsatz der Effektivität) werden (ua. EuGH 16. Januar 2014 - C-429/12 - [Pohl] Rn. 23).

29

b) Vorliegend ist es nicht erforderlich, die Voraussetzungen der „vergleichbaren Situation“ bezogen auf Bewerbungsverfahren und Auswahlentscheidungen im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG näher zu benennen. Nach Wortlaut, Eigenart und Ziel dieses Entschädigungsanspruchs werden auch Personen erfasst, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären. Für den Fall, dass der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, wird nicht der Anspruch ausgeschlossen, sondern lediglich die Entschädigungshöhe begrenzt (BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 29). Es muss nicht entschieden werden, wie weit oder eng damit die Anforderung einer vergleichbaren Situation im Zusammenhang des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG zu verstehen ist. Selbst bei einem auf Erfüllung einzelner Anforderungen der Stellenausschreibung bezogenem Verständnis der Maßgabe der „vergleichbaren Situation“ iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt diese hier vor. Die Beklagte hat den Kläger in die engere Wahl einbezogen und ihn zu beiden Bewerbungsgesprächsrunden eingeladen. Damit ist sie davon ausgegangen, dass er die in den beiden veröffentlichten Stellenausschreibungen formulierten Anforderungen (jedenfalls iSv. § 82 Satz 3 SGB IX) erfüllt.

30

4. Der Kläger ist nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden.

31

a) Nach § 22 Halbs. 1 AGG iVm. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien (Richtlinie 2000/78/EG: Tatsachen) vorträgt, die ihre - hier unmittelbare - Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen(ua. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 26; gleichbedeutend ua. EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 37). Im Hinblick auf diesen Kausalzusammenhang (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 25 mwN) sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 50; 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 33, BAGE 142, 158; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 44).

32

b) Innerhalb der damit vorzunehmenden Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts zum „Bestandteil eines Motivbündels“ an. Die Beweiswürdigung ist nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des Beweismaßes des § 22 AGG vorzunehmen.

33

aa) Für die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund (oder mehrere) ein „Bestandteil eines Motivbündels“ ist (sind), das die Entscheidung beeinflusst hat.

34

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG genannten „Merkmale“ (ua. Geschlecht, Rasse, Behinderung) - bzw. in der Begrifflichkeit von § 1 AGG „Gründe“ - nicht als Anknüpfungspunkt für eine (benachteiligende) rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden(BVerfG 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91 - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende „Grund“ das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Er muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 25).

35

So darf bei einer Entscheidung über eine Stellenbesetzung kein in § 1 AGG genannter Grund zu Lasten des Bewerbers/der Bewerberin berücksichtigt werden. Eine unzulässige Berücksichtigung wäre bereits dann gegeben, wenn in dem Motivbündel, das die Entscheidung des (potentiellen) Arbeitgebers beeinflusst hat, ein in § 1 AGG genannter Grund als negatives oder (sein Fehlen) als positives Kriterium enthalten ist(vgl. zu Art. 3 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 GG bzw. dem früheren § 611a Abs. 1 BGB: BVerfG 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - zu II 1 a der Gründe, BVerfGK 9, 218; 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 d der Gründe, BVerfGE 89, 276; BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BAGE 142, 158; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 31; 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 109, 265; BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 37, BGHZ 193, 110).

36

(2) Der von Verfassungs wegen zu beachtende Maßstab zum „Bestandteil eines Motivbündels“ ist auch unionsrechtskonform.

37

(a) Nach den betroffenen Richtlinien des Unionsrechts (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG, 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; vgl. auch Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG) steht es den Mitgliedstaaten frei, abweichend von den jeweiligen Richtlinienvorgaben für die klagende Partei günstigere (Beweislast-)Vorschriften (wozu auch eine günstigere Auslegung von § 22 AGG gehört) einzuführen oder beizubehalten. Zudem ist teilweise eine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus ausdrücklich untersagt (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG). Weiterhin sind die Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu bewerten (15. Erwägungsgrund der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG sowie 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 37; 21. Juli 2011 - C-104/10 - [Kelly] Rn. 31, Slg. 2011, I-6813).

38

(b) Die Rechtsprechung zum „Bestandteil eines Motivbündels“ ist für die klagende Partei mindestens gleich im Schutzniveau wie die genannten Vorgaben des Unionsrechts. Demgegenüber enthält das Unionsrecht kaum nähere Vorgaben zum „wie“ der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. In älterer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wurde für den Kausalzusammenhang auf einen „wesentlichen Grund“ (EuGH 5. Mai 1994 - C-421/92 - [Habermann-Beltermann] Rn. 14, Slg. 1994, I-1657; 8. November 1990 - C-177/88 - [Dekker] Rn. 10 und 17, Slg. 1990, I-3941) abgestellt. Zudem kommt es auf ein „stichhaltiges Indiz“ (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] - Rn. 51) an.

39

bb) Nach dem 15. Erwägungsgrund der hier maßgebenden Richtlinie 2000/78/EG sind bei der Beurteilung von Tatbeständen, die ua. auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten maßgebend. Die Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel ist nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts zu beurteilen (EuGH 21. Juli 2011 - C-159/10 und C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 79, 82, Slg. 2011, I - 6919; vgl. auch EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 42 mwN). Maßgebend für die Beweiswürdigung ist daher die freie Überzeugung des Tatsachengerichts gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes des § 22 AGG. Es reicht aus, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt(vgl. ua. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 160/11 - Rn. 63; 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 19). Dabei haben die Gerichte darüber zu wachen, dass im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42).

40

c) Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (ua. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 27). Auch dafür gilt § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, allerdings mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises.

41

Die dafür von Verfassungs wegen zu beachtende Rechtsprechung zum „Motivbündel“ (vgl. oben Rn. 34 f.) ist für die klagende Partei nicht ungünstiger als die des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den einschlägigen Richtlinien. Nach Letzterer kann der (potentielle) Arbeitgeber im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung den Anschein einer Diskriminierung grundsätzlich mit einem Bündel übereinstimmender Indizien widerlegen (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 58). Gemäß der Rechtsprechung zum „Motivbündel“ sind Tatsachen und Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als ua. die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben (grundlegend zu Art. 3 Abs. 2 GG und dem früheren § 611a Abs. 1 BGB bereits: BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 e der Gründe, BVerfGE 89, 276). In dem Motivbündel des (potentiellen) Arbeitgebers darf der betreffende Grund - hier die Behinderung - weder als negatives noch - die fehlende Behinderung - als positives Kriterium enthalten gewesen sein (BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 188/12 - Rn. 41; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 58).

42

d) Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene tatrichterliche Überzeugung ist nur beschränkt revisibel. Sie kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sich das Landesarbeitsgericht entsprechend diesem gesetzlichen Gebot mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. ua. BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37; 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 28).

43

e) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts stand. Die Würdigung, dass der Kläger die ihm obliegende erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG nicht erfüllt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben erfolglos.

44

aa) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht nicht bereits allein wegen der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX eine Benachteiligung wegen des in § 1 AGG genannten Grundes der Behinderung vermutet hat.

45

(1) Grundsätzlich kann aus der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG abgeleitet werden (ua. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 29; 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 37 ff., BAGE 144, 275; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 45; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 35). Diese Pflichtverletzung ist geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein und sogar möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 47; 12. September 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 22, BAGE 119, 262).

46

(2) Allerdings sind entgegen der Auffassung des Klägers bei der Klärung der Frage, ob (genügend) Indizien vorliegen, um eine Benachteiligung iSd. AGG vermuten zu lassen, alle und nicht nur einzelne Umstände zu berücksichtigen. Für eine Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX gilt diesbezüglich keine Ausnahme im Sinne eines „Automatismus“. Das schließt nicht aus, dass bei anders gelagerten Gesamtumständen deren Würdigung dazu führen kann, dass allein eine solche Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX zu einem Entschädigungsanspruch iSv. § 15 Abs. 2 AGG führen kann.

47

bb) Unzutreffend ist die Auffassung des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die Beweislastregelung des § 22 AGG nicht richtig angewandt, weil es eine „Kompensation“ bzw. „positive Überlagerung“ des Pflichtverstoßes (Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX) angenommen habe. Die erforderliche und vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts darf nicht mit einer - nicht möglichen - nachträglichen „Heilung“ oder „Beseitigung“ eines Verstoßes beispielsweise gegen § 82 Satz 2 SGB IX(vgl. BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 53 zu einer „Nacheinladung“ nach bereits zuvor erfolgter Absage) verwechselt werden.

48

cc) Ebenfalls hält die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Auch in der Gesamtbetrachtung aller Umstände - der Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX und des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl - konnte es die erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG als nicht erfüllt ansehen.

49

(1) Das trifft für die Würdigung zu, dass aus der erfolgten Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX in diesem Fall unter Einbeziehung aller Umstände nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könne, die Beklagte wolle Bewerbungen von arbeitssuchenden (schwer)behinderten Menschen aus dem Wege gehen.

50

(a) Aus dem Text der Stellenanzeigen, der Einladung des nach den selbst eingereichten Bewerbungsunterlagen offensichtlich behinderten Klägers für beide Bewerbungsrunden und der Einbindung der Schwerbehindertenvertretung durfte das Landesarbeitsgericht ohne Weiteres den Schluss ziehen, dass eine Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung nicht ausreichend dargelegt ist.

51

(b) Soweit der Kläger meint, das Landesarbeitsgericht sei unzutreffend von einer „Einbeziehung“ der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen ausgegangen, während die Beklagte selbst nur eine Auswahlentscheidung „im Beisein“ der Schwerbehindertenvertretung vorgetragen habe, ergibt sich nichts anderes. Das Landesarbeitsgericht hat zur „Einbeziehung“ der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen zwar verschiedene Begriffe benutzt („im Beisein“, „anwesend war“ und „mit einbezogen“), diese jedoch erkennbar gleichbedeutend verstanden und verwendet: Es ging immer um den Gegensatz zu „nicht erst … nachträglich“.

52

(2) Auch das Gespräch zum Umzug in ein Gebäude ohne Fahrstuhl einschließlich des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs mit Nachfragen zu seiner Gehbehinderung zwang nicht zu einer anderen Bewertung.

53

(a) In der Bewerbungssituation nachzufragen, welche Einschränkungen sich aus einer in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Behinderung ergeben, ist unter der Voraussetzung unbedenklich, dass damit die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen“ (Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK]; zur mangelnden ausdrücklichen Umsetzung im AGG, zur Einbeziehung in § 8 Abs. 1 AGG und in der unionsrechtskonformen Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB vgl. BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 42; 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 53) zum Tragen kommt. Eine solche, besonderen Umständen geschuldete Nachfrage im Bewerbungsgespräch bezogen auf eine vom Bewerber selbst angeführte Schwerbehinderung ist nicht zu verwechseln mit der „Frage nach der (Schwer)behinderung“ (dazu BAG 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - Rn. 11 ff., BAGE 141, 1) oder der Anerkennung als Schwerbehinderte(r) (dazu BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 17).

54

(aa) Die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen“ ist im Zusammenhang der Richtlinie 2000/78/EG auf die Beseitigung der verschiedenen Barrieren gerichtet, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern. Diese Verpflichtung wird dadurch begrenzt, dass keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung des (potentiellen) Arbeitgebers verlangt wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 49 ff., 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 50, Slg. 2006, I-6467; BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 50 ff.). Dabei können im Rahmen des AGG auch Verpflichtungen aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX(zu einer Frage im Bewerbungsgespräch bezogen darauf vgl. BAG 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 54, BAGE 144, 275) und zur Gleichstellung und Barrierefreiheit nach dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) von Bedeutung sein.

55

(bb) Bei der Beurteilung einer solchen Nachfrage im Zusammenhang mit einer Behinderung ist sicherzustellen, dass die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (insoweit übertragbar ua. EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 40). Die Frage muss deshalb einen objektiven - und wünschenswerterweise zu Beginn der Nachfrage darzulegenden - Anlass haben. Beispielsweise kann es um die Klärung gehen, ob ergänzende Maßnahmen der Herstellung von Barrierefreiheit dienen können, um die tatsächliche Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, etwa der Einbau von weiteren Handläufen im Treppenhaus oder die Bereitstellung eines ebenerdigen Arbeitsraums außerhalb der Abteilung. Dabei ist es von der Würdigung der Umstände im Einzelfall abhängig, ob eine Frage im Hinblick auf einen Bedarf an Hilfsmitteln oder baulichen Maßnahmen ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstellt (vgl. zu einer vergleichbaren Frage im Zusammenhang von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX ebenso BAG 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 54, BAGE 144, 275).

56

(cc) Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt kein Verschulden oder gar eine Benachteiligungsabsicht voraus(ua. BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 37 mwN). Deshalb kann bereits ein lediglich „unglücklicher“ Gesprächsverlauf einen Anspruch auf Entschädigung begründen.

57

(b) Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in der Nachfrage zu der Gehbehinderung des Klägers - den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt - kein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung gesehen hat. Dabei hat das Gericht den gesamten Vortrag des Klägers berücksichtigt und umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt.

58

(aa) Zwar entspricht die vom Landesarbeitsgericht der Beklagten unterstellte „Fragerichtung“ (ob und inwieweit die körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehe) nicht den oben genannten Vorgaben von Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK und auch nicht den ähnlich gelagerten Vorgaben von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX. Danach steht „ermöglichen“ im Fokus, nicht „entgegenstehen“. Es ist gleichwohl nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht unter Zugrundelegung des gesamten vom Kläger geschilderten Gesprächsverlaufs kein Indiz gesehen hat, das eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lässt. Es hat dabei besonders bedacht, dass am Schluss des Gesprächs eine abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin erfolgt sein soll, dass der Kläger „trotz seiner Gehbehinderung wohl keinen Aufzug benötige“, um in die im Obergeschoss gelegenen Büroräume zu gelangen. Das Landesarbeitsgericht hat dies dahin gehend gewertet, dass „auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstand“. Diese Bewertung ist vertretbar und somit im Rahmen von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu beanstanden.

59

(bb) Soweit der Kläger meint, sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt (vgl. zu den Anforderungen der Darlegung: BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 26), weil das Landesarbeitsgericht seinen Sachvortrag zu Nachfragen zu seiner Schwerbehinderung übergangen habe, ist dies unbegründet. Dabei kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass sich seine Rügen nicht gegen tatbestandliche Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, sondern gegen den Weg richten, auf dem dieses seine Überzeugung gewonnen hat. Der Kläger übersieht bereits, dass das Landesarbeitsgericht ihm gestellte Fragen des zu seinen Gunsten unterstellten Gesprächsverlaufs nicht übergangen hat. So ist die Frage „was haben Sie genau?“ in der Frage „nach der Art seiner Schwerbehinderung“ enthalten. Auch die Nachfrage, wie er die Stufen „gepackt“ habe, hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich wiedergegeben, nur mit dem Wort „bewältigt“. Tatsächlich setzt der Kläger lediglich seine eigene Würdigung der Situation an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts, ohne Verstöße gegen Erfahrungs- und/oder Denkgesetze oder eine Widersprüchlichkeit der Würdigung darzulegen. Das reicht nicht aus (vgl. auch BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 31; 13. Februar 2003 - 8 AZR 654/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 104, 358).

60

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Winter    

        

    Kiel    

        

        

        

    v. Schuckmann    

        

    Volz    

                 

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. Juli 2012 - 4 Sa 596/11 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und auf Unterlassung von Benachteiligungen von Stellenbewerbern wegen ihres Alters.

2

Die Beklagte schaltete im April 2009 eine Stellenanzeige für ein „S Graduate Program Traineeprogramm für Führungsnachwuchskräfte (m/w) im Bereich Human Resources“. In dieser heißt es ua.:

„Das S Graduate Program (SGP) ist ein internationales Traineeprogramm für unseren Führungsnachwuchs und bereitet Sie auf spätere Managementaufgaben im In- und Ausland vor. Für die Zukunftsgestaltung unseres Unternehmens suchen wir ambitionierte und hochqualifizierte Hochschulabsolventen, für die soziale Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft selbstverständlich sind. Für unsere Sektoren und Corporate Units suchen wir Trainees für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik sowie anverwandte.

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Zusätzliche Informationen

Ergreifen Sie die Initiative und senden uns Ihre aussagekräftige Online-Bewerbung mit Ihrem persönlichen Anschreiben, Ihrem Lebenslauf und allen relevanten Zeugnissen.“

3

Der am 11. Mai 1973 geborene Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 24. April 2009 für dieses Traineeprogramm. Im Jahre 1999 hatte er in Bayern die Erste Juristische Staatsprüfung mit 6,58 Punkten („befriedigend“) und im Jahre 2001 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit 5,60 Punkten („ausreichend“) abgelegt. Von 2003 bis 2005 war der Kläger zunächst als selbständiger Rechtsanwalt und in den Jahren 2006 und 2007 als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft (zuletzt als Leiter einer fünfköpfigen Juristengruppe) tätig gewesen. Im Jahre 2008 hatte er in Südafrika (Universität Stellenbosch) den Grad eines „Master of Laws“ erworben. Zur Zeit der Stellenausschreibung war der Kläger erneut als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Seiner Onlinebewerbung fügte der Kläger die Zeugnisse seiner beiden Staatsexamina nicht bei und teilte auch seine Examensnoten nicht mit.

4

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 29. April 2009 mittels E-Mail eine Absage. Hierauf forderte sie der Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2009 auf, es künftig zu unterlassen, Bewerber bei der Stellenvergabe wegen ihres Alters zu benachteiligen. Weiter verlangte er materiellen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sowie eine immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 20.000,00 Euro. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juni 2009 ab.

5

Mit seiner am 23. September 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger einen Unterlassungs- und einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht.

6

Der Kläger vertritt die Auffassung, er sei wegen seines Alters diskriminiert worden. Die Beklagte habe sich mit ihrer Stellenausschreibung speziell an Berufseinsteiger gewandt, deren Hochschulabschluss maximal ein Jahr zurückliege. Deshalb sei eine zumindest mittelbare Benachteiligung wegen des Alters zu vermuten. Er habe sich im Übrigen mit der letztlich erfolgreichen Bewerberin in einer vergleichbaren Situation befunden und sei einer der am besten qualifizierten Bewerber gewesen. Seine Benachteiligung wegen des Alters sei auch nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus stehe ihm der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung nach den § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB, § 15 AGG zu. Dies ergebe sich auch aus dem unionsrechtlichen Grundsatz des „effet utile“ (Effektivitätsgrundsatz).

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, Stellenbewerber im Auswahlverfahren für eine Stelle als Trainee wegen des Alters zu benachteiligen,

und

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 20.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 9. Juli 2009.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Sie bestreitet das Bestehen eines Entschädigungs- und Unterlassungsanspruchs. Mit den in ihrer Ausschreibung verwendeten Begriffen „Berufseinsteiger“ oder „Hochschulabsolvent“ sei keine unmittelbare oder mittelbare Altersdiskriminierung verbunden, weil alle Bewerber unabhängig von ihrem Alter angesprochen würden, die diese Kriterien erfüllten. Der Kläger sei auch nicht aufgrund seines Alters aus dem Kreis der Bewerber ausgeschieden, sondern allein wegen der nicht nachgewiesenen Qualifikationsanforderungen (Zeugnisse mit Examensnoten) und der Nichteinhaltung der geforderten Bewerbungsformalitäten. Dem Kläger fehle im Übrigen bereits die objektive Eignung für die Teilnahme an dem Traineeprogramm. Er habe sich nicht in einer vergleichbaren Situation mit der letztlich zum Zuge gekommenen Bewerberin befunden. Mit ihrem Traineeprogramm wolle sie besonders talentierte Hochschulabsolventen für spätere Aufgaben als Führungskräfte in ihrem Unternehmen vorbereiten. Das Programm sei als weitere Ausbildungsstation von Hochschulabsolventen unmittelbar im Anschluss an ihre Universitätsgrundausbildung konzipiert. Sinn eines solchen Traineeprogrammes sei das Erlangen praktischer Fähigkeiten im unmittelbaren Anschluss an die Hochschulausbildung. Hierdurch solle gewährleistet werden, dass Nachwuchspersonal für einen künftigen Führungskräftebedarf ausgebildet und möglichst lange an das Unternehmen gebunden werde. Es liege bereits in der Natur eines solchen Programms, dass die Teilnehmer Berufseinsteiger ohne Berufserfahrung und ohne berufspraktische Vorprägung seien. Im Übrigen verschließe sie sich keineswegs Bewerbungen von berufserfahrenen Hochschulabsolventen. Schließlich bezweifelt die Beklagte die Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Ihm stehen weder ein Unterlassungs- noch ein Entschädigungsanspruch zu.

12

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Bewerbung des Klägers nicht ernsthaft gewesen sei, lägen nicht vor. Der Kläger habe ausreichende Indizien nach § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen seines Alters vermuten lassen. Die Angabe in der Ausschreibung, dass sich das Traineeprogramm speziell an Berufseinsteiger richte, und der Hochschulabschluss maximal ein Jahr zurückliegen solle, stelle eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 2 AGG dar. Hierdurch würden typischerweise Bewerber mit einem höheren Lebensalter von der Bewerbung ausgeschlossen.

13

Jedoch habe die Beklagte ausreichende Anhaltspunkte für die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung der Bewerber nach § 3 Abs. 2, §§ 8 und 10 AGG vorgetragen. Eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals könne durch ein legitimes Ziel und die Wahl von verhältnismäßigen Mitteln zu seiner Durchsetzung gerechtfertigt werden. Zu den rechtmäßigen Zielen gehörten auch privatautonom bestimmte Ziele des Arbeitgebers, zB betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Vorliegend sei es das Ziel der Beklagten, mit dem zweijährigen Traineeprogramm qualifiziertes Nachwuchspersonal für den Führungskräftebedarf im Bereich Human Resources zu gewinnen. Hoch qualifizierte Hochschulabgänger erhielten durch die Teilnahme an dem Traineeprogramm eine Chance, sich für den Kreis der künftigen Führungskräfte zu qualifizieren. Ein solches Traineeprogramm gleiche damit mehr einem Berufspraktikum als einer Berufstätigkeit, es sei ein Programm zur beidseitigen Förderung beruflicher Perspektiven. Das Programm sei mithin auf Hochschulabsolventen zugeschnitten, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. So sollten Nachwuchskräfte unternehmensspezifisch ausgebildet und langfristig an das Unternehmen gebunden werden. Zugleich weise das Programm einen sozialen Bezug auf, da es den Einstieg von Berufsanfängern in das Berufsleben erleichtere. Die Beklagte decke ihren Personalbedarf im Übrigen auch durch Bewerber mit mehrjähriger Berufserfahrung. Der Kläger werde damit als potentieller Bewerber für eine Anstellung bei der Beklagten nicht gänzlich ausgeschlossen. Er habe nur nicht zu der Zielgruppe der Teilnehmer an ihrem Traineeprogramm gehört, da seine universitäre Ausbildung zehn Jahre zurückliege und er bereits über eine fünfjährige berufliche Tätigkeit verfüge. Unter Berücksichtigung der unternehmerischen Ziele erweise sich das Traineeprogramm daher als verhältnismäßig.

14

Aufgrund der damit anzunehmenden Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Bewerbern unterschiedlicher Altersgruppen stehe dem Kläger auch der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Antrag einen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und damit dem Bestimmtheitsgebot entspreche und ob der Kläger ausreichend aktivlegitimiert sei.

15

B. Die Entscheidung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

16

I. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 16). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der für angemessen erachteten Entschädigung mit 20.000,00 Euro beziffert.

17

II. Die Klage ist in Bezug auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch unbegründet. Da der Kläger durch die Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren nicht in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden ist, steht ihm kein Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu.

18

1. Der Kläger ist als Bewerber „Beschäftigter“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG und fällt daher unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob er für die ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet ist (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 18). Die objektive Eignung eines Bewerbers ist vielmehr für die Frage bedeutsam, ob eine „vergleichbare Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vorliegt(vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 29). Auch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung kommt es nicht an, weil ihr Fehlen allenfalls den Einwand treuwidrigen Verhaltens des Bewerbers begründen könnte (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 24).

19

2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist mithin auch derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 188/11 - Rn. 18, BAGE 142, 143).

20

3. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

21

a) Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55 ff., BAGE 141, 48). Die Ablehnung der Bewerbung wurde dem Kläger mittels E-Mail vom 29. April 2009 mitgeteilt. Der Kläger machte mit Schreiben vom 24. Juni 2009 einen Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch sowie einen Unterlassungsanspruch außergerichtlich geltend. Mangels anderweitigen Sachvortrags der Parteien ist daher - unter Zugrundelegung der üblichen Postlaufzeiten - davon auszugehen, dass die Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG gewahrt ist.

22

b) Der Kläger hat seinen Entschädigungs- und Unterlassungsanspruch durch die beim Arbeitsgericht am 23. September 2009 eingegangene Klage auch innerhalb der dreimonatigen Klageerhebungsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

23

4. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus. § 15 Abs. 2 AGG enthält zwar nur eine Rechtsfolgenregelung; jedoch ist für die Voraussetzungen des Anspruchs auf § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG zurückzugreifen. Dies ergibt sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30).

24

Die Beklagte hat den Kläger weder unmittelbar noch mittelbar in unzulässiger Weise (§§ 1, 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) benachteiligt.

25

a) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - zu denen auch das Alter zählt - eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die nachteilige Maßnahme muss dabei unmittelbar an das verbotene Merkmal anknüpfen bzw. mit diesem begründet werden (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG 22. Juni 2011 - 8 AZR 48/10 - Rn. 33, BAGE 138, 166).

26

Im Streitfalle fehlt es bereits an einer unmittelbaren Benachteiligung, weil sich der Kläger nicht in einer „vergleichbaren Situation“ mit den zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern bzw. der letztlich erfolgreichen Bewerberin befand.

27

aa) Zwar erfuhr der Kläger - bereits im Zeitpunkt der Absage - eine weniger günstige Behandlung als die später tatsächlich eingestellte Bewerberin. Darüber hinaus war auch die Behandlung des Klägers im Vergleich mit den zu Vorstellungsgesprächen eingeladenen (letztlich gleichfalls erfolglosen) Bewerbern weniger günstig. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, liegt nämlich bereits dann vor, wenn der Bewerber nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden wird. Hier liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance (st. Rspr., vgl. BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22).

28

bb) Der Kläger befand sich jedoch mit den zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern und der letztlich erfolgreichen Bewerberin nicht „in einer vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG).

29

(1) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt zunächst voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 35).

30

Für die Beurteilung der damit stets erforderlichen objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen und abzustellen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar darf der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers grundsätzlich frei entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des Allgemeinen Diskriminierungsschutzes de facto beseitigen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 36).

31

Es ist grundsätzlich zulässig, in einem Stellenprofil eine bestimmte Mindestnote oder sonstige besondere Qualifikationen zu fordern (vgl. BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 36). Hierzu ist ein Arbeitgeber vor allem dann berechtigt, wenn es um die Gewinnung von Führungsnachwuchs oder die Besetzung von Führungsstellen geht. Hierin liegen mit Blick auf die besonderen Anforderungen in solchen Positionen keine überzogenen oder willkürlichen Auswahlkriterien.

32

(2) Die Beklagte hat in ihrer Stellenanzeige „ambitionierte und hochqualifizierte“ Hochschulabsolventen für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik „sowie anverwandte“ gesucht. Zudem hat sie unter der Rubrik „Ausbildung“ gefordert: „Sie haben Ihr Studium überdurchschnittlich gut mit der Studienrichtung Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik abgeschlossen.“ Diese spezifische Anforderung ist mit Blick auf die - als „Mission“ bezeichnete - gewünschte Gewinnung (und Bindung) von Führungsnachwuchs für spätere Managementaufgaben im In- und Ausland gerechtfertigt und unbedenklich.

33

Der Kläger verfügt zwar über das - hier aufgrund der Fokussierung auf „Hochschulabsolventen“ maßgebliche - erste juristische Staatsexamen. Allerdings erfüllt seine dabei erzielte Abschlussnote nicht die hohe Anforderung eines „überdurchschnittlich gut(en)“ Examens. Auch wenn man die Besonderheiten des juristischen Examens, insbesondere in Bayern, berücksichtigt, so handelt es sich bei einem Examen mit 6,58 Punkten um keinen solchen überdurchschnittlich guten Abschluss. Soweit der Kläger der Auffassung ist, es genüge bereits ein „überdurchschnittliches“ Examen, das er im statistischen Vergleich auch erzielt habe, geht dies fehl. Die Anforderung „überdurchschnittlich gut“ ist nämlich - aus der hier maßgeblichen Sicht des Erklärungsempfängers, dh. des Lesers der Stellenanzeige - nicht so zu lesen: „überdurchschnittlich und damit gut“. Vielmehr muss es sich zunächst um ein „gutes“ und sodann sogar „überdurchschnittlich gutes“ Examen handeln, mithin nicht nur um ein bloß „überdurchschnittliches“, sondern herausragendes Zeugnis. Dabei hat die Beklagte nach ihrem Sachvortrag im Falle der auch angesprochenen Juristen ein „gut“ nicht gefordert, sondern ein „befriedigend im oberen Bereich“ ausreichen lassen. Dies belegt auch der systematische Zusammenhang der Stellenausschreibung. So werden ausdrücklich „hochqualifizierte Hochschulabsolventen“ als Führungsnachwuchs gesucht. Das lediglich „befriedigende“ „Prädikatsexamen“ (im unteren Notenbereich) des Klägers ist kein Ausweis einer Hochqualifizierung. Daher war ein bloß „überdurchschnittliches“ Examen nicht ausreichend. Juristen mit knapp „befriedigendem“ Staatsexamen hat die Beklagte erkennbar nicht ansprechen wollen.

34

Auf eine später gewonnene Qualifikation - wie das zweite juristische Staatsexamen - kam es der Beklagten ersichtlich nicht an. Der Kläger vermag sich daher auf dieses nicht mit Erfolg zu berufen.

35

(3) Nach alledem entsprach der Kläger von vornherein nicht den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle. Sein Defizit war so erheblich, dass eine weitere Prüfung seiner Bewerbung nicht ernstlich in Betracht gekommen wäre. Es kam deshalb auch nicht darauf an, dass die Beklagte aufgrund der diesbezüglich lückenhaften Stellenbewerbung (keine Angabe der Examensnote) des Klägers von dessen Examensnote keine Kenntnis hatte, weil es diesem bereits an der maßgeblichen objektiven Eignung fehlte. Da das AGG vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen und nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren will, steht einem objektiv ungeeigneten Bewerber kein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu(vgl. BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 34). Deshalb kann bei objektiver Nichteignung des Bewerbers auch bei Nichtkenntnis des Arbeitgebers von der Nichteignung kein Entschädigungsanspruch des abgelehnten Bewerbers entstehen.

36

(4) Im Streitfalle war die objektive Nichteignung des Klägers aufgrund der objektiv gegebenen Umstände offensichtlich. Deshalb spielte die Frage keine Rolle, wer für die objektive Eignung oder Nichteignung eines Bewerbers die Darlegungs- und Beweislast trägt.

37

b) Da der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet war, scheidet auch eine mittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG wegen seines Alters aus. Auch ein Entschädigungsanspruch wegen mittelbarer Diskriminierung setzt eine konkrete Betroffenheit des Benachteiligten voraus (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 51). Damit stellt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung letztlich als Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots unmittelbarer Diskriminierung dar (vgl. Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 246; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 20; so auch: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 127, die das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Beweiserleichterung für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung betrachten). Scheidet eine konkrete Betroffenheit eines abgelehnten Bewerbers wegen dessen objektiver Ungeeignetheit für die ausgeschriebene Stelle aus, so scheitert daran auch ein Entschädigungsanspruch wegen einer möglicherweise vorliegenden mittelbaren Diskriminierung.

38

III. Die Unterlassungsklage ist unzulässig. Es fehlt für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bereits an der erforderlichen, von Amts wegen zu prüfenden Prozessführungsbefugnis und damit an einer Prozessvoraussetzung.

39

Der Kläger macht - ohne konkrete Selbstbetroffenheit und gewissermaßen „stellvertretend“ für (andere) Bewerber bei künftigen Ausschreibungen der Beklagten - einen „vorbeugenden Unterlassungsanspruch“ im Sinne einer „Popularklage“ geltend.

40

So wie eine abstrakte Diskriminierung ohne konkrete eigene Benachteiligung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht auszulösen vermag, begründet auch der Gesichtspunkt der „Generalprävention“ keinen Unterlassungsanspruch. Es fehlt an einer nationalen gesetzlichen Grundlage für einen solchen „generalpräventiven“ Unterlassungsanspruch. Auch Europarecht begründet einen derartigen Anspruch nicht.

41

1. Einen vom konkreten Bewerbungsverfahren losgelösten, einer „Popularklage“ ähnelnden Anspruch auf Unterlassung - künftiger - diskriminierender Ausschreibungen bzw. auf - künftige - diskriminierungsfreie Neuausschreibungen ist aus dem AGG nicht herzuleiten. Im Übrigen haben selbst konkret betroffene Stellenbewerber, die einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot geltend machen, während eines laufenden Auswahlverfahrens keinen Anspruch auf Unterlassung einer Ausschreibung und auf Neuausschreibung (vgl. BayVGH 4. Dezember 2012 - 7 ZB 12.1816 - BayVBl. 2013, 308).

42

Lediglich für den Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft ist in § 17 Abs. 2 AGG iVm. § 23 Abs. 3 BetrVG bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers ein Unterlassungsanspruch vorgesehen und kommt dann auch bei diskriminierenden Stellenausschreibungen in Betracht. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche ergeben sich für Stellenbewerber auch nicht aus § 21 Abs. 1 AGG. § 21 AGG betrifft nicht den Schutz von Beschäftigten und Bewerbern vor Benachteiligungen, sondern ausschließlich den Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr im Sinne des § 19 AGG.

43

2. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht.

44

Die europäischen Richtlinien zur Durchsetzung der Gleichbehandlung, die durch das AGG umgesetzt worden sind, verlangen, dass in den Mitgliedstaaten alle Personen, die sich durch Ungleichbehandlung aufgrund eines verpönten Merkmals für in ihren Rechten verletzt halten, den Gerichtsweg beschreiten können (Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/EG und Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/EG). Die Richtlinien fordern darüber hinaus, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die nach nationalem Recht für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien zu sorgen haben, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung am Gerichtsverfahren beteiligen können. Diese Mindestanforderungen (Art. 6 Abs. 1 RL 2000/43/EG und Art. 8 Abs. 1 RL 2000/78/EG)erfüllt das nationale Recht. Zwar ist für die durch Gesetz vorgeschriebenen Einrichtungen zur Unterstützung der Integration behinderter Menschen (Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Integrationsfachdienste, vgl. Kap. 5 bis 7 SGB IX) ein allgemeines Klagerecht nicht vorgesehen, jedoch können Antidiskriminierungsverbände nach § 23 Abs. 2 AGG im gerichtlichen Verfahren als Beistände Benachteiligter auftreten. Die Popularklage einzelner Betroffener ist dem deutschen Recht dagegen grundsätzlich fremd (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - Rn. 33).

45

3. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union(AEUV) bedurfte es nicht. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2008 (- C-54/07 - [Feryn] Rn. 37 - 39, Slg. 2008, I-5187) ausgeführt, die Richtlinie 2000/43/EG verpflichte nicht zu bestimmten Sanktionen, sondern belasse den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen, die zur Verwirklichung des festgelegten Ziels geeignet sind. Auch wenn die Sanktionen neben anderen Maßnahmen darin bestehen könnten, dass dem Arbeitgeber nach den entsprechenden Vorschriften im nationalen Recht aufgegeben werde, die festgestellte diskriminierende Praxis zu unterlassen, ist eine solche Sanktion nicht zwingend, sondern steht unter dem Vorbehalt des nationalen Rechts. Diese Rechtsprechung - und damit die Freiheit der Mitgliedstaaten - hat der Gerichtshof jüngst ausdrücklich bestätigt (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 36 ff.).

46

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Lüken    

        

    Soost    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen sind aufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken.

(2) In Betrieben, in denen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes vorliegen, können bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften aus diesem Abschnitt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft unter der Voraussetzung des § 23 Abs. 3 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes die dort genannten Rechte gerichtlich geltend machen; § 23 Abs. 3 Satz 2 bis 5 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt entsprechend. Mit dem Antrag dürfen nicht Ansprüche des Benachteiligten geltend gemacht werden.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Mai 2012 - 3 Sa 1420/11 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch, weil sich die Klägerin wegen ihres Geschlechts benachteiligt sieht.

2

Die 1981 geborene, verheiratete Klägerin nahm am 6. Juli 2010 eine bis 5. Juli 2012 befristete Beschäftigung bei der Beklagten als Personalsachbearbeiterin zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2.750,00 Euro auf. Nach § 2 des zugrunde liegenden Arbeitsvertrages vom 17. Juni 2010 sollten die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses als Probezeit gelten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen ohne Nennung von Gründen gekündigt werden können sollte.

3

Ab dem 28. September 2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte zahlte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit bis 9. November 2010 das Entgelt fort. Vom 10. November bis 21. November 2010 erhielt die Klägerin Krankengeld. Die Beklagte kündigte unter dem 18. November 2010 das Arbeitsverhältnis zum 3. Dezember 2010.

4

Durch Rechtsanwaltsschreiben vom 22. November 2010 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass sie schwanger sei. Die Anwälte baten die Beklagte zur Vermeidung einer Klage bis zum 29. November 2010 mitzuteilen, dass sie an der Kündigung „nicht festhalte“. Mit weiterem Schreiben vom 25. November 2010 übersandten sie ein ärztliches Schwangerschaftsattest und teilten mit, dass ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen worden sei. Am 29. November 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, sich betriebsärztlich untersuchen zu lassen. Daraufhin bestätigte der Betriebsarzt unter dem 22. Dezember 2010 sowohl die bestehende Schwangerschaft als auch das Beschäftigungsverbot.

5

Klage gegen die ihr ausgesprochene Kündigung erhob die Klägerin am 7. Dezember 2010, trug aber dem Arbeitsgericht die Tatsache ihrer Schwangerschaft erst im Gütetermin vom 27. Januar 2011 vor. Mit Eingang bei Gericht am 8. Februar 2011 erweiterte die Klägerin die Klage um Gehaltszahlungsansprüche und den streitgegenständlichen Entschädigungsanspruch. Vor Zustellung dieser Klageerweiterung „bestätigte“ die Beklagte mit Datum vom 9. Februar 2011 der Klägerin „hiermit die Rücknahme unserer vorgenannten Kündigung“.

6

Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit dem 2. Februar 2011 ihr Mandat niedergelegt hatten, meldeten sich mit Schriftsatz vom 4. März 2011 ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten beim Arbeitsgericht. Sie verwiesen auf die bereits erfolgte „Rücknahme“ der Kündigung und stellten klar, dies sei als Angebot zu verstehen, das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortzusetzen. Diesbezüglich setzten sie der Klägerin eine Erklärungsfrist bis 25. März 2011. Soweit die Klägerin nunmehr wegen des Beschäftigungsverbotes weitere Entgeltzahlung verlange, müsse zunächst geklärt werden, ob das Beschäftigungsverbot seine Ursache allein in der Schwangerschaft habe. In diesem Fall werde die Beklagte selbstverständlich ihrer Verpflichtung aus § 11 MuSchG nachkommen, ihr sei das Erstattungsverfahren nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Aufwendungsausgleichsgesetz(AAG) bekannt. Mit Schreiben vom 21. März 2011 machte die Klägerin geltend, von der Beklagten diskriminiert zu werden und forderte sie auf, die Unwirksamkeit der Kündigung durch Anerkenntnis der Klage zu bestätigen. Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 5. Mai 2011 gaben die Prozessvertreter der Beklagten ein Anerkenntnis hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags „vor dem Hintergrund der heutigen Versuche einer gütlichen Einigung im vorliegenden Rechtsstreit“ ab. Ein entsprechendes Teil-Anerkenntnisurteil wurde vom Arbeitsgericht erlassen.

7

Ihren Antrag auf Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hat die Klägerin damit begründet, dass die Beklagte das Beschäftigungsverhältnis gekündigt und daran auch festgehalten habe, als sie positive Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt habe. Die Beklagte habe ihre Schwangerschaft ignoriert, statt die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Prozesshandlungen zu vollziehen. Schon bei der Mitteilung der Schwangerschaft sei die Beklagte aufgefordert worden, die Kündigung zurückzunehmen. Auch das ärztliche Schwangerschaftsattest habe nichts bewirkt. Obschon der Betriebsarzt das Beschäftigungsverbot bestätigt habe, habe die Beklagte Lohnzahlungen oder Ersatzleistungen nicht erbracht.

8

Soweit für die Revision von Bedeutung hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.250,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klageerweiterung zu zahlen.

9

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte zunächst darauf verwiesen, die Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft ausgesprochen zu haben. Soweit sie wegen des Beschäftigungsverbotes in Anspruch genommen werden sollte, habe sie nur aufgefordert, Auskunft über die Gründe für das Beschäftigungsverbot zu geben. Außerdem habe sie die Kündigung „zurückgenommen“ und schließlich den Kündigungsschutzantrag anerkannt.

10

Durch Schlussurteil vom 5. Mai 2011 hat das Arbeitsgericht den Zahlungsansprüchen der Klägerin entsprochen, soweit sie durch das Beschäftigungsverbot nach § 11 Abs. 1 MuSchG begründet waren. Den Entschädigungsanspruch hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb insoweit ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Entschädigungsanspruch iHv. drei Bruttomonatsgehältern weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet, weil die Klage unbegründet ist. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG steht der Klägerin nicht zu, weil sie nicht wegen ihrer Schwangerschaft und damit auch nicht wegen ihres Geschlechts von der Beklagten benachteiligt worden ist, § 15 Abs. 2 in Verb. mit § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.

12

A. Seine Entscheidung zum Entschädigungsanspruch hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:

13

Die Klägerin habe keine Verhaltensweisen der Beklagten dargelegt, die für sich genommen oder im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ihre Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten ließen. Die Kündigung sei ausgesprochen worden, ohne dass der Beklagten zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft der Klägerin bekannt gewesen sei. Dass Festhalten an der wegen der mutterschutzrechtlichen Bestimmungen unwirksamen Kündigung sei wertneutral und keinem verpönten Kriterium aus § 1 AGG zuzuordnen. Ebenso lasse auch die Nichtgewährung von Leistungen, die nach den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes zu erbringen waren, eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht vermuten. Sofern darin die Verletzung allgemeiner arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zu sehen sei, stelle dies nicht zugleich eine unzulässige Benachteiligung iSd. § 1 AGG dar. Die Klägerin habe ihre vertraglichen oder gesetzlichen Rechte gerichtlich geltend gemacht und durchgesetzt. Jedenfalls sei selbst im Falle einer Benachteiligung eine angemessene Entschädigung nicht festzusetzen. Es liege kein Wiederholungsfall vor, der Anlass für die Kündigung sei nicht schwangerschaftsbezogen. Die Dauer der Beeinträchtigung habe sich in Grenzen gehalten. Außerdem habe die Beklagte schon Anfang Februar 2011 zu erkennen gegeben, an der Kündigung nicht festhalten zu wollen und unwidersprochen hätten Versuche einer außergerichtlichen Einigung davor stattgefunden. Im Hinblick darauf sei es üblich, mit Zahlungen innezuhalten. Außerdem habe die Beklagte lediglich von ihrer rechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht überprüfen zu lassen, ob eine Nichtbeschäftigung der Klägerin wegen Arbeitsunfähigkeit oder wegen eines Beschäftigungsverbotes im Sinne des Mutterschutzgesetzes zu beachten gewesen sei.

14

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

15

I. Es kann dahinstehen, ob der sachliche Anwendungsbereich des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG eröffnet ist.

16

1. Die Klägerin sieht in der Kündigung vom 18. November 2010 eine der sie benachteiligenden Maßnahmen. § 2 Abs. 4 AGG bestimmt seinem Wortlaut nach, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Es ist umstritten, welche Bedeutung § 2 Abs. 4 AGG im Einzelnen zukommt(vgl. zB Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 103 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 55 ff.; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 29 ff.; Däubler/Bertzbach/ Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff.; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 2 AGG Rn. 17 f.). Jedenfalls sind die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG (§§ 1 bis 10 AGG), so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen(BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 28, BAGE 128, 238 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82).

17

2. Ob die Ausschließlichkeitsanordnung des § 2 Abs. 4 AGG, unabhängig von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage und ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung, darüber hinaus den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht „sperrt“(so zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso - im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs - Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204, 211; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257), kann der Senat im vorliegenden Fall dahinstehen lassen. Denn selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 AGG sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Entschädigungszahlung nicht erfüllt.

18

II. Die Klägerin hat einen Entschädigungsanspruch nicht für alle von ihr angeführten Diskriminierungssachverhalte rechtzeitig innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

19

1. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55, BAGE 141, 48 = AP AGG § 15 Nr. 11 = EzA AGG § 15 Nr. 18).

20

2. Auch bei dem Erhalt einer Kündigung beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Gekündigte von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat. Dies muss nicht mit dem Zugang der Kündigung zusammenfallen, ist aber vorliegend jedenfalls für den 22. November 2010 anzunehmen, da unter diesem Datum die Anwälte der Klägerin die Mitteilung an die Beklagte verfassten, die Klägerin sei schwanger. Jedenfalls ab dem 22. November 2010 wusste die Klägerin zum einen um die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung, zum anderen, dass sie schwanger war und hatte damit Kenntnis von allen Umständen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts ausmachen konnten. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin jedoch nicht bis 22. Januar 2011 geltend gemacht, sondern erst durch die Klageerweiterung vom 8. Februar 2011, der Beklagten am 15. Februar 2011 zugestellt. Dies wahrt die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht, soweit die Klägerin an den Ausspruch der Kündigung anknüpfen will. Die Klageerhebung wahrt aber hinsichtlich der Sachverhalte „Festhalten an der Kündigung“ und „Streit um den Mutterschutzlohn“ die Frist des § 15 Abs. 4 AGG.

21

III. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden ist.

22

1. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, wobei vorliegend die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts geltend macht. Der Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Handlung und dem Geschlecht der Klägerin ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Geschlecht der Klägerin anknüpft oder dadurch motiviert ist (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 37, BAGE 129, 181 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

23

2. Als benachteiligende Handlung der Beklagten kommt unabhängig von der insoweit nicht gewahrten Frist des § 15 Abs. 4 AGG, aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die der Klägerin unter dem 18. November 2010 ausgesprochene ordentliche, fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.

24

a) Dass der Klägerin als Frau eine Kündigung ausgesprochen wurde, lässt für sich genommen keinen Schluss auf die Vermutung einer Ursächlichkeit zwischen der (zu ihren Gunsten als Benachteiligung gewerteten) Kündigungserklärung und ihrem Geschlecht als Diskriminierungsmerkmal zu. Ein in der Person des Anspruchstellers erfülltes Diskriminierungsmerkmal vermag eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine gesetzwidrige Motivation der Kündigungsentscheidung oder deren Verknüpfung mit einem pönalisierten Merkmal nach § 1 AGG nicht zu begründen(st. Rspr., vgl. BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28 f.; zuletzt 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - [Meister] Rn. 37). Der während der Probezeit erklärten Kündigung sind - sie wurde fristgemäß erklärt - keine Hinweise für eine Anknüpfung an ein Diskriminierungsmerkmal zu entnehmen. Die Beklagte hat die Kündigung auch erst ausgesprochen, nachdem der sechswöchige Zeitraum für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG abgelaufen war.

25

b) Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte dies nicht wusste. Diese Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht mit einer Revisionsrüge angegriffen. Die geschlechtsspezifische, nur Frauen betreffende Tatsache einer Schwangerschaft kann bei Ausspruch der Kündigung keine Rolle gespielt haben.

26

3. Die Benachteiligung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte, nachdem ihr die Schwangerschaft der Klägerin bekannt gemacht wurde, an der Kündigung „festgehalten“ hat.

27

a) Die Missachtung der zugunsten der werdenden Mutter gesetzlich bestehenden Schutzpflichten durch den Arbeitgeber kann Indizwirkung für die Benachteiligung wegen des Geschlechts haben. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft auch dann unzulässig, wenn dem Arbeitgeber „zur Zeit der Kündigung“ die Schwangerschaft zwar unbekannt war, sie ihm aber innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

28

b) Die Klägerin hat durch Anwaltsschreiben vom 22. November 2010 und sodann durch weiteres Anwaltsschreiben vom 25. November 2010 unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung die Beklagte über ihre Schwangerschaft unterrichtet. Spätestens mit Zugang dieses zweiten Anwaltsschreibens musste die Beklagte damit rechnen, dass ihre Kündigung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig war. Diese sich nach Ausspruch einer an sich diskriminierungsfreien Kündigung herausstellende Unzulässigkeit der Kündigung wegen bestehender Schwangerschaft entspricht der Europäischen Rechtslage, die in Art. 10 der Richtlinie 92/85 ebenfalls allein auf die Tatsache der Schwangerschaft und nicht auf die Kenntnis des Kündigenden von dieser abstellt(vgl. EuGH 29. Oktober 2009 - C-63/08 - [Pontin] Rn. 27, 37 bis 48, Slg. 2009, I-10467).

29

c) Die Klägerin hatte schon mit ihrem Schreiben vom 22. November 2010 die Beklagte gebeten, um keine Klage erheben zu müssen, bis zum 29. November 2010 zu erklären, dass „sie an der Kündigung nicht festhalte“. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen, vielmehr hat sie in der Folgezeit die Klägerin aufgefordert, ihre Angaben durch eine betriebsärztliche Untersuchung bestätigen zu lassen.

30

Diesem „Festhalten“ an einer möglicherweise unzulässigen Kündigung kommt Indizwirkung iSd. § 22 AGG nicht zu. Dass die Beklagte nicht bis zum 29. November 2010 mitgeteilt hat, an der Kündigung nicht „festzuhalten“, „damit wir hier keine Klage erheben müssen“, wirkte sich im Gegenteil rechtswahrend für die Klägerin aus.

31

aa) Auch die schwangere Arbeitnehmerin ist gehalten, den gesetzlichen Unwirksamkeitsgrund des § 9 Abs. 1 MuSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen. Die fehlende Zustimmung der obersten Landesbehörde nach § 9 Abs. 3 MuSchG führt nicht zur Nichtigkeit der Kündigung, außerdem müssten auch Unwirksamkeits- und Nichtigkeitsgründe innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 22). Die von der Klägerin verlangte Mitteilung, „an der Kündigung nicht festzuhalten“ hätte also, wäre sie erfolgt, eine Klageerhebung wegen der Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht überflüssig gemacht.

32

bb) Als einseitiges Rechtsgeschäft kann die zugangsbedürftige Willenserklärung der Kündigung nach dem Zugang an den Gekündigten vom Kündigenden grundsätzlich nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (BAG 29. Januar 1981 - 2 AZR 1055/78 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 35, 30; vgl. 26. November 1981 - 2 AZR 509/79 - BAGE 37, 135; 19. August 1982 - 2 AZR 230/80 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 40, 56; Thüsing AuR 1996, 245; Fischer NZA 1999, 459; HaKo/Gallner 3. Aufl. § 4 KSchG Rn. 79). Die Gestaltungswirkung seiner Willenserklärung kann der kündigende Arbeitgeber nicht mehr allein beseitigen, eine einseitige Kündigungsrücknahme ist ihm verwehrt. Die Wirkungen einer Kündigung können nur durch eine Vereinbarung beseitigt werden, durch die der gekündigte Arbeitnehmer ein Fortsetzungsangebot des Arbeitgebers annimmt. Steht nicht endgültig fest, ob der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses annehmen will, muss er vorsorglich Kündigungsschutzklage erheben, um die Wirkung des § 7 KSchG zu vermeiden. Sogar bei einer offensichtlich rechtsunwirksamen Kündigung gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer sich nicht rechtzeitig mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wendet und ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend macht.

33

cc) Sowohl dem Schreiben der Klägerin vom 22. November 2010 als auch ihrer Klageerweiterung vom 8. Februar 2011, mit der sie der Beklagten vorhält, an der Kündigung trotz positiver Kenntnis ihrer Schwangerschaft „festzuhalten“, lässt sich entnehmen, dass sie dies verstanden hatte. Auch nachdem die Beklagte, am 9. Februar 2011 gegenüber der Klägerin und in der Nachricht vom 10. Februar 2011 an das Arbeitsgericht, die „Rücknahme“ der Kündigung bestätigt hatte, blieb eine Reaktion der anwaltlich beratenen Klägerin aus. Dies setzte sich fort, nachdem die neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter dem 4. März 2011 die Rechtslage im Hinblick auf die ausgesprochene Kündigung im Grundsatz zutreffend erläuterten. Die Anwälte der Klägerin stellten weiter darauf ab, dass die Beklagte schon während des Gütetermins die Gelegenheit ausgelassen habe zu erklären, dass sie an der Kündigung nicht festhalte und verwiesen darauf, dass die Klägerin selbst keine weiteren Erklärungen abgeben müsse, da sie gegen die ungerechtfertigte Kündigung Klage erhoben habe. Dies stand der Klägerin frei. Sie kann jedoch, wenn sie zu einer außergerichtlichen Bereinigung selbst nicht beiträgt, der Beklagten keine Benachteiligung vorhalten, wenn diese ihrerseits an dem Prozessweg festhält, um den in Unkenntnis der Schwangerschaft der Klägerin geschaffenen Kündigungssachverhalt aus der Welt zu schaffen. Dies hat die Beklagte dann durch Anerkenntnis im Kammertermin vom 5. Mai 2011 getan. Indizwirkung iSd. § 22 AGG kommt ihrem Verhalten jedoch nicht zu.

34

4. In den Monaten November 2010 bis Februar 2011 hat die Beklagte zunächst Gehaltszahlungen nicht geleistet, obwohl unstreitig ab dem 22. November 2010 ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden war.

35

a) Der Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, dass die Schwangere mit der Arbeit aussetzt. Für die Zeit, in der die Schwangere arbeitsunfähig krank ist, ist dieser alleinige Ursachenzusammenhang nicht gegeben. Das Beschäftigungsverbot hat in diesem Fall zwar die Wirkungen der § 3 Abs. 1, §§ 21, 24 MuSchG, begründet aber keine Vergütungspflicht nach § 11 MuSchG. Insoweit verbleibt der Schwangeren dann nach § 3 Abs. 1 EFZG der auf sechs Wochen begrenzte Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die Abgrenzung, ob eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder ob ohne eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet sind, hat der behandelnde Arzt in seinem Ermessen vorzunehmen (vgl. BAG 9. Oktober 2002 - 5 AZR 443/01 - zu I 4 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 11 Nr. 23 = EzA MuSchG § 11 nF Nr. 23).

36

Dabei kommt der schriftlichen Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 MuSchG ein hoher Beweiswert zu. Die Arbeitnehmerin genügt ihrer Darlegungslast zur Suspendierung der Arbeitspflicht und zur Begründung eines Anspruchs nach § 11 Abs. 1 MuSchG zunächst durch Vorlage dieser ärztlichen Bescheinigung über das Beschäftigungsverbot(BAG 21. März 2001 - 5 AZR 352/99 - zu II 3 der Gründe, BAGE 97, 215, 220). Der Arbeitgeber, der ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG anzweifelt, kann vom ausstellenden Arzt Auskunft über die Gründe verlangen, soweit diese nicht der Schweigepflicht unterliegen. Der Arzt hat dem Arbeitgeber sodann mitzuteilen, von welchen tatsächlichen Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerin er bei Erteilung seines Zeugnisses ausgegangen ist und ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat (BAG 9. Oktober 2002 - 5 AZR 443/01 - zu I 6 der Gründe). Legt die Arbeitnehmerin trotz Aufforderung des Arbeitgebers keine entsprechende ärztliche Bescheinigung vor, ist der Beweiswert eines zunächst nicht näher begründeten ärztlichen Beschäftigungsverbotes erschüttert. Nur wenn der Arbeitgeber die tatsächlichen Gründe des Beschäftigungsverbotes kennt, kann er prüfen, ob er der Arbeitnehmerin eine andere zumutbare Arbeit zuweisen kann, die dem Beschäftigungsverbot nicht entgegensteht. Das Mutterschutzgesetz hindert den Arbeitgeber auch nicht, Umstände darzulegen, die ungeachtet der medizinischen Bewertung den Schluss zulassen, dass ein Beschäftigungsverbot auf unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen beruht (BAG 7. November 2007 - 5 AZR 883/06 - Rn. 17 mwN, AP MuSchG 1968 § 3 Nr. 21 = EzA MuSchG § 3 Nr. 10).

37

b) Erstmalig wurde die Beklagte von den Anwälten der Klägerin mit Schreiben vom 25. November 2010 davon unterrichtet, dass für die Klägerin ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen und insoweit eine Tätigkeit ausgeschlossen ist. Eine ärztliche Bescheinigung ist dabei nicht überreicht worden, nur eine Bescheinigung des Arztes über die Schwangerschaft als solche. In der Folgezeit fand dann auf Verlangen der Beklagten eine betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin statt. Der Betriebsarzt bestätigte aus arbeitsmedizinischer Sicht sowohl die bestehende Schwangerschaft als auch das Beschäftigungsverbot, das der behandelnde Frauenarzt bereits der Krankenkasse angezeigt hatte. Mit Schriftsatz vom 4. März 2011 hat die Beklagte dann durch ihren neuen Prozessbevollmächtigten anzweifeln lassen, dass das Beschäftigungsverbot seinen Grund allein in der Schwangerschaft hat. Gleichzeitig hat sie für den Fall, dass sich ergeben sollte, dass bei der Klägerin kein krankhafter, die Arbeitsunfähigkeit begründender Befund gegeben ist, die Beachtung von § 11 MuSchG zugesagt und dabei darauf verwiesen, dass ihr das U2-Verfahren zum Ausgleich des fortzuzahlenden Entgeltes bekannt sei. Auf diesen zutreffenden Hinweis hat die Klägerin nicht oder nicht rechtskonform reagiert, indem sie auf die bloße Tatsache eines Beschäftigungsverbotes weiterhin verwies. Dies hat das Arbeitsgericht für eine Verurteilung der Beklagten ausreichen lassen, die Beklagte hat von einer Berufung insoweit abgesehen.

38

c) In Anbetracht der Rechtslage ist dem Verhalten der Beklagten auch insoweit keine Indizwirkung im Sinne eines geschlechtsdiskriminierenden Verhaltens beizumessen. Ihre gesetzliche Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG hatte die Beklagte bis 9. November 2010 in vollem Umfang, also für sechs Wochen, erfüllt. Wenn dann ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung hierüber von einem ab dem 22. November 2010 greifenden Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG unterrichtet wurde, setzte streng genommen ihre sofortige Pflicht zur Entrichtung des Arbeitsentgeltes nach § 11 Abs. 1 MuSchG noch nicht ein. Davon ist erst nach der Mitteilung des Betriebsarztes vom 22. Dezember 2010 auszugehen, nach der das Beschäftigungsverbot „nicht anzutasten“ sei. Der weitere Einwand der Beklagten vom 4. März 2011, in dem sie die Monokausalität des Beschäftigungsverbotes in der Schwangerschaft bezweifelte, ist nicht aufgeklärt worden. Der Beklagten hätte, um unzweifelhaft ihre Pflicht nach § 11 Abs. 1 MuSchG auszulösen, eine ärztliche Bescheinigung über das Beschäftigungsverbot und dass dies allein auf die Schwangerschaft zurückzuführen ist, vorgelegt werden müssen. Zwar hätte die Beklagte ihrerseits nicht ohne Weiteres eine betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin verlangen dürfen, darauf jedoch hat sich die Klägerin eingelassen mit der Folge, dass danach zwischen den Parteien das Beschäftigungsverbot als solches unstreitig wurde. Die Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach § 11 MuSchG ist indes rechtlich nicht endgültig geklärt worden.

39

IV. Hat die Beklagte somit weder durch die Erklärung der Kündigung, noch durch das „Festhalten“ an dieser und schließlich auch nicht beim Streit um die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes wegen des Beschäftigungsverbotes gegen Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes verstoßen, so lässt sich auch in einer Gesamtschau ihr Verhalten entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung nicht als Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG würdigen.

40

1. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG liegt auch dann vor, wenn von einer Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG auszugehen ist. Dabei ist die Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

41

Die Würdeverletzung und ein „feindliches Umfeld“ - als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ - müssen für die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG kumulativ vorliegen. Soweit vertreten wird, dass „das feindliche Umfeld“ vorrangig eine Konkretisierung des Maßstabes für den bei einer Belästigung gem. § 3 Abs. 3 AGG vorauszusetzenden Schweregrad der unerwünschten Belästigung darstelle(in diesem Sinne: ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 3 AGG Rn. 19; Meinel/Heyn/Herms AGG § 3 Rn. 36), ist dem nicht zu folgen. Zwar deutet die Begründung des Gesetzentwurfes vom 8. Juni 2006 darauf hin, dass mit dem Begriff „feindliches Umfeld“ kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal aufgestellt werden sollte. In der BT-Drucks. heißt es: „insbesondere durch das Schaffen eines von Einschüchterungen ... gekennzeichneten Umfeldes“ (BT-Drucks. 16/1780 S. 33). Dafür, dass „die Schaffung eines feindlichen Umfeldes“ eine weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 3 Abs. 3 AGG ist, welche kumulativ vorliegen muss, spricht jedoch, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 AGG von dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“ vom 16. Dezember 2004 abgewichen ist. In diesem, letztlich nicht Gesetz gewordenen Entwurf waren die Würdeverletzung und das feindliche Umfeld noch mit „insbesondere“ (vgl. BT-Drucks. 15/4538 S. 5) und nicht mit „und“ wie im späteren Gesetzestext, dem geltenden § 3 Abs. 3 AGG, verbunden. Im Hinblick auf diesen eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 3 AGG ergibt sich die Klarstellung des Gesetzgebers, dass beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen(so auch Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 233; MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 3 AGG Rn. 56; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 3 Rn. 367; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 66 ff.; Schiek AGG § 3 Rn. 73; Wendtland in Gaier/Wendtland AGG § 2 Rn. 92; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 45; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 36 Rn. 36). Durch die gegenüber dem Entwurf geänderte Wortwahl hat der Gesetzgeber auch der Kritik Rechnung getragen, dass der Entwurf den Begriff der Belästigung uferlos ausdehne und unnötigerweise über die Richtlinienvorgabe hinausgehe. Mit den vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen entspricht § 3 Abs. 3 AGG auch dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (BAG 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 29, AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA AGG § 3 Nr. 1).

42

Im Ergebnis ist immer eine wertende Gesamtschau aller Faktoren bei der Beurteilung, ob ein feindliches Umfeld geschaffen wurde, vorzunehmen. Diese Gesamtschau unterliegt revisionsrechtlich nur einer eingeschränkten Überprüfung. Die tatrichterliche Würdigung darf dem Berufungsgericht nicht entzogen werden. Das Revisionsgericht kann nur überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls beachtet und hinreichend gewürdigt hat und ob es in die vorzunehmende Gesamtschau die wesentlichen Umstände des Einzelfalles in nachvollziehbarer Weise miteinbezogen hat sowie ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (BAG 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 33).

43

2. Nach dem unstreitigen Sachverhalt, wie ihn das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, hat die Beklagte kein „feindliches Umfeld“ im Sinne eines frauen- oder mutterschaftsfeindlichen Verhaltens geschaffen. Die Kündigung erfolgte in Unkenntnis der Schwangerschaft, war somit geschlechtsneutral. Das „Festhalten“ an der Kündigung wirkte sich in Anbetracht der Rechtsunkenntnis der Klägerin interessengerechter aus, als es eine sofortige Erklärung, man leite aus der Kündigung keine Rechte mehr her, für die notwendige Erhebung der Klage innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gewesen wäre. Ob die Beklagte tatsächlich nach § 11 MuSchG zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes gegenüber der Klägerin verpflichtet war, ist bzgl. der Voraussetzungen nicht aufgeklärt worden, allerdings rechtskräftig zuungunsten der Beklagten entschieden. Der Beklagten, die auf eine Berufung insoweit verzichtet hat, bei der Verfolgung von Rechtspositionen eine mutterschaftsfeindliche und frauendiskriminierende Einstellung zu unterstellen, ist ohne weitere Anhaltspunkte dafür entgegen der Rechtsauffassung der Revision nicht zulässig. Der Arbeitgeber ist gehalten, die besonderen Verpflichtungen zum Schutz der werdenden Mutter nach den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes einzuhalten. Dies bedeutet nicht, dass er bei begründeten Zweifeln in zulässiger Weise seine Rechte nicht ausüben dürfte. Das Beschäftigungsverbot für die Klägerin ab dem 22. November 2010 schloss sich nahtlos an die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 28. September bis zum 21. November 2010 an. Dies lässt die geäußerten Zweifel der Beklagten, ob das Beschäftigungsverbot nicht auch krankheitsbedingte Ursachen haben könnte, jedenfalls nicht als frauenfeindliche und geschlechtsspezifische Belästigung einer schwangeren Arbeitnehmerin erscheinen.

44

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

  Breinlinger  

        

        

        

    v. Schuckmann    

        

   F. Avenarius  

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Oktober 2009 - 11 Sa 511/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 5. Februar 2009 - 1 Ca 1247/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Die Belegschaft hat einen Betriebsrat gewählt.

3

Der im Jahr 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1976, zuletzt als Einkäufer und Produktmanager bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 6.558,10 Euro.

4

Am 18. Oktober 2007 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung. Sie warf ihm vor, eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf das Gesäß belästigt zu haben.

5

Am 25. und 26. Juni 2008 war der Kläger in einem Betrieb der Beklagten in K eingesetzt. Gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin der Beklagten machte er an diesen Tagen bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts. Die Mitarbeiterin meldete die Vorfälle der Beklagten. Diese hörte den Kläger am 4. Juli 2008 zu den Vorwürfen an.

6

Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 leitete die Beklagte das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats ein. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit Schreiben vom 10. Juli 2008 zu.

7

Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28. Februar 2009.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Die Beklagte habe allenfalls mit einer Abmahnung reagieren dürfen. Die ihm zuvor erteilte Abmahnung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat tendenziös informiert. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe sie in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn sie zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen - unstreitig - schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgerechte Kündigung vom 11. Juli 2008 beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Verhalten des Klägers stelle eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar. Darauf habe sie mit Blick auf die zuvor erteilte einschlägige Abmahnung von Oktober 2007 mit einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reagieren dürfen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung (I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt(II.). Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam (III.). Die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt damit ebenfalls ohne Erfolg (IV.).

13

I. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 220).

15

2. Das Verhalten des Klägers rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Er hat eine Mitarbeiterin sexuell belästigt.

16

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - aaO mwN).

17

b) Der Kläger hat mit den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Äußerungen am 25. und 26. Juni 2008 eine Mitarbeiterin der Beklagten an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt. Gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, bei den Bemerkungen des Klägers habe es sich um sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehandelt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

18

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 60; Kamanabrou RdA 2006, 321, 326; Kock MDR 2006, 1088, 1089; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 375; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77).

19

Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht (Nollert-Borasio/Perreng AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 39). Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (v. Roetteken AGG § 3 Rn. 352, 383). Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 14). Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) ist der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 (ABl. EG L 39 vom 14. Februar 1976 S. 40) idF der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) weiter gefasst (vgl. Entwurfsbegründung BR-Drucks. 329/06 S. 34; BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Nollert-Borasio/Perreng aaO Rn. 36; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; v. Roetteken aaO Rn. 375). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6) - nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO Rn. 12; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 157; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert aaO Rn. 77a). Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 41).

20

bb) Danach lässt die Bewertung der Bemerkungen des Klägers als sexuelle Belästigungen durch das Landesarbeitsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.

21

(1) Alle vier Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt. Mit der ersten Bemerkung gab der Kläger in anzüglicher Weise der Erwartung Ausdruck, die Mitarbeiterin würde für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau stellen. In Bezug auf den Zollstock stellte er einen anzüglichen Vergleich an. Beim Mittagessen sprach er die Mitarbeiterin auf ihr Sexualleben an. Schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot.

22

(2) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Unerwünschtheit dieser Bemerkungen objektiv und im Übrigen auch für den Kläger erkennbar gewesen sei. Das hat dieser nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen.

23

(3) Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers rechnen musste.

24

(4) Der Kläger hat die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin iSv. § 3 Abs. 4 AGG „bewirkt“. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.

25

3. Die außerordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

26

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

27

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können berücksichtigt werden (BAG 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO).

28

bb) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 AGG(vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 593/06 - Rn. 68, BAGE 124, 295; noch zu § 4 Abs. 1 BSchG: BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = BGB 2002 § 626 Nr. 6). Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 12 Rn. 32; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 12 AGG Rn. 3).

29

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73). Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

30

c) Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene einzelfallbezogene Interessenabwägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, trotz der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 rechtfertige das Fehlverhalten des Klägers keine negative Prognose, ist rechtsfehlerhaft.

31

aa) Die anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden muss, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen ( BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 40, aaO). Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, aaO; 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - zu B I 2 b bb der Gründe, EzA BGB § 123 Nr. 36). Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (HaKo-Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 233; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 281).

32

bb) Nach diesen Grundsätzen bestand zwischen der der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden Pflichtverstößen ein ausreichender innerer Zusammenhang.

33

(1) Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden. Die Bewertung dieses Verhaltens als sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem Schlag auf das Gesäß handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der objektiv als sexuell bestimmt iSv. § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist(vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 55; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 378; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 153; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77a; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 45). Auf die Motivation des Klägers kam es nicht an.

34

(2) Mit den zur Kündigung führenden verbalen sexuellen Belästigungen trat eine der körperlichen Belästigung gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung des Klägers zu Tage. Es geht in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten. Unerheblich ist, in welcher Form sich die Belästigungen äußerten.

35

(3) Die Warnfunktion der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 war nicht etwa auf körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Die Beklagte hatte zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung erklären werde. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.

36

d) Im Hinblick darauf war der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Eine solche Abwägung durch den Senat selbst ist möglich, weil die des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft ist und alle relevanten Tatsachen feststehen.

37

aa) Die Pflichtverletzung des Klägers wiegt schwer. Er hat eine Mitarbeiterin an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Verbale Belästigungen bewegen sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht generell in einem „weniger gravierenden Bereich“ des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums. Auch die Intensität verbaler Belästigungen kann vielmehr erheblich sein. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat der Mitarbeiterin mit immer neuen Varianten verbaler Anzüglichkeiten zugesetzt. Die Äußerungen fielen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten. Es handelte sich nicht etwa um eine einmalige „Entgleisung“. Die Belästigungen erfolgten fortgesetzt und hartnäckig. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich hatte zudem, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter.

38

bb) Der Kläger kann sich nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweise berufen. Sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar wird es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn er sich nachvollziehbar in einem solchen Irrtum befand. Der Kläger setzte aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Belästigungen trotz einer für ihn erkennbar ablehnenden Haltung der Mitarbeiterin fort.

39

cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein der Beklagten zumutbares milderes Mittel. Nachdem sich der Kläger die vorhergegangene Abmahnung nicht zur Warnung hatte gereichen lassen, war davon auszugehen, dass dieses Mittel zukünftige Pflichtverletzungen nicht würde verhindern können. Schon aufgrund der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 musste der Kläger für den Fall der erneuten sexuellen Belästigung mit einer Kündigung rechnen. Auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit war angesichts dessen nicht mehr geeignet, Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen. Der Umstand, dass sich der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger hatte sich dazu erst nach dem Personalgespräch am 4. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung entschlossen.

40

dd) Der Beklagten war auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Die Beklagte hatte gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 AGG die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats hätte vielmehr die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger - möglicherweise gerade verstärkt durch das absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses - fortbestanden. Dessen erst nach dem Personalgespräch erfolgter Entschuldigung kommt auch insoweit kein besonderes Gewicht zu. Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit und des relativ hohen Alters des Klägers überwog damit das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Interesse an einer Fortsetzung zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist.

41

II. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

42

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

43

2. Danach hat die Beklagte die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Frist begann am 4. Juli 2008 zu laufen. Nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vorbringen hatte die Beklagte an diesem Tag erstmals Kenntnis von den Vorwürfen erlangt. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist dem Kläger nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten noch an diesem Tag zugegangen.

44

III. Die außerordentliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

45

1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - aaO).

46

2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 7. Juli 2008 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des belästigenden Verhaltens des Klägers am 25. und 26. Juni 2008 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüberhinaus hat sie den Betriebsrat an „die einschlägige Abmahnung vom 18. Oktober 2007 und an die anderen einschlägigen Hinweise und Abmahnungen aus den letzten Jahren (…) erinnert“. Aus ihrer Sicht enthielt dies auch angesichts des Umstands, dass die früheren Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers bereits entfernt waren, keine unrichtige Information.

47

3. Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b bb der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89). So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2008, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden, der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.

48

IV. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 11. Juli 2008 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

49

V. Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Dr. Roeckl    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

(1) Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet.

(2) Die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 entsprechender Schriftsatz zugestellt wird.

(3) Die Rechtshängigkeit hat folgende Wirkungen:

1.
während der Dauer der Rechtshängigkeit kann die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden;
2.
die Zuständigkeit des Prozessgerichts wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt.

(1) Die Anträge sind aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden.

(2) Die Verlesung kann dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, die die Anträge enthalten.

2
Das Berufungsgericht hat die Berufung über den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Zahlung von 10.000 € zurückgewiesen, so dass der Kläger insoweit nach dem Grundsatz der formellen Beschwer (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rn. 6) mit 10.000 € beschwert ist. Der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, das beklagte Land zur Zahlung von 22.000 € zu verurteilen, war unzulässig, weil Sachanträge, wie sich aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des § 256 Abs. 2, des § 261 Abs. 2 und des § 297 ZPO ergibt, spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2009 - IX ZB 152/08, aaO Rn. 8; vom 9. Juli 1997 - IV ZB 11/97, NJW-RR 1997, 1486). Das Berufungsgericht hat allerdings den erweiterten Klageantrag nicht als unzulässig abgewiesen, was der Bundesgerichtshof für den Fall einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung erhobenen unzulässigen Widerklage für möglich erachtet hat (vgl. Beschluss vom 12. Mai 1992 - XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085; vgl. hierzu auch Urteil vom 19. April 2000 - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512, 2513), sondern sich einer Entscheidung über diesen Antrag - auch in den Gründen - überhaupt enthalten. Es hat insoweit lediglich mit näherer Begründung hervorgehoben, dass das Vorbringen des Klägers eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht gebiete.
8
a) Gemäß § 296a ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Da die Vorschrift lediglich Angriffsmittel, aber nicht den Angriff und damit die Klage selbst betrifft, werden zwar neue Sachanträge von ihrem Regelungsbereich nicht erfasst (vgl. nur Musielak/Huber aaO § 296a Rn. 3). Wie sich jedoch aus § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH, Urt. v. 2. Juni 1966 - VII ZR 41/64, WM 1966, 863, 864; Beschl. v. 9. Juli 1997 - IV ZB 11/97, NJW-RR 1997, 1486; Musielak/Huber, aaO; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 22. Aufl. § 296a Rn. 26; Zöller/Greger, ZPO 27. Aufl. § 296a Rn. 2a; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 296a Rn. 3; Frank O. Fischer NJW 1994, 1315, 1316; vgl. zur Unzulässigkeit einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Widerklage: BGH, Beschl. v. 12. Mai 1992 – XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085; Urt. v. 19. April 2000 - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512, 2513).

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Verdienst auszugehen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht. Zum Arbeitsentgelt gehörende Sachbezüge, die während des Urlaubs nicht weitergewährt werden, sind für die Dauer des Urlaubs angemessen in bar abzugelten.

(2) Das Urlaubsentgelt ist vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen.

(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.

(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.

(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.

(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

(1) Für das Verfahren vor den Amtsgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten, soweit nicht aus den allgemeinen Vorschriften des Buches 1, aus den nachfolgenden besonderen Bestimmungen und aus der Verfassung der Amtsgerichte sich Abweichungen ergeben.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.

(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.

(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.

(1) Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, einer Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die anstelle einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen sowie in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ist im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Höhe des Jahresbetrags nicht nach dem Antrag des Klägers bestimmt oder nach diesem Antrag mit vertretbarem Aufwand bestimmbar, ist der Streitwert nach § 52 Absatz 1 und 2 zu bestimmen.

(2) Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. Bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen ist der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.

(3) Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet; dies gilt nicht in Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen. Der Einreichung der Klage steht die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleich, wenn die Klage alsbald nach Mitteilung der Entscheidung über den Antrag oder über eine alsbald eingelegte Beschwerde eingereicht wird.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Juli 2011 - 18 Sa 592/11 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2011 - 38 Ca 15552/10 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten und über Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1974 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 70 anerkannt. Er war bei der Beklagten seit dem 31. Juli 2000 als Busfahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst betrug 2.100,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzernverbund der B (B) - einer Anstalt des öffentlichen Rechts - und führt für diese Fahrdienstleistungen durch, unter anderem im Linienbusverkehr mit Fahrzeugen der B. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

3

Der Kläger war seit dem Jahr 2001 wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt durchgängig seit dem 8. November 2007. In einem vorausgegangenen Rechtsstreit ist rechtskräftig entschieden, dass eine wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 27. März 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

4

Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, am 19. März 2010 einer Untersuchung bei der Betriebsärztin der B zur Feststellung seiner Fahrdiensttauglichkeit nachzukommen. Der Kläger nahm den Termin nicht wahr. In einem Personalgespräch erklärte er, seine Tauglichkeit sei bereits am 11. Dezember 2009 durch eine von ihm aufgesuchte Fachärztin festgestellt worden.

5

Mit Schreiben vom 24. März 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn erneut zu einer Untersuchung zur Feststellung der Betriebsdiensttauglichkeit bei dem betriebsärztlichen Dienst der B am 30. März 2010 auf. Der Kläger nahm auch diesen Termin nicht wahr. Deshalb erteilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 8. April 2010 eine weitere Abmahnung und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins beim betriebsärztlichen Dienst der B am 13. April 2010 auf. Der Kläger kam auch dieser Aufforderung nicht nach. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 20. April 2010. Nachdem der Kläger die fortbestehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen hatte, hielt sie an dieser Kündigung nicht fest. Sie beantragte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung, welche dieses am 9. September 2010 erteilte. Mit Zustimmung auch des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 23. September 2010 zum 31. Januar 2011.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben und Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 geltend gemacht. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da es hierfür keine Veranlassung gegeben habe. Aufgrund der fachärztlichen Begutachtung vom 11. Dezember 2009 hätten keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit bestanden. Er habe auch Bedenken gegen eine Untersuchung durch die Betriebsärzte der B, da diese „im Lager der Beklagten“ stünden. Diese Zweifel habe er stets geäußert und angeboten, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Am 1. Juni 2010 habe er sich außerdem zu einer Untersuchung durch den Betriebsarzt bereit erklärt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 Euro brutto abzüglich 1.635,26 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin(TV-N) sei sie bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer wahlweise durch den Betriebs- oder den Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei. Es hätten berechtigte Zweifel bestanden, dass dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Seiner Mitwirkungspflicht sei dieser trotz mehrfacher Abmahnung schuldhaft nicht nachgekommen. Die Betriebsärztin der B sei jedenfalls als Vertrauensärztin iSd. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen. Während der arbeitsmedizinische Dienst des TÜV für sie die betriebsärztlichen Aufgaben in Bezug auf die Regeluntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) wahrnehme, führe der betriebsärztliche Dienst der B für sie die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durch. Zudem sei nach der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BO-Kraft) der Betriebsleiter berechtigt, jeden fachlich geeigneten Arzt mit der Feststellung der Eignung zu beauftragen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung der begehrten Vergütung unzulässig. Im Übrigen ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Zahlungsantrag angegriffen ist. Es fehlt an der erforderlichen Begründung.

12

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 a der Gründe mwN, BAGE 109, 145). Bei mehreren Streitgegenständen muss bei einer unbeschränkt eingelegten Revision für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig(BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - aaO; 15. März 2006 - 4 AZR 73/05 - Rn. 17, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - zu B I der Gründe mwN, BAGE 103, 312). Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt, so dass mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen unrichtig ist ( BAG 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - BAGE 68, 1).

13

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Beklagte hat das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt. Die Revisionsbegründung setzt sich lediglich mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 23. September 2010 auseinander. Auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Vergütung geht sie nicht ein und erhebt insoweit auch keine Rügen. Dessen hätte es aber bedurft. Bei dem Zahlungsantrag handelt es sich gegenüber dem Feststellungsbegehren um einen eigenständigen Streitgegenstand. Die Entscheidung über diesen hängt nicht notwendig von derjenigen über die Wirksamkeit der Kündigung ab. Die Kündigung wurde zum 31. Januar 2011 erklärt. Vergütungsansprüche hat der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2011, mithin ausschließlich für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht.

14

B. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann eine Verpflichtung des Klägers, sich der von der Beklagten geforderten Untersuchung bei dem betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, nicht verneint werden. Ob die Kündigung vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

15

I. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

16

1. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

17

2. Auch der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 103, 277; 6. November 1997 - 2 AZR 801/96  - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Lepke NZA 1995, 1084, 1090 ; Bezani Die krankheitsbedingte Kündigung S. 72 f.). Die Beklagte macht hier die Verletzung einer solchen, sich aus § 3 Abs. 4 TV-N(idF vom 9. Mai 2006) ergebenden Mitwirkungspflicht des Klägers geltend. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den Betriebsarzt oder den Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

18

II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei - bei unterstellter Geltung des TV-N - nicht verpflichtet gewesen, den Aufforderungen der Beklagten zur Untersuchung bei der Betriebsärztin der B Folge zu leisten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte konnte die betreffende Ärztin grundsätzlich als Vertrauensärztin mit der Begutachtung beauftragen. Die getroffene Wahl widerspricht - ausgehend von den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - nicht Grundsätzen billigen Ermessens.

19

1. Das Landesarbeitsgericht ist von der Anwendbarkeit des TV-N auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ausgegangen, ohne Feststellungen zu einer beiderseitigen Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder einer einzelvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags getroffen zu haben. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. In der BO-Kraft (in der maßgebenden Fassung vom 16. November 2007) ist - anders als die Beklagte möglicherweise meint - keine Pflicht zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit geregelt.

20

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelte es sich bei der von der Beklagten zur Untersuchung des Klägers bestimmten Ärztin nicht um die Betriebsärztin der Beklagten, sondern um die von der B, dh. einem anderen Unternehmen bestellte Betriebsärztin. Die Beklagte hat damit nicht, wovon § 3 Abs. 4 Alt. 1 TV-N ausgeht, ihren eigenen Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt. Das sieht die Revision, die hiergegen keine Einwände erhebt, ersichtlich auch so.

21

3. Als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N kann der Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens für die Untersuchung bestimmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen nach seinem Belieben von Fall zu Fall bestellten Arzt handelt, sondern - zumindest in größeren Unternehmen und Behörden - um einen solchen Arzt oder einen ärztlichen Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige Begutachtungsaufgaben bestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 277). Hierbei kann es sich auch um einen Arzt handeln, der beim Arbeitgeber selbst angestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b cc der Gründe, aaO). § 3 Abs. 4 TV-N enthält insoweit ebenso wenig eine Beschränkung wie § 7 Abs. 2 BAT. Dafür, dass dem Begriff des Vertrauensarztes in § 3 Abs. 4 TV-N ein anderes Verständnis zugrunde läge, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Interessenlage ist grundsätzlich nicht anders als im Anwendungsbereich des BAT. Hinzu kommt, dass gemäß § 3 Abs. 4 TV-N - anders als nach § 7 Abs. 2 BAT - ausdrücklich der eigene Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt werden kann. Danach kann grundsätzlich auch ein Arzt, der bei einem mit dem Arbeitgeber rechtlich verbundenen Unternehmen angestellt oder von diesem als Betriebsarzt iSd. Arbeitssicherheitsgesetzes bestellt ist, Vertrauensarzt iSd. § 3 Abs. 4 Alt. 2 TV-N sein.

22

4. Die in § 3 Abs. 4 TV-N geregelte Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtigt nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieses schließt zwar die Freiheit der Arztwahl ein. Der Arbeitgeber kann die Mitwirkung des Arbeitnehmers aber zum einen nur aus gegebener Veranlassung, also nur bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters verlangen. Zum anderen steht es mit Blick auf die schutzwürdigen Belange des Arbeitnehmers trotz des Wahlrechts des Arbeitgebers nicht etwa in dessen Belieben, wer die Begutachtung durchführt. Die Auswahl hat vielmehr nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 BGB ) zu erfolgen. Macht der Arbeitnehmer rechtzeitig vor oder während der Begutachtung begründete Bedenken etwa gegen die Fachkunde oder Unvoreingenommenheit des begutachtenden Arztes geltend, so kann es je nach den Umständen allein billigem Ermessen entsprechen, dass der Arbeitgeber einen anderen Arzt mit der Begutachtung beauftragt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Mit dieser Einschränkung ist es zur Gewährleistung gleichmäßiger Untersuchungsstandards grundsätzlich interessengerecht, das Bestimmungsrecht dem Arbeitgeber einzuräumen. Eine übermäßige Beeinträchtigung berechtigter Belange des Arbeitnehmers liegt darin nicht. Dieser muss das Ergebnis nicht hinnehmen, es wäre vielmehr in einem gerichtlichen Verfahren vollumfänglich nachzuprüfen (BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - aaO).

23

5. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, soweit es angenommen hat, die Beklagte habe im Grundsatz den betriebsärztlichen Dienst der B als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N bestimmen dürfen. Von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen wird hingegen die Würdigung, die Betriebsärztin der B sei im Streitfall deshalb nicht als Vertrauensärztin iSv. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen, weil der Kläger Bedenken gegen ihre Unvoreingenommenheit erhoben und angeboten habe, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

24

a) Das Landesarbeitsgericht meint zu Unrecht, es komme nicht darauf an, ob die Bedenken des Klägers gegen die Unvoreingenommenheit der Betriebsärztin der B berechtigt gewesen seien oder nicht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, nicht an dem von ihm bestimmten Arzt für die Untersuchung festzuhalten, kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer begründete Einwände gegen ihn erhebt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Aus der Luft gegriffene oder in der Sache unbeachtliche Bedenken gegen den vom Arbeitgeber bestimmten Arzt sind dagegen nicht ausreichend. So liegt gerade kein begründeter Einwand darin, der vom Arbeitgeber bestimmte Arzt stehe „in dessen Lager“, wie der Kläger geltend gemacht hat.

25

b) Ob der Kläger - rechtzeitig - andere, begründete Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder ausreichende Fachkunde der von der Beklagten bestimmten Ärztin geltend gemacht hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

26

III. Die angegriffene Entscheidung erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig noch ist die Sache zur Endentscheidung reif. Eine abschließende Beurteilung, ob die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, ist dem Senat - weil es an erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt - nicht möglich.

27

1. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob für die von der Beklagten geforderte Untersuchung eine Veranlassung iSv. § 3 Abs. 4 TV-N gegeben war. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine solche Veranlassung bestand. Der Kläger war seit dem 8. November 2007 arbeitsunfähig erkrankt. Daraus konnten sich Zweifel ergeben, ob er zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit wieder in der Lage war. Diese Zweifel müssen nicht schon durch das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 11. Dezember 2009 ausgeräumt gewesen sein. Zum einen darf nach § 3 Abs. 4 TV-N grundsätzlich der Arbeitgeber den für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers seines Erachtens geeigneten Arzt bestimmen. Zum anderen bezieht sich das vom Kläger beigebrachte Gutachten ausschließlich auf eine Untersuchung des Leistungsvermögens gemäß Anlage 5 Nr. 2 und des Sehvermögens gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Eine solche verkehrsmedizinische Eignungsfeststellung sagt nichts über die Fähigkeit des Arbeitnehmers aus, die konkrete arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Begutachtung nach der FeV dient allein dem Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung - einschließlich des Sehvermögens - für das Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen und die Personenbeförderung (vgl. § 48 Abs. 4 iVm. § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 6 FeV). Aus der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eines Busfahrers können sich aber weitere Anforderungen, wie etwa bei besonderen Belastungen aufgrund von Schichtdienst, ergeben.

28

2. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. ferner zu prüfen haben, ob der Kläger rechtzeitig berechtigte Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder Fachkunde des betriebsärztlichen Dienstes der B für die Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TV-N geltend gemacht hat. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe sich pflichtwidrig geweigert, den Aufforderungen der Beklagten nachzukommen, sich zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit der Untersuchung durch den betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, wird es unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen haben, ob der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war oder nicht. Hierbei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Kläger sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Mitwirkungspflichten befand (vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 103, 277) und ob er sich, wie von ihm behauptet, noch vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt hat, sich „vom Betriebsarzt“ untersuchen zu lassen, wie dieses Angebot ggf. zu verstehen war und ob es - sollte es nicht ihrem Verlangen entsprochen haben - der Beklagten zumutbar gewesen wäre, darauf einzugehen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, ist unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung in Kenntnis gesetzt hatte.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 25. Juli 2011 - 18 Sa 592/11 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2011 - 38 Ca 15552/10 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten als unzulässig verworfen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten und über Vergütungsansprüche des Klägers.

2

Der 1974 geborene Kläger ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad von 70 anerkannt. Er war bei der Beklagten seit dem 31. Juli 2000 als Busfahrer beschäftigt. Sein durchschnittlicher Bruttomonatsverdienst betrug 2.100,00 Euro. Die Beklagte ist ein Unternehmen im Konzernverbund der B (B) - einer Anstalt des öffentlichen Rechts - und führt für diese Fahrdienstleistungen durch, unter anderem im Linienbusverkehr mit Fahrzeugen der B. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten.

3

Der Kläger war seit dem Jahr 2001 wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, zuletzt durchgängig seit dem 8. November 2007. In einem vorausgegangenen Rechtsstreit ist rechtskräftig entschieden, dass eine wegen der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 27. März 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

4

Mit Schreiben vom 16. März 2010 forderte die Beklagte den Kläger auf, am 19. März 2010 einer Untersuchung bei der Betriebsärztin der B zur Feststellung seiner Fahrdiensttauglichkeit nachzukommen. Der Kläger nahm den Termin nicht wahr. In einem Personalgespräch erklärte er, seine Tauglichkeit sei bereits am 11. Dezember 2009 durch eine von ihm aufgesuchte Fachärztin festgestellt worden.

5

Mit Schreiben vom 24. März 2010 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn erneut zu einer Untersuchung zur Feststellung der Betriebsdiensttauglichkeit bei dem betriebsärztlichen Dienst der B am 30. März 2010 auf. Der Kläger nahm auch diesen Termin nicht wahr. Deshalb erteilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 8. April 2010 eine weitere Abmahnung und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins beim betriebsärztlichen Dienst der B am 13. April 2010 auf. Der Kläger kam auch dieser Aufforderung nicht nach. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis der Parteien zunächst mit Schreiben vom 20. April 2010. Nachdem der Kläger die fortbestehende Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nachgewiesen hatte, hielt sie an dieser Kündigung nicht fest. Sie beantragte beim Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung, welche dieses am 9. September 2010 erteilte. Mit Zustimmung auch des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 23. September 2010 zum 31. Januar 2011.

6

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben und Vergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 geltend gemacht. Er hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da es hierfür keine Veranlassung gegeben habe. Aufgrund der fachärztlichen Begutachtung vom 11. Dezember 2009 hätten keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit bestanden. Er habe auch Bedenken gegen eine Untersuchung durch die Betriebsärzte der B, da diese „im Lager der Beklagten“ stünden. Diese Zweifel habe er stets geäußert und angeboten, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Am 1. Juni 2010 habe er sich außerdem zu einer Untersuchung durch den Betriebsarzt bereit erklärt.

7

Der Kläger hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 Euro brutto abzüglich 1.635,26 Euro netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

8

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung für wirksam gehalten. Gemäß § 3 Abs. 4 des Tarifvertrags zur Regelung der Arbeitsbedingungen bei Nahverkehrsbetrieben im Land Berlin(TV-N) sei sie bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer wahlweise durch den Betriebs- oder den Vertrauensarzt untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei. Es hätten berechtigte Zweifel bestanden, dass dies bei dem Kläger der Fall gewesen sei. Seiner Mitwirkungspflicht sei dieser trotz mehrfacher Abmahnung schuldhaft nicht nachgekommen. Die Betriebsärztin der B sei jedenfalls als Vertrauensärztin iSd. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen. Während der arbeitsmedizinische Dienst des TÜV für sie die betriebsärztlichen Aufgaben in Bezug auf die Regeluntersuchungen nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) wahrnehme, führe der betriebsärztliche Dienst der B für sie die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen durch. Zudem sei nach der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BO-Kraft) der Betriebsleiter berechtigt, jeden fachlich geeigneten Arzt mit der Feststellung der Eignung zu beauftragen.

9

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist hinsichtlich ihrer Verurteilung zur Zahlung der begehrten Vergütung unzulässig. Im Übrigen ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

A. Die Revision ist unzulässig, soweit mit ihr die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über den Zahlungsantrag angegriffen ist. Es fehlt an der erforderlichen Begründung.

12

I. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Daher muss die Revisionsbegründung eine Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (st. Rspr., zB BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15; 6. Januar 2004 - 9 AZR 680/02 - zu II 2 a der Gründe mwN, BAGE 109, 145). Bei mehreren Streitgegenständen muss bei einer unbeschränkt eingelegten Revision für jeden eine solche Begründung gegeben werden. Fehlt sie zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig(BAG 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - aaO; 15. März 2006 - 4 AZR 73/05 - Rn. 17, AP ZPO § 551 Nr. 63 = EzA ZPO 2002 § 551 Nr. 2; 12. November 2002 - 1 AZR 632/01 - zu B I der Gründe mwN, BAGE 103, 312). Eine eigenständige Begründung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt, so dass mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand gleichzeitig auch dargelegt ist, worin die Entscheidung über den anderen unrichtig ist ( BAG 9. April 1991 - 1 AZR 488/90 - BAGE 68, 1).

13

II. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht in jeder Hinsicht gerecht. Die Beklagte hat das Rechtsmittel unbeschränkt eingelegt. Die Revisionsbegründung setzt sich lediglich mit der Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung vom 23. September 2010 auseinander. Auf die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Vergütung geht sie nicht ein und erhebt insoweit auch keine Rügen. Dessen hätte es aber bedurft. Bei dem Zahlungsantrag handelt es sich gegenüber dem Feststellungsbegehren um einen eigenständigen Streitgegenstand. Die Entscheidung über diesen hängt nicht notwendig von derjenigen über die Wirksamkeit der Kündigung ab. Die Kündigung wurde zum 31. Januar 2011 erklärt. Vergütungsansprüche hat der Kläger für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 31. Januar 2011, mithin ausschließlich für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist geltend gemacht.

14

B. Soweit die Revision zulässig ist, ist sie begründet. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann eine Verpflichtung des Klägers, sich der von der Beklagten geforderten Untersuchung bei dem betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, nicht verneint werden. Ob die Kündigung vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, steht noch nicht fest.

15

I. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

16

1. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die (fristgemäße) Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen - wie etwa eine Abmahnung - von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78).

17

2. Auch der Verstoß gegen eine tarif- oder einzelvertraglich geregelte Pflicht des Arbeitnehmers, bei gegebener Veranlassung auf Wunsch des Arbeitgebers an einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit mitzuwirken, kann je nach den Umständen geeignet sein, eine Kündigung zu rechtfertigen (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 2 a der Gründe, BAGE 103, 277; 6. November 1997 - 2 AZR 801/96  - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Lepke NZA 1995, 1084, 1090 ; Bezani Die krankheitsbedingte Kündigung S. 72 f.). Die Beklagte macht hier die Verletzung einer solchen, sich aus § 3 Abs. 4 TV-N(idF vom 9. Mai 2006) ergebenden Mitwirkungspflicht des Klägers geltend. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den Betriebsarzt oder den Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

18

II. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei - bei unterstellter Geltung des TV-N - nicht verpflichtet gewesen, den Aufforderungen der Beklagten zur Untersuchung bei der Betriebsärztin der B Folge zu leisten, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Beklagte konnte die betreffende Ärztin grundsätzlich als Vertrauensärztin mit der Begutachtung beauftragen. Die getroffene Wahl widerspricht - ausgehend von den bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts - nicht Grundsätzen billigen Ermessens.

19

1. Das Landesarbeitsgericht ist von der Anwendbarkeit des TV-N auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ausgegangen, ohne Feststellungen zu einer beiderseitigen Tarifbindung iSv. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG oder einer einzelvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags getroffen zu haben. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. In der BO-Kraft (in der maßgebenden Fassung vom 16. November 2007) ist - anders als die Beklagte möglicherweise meint - keine Pflicht zur Mitwirkung der Arbeitnehmer an ärztlichen Untersuchungen zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit geregelt.

20

2. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelte es sich bei der von der Beklagten zur Untersuchung des Klägers bestimmten Ärztin nicht um die Betriebsärztin der Beklagten, sondern um die von der B, dh. einem anderen Unternehmen bestellte Betriebsärztin. Die Beklagte hat damit nicht, wovon § 3 Abs. 4 Alt. 1 TV-N ausgeht, ihren eigenen Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt. Das sieht die Revision, die hiergegen keine Einwände erhebt, ersichtlich auch so.

21

3. Als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N kann der Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens für die Untersuchung bestimmen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht um einen nach seinem Belieben von Fall zu Fall bestellten Arzt handelt, sondern - zumindest in größeren Unternehmen und Behörden - um einen solchen Arzt oder einen ärztlichen Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige Begutachtungsaufgaben bestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b bb der Gründe, BAGE 103, 277). Hierbei kann es sich auch um einen Arzt handeln, der beim Arbeitgeber selbst angestellt ist (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b cc der Gründe, aaO). § 3 Abs. 4 TV-N enthält insoweit ebenso wenig eine Beschränkung wie § 7 Abs. 2 BAT. Dafür, dass dem Begriff des Vertrauensarztes in § 3 Abs. 4 TV-N ein anderes Verständnis zugrunde läge, gibt es keine Anhaltspunkte. Die Interessenlage ist grundsätzlich nicht anders als im Anwendungsbereich des BAT. Hinzu kommt, dass gemäß § 3 Abs. 4 TV-N - anders als nach § 7 Abs. 2 BAT - ausdrücklich der eigene Betriebsarzt mit der Untersuchung beauftragt werden kann. Danach kann grundsätzlich auch ein Arzt, der bei einem mit dem Arbeitgeber rechtlich verbundenen Unternehmen angestellt oder von diesem als Betriebsarzt iSd. Arbeitssicherheitsgesetzes bestellt ist, Vertrauensarzt iSd. § 3 Abs. 4 Alt. 2 TV-N sein.

22

4. Die in § 3 Abs. 4 TV-N geregelte Pflicht des Arbeitnehmers zur Mitwirkung an einer vom Arbeitgeber verlangten ärztlichen Untersuchung beeinträchtigt nicht übermäßig das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Dieses schließt zwar die Freiheit der Arztwahl ein. Der Arbeitgeber kann die Mitwirkung des Arbeitnehmers aber zum einen nur aus gegebener Veranlassung, also nur bei berechtigten Zweifeln an der Arbeitsfähigkeit des Mitarbeiters verlangen. Zum anderen steht es mit Blick auf die schutzwürdigen Belange des Arbeitnehmers trotz des Wahlrechts des Arbeitgebers nicht etwa in dessen Belieben, wer die Begutachtung durchführt. Die Auswahl hat vielmehr nach billigem Ermessen ( § 315 Abs. 1 BGB ) zu erfolgen. Macht der Arbeitnehmer rechtzeitig vor oder während der Begutachtung begründete Bedenken etwa gegen die Fachkunde oder Unvoreingenommenheit des begutachtenden Arztes geltend, so kann es je nach den Umständen allein billigem Ermessen entsprechen, dass der Arbeitgeber einen anderen Arzt mit der Begutachtung beauftragt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Mit dieser Einschränkung ist es zur Gewährleistung gleichmäßiger Untersuchungsstandards grundsätzlich interessengerecht, das Bestimmungsrecht dem Arbeitgeber einzuräumen. Eine übermäßige Beeinträchtigung berechtigter Belange des Arbeitnehmers liegt darin nicht. Dieser muss das Ergebnis nicht hinnehmen, es wäre vielmehr in einem gerichtlichen Verfahren vollumfänglich nachzuprüfen (BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - aaO).

23

5. Von diesen Grundsätzen ist auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen, soweit es angenommen hat, die Beklagte habe im Grundsatz den betriebsärztlichen Dienst der B als Vertrauensarzt iSv. § 3 Abs. 4 TV-N bestimmen dürfen. Von seinen bisherigen Feststellungen nicht getragen wird hingegen die Würdigung, die Betriebsärztin der B sei im Streitfall deshalb nicht als Vertrauensärztin iSv. § 3 Abs. 4 TV-N anzusehen, weil der Kläger Bedenken gegen ihre Unvoreingenommenheit erhoben und angeboten habe, sich von einem „neutralen“ Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

24

a) Das Landesarbeitsgericht meint zu Unrecht, es komme nicht darauf an, ob die Bedenken des Klägers gegen die Unvoreingenommenheit der Betriebsärztin der B berechtigt gewesen seien oder nicht. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, nicht an dem von ihm bestimmten Arzt für die Untersuchung festzuhalten, kann sich nur dann ergeben, wenn der Arbeitnehmer begründete Einwände gegen ihn erhebt (vgl. zu § 7 Abs. 2 BAT BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 3 b dd der Gründe, BAGE 103, 277). Aus der Luft gegriffene oder in der Sache unbeachtliche Bedenken gegen den vom Arbeitgeber bestimmten Arzt sind dagegen nicht ausreichend. So liegt gerade kein begründeter Einwand darin, der vom Arbeitgeber bestimmte Arzt stehe „in dessen Lager“, wie der Kläger geltend gemacht hat.

25

b) Ob der Kläger - rechtzeitig - andere, begründete Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder ausreichende Fachkunde der von der Beklagten bestimmten Ärztin geltend gemacht hat, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

26

III. Die angegriffene Entscheidung erweist sich weder aus anderen Gründen als richtig noch ist die Sache zur Endentscheidung reif. Eine abschließende Beurteilung, ob die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, ist dem Senat - weil es an erforderlichen Tatsachenfeststellungen fehlt - nicht möglich.

27

1. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - nicht geprüft, ob für die von der Beklagten geforderte Untersuchung eine Veranlassung iSv. § 3 Abs. 4 TV-N gegeben war. Dies wird es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung ggf. nachzuholen haben. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass eine solche Veranlassung bestand. Der Kläger war seit dem 8. November 2007 arbeitsunfähig erkrankt. Daraus konnten sich Zweifel ergeben, ob er zu der vertraglich geschuldeten Tätigkeit wieder in der Lage war. Diese Zweifel müssen nicht schon durch das vom Kläger vorgelegte fachärztliche Gutachten vom 11. Dezember 2009 ausgeräumt gewesen sein. Zum einen darf nach § 3 Abs. 4 TV-N grundsätzlich der Arbeitgeber den für die Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers seines Erachtens geeigneten Arzt bestimmen. Zum anderen bezieht sich das vom Kläger beigebrachte Gutachten ausschließlich auf eine Untersuchung des Leistungsvermögens gemäß Anlage 5 Nr. 2 und des Sehvermögens gemäß Anlage 6 Nr. 2.1 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Eine solche verkehrsmedizinische Eignungsfeststellung sagt nichts über die Fähigkeit des Arbeitnehmers aus, die konkrete arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Die Begutachtung nach der FeV dient allein dem Nachweis der geistigen und körperlichen Eignung - einschließlich des Sehvermögens - für das Führen von Fahrzeugen bestimmter Klassen und die Personenbeförderung (vgl. § 48 Abs. 4 iVm. § 11 Abs. 9 und § 12 Abs. 6 FeV). Aus der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit eines Busfahrers können sich aber weitere Anforderungen, wie etwa bei besonderen Belastungen aufgrund von Schichtdienst, ergeben.

28

2. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. ferner zu prüfen haben, ob der Kläger rechtzeitig berechtigte Einwände gegen die Unvoreingenommenheit oder Fachkunde des betriebsärztlichen Dienstes der B für die Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TV-N geltend gemacht hat. Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, der Kläger habe sich pflichtwidrig geweigert, den Aufforderungen der Beklagten nachzukommen, sich zur Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit der Untersuchung durch den betriebsärztlichen Dienst der B zu unterziehen, wird es unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Streitfalls eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen haben, ob der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus zumutbar war oder nicht. Hierbei kann insbesondere von Bedeutung sein, ob der Kläger sich in einem entschuldbaren Rechtsirrtum über seine Mitwirkungspflichten befand (vgl. BAG 7. November 2002 - 2 AZR 475/01 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 103, 277) und ob er sich, wie von ihm behauptet, noch vor Ausspruch der Kündigung bereit erklärt hat, sich „vom Betriebsarzt“ untersuchen zu lassen, wie dieses Angebot ggf. zu verstehen war und ob es - sollte es nicht ihrem Verlangen entsprochen haben - der Beklagten zumutbar gewesen wäre, darauf einzugehen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Dauerschuldverhältnisse kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

(2) Besteht der wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag, ist die Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Für die Entbehrlichkeit der Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung findet § 323 Absatz 2 Nummer 1 und 2 entsprechende Anwendung. Die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung sind auch entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen.

(3) Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat.

(4) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten Landes wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 3. November 2010 - 2 Sa 979/10 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 31. März 2010 - 7 Ca 3503/09 - abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung, hilfsweise einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

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Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet, gehbehindert und mit einem Grad von 80 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Er war beim beklagten Land seit 1989 als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit dem Jahr 2005 war er beim staatlichen Immobilienmanagement, Niederlassung W (im Folgenden: Immobilienmanagement), tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme der Bundesangestellten-Tarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 53 BAT war der Kläger ordentlich nicht mehr kündbar.

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Im Jahr 2007 beschwerte sich eine beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin bei der Leitung der Niederlassung über den Kläger. Sie fühlte sich von ihm belästigt. Es kam zu einem Verfahren vor der Beschwerdestelle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Mit Schreiben vom 19. April 2007 teilte die Beschwerdestelle dem Kläger mit, dass die Mitarbeiterin weder dienstlich noch privat Kontakt mit ihm wünsche und dieser Wunsch vorbehaltlos zu respektieren sei. Eine unmittelbare dienstliche Kontaktaufnahme mit der Mitarbeiterin habe „auf jeden Fall zur Vermeidung arbeitsrechtlicher Konsequenzen zu unterbleiben“.

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Mit Schreiben vom 8. Oktober 2009 wandte sich eine andere, seit Februar 2009 beim Immobilienmanagement als Leiharbeitnehmerin beschäftigte Mitarbeiterin an dessen Direktor. Dieser leitete das Schreiben am 12. Oktober 2009 an die zuständige Personalabteilung in der Zentrale weiter. In dem Schreiben erklärte die Mitarbeiterin, dass sie sich durch den Kläger in unerträglicher Art und Weise belästigt und bedrängt fühle. Obwohl sie sich ihm gegenüber deutlich abweisend geäußert habe, suche er weiterhin Kontakt zu ihr. In der Zeit von Mitte Juni 2009 bis Anfang Oktober 2009 hatte der Kläger - unstreitig - insgesamt mehr als 120 E-Mails, MMS und SMS an die Mitarbeiterin versandt. Das beklagte Land teilte dem Kläger am 13. Oktober 2009 mit, dass eine Beschwerde gegen ihn vorliege, der Sachverhalt aber noch aufgeklärt werden müsse. Als „Sofortmaßnahme“ ordnete es an, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung jeden dienstlichen und privaten Verkehr mit der Beschwerdeführerin zu unterlassen habe und nur in dienstlichen Dingen über Dritte Kontakt zu ihr aufnehmen dürfe. Am 15. Oktober 2009 hörte das beklagte Land die Mitarbeiterin an, die ihm am 16. Oktober 2009 den gesamten E-Mail-Verkehr mit dem Kläger überließ. Noch am selben Tag wurde der Kläger schriftlich über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert. Er erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 23. Oktober 2009. Mit Schreiben von diesem Tage, das beim beklagten Land am 26. Oktober 2009 einging, nahm er zu den Vorwürfen Stellung.

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Mit Schreiben vom 29. Oktober 2009 hörte das beklagte Land den Personalrat der Niederlassung W zu einer - nach noch einzuholender Zustimmung des Integrationsamts - beabsichtigten außerordentlichen fristlosen Tat-, hilfsweise Verdachtskündigung, hilfsweise jeweils mit sozialer Auslauffrist bis zum 30. Juni 2010 an. Der Personalrat stimmte der Kündigung tags darauf zu. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2009 hörte das beklagte Land auch die örtliche Schwerbehindertenvertretung an. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage beantragte es beim Integrationsamt die Zustimmung, die dieses am 13. November 2009 erteilte.

6

Noch mit Schreiben vom 13. November 2009 erklärte das beklagte Land gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30. Juni 2010.

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Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung lägen nicht vor. Das beklagte Land habe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Im Übrigen fehle es an einem wichtigen Grund. Nachdem die betreffende Mitarbeiterin Anfang September 2009 erklärt habe, keinen privaten Kontakt mehr mit ihm zu wünschen, habe er nur noch wenige Male den Kontakt zu ihr gesucht. Das beklagte Land habe ihn allenfalls abmahnen dürfen. Dass er zu einer Verhaltensänderung in der Lage sei, zeige sein Verhalten nach Erhalt des Schreibens vom 19. April 2007, welches freilich seinerseits gerade keine Abmahnung darstelle. Im Übrigen sei der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

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Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 weder fristlos noch mit Ablauf des 30. Juni 2010 beendet worden ist.

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Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, bereits die außerordentliche fristlose Kündigung sei unter allen rechtlichen Gesichtspunkten wirksam. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liege vor. Einer (weiteren) Abmahnung habe es nicht bedurft, nachdem der Kläger sich bereits im Jahr 2007 in vergleichbarer Weise pflichtwidrig verhalten habe.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage nicht stattgeben. Ob die Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet hat, steht noch nicht fest.

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I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht nicht annehmen, es fehle für die außerordentliche Kündigung vom 13. November 2009 an einem wichtigen Grund iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB.

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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB - und dem inhaltsgleichen § 54 Abs. 1 BAT - kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

14

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO ; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO ). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08  - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO).

15

b) Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09  - Rn. 37, BAGE 134, 349). Dies gilt grundsätzlich auch bei Störungen im Vertrauensbereich ( BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 18, aaO ; 12. Mai 2010 - 2 AZR 845/08  - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 230 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 31).

16

c) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO).

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2. Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, mangels einschlägiger Abmahnung sei die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 wegen Fehlens eines wichtigen Grundes iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, auf der Basis seiner bisher getroffenen Feststellungen einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Annahme, eine Abmahnung sei im Streitfall nicht entbehrlich gewesen, wird von den bisherigen Feststellungen nicht getragen.

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a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei dem Schreiben der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 habe es sich nicht um eine Abmahnung gehandelt.

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aa) Dies folgt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass das Schreiben nicht auf die Änderung eines generellen Verhaltens auch gegenüber anderen Beschäftigten des beklagten Landes abzielte. Für die Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung ist es nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber die zu unterlassende Pflichtverletzung losgelöst vom konkreten Verstoß generalisierend beschreibt. Der mit einer Abmahnung verbundene Hinweis auf eine Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses im Wiederholungsfall erstreckt sich grundsätzlich auch auf vergleichbare Pflichtverletzungen. Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit gegebene Abmahnungs- und potentielle Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 31, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36 ; 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

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bb) Entgegen der - Teilen des Schrifttums folgenden - Auffassung des Klägers fehlt dem Schreiben vom 19. April 2007 auch nicht deshalb der Abmahnungscharakter, weil die darin für den Wiederholungsfall enthaltene Androhung von „arbeitsrechtlichen Konsequenzen“ zur Erfüllung der Warnfunktion einer Abmahnung nicht ausreichend wäre.

21

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehört zu den unverzichtbaren Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Abmahnung neben der Rüge eines genau zu bezeichnenden Fehlverhaltens (Rügefunktion) der Hinweis auf die Bestands- oder Inhaltsgefährdung des Arbeitsverhältnisses für den Wiederholungsfall (kündigungsrechtliche Warnfunktion) (BAG 18. November 1986 - 7 AZR 674/84 - zu II 5 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4). Der Arbeitgeber muss in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringen und damit deutlich - wenn auch nicht expressis verbis - den Hinweis verbinden, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG 17. Februar 1994 - 2 AZR 616/93 - zu II 1 der Gründe, BAGE 76, 35). Der Senat hat einer „ordnungsgemäßen Abmahnung“ ein „nur als Abmahnung bezeichnetes Schreiben“ gegenübergestellt, in welchem nicht ausdrücklich auf kündigungsrechtliche Konsequenzen hingewiesen, sondern nur „mit weiteren rechtlichen Schritten“ für den Wiederholungsfall gedroht worden war (vgl. BAG 15. März 2001 - 2 AZR 147/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 185; vgl. auch 8. Dezember 1988 - 2 AZR 294/88 - EzAÜG AÜG § 10 Fiktion Nr. 60). Die Androhung „arbeitsrechtlicher Schritte“ sei zur Erfüllung der Warnfunktion hingegen ausreichend (BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - zu B I 2 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6 mit zust. Anm. Bemm; vgl. auch 30. Mai 1996 - 6 AZR 537/95 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 611 Nebentätigkeit Nr. 2 = EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 34: Androhung „individualrechtlicher Konsequenzen“).

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(2) Im Schrifttum wird zumeist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verlangt, dass die Abmahnung einen Hinweis auf die Gefährdung von Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses enthalten muss, um ihre kündigungsrechtliche Warnfunktion zu erfüllen (Adam AuR 2001, 41; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert 8. Aufl. KSchR § 314 BGB Rn. 56; APS/Dörner/Vossen 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 348; HaKo-Fiebig/Zimmermann 4. Aufl. § 1 KSchG Rn. 244; KR-Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 270; v. Hoyningen-Huene RdA 1990, 193, 198; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher KSchG 2. Aufl. § 1 Rn. 389; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG 14. Aufl. § 1 Rn. 495; ErfK/Müller-Glöge 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 25; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 8, 1205). Dafür sei zwar nicht unbedingt die ausdrückliche Androhung einer Kündigung notwendig, der Arbeitgeber müsse aber in einer dem Arbeitnehmer deutlich erkennbaren Art und Weise konkret bestimmte Leistungs- oder Verhaltensmängel beanstanden und damit den eindeutigen und unmissverständlichen Hinweis verbinden, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen seien Inhalt und Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; KR-Fischermeier § 626 BGB Rn. 273 mwN ua. auf BAG 15. August 1984 - 7 AZR 228/82 - BAGE 46, 163; v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497). Das Inaussichtstellen konkreter kündigungsrechtlicher Maßnahmen, etwa einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung bzw. einer Beendigungs- oder Änderungskündigung, sei hingegen nicht erforderlich (Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert aaO; APS/Dörner/Vossen aaO; HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO); es reiche die Androhung „kündigungsrechtlicher Konsequenzen“ (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO). Zum Teil wird auch der Hinweis auf „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ für ausreichend gehalten (Beckerle Die Abmahnung 10. Aufl. S. 127 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger-Deinert KSchR § 314 BGB Rn. 60) oder, jedenfalls unter besonderen Umständen, die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Schritte“ (v. Hoyningen-Huene/Linck KSchG § 1 Rn. 497 unter Hinweis auf BAG 31. Januar 1985 - 2 AZR 486/83 - AP MuSchG 1968 § 8a Nr. 6; Th. Wolf Zur Abmahnung als Voraussetzung der verhaltensbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber S. 164). Nach anderer Ansicht genügt die Ankündigung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ nicht, da dadurch nicht hinreichend deutlich gemacht werde, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses als solcher auf dem Spiel stehe; arbeitsrechtliche Konsequenzen könnten auch Versetzungen, Umsetzungen oder weitere Abmahnungen sein (HaKo-Fiebig/Zimmermann aaO; Thüsing/Laux/Lembke, Liebscher aaO).

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(3) Nach zutreffender Auffassung kann schon die Androhung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ eine hinreichende Warnung vor einer Bestandsgefährdung des Arbeitsverhältnisses sein. Mit einer solchen Formulierung wird ausgedrückt, dass der Arbeitnehmer im Wiederholungsfall mit allen denkbaren arbeitsrechtlichen Folgen bis hin zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss. Eine ausdrückliche Kündigungsandrohung ist dafür nicht erforderlich. Es ist ausreichend, wenn der Arbeitnehmer erkennen kann, der Arbeitgeber werde im Wiederholungsfall möglicherweise auch mit einer Kündigung reagieren.

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cc) Das Schreiben vom 19. April 2007 stellt gleichwohl keine Abmahnung dar. Es fehlt an einer Rüge vorherigen Fehlverhaltens. In dem Schreiben ist als Ergebnis des Beschwerdeverfahrens lediglich dokumentiert, dass die betroffene Mitarbeiterin keinen Kontakt mehr mit dem Kläger wünsche. Zwar wird außerdem - zur Vermeidung „arbeitsrechtlicher Konsequenzen“ - die Beachtung dieses Wunsches der Mitarbeiterin für die Zukunft verlangt. Das Schreiben enthält aber nicht die eindeutige Bewertung, dass das vorangegangene Verhalten des Klägers eine Pflichtverletzung dargestellt habe.

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b) Die weitere Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine Abmahnung sei im Streitfall auch nicht entbehrlich gewesen, hält dagegen - auf der Basis der bisher getroffenen Feststellungen - einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

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aa) Es steht nicht fest, welchen Kündigungssachverhalt das Landesarbeitsgericht dieser Würdigung zugrunde gelegt hat. Es hat dahingestellt sein lassen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber der betroffenen Mitarbeiterin eine Straftat oder jedenfalls eine schwerwiegende Pflichtverletzung dargestellt oder zumindest einen entsprechenden Verdacht begründet habe. Es hat angenommen, der Kläger habe, selbst wenn nur sein Sachvortrag als wahr unterstellt werde, die ihm aufgrund des Arbeitsvertrags obliegenden Verhaltenspflichten in jedem Fall verletzt. Es hat aber nicht gewürdigt, ob nicht auf Basis des Vorbringens des beklagten Landes von einer erheblich schwerer wiegenden Pflichtverletzung auszugehen wäre. Festgestellt sind nur die mehr als 120 vom Kläger an die betroffene Mitarbeiterin gesandten Nachrichten. Nach dem vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen erstinstanzlichen Vorbringen des beklagten Landes hatte sich der Kläger jedoch immer wieder auch auf andere Weise, wie etwa durch unerwünschte persönliche Kontaktaufnahmen, aufgedrängt. Das beklagte Land hat ua. geltend gemacht, der Kläger habe sich gegen den ausdrücklich erklärten Willen der Mitarbeiterin wiederholt und zunehmend aggressiv und aufdringlich in ihr Privatleben eingemischt. Um sie zu weiterem privaten Kontakt mit ihm zu bewegen, habe er ihr ua. damit gedroht, er könne dafür sorgen, dass sie keine Anstellung beim Land bekomme, und werde ihren Ehemann, der über keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügte, bei der Polizei und der Ausländerbehörde anzeigen. Bei der Mitarbeiterin habe dies massive Angstzustände verursacht.

27

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, dem Kläger habe die Distanzlosigkeit seines Verhaltens und die damit einhergehende Pflichtverletzung „aufgrund des schleichenden Prozesses“ entgehen können, steht dies im Widerspruch zu seiner Feststellung, die betroffene Mitarbeiterin habe dem Kläger Anfang September 2009 den „eindeutigen“ Hinweis gegeben, nur noch im unbedingt notwendigen dienstlichen Rahmen mit ihm Kontakt haben zu wollen. Warum dem Kläger die Pflichtwidrigkeit und der bedrängende Charakter seines Verhaltens auch nach diesem Hinweis nicht erkennbar gewesen sein sollen, ist nicht ersichtlich. Nach dem vom Arbeitsgericht zugrunde gelegten Sachverhalt war aus den dem Hinweis nachfolgenden Nachrichten gerade nicht herauszulesen, der Kläger habe, wie von ihm behauptet, weiterhin lediglich einen rein freundschaftlichen Kontakt gewollt. Die Nachrichten hätten vielmehr einen drohenden Charakter angenommen. Abweichende Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht nicht getroffen.

28

cc) Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht ausreichend geprüft, ob eine Abmahnung im Streitfall deshalb entbehrlich war, weil dem Kläger schon aufgrund des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens und des Schreibens der Beschwerdestelle vom 19. April 2007 bewusst sein musste, dass die Verletzung der Privatsphäre von Mitarbeiterinnen durch beharrliche Kontaktaufnahme gegen deren Willen eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellte, deren abermalige Hinnahme durch das beklagte Land ausgeschlossen wäre. Dem stünde nicht entgegen, dass sich das Schreiben nur mit dem zu respektierenden Wunsch der damals betroffenen Mitarbeiterin befasste. Der Kläger konnte nicht annehmen, das beklagte Land würde den entsprechenden Wunsch einer anderen Mitarbeiterin nicht für gleichermaßen verbindlich halten.

29

c) Auch die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, das Fehlverhalten des Klägers stelle sich nicht als so gravierend dar, dass seine Weiterbeschäftigung dem beklagten Land „unter keinen Umständen zuzumuten“ sei, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Es ist erneut nicht ersichtlich, welches Fehlverhalten das Landesarbeitsgericht seiner Bewertung zugrunde gelegt hat. Der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers steht jedenfalls nicht notwendig entgegen, dass dieser auf die entsprechende Aufforderung des beklagten Landes vom 13. Oktober 2009 hin jegliche Kontaktaufnahme mit der betroffenen Mitarbeiterin unterlassen hat. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger den Wunsch einer anderen Mitarbeiterin, ihre Privatsphäre zu respektieren, künftig wiederum solange missachten wird, wie ihn das beklagte Land nicht auffordert, ihm nachzukommen.

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II. Die angegriffene Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig oder sonst zur Endentscheidung reif. Ob die Kündigung des beklagten Landes vom 13. November 2009 das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat, kann noch nicht beurteilt werden.

31

1. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, ob dem beklagten Land unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile eine Weiterbeschäftigung des Klägers iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar war.

32

a) Der Kündigungssachverhalt ist bisher nicht umfassend festgestellt. Ob eine Abmahnung angesichts der Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers und des im Jahr 2007 durchgeführten Beschwerdeverfahrens entbehrlich war, kann der Senat daher nicht abschließend würdigen. Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird das Landesarbeitsgericht die nachfolgenden Erwägungen zu berücksichtigen haben.

33

b) Stellt ein Arbeitnehmer einer Kollegin unter bewusster Missachtung ihres entgegenstehenden Willens im Betrieb oder im Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit beharrlich nach, ist dies an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an (vgl. § 238 StGB), sondern auf die mit diesem Verhalten verbundene Störung des Betriebsfriedens. In einem derartigen Verhalten liegt nicht nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Betroffenen, sondern zugleich eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Dieser hat die Integritätsinteressen seiner Mitarbeiter zu schützen. Ob das Nachstellen zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere vom Ausmaß und von der Intensität der Pflichtverletzung und deren Folgen - vor allem für die betroffenen Mitarbeiter -, einer etwaigen Wiederholungsgefahr und dem Grad des Verschuldens. Die für diese Würdigung relevanten Umstände sind deshalb festzustellen.

34

2. Das Landesarbeitsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang nicht geprüft, ob das beklagte Land die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 54 Abs. 2 BAT, § 626 Abs. 2 BGB, § 91 Abs. 5 SGB IX gewahrt und den Personalrat ordnungsgemäß beteiligt hat. Sollte es bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu dem Ergebnis kommen, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung iSv. § 54 Abs. 1 BAT, § 626 Abs. 1 BGB bestand, wird es dies nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Eylert    

        

    Rachor    

        

        

        

    Frey    

        

    Grimberg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. April 2011 - 11 Sa 58/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die 1956 geborene Klägerin war seit Mai 1982 bei der Beklagten - einer Bank für Privatkunden - als Kundenbetreuerin tätig. Seit Dezember 2006 war sie in einer Filiale in R eingesetzt. Die Zweigstelle gehört zum Vertriebsbereich D, für den ein Betriebsrat gewählt ist. Die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin betrug zuletzt 15 Wochenstunden.

3

Im Jahr 2009 mahnte die Beklagte die Klägerin dreimal ab. Zwei Abmahnungen wurden zwischenzeitlich - in einem Fall nach gerichtlicher Entscheidung, im anderen Fall aufgrund eines Vergleichs - aus deren Personalakte entfernt. Die dritte Abmahnung wurde von der Klägerin nicht gerichtlich angegriffen.

4

Am 17. März 2010 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als zwei Kunden - wohl ein Ehepaar - die R Filiale betraten. Diese wollten ein aktuelles Festgeldangebot nutzen und wandten sich für eine Beratung an die Kundenbetreuerin K. Im Verlauf des Gesprächs kam es zu Unstimmigkeiten. Die Kundenbetreuerin hatte wegen einer ungewöhnlichen Farbschattierung Zweifel an der Echtheit eines der beiden Personalausweise, die ihr zu Identifikationszwecken vorgelegt wurden. Gegen 13:00 bis 13:10 Uhr setzte der Filialleiter die Betreuung der Kunden fort und bat diese in sein Büro. Die Mitarbeiterin K trat ihre Mittagspause an und begab sich zunächst in einen angrenzenden Sozialraum. Dort traf sie die Klägerin und eine andere Kollegin an. Nachdem Frau K ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, übergab ihr der Filialleiter Unterlagen aus dem Kundengespräch zur weiteren Bearbeitung. Beigefügt waren Fotokopien von zwei Ausweisdokumenten, die den Vermerk trugen, das Original habe vorgelegen.

5

Mit Schreiben vom 22. März 2010 wandte sich die Klägerin unter dem Betreff „Meldung eines Verstoßes gegen Sicherheitsrichtlinien“ an die „Zentrale Revision“ der Beklagten. Sie teilte - auszugsweise - Folgendes mit:

        

„...   

        

ich zeige Ihnen hiermit einen schweren und vorsätzlichen Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien der T und ggfls. gegen gesetzliche Richtlinien an.

        

Datum:

Mittwoch, 17.03.2010

        

Ort:   

Filiale R

        

Verursacher:

Filialleiter …

        

Tathergang:

        

... An dem besagten Tage war ich an der Kasse eingesetzt. …

        

… Dabei stellte sich heraus, dass der Kunde statt eines Bundespersonalausweises nur eine Kopie davon mit bei sich hatte. Als die Kollegin dies bemängelte, übernahm der Zweigstellenleiter diesen Fall und bat den Kunden in einen separaten Raum. … Dabei kam es zu dem eklatanten Verstoß gegen die Sicherheitsregel: Der Kunde konnte keinen gültigen Personalausweis vorlegen: Er hatte wohl eine Fotokopie bei der Hand.

        

Der Zweigstellenleiter kopierte die Kopie und soll eigenhändig den Vermerk aufgeschrieben haben, das Original habe vorgelegen.

        

Letzteres durch Aussage der mit dem Fall befassten Kollegin.

        

Es obliegt Ihnen, die Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten.

        

Zeugnis zur möglicherweise notwendigen Befragung: Kollegin … K“

6

Am 7. April 2010 wurde die Klägerin vom Personalreferenten der Beklagten zu dem Vorfall befragt. Sie sollte sich ua. dazu äußern, ob und inwieweit sie von der Kasse aus habe erkennen können, dass es sich um einen „falschen“ Ausweis gehandelt habe. Sie gab an, diese Beobachtung habe ihre Kollegin gemacht. Die gleichfalls befragte Mitarbeiterin K führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 aus, der männliche Kunde habe auf ihre Bitte, sich zu legitimieren, verärgert und „offensichtlich ertappt“ reagiert. Auf ihren Versuch, die Ausweise zu kontrollieren, sei sie von beiden Kunden „in lautem, unverschämten Ton“ „angepöbelt“ worden. Dem Filialleiter, der daraufhin das Beratungsgespräch fortgeführt habe, seien die Papiere ebenfalls auffällig vorgekommen.

7

Am 30. April 2010 hörte die Beklagte den Filialleiter, der in der Zeit vom 23. März 2010 bis zum 12. April 2010 urlaubsabwesend war, zu den Vorwürfen an. Dieser erklärte, er habe die Ausweise unter einer im Kassenbereich angebrachten UV-Lampe überprüft. Dabei und bei der Datenaufnahme im Kundensystem habe er keine Unregelmäßigkeiten feststellen können.

8

Am 24. Juni 2010 unterhielten sich zwei Vertreter der Beklagten - darunter der Personalreferent - mit der Klägerin über das sich stetig verschlechternde Arbeitsklima in der Filiale. Dabei kam erneut die Anzeige vom 22. März 2010 zur Sprache. Diesbezüglich wurde ein weiteres Personalgespräch für den 13. Juli 2010 verabredet. Am 25. Juni 2010 fasste die Mitarbeiterin K auf Bitten der Beklagten nochmals die Vorgänge vom 17. März 2010 zusammen. Sie gab an, nach „Übernahme“ der Kunden durch den Filialleiter - „aufgeregt und erschrocken darüber“, dass dieser ihr in einer „so kniffligen Situation“ in den Rücken gefallen sei - „in die Küche“ gelaufen zu sein. Gegenüber ihren dort bereits anwesenden Kolleginnen - darunter die Klägerin - habe sie geäußert, die Kunden seien ihr „auf Anhieb komisch“ vorgekommen. Einer der Ausweise habe „so komisch“ ausgesehen als wäre er nicht echt; sie habe diesen nicht geprüft und wisse auch nicht, ob der Filialleiter, der die Kunden jetzt bediene, „das noch mache“. Sie habe nichts mehr mit dem Fall zu tun.

9

Am 26. Juni 2010 erhielt die Klägerin eine förmliche Einladung mit Tagesordnung zu dem anstehenden Gespräch. Mit E-Mail vom 28. Juni 2010 schrieb sie dem Personalreferenten, die Frage nach ihrer Motivation für die Anzeige vom 22. März 2010 habe in ihr „tiefste Zweifel“ ausgelöst. Das sei doch ihre „heiligste Pflicht“ gewesen. Sie habe eigentlich „Anerkennung für Pflichterfüllung … erwartet“. Sie habe bereits vorgehabt nachzufragen, ob die Sache nicht verfolgt würde oder „im Sande verlaufen sei“. Dies werde sie nunmehr „in Richtung Geschäftsführung/Zentralrevision“ erfragen.

10

Die Beklagte zog daraufhin das Personalgespräch auf den 2. Juli 2010 vor. An ihm nahmen neben einer weiteren Person der Personaldirektor der Beklagten, der Direktor „Human Resources Arbeitsrecht und Mitbestimmung“ und ein Mitglied des Betriebsrats teil. Der Klägerin wurde unter Fristsetzung aufgegeben, sich abschließend schriftlich zu dem Geschehen am 17. März 2010 zu äußern. Nach Eingang der Erklärung wollte die Beklagte über mögliche „arbeitsrechtliche Konsequenzen“ entscheiden. Die am 4. Juli 2010 verfasste und an die vorgenannten Direktoren der Beklagten adressierte Stellungnahme der Klägerin ging am 5. Juli 2010 auf einem allgemein zugänglichen Faxgerät der Filiale R ein. Parallel leitete die Klägerin die Erklärung allen Gesprächsteilnehmern vom 2. Juli 2010 und der Geschäftsleitung der Beklagten zu. Ihrer Kollegin K und einer weiteren Filialmitarbeiterin überreichte sie jeweils eine Abschrift. Inhaltlich verwahrte sie sich gegen den Vorwurf, in ihrer Anzeige falsche Angaben gemacht zu haben. Sie führte aus, eine bankinterne Überprüfung des verdächtigen Ausweises sei während ihrer Anwesenheit unterblieben. Weiter schrieb sie: „Obwohl Sie die Ankündigung eines Verfahrens wegen ‚übler Nachrede‘ wohl eher als Drohung verstanden wissen wollten, bin ich mit einem Strafverfahren nach § 186 StGB mehr als einverstanden. … Ich bedanke mich für den … vorgeschlagenen Weg der externen Klärungsmöglichkeit und erwarte nunmehr Ihre angekündigte Anzeige wegen übler Nachrede innerhalb eines angemessenen Zeitraums …“

11

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, die Behauptung, ihr sei mit einer Strafanzeige gedroht worden, unter Richtigstellung des Sachverhalts zu widerrufen. Mit E-Mail vom 6. Juli 2010 erklärte diese, die Worte „üble Nachrede“ seien von Vertretern der Beklagten in den Raum gestellt worden. In Ermangelung eines gemeinsamen Gesprächsprotokolls sei sie aber bereit, einzelne Darstellungen in der Sache oder der Tendenz nach zu revidieren, falls der Beklagten diese als falsch erschienen.

12

Am Folgetag stellte die Beklagte die Klägerin von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 14. Juli 2010 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - nach Anhörung des Betriebsrats und mit dessen Zustimmung - außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit „sozialer Auslauffrist“ zum 31. März 2011.

13

Die Klägerin hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat geltend gemacht, die Kündigungen seien unwirksam. Sie habe nicht bewusst falsche Anschuldigungen gegen den Filialleiter erhoben. Vielmehr habe sie über einen Vorfall berichtet, den die Beklagte bis zuletzt nicht vollständig aufgeklärt habe. Etwas anderes sei auch nicht ihrer im Vorprozess abgegebenen Erklärung zu entnehmen, sie habe „schon einige Filialleiter der Beklagten kommen und gehen sehen“ und werde auch den derzeitigen „aussitzen“. Sie habe sich durch die in kurzer zeitlicher Folge erteilten Abmahnungen unberechtigt angegriffen gefühlt und überreagiert. Ebenso wenig sei die Kündigung wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang mit der Stellungnahme vom 4. Juli 2010 gerechtfertigt. Während des Gesprächs am 2. Juli 2010 habe sie den Eindruck gewonnen, die Beklagte beabsichtige, sie wegen vermeintlich übler Nachrede anzuzeigen. Sie sei weiterhin bereit, die Aussage, ihr sei ein Strafverfahren „angedroht“ worden, zu korrigieren.

14

Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch zum 31. März 2011 aufgelöst worden ist.

15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Klägerin habe den Filialleiter im Schreiben vom 22. März 2010 sinngemäß eines Verstoßes gegen das Geldwäschegesetz bezichtigt. Dabei habe sie den Eindruck vermittelt, der beschriebene „Tathergang“ sei Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, obwohl die Anschuldigungen tatsächlich auf reinen Mutmaßungen beruhten. Am 7. April 2010 habe sie erklärt, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass der Filialleiter die Ausweise vorschriftsmäßig geprüft habe. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass auch ihre als Zeugin benannte Kollegin den Vorfall nicht durchgängig beobachtet habe. In den nachfolgenden Gesprächen habe sie unverändert an ihrem Standpunkt festgehalten. Erstmals mit ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 habe sie ihre Behauptungen auf die Zeit ihrer Anwesenheit beschränkt. Allerdings habe sie zugleich unzutreffend und wider besseres Wissen behauptet, ihr sei in dem vorausgegangenen Personalgespräch durch Vertreter der Beklagten mit einer Strafanzeige gedroht worden. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe ihre Vertragspflichten grob verletzt. Ihre falschen Anschuldigungen habe sie gegenüber einem sich stetig vergrößernden Empfängerkreis wiederholt bzw. publik gemacht und keine Einsicht gezeigt. Damit habe sie das Ansehen des Filialleiters beschädigt und nachhaltig den Betriebsfrieden gestört. Ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis sei ihr - der Beklagten - unzumutbar. Die Anhörung des Betriebsrats sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt.

16

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 14. Juli 2010 weder mit sofortiger Wirkung noch mit Ablauf einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aufgelöst worden.

18

I. Die fristlose Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 Manteltarifvertrag für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken (MTV) unwirksam. Dies hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerfrei erkannt.

19

1. Dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien zufolge fanden auf das Arbeitsverhältnis die jeweils geltenden Tarifverträge für das private Bankgewerbe und die öffentlichen Banken Anwendung. Gemäß § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV (in der maßgebenden, ab 22. April 2009 geltenden Fassung) sind Arbeitnehmer, die ihr 50. Lebensjahr bereits vollendet haben und dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen angehören - vorbehaltlich im Streitfall nicht einschlägiger Ausnahmetatbestände - nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes kündbar. Die Regelung, deren persönliche Voraussetzungen die Klägerin im Kündigungszeitpunkt erfüllte, nimmt auf § 626 BGB Bezug(vgl. zu § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV in der ab 1. Oktober 1997 geltenden Fassung: BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 1 der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; allgemein zur Bedeutung des Begriffs „wichtiger Grund“ in Tarifverträgen: bspw. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 688/09 - Rn. 31, AP KSchG 1969 § 2 Nr. 148 = EzA KSchG § 2 Nr. 80; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 24, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 9).

20

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Bei ordentlicher Unkündbarkeit des Arbeitnehmers ist für die Beurteilung, ob ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt, auf den Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen (BAG 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 34, BAGE 118, 104). Aus § 17 Ziff. 3 Abs. 1 Alt. 1 MTV ergeben sich insoweit keine Besonderheiten.

21

3. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 38, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

22

4. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - Rn. 17 mwN, AP BGB § 626 Nr. 226 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 29). Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber oder Vorgesetzte bzw. Kollegen aufstellt, insbesondere wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen. Der Arbeitnehmer kann sich für ein solches Verhalten regelmäßig nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Das Grundrecht ist nicht schrankenlos gewährleistet (vgl. BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70). Die Meinungsfreiheit wird durch das Recht der persönlichen Ehre gemäß Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt und muss mit diesem in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Zwar dürfen Arbeitnehmer - auch unternehmensöffentlich - Kritik am Arbeitgeber, ihren Vorgesetzten und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich dabei auch überspitzt äußern. In grobem Maße unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 - 2 AZR 534/08 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - zu B I 3 a der Gründe, EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; zur ordentlichen Kündigung: 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 45, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

23

5. Von diesen Grundsätzen geht auch das Landesarbeitsgericht aus. Seine Auffassung, das Verhalten der Klägerin stelle schon keinen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund „an sich“ dar, ist revisionsrechtlich zumindest insoweit nicht zu beanstanden, wie es davon ausgeht, die Klägerin habe weder im Zusammenhang mit dem Schreiben vom 22. März 2010 noch im Rahmen ihrer Stellungnahme zum Personalgespräch vom 2. Juli 2010 bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Schreiben vom 22. März 2010 sei unschwer zu entnehmen, dass die Anschuldigungen nicht durchgängig auf eigener Wahrnehmung der Klägerin beruhten. Das gelte insbesondere für die durch Fettdruck hervorgehobene Behauptung, hinsichtlich derer die Klägerin auf das Zeugnis der „mit dem Fall befassten Kollegin“ verwiesen habe. Spätestens aufgrund der anschließenden Befragungen habe der Beklagten klar sein müssen, dass weder die Klägerin noch die benannte Kollegin aus eigener Wahrnehmung hätten angeben können, der Filialleiter habe die erforderliche Kontrolle nicht vorgenommen. Verbleibende Zweifel habe die Beklagte durch eine persönliche Gegenüberstellung der Klägerin und des Filialleiters ausräumen können, was unterblieben sei. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, dass die Anschuldigungen, was die behaupteten Versäumnisse des Filialleiters im Rahmen der Legitimationsprüfung anbelange, unrichtig seien. Eine mögliche und zumutbare Befragung der Kunden sei nicht erfolgt. Was die Äußerungen der Klägerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 4. Juli 2010 betreffe, sei nicht auszuschließen, dass sie die ihr gemachten Vorhaltungen als - konkludente - Drohung mit der Erstattung einer Strafanzeige missverstanden habe.

25

b) Die dieser Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen sind nach § 286 ZPO nur daraufhin überprüfbar, ob das Berufungsgericht von den zutreffenden Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16 mwN, AP BGB § 626 Nr. 234 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 35; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Gemessen daran zeigt die Beklagte keinen revisionsrechtlich relevanten Rechtsfehler auf.

26

aa) Soweit die Wertung des Landesarbeitsgerichts auf einer Auslegung der Erklärungen im Schreiben vom 22. März 2010 beruht, ist diese möglich. Die Klägerin beschrieb in ihrer „Anzeige“ einen Sachverhalt, für den sie sich im maßgebenden Punkt - dem behaupteten Verstoß gegen Sicherheitsrichtlinien bei der Legitimationsprüfung von Ausweispapieren - auf die Aussage einer Arbeitskollegin berief. Außerdem überließ sie es ausdrücklich weiteren Ermittlungen der Beklagten, die „Schwere des Vergehens zusammen mit der erschwerenden Vorsätzlichkeit zu werten“. Das lässt nicht - schon gar nicht zwingend - den Schluss zu, die Klägerin habe behaupten wollen, ihre Angaben beruhten insgesamt auf eigener Wahrnehmung. Ebenso wenig ist dem Schreiben mit der gebotenen Eindeutigkeit zu entnehmen, die Klägerin habe bewusst den - falschen - Eindruck erweckt oder erwecken wollen, unmittelbare Wahrnehmungen ihrer Kollegin K wiederzugeben. Gegen eine solche Interpretation als einzig mögliche Deutung spricht, dass die Klägerin für eine „möglicherweise notwendige“ Befragung auf das Zeugnis der betreffenden Mitarbeiterin verwies. Ein verständiger Empfänger der „Anzeige“ musste angesichts dieser Angaben in Rechnung stellen, dass die Klägerin lediglich Umstände beschrieb, die sie zwar nicht selbst kannte, von denen sie aber annahm, sie aufgrund greifbarer Anhaltspunkte vermuten zu dürfen.

27

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einschließlich der ihr zugrunde liegenden Auslegung lässt, anders als die Revision meint, nicht den Inhalt der nachfolgend geführten Personalgespräche außer Acht. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin bei den Unterredungen am 7. April 2010, am 24. Juni 2010 und am 2. Juli 2010 jeweils an ihrer Anschuldigung festgehalten hat, der Filialleiter habe die Ausweise nicht wie vorgeschrieben überprüft. Auch dies ist kein evidentes, vernünftige Zweifel ausschließendes Indiz dafür, dass die Klägerin behaupten wollte, sie selbst habe dies beobachtet. Trotz der allgemein gehaltenen Formulierung kann den Umständen nach nicht ausgeschlossen werden, dass sie ihre Aussage in der Annahme, dies sei der Beklagten klar, stillschweigend auf Zeiten ihrer Anwesenheit im Verkaufsraum der Filiale bezogen hat. Dafür sprechen jedenfalls ihre klarstellenden Ausführungen in der Stellungnahme vom 4. Juli 2010. Überdies konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagten ihr zeitweiliger Aufenthalt im Sozialraum bzw. der Küche bekannt war. Selbst wenn die Erklärung so zu verstehen sein sollte, die Klägerin habe behaupten wollen, der Filialleiter habe die fragliche Prüfung zu keiner Zeit, auch nicht während der Zeit ihrer Abwesenheit vom Arbeitsplatz vorgenommen, folgte daraus nicht - zumindest nicht zwingend -, dass sie bewusst über den Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung oder den der Beobachtungen ihrer Kollegin zu täuschen versucht hätte. Ebenso gut kann es sein, dass sie - im Sinne einer wertenden Schlussfolgerung - auf der Grundlage der Angaben ihrer Kollegin zum äußeren Erscheinungsbild der Ausweise und dem Verhalten der Kunden zu dem Ergebnis gelangt ist, die vorgeschriebene Überprüfung der Ausweise könne nicht wirklich stattgefunden haben.

28

cc) Die Beklagte zeigt keinen materiellen Rechtsfehler auf, soweit sie sich gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts wendet, sie habe den Wahrheitsgehalt der Anschuldigungen nicht hinreichend aufgeklärt, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, die Behauptungen der Klägerin seien unwahr. Damit hat das Landesarbeitsgericht weder grundlegend die Darlegungs- und Beweislast verkannt, noch hat es überzogene Anforderungen an den Vortrag der Beklagten gestellt. Diese ist für den Kündigungsgrund darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 23 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79). Das schließt die Darlegungslast für das Fehlen von Umständen ein, die den Arbeitnehmer entlasten (zur Darlegungslast bezüglich behaupteter Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe: BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - aaO; 18. September 2008 - 2 AZR 1039/06 - EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 13). Es war somit grundsätzlich Sache der Beklagten, die Unwahrheit der Behauptungen der Klägerin darzutun, dh. aufzuzeigen, dass eine hinreichende Legitimationsprüfung stattgefunden hat. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn es an Anhaltspunkten für ein - mögliches - pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters gänzlich gefehlt hätte, kann dahinstehen. So liegt der vorliegende Fall nicht. Die Klägerin hat ihre Vorwürfe nicht vollkommen „aus der Luft gegriffen“. Vielmehr stritten gewisse, wenngleich nicht zwingende Verdachtsmomente dafür, dass es sich bei einem der beiden Ausweispapiere nicht um ein echtes Dokument handelte. Wenn das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen angenommen hat, die Erklärung des Filialleiters, er habe die Ausweise unter der UV-Lampe im Kassenbereich geprüft, sei für sich genommen noch kein ausreichendes Indiz für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien, ist dies jedenfalls vertretbar. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte es unterlassen hat, ihre Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine solche Möglichkeit bestand objektiv in der Befragung der Kunden, von denen die Papiere stammten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte auch bei vorsichtig formulierter Nachfrage mit einer konkreten Gefährdung der Geschäftsbeziehung hätte rechnen müssen und ihr deshalb eine weitere Aufklärung unzumutbar gewesen wäre, sind weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Da sich schon aus dem Unterlassen einer Nachfrage bei den Kunden ergibt, dass die Beklagte ihre Informationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft hat, kann dahinstehen, ob überdies eine persönliche „Gegenüberstellung“ der Klägerin und des Filialleiters angezeigt war, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat.

29

dd) Die Beklagte bringt vor, das Landesarbeitsgericht habe auf der Grundlage seiner Feststellungen nicht davon ausgehen dürfen, die Behauptung der Klägerin, ihr sei im Personalgespräch am 2. Juli 2010 mit einer Strafanzeige gedroht worden, beruhe auf einem Missverständnis. Insbesondere böten die Erklärungen der Klägerin in der E-Mail vom 6. Juli 2010 dafür keinen genügenden Anhaltspunkt. Damit zeigt die Beklagte keinen revisiblen Rechtsfehler auf. Sie will nur ihre eigene Bewertung der fraglichen individuellen Äußerungen an die Stelle einer zumindest vertretbaren Würdigung des Landesarbeitsgerichts setzen.

30

ee) Mit ihren Verfahrensrügen dringt die Revision nicht durch.

31

(1) Soweit die Beklagte geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe sie ausdrücklich darauf hinweisen müssen, dass es von der Zumutbarkeit einer Befragung des Kundenehepaars ausgehe, ist ihr Angriff unzulässig. Wird gerügt, das Berufungsgericht sei seiner richterlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO)nicht nachgekommen, muss der Rechtsmittelführer ua. im Einzelnen angeben, wie er auf einen entsprechenden Hinweis reagiert hätte. Der zunächst unterbliebene Vortrag muss nachgeholt werden. Mit der Verfahrensrüge muss er für die erforderliche Schlüssigkeit bzw. Substantiierung seines Vortrags sorgen (BAG 25. April 2006 - 3 AZR 78/05 - Rn. 39, AP BetrAVG § 7 Nr. 111 = EzA BetrAVG § 2 Nr. 27). Darüber hinaus muss er die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung der Hinweispflicht dartun (BAG 14. März 2005 - 1 AZN 1002/04 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 114, 67). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Die Beklagte legt nicht dar, welchen - erheblichen - Vortrag sie im Hinblick auf den vermissten Hinweis hin geleistet und zu welchem entscheidungserheblichen Gesichtspunkt sie die Kunden als Zeugen benannt hätte.

32

(2) Die Beklagte beanstandet weiter, das Landesarbeitsgericht habe es ohne Begründung unterlassen, ihren unter I 2.1 bis 2.4 der Revisionsbegründung näher bezeichneten Beweisangeboten nachzugehen. Dadurch habe es ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verstoßen. Das trifft nicht zu.

33

(a) Die Rüge ist unzulässig, soweit die Beklagte meint, die Vernehmung einer weiteren namentlich genannten Filialmitarbeiterin hätte „zur Widerlegung der falschen Behauptungen der Klägerin beitragen können“. Es fehlt an der Darlegung, im Hinblick auf welche Tatsachen sie sich in welchem Schriftsatz auf das Zeugnis der betreffenden Arbeitnehmerin berufen hatte (zu den Anforderungen an die Rüge des Übergehens eines Beweisantritts: vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - Rn. 20, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8). Entsprechendes gilt für die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe es versäumt, die Teilnehmer des Gesprächs vom 2. Juli 2010 (nicht: 2011) zum Inhalt der Äußerungen ihrer Vertreter zu hören. Die Beklagte zeigt nicht auf, wo genau ihr vermeintlich übergangener Beweisantritt in den vorinstanzlichen Schriftsätzen zu finden sein soll und auf welchen dort gehaltenen Vortrag er sich bezieht.

34

(b) Die weiteren Angriffe der Revision sind - ihre Zulässigkeit unterstellt - unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, dass die Klägerin noch im Gespräch vom 2. Juli 2010 an ihren Anschuldigungen gegenüber dem Filialleiter festgehalten hat. Den Inhalt der Stellungnahmen der Mitarbeiterin K hat es für unstreitig erachtet. Es brauchte deshalb den vermeintlich übergangenen Beweisantritten nicht nachzugehen.

35

(3) Dem Berufungsurteil sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen wäre, die Klägerin habe objektiv die Möglichkeit gehabt zu beobachten, ob der Filialleiter eine Überprüfung der Echtheit der Personalausweise mittels UV-Lampe vorgenommen habe. Ebenso wenig enthält es tatbestandliche Feststellungen, die den Ausführungen der Beklagten zu einem Aufenthalt der Klägerin und ihrer Kolleginnen im Sozialraum während der Mittagspause widersprechen. Soweit die Beklagte beanstandet, entgegen den Feststellungen im Berufungsurteil habe ihr Filialleiter seinen Urlaub nicht am 23. März 2010, sondern bereits am 22. März 2010 angetreten, fehlt es an der Darlegung, wo genau der betreffende Vortrag zu finden sein soll. Darüber hinaus fehlt es - auch unter Berücksichtigung der offenbar postalisch erfolgten Übermittlung der „Anzeige“ der Klägerin vom 22. März 2010 - an der Darlegung, inwieweit der Zeitpunkt des Urlaubsantritts entscheidungserheblich war. Aus diesen Gründen greift auch die Erwägung der Beklagten nicht, bei Urteilszustellung binnen der Dreimonatsfrist des § 320 Abs. 2 Satz 3 ZPO wäre ein Antrag auf Tatbestandsberichtigung möglich gewesen.

36

6. Das Landesarbeitsgericht hat nicht näher geprüft, ob die Klägerin, auch wenn sie nicht bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben mag, ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB)dadurch verletzt hat, dass sie ihre Anschuldigungen nicht vorsichtiger vorgebracht, sondern ohne weitere Prüfung die rechtliche Schlussfolgerung eines „schweren und vorsätzlichen Verstoßes“ gegen Sicherheitsrichtlinien und ggf. „gesetzliche Richtlinien“ gezogen hat. Ebenso wenig hat es sich auf der ersten Prüfungsstufe des wichtigen Grundes mit der Frage befasst, ob die Klägerin ihre „Anzeige“ in der vorrangigen Absicht erstattet hat, ihrem Vorgesetzten zu schaden oder sich an diesem für die aus ihrer Sicht unberechtigten Abmahnungen zu rächen. Für eine solche Motivation könnte der Umstand sprechen, dass sie nicht das Gespräch mit dem Filialleiter gesucht hat. Überdies lassen ihre Ausführungen in der E-Mail vom 28. Juni 2010 eine erhebliche Belastungstendenz erkennen. Es erscheint nicht ausgeschlossen, in einem solchen Verhalten „an sich“ einen wichtigen Grund zur Kündigung zu erkennen.

37

a) Im Fall der Erstattung von Anzeigen bei Strafverfolgungsbehörden oder anderen zuständigen Stellen („Whistleblowing“) ist eine vertragswidrige Pflichtverletzung nicht stets schon dann zu verneinen, wenn der Arbeitnehmer die Anzeige erstattet, ohne dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben zu machen (BAG 7. Dezember 2006 - 2 AZR 400/05 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 55 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; 3. Juli 2003 - 2 AZR 235/02 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 107, 36). Eine Anzeige kann unabhängig vom Nachweis der mitgeteilten Verfehlung und ihrer Strafbarkeit ein Grund zur Kündigung sein, wenn sie sich als eine unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten darstellt. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, nach der Strafanzeigen gegen den Arbeitgeber mit dem Ziel, Missstände in Unternehmen oder Institutionen offenzulegen, grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 10 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten fallen(EGMR 21. Juli 2011 - 28274/08 - [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235 = EzA BGB 2002 § 626 Anzeige gegen Arbeitgeber Nr. 1), schließt eine solche Bewertung nicht generell aus.

38

b) Es spricht einiges dafür, diese Grundsätze sinngemäß auf den Bereich innerbetrieblicher „Anzeigen“ zu übertragen. Auch unterhalb der Schwelle eines strafbaren Verhaltens muss ein Arbeitnehmer bei der Mitteilung vermeintlicher Missstände im Betrieb angemessen auf Persönlichkeitsrechte seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten Rücksicht nehmen. Das folgt schon aus dem berechtigten Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung des Betriebsfriedens.

39

c) Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen bedürfen im Streitfall keiner vertieften Erörterung. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung erweise sich zumindest im Rahmen einer ggf. vorzunehmenden Einzelfallbeurteilung und Interessenabwägung als nicht gerechtfertigt. Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

40

aa) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (st. Rspr., zuletzt bspw. BAG 19. Juli 2012 - 2 AZR 989/11 - Rn. 43, NZA 2013, 143; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

41

bb) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind - neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung - auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO; 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - BAGE 30, 309). Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung künftiger Störungen - zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22 mwN, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 40; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37).

42

cc) Dem Berufungsgericht kommt bei der Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, EzA BGB 2002 § 626 Nr. 39; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, BAGE 134, 349). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist dann möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, aaO). Daran gemessen liegt kein Abwägungsfehler des Landesarbeitsgerichts vor. Es hat die Kündigung - hinsichtlich beider Kündigungssachverhalte - als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Klägerin vorrangig abzumahnen. Damit hat das Landesarbeitsgericht seinen Beurteilungsspielraum nicht verletzt. Die in Rede stehenden Pflichtverletzungen der Klägerin wiegen nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Ebenso wenig liegen Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, auch ohne Abmahnung sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen.

43

(1) Den Nachweis falscher Tatsachenbehauptungen hat die Beklagte nicht geführt. Die Anschuldigungen der Klägerin betreffend ein pflichtwidriges Verhalten des Filialleiters mögen auf „dürftigen“ Verdachtsmomenten beruht haben. Gleichwohl hat die Klägerin sie nicht „ins Blaue hinein“ erhoben. Ihre Pflicht zur Diskretion hat sie zumindest insofern gewahrt, als sie sich an die „Zentrale Revision“ der Beklagten gewandt hat. Selbst wenn die Klägerin - weil sie eine Pflichtverletzung allenfalls vermuten konnte - lediglich einen Verdacht hätte äußern dürfen, musste sie doch ihre Bedenken gegen ein ordnungsgemäßes Verhalten des Filialleiters nicht vollkommen zurückstellen. Einer damit möglicherweise verbundenen Pflichtverletzung der Klägerin hätte mit einer Abmahnung erfolgversprechend begegnet werden können. Das gilt auch dann, wenn der „Anzeige“ sachfremde Motive der Klägerin zugrunde gelegen haben sollten. Daraus folgt für sich genommen nicht, dass sie sich eine Abmahnung nicht hätte zur Warnung gereichen lassen, um künftig zurückhaltender vorzugehen und ggf. genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen zu unterscheiden. Dies vermag der Senat, sollte das Landesarbeitsgericht diesen Aspekt bei seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht genügend berücksichtigt haben, selbst zu entscheiden.

44

(2) Eine Abmahnung war auch nicht mit Blick auf die Behauptung der Klägerin entbehrlich, ihr sei im Personalgespräch vom 2. Juli 2010 eine Strafanzeige wegen übler Nachrede angedroht worden. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin das ihr von den Vorinstanzen zugutegehaltene Missverständnis bei genauerer Prüfung hätte vermeiden können. Ihr Irrtum wäre auch dann nicht bedeutungslos (vgl. dazu BAG 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 26 = EzA BGB § 626 nF Nr. 160). Überdies hat die Klägerin mit ihrer E-Mail vom 6. Juli 2010 eine gewisse Einsicht gezeigt. Dass das Arbeitsverhältnis vor diesem Hintergrund durch das in Rede stehende Fehlverhalten so stark belastet wäre, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens in ein künftig redliches Vorgehen der Klägerin selbst nach einer Abmahnung ausgeschlossen erschiene, ist nicht erkennbar.

45

(3) Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre Stellungnahme vom 4. Juli 2010 Personen zugänglich gemacht hat, die an dem vorhergehenden Personalgespräch nicht beteiligt waren. Unabhängig davon, ob darin eine Pflichtverletzung liegt, steht auch dies einem Abmahnungserfordernis nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich auf eine tiefgreifende Störung des Betriebsfriedens. Den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zufolge hat sie es aber versäumt aufzuzeigen, dass eine entsprechende Störung tatsächlich eingetreten wäre. Dessen hätte es bedurft, da die Darlegung der bloßen Möglichkeit einer Störung eine verhaltensbedingte Kündigung nicht zu rechtfertigen vermag (vgl. BAG 12. Mai 2011 - 2 AZR 479/09 - Rn. 71 mwN, AP BGB § 123 Nr. 69 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10). Soweit die Beklagte demgegenüber geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe Vorbringen übergangen, zeigt sie nicht auf, wo genau sie welchen entscheidungserheblichen Vortrag zu einer konkreten Störung des Betriebsfriedens geleistet haben will. Soweit sie einen richterlichen Hinweis vermisst, fehlt es an der Darlegung, was sie hierauf Entscheidungserhebliches vorgetragen hätte. Schon aus diesen Gründen bleiben ihre Verfahrensrügen erfolglos.

46

(4) Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die in der Personalakte verbliebene Abmahnung aus dem Jahr 2009 hatte - soweit ersichtlich - ein verspätetes Erscheinen der Klägerin zu einem Personalgespräch zum Gegenstand.

47

(5) Erweist sich die Kündigung wegen Fehlens einer Abmahnung als unverhältnismäßig, kann offenbleiben, ob die Beklagte vorrangig auch eine Versetzung der Klägerin hätte in Betracht ziehen müssen, wie das Landesarbeitsgericht gemeint hat. Einer Auseinandersetzung mit den hiergegen gerichteten Revisionsrügen bedarf es nicht.

48

II. Die hilfsweise zum 31. März 2011 erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gleichfalls unwirksam. Auch insoweit fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB iVm. § 17 Ziff. 3 Abs. 1 MTV. Das Landesarbeitsgericht geht fehlerfrei davon aus, dass es dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, die Klägerin vor Ausspruch einer Kündigung abzumahnen. Ohne eine solche Warnung war es der Beklagten nicht - weder bis zum Ablauf einer (fiktiven) ordentlichen Kündigungsfrist noch auf Dauer - unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit ihr fortzusetzen. Schon aus diesem Grund kann auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist keinen Bestand haben (zur Problematik: vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 18, 20, NZA 2013, 224).

49

III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Berger    

        

    Rinck    

        

    Rachor    

        

        

        

    Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 10. Dezember 2008 - 3 Sa 781/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch um einen von der Beklagten gestellten Auflösungsantrag. Dabei steht die Frage im Vordergrund, inwieweit als Auflösungsgrund zu Lasten des Klägers das Prozessverhalten seines Anwalts berücksichtigt werden darf.

2

Der Kläger ist seit dem Jahre 1997 bei der Beklagten mit einer durchschnittlichen Monatsvergütung von zuletzt 4.800,00 Euro brutto beschäftigt. Nach mehreren Änderungen der vertraglichen Aufgabenstellung, die seit dem Jahre 2003 auch zu arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen ua. über die Rechtswirksamkeit von Versetzungen führten, war der Kläger seit Mitte Juni 2006 als „Leiter internes Help Desk“ tätig.

3

Mit Schreiben vom 22. August 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 31. Dezember 2007 und stellte den Kläger zeitgleich unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeit frei.

4

Das Arbeitsgericht hat der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte hilfsweise beantragt,

        

das Arbeitsverhältnis durch Urteil des Gerichts gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen.

5

Diesen Antrag hat sie damit begründet, der Kläger habe ihr fortwährend zu Unrecht rechtswidriges und gesetzwidriges Verhalten unterstellt. Seinem früheren Vorgesetzten habe er unterstellt, dieser werde im Prozess die Unwahrheit sagen, nur um seine Kündigung zu erreichen. Der Kläger habe unter anderem behauptet, sie habe seine „Degradierung“ betrieben, ihn in ein „Sterbezimmer“ versetzt, versucht ihn mit „Kettenversetzungen“ „mürbe zu machen“ und insgesamt ein typisches Muster des „Weichkochens“ mit ihm betrieben. Alles gipfele in der vom Klägervertreter selbst als solche bezeichneten „rhetorischen“ Frage, „ob überhaupt irgend ein Vortrag der Beklagten der Wahrheit entspreche“. Schließlich habe der Kläger durch seinen Anwalt aus dem erstinstanzlichen Urteil eine Zwangsvollstreckung mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung betrieben, ohne dass ein derartiger Anspruch tituliert gewesen sei.

6

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen. Gründe für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses lägen nicht vor. Sein prozessualer Vortrag sei aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Einzelne, von der Beklagten gerügte Formulierungen seien der besonderen Emotionalität geschuldet, mit der der Rechtsstreit von beiden Seiten geführt werde, und müssten daher auch unter diesem Gesichtspunkt gewürdigt werden.

7

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten einschließlich des Auflösungsantrags zurückgewiesen. Mit der vom Senat für den Auflösungsantrag zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte diesen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung steht zwar mit § 9 KSchG nicht in vollem Einklang. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht den Auflösungsantrag nicht zurückweisen (I.). Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich aber auch bei Beachtung der vom Senat in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätze als richtig (II.).

9

I. Ein Auflösungsgrund für den Arbeitgeber nach § 9 KSchG kann auch in einem Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers liegen, das letzterer nicht veranlasst hat.

10

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Die nach Auffassung des Arbeitgebers maßgeblichen Gründe sind von ihm im Prozess vorzutragen und - falls bestritten - zu beweisen. Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses kommt nach der Konzeption des Gesetzes nur ausnahmsweise in Betracht. Dass allerdings auch die während des Kündigungsschutzprozesses auftretenden Spannungen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen können, ist dem Gesetz nicht fremd (Senat 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

11

a) Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage beim Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz beim Arbeitgeber die Besorgnis aufkommen lassen kann, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Als Auflösungsgrund geeignet sind danach etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen. Auch das Verhalten eines Prozessbevollmächtigten des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bedingen. Dies gilt für vom Arbeitnehmer nicht veranlasste Erklärungen des Prozessbevollmächtigten jedenfalls dann, wenn er sich diese zu eigen macht und sich auch nachträglich nicht von ihnen distanziert (Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - mwN; 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

12

b) Zu berücksichtigen ist allerdings, dass gerade Erklärungen im laufenden Kündigungsschutzverfahren durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können. So hat der Senat etwa die schriftsätzliche Äußerung eines Klägers, ihm sei „ganz erhebliches Unrecht geschehen durch eine als betriebsbedingt vorgeschobene Kündigung“, als regelmäßig durch berechtigte Interessen des Arbeitnehmers gedeckt angesehen (vgl. Senat 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 -; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 31 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

13

2. An diesen Vorgaben gemessen trägt die vom Landesarbeitsgericht gegebene Begründung nicht das von ihm gefundene Ergebnis.

14

a) Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, den vom Prozessbevollmächtigten des Klägers unternommenen Zwangsvollstreckungsversuch als „rein prozessuales Verhalten“ des Anwalts dem Kläger von vornherein nicht zurechnen zu dürfen. Diese Begründung beachtet nicht ausreichend, dass nach der Rechtsprechung des Senats auch prozessuales Verhalten seines Anwalts dem Arbeitnehmer im Rahmen des § 9 KSchG zugerechnet werden kann. Vom Prozessverhalten ein „rein prozessuales“ Verhalten des Bevollmächtigten abzuschichten, ist nicht gerechtfertigt. Es mag zwar prozessuale Bereiche geben, deren Funktionsweise der juristische Laie schwer nachvollziehen kann. Indes zeigt § 85 Abs. 2 ZPO, dass eine Aufteilung des Prozessrechts in solche Gebiete, für die eine Zurechnung des anwaltlichen Handelns geboten ist, und solche, für die eine Zurechnung zu unterbleiben hat, nicht mit der Vorstellung des Gesetzgebers übereinstimmt.

15

b) Was die Prozessführung im Übrigen betrifft, hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die Emotionalisierung des Klägers sei möglicherweise auf seinen Prozessbevollmächtigten „übergesprungen“ und dafür könne der Kläger nicht verantwortlich gemacht werden. Da es auf die objektive Lage ankommt, berechtigt jedoch auch eine besondere Gefühlslage des Prozessbevollmächtigten nicht dazu, die Zurechnung seiner etwaigen verbalen Entgleisungen im Rahmen von § 9 KSchG von vornherein auszuschließen.

16

c) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine längere Betriebszugehörigkeit falle bei der Gewichtung des Auflösungsgrundes ohne Weiteres in die Waagschale, ist unzutreffend. Die Frage der Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist zukunftsbezogen zu beantworten. Das schließt es aus, der Betriebszugehörigkeit als solcher ohne nähere Betrachtung der mit ihr verbundenen Einschätzungen des künftigen betriebsdienlichen Zusammenwirkens Bedeutung beizumessen.

17

II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich aus anderen Gründen dennoch als richtig. Der Auflösungsantrag ist unbegründet. Tatsachen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten ließen, liegen nicht vor.

18

1. Der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers angestrengte Vollstreckungsversuch kommt als Auflösungsgrund nicht in Betracht. Der Kläger hatte in erster Instanz keinen Beschäftigungsantrag gestellt. Folglich enthielt das Urteil des Arbeitsgerichts keinen Beschäftigungstitel. Der Versuch, einen nicht vorhandenen Titel - unter Vorlage des Urteils, aus dem sich dessen Fehlen ergab - zu vollstrecken, war daher von Anfang an und offensichtlich zum Scheitern verurteilt. Er konnte die Beklagte nicht im Ernst berühren, sondern allenfalls dem Kläger finanziellen Schaden und seinem Prozessbevollmächtigten eine Beeinträchtigung seines juristischen Rufs eintragen. Irgendeinen Rückschluss auf eine zu erwartende Störung des Leistungsaustauschs im Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien lässt diese anwaltliche Fehlleistung nicht zu. Zu einer solchen Störung der Zusammenarbeit hat die Beklagte auch nichts vorgetragen.

19

2. Die übrigen von der Beklagten benannten Tatsachen scheiden schon deshalb als Auflösungsgründe aus, weil es sich insoweit um Prozessvortrag handelt, der durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt ist. Die Formulierungen des Klägervertreters sind zwar an einigen Stellen zugespitzt und weisen einen beißenden und scharfen Ton auf. Sie stehen aber stets in einem sachlich nachvollziehbaren Bezug zu den maßgeblichen rechtlichen Fragen und übertreten weder im Inhalt noch in der Form die Grenze zu persönlicher Schmähung, Gehässigkeit oder Lüge.

20

a) Zu beachten ist, dass der vorliegende Prozess vor dem Hintergrund einer bei Kündigung schon seit etwa vier Jahren auch gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzung (drei Versetzungen, vier Abmahnungen) um das Arbeitsverhältnis geführt wurde. Dabei hatte eine Kammer des Arbeitsgerichts bereits im Rechtsstreit über die erste Versetzung die Einschätzung geäußert, der Kläger solle offenbar von der Beklagten „weichgekocht“ werden. Diesen Ausdruck hat der Klägervertreter in seinem Schriftsatz vom 31. Januar 2008 in Anführungszeichen zitiert. Er hat ihn jedenfalls auf den ersten Blick dadurch als plausibel erscheinen lassen, dass er vortrug, der Kläger sei mit der damals streitigen Versetzung vom Abteilungsleiter zum Sachbearbeiter degradiert und in ein Praktikantenbüro umgesetzt worden. Der Klägervertreter hat dieses sodann als öffentliches „Sterbezimmer“ apostrophiert. Diese Ausdrucksweise ist zwar bildhaft und polemisch, aber weder beleidigend noch ungehörig. Vor dem Hintergrund des Eindrucks, der sich dem Bevollmächtigten durch die Vorgehensweise der Beklagten offenbar aufdrängte, überschreitet sie nicht die Grenzen erlaubter Härte. Sowohl die Ausdrücke „weichkochen“ und „Sterbezimmer“ als auch der Ausdruck „mürbe machen“ sind erkennbar nicht wörtlich gemeinte, sondern bildhafte, umgangssprachlich geläufige Wendungen, mit denen dem Arbeitgeber anschaulich eine gewisse Unnachgiebigkeit bei der Verfolgung seines Ziels zugeschrieben wird. Dabei geht es hier nicht darum, ob die geäußerten Einschätzungen zutreffen, sondern allein, ob sie geäußert werden durften.

21

b) Soweit der Klägervertreter den Wahrheitsgehalt des Vorbringens der Beklagten angezweifelt hat, ist dies - abgesehen davon, dass auch die Beklagte dem Kläger wiederholt unwahren Vortrag vorhielt - nicht zu beanstanden. Er hat sich dabei in den Grenzen des § 138 ZPO gehalten. Der Bevollmächtigte durfte auch die - dem Kläger nicht aus eigener Beobachtung bekannten - Behauptungen der Beklagten zum Zustandekommen der unternehmerischen Entscheidung in Zweifel ziehen. Solche Zweifel lagen aus seiner Sicht deshalb besonders nahe, weil die Beklagte den Kläger erst im Frühjahr 2006 auf eben die Stelle versetzt hatte, deren Wegfall sie kurze Zeit später, nämlich im Herbst 2006 zunächst einleitete, dann aber bis Mitte 2007 verschob. In diesem Zusammenhang und unter dem Eindruck der seit 2003 andauernden zähen Auseinandersetzungen ist es dem Klägervertreter nicht vorzuwerfen, dass er die - bei betriebsbedingten Kündigungen vom Arbeitnehmer zu begründende - Möglichkeit des Missbrauchs der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit ansprach. Dazu mag er sich aus anwaltlicher Vorsorge sogar gehalten gesehen haben. In ähnlicher Weise durfte der Klägervertreter auch Zweifel des Gerichts an der von der Beklagten behaupteten Möglichkeit wecken oder bereits geweckte Zweifel wach halten, der betreffende Kollege sei in der Lage, die vorher vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in dem von der Beklagten behaupteten Umfang alleine zu verrichten.

22

c) Entgegen der Darstellung der Beklagten hat der Kläger weder ihr noch den von ihr benannten Zeugen unterstellt, sie hätten die Absicht zu „lügen“. Er hat - bezogen auf einzelne Personen - lediglich in freilich süffisanten Wendungen darauf hingewiesen, dass sie - gleichsam im Lager der Beklagten stehend - an deren Auseinandersetzungen mit dem Kläger beteiligt seien. Dies ist ein möglicherweise unhöflicher, aber doch nicht verleumderischer oder ehrabschneidender Hinweis an das Gericht, im Falle einer Beweisaufnahme Bedacht auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu nehmen.

23

d) Ebenso fügt sich in das Bild eines von Seiten des Klägervertreters zwar hart, aber nicht ungehörig geführten Rechtsstreits die von ihm selbst als rhetorisch apostrophierte und erkennbar nicht ernst gemeinte Formulierung, es frage sich, ob überhaupt etwas Wahres am Vortrag der Beklagten sei.

24

e) Alle diese Umstände lassen keine negativen Rückschlüsse auf das Arbeitsverhältnis und gedeihliche Zusammenwirken der Parteien zu. Die Beklagte hat nicht einmal ansatzweise dargelegt, inwiefern sich die Prozessführung, soweit sie sie beanstandet hat, auf den Leistungsaustausch im Arbeitsverhältnis negativ auswirken soll. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers setzt die Prognose einer schweren Beeinträchtigung des Austauschverhältnisses voraus (Senat 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 20, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Davon kann hier nach dem Vortrag der Beklagten und den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Rede sein. Störungen des erforderlichen Vertrauens, die der weiteren wechselseitigen Erfüllung der Vertragspflichten und dem Zusammenwirken zum Wohl des Betriebs entgegenstünden, sind nicht ersichtlich; zumindest haben sie sich nicht in greifbaren Tatsachen niedergeschlagen.

25

III. Die Kosten ihrer erfolglosen Revision fallen nach § 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten zur Last.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. November 2012 - 8 Sa 627/12 - aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 3. Juli 2012 - 31 Ca 13956/11 - wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen den Feststellungsausspruch richtet.

3. Im Übrigen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte, ein US-amerikanisches Unternehmen, produziert und vertreibt medizinische Produkte. Sie hat in Deutschland eine Niederlassung mit ca. 130 Arbeitnehmern. Die 1968 geborene Klägerin trat im Januar 2005 in ihre Dienste. Seit November 2009 war die Klägerin als „Direct Marketing Supervisor“ tätig. In dieser Funktion leitete sie ein Team von acht Mitarbeitern. Ihre Arbeitsaufgaben ergaben sich aus einer „Stellen-/Positionsbeschreibung“ und aus jährlich getroffenen Zielvereinbarungen.

3

In der Zeit von Ende August bis Mitte Oktober 2011 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Am 8. September 2011 beantragte sie beim Versorgungsamt ihre Anerkennung als schwerbehinderter Mensch. Kurz darauf unterrichtete sie davon die Beklagte. Am 17. Oktober 2011 - dem Tag der Wiederaufnahme ihrer Arbeit - wurde ihr in einem Personalgespräch eröffnet, sie sei bis auf Weiteres gegenüber den Mitarbeitern ihres Teams nicht mehr weisungsberechtigt. Außerdem wurde ihr - anders als zuvor - ein Einzelbüro zugewiesen. Am 19., 20. und am 25. Oktober 2011 arbeitete sie auf Weisung der Beklagten eine Kollegin in das „Reporting“ über „Direktmarketing(DM)-Aktivitäten“ ein.

4

Am 28. Oktober 2011 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht, die Beklagte im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, sie als „Direct Marketing Supervisor“ einzusetzen und tätig werden zu lassen. Hilfsweise begehrte sie die Zuweisung von Tätigkeiten, die in ihrer Wertigkeit dieser Position entsprächen. Dem Gesuch fügte sie - neben ihrem Arbeitsvertrag und der „Stellen-/Positionsbeschreibung“ - eine eidesstattliche Versicherung vom 27. Oktober 2011 bei. Darin heißt es:

        

„In Kenntnis und im Bewusstsein der Tatsache, dass die vorsätzliche und fahrlässige Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und diese eidesstattliche Versicherung Behörden und Gerichten vorgelegt wird, versichere ich […]:

        

…       

        

Am 17.10.2011 fand ein Gespräch zwischen der Geschäftsleitung, der Personalleitung und mir statt, in welchem mir durch den Managing Director / Country Manager Herrn Dr. […] mitgeteilt wurde, dass mir die Teamleitung entzogen und ich in ein Einzelbüro versetzt werde. Am Abend dieses Tages erhielt ich per E-Mail die Anordnung von Herrn Dr. […], dass ich mich ab sofort morgens und abends an der Rezeption an- und abzumelden habe. Bei [der Beklagten] gibt es kein Zeiterfassungssystem. …

        

Am 19., 20. und 25.10.2011 musste ich meine Mitarbeiterin […] in meine bisherigen Tätigkeiten einarbeiten. Am 21.10.2011 habe ich die offizielle Anordnung erhalten, ab sofort direkt an Herrn Dr. […] zu berichten. Gleichzeitig wurde mir mitgeteilt, dass das Direct-Marketing Team ab sofort bis auf weiteres von Frau […] geleitet wird. …

        

Faktisch werden mir seit dem 17.10.2011 keine Aufgaben mehr übertragen. Vielmehr wurden mir sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen. Ich sitze in einem „leeren Büro“ und darf keinen Kontakt zu meinen Mitarbeitern und Kollegen haben und ihnen keine Weisungen mehr erteilen.“

5

Am 4. November 2011 schlossen die Parteien zur Beendigung des Verfahrens einen gerichtlichen Vergleich. Die Beklagte verpflichtete sich, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß der Stellenbeschreibung mit der Einschränkung zu beschäftigen, dass es beim Entzug der Weisungsberechtigung verbleibe. Diese Abrede sollte längstens bis zum 15. Dezember 2011 gelten.

6

Mit Schreiben vom 30. November 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Januar 2012. Sie hielt der Klägerin vor, bei Gericht eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Dagegen erhob die Klägerin fristgerecht die vorliegende Klage.

7

Mit Bescheid vom 17. Juli 2012 stellte das Versorgungsamt bei der Klägerin eine Behinderung mit einem Grad von 30 fest. Am 26. Juli 2012 beantragte diese bei der Bundesagentur für Arbeit ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen. Mit Bescheid vom 18. September 2012 sicherte die Bundesagentur die Gleichstellung für den Fall zu, dass im Zuge ihrer Vermittlungsbemühungen oder eigener Bemühungen der Klägerin um einen Arbeitsplatz ein Arbeitgeber die Einstellung vom Vorliegen einer Schwerbehinderung abhängig machen sollte.

8

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei schon deshalb unwirksam, weil die Beklagte - unstreitig - eine Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt habe. Jedenfalls sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Vorwurf, sie habe ihre Vertragspflichten durch ihre eidesstattliche Erklärung verletzt, sei unberechtigt. Sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen Perspektive zutreffend dargestellt. Mit dem Ausdruck „leeres Büro“ habe sie - erkennbar - ein „menschen- und aufgabenleeres Büro“ gemeint. Die einer Kollegin übertragene Aufgabe des „Reporting“ über „DM-Aktivitäten“ habe neben der Personalführung den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ausgemacht. Die betreffenden Anordnungen habe sie deshalb als den Entzug sämtlicher Aufgaben empfunden. Konkrete Arbeitsanweisungen seien ihr in der fraglichen Zeit nicht erteilt worden. Der Auswertung von Patientendatenbanken habe sie sich nur gewidmet, um nicht mit dem Vorwurf einer Arbeitsverweigerung konfrontiert zu werden. Sie sei vom innerbetrieblichen E-Mail-Verkehr abgeschnitten gewesen. Auch sonstige Post habe sie nicht mehr erreicht. Sie sei nicht zu „DM-Konferenzen“ eingeladen worden, auch nicht zur Weihnachtsfeier oder anderen Treffen im Kollegenkreis. Mit ihr sei kaum mehr gesprochen worden. Sie habe davon ausgehen müssen, dies gehe auf die Beklagte zurück, nachdem diese sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt darum gebeten habe, mit einer Kollegin während schwebender Auseinandersetzungen keinen Umgang zu pflegen.

9

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 30. November 2011 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Bedingungen als „Direct Marketing Supervisor“ weiter zu beschäftigen.

10

Die Beklagte hat zuletzt beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise,

        

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, die 15.000,00 Euro brutto nicht überschreiten möge, zum 31. Januar 2012 aufzulösen.

11

Die Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt. Diese habe in dem vorausgegangenen Verfahren vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben. Das „Reporting“ und die Anleitung des nachgeordneten Bereichs hätten nur einen Teil ihrer Tätigkeiten ausgemacht. Alle sonstigen in der Stellenbeschreibung genannten Aufgaben aus dem Bereich „Daily business tasks DM Team“ seien der Klägerin - bis auf die Teilnahme an Messen und Kongressen - geblieben. Die Behauptungen, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Aufgaben einarbeiten [müssen]“ und ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen [worden]“, seien deshalb objektiv falsch. Ebenso falsch sei die mit dem Hinweis auf ein „leeres Büro“ verbundene Behauptung, untätig zu sein. Die Klägerin habe sich mit der Auswertung von Patientendatenbanken einer ihr originär übertragenen Arbeitsaufgabe gewidmet. Das ihr zugewiesene Büro sei voll ausgestattet gewesen. Die räumliche Veränderung sei ausschließlich durch den Wechsel von Mitarbeitern einer Schwesterfirma zu ihr - der Beklagten - bedingt gewesen. Es habe auch kein Verbot bestanden, mit Arbeitskollegen Kontakt zu pflegen. Soweit sich die Klägerin auf gegenteilige subjektive Einschätzungen berufe, handele es sich um Schutzbehauptungen. Einer Abmahnung habe es nicht bedurft. Die Klägerin habe versucht, durch eine verzerrende Darstellung der betrieblichen Verhältnisse einen Prozesserfolg zu ihrem - der Beklagten - Nachteil zu erzielen.

12

Zumindest sei der Auflösungsantrag begründet. Eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit mit der Klägerin sei nicht mehr zu erwarten. Man führe mittlerweile mehrere Rechtsstreitigkeiten gegeneinander, in denen die Klägerin bewusst falsche Tatsachenbehauptungen aufgestellt habe. Ihr fehle zudem die Bereitschaft, ihre neue Vorgesetzte zu akzeptieren.

13

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

14

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben; ihren Auflösungsantrag hatte die Beklagte erstinstanzlich noch nicht gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin auch mit Blick auf den Auflösungsantrag die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und im Umfang des Feststellungsbegehrens zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 563 Abs. 3 ZPO). Im Übrigen war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

16

A. Die Revision ist zulässig. Dass sie vor Zustellung des Berufungsurteils eingelegt wurde, ist unerheblich. Es genügt, dass im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung - wie hier - die angefochtene Entscheidung bereits verkündet war (vgl. BAG 26. Juli 2012 - 6 AZR 52/11 - Rn. 18 mwN). Die Revisionsbegründungsfrist (§ 74 Abs. 1 Satz 1 bis 3 ArbGG) ist gewahrt.

17

B. Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Kündigung vom 30. November 2011 ist unwirksam (I.). Ob der damit zur Entscheidung angefallene Auflösungsantrag der Beklagten begründet ist, steht noch nicht fest (II.). Der insoweit gebotenen Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung (III.).

18

I. Die Kündigung ist unwirksam. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin bedingt und deshalb sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).

19

1. Eine Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 13; 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - Rn. 20 mwN).

20

2. Gibt der Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit dem Arbeitgeber vorsätzlich eine falsche eidesstattliche Versicherung ab, kann dies die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - womöglich gar die außerordentliche - rechtfertigen (st. Rspr., BAG 24. November 2005 - 2 ABR 55/04 - Rn. 23; 20. November 1987 - 2 AZR 266/87 - zu II 2 a der Gründe mwN). Ein solches Verhalten stellt - unabhängig von seiner Strafbarkeit - eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Nebenpflicht dar, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie in zumutbarem Umfang zu wahren. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Gerichtsverfahren mit dem Arbeitgeber leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellt, deren Unhaltbarkeit auf der Hand liegt (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22).

21

3. Ein Arbeitnehmer kann sich für falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Unrichtige Angaben sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Anderes gilt für Äußerungen, die ein Werturteil enthalten. Sie können zum einen - ebenso wie rechtliche Schlussfolgerungen oder die Wiedergabe subjektiver Einschätzungen - nicht tauglicher Gegenstand einer eidesstattlichen Versicherung sein (vgl. MünchKommStGB/Müller 2. Aufl. § 156 Rn. 60). Im Zivilprozess können lediglich tatsächliche Behauptungen durch Versicherung an Eides statt glaubhaft gemacht werden (§ 294 Abs. 1 ZPO). Werturteile fallen zum anderen in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21).

22

4. Eine Tatsachenbehauptung zeichnet sich dadurch aus, dass die Erklärung einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 35; BGH 22. Februar 2011 - VI ZR 120/10 - Rn. 22; jeweils mwN). Falsch ist eine Behauptung, wenn sie im Hinblick auf ihren Gegenstand der Wahrheit nicht entspricht, also die Wirklichkeit unzutreffend wiedergibt. Das ist der Fall, wenn der Inhalt der Aussage mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Auch das Verschweigen von Tatsachen macht eine Behauptung falsch, wenn die spezifische Unvollständigkeit nicht offenbart, sondern die Aussage als vollständige ausgegeben wird und dadurch ihr Gegenstand in einem falschen Licht erscheint (BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 a der Gründe mwN; Cramer Jura 1998, 337). Dabei ist freilich zu berücksichtigen, dass jede Äußerung in ihrem Kontext zu sehen ist und nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden darf (BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 40; BGH 26. Oktober 1999 - VI ZR 322/98 - zu II 2 der Gründe). Das gilt auch im Rahmen der Beurteilung, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil anzusehen ist (vgl. BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - aaO). Die jeweilige Einstufung durch das Berufungsgericht unterliegt der uneingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle (vgl. BGH 16. November 2004 - VI ZR 298/03 - zu II 2 a aa der Gründe; zum Fehlen einer Bindung an die Feststellungen der Tatsachengerichte siehe auch BVerfG 19. April 1990 - 1 BvR 40/86, 1 BvR 42/86 - zu B II 1 der Gründe, BVerfGE 82, 43).

23

5. Danach war eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien nicht gerechtfertigt.

24

a) Die Beklagte stützt ihre Kündigung auf die eidesstattliche Versicherung der Klägerin vom 27. Oktober 2011. Diese scheidet nicht deshalb als Kündigungsgrund aus, weil sich die Parteien in dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf einen Vergleich verständigt haben. Dadurch hat die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht, sie werde aus dem vorausgegangenen Verhalten der Klägerin keine nachteiligen Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses mehr ableiten. Mit der Kündigung hat sich die Beklagte auch nicht in einen nach § 242 BGB beachtlichen Widerspruch zu den materiellen Regelungen des Vergleichs gesetzt. Die Verständigung über die Modalitäten einer Beschäftigung der Klägerin bezieht sich auf das ungekündigte Arbeitsverhältnis. Die Regelungen sollten überdies allenfalls bis zum 15. Dezember 2011 gelten und hatten dementsprechend nur vorläufigen Charakter. Jedenfalls an einer ordentlichen, für einen späteren Zeitpunkt erklärten Kündigung war die Beklagte aufgrund des Vergleichs nicht gehindert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

25

b) Nicht frei von Rechtsfehlern ist seine Würdigung, die eidesstattliche Erklärung enthalte in allen beanstandeten Punkten falsche Tatsachenbehauptungen.

26

aa) Bei der Äußerung der Klägerin, sie habe eine Kollegin in „ihre bisherigen Tätigkeiten“ einarbeiten müssen, mag es sich zwar um eine Tatsachenbehauptung handeln. Diese ist aber nicht deshalb objektiv falsch, weil die Klägerin ihre Kollegin - unstreitig - lediglich in die „Patientenselektion der Datenbank“ und das monatliche Berichtswesen, demnach nur in einem Teil ihrer Arbeitsaufgaben einweisen musste. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe in ihrer Versicherung - fälschlich - zum Ausdruck gebracht, sie habe die Kollegin in sämtliche ihrer Tätigkeiten einarbeiten müssen, übersieht es, dass die beanstandete Aussage einen solchen Sinn schon dem Wortlaut nach nicht enthält.

27

bb) Ein solches Verständnis ist nicht deshalb geboten, weil die Klägerin im letzten Absatz ihrer Versicherung angegeben hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben und Verantwortung entzogen worden“. Die Äußerung schließt sich unmittelbar an die Behauptung an, ihr seien seit dem 17. Oktober 2011 „faktisch“ keine Aufgaben mehr übertragen worden. Das lässt zum einen die Interpretation zu, dass sie mit der beanstandeten Aussage - erneut - nur auf das Fehlen konkreter Arbeitsaufgaben hat hinweisen wollen. Der aufgezeigte Kontext spricht zum anderen - ausgehend vom verständigen Empfängerhorizont - dafür, dass die Klägerin mit ihrer Aussage einen wertenden, von ihrem subjektiven Dafürhalten und Meinen geprägten Schluss hat ziehen wollen, der auf dem Ausbleiben von Aufgabenzuweisungen beruhte. Darauf, ob diese Wertung objektiv vertretbar war, kommt es nicht an. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wird dadurch die Äußerung nicht zu einer reinen Tatsachenbehauptung.

28

cc) Ob es sich bei den Ausführungen zum „faktischen“ Fehlen einer Aufgabenübertragung um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, kann dahinstehen. Die Beklagte hat für den erstgenannten Fall nicht dargetan, die Aussage sei erweislich falsch. Sie hat lediglich auf die Stellenbeschreibung und der Klägerin darin übertragene Arbeitsaufgaben verwiesen. Darauf kommt es ebenso wenig an wie auf die zwischen den Parteien umstrittene Frage, ob zu diesen der Klägerin allgemein übertragenen Tätigkeiten die Auswertung von Patientendatenbanken zählte. Die fragliche Äußerung in der eidesstattlichen Versicherung hebt erkennbar auf das - unstreitige - Ausbleiben einer Zuweisung spezifischer zu erledigender Arbeiten in der Zeit nach dem 17. Oktober 2011 ab.

29

dd) Soweit die Klägerin versichert hat, sie sitze in einem „leeren Büro“, sprechen schon die von ihr gesetzten Anführungszeichen deutlich dafür, dass es sich insoweit um eine Wertung und nicht um eine Tatsachenbehauptung handelt. Umstände, die einem solchen Verständnis widersprechen, sind nicht ersichtlich. Die beanstandete Aussage kann nicht tauglicher Inhalt einer eidesstattlichen Versicherung sein. Das gilt unabhängig davon, ob die Äußerung sich auf die technische Ausstattung des Büros oder darauf bezog, dieses sei „leer“ an Aufgaben und anderen Menschen.

30

ee) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin habe mit der Äußerung, sie „dürfe“ keinen Kontakt zu Mitarbeitern und Kollegen haben, objektiv und wahrheitswidrig behauptet, die Beklagte habe ihr gegenüber ein entsprechendes Verbot ausgesprochen, liegt fern. Zwar schließt der Wortlaut der Erklärung eine solche Deutung nicht gänzlich aus. Sie kann aber ebenso gut als wertende Beschreibung eines tatsächlichen Zustands verstanden werden. Im Ergebnis liegt ein solches Verständnis näher. Zum einen schließt sich die Aussage unmittelbar an die Ausführungen zur „Leere“ des zugewiesenen Büros an. Zum anderen hat die Klägerin, wenn sie bestimmte konkrete Anordnungen und Weisungen seitens der Beklagten behauptet hat, dies jedes Mal - insbesondere durch zeitliche Eingrenzung - eigens deutlich gemacht.

31

c) Die Kündigung ist selbst dann nicht durch Gründe iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bedingt, wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, jedenfalls die Äußerung der Klägerin, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, stelle eine unzutreffende, die wahren Gegebenheiten verzerrende Tatsachenbehauptung dar. Die im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen tragen nicht das Ergebnis, die Klägerin habe insoweit vorsätzlich falsche Angaben gemacht.

32

aa) Vorsatz besteht im Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Bedingter Vorsatz reicht dafür aus (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 22; 28. April 2011 - 8 AZR 769/09 - Rn. 50; für den Anwendungsbereich von § 156 StGB vgl. Fischer StGB 61. Aufl. § 156 Rn. 17; MünchKommStGB/Müller § 156 Rn. 79). Der an Eides statt Erklärende muss demnach wissen, welche Tatsachen seine Erklärungspflicht begründen. Er muss zudem die Unrichtigkeit seiner Behauptungen erkennen und deren Unwahrheit in seinen Erklärungswillen aufnehmen. Er muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - aaO).

33

bb) Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich oder fahrlässig liegt im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Sie ist Gegenstand der tatrichterlichen Würdigung iSv. § 286 ZPO. Das Revisionsgericht kann die Feststellung innerer Tatsachen nur daraufhin prüfen, ob das Tatsachengericht von den richtigen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und keine Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verletzt hat (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 24; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 16).

34

cc) Die angefochtene Entscheidung hält auch dieser eingeschränkten Überprüfung nicht stand.

35

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe die Unwahrheit ihrer Aussage erkannt und in ihren Willen aufgenommen. Die behaupteten Umstände seien Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen und es gebe keine Anhaltspunkte für die Annahme, sie habe bei der Abfassung der eidesstattlichen Erklärung nicht genügend Sorgfalt walten lassen.

36

(2) Diese Beurteilung lässt außer Acht, dass der Klägerin mit ihren Weisungsbefugnissen und dem Berichtswesen wesentliche, für ihre Leitungstätigkeit charakteristische Aufgaben entzogen worden waren. Unabhängig vom zeitlichen Umfang dieser Tätigkeiten ist es nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin in ihnen subjektiv den Kern ihrer Tätigkeit erblickt hat. Da ihr nach dem 17. Oktober 2011 bis auf die Einarbeitung einer Kollegin keine anderen konkrete Arbeitsanweisungen mehr erteilt worden waren, mag bei ihr durchaus der Eindruck entstanden sein, sie habe „nichts mehr zu tun“ und dies sei auch so gewollt. Dem steht die Aufgabe, Patientendaten auszuwerten, nicht zwingend entgegen. Die Klägerin rechnete diese Tätigkeit nicht zu ihrem originären Zuständigkeitsbereich. Selbst wenn sie insoweit geirrt haben sollte, bedeutet dies nicht, es könne sich bei ihrer Einlassung, sie habe den Sachverhalt aus ihrer damaligen subjektiven Sicht zutreffend geschildert, nur um eine Schutzbehauptung handeln.

37

(3) Unabhängig davon liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, die Klägerin habe gemeint, die ihr angelasteten Übertreibungen seien erforderlich gewesen, um das angestrebte Verfahrensziel - eine tatsächliche Beschäftigung als „Direct Marketing Supervisor“ - zu erreichen. Als wesentlichen Kern ihrer Leitungstätigkeit hat sie die ihr entzogenen Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern und das monatliche Reporting über „DM-Aktivitäten“ angesehen. Ob dies ausgereicht hätte, den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch vor Gericht durchzusetzen, kann dahinstehen. Jedenfalls muss die Klägerin nicht etwa notwendig davon ausgegangen sein, sie habe auf die Rechtssache durch die Behauptung, ihr seien „sämtliche“ Aufgaben entzogen worden, ein völlig falsches Licht geworfen.

38

d) Der Senat konnte über den Kündigungsschutzantrag selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Eine weitere Sachaufklärung wäre auch nach einer Zurückverweisung nicht zu erwarten. Gegen die Klägerin kann allenfalls der Vorwurf erhoben werden, sie habe die eidesstattliche Erklärung nicht vorsichtig genug formuliert und habe in Teilen leichtfertig falsche Angaben gemacht. Angesichts dessen ist die Kündigung unverhältnismäßig. Als Mittel zur Herbeiführung künftiger Vertragstreue hätte eine Abmahnung ausgereicht.

39

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 994/12 - Rn. 21; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

40

bb) Im Streitfall wiegt das Verhalten der Klägerin nicht so schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Zwar mag die Klägerin einer Fehlvorstellung Vorschub geleistet haben, soweit sie behauptet und durch ihre eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht hat, ihr seien „sämtliche Aufgaben entzogen [worden]“. Auch mag das dieser Äußerung innewohnende überschießende Element für sie leicht erkennbar gewesen sein. Ihr kann aber mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht unterstellt werden, sie habe durch eine verzerrende Darstellung den Ausgang des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidend zu ihren Gunsten beeinflussen wollen. Auch hatte sie ihrem Antrag eine Stellenbeschreibung beigefügt, aus der sich der Umfang der ihr obliegenden Arbeitsaufgaben ergab. Danach und angesichts ihrer Behauptung, ihr sei mit dem Entzug der Teamleitung gleichzeitig aufgegeben worden, zukünftig unmittelbar an den „Managing Director/Country Manager“ zu berichten - was einer gänzlichen Beschäftigungslosigkeit widersprach - musste ihre Behauptung, ihr seien „sämtliche Aufgaben […] entzogen [worden]“, wenn nicht als substanzlos, so doch als erläuterungsbedürftig erscheinen. Dies hat das Arbeitsgericht, das im Ursprungsverfahren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt hatte, ersichtlich nicht anders bewertet. Überdies war die Klägerin durch den unvermittelten Entzug der Führungsverantwortung emotional stark belastet. Die Beklagte hatte die Maßnahme der Klägerin gegenüber nicht näher begründet. Auch im vorliegenden Rechtsstreit hat sie keine konkreten Vorfälle benannt, die ihr Anlass gegeben hätten, der Klägerin Führungsqualitäten und/oder teamorientiertes Arbeiten abzusprechen. Dies vermag deren hier zu beurteilendes Verhalten zwar nicht gänzlich zu entschuldigen. Es lässt ihr Vorgehen aber in einem milderen Licht erscheinen.

41

cc) Ob die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das maßgeblich auf die Strafbarkeit des in Rede stehenden Verhaltens abgestellt hat, auch deshalb keinen Bestand haben kann, weil das Amtsgericht gegenüber der Klägerin den Erlass eines Strafbefehls wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mittlerweile abgelehnt hat, bedarf keiner Erörterung (zur grundsätzlichen Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, den Sachverhalt selbst aufzuklären vgl. BAG 24. Mai 2012 - 2 AZR 206/11 - Rn. 25 mwN).

42

II. Wegen ihres Unterliegens im Kündigungsrechtsstreit fällt der Hilfsantrag der Beklagten zur Entscheidung an. Dazu war die Sache mangels Entscheidungsreife an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

43

1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist aufgrund des Rechtsmittels der Klägerin in die Revision gelangt, auch wenn das Landesarbeitsgericht über ihn folgerichtig nicht entschieden hat. Einer Anschlussrevision der Beklagten bedurfte es nicht (vgl. BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu A I der Gründe; 20. August 1997 - 2 AZR 620/96 - zu II 4 der Gründe).

44

2. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitgeber berechtigt ist, den Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu stellen, liegen im Streitfall vor. Die Unwirksamkeit der ordentlichen Kündigung vom 30. November 2011 beruht allein auf ihrer Sozialwidrigkeit (zu dieser Voraussetzung BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 19 mwN, BAGE 140, 47). Sie ist - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nach § 85 SGB IX iVm. § 134 BGB unwirksam. Einer Zustimmung des Integrationsamts bedurfte es nicht.

45

a) Die Klägerin ist nicht schwerbehindert iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX. Der Grad ihrer Behinderung beträgt gemäß dem Bescheid des Versorgungsamts vom 17. Juli 2012 lediglich 30.

46

b) Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Kündigung einem schwerbehinderten Menschen nicht gleichgestellt. Eine Gleichstellung ist auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Durch Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 18. September 2012 ist ihr eine Gleichstellung lediglich für den Fall zugesichert worden, dass ein Arbeitgeber ihre Einstellung von einer solchen Gleichstellung abhängig mache. Selbst wenn ein solcher „Zusicherungsbescheid“ (zu den Voraussetzungen vgl. LSG Hessen 11. Juli 2007 - L 7 AL 61/06 -) kündigungsrechtlich wie eine Gleichstellung zu behandeln sein sollte, wirkte er frühestens auf den Tag der Antragstellung - den 26. Juli 2012 - zurück. Vor diesem Zeitpunkt kommt ein Sonderkündigungsschutz der Klägerin nicht in Betracht.

47

aa) Nach § 85 SGB IX iVm. § 68 Abs. 1 und 3, § 2 Abs. 3 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers, der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Gemäß § 68 Abs. 2 SGB IX erfolgt die Gleichstellung eines behinderten Menschen mit schwerbehinderten Menschen auf dessen Antrag durch eine Feststellung nach § 69 SGB IX seitens der Bundesagentur für Arbeit.

48

bb) Die Gleichstellung wird gemäß § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Die behördliche Entscheidung ist für die Rechtsposition des Betroffenen konstitutiv. Im Unterschied zu den kraft Gesetzes geschützten Personen, bei denen durch die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch der gesetzlich bestehende Rechtsschutz nur festgestellt wird, wird der Schutz des Behinderten durch die Gleichstellung erst begründet (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - zu B II 1 a der Gründe). Die Bundesagentur für Arbeit darf die Gleichstellung rückwirkend nicht über den Tag des Eingangs des Antrags hinaus aussprechen (Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen SGB IX 12. Aufl. § 68 Rn. 24). Einer erst nach Zugang der Kündigung beantragten Gleichstellung kommt demzufolge für die Wirksamkeit der Kündigung - selbst bei einem positiven Bescheid - keine Bedeutung zu (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - aaO; 24. November 2005 - 2 AZR 514/04 - aaO).

49

cc) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Gleichstellung erst am 26. Juli 2012 und damit nach Zugang der Kündigung gestellt. Im Verhältnis zur Beklagten ist es unerheblich, ob sie ihn, wäre ihr Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch schneller beschieden worden, schon früher gestellt hätte. Der Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch wiederum enthält - anders als die Klägerin meint - nicht zugleich einen Antrag auf Gleichstellung für den Fall, dass ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 festgestellt werden sollte.

50

(1) Die Klägerin hat nicht behauptet, sie habe schon beim Versorgungsamt einen solchen (Hilfs-)Antrag ausdrücklich angebracht.

51

(2) Ohne entsprechende Erklärung wiederum kann in dem Anerkennungsantrag nicht zugleich ein (vorsorglicher) Antrag auf Gleichstellung erblickt werden. Dies folgt schon daraus, dass für die Anträge unterschiedliche Behörden zuständig sind. Die Entscheidung über die Anerkennung obliegt den zuständigen Versorgungsämtern oder den durch Landesrecht bestimmten Behörden (§ 69 Abs. 1 SGB IX)bzw. den in § 69 Abs. 2 SGB IX genannten Dienststellen. Die Entscheidung über die Gleichstellung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit (§ 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Unabhängig davon sind die Feststellung einer Schwerbehinderung und die Gleichstellung an unterschiedliche rechtliche Voraussetzungen gebunden, die zu unterschiedlichen Prüfungen der jeweils zuständigen Stellen führen. Im Übrigen kann nicht als selbstverständlich unterstellt werden, dass ein behinderter Mensch für den Fall der Erfolglosigkeit eines Anerkennungsantrags seine Gleichstellung beantragen will.

52

(3) Die Trennung der Verfahren erschwert es Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 nicht in unzumutbarer Weise, Sonderkündigungsschutz zu erlangen. Sie können vielmehr beide Verfahren von Beginn an parallel betreiben, insbesondere den Gleichstellungsantrag bei der Bundesanstalt vorsorglich für den Fall stellen, dass der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft wegen eines GdB unter 50 beim Versorgungsamt erfolglos bleiben sollte (Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 11). Auch wenn die Versorgungsämter gehalten sein sollten, auf die Möglichkeit einer vorsorglichen Antragstellung bei der Bundesanstalt hinzuweisen (vgl. dazu Dau in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 68 Rn. 10, 11; Lampe in Großmann GK-SGB IX § 90 Rn. 65, 103; Schorn in Müller-Wenner/Schorn SGB IX Teil 2 § 68 Rn. 34), folgte daraus selbst bei einer Verletzung der Hinweispflicht nicht, dass einer Gleichstellung Wirkung auf einen Zeitpunkt vor Eingang des Antrags bei der Bundesagentur für Arbeit zukommen könnte. Für die bloße Zusicherung einer erforderlich werdenden Gleichstellung gilt nichts anderes.

53

c) Die kündigungsrechtlich unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50 und schwerbehinderten Arbeitnehmern iSv. § 2 Abs. 2 SGB IX stellt keine Diskriminierung der weniger stark behinderten Arbeitnehmer nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) dar. Ebenso wenig liegt ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vor. Die weniger stark behinderten Arbeitnehmer erfahren nicht „wegen ihrer Behinderung“ eine ungünstigere Behandlung. Sie werden nicht weniger günstig als nicht behinderte Arbeitnehmer behandelt, sondern weniger günstig als stärker behinderte (vgl. BAG 10. April 2014 - 2 AZR 647/13 - Rn. 39).

54

3. Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der Auflösungsantrag im Übrigen begründet ist. Das Landesarbeitsgericht hat nicht geprüft, ob Gründe vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Es hat sich mit den dafür behaupteten Tatsachen nicht befasst und insoweit keine Feststellungen getroffen. Dies wird es nachholen müssen.

55

III. Der Zurückverweisung unterliegt auch der Antrag der Klägerin auf vorläufige Weiterbeschäftigung. Er ist darauf gerichtet, die Beklagte zu verurteilen, sie „bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens“ in der zuletzt ausgeübten Funktion weiter zu beschäftigen. Zum Kündigungsschutzverfahren zählt der Auflösungsantrag der Beklagten. Aus diesem Grund ist der von der Klägerin aufrechterhaltene Weiterbeschäftigungsantrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, über den nur unter der Voraussetzung zu entscheiden ist, dass sie mit ihrem Feststellungsantrag obsiegt und der Auflösungsantrag der Beklagten abgewiesen wird. Keine dieser Prämissen ist bislang erfüllt. Ob ein Antrag nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG, solange er nicht abschlägig beschieden worden ist, ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers zu begründen vermag(vgl. BAG 16. November 1995 - 8 AZR 864/93 - zu E der Gründe, BAGE 81, 265), bedarf deshalb keiner Entscheidung.

        

    Kreft    

        

    Niemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Bartz    

        

    Alex    

                 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. August 2009 - 16 Sa 1644/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 3. September 2008 - 1 Ca 1700/07 - zurückgewiesen hat.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Auflösungsantrag der beklagten Arbeitgeberin.

2

Der 1949 geborene, verheiratete Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten, zuletzt als kaufmännischer Leiter, gegen ein monatliches Bruttogehalt von 6.410,37 Euro beschäftigt. Als Minderheitsgesellschafter hält er 24 vH der Geschäftsanteile der Beklagten.

3

Die Beklagte befasst sich vornehmlich mit der Planung und Herstellung verkehrstechnischer Anlagen. An ihrem Sitz in D beschäftigt sie regelmäßig etwa 120 Arbeitnehmer. Mehrheitsgesellschafter mit 76 vH der Geschäftsanteile und zugleich alleiniger Geschäftsführer der Beklagten war ursprünglich der ältere Bruder des Klägers R. Im November 2005 wurde der jüngere Bruder K zum weiteren Geschäftsführer bestellt. Der Kläger, dem gleichfalls die Bestellung zum - dritten - Geschäftsführer angetragen worden war, hatte eine gemeinsame Geschäftsführung mit seinem Bruder K ausdrücklich abgelehnt. Nach dem Tod von R im Oktober 2006 rückte dessen Witwe als Erbin in die Stellung der Mehrheitsgesellschafterin ein. Die Geschäfte der Beklagten führte fortan der jüngere Bruder des Klägers alleine.

4

Bereits im Oktober 1990 hatten der Kläger und sein Bruder R eine weitere GmbH mit Sitz in G gegründet, deren Geschäftsgegenstand mit dem der Beklagten identisch ist. Im November 2002 trat R seine Geschäftsanteile an den Kläger ab. Der Sitz dieser Gesellschaft wurde anschließend - bei gleichzeitiger Umfirmierung - nach D verlegt.

5

Beginnend ab Oktober 2005 rügte die Beklagte eine Reihe von Pflichtverletzungen des Klägers. Unter anderem warf sie ihm vor, er betreibe mit dem anderen Unternehmen Konkurrenztätigkeit und nutze einen Teil seiner regulären Arbeitszeit sowie ihre Betriebsmittel für jenes Unternehmen. Darüber hinaus hielt sie ihm vor, den Vertrag über die Stromversorgung für eine Kirmesveranstaltung - den „W“ - eigenmächtig gekündigt zu haben. Eine ordnungsgemäße Abrechnung des Projekts sei nicht erfolgt. Der Kläger bestritt dies.

6

Im Juni 2007 machte der Kläger in seiner Eigenschaft als Gesellschafter der Beklagten Auskunfts- und Einsichtsrechte nach § 51a GmbHG geltend. Im August 2007 stellte ihn die Beklagte von der Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Im September 2007 beantragte er, eine Gesellschafterversammlung zu den Tagesordnungspunkten „Abberufung des Geschäftsführers“ der Beklagten und Kündigung von dessen Anstellungsvertrag einzuberufen. Zur Begründung führte er an, der Geschäftsführer - K - habe kurz nach dem Tod von R zulasten der Beklagten die Zahlung eines Betrags von 53.000,00 Euro als Tantieme an sich selbst veranlasst. Ein Rechtsgrund hierfür habe nicht bestanden.

7

Mit Schreiben vom 12. Oktober 2007 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. Juni 2008. Dagegen erhob der Kläger - fristgerecht - Kündigungsschutzklage.

8

Ende Oktober 2007 lehnte die Gesellschafterversammlung die Anträge des Klägers auf Abberufung des Geschäftsführers und Kündigung des Anstellungsvertrags ab. Die hiergegen erhobene Nichtigkeitsklage wies das Landgericht D mit Urteil vom 10. April 2008 ab. Eine Entscheidung über eine dagegen gerichtete Berufung des Klägers lag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht vor.

9

Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte hat beantragt, die Kündigungsschutzklage abzuweisen, hilfsweise

        

das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

10

Sie hat die Auffassung vertreten, dem Auflösungsantrag sei ohne Weiteres stattzugeben, da der Kläger leitender Angestellter sei. Er habe selbständig Arbeitnehmer eingestellt und entlassen. Unabhängig davon lägen Gründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Ihr Geschäftsführer K und der Kläger kommunizierten schon seit längerer Zeit nur noch schriftlich miteinander. Im Kündigungsrechtsstreit habe der Kläger dem Geschäftsführer ohne jegliche Substanz „Mobbing-Attacken“ gegenüber ehemaligen Mitarbeitern und gegenüber seiner - des Klägers - kurzzeitig im Betrieb mitarbeitenden Tochter vorgeworfen. Außerdem habe er sich hartnäckig geweigert, Unstimmigkeiten bei der Abrechnung des Projekts „W“ aufzuklären. In einem weiteren Rechtsstreit, mit dem er Zahlungsansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend mache, habe er sie - die Beklagte - zu Unrecht der Verleumdung bezichtigt. Außerdem sei durch das Vorgehen des Klägers im parallel geführten Zivilprozess um die Abberufung ihres Geschäftsführers das Vertrauensverhältnis restlos zerstört. Der Kläger habe seinen Antrag auf den vollkommen haltlosen Vorwurf gestützt, K habe mit der Tantiemezahlung im Jahr 2006 eine - strafbare - Untreuehandlung zu ihrem Nachteil begangen.

11

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen. Es fehle an einer hinreichenden Begründung des Antrags, die auch nicht entbehrlich sei. Für die Spannungen zwischen ihm und seinem Bruder K sei er nicht verantwortlich. Schon vor längerer Zeit habe sein Bruder veranlasst, eine Verbindungstür zwischen ihren beiden Büros zu verschließen und sei dazu übergegangen, ihm Anweisungen nur noch schriftlich zu erteilen. Im Jahr 2007 habe er ihm grundlos Einsicht in betriebswirtschaftliche Auswertungen verweigert. Mit seinem Vorgehen im Zivilprozess habe er lediglich ihm zustehende Rechte als Gesellschafter wahrgenommen.

12

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und auf den Antrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung von 115.380,00 Euro zum 30. Juni 2008 aufgelöst. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht nur für den Kläger zugelassenen Revision begehrt dieser weiterhin, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist begründet. Mit der bisherigen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag nicht stattgeben. Dies führt, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht abschließend beurteilen kann, ob Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorliegen, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht(§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

I. Zwischen den Parteien besteht kein Streit darüber, dass der Kläger trotz seiner Stellung als Gesellschafter der Beklagten Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes ist. Dafür spricht im Übrigen, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als kaufmännischer Leiter dem Weisungsrecht des Geschäftsführers der Beklagten aus § 106 Satz 1 GewO unterstand(vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/97 - zu I 2 a der Gründe, AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 95 = EzA BGB § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 68). Er verfügte mit einem Geschäfts- und dementsprechenden Stimmrechtsanteil von 24 vH auch nicht über eine sog. Sperrminorität, aufgrund derer er als Kapitaleigner auf die Geschäftsführung hätte bestimmenden Einfluss nehmen können (vgl. BAG 6. Mai 1998 - 5 AZR 612/07 - aaO).

15

II. Der Auflösungsantrag der Beklagten bedurfte nach § 9 KSchG der Begründung. Der Kläger ist kein leitender Angestellter iSv. § 14 Abs. 2 KSchG.

16

1. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG ist § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Angestellte, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind, mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Auflösungsantrag des Arbeitgebers keiner Begründung bedarf. Dabei muss die Befugnis zur eigenverantwortlichen Einstellung oder Entlassung ebenso wie bei den leitenden Angestellten iSv. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BetrVG eine bedeutende Anzahl von Arbeitnehmern erfassen. Ein nur eng umgrenzter Personenkreis genügt nicht (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - zu D II 1 der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 123 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 122). Die Personalkompetenz muss einen wesentlichen Teil der Tätigkeit des Angestellten ausmachen (BAG 10. Oktober 2002 - 2 AZR 598/01 - aaO, mwN).

17

2. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar hat der Kläger, jedenfalls bis zum Tod von R, in Einzelfällen Personalgespräche geführt, schriftliche Arbeitsverträge unterzeichnet und Arbeitnehmer der Beklagten entlassen. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts lag allerdings das Letztentscheidungsrecht über die Durchführung dieser Maßnahmen bei dem früheren Geschäftsführer der Beklagten. Eine iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG hinreichende Personalkompetenz ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger - wie von der Beklagten geltend gemacht - seine eigenen Kinder ohne Absprache mit der Geschäftsführung eingestellt haben mag.

18

III. Ob für die Beklagte Auflösungsgründe iSv. § 9 KSchG vorliegen, steht noch nicht fest.

19

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG hat das Gericht nach - wie im Streitfall - erfolgreicher Kündigungsschutzklage auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

20

a) Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. Deshalb sind an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen (BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58; 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist derjenige der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 14 mwN, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57). Von diesem Standpunkt aus ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163).

21

b) Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 8. Oktober 2009 - 2 AZR 682/08 - Rn. 15, EzA KSchG § 9 nF Nr. 57; 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). In diesem Sinne als Auflösungsgrund geeignet sind etwa Beleidigungen, sonstige ehrverletzende Äußerungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn.11 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60).

22

c) Zu berücksichtigen ist aber auch, dass gerade Erklärungen in laufenden Gerichtsverfahren - etwa dem Kündigungsschutzprozess selbst - durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12 mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 64 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 60). Darüber hinaus ist mit Blick auf eine prozessuale Auseinandersetzung zu berücksichtigen, dass Parteien zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Anerkannt ist, dass ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Auch dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - aaO; BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 61 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 58).

23

2. Daran gemessen trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

24

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe die Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit der Parteien durch sein Vorgehen in dem parallel geführten Zivilprozess zerstört. Zur Begründung seines Abberufungsantrags habe er dem Geschäftsführer der Beklagten eine „strafbare Untreuehandlung“ zu deren Nachteil vorgeworfen. Damit habe er „über das Ziel hinausgeschossen“. Die Äußerung sei ehrverletzend. Der Kläger hätte bei der Verfolgung seiner Rechte als Gesellschafter Rücksicht auf das ebenfalls bestehende Arbeitverhältnis nehmen und das nötige Augenmaß aufbringen müssen. Stattdessen habe er trotz der wohlbegründeten, seine Klage abweisenden Entscheidung seinen Antrag weiter verfolgt, was geeignet gewesen sei, die Spannungen zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten weiter zu verschärfen.

25

b) Diese Würdigung hält einer Überprüfung schon deshalb nicht stand, weil es an tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts fehlt, die den Schluss zuließen, der Vorwurf einer „strafbaren Untreuehandlung“ sei ehrverletzend.

26

Der in Rede stehende Vorwurf, dessen Schwerpunkt ersichtlich auf einer Tatsachenbehauptung liegt, kann zwar grundsätzlich bei Nichterweislichkeit seiner Wahrheit als ehrverletzend angesehen werden. Allerdings hat das Landesarbeitsgericht die Behauptung nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Es hat sich nicht mit den Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Zivilprozess befasst, hierzu auch gar keine Feststellungen getroffen. Es hat sich vielmehr mit dem Hinweis begnügt, das Vorgehen des Geschäftsführers - nämlich die Auszahlung der Tantieme ohne zugrundeliegenden Gesellschafterbeschluss - bedeute „nicht gleich“, dass er eine Straftat begangen habe und auch nicht, dass er für die Beklagte untragbar geworden sei. Diese Ausführungen haben im Hinblick auf die Berechtigung der Behauptungen des Klägers keinen Aussagewert. Darüber hinaus bleibt auch die Stoßrichtung des „Vorwurfs einer strafbaren Untreuehandlung“ unklar. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe damit den Geschäftsführer der Beklagten einer Straftat bezichtigt. Denkbar erscheint aber auch, dass der Kläger lediglich darauf abheben wollte, das Verhalten erfülle objektiv die Voraussetzungen des Untreuetatbestands (§ 266 Abs. 1 StGB). Das stünde jedenfalls im Einklang mit der Darstellung des (streitigen) Klägervortrags im Tatbestand des zwischenzeitlich im Zivilprozess ergangenen und von der Beklagten in das Revisionsverfahren eingeführten Berufungsurteils. Danach hat der Kläger bezogen auf die Tantiemezahlung vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe seine Pflichten als Geschäftsführer objektiv grob verletzt und den objektiven Tatbestand einer Untreue verwirklicht.

27

Sollte die Anschuldigung des Klägers zutreffen, brauchte er sich nicht damit zu begnügen, das Verhalten des Geschäftsführers allgemein als „erhebliche Pflichtverletzung“ darzustellen. Er durfte seine Auffassung zu deren Qualität auch dadurch zum Ausdruck bringen, dass er die Tantiemezahlung - zumal innerprozessual im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung - unter strafrechtlichen Aspekten würdigte.

28

c) Selbst unterstellt, der Kläger hätte den Geschäftsführer objektiv wahrheitswidrig bezichtigt, sich einer Untreue (§ 266 Abs. 1 StGB)zum Nachteil der Beklagten schuldig gemacht zu haben, läge darin kein Auflösungsgrund. Die gegenteilige Würdigung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt nicht ausreichend, dass das Vorgehen des Klägers im Zivilprozess durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB gedeckt war. Jedenfalls hat die für das Vorliegen von Auflösungsgründen darlegungs- und beweispflichtige Beklagte keine Umstände dargetan, die den vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Rechtfertigungsgrund ausschlössen.

29

aa) Der Kläger hat in dem parallel geführten Zivilverfahren vorrangig eigene Rechte als Mitgesellschafter der Beklagten wahrgenommen. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war ihm grundsätzlich auch die Behauptung ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht hierauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe, NJW 1991, 2074). Letzteres war hier der Fall. Der Kläger wollte mit dem „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ ersichtlich die Schwere der angeführten Pflichtverletzung des Geschäftsführers verdeutlichen.

30

bb) Allerdings könnte sich der Kläger dann nicht auf eine Rechtfertigung seines Vorgehens unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berufen, wenn die Unhaltbarkeit des Vorwurfs auf der Hand gelegen hätte oder er selbst nicht von der Richtigkeit seiner Behauptungen überzeugt gewesen wäre (Fischer StGB 58. Aufl. § 193 Rn. 19, 28 mwN). Dafür bietet indes das Vorbringen der Beklagten - auch unter Einbeziehung des Urteils des Landgerichts D vom 10. April 2008, auf das sich die Beklagte zur Darlegung eines überzogenen Vorgehens des Klägers gegen ihren Geschäftsführer maßgeblich stützt - keinen genügenden Anknüpfungspunkt.

31

(1) Das Landgericht hat in seinem Urteil ausdrücklich dahinstehen lassen, ob die umstrittene Tantiemezahlung - insbesondere im strafrechtlichen Sinne - als Untreuehandlung zu qualifizieren ist. Es ist davon ausgegangen, auch unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit habe der Geschäftsführer seine ihm gegenüber der Beklagten obliegenden Pflichten erheblich verletzt, indem er es versäumt habe, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung über die Tantiemezahlung herbeizuführen. Seine Auffassung, trotz der Schwere der Pflichtverletzung seien die beantragte Abberufung des Geschäftsführers und die Kündigung des Anstellungsvertrags nicht gerechtfertigt, hat es im Wesentlichen auf die - aus seiner Sicht nicht substantiiert bestrittene - Behauptung der Beklagten gestützt, der frühere Mehrheitsgesellschafter R habe dem jetzigen Geschäftsführer noch zu Lebzeiten die Tantieme zugesagt. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der Beklagten um ein reines Familienunternehmen handele und weitere Umstände, die eine Untragbarkeit oder Ungeeignetheit des Geschäftsführers begründen könnten, nicht ersichtlich seien.

32

(2) Lag aber nach gesellschaftsrechtlichen Maßstäben eine erhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers mit finanziell nachteiligen Wirkungen für die Beklagte vor, kann nicht davon die Rede sein, der Kläger habe den Vorwurf einer strafrechtlich relevanten Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht seines Bruders quasi „aus der Luft gegriffen“ und ohne jeden berechtigten Anlass erhoben. Ein anders Bild ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht aus dem im Zivilprozess zwischenzeitlich ergangenen Urteil des Oberlandesgerichts H vom 7. Juli 2009, mit dem dieses die Berufung des Klägers gegen das landgerichtliche Urteil zurückgewiesen hat. Auch das Oberlandesgericht hat ausweislich der Gründe seiner Entscheidung angenommen, der Geschäftsführer der Beklagten habe - jedenfalls was eine Tantiemezahlung in Höhe von 50.000,00 Euro anbelange - gegen seine Geschäftsführerpflichten verstoßen. Soweit es gleichwohl davon ausgegangen ist, die Pflichtverletzung erreiche nicht das für eine Abberufung und Kündigung des Anstellungsvertrags erforderliche Gewicht, hat es dies - nach Beweisaufnahme - ua. damit begründet, dass dem Geschäftsführer die Tantieme durch den früheren Mehrheitsgesellschafter R noch zu dessen Lebzeiten zugesagt worden sei. Die Durchführung einer Beweisaufnahme im Berufungsverfahren spricht aber deutlich dafür, dass der Vortrag des Klägers zum Gewicht der festgestellten Pflichtverletzung schlüssig war, mag auch aus Sicht der Zivilgerichte die strafrechtliche Würdigung des Geschehens für die gesellschaftsrechtliche Bewertung der Pflichtverletzung nicht entscheidend gewesen sein. Die Beklagte hat im Hinblick auf ihren Auflösungsantrag auch nicht etwa behauptet, der Kläger habe die Vereinbarungen zwischen seinen Brüdern positiv gekannt und dahingehenden Vortrag im Zivilrechtsstreit wider besseres Wissen bestritten.

33

cc) Der Kläger musste sich - anders als das Landesarbeitsgericht offenbar meint - auch nicht deshalb einer strafrechtlichen Bewertung des Geschehens um die Tantiemezahlung enthalten oder aber von der Durchführung des Berufungsverfahrens im Zivilprozess absehen, weil er zugleich Arbeitnehmer der Beklagten war. Es stand ihm frei, im Rahmen einer zulässigen Interessenwahrnehmung den Rechtsweg auszuschöpfen. Wollte man dies anders sehen, müsste der Arbeitnehmer von der Erhebung aus seiner Sicht berechtigter gesellschaftsrechtlicher Forderungen absehen, nur um keinen Grund für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu setzen. Ein solcher Rechtsverzicht kann ihm schon nach dem Rechtsgedanken des Maßregelungsverbots (§ 612a BGB) nicht abverlangt werden (ähnlich BAG 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94 - zu II 6 der Gründe, EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 12). Der Schutz, den die gesetzlichen Kündigungsvorschriften - auch über § 9 KSchG - gewähren, ist auch nicht deshalb ein geringerer, weil der Arbeitnehmer zugleich Gesellschafter des Unternehmens ist.

34

dd) Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte benannt, die den Schluss zuließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung zusätzlich nachteilig belastet worden. Der Kläger hat seinen „Vorwurf einer strafbaren Untreuehandlung“ - soweit ersichtlich -, ausschließlich innerhalb der zuständigen Gremien und im anschließenden zivilgerichtlichen Verfahren angebracht und damit in der Tendenz gezeigt, dass er zwischen seiner Stellung als Arbeitnehmer der Beklagten und der eines Gesellschafters der Beklagten zu trennen weiß. Zudem kommunizierten er und der Geschäftsführer - unstreitig - bereits vor Einleitung des Kündigungsschutzprozesses nur noch schriftlich miteinander. Das mag, auch unter Berücksichtigung der herausgehobenen Stellung des Klägers als kaufmännischer Leiter, einer sachgerechten Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Geschäftsführer nicht zuträglich gewesen sein. Doch muss berücksichtigt werden, dass sich die Parteien grundsätzlich auf diese Situation eingestellt hatten. So hat der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger - unstreitig - mit Notiz vom 16. November 2006 mitgeteilt, er „akzeptiere dies“, womit er auf die aus seiner Sicht fehlende Bereitschaft seines Bruders abhob, in geschäftlichen Angelegenheiten ein persönliches Gespräch zu führen. Dass die Kommunikation der Parteien auf dieser „Kompromissebene“ durch das gesellschaftsrechtliche Vorgehen des Klägers zusätzlich erschwert wurde, kann nicht ohne Weiteres angenommen werden. Dagegen spricht auch die finanzielle Beteiligung des Klägers am Unternehmen der Beklagten und das ihm insoweit zu unterstellende Interesse an deren wirtschaftlichem Erfolg.

35

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Beklagte hat sich auf weitere Umstände berufen, die aus ihrer Sicht einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. Ob diese ihr - entweder einzeln, oder aber in ihrer Gesamtschau - einen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gaben, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, weil es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zu dem jeweils zugrunde liegenden Sachverhalt fehlt. Dies bedingt die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Th. Gans    

        

    Pitsch    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. November 2012 - 14 Sa 1178/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte betrieb bis April 2013 Handel mit Kfz-Ersatzteilen. Im Jahr 2012 beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der 1963 geborene Kläger war bei ihr seit August 1988 tätig, zuletzt als Leiter der Finanzbuchhaltung. Sein Bruttomonatsverdienst betrug rund 3.900,00 Euro.

3

Im Juni 2011 übernahm eine Gesellschafterin der Beklagten Aufgaben im Bereich Buchhaltung. Daraus erwuchsen Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Eine dem Kläger am 3. Januar 2012 erteilte Abmahnung wegen behaupteter Arbeitsverweigerung hielt die Beklagte unter Hinweis auf Beweisschwierigkeiten nicht aufrecht.

4

Mit Schreiben vom 24. Februar 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien ordentlich zum 30. September 2012. Zur Begründung gab sie an, ihre Gesellschafterin habe zwischenzeitlich die Arbeitsaufgaben des Klägers vollständig übernommen. Dessen Arbeitsplatz sei weggefallen.

5

Der Kläger hat gegen die Kündigung Klage erhoben. Nachdem die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht erfolglos geblieben war, fertigte sein Prozessbevollmächtigter unter dem 9. Mai 2012 eine Replik auf die Klageerwiderung der Beklagten. Darin heißt es, die Kündigung sei willkürlich erfolgt. Der Beklagten sei es lediglich darum gegangen, den Kläger als „lästigen Mitwisser“ zweifelhafter Geschäfte loszuwerden. Sie habe private Aufwendungen ihres Gesellschafters und seiner Ehefrau sowie des Lebensgefährten einer Gesellschafterin als Betriebsausgaben verbucht. Die Kündigung sei erfolgt, nachdem der Kläger nicht bereit gewesen sei, diese Handlungen zu dulden und/oder mit zu tragen. Der Schriftsatz ging der Beklagten zunächst außergerichtlich als Entwurf zu. In einem Begleitschreiben vom 14. Mai 2012 führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus, absprachegemäß sollten „nochmal“ die Möglichkeiten einer einvernehmlichen Regelung „erörtert werden“. Falls „in den nächsten Tagen“ keine Rückäußerung erfolge, werde die Replik bei Gericht eingereicht.

6

Der Kläger verfuhr, nachdem eine Antwort der Beklagten ausgeblieben war, wie angekündigt. Mit Schreiben vom 23. Mai 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, „hilfsweise“ ordentlich. Der Kläger hat auch diese Kündigung im Wege einer Klageerweiterung fristgerecht angegriffen.

7

Nach - rechtskräftiger - Abweisung der Klage gegen die Kündigung vom 24. Februar 2012 hat sich der Kläger nur noch gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung gewandt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB liege nicht vor. Im Schriftsatz vom 9. Mai 2012 habe er den Sachverhalt lediglich aus seiner Sicht dargelegt. Mit dem Begleitschreiben habe er keinen unzulässigen Druck auf die Beklagte ausgeübt.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger habe mit der unüblichen und nicht abgesprochenen Vorabübersendung seines Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 das Ziel verfolgt, sie hinsichtlich der angestrebten gütlichen Einigung „gefügig zu machen“. In der Ankündigung einer Offenbarung angeblicher „Unregelmäßigkeiten“ liege der Versuch einer Erpressung oder Nötigung. Zudem habe der Kläger die Unterlagen, die dem Schriftsatz beigefügt gewesen seien, unbefugt kopiert, um ein Druckmittel gegen sie zu haben. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist sei ihr unzumutbar gewesen.

10

Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung aufgelöst worden ist. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage auch insoweit abzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 23. Mai 2012 nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden ist. Es hat bis zum Termin der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012, dh. bis zum 30. September 2012 fortbestanden.

12

I. Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für das Rechtsmittelverfahren ist gegeben.

13

1. Neben der Beschwer stellt das Rechtsschutzinteresse im Allgemeinen keine besonders zu prüfende Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar; typischerweise folgt es aus ihr (vgl. BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - zu I 1 der Gründe, BAGE 38, 85; BLAH 70. Aufl. Grundz. § 511 Rn. 14, 16 mwN). Ausnahmsweise kann das Rechtsschutzinteresse fehlen, wenn sich etwa die Einlegung des Rechtsmittels trotz Vorliegens einer Beschwer als unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich erweist (BAG 2. März 1982 - 1 AZR 694/79 - aaO).

14

2. Derartige Umstände sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30. September 2012 abgerechnet und den sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettoverdienst an den Kläger ausgekehrt. Damit hat sie aber nicht - auch nicht konkludent - erklärt, sie werde aus der fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger keine Rechte mehr herleiten. In ihrem Verhalten liegt auch kein - konkludenter - Verzicht auf die Revision. Darauf, ob die Beklagte bei einer Klageabweisung die Rückzahlung überschießender Vergütung beanspruchen will und kann, kommt es nicht an.

15

II. In der Sache bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Klage gegen die fristlose Kündigung vom 23. Mai 2012 ist begründet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.

16

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, BAGE 134, 349).

17

2. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 17; 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14 mwN). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen der in Rede stehenden Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24). Ein gegenüber der fristlosen Kündigung in diesem Sinne milderes Mittel ist ua. die ordentliche Kündigung (vgl. BAG 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - aaO; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 35, aaO).

18

3. Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagten war es weder aufgrund der Erklärungen im anwaltlichen Schreiben vom 14. Mai 2012 und der Übersendung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 im Entwurf, noch wegen des Fotokopierens betrieblicher Unterlagen durch den Kläger unzumutbar, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2012 - dem Termin der vorausgegangenen ordentlichen Kündigung - fortzusetzen.

19

a) Als wichtiger Grund ist neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 29, BAGE 137, 54; 12. März 2009 - 2 ABR 24/08 - Rn. 30). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (vgl. BAG 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 19; 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, BAGE 132, 72).

20

b) Droht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mit einem empfindlichen Übel, um die Erfüllung eigener streitiger Forderungen zu erreichen, kann darin - je nach den Umständen des Einzelfalls - ein erheblicher, die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigender Verstoß gegen seine Pflicht zur Wahrung von dessen Interessen liegen (vgl. KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 408). Entsprechendes kann gelten, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nachteilige Folgen mit dem Ziel androht, dieser solle von einer beabsichtigten oder bereits erklärten Kündigung Abstand nehmen (ähnlich BAG 11. März 1999 - 2 AZR 507/98 - zu II 1 b aa der Gründe; 30. März 1984 - 2 AZR 362/82 - zu B I der Gründe; jeweils zur Androhung von Presseveröffentlichungen). Eine auf ein solches Verhalten gestützte Kündigung setzt regelmäßig die Widerrechtlichkeit der Drohung voraus. Unbeachtlich ist demgegenüber, ob das Verhalten den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB) erfüllt. Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden(BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 694/11 - Rn. 21 mwN, BAGE 142, 188).

21

c) Hier hat der Kläger seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme durch die Erklärungen im Schreiben vom 14. Mai 2012 selbst dann nicht verletzt, wenn er sich die Äußerungen seines Prozessbevollmächtigten aufgrund der erteilten Prozessvollmacht (§ 81 ZPO) uneingeschränkt nach § 85 Abs. 1 ZPO zurechnen lassen muss(zur Problematik vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 297/09 - Rn. 13 ff.; 28. März 1963 - 2 AZR 379/62 - BAGE 14, 147; Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. § 85 Rn. 7). Das Ansinnen einer gütlichen Einigung hinsichtlich der ordentlichen Kündigung vom 24. Februar 2012 war auch in Anbetracht der Ankündigung, im Falle der Nichtäußerung den im Entwurf beigefügten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 bei Gericht einzureichen, nicht widerrechtlich. Darauf, ob sich die Parteien zuvor über das Procedere verständigt hatten, kommt es nicht an.

22

aa) Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 418/10 - Rn. 14). Sie muss nicht ausdrücklich ausgesprochen werden. Die Drohung kann auch versteckt erfolgen, beispielsweise durch eine Warnung oder einen Hinweis auf nachteilige Folgen (vgl. BAG 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - zu 2 der Gründe; BGH 22. November 1995 - XII ZR 227/94 - zu 2 der Gründe). Als Übel genügt jeder Nachteil. Das In-Aussicht-Stellen eines zukünftigen Übels ist widerrechtlich, wenn entweder das Mittel, dh. das angedrohte Verhalten, oder der Zweck, dh. die erwartete Willenserklärung, oder jedenfalls der Einsatz des fraglichen Mittels zu dem fraglichen Zweck von der Rechtsordnung nicht gedeckt ist (vgl. BAG 22. Oktober 1998 - 8 AZR 457/97 - zu I 4 d bb der Gründe).

23

bb) Die Einführung des Schriftsatzes vom 9. Mai 2012 in den laufenden Kündigungsschutzprozess mag für die Beklagte ein empfindliches Übel gewesen sein. Das Vorgehen des Klägers war aber nicht widerrechtlich. Es war ihm - ebenso wie seine Ankündigung - erlaubt.

24

(1) Parteien dürfen zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 29. August 2013 - 2 AZR 419/12 - Rn. 37 mwN). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt jedenfalls so lange, wie er die Grenzen der Wahrheitspflicht achtet (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12).

25

(a) Dass der Kläger in dem der Beklagten vorab übermittelten Schriftsatz vom 9. Mai 2012 leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sein Vorbringen zur Verbuchung privater Aufwendungen und Erstattungsleistungen einer Versicherung mangels ausreichenden Bestreitens der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen. Die Würdigung wird von der Beklagten nicht angegriffen. Ein Rechtsfehler ist auch objektiv nicht erkennbar.

26

(b) Der Kläger hat nicht in rechtswidriger Weise gegen seine aus § 241 Abs. 2 BGB resultierende, durch § 17 UWG ergänzte Verpflichtung verstoßen, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse einschließlich der ihm aufgrund seiner Tätigkeit bekannt gewordenen privaten Geheimnisse der Beklagten zu wahren(zur Eignung solcher Verstöße als wichtiger Grund vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe). Es kommt nicht darauf an, ob sich die Beklagte hinsichtlich der in Rede stehenden „Betriebsinterna“ überhaupt auf ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse berufen könnte (zur Problematik vgl. Schaub/Linck ArbR-Hdb 15. Aufl. § 53 Rn. 55). Der Kläger war jedenfalls im Rahmen des Kündigungsrechtsstreits zur Offenlegung der betreffenden Tatsachen gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht befugt. Er handelte in Wahrnehmung berechtigter Interessen. Er wollte auf diese Weise unlautere Motive der Beklagten für die angeblich betriebsbedingte Kündigung dartun. Dass er die Informationen an andere Personen oder Stellen weitergegeben hätte, ist nicht dargetan.

27

(2) Der bezweckte Erfolg - eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits - war ebenso wenig widerrechtlich. Das gilt unabhängig davon, ob der Kläger seine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten oder die Zahlung einer Abfindung anstrebte. Durch einen Vergleich sollen der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden (§ 779 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sein Abschluss ist in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten - vorbehaltlich eines sittenwidrigen Inhalts der Einigung - grundsätzlich erlaubt (vgl. BAG 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - zu I der Gründe).

28

(3) Das Vorgehen des Klägers stellt sich auch nicht wegen eines zwischen dem Inhalt des eingereichten Schriftsatzes und der angestrebten Einigung hergestellten Zusammenhangs - der Zweck-Mittel-Relation - als widerrechtlich dar.

29

(a) Wer sich bei zweifelhafter Rechtslage seinem Vertragspartner gegenüber auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt, handelt nicht rechtswidrig, wenn er damit den Gegner zum Einlenken veranlassen will. Das gilt auch dann, wenn für den Fall der Nichteinigung eine bestimmte Verteidigungsstrategie angekündigt wird. Eine solche Offenlegung eines beabsichtigten Prozessverhaltens ist - sowohl im Vorfeld einer Klageerhebung als auch im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens - jedenfalls dann rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie weder mutwillig erfolgt, noch zu einer über die Erhebung oder das Bestreiten bestimmter Ansprüche hinausgehenden Belastung des anderen Teils führt (vgl. BGH 19. April 2005 - X ZR 15/04 - zu II 5 a der Gründe). Anders als die Beklagte meint, reicht es für die Widerrechtlichkeit der Verknüpfung von Mittel und Zweck nicht aus, dass eine Partei auf den Abschluss eines Vergleichs keinen Rechtsanspruch hat (so schon RG 11. Dezember 1925 - VI 406/25 - RGZ 112, 226).

30

(b) Die Ankündigung des Klägers, bei einer Nichteinigung einen dem Entwurf der Replik entsprechenden Schriftsatz bei Gericht einzureichen, wäre allenfalls dann widerrechtlich, wenn sein darin ausgedrückter rechtlicher Standpunkt gänzlich unvertretbar wäre. Das ist nicht der Fall. Der Kläger musste nicht von der Wirksamkeit der Kündigung vom 24. Februar 2012 ausgehen. Er durfte sich mit der Behauptung verteidigen, die angestrebte Auflösung des Arbeitsverhältnisses beruhe auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber bestimmten buchhalterischen Vorgängen. Seine Anregung, sich vor diesem Hintergrund auf eine einvernehmliche Beilegung des Rechtsstreits zu verständigen, erfolgte im Vertrauen auf eine nicht etwa gänzlich aussichtslose Rechtsposition.

31

d) Die Beklagte war nicht deshalb zur fristlosen Kündigung berechtigt, weil der Kläger Fotokopien von Geschäftsunterlagen hergestellt und diese bei Gericht eingereicht hatte. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, insoweit liege keine Verletzung vertraglicher Pflichten vor. Zumindest sei es der Beklagten nicht unzumutbar gewesen, die Kündigungsfrist einzuhalten. Die Würdigung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

32

aa) Dem Arbeitnehmer ist es aufgrund der dem Arbeitsvertrag immanenten Pflicht zur Rücksichtnahme verwehrt, sich ohne Einverständnis des Arbeitgebers betriebliche Unterlagen oder Daten anzueignen oder diese für betriebsfremde Zwecke zu vervielfältigen. Betreffen die Unterlagen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis, ist die Herstellung einer verkörperten Wiedergabe gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) UWG sogar strafbewehrt, wenn dies zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zugunsten eines Dritten oder in der Absicht geschieht, dem Inhaber des Unternehmens Schaden zuzufügen. Verstößt der Arbeitnehmer rechtswidrig und schuldhaft gegen diese Vorgaben, kann darin ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB liegen. Ob eine außerordentliche Kündigung berechtigt ist, hängt insbesondere von der Motivation des Arbeitnehmers und möglichen nachteiligen Folgen für den Arbeitgeber ab (vgl. BAG 18. März 1982 - 2 AZR 940/79 - zu A IV 1 der Gründe).

33

bb) Im Streitfall hat der Kläger ohne Einverständnis der Beklagten Fotokopien verschiedener, den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffender Rechnungen und Schecks hergestellt, ohne dass hierfür ein dienstliches Bedürfnis bestanden hätte. Selbst wenn er die Kopien ausschließlich zu seiner Rechtsverteidigung hat verwenden wollen und verwandt hat, durfte das Landesarbeitsgericht daraus nicht ohne Weiteres auf eine Wahrnehmung berechtigter Interessen schließen. Dem Rechtsschutzinteresse einer Partei, die sich nicht im Besitz prozessrelevanter Urkunden befindet, trägt das Gesetz mit den Regelungen zur Vorlagepflicht in § 142 ZPO und § 424 ZPO Rechnung. Besondere Umstände, aufgrund derer der Kläger hätte annehmen dürfen, ein entsprechendes prozessuales Vorgehen sei von vorneherein aussichtslos, sind nicht festgestellt.

34

cc) Es kann dahinstehen, ob sich der Kläger für die Rechtfertigung seines Verhaltens auf eine Beweisnot berufen könnte (zur Eignung eines solchen Sachverhalts als Rechtfertigungsgrund vgl. Haller BB 1997, 202, 203). Sein Verhalten wiegt den Umständen nach jedenfalls nicht so schwer, dass der Beklagten - auch unter Berücksichtigung ihrer eigenen Interessen - ein Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre.

35

(1) Das Berufungsgericht hat bei der Interessenabwägung einen gewissen Beurteilungsspielraum. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz (nur) daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Verfahrensgrundsätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16).

36

(2) Einen solchen Rechtsfehler zeigt die Beklagte nicht auf.

37

(a) Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten des Klägers dessen Dauer der Betriebszugehörigkeit von mehr als zwanzig Jahren berücksichtigt. Von dieser hat es angenommen, sie sei beanstandungsfrei verlaufen. Die Würdigung ist angesichts der „Rücknahme“ einer vorausgehenden Abmahnung des Klägers nachvollziehbar. Sonstige Beanstandungen sind nicht dargetan. Die Berücksichtigung des Lebensalters zugunsten des Klägers hat das Landesarbeitsgericht mit zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung begründet. Es durfte außerdem bedenken, dass der Kläger die fraglichen Fotokopien nicht zu Wettbewerbszwecken oder zu dem Zweck hergestellt hat, der Beklagten zu schaden. Er hat sie - soweit ersichtlich - nur an seinen Rechtsanwalt und damit an eine ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtete Person mit dem Ziel weitergegeben, sie bei Gericht einzureichen. Auf diese Weise wollte er sein Vorbringen zur Unsachlichkeit der Kündigung verdeutlichen und ihm stärkeres Gewicht verleihen. Diese Umstände schließen - wie aufgezeigt - die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zwar nicht aus. Sie lassen es aber in einem milderen Licht erscheinen. Hinzu kommt, dass es sich um eine singuläre Pflichtverletzung handelte, der erkennbar die - irrige - Vorstellung des Klägers zugrunde lag, zur Selbsthilfe berechtigt zu sein.

38

(b) Aufgrund dieser Erwägungen war es ohne Weiteres vertretbar, dem Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses - zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist - Vorrang vor dem Beendigungsinteresse der Beklagten einzuräumen.

39

III. Das Landesarbeitsgericht hat unausgesprochen angenommen, die ordentliche Kündigung vom 23. Mai 2012 gehe ins Leere, da das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits anderweitig zum 30. September 2012 aufgelöst worden sei. Dagegen erhebt die Beklagte keine Einwände. Ein Rechtsfehler ist nicht ersichtlich.

40

IV. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rinck    

        

    Berger    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

Gründe

1

Die Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts im Beschluss vom 2. Juli 2013 ist zurückzuweisen, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob diese statthaft ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Oktober 2011 - 2 BvR 2674/10 -, juris, Rn. 17). Sie ist jedenfalls unbegründet. Die Festsetzung des Gegenstandswerts auf 25.000 € ist angesichts der hohen Anforderungen an die Substantiierung einer Verfassungsbeschwerde nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG und auch angesichts der objektiven Bedeutung, die einem stattgebenden Beschluss im Regelfall zukommt, nicht zu beanstanden.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts München vom 5. Juli 2011 - 9 Sa 1174/10 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es die Berufung des Klägers gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts München vom 13. Juli 2010 - 14 Ca 17608/09 - als unbegründet zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Auflösungsantrag der Beklagten.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen im Bereich IT-Beratung und Systemintegration. Der Kläger ist bei ihr seit 2006 als Diplominformatiker/Softwareentwickler tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb besteht ein Betriebsrat.

3

Am 13. Mai 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, nachdem dieser die Teilnahme an einer Veranstaltung, die der Überprüfung seines Kenntnisstands in der Programmiersprache Java dienen sollte, verweigert hatte. Dagegen hat sich der Kläger - erfolglos - mit einer in einem Vorprozess erhobenen Klage gewandt.

4

Am 2. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers wegen Arbeitsverweigerung und Schlechterfüllung seiner Arbeitspflicht an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich verhaltensbedingt zum 31. Dezember 2009.

5

Am 2. Dezember 2009 mahnte die Beklagte den Kläger ab, weil ein am 20. November 2009 übergebenes Programmierergebnis trotz Nachbearbeitung zahlreiche Fehler aufgewiesen habe. Am 11. Dezember 2009 erteilte sie ihm eine weitere Abmahnung wegen Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen.

6

Am 7. Dezember 2009 hörte sie den Kläger zum dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetrugs an, nachdem dieser für den 4. Dezember 2009 unterschiedliche Angaben zu seinen Arbeitszeiten gemacht hatte.

7

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats wegen Schlechtleistung außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010. Gleichzeitig stellte sie den Kläger von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei. Mit zwei Schreiben vom 28. Dezember 2009 kündigte sie das Arbeitsverhältnis - ebenfalls nach vorheriger Anhörung des Betriebsrats - wegen Schlechtleistung und Arbeitszeitbetrugs außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2010.

8

Am 1. Februar 2010 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht München einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte ein. Dem Gesuch, mit dem er die vorläufige Zahlung von Arbeitsentgelt begehrte, fügte der Kläger eine eidesstattliche Versicherung bei. Dort heißt es:

        

„Seit 12.11.2009 werde ich mit insgesamt 7 (!) Arbeitgeberkündigungen bombardiert, denen der Betriebsrat jeweils widersprochen hat, soweit er angehört wurde.“

9

Im Termin übergab der Kläger eine weitere eidesstattliche Versicherung. Darin berichtigte er seine früheren Angaben dahingehend, dass der Betriebsrat den Kündigungen vom 28. Dezember 2009 nicht widersprochen habe.

10

Mit Schreiben vom 15. Februar 2010 und vom 26. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos, hilfsweise ordentlich. Unter dem 22. März 2010 kündigte sie ein weiteres Mal fristlos.

11

Der Kläger bewarb sich als Kandidat für die Betriebsratswahl am 23. April 2010. Zusammen mit den übrigen Bewerbern seiner Liste verfasste und veröffentlichte er einen Wahlaufruf folgenden Inhalts:

        

„Wir danken

        

zunächst allen, die es uns mit ihrer Unterschrift möglich gemacht haben, zu dieser Wahl anzutreten. Lange war nicht klar, ob wir die nötige Zahl an Stützunterschriften zusammenbekommen würden, weil die Geschäftsführung versucht hat, uns mit Hausverboten am Sammeln der Unterschriften zu hindern und viele angesprochene Kolleginnen und Kollegen aus Angst vor persönlichen Nachteilen nicht unterschreiben wollten.

        

…       

        

Wir fordern,

        

dass die Einschüchterungen unverzüglich aufhören.

        

…       

        

Die Mobbing-Praxis, mit Hilfe von erfundenen Sachverhalten, willkürlichen Abmahnungen, und mit deren Hilfe ebensolche Kündigungen vorzubereiten und auszusprechen, muss endlich ein Ende finden! Bei der Neuorganisation des Bereichs T wurde mehrfach so vorgegangen, das ist völlig inakzeptabel! Wer sich weigert, einen Auflösungsvertrag zu unterschreiben, wird nach dem Prinzip ‚Wer nicht hört, muss fühlen‘ bestraft.

        

…       

        

Wir fordern deshalb,

        

…       

        

Schluss mit der Demütigung von Mitarbeiter/innen durch vertragsfremde Beschäftigung und untergeordnete Hilfstätigkeiten!“

12

Das Ergebnis der Betriebsratswahl wurde am 29. April 2010 bekannt gegeben. Der Kläger wurde nicht in den Betriebsrat gewählt.

13

Gegen die im Jahr 2009 erklärten Kündigungen hat sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage gewandt. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise

das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, jedoch 7.667,00 Euro brutto nicht übersteigen sollte, zum 31. Dezember 2009 aufzulösen.

14

Die Beklagte hat zur Begründung ihres - sich auf die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009 beziehenden - Auflösungsantrags vorgebracht, aufgrund zahlreicher Pflichtverletzungen des Klägers sei eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit zwischen den Parteien in Zukunft nicht mehr zu erwarten. Dessen falscher Vortrag im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung und die unzutreffende eidesstattliche Versicherung stellten einen Versuch des Prozessbetrugs dar. Der Kläger habe die Unrichtigkeit seiner Angaben zumindest billigend in Kauf genommen und dadurch das in seine Integrität gesetzte Vertrauen erheblich erschüttert. Ein weiterer Auflösungsgrund liege in den betriebsöffentlichen Beleidigungen und unwahren Tatsachenbehauptungen, die in dem Aufruf zur Betriebsratswahl 2010 enthalten seien. Der Kläger habe sich von den Aussagen trotz entsprechender Aufforderung nicht distanziert. Er verfüge auch nicht über die für eine gedeihliche Zusammenarbeit notwendige kritische Rollendistanz. Er werfe ihr grundlos „Mobbing“ vor, sehe selbst in einem von ihr in zweiter Instanz - erfolgreich - angebrachten Antrag auf Fristverlängerung und Verlegung eines Kammertermins einen Angriff auf seine wirtschaftliche Existenz und akzeptiere nicht einmal Weisungen, deren Berechtigung - wie im Fall der Weisung, die der Abmahnung vom 13. Mai 2009 zugrunde gelegen habe - rechtskräftig festgestellt sei.

15

Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen. Der Auflösung des Arbeitsverhältnisses stehe bereits sein Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber entgegen. Auch seien keine Auflösungsgründe gegeben. Er sei weiterhin bereit, sich voll und ganz für das Unternehmen und die Belegschaft einzusetzen. Dies komme insbesondere durch seine Kandidatur bei der Betriebsratswahl 2010 zum Ausdruck. Der in diesem Zusammenhang verfasste Wahlaufruf stelle die Personalpolitik der Beklagten lediglich pointiert und wahrheitsgetreu dar. Im einstweiligen Verfügungsverfahren habe er alle Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Unrichtigkeiten in seiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung seien auf Missverständnisse zurückzuführen, die mit Sprachschwierigkeiten zusammenhingen.

16

Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die ordentliche Kündigung vom 12. November 2009, noch durch die fristlosen Kündigungen vom 18. und 28. Dezember 2009 aufgelöst worden ist. Zugleich hat es das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2009 aufgelöst und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung in Höhe von 20.051,46 Euro brutto verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, den Auflösungsantrag abzuweisen. Im Übrigen ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts rechtskräftig.

Entscheidungsgründe

17

Die Revision des Klägers ist begründet. Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht dem Auflösungsantrag der Beklagten nicht stattgeben. Das angefochtene Urteil war in diesem Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).

18

I. Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). An die Auflösungsgründe sind deshalb strenge Anforderungen zu stellen.

19

1. Auflösungsgründe iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können solche Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Entscheidend ist, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere gedeihliche Zusammenarbeit gefährdet ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 42, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 21, jeweils mwN).

20

2. Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 41, BAGE 140, 47; 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 20). Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis nach dem gemäß § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Zeitpunkt, jedoch vor Erlass des (Berufungs-)Urteils bereits geendet hat. In einem solchen Fall ist das Gericht zwar nicht an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gehindert. Für die nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG anzustellende Zukunftsprognose ist aber nur der Zeitraum bis zum Eintritt der anderweitigen Beendigung zu berücksichtigen(BAG 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 22 ff.).

21

3. Die Würdigung, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt ist, obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht. Das Revisionsgericht kann aber nachprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen für den Auflösungsantrag zutreffend erkannt und bei Prüfung der vorgetragenen Auflösungsgründe alle wesentlichen Umstände vollständig und widerspruchsfrei berücksichtigt und gewürdigt hat (BAG 24. November 2011 - 2 AZR 429/10 - Rn. 43, BAGE 140, 47; 23. Februar 2010 - 2 AZR 554/08 - Rn. 33).

22

II. Einer solchen Prüfung hält die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht stand.

23

1. Das Landesarbeitsgericht nimmt mit Recht an, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger zwischenzeitlich besonderen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG erlangt habe. Der Sonderkündigungsschutz führt, anders als die Revision meint, auch nicht dazu, dass Auflösungsgründe, die im geschützten Zeitraum entstanden sind, das Gewicht eines Kündigungsgrundes iSv. § 626 BGB erreichen müssten.

24

a) Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG kann das Arbeitsverhältnis eines Wahlbewerbers in der Zeit von der Aufstellung des Wahlvorschlags bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses nur aus wichtigem Grund und zudem nur unter Einhaltung des besonderen Verfahrens nach § 103 BetrVG gekündigt werden. Gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG kann das Arbeitsverhältnis des nicht gewählten Bewerbers bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses weiterhin nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.

25

b) Die Regelungen schließen zugleich eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers im Zusammenhang mit einer Kündigung aus, die in dem geschützten Zeitraum erklärt wird. Stellt das Gericht fest, dass eine in diesem Zeitraum erklärte außerordentliche Kündigung unwirksam ist, steht die Möglichkeit, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu beantragen, nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ohnehin ausschließlich dem Arbeitnehmer zu. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses lediglich im Zusammenhang mit einer unwirksamen ordentlichen Kündigung und auch insoweit nur beantragen, wenn die Kündigung nicht aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. BAG 30. September 2010 - 2 AZR 160/09 - Rn. 13; 28. August 2008 - 2 AZR 63/07 - Rn. 27, BAGE 127, 329). Das wiederum ist während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes wegen § 15 Abs. 1, Abs. 3 KSchG stets der Fall.

26

c) Hat der Arbeitgeber vor Eintritt des Sonderkündigungsschutzes eine - sozial nicht gerechtfertigte - ordentliche Kündigung erklärt und hierauf bezogen einen Auflösungsantrag gestellt und hat der Sonderkündigungsschutz im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet, kommt eine - entsprechende - Anwendung von § 15 Abs. 3 Satz 1, Satz 2 KSchG, § 103 BetrVG nicht in Betracht. Ob etwas anderes zu gelten hat, wenn der Sonderkündigungsschutz zu dem nach § 9 Abs. 2 KSchG festzusetzenden Auflösungszeitpunkt, also bei Ablauf der Kündigungsfrist - hier dem 31. Dezember 2009 -, schon bestand, bedarf keiner Entscheidung. Dafür gibt es im Streitfall keinen Anhaltspunkt. Zwar ist der genaue Zeitpunkt, zu dem der Wahlvorschlag für den Kläger aufgestellt war (zu den Voraussetzungen: vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 12 mwN), nicht festgestellt. Das Landesarbeitsgericht ist aber erkennbar davon ausgegangen, dass der Kläger erst im Jahre 2010 Sonderkündigungsschutz als Wahlbewerber erlangt hat. Etwas anderes hat auch keine der Parteien geltend gemacht.

27

aa) Soweit der Senat für einen Arbeitnehmer, der in den Personalrat gewählt worden war, entschieden hat, einem Auflösungsantrag, der auf einen nach der Wahl entstandenen Sachverhalt gestützt werde, könne nur stattgegeben werden, wenn dieser Sachverhalt geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben (BAG 7. Dezember 1972 - 2 AZR 235/72 - zu IX der Gründe, BAGE 24, 468; ebenso APS/Biebl 4. Aufl. § 9 KSchG Rn. 58; vHH/L/Linck 15. Aufl. § 9 Rn. 61; aA HaKo-KSchG/Fiebig 4. Aufl. § 9 Rn. 85; Hertzfeld NZA-RR 2012, 1), betraf dies - anders als hier - den Fall, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Auflösungsantrag noch Mandatsträger war. Auf eine solche Konstellation bezieht sich auch die im Schrifttum für den Geltungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes vertretene Auffassung, dass außerdem der Betriebsrat der Auflösung zugestimmt haben müsse, da andernfalls § 103 BetrVG umgangen werde(ErfK/Kiel 13. Aufl. § 9 KSchG Rn. 18; KR/Spilger 10. Aufl. § 9 KSchG Rn. 62; SES/Schwarze KSchG § 9 Rn. 64).

28

bb) Im Streitfall konnte eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Umgehung von § 15 Abs. 3 KSchG und § 103 BetrVG führen. Es bedurfte daher weder eines Sachverhalts, der zugleich geeignet gewesen wäre, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben, noch einer Zustimmung des Betriebsrats. Dies gilt auch, soweit der Auflösungsantrag auf während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte gestützt wird.

29

(1) Der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG soll die Unabhängigkeit von Funktionsträgern gewährleisten. Er soll sicherstellen, dass sie ihre betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben ohne Furcht vor Repressalien seitens des Arbeitgebers ausführen können. Darüber hinaus dient er der Kontinuität der Arbeit der jeweiligen Arbeitnehmervertretung (BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13; KR/Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 9, 10; vHH/L/v. Hoyningen-Huene 15. Aufl. § 15 Rn. 1). In diesem Zusammenhang soll § 15 Abs. 3 KSchG die Durchführung der Wahl erleichtern. Insbesondere sollen Arbeitgeber daran gehindert werden, nicht genehme Arbeitnehmer von der Wahl auszuschließen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 299/11 - Rn. 13; 7. Juli 2011 - 2 AZR 377/10 - Rn. 22). Die - zeitlich befristete - Ausdehnung des Sonderkündigungsschutzes nach § 15 Abs. 3 Satz 2 KSchG über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Wahlergebnisses hinaus soll die „Abkühlung“ eventuell während der Wahl aufgetretener Kontroversen ermöglichen(BT-Drucks. VI/1786 S. 60).

30

(2) Hier hatte der Sonderkündigungsschutz des Klägers bei Entscheidung über den Auflösungsantrag bereits wieder geendet. Er hatte zudem zum Zeitpunkt des möglichen Auflösungstermins noch nicht bestanden. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses konnte daher weder die Tätigkeit des Klägers als Wahlbewerber noch die Kontinuität des betriebsverfassungsrechtlichen Organs beeinträchtigen.

31

(3) Der von § 15 Abs. 3 KSchG bezweckte Schutz der Unabhängigkeit des Wahlbewerbers verlangt in Fällen wie dem vorliegenden auch nicht danach, während der Zeit des Sonderkündigungsschutzes entstandene Sachverhalte entweder gar nicht oder nur dann als Auflösungsgrund zu berücksichtigen, wenn sie geeignet wären, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.

32

(a) Der Amts- bzw. Funktionsträger iSd. § 15 KSchG ist außerhalb des Schutzzeitraums in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht jedem anderen Arbeitnehmer ohne betriebsverfassungsrechtliches Mandat gleichgestellt. Nach Ablauf des Nachwirkungszeitraums kann eine ordentliche Kündigung deshalb auch auf solche Pflichtverletzungen gestützt werden, die der Arbeitnehmer während der Schutzfrist begangen hat. Das gilt uneingeschränkt jedenfalls für Handlungen, die in keinem Zusammenhang zur Wahlbewerbung stehen (vgl. BAG 13. Juni 1996 - 2 AZR 431/95 - zu II 1 e der Gründe). Für die Heranziehung entsprechender Sachverhalte als Auflösungsgrund kann nichts anderes gelten.

33

(b) Stehen die behaupteten Tatsachen, die die Auflösung begründen sollen, mit der Kandidatur in Verbindung, ist der Arbeitnehmer hinreichend geschützt, wenn dieser Aspekt bei der materiellen Bewertung des geltend gemachten Auflösungsgrundes angemessen Berücksichtigung findet. Wirkt sich der fragliche Umstand etwa - wie bei der Verletzung betriebsverfassungsrechtlicher Pflichten des Wahlbewerbers - ausschließlich im kollektiven Bereich aus, liegt von vornherein kein tragfähiger Auflösungsgrund iSd. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vor. Im anderen Fall muss berücksichtigt werden, dass Arbeitnehmer durch die Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Funktionen leichter mit ihren arbeitsvertraglichen Pflichten in Konflikt geraten können. Es bedarf deshalb im Rahmen von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG einer genauen Prüfung, welche Bedeutung das im geschützten Zeitraum eingetretene Ereignis nach dem Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes für die zukünftige gedeihliche Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien tatsächlich hat.

34

2. Auch ausgehend von diesem rechtlichen Rahmen durfte das Landesarbeitsgericht auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen nicht annehmen, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei nicht mehr zu erwarten. Das gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht in Anbetracht der zum 31. März 2010 erklärten ordentlichen Kündigungen vom 28. Dezember 2009 und weiterer, dem Kläger nach dem in Rede stehenden Auflösungstermin zugegangener Kündigungen vom richtigen Prognosezeitraum ausgegangen ist.

35

a) Als Auflösungsgrund grundsätzlich geeignet sind Beleidigungen oder persönliche Angriffe des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen. Auch bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptungen können - etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen - die Rechte eines Arbeitgebers in gravierender Weise verletzen und eine gedeihliche künftige Zusammenarbeit in Frage stellen (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22). Der Arbeitnehmer kann sich dafür nicht auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Falsche Tatsachenbehauptungen sind nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasst(BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19). Äußerungen, die ein Werturteil enthalten, fallen hingegen in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 18; 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21). In diesem Fall ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit gegen die betroffenen Grundrechte des Arbeitgebers abzuwägen und mit diesen in ein ausgeglichenes Verhältnis zu bringen. Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht (BVerfG 25. Oktober 2012 - 1 BvR 901/11 - Rn. 19; 13. Februar 1996 - 1 BvR 262/91 - zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1). Meinungsäußerungen, die auf einer gesicherten Tatsachenbasis beruhen, hat der Arbeitgeber eher hinzunehmen, als solche, bei denen sich der Arbeitnehmer auf unzutreffende Tatsachen stützt.

36

b) Arbeitnehmer dürfen unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 22; 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 14, BAGE 138, 312). Die Meinungsfreiheit muss jedoch regelmäßig dann zurücktreten, wenn sich das in der Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik erweist (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 23; 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266). Das gilt auch bei der Teilnahme an einer Betriebsratswahl. Der Arbeitgeber muss nicht deshalb Beleidigungen oder Schmähungen hinnehmen, weil ein Arbeitnehmer damit Stimmen für seine Kandidatur gewinnen will (ähnlich BAG 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 - zu II 3 b der Gründe). Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht, die den Betroffenen jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - aaO; BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 355/10 - Rn. 17, aaO; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe).

37

c) Soweit in einem laufenden Gerichtsverfahren - etwa im Kündigungsschutzprozess - Erklärungen abgegeben werden, ist zu berücksichtigen, dass diese durch ein berechtigtes Interesse des Arbeitnehmers gedeckt sein können (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 22; 9. September 2010 - 2 AZR 482/09 - Rn. 12). Parteien dürfen zur Verteidigung von Rechten schon im Hinblick auf den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann (BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe). Ein Prozessbeteiligter darf auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Dies gilt allerdings nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Parteien dürfen nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - aaO mwN).

38

d) Gemessen daran trägt die bisherige Begründung des Berufungsurteils die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht.

39

aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe mit dem Wahlaufruf unzutreffende Behauptungen im Betrieb verbreitet, welche das „Unternehmenspersönlichkeitsrecht“ der Beklagten verletzten. Er habe damit seine gegenüber der Beklagten bestehenden Pflichten zur Rücksichtnahme in einem Umfang verletzt, der eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lasse. Bei dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit verkannt.

40

(1) Für die Frage, ob und in welcher Weise in Fällen wie diesem die betroffenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind, ist maßgebend, ob die fragliche Äußerung als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist. Während für Werturteile die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage kennzeichnend ist, werden Tatsachenbehauptungen durch die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit charakterisiert. Anders als Werturteile sind Tatsachenbehauptungen daher grundsätzlich dem Beweis zugänglich (BVerfG 8. Mai 2007 - 1 BvR 193/05 - Rn. 21; 13. April 1994 - 1 BvR 23/94 - zu B II 1 b der Gründe, BVerfGE 90, 241). Ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, beurteilt sich entscheidend nach dem Gesamtkontext, in dem sie steht (zum Ganzen: BVerfG 24. Juli 2013 - 1 BvR 444/13, 1 BvR 1 BvR 527/13 - Rn. 18).

41

(2) Danach handelt es sich bei der im Wahlaufruf - sinngemäß - enthaltenen Aussage, die Beklagte betreibe „Mobbing“, indem sie auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche, nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung. Die Vorwürfe des „Mobbings“ und der „Willkür“ als solche sind erkennbar das Ergebnis einer wertenden Betrachtung. Der Hinweis, die Beklagte spreche Abmahnungen und Kündigungen „auf der Basis erfundener Sachverhalte“ aus, stellt keine - isolierte - Tatsachenbehauptung dar. Die Äußerung bildet lediglich die tatsächliche Grundlage für das Werturteil und ist daher mit der Meinungsäußerung untrennbar verbunden. Die im Wahlaufruf enthaltenen Äußerungen fallen damit sämtlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG und hätten mit den ggf. betroffenen Grundrechten der Beklagten - insbesondere Art. 12 Abs. 1 GG(vgl. BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25 mwN) - in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden müssen. Dies hat das Landesarbeitsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - unterlassen.

42

(3) Die Meinungsfreiheit des Klägers muss nicht deshalb zurücktreten, weil die Inhalte des Wahlaufrufs als bloße Diffamierung anzusehen wären. Bei den Äußerungen stand nicht eine Schmähung oder Beleidigung der Beklagten oder ihrer Repräsentanten, sondern die - wenngleich überspitzte und polemische - Darstellung der betrieblichen Verhältnisse zum Zwecke des laufenden Betriebsratswahlkampfs im Vordergrund. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Kläger nach dem Ende des Wahlkampfs an seinen Äußerungen festgehalten hat. Damit hat er - anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht seine Meinungsäußerung in der Betriebsöffentlichkeit aufrechterhalten, sondern im Rahmen des Rechtsstreits seinen Standpunkt - bezogen auf ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten - verteidigt und damit berechtigte eigene Interessen wahrgenommen.

43

bb) Auch die Berücksichtigung der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung als Auflösungsgrund ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat den vorgetragenen Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt. Es hat die - unstreitige - Tatsache, dass der Kläger seine Versicherung bereits wenige Tage später korrigierte, nicht in seine Erwägungen einbezogen. Hätte es diesen Umstand berücksichtigt, hätte es nicht ohne Weiteres annehmen können, der Kläger werde es auch in Zukunft „mit der Wahrheit nicht so genau nehmen“.

44

cc) Soweit das Landesarbeitsgericht einen Auflösungsgrund in der mangelnden Bereitschaft des Klägers erblickt hat zu akzeptieren, dass die Beklagte ihm am 13. Mai 2009 eine - wie durch rechtskräftiges Urteil bestätigt - rechtmäßige Weisung erteilt habe, ist nicht erkennbar, von welchen Tatsachen es dabei ausgegangen ist. Dass der Kläger die entsprechende Weisung auch nach Abschluss des wegen der Entfernung der Abmahnung aus seiner Personalakte geführten Rechtsstreits nicht befolgt hätte, hat es nicht festgestellt. Aus einem möglichen Fehlen der inneren Akzeptanz auf Seiten des Klägers ergeben sich - soweit ersichtlich - keine negativen Auswirkungen für die weitere Zusammenarbeit.

45

dd) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, eine gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien sei deshalb nicht zu erwarten, weil sich der Kläger selbst durch Terminverlegungsanträge des Prozessbevollmächtigten der Beklagten angegriffen fühle und dieser unterstelle, sie dienten nur dazu, ihn auf unzulässige Weise unter Druck zu setzen und ihn existenziell zu ruinieren, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das gilt gleichermaßen für die Annahme, der Kläger sei, wie der wiederholte Vorwurf des „Mobbings“ zeige, nicht in der Lage, „das Handeln des Arbeitgebers in einem auch nur halbwegs objektiven Licht zu sehen“. Das Landesarbeitsgericht hat außer Acht gelassen, dass die Äußerungen im Rahmen eines kontrovers geführten Rechtsstreits gefallen sind. In einem solchen „Kampf um das Recht“ war dem Kläger auch die Behauptung möglicherweise ehrverletzender Tatsachen erlaubt, soweit es aus seiner Sicht darauf ankommen konnte (vgl. BVerfG 11. April 1991 - 2 BvR 963/90 - zu C II 3 der Gründe; BAG 24. März 2011 - 2 AZR 674/09 - Rn. 29). Das war hier der Fall. Der Kläger wollte auf diese Weise ersichtlich nur seine subjektive Wahrnehmung schildern, um seiner Rechtsauffassung besonderen Nachdruck zu verleihen.

46

III. Ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Es fehlt an den erforderlichen Feststellungen. Die Sache war deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

47

1. Das Landesarbeitsgericht hat hinsichtlich der Äußerungen im Wahlaufruf keine Abwägung zwischen dem Grundrecht des Klägers auf freie Meinungsäußerung und betroffenen Grundrechten der Beklagten oder ihrer Repräsentanten vorgenommen. Dies hat es nachzuholen. Dabei wird es genau prüfen müssen, in welchen eigenen Rechtspositionen sich die Beklagte als verletzt sieht und ob diese grundrechtlichen Schutz genießen (vgl. dazu BVerfG 8. September 2010 - 1 BvR 1890/08 - Rn. 25). Bei dieser Abwägung wird auch der Wahrheitsgehalt der Tatsachen zu ermitteln sein, die der Meinungsäußerung nach dem Vorbringen des Klägers zugrunde liegen. Dabei sind - anders als das Landesarbeitsgericht bislang angenommen hat - nicht nur ganze „Sachverhaltskomplexe“ zu berücksichtigen. Auch wenn sich - ggf. nach einer Beweisaufnahme - nur einzelne Tatsachen als unzutreffend herausstellen sollten, auf die die Beklagte Abmahnungen und/oder Kündigungen gestützt hat, wäre dies im Rahmen der Gesamtabwägung zugunsten des Klägers zu gewichten.

48

2. Für die Würdigung, ob die Äußerungen im Wahlaufruf geeignet sind, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, wird das Landesarbeitsgericht zudem zu prüfen haben, ob die Gefahr einer Wiederholung besteht. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist eine solche nicht erkennbar. Die Betriebsratswahl ist abgeschlossen, der Kläger hat die Funktion des Wahlbewerbers nicht mehr inne. Dass künftig dennoch mit gleichen oder ähnlichen Meinungsäußerungen zu rechnen ist, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt.

49

3. Sollte das Landesarbeitsgericht in der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung auch unter Berücksichtigung ihrer nachträglichen Korrektur weiterhin einen möglichen Auflösungsgrund sehen, wird es noch festzustellen haben, ob dem Kläger insoweit Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist. Diese Unterscheidung ist entscheidungserheblich. Fahrlässigkeit wird die Beklagte in diesem Zusammenhang eher hinzunehmen haben als Vorsatz.

50

4. Gelangt das Landesarbeitsgericht - ggf. unter Einbeziehung weiteren Sachvortrags der Beklagten - erneut zu dem Ergebnis, es lägen „an sich“ geeignete Auflösungsgründe vor, wird es zu prüfen haben, von welchem Prognosezeitraum auszugehen ist. Zwar steht - soweit ersichtlich - nicht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund einer der weiteren Kündigungen der Beklagten nach dem 31. Dezember 2009 geendet hat. Darauf kommt es aber nicht an. Ist der Eintritt einer anderweitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar möglich, steht er aber nicht mit Gewissheit fest, muss das zur Entscheidung über den Auflösungsantrag berufene Gericht ggf. eine Prognose über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Eintritts treffen und daran die Prüfung nach § 9 KSchG ausrichten(vgl. BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR 241/12 - Rn. 18; 27. April 2006 - 2 AZR 360/05 - Rn. 29, BAGE 118, 95). Stellt sich heraus, dass das Arbeitsverhältnis aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Termin der mündlichen Verhandlung geendet hätte, sind bei der nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG vorzunehmenden Gesamtabwägung auch nur die Auflösungstatsachen zu berücksichtigen, die im maßgebenden Beurteilungszeitraum eingetreten sind.

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    Wolf    

        

    Torsten Falke    

                 

(1) Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.

3

Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:

        

„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“

4

Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.

5

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.

6

Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.

7

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt

        

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.

9

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.

11

I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

12

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).

13

2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

14

a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).

15

b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

16

c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.

17

aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).

18

bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.

19

3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.

20

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).

21

b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.

22

aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.

23

bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).

24

cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.

25

(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

26

(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.

27

(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.

28

(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.

29

(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.

30

(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.

31

(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.

32

c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

33

aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.

34

bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.

35

cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.

36

II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).

37

III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Jan Eulen    

        

    Sieg    

                 

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 6. September 2010 - 4 Sa 18/10 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seiner Behinderung bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.

2

Der 1964 geborene Kläger absolvierte von 1982 bis 1985 eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann. Nachdem er 1987 die Fachhochschulreife erworben hatte, studierte er anschließend bis 1992 Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule F. Er schloss mit dem Diplom als „Betriebswirt FH“ ab. Danach übte der Kläger bis 1996 verschiedene Tätigkeiten aus. Dem schloss sich bis 1998 eine weitere Berufsausbildung als Chemisch-Technischer Assistent an, die in den Folgejahren zu keiner stabilen Beschäftigung führte. Im September 1997 wurde die Schwerbehinderung des Klägers aufgrund eines nicht behandlungsbedürftigen essentiellen Tremors mit einem GdB von 60 anerkannt.

3

Von September 2004 bis August 2005 nahm der Kläger bei einer Gemeinde am praktischen Einführungsjahr für den gehobenen Verwaltungsdienst teil. Anschließend studierte er bis September 2008 an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in K. Für das Hauptstudium wählte er das Fach „Wirtschaft“ und das Wahlpflichtfach „Rechnungswesen“. Die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst absolvierte der Kläger mit der Gesamtnote „befriedigend“ (7 Punkte).

4

Die Beklagte ist eine Gemeinde mit rd. 3.700 Einwohnern, die in ihrer Verwaltung auf acht Stellen zwölf Arbeitnehmer beschäftigt. Im Sommer 2009 schrieb die Beklagte eine Stelle für einen Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt zur Mutterschaftsvertretung aus. Für dieses Aufgabengebiet suchte die Beklagte „eine/n Mitarbeiter/in mit der Qualifikation des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes und umfassenden Kenntnissen“. Die Vergütung sollte gemäß dem TVöD erfolgen. Nach seiner Staatsprüfung hatte sich der Kläger um zahlreiche Stellen im öffentlichen Dienst beworben. Nachdem er anfänglich in den Bewerbungsschreiben auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen hatte, entschloss er sich wegen der Erfolglosigkeit seiner Bewerbungen ab einem bestimmten Zeitpunkt, nur noch den Hinweis auf eine „Behinderung“ zu geben. Vom 12. Januar bis 31. März 2010 arbeitete der Kläger bei einem öffentlichen Arbeitgeber in Oberbayern.

5

Mit Schreiben vom 8. Juli 2009 bewarb sich der Kläger um die ausgeschriebene Stelle der Beklagten. Am Ende des Bewerbungsschreibens führte er aus:

        

„Durch meine Behinderung bin ich, insbesondere im Verwaltungsbereich, nicht eingeschränkt.“

6

Bei der Beklagten bearbeitete die Beschäftigte M das Bewerbungsverfahren. Diese kannte den Kläger von dem gemeinsamen Besuch der Fachhochschule K her flüchtig. Frau M hatte dabei den Eindruck gewonnen, dass sich der Kläger anderen Studentinnen und Studenten aufdränge. Davon unterrichtete sie den Bürgermeister der Beklagten, der sich daraufhin gegen eine Berücksichtigung des Klägers entschied. Die Beklagte nahm keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf und prüfte nicht, ob die ausgeschriebene Stelle mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne. Im weiteren Verlauf wurden zwei der ca. zehn Bewerber dem Gemeinderat vorgestellt. Eingestellt wurde schließlich Frau Mü, die ihr Staatsexamen mit acht Punkten bestanden hatte und während des Hauptstudiums den Bereich „Verwaltung“ und das Schwerpunktfach „Kommunalpolitik“ gewählt hatte. Unter dem 30. Juli 2009 sagte die Beklagte dem Kläger schriftlich ab.

7

Durch Schreiben seiner damaligen Anwälte ließ der Kläger am 14. August 2009 der Beklagten mitteilen, dass er seit September 1997 im Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit einem GdB von 60 sei. Er rügte, nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein und machte vorsorglich Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG dem Grunde nach geltend. Der spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers in den Vorinstanzen bezifferte mit Schreiben vom 10. September 2009 die vom Kläger begehrte Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG auf drei Bruttomonatsgehälter oder 6.689,85 Euro. Mit Schreiben vom 24. September 2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass wegen offensichtlich fehlender fachlicher Eignung eine Einladung zum Vorstellungsgespräch entbehrlich gewesen sei.

8

Mit Eingang beim Arbeitsgericht am 26. Oktober 2009 hat der Kläger die von ihm verlangte Entschädigung gerichtlich geltend gemacht. Zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung betrieb der Kläger in mindestens 27 weiteren Fällen Entschädigungsklagen gegen öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch begründe bereits die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung. Auch habe es die Beklagte unterlassen, die freie Stelle der Bundesagentur für Arbeit zu melden und den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung über seine Bewerbung und die Ablehnungsgründe zu unterrichten. Jedenfalls habe Frau M gewusst, dass er schwerbehindert sei. Dies sei ohne weiteres an seinem Tremor und daran erkennbar gewesen, dass er aufgrund seines fortgeschrittenen Alters nur als Schwerbehinderter die Zulassung zum Studium habe erhalten können. Zumindest habe die Beklagte eine Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund der Zulassungsbestimmungen zur Ausbildung für den gehobenen Verwaltungsdienst erkennen müssen.

10

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 6.689,85 Euro nebst fünf % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 26. September 2009 zu zahlen.

11

Den Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass Frau M nicht bekannt gewesen sei, dass der Kläger schwerbehindert sei. Frau M und der Kläger hätten weder im selben Semester studiert noch seien sie näher bekannt gewesen, weshalb Frau M auch das Alter des Klägers nicht gekannt habe. Auch habe die Beklagte aus sonstigen Umständen die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht erkannt bzw. erkennen müssen. Im Übrigen sei die ausgeschriebene Stelle nicht als Arbeitsplatz iSv. SGB IX anzusehen.

12

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers nach Beweisaufnahme zur Frage des Bestehens einer Schwerbehindertenvertretung bzw. eines Personalrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Klägers ist begründet. Er hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, § 81 Abs. 2 SGB IX. Über die Höhe des Entschädigungsanspruchs kann der Senat nicht entscheiden. Insoweit fehlen tatsächliche Feststellungen, die das Landesarbeitsgericht innerhalb seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums rechtlich zu würdigen haben wird.

14

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG bestehe nicht, da der Kläger nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden sei. Zwar habe er Umstände vorgetragen, die als Indiztatsachen iSv. § 22 AGG eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen. Dem Kläger habe die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle nicht offensichtlich gefehlt. Die Beklagte habe als öffentliche Arbeitgeberin gegen ihre Verpflichtung nach den § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, § 82 SGB IX verstoßen, der Agentur für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze zu melden. Diese Verpflichtung beziehe sich aber nur auf das Vorfeld des eigentlichen Stellenbesetzungsverfahrens. Offenbare ein Bewerber seine Schwerbehinderung nicht, so sei die unterlassene Meldung gegenüber der Agentur für Arbeit nicht kausal für die in Unkenntnis der Schwerbehinderung getroffene Entscheidung des Arbeitgebers. Entsprechendes gelte für den Verstoß gegen die Pflicht der öffentlichen Arbeitgeber zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX. Aus den Bewerbungsunterlagen habe die Beklagte die Schwerbehinderung weder gekannt noch erkennen müssen, auch habe eine Pflicht zur Erkundigung nicht bestanden. Der Beschäftigten M seien die persönlichen Umstände des Klägers nicht bekannt gewesen, weshalb die Beklagte auch nicht von seinem Alter oder den rechtlichen Rahmenbedingungen für die Studienzulassung auf eine Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers habe schließen müssen. Die Beweisaufnahme habe zum Ergebnis gehabt, dass bei der Beklagten weder ein Personalrat noch eine Schwerbehindertenvertretung bestehe, so dass die Nichtbeteiligung derartiger Gremien kein Indiz darstelle. Im Ergebnis fehle es damit an Indizien, die eine Benachteiligung „wegen“ Behinderung vermuten ließen.

15

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

16

I. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. Grundlage hierfür ist § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG, der für einen Schaden, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld vorsieht. Dem Gericht wird bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 38), weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21, jeweils mwN). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht grundsätzlich die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung mit 6.689,85 Euro beziffert.

17

II. Die Klage ist begründet. Die Beklagte hat bei der Besetzung der Stelle im Bereich Personalwesen, Bauleitplanung, Liegenschaften und Ordnungsamt im Juli 2009 gegen das Verbot verstoßen, schwerbehinderte Beschäftigte wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, §§ 7 und 1 AGG). Der Kläger hat als benachteiligter schwerbehinderter Beschäftigter nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, § 15 Abs. 2 AGG Anspruch auf eine angemessene Entschädigung.

18

1. Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG „Beschäftigter“ und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Unerheblich ist dabei, ob der Bewerber für die ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet ist (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12; 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

19

2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber eines Bewerbers ist also der, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis gebeten hat (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11). Aufgrund ihrer Stellenausschreibung trifft dies auf die Beklagte zu.

20

3. Der Kläger hat auch die gesetzlichen Fristen nach § 15 Abs. 4 AGG zur Geltendmachung des Anspruchs auf Entschädigung gewahrt.

21

a) Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG). Nach der schriftlichen Ablehnung des Klägers vom 30. Juli 2009 durch die Beklagte war das Schreiben des vormaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 10. September 2009 fristwahrend. Auf das vorangegangene Schreiben seiner ehemaligen Bevollmächtigten vom 14. August 2009 kommt es nicht an. Im Geltendmachungsschreiben vom 10. September 2009 werden unter Vorlage des Schwerbehindertenausweises und unter Bezugnahme auf das Bewerbungsschreiben des Klägers vom 8. Juli 2009 Pflichtverstöße gegen die §§ 81, 82 SGB IX gerügt und eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. drei Monatsgehältern mit der Bezifferung auf 6.689,85 Euro geltend gemacht.

22

b) Die am 26. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht Freiburg - Kammern Villingen-Schwenningen - eingegangene Klage wahrte die Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG. Dass die Klage zunächst bei einem örtlich unzuständigen Gericht eingereicht und mit Beschluss vom 11. November 2009 an das Arbeitsgericht Pforzheim verwiesen wurde, ist schon deswegen nicht von Bedeutung, weil der Rechtsstreit nach Zustellung der Klage an die Beklagte innerhalb der Klagefrist an das zuständige Gericht verwiesen wurde (vgl. BGH 21. September 1961 - III ZR 120/60 - BGHZ 35, 374; GMP/Germelmann 7. Aufl. § 61b ArbGG Rn. 6).

23

4. Die Beklagte hat den Kläger auch benachteiligt. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation.

24

a) Der Kläger erfuhr eine weniger günstige Behandlung als Frau Mü, die tatsächlich zum Vorstellungsgespräch bei der Beklagten eingeladen, in die Auswahl einbezogen und schließlich eingestellt wurde. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung liegt vor, wenn der Bewerber - wie hier der Kläger - nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt bereits in der Versagung einer Chance (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; EuGH 22. April 1997 - C-180/95 - [Draehmpaehl] Slg.1997, I-2195 = AP BGB § 611a Nr. 13 = EzA BGB § 611a Nr. 12; BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - BVerfGE 89, 276 = AP BGB § 611a Nr. 9 = EzA BGB § 611a Nr. 9; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 24; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 13). Wie sich auch aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist nicht erforderlich, dass der Bewerber aufgrund des Benachteiligungsgrundes nicht eingestellt worden ist. Auch dann, wenn der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ist ein Anspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt.

25

b) Der Kläger und Frau Mü befanden sich auch in einer vergleichbaren Situation.

26

aa) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

27

Grundsätzlich ist für die objektive Eignung nicht auf das formelle Anforderungsprofil, welches der Arbeitgeber erstellt hat, abzustellen, sondern auf die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Stellenbewerber stellen durfte (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibt der Arbeitgeber an das in der veröffentlichten Stellenbeschreibung bekanntgegebene Anforderungsprofil gebunden (BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - mwN, BAGE 131, 232 = AP SBG IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

28

bb) Bei der Besetzung von Stellen öffentlicher Arbeitgeber ist weiter Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Hiernach besteht nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung Anspruch auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Darunter sind auch Stellen zu verstehen, die mit Arbeitern und Angestellten besetzt werden. Art. 33 Abs. 2 GG dient mit der Anforderung einer Bestenauslese zum einen dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes, dessen fachliches Niveau und rechtliche Integrität gewährleistet werden sollen. Zum anderen trägt sie dem berechtigten Interesse der Bewerber an ihrem beruflichen Fortkommen Rechnung. Art. 33 Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleiches Recht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung in die Bewerberauswahl und eine Durchführung des Auswahlverfahrens anhand der in der Regelung genannten Auswahlkriterien(BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13; 23. Januar 2007 - 9 AZR 492/06 - BAGE 121, 67 = AP ZPO 1977 § 233 Nr. 83 = EzA GG Art. 33 Nr. 30). Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ist somit verpflichtet, für die zu besetzende Stelle ein Anforderungsprofil festzulegen und nachvollziehbar zu dokumentieren, weil nur so seine Auswahlentscheidung nach den Kriterien der Bestenauslese gerichtlich überprüft werden kann (BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - mwN, aaO). Die Festlegung des Anforderungsprofils muss dabei im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein, wobei allerdings der von der Verfassung dem öffentlichen Arbeitgeber gewährte Beurteilungsspielraum nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle zulässt.

29

cc) Unter Beachtung dieser Maßstäbe bestehen an der objektiven Eignung des Klägers für die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle keine Zweifel. Die Beklagte hat mit ihrer Ausschreibung, wonach ein/e Mitarbeiter/in mit „der Qualifikation des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes und umfassenden Kenntnissen“ gesucht wird, das Anforderungsprofil für die zu besetzende Stelle aufgestellt und dokumentiert. Weder werden die „umfassenden Kenntnisse“ in einem bestimmten Gebiet verlangt, noch wird zusätzlich zur Qualifikation für den gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst eine bestimmte Mindestnote in der Staatsprüfung als Voraussetzung aufgestellt. Der Kläger hat die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst abgelegt und verfügt damit über umfassende Kenntnisse, wenn auch - aufgrund seiner Schwerpunktsetzung - eher auf betriebswirtschaftlichem Gebiet. Dies ist jedoch im Hinblick auf das verbindliche Anforderungsprofil der Beklagten nicht relevant.

30

5. Bei der von der Beklagten ausgeschriebenen Stelle handelt es sich auch um einen Arbeitsplatz iSd. § 82 Satz 1 SGB IX.

31

§ 82 Satz 1 SGB IX verweist auf § 73 SGB IX, der in Abs. 1 einen funktionalen Arbeitsplatzbegriff enthält(Großmann GK-SGB IX Stand Oktober 2011 § 73 Rn. 15; Trenk-Hinterberger in HK-SGB IX 3. Aufl. § 73 Rn. 5). Danach sind Arbeitsplätze im Sinne des Teils 2 des SGB IX alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, Richter und Richterinnen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Arbeitsplatz ist diejenige Stelle, in deren Rahmen eine bestimmte Tätigkeit auf der Grundlage eines Arbeits-, Dienst- oder Ausbildungsverhältnisses mit all den sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten vollzogen wird (vgl. BVerwG 8. März 1999 - 5 C 5/98 - NZA 1999, 826). Bei der ausgeschriebenen Stelle handelt es sich um einen Arbeitsplatz iSv. §§ 82, 73 Abs. 1 SGB IX. Ob die Einschränkungen des § 73 Abs. 2 SGB IX nur für die Berechnungs- und Anrechnungsvorschriften der §§ 71, 74, 75 und 76 SGB IX von Bedeutung sind und es im Übrigen beim allgemeinen Arbeitsplatzbegriff des § 73 Abs. 1 SGB IX verbleibt, kann vorliegend schon deswegen dahinstehen, weil die von der Beklagten zu besetzende Stelle gerade eine Mutterschaftsvertretung sein sollte, also noch nicht mit einer Vertreterin oder einem Vertreter besetzt war(§ 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB IX).

32

6. Die nachteilige Behandlung hat der Kläger auch „wegen seiner Behinderung“ erfahren.

33

a) Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Menschen sind danach behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Der Begriff der „Behinderung“ ist damit weiter als der Begriff der „Schwerbehinderung“ im Sinne von § 2 Abs. 2 SGB IX; auf einen bestimmten Grad der Behinderung kommt es nicht an (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 1 Rn. 66; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 1 Rn. 39). Die Ausweitung des Benachteiligungsverbots über den Kreis der Schwerbehinderten (§ 81 Abs. 2 SGB IX) auf alle behinderten Menschen ist durch das unionsrechtliche Begriffsverständnis gefordert (vgl. ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 1 AGG Rn. 10 mwN). Im Hinblick auf die Richtlinie 2000/78/EG ist eine einheitlich geltende Auslegung des Behindertenbegriffs notwendig, der eine Beschränkung auf „Schwerbehinderung“ nicht kennt (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - aaO). Der Kläger, der an einem essentiellen Tremor leidet und für den seit dem 23. September 1997 ein Grad der Behinderung von 60, also eine Schwerbehinderung, festgestellt ist, unterfällt damit dem Behindertenbegriff des § 1 AGG.

34

b) Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32 zu § 3 Abs. 1 AGG). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 7 Rn. 14; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 11; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 7 AGG Rn. 3). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - aaO).

35

Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt. Der Beschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verbotenen Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität erfordern, die aber die Annahme rechtfertigen, dass Kausalität gegeben ist(BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 20. Mai 2010 - 8 AZR 287/08 (A) - AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Liegt eine Vermutung für die Benachteiligung vor, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

36

c) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem Bewerber vorgetragenen oder unstreitigen Tatsachen eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen einer Behinderung und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6 zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB aF bzgl. einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung).

37

d) Ob die Verletzung einer Unterrichtungspflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX Indizwirkung nur bei bestehendem Personalrat und/oder Schwerbehindertenvertretung hat - wovon das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist - oder aber eine eigenständige, von den Sätzen 4 bis 8 unabhängige Pflicht des Arbeitgebers darstellt, die auch dann besteht, wenn es keinen Betriebs-/Personalrat oder keine Schwerbehindertenvertretung gibt(so Knittel SGB IX Kommentar 5. Aufl. § 81 Rn. 44) kann vorliegend dahinstehen. Jedenfalls ist von einer Indizwirkung iSd. § 22 AGG nur dann auszugehen, wenn wie bei der Pflicht zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung des Bewerbers bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis hätte verschaffen können. Andernfalls kann der Pflichtenverstoß dem Arbeitgeber nicht zugerechnet werden (vgl. BAG 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19; 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; Knittel aaO Rn. 91b; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 22 Rn. 10 zur Nichtbeteiligung der Schwerbehindertenvertretung). Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und eines der in § 1 AGG genannten Merkmale kann aus einem Verfahrensverstoß nur dann abgeleitet werden, wenn der Arbeitgeber anhand der objektiv bestehenden Umstände erkannt hat oder erkennen musste, dass ihn eine entsprechende Pflicht trifft. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber positive Kenntnis von der Schwerbehinderung oder Gleichstellung oder zumindest Anlass dazu hatte, eine solche anzunehmen.

38

aa) Daher obliegt es dem abgelehnten Bewerber darzulegen, dass dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung bekannt gewesen ist oder er sich aufgrund der Bewerbungsunterlagen diese Kenntnis jedenfalls hätte verschaffen müssen (Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 82 Rn. 19). Andererseits hat der Arbeitgeber die Erledigung seiner Personalangelegenheiten so zu organisieren, dass er seine gesetzlichen Pflichten zur Förderung schwerbehinderter Bewerber erfüllen kann. Die für den Arbeitgeber handelnden Personen sind verpflichtet, das Bewerbungsschreiben vollständig zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Ein ordnungsgemäßer Hinweis auf eine Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt ist, die es ihm ermöglicht, die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen (BAG 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - BAGE 127, 367 = AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17). Zwar muss der Bewerber keinen Schwerbehindertenausweis oder seinen Gleichstellungsbescheid vorlegen, jedoch muss sein Hinweis so beschaffen sein, dass ein gewöhnlicher Leser der Bewerbung die Schwerbehinderung oder Gleichstellung zur Kenntnis nehmen kann.

39

bb) Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wonach den Bewerbungsunterlagen des Klägers kein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung oder Gleichstellung des Klägers zu entnehmen war und im Übrigen auch keine positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei der Beklagten bestand.

40

Der Kläger hatte seinen Bewerbungsunterlagen keinen Schwerbehindertenausweis beigelegt, wozu auch keine Pflicht bestand. Allerdings hat er auch im Bewerbungsschreiben ausgeführt „durch meine Behinderung bin ich, insbesondere im Verwaltungsbereich, nicht eingeschränkt“. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, hieraus habe die Beklagte nicht entnehmen müssen, dass beim Kläger eine Schwerbehinderung vorliegt, verstößt nicht gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze. Aufgrund der Weite des Behindertenbegriffs fallen auch Einschränkungen hierunter, die unterhalb der Schwelle eines Grades der Behinderung von 50 (§ 2 Abs. 2 SGB IX), 30 oder gar 20 liegen und daher die besonderen Pflichten nach §§ 81, 82 SGB IX, die nur für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen gelten(§ 68 Abs. 1 SGB IX), nicht auslöst. Der Senat hat zwischenzeitlich kargestellt, dass sich für die Zeit nach Inkrafttreten des AGG ein einfachbehinderter Bewerber im Sinne von Vermutungstatsachen auf Verstöße des Arbeitgebers im Bewerbungsverfahren gegen die §§ 81 ff. SGB IX nicht mit Erfolg berufen kann (BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3; Beyer jurisPR-ArbR 35/2011 Anm. 2).

41

Aus den sonstigen Bewerbungsunterlagen, insbesondere dem Lebenslauf des Klägers ergeben sich keine ausreichenden Hinweise auf eine Schwerbehinderung. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass wegen des Alters des Klägers im Zusammenhang mit der Zulassung zum Studium und des Hinweises auf die Behinderung kein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung vorlag. Unabhängig von der Frage, ob ein ausreichender Hinweis auf eine Schwerbehinderung auch dann vorliegt, wenn diese wiederum nur aus sonstigen Umständen wie Lebensalter bei Ausbildungsbeginn etc. abgeleitet werden kann, musste die Beklagte aus dem Lebensalter des am 23. März 1964 geborenen Klägers und dem Beginn des Studiums an der Fachhochschule K im September 2005 (Einführungspraktikum ab September 2004) nicht von einer Schwerbehinderteneigenschaft ausgehen. Denn nach § 6 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 APrOVw gD BW(Ausbildungs- und Prüfungsordnung für den gehobenen Verwaltungsdienst Baden-Württemberg) wird zur Ausbildung zugelassen, wer als schwerbehinderter Mensch im Zeitpunkt der Einstellung in den Vorbereitungsdienst das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben wird bzw. wer die Voraussetzungen voraussichtlich zum Zeitpunkt der Einstellung in das Einführungspraktikum erfüllen wird. Hiernach war eine Zulassung des schwerbehinderten Klägers zur Ausbildung gar nicht möglich. Auch der Kläger behauptet dies nicht. Vielmehr trägt der Kläger selbst vor, die ausnahmsweise Zulassung zur Ausbildung habe auf einer Entscheidung des Landespersonalausschusses nach § 55 Landeslaufbahnverordnung Baden-Württemberg iVm. § 6 Abs. 3 APrOVw gD BW beruht.

42

Zu Recht ist schließlich das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass bei Frau M keine positive Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bestand, die der Beklagten zuzurechnen wäre. Selbst wenn zugunsten des Klägers eine Stellung von Frau M unterstellt wird, die eine Wissenszurechnung ermöglicht und darüber hinaus nicht nur das geschäftlich erlangte Wissen von Frau M, sondern auch privat erlangtes Wissen in das zuzurechnende Wissen einbezogen wird (vgl. Palandt/Ellenberger 70. Aufl. § 166 BGB Rn. 6), fehlt es an einer vom Kläger dargelegten positiven Kenntnis Frau M von seiner Schwerbehinderteneigenschaft. Auch mit der Revision bringt der Kläger allein vor, „an der FH K sei bekannt gewesen, dass er schwerbehindert ist“. Dies stellt keinen ausreichenden Sachvortrag zur Kenntnis von Frau M dar, die mit dem Kläger weder im gleichen Semester studiert hat noch näher persönlich bekannt war. Auch der Kläger behauptet nicht, er habe Frau M über seine Schwerbehinderung zu irgendeinem Zeitpunkt informiert. Entsprechendes gilt für den Sachvortrag des Klägers, Frau M habe die Schwerbehinderteneigenschaft aufgrund seines Alters oder des Tremors erkennen müssen. Auch dieser Sachvortrag ist nicht schlüssig. Der Kläger behauptet nicht, dass Frau M sein Alter bekannt gewesen sei. Auch gibt er nicht an, was Frau M bezüglich seines Tremors wahrgenommen haben soll. Zwar ist der Nachweis der Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber dann entbehrlich, wenn die Schwerbehinderung offenkundig ist (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - EzA SGB IX § 85 Nr. 7; 13. Februar 2008 - 2 AZR 864/06 - mwN, BAGE 125, 345 = AP SGB IX § 85 Nr. 5 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 83). Dabei muss jedoch nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde. Eine von Frau M wahrgenommene, offenkundige Beeinträchtigung, die ebenso offenkundig auch mit einem GdB von mindestens 50 zu bewerten war, hat der Kläger nicht schlüssig vorgetragen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass seine Bewegungsstörungen so erheblich waren oder sind, dass sie auch von Frau M ohne sozialmedizinische Vorbildung als offensichtliche Schwerbehinderung wahrzunehmen und einzustufen waren. Daher hat das Landesarbeitsgericht zu Recht von einer Beweisaufnahme hierzu abgesehen.

43

Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht eine Pflicht des Arbeitgebers, sich nach einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, abgelehnt. Eine solche, von einem etwa bestehenden Recht zur Erkundigung zu unterscheidende Pflicht zur Erkundigung besteht schon deshalb nicht, weil der Arbeitgeber nicht berechtigt ist, sich tätigkeitsneutral nach dem Bestehen einer Schwerbehinderteneigenschaft zu erkundigen, wenn er hiermit keine positive Fördermaßnahme verbinden will. Gerade durch solche Nachfragen kann der Arbeitgeber Indiztatsachen schaffen, die ihn bei einer Entscheidung gegen den schwerbehinderten Bewerber in die Darlegungslast nach § 22 AGG bringen können. Eine Pflicht zur Erkundigung zielte auf ein verbotenes Differenzierungsmerkmal nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in Verb. mit § 1 AGG und stellte eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung dar(ErfK/Preis 11. Aufl. § 611 BGB Rn. 272 mwN; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 85 Rn. 22; Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 30, 32 f.). Der Arbeitgeber kann nicht verpflichtet sein, mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft Tatsachen zu schaffen, die ihm als Indiztatsachen nach § 22 AGG in einem späteren möglichen Prozess entgegengehalten werden können.

44

e) Der Kläger hat aber ein Indiz iSd. § 22 AGG dadurch dargelegt, dass er darauf verwiesen hat, die Beklagte habe ihre Prüf- und Meldepflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX verletzt.

45

aa) Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist ein Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Weiter ist nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX jeder Arbeitgeber verpflichtet, vor der Besetzung einer freien Stelle frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufzunehmen. Die Verletzung dieser Pflicht ist als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21).

46

Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts prüfte die Beklagte entgegen der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ergebenden Pflicht vor der Besetzung der Stelle nicht, ob der freie Arbeitsplatz mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Auch die Agentur für Arbeit wurde nicht eingeschaltet, § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Daher wurde auch der frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplatz der Agentur für Arbeit nicht gemeldet (§ 82 Satz 1 SGB IX).

47

bb) Der Senat teilt die Annahme des Landesarbeitsgerichts nicht, die Kausalität zwischen dem Merkmal der Behinderung und der benachteiligenden Behandlung entfalle, weil der Kläger der Beklagten nur eine „Behinderung“ mitgeteilt habe. Als schwerbehinderter Mensch (GdB von 60) kann sich der Kläger auf Verstöße gegen § 81 SGB IX berufen(vgl. BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3). Der zurechenbare Pflichtverstoß der Beklagten begründet eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die dem Kläger zuteil gewordene benachteiligende Behandlung auf dem Merkmal der Behinderung beruht. Mit ihrem Verhalten erweckt die Beklagte den Anschein, nicht nur an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein, sondern auch möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 57). Der Verstoß gegen die Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX deutet darauf hin, dass das Merkmal der Behinderung Teil des Motivbündels der Beklagten bei der benachteiligenden Behandlung von Schwerbehinderten und damit auch des schwerbehinderten Klägers war. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer Benachteiligung weitgehend leerlaufen (BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - Rn. 27, BVerwGE 139, 135). Ob sich ein solcher Verfahrensverstoß in der Auswahlentscheidung konkret ausgewirkt hat, ist unerheblich, da § 15 Abs. 2 AGG auch bei der besseren Eignung von Mitbewerbern eine Entschädigung gewährt. Das Landesarbeitsgericht hat verkannt, dass § 15 Abs. 2 AGG in Verb. mit § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX bereits vor einem diskriminierenden Verfahren schützt(BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 42, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1).

48

7. Die Beklagte hat die Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung des Klägers nicht widerlegt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigt ihr Vorbringen nicht den Schluss, dass die Behinderung des Klägers in dem Motivbündel nicht enthalten war, das die Beklagte beim Ausschluss des Klägers aus dem Auswahlverfahren beeinflusste.

49

a) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgeber muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung nicht auch auf der Behinderung beruht. Damit muss er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19), und in seinem Motivbündel weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war. Für die Mitursächlichkeit reicht es aus, dass die vom Arbeitgeber unterlassenen Maßnahmen objektiv geeignet sind, schwerbehinderten Bewerbern keine oder weniger günstige Chancen einzuräumen, als sie nach dem Gesetz zu gewähren sind (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 44, aaO; Düwell in: LPK-SGB IX 3. Aufl. § 81 Rn. 67).

50

b) Die Beklagte kann die Benachteiligungsvermutung nicht durch den Verweis auf die bessere Eignung der tatsächlich eingestellten Frau Mü widerlegen. Eine solche bessere Eignung der bevorzugten Mitbewerberin schließt eine Benachteiligung nicht aus. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selbst dann eine Entschädigung zu leisten ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre(vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15). Auch aus dem Vortrag der Beklagten, Frau M habe das Verhalten des Klägers während der Zeit an der Fachhochschule K als aufdrängend wahrgenommen, was den Bürgermeister veranlasst habe, den Kläger nicht weiter am Auswahlverfahren teilnehmen zu lassen, ergibt sich keine Widerlegung der Vermutung. Damit hat die Beklagte keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ergäbe, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten. Der Sachgehalt eines solchen Auswahlkriteriums steht zudem in Frage.

51

8. Der Entschädigungsanspruch des Klägers ist auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs, § 242 BGB, ausgeschlossen.

52

a) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wobei eine gegen § 242 BGB verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage wegen der Rechtsüberschreitung als unzulässig angesehen wird(vgl. BGH 16. Februar 2005 - IV ZR 18/04 - NJW-RR 2005, 619; BAG 28. August 2003 - 2 AZR 333/02 - AP BGB § 242 Kündigung Nr. 17 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 4; 23. Juni 1994 - 2 AZR 617/93 - BAGE 77, 128 = AP BGB § 242 Kündigung Nr. 9 = EzA BGB § 242 Nr. 39; Palandt/Grüneberg 70. Aufl. § 242 BGB Rn. 38). § 242 BGB eröffnet damit die Möglichkeit jede atypische Interessenlage zu berücksichtigen, bei der ein Abweichen von der gesetzlichen Rechtslage zwingend erscheint(vgl. BAG 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 - AP BGB § 613a Wiedereinstellung Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 61; MünchKommBGB/Roth 5. Aufl. § 242 BGB Rn. 180). Zur Konkretisierung atypischer Interessenlagen wurden Fallgruppen gebildet, in denen ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nahe liegt. Hierzu zählt die Fallgruppe des unredlichen Erwerbs der eigenen Rechtsstellung (vgl. BAG 23. November 2006 - 8 AZR 349/06 - aaO; Palandt/Grüneberg aaO Rn. 42 f.).

53

Im Falle von Ansprüchen nach § 15 AGG kann unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Erwerb der Rechtsstellung als Bewerber dann als unredlich erscheinen, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgte, um Entschädigungsansprüche zu erlangen(vgl. BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16/10 - BVerwGE 139, 135; Windel RdA 2011, 193, 194 f.; Jacobs RdA 2009, 193, 198 f.; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; HK-ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist dabei ein anerkannter Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (EuGH 9. März 1999 - C-212/97 - [Centros] Rn. 24, Slg. 1999, I-1459; 12. Mai 1998 - C-367/96 - [Kefalas ua.] Rn. 20, Slg. 1998, I-2843; Däubler/Bertzbach-Deinert AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 53; Windel RdA 2011, 193 f.).

54

Für die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit, dh. den Rechtsmissbrauch ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet (vgl. MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 17; HK-ArbR/Berg 2. Aufl. § 15 AGG Rn. 9), wobei der Arbeitgeber Indizien vortragen muss, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 15 AGG Rn. 10; Windel RdA 2011, 193, 195; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 6 Rn. 12). Zwar könnte ein krasses Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle und der Qualifikation des Bewerbers die Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Frage stellen (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2; MünchKommBGB/Thüsing aaO; DFL/Kappenhagen/Kramer 4. Aufl. § 11 AGG Rn. 5). Der Kläger hat jedoch die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst abgelegt und besitzt damit die Qualifikation für eine Tätigkeit im gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienst. Ein Missverhältnis zwischen Anforderungsprofil und Qualifikation des Klägers als Bewerber liegt nicht vor.

55

b) Danach hat die Beklagte keine ausreichenden Indizien für eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers vorgetragen.

56

Auch wenn der Kläger eine Vielzahl von Entschädigungsklagen gegen öffentliche Arbeitgeber in Folge der Vielzahl seiner Bewerbungen angestrengt hat, so liegt hierin allein kein ausreichender Umstand, der die Bewerbung bei der Beklagten als subjektiv nicht ernsthaft erscheinen ließe (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 54). Der Kläger hat im fortgeschrittenen Alter und trotz vorhandener anderer Berufsabschlüsse das Studium an der Fachhochschule K mit der Staatsprüfung im September 2008 abgeschlossen und sich entsprechend dieser Ausbildung bei einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften beworben. Der Kläger stand zum Zeitpunkt der Bewerbung in keinem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Die Vielzahl der Bewerbungen spricht - auch angesichts des Lebenslaufs des Klägers - mehr für die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung als dafür, dass es dem Kläger nur um die Erlangung einer Entschädigung gegangen sein könnte. Gegen eine fehlende Ernsthaftigkeit spricht vor allem aber, dass sich der Kläger auch erfolgreich beworben und eine entsprechende Tätigkeit bei einem öffentlichen Arbeitgeber im Zeitraum 12. Januar bis 31. März 2010 in Oberbayern ausgeübt hat.

57

III. Über die Höhe der dem Kläger nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zustehenden angemessenen Entschädigung kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

58

1. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Entschädigung ein, um bei der Prüfung der Angemessenheit der Entschädigung die Besonderheiten jedes einzelnen Falls berücksichtigen zu können. Hängt die Höhe des Entschädigungsanspruchs von einem Beurteilungsspielraum ab, ist die Bemessung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 80 mwN, BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

59

2. Das Landesarbeitsgericht wird zu prüfen haben, welche Höhe angemessen ist und ob die Entschädigung in der Höhe auf drei Monatsgehälter begrenzt werden muss. Für die Höhe der festzusetzenden Entschädigung sind Art und Schwere der Verstöße sowie die Folgen für den schwerbehinderten Kläger von Bedeutung (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - Rn. 55, BAGE 131, 232 = AP SGB IX § 82 Nr. 1 = EzA SGB IX § 82 Nr. 1; 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 60, AP SGB IX § 81 Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19). Hierbei wird das Landesarbeitsgericht insbesondere zu berücksichtigen haben, dass die Beklagte nicht zurechenbar gegen § 81 Abs. 1 Sätze 4 bis 9, § 82 Satz 2 SGB IX verstoßen hat, sondern allein gegen die Pflichten aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Döring    

        

    Warnke    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte im Sinne dieses Gesetzes sind

1.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
2.
die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten,
3.
Personen, die wegen ihrer wirtschaftlichen Unselbstständigkeit als arbeitnehmerähnliche Personen anzusehen sind; zu diesen gehören auch die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten.
Als Beschäftigte gelten auch die Bewerberinnen und Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis sowie die Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist.

(2) Arbeitgeber (Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen) im Sinne dieses Abschnitts sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, die Personen nach Absatz 1 beschäftigen. Werden Beschäftigte einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen, so gilt auch dieser als Arbeitgeber im Sinne dieses Abschnitts. Für die in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten tritt an die Stelle des Arbeitgebers der Auftraggeber oder Zwischenmeister.

(3) Soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft, gelten die Vorschriften dieses Abschnitts für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer oder Geschäftsführerinnen und Vorstände, entsprechend.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine Klage auf Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes muss innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.

(2) Machen mehrere Bewerber wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses oder beim beruflichen Aufstieg eine Entschädigung nach § 15 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gerichtlich geltend, so wird auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsgericht, bei dem die erste Klage erhoben ist, auch für die übrigen Klagen ausschließlich zuständig. Die Rechtsstreitigkeiten sind von Amts wegen an dieses Arbeitsgericht zu verweisen; die Prozesse sind zur gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung zu verbinden.

(3) Auf Antrag des Arbeitgebers findet die mündliche Verhandlung nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit Erhebung der ersten Klage statt.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

20
bb) Von dem Begriff des Zugangs zur Erwerbstätigkeit wird auch der Fall erfasst, dass die Bestellung eines Geschäftsführers aufgrund einer Befristung endet und die Stelle neu besetzt werden soll. Wenn sich der bisherige, infolge Fristablaufs aus seinem Anstellungsverhältnis und seinem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer - wie hier der Kläger - wiederum um die Stelle des Geschäftsführers bewirbt, erstrebt er damit einen - neuen - Zugang zu dieser Tätigkeit (vgl. BVerwG, NZA-RR 2011, 233 Rn. 26; MünchKommBGB/Thüsing, 6. Aufl., AGG § 2 Rn. 7; Horstmeier, GmbHR 2007, 125, 126; Schrader/Schubert in Däubler/Bertzbach, AGG, 2. Aufl., § 6 Rn. 31b ff.; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; aA Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 329; Lutter, BB 2007, 725, 728 f.).

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2010 - 20 Sa 2058/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Eberswalde vom 8. Juli 2009 - 3 Ca 140/09 - wird zurückgewiesen und der Tenor dieses Urteils zur Klarstellung neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Klägerin für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein weiterer Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.

3. Der Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in den Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils 29 oder 30 Urlaubstage hatte.

2

Die am 27. Oktober 1971 geborene Klägerin ist seit dem 1. September 1988 bei dem beklagten Landkreis als Angestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Fünftagewoche beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 in der Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 (TVöD) Anwendung. Dieser bestimmt ua.:

        

§ 26 

        

Erholungsurlaub

        

(1)     

Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr

                 

bis zum vollendeten 30. Lebensjahr

26 Arbeitstage,

                 

bis zum vollendeten 40. Lebensjahr

29 Arbeitstage und

                 

nach dem vollendeten 40. Lebensjahr

30 Arbeitstage.

                 

Maßgebend für die Berechnung der Urlaubsdauer ist das Lebensjahr, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.

        

…       

        
        

§ 27   

        

Zusatzurlaub

        

(1)     

Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit nach § 7 Abs. 1 oder ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 leisten und denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 zusteht, erhalten

                 

a)    

bei Wechselschichtarbeit für je zwei zusammenhängende Monate und

                 

b)    

bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate

                 

einen Arbeitstag Zusatzurlaub.

        

(2)     

Im Falle nicht ständiger Wechselschicht- oder Schichtarbeit (z. B. ständige Vertreter) erhalten Beschäftigte des Bundes, denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 2 oder Abs. 6 Satz 2 zusteht, einen Arbeitstag Zusatzurlaub für

                 

a)    

je drei Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Wechselschichtarbeit geleistet haben, und

                 

b)    

je fünf Monate im Jahr, in denen sie überwiegend Schichtarbeit geleistet haben.

        

…       

                 
        

(4)     

Zusatzurlaub nach diesem Tarifvertrag und sonstigen Bestimmungen mit Ausnahme von § 125 SGB IX wird nur bis zu insgesamt sechs Arbeitstagen im Kalenderjahr gewährt. Erholungsurlaub und Zusatzurlaub (Gesamturlaub) dürfen im Kalenderjahr zusammen 35 Arbeitstage nicht überschreiten. Satz 2 ist für Zusatzurlaub nach den Absätzen 1 und 2 hierzu nicht anzuwenden. Bei Beschäftigten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben, gilt abweichend von Satz 2 eine Höchstgrenze von 36 Arbeitstagen; § 26 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.

        

…“    

        
3

Mit Schreiben vom 5. November 2008 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten einen jährlichen Gesamturlaub in Höhe von 30 Tagen für das Jahr 2008 und die Zukunft nach dem TVöD geltend. Der Beklagte lehnte die Gewährung von 30 Urlaubstagen vor der Vollendung des 40. Lebensjahres der Klägerin unter Hinweis auf die Verbindlichkeit der Regelung des § 26 Abs. 1 TVöD mit Schreiben vom 28. November 2008 ab. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 11. Februar 2009 die vorliegende Klage erhoben.

4

Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe auch vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres Anspruch auf jährlich 30 und nicht nur 29 Urlaubstage. Die an das Lebensalter anknüpfende Staffelung des tariflichen Urlaubsanspruchs sei eine Diskriminierung wegen des Alters. Die in der Tarifregelung enthaltene Ungleichbehandlung jüngerer Arbeitnehmer sei nicht durch § 10 AGG gerechtfertigt. Im Übrigen würden die gesundheitlichen Wirkungen zusätzlichen Urlaubs zur Vermeidung beispielsweise von Stresserscheinungen am Arbeitsplatz auch in der medizinischen Literatur kontrovers diskutiert.

5

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass ihr für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.

6

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Diese sei bereits unzulässig, da das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nötige Feststellungsinteresse fehle. Schließlich sei die Klage auch unbegründet. Die Altersstufenregelung des § 26 Abs. 1 TVöD sei durch einen sachlichen Grund nach § 10 AGG gerechtfertigt. Die Festlegung eines Mindestalters für die Gewährung von 30 Urlaubstagen pro Kalenderjahr stelle eine besondere Beschäftigungsbedingung zum Schutz älterer Beschäftigter bzw. eine Mindestanforderung an das Alter für einen mit der Beschäftigung verbundenen Vorteil dar, der zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und erforderlich sei. Ältere Arbeitnehmer seien mit zunehmendem Alter aufgrund beruflicher Belastungen länger krank. Um diesen Umstand Rechnung zu tragen, hätten die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD auf das verstärkte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer reagiert und deren Leistungsfähigkeit stärken wollen. Der Aspekt des Gesundheitsschutzes älterer Arbeitnehmer sei daher geeignet, die Ungleichbehandlung jüngerer Beschäftigter zu rechtfertigen. Schließlich würde auch eine Diskriminierung keine Angleichung „nach oben“ zur Folge haben.

7

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der stattgebenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

A. Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachten Ersatzurlaubstage.

9

I. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Feststellungsklage zulässig ist. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, durch das Gericht feststellen zu lassen, ob ihr für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht ( § 256 Abs. 1 ZPO ). Der grundsätzliche Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt haben will, nicht entgegen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10  - Rn. 13 bis 15, EzA BUrlG § 7 Nr. 123).

10

II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den ihr in den Jahren 2008 und 2009 jeweils verweigerten 30. Urlaubstag gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf jeweils einen Tag Ersatzurlaub. Die Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verstößt gegen die §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Denn sie gewährt Beschäftigten, die das 30., aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben, einen um einen Tag kürzeren Urlaub. Sie ist deshalb nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB unwirksam. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin auch vor der Vollendung ihres 40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Urlaubstage hatte. Ihr steht für die Jahre 2008 und 2009 jeweils noch ein Tag Ersatzurlaub zu, weil der Beklagte ihr in diesen Jahren nur jeweils 29 Urlaubstage gewährte.

11

1. Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD standen der am 27. Oktober 1971 geborenen Klägerin in den Jahren 2008 und 2009 jeweils 29 Urlaubstage zu. Erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr gewährt ihr diese Tarifregelung einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen. Diese an das Lebensalter anknüpfende Staffelung der Urlaubsdauer verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Sie ist als sachlich nicht nach den §§ 8, 10 AGG gerechtfertigte unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB unwirksam. Zur Beseitigung dieser Diskriminierung ist eine Anpassung auf 30 Urlaubstage erforderlich.

12

2. Zutreffend haben die Vorinstanzen die Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD am AGG gemessen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gelten die Diskriminierungsverbote der §§ 1, 7 AGG auch für die in kollektivrechtlichen Vereinbarungen geregelten Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Unter solchen Bedingungen sind alle Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu erbringen ist (vgl. BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 54, BAGE 132, 210). Zu den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gehört damit auch der Urlaub. Der Umstand, dass die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b TVöD bereits am 1. Januar 2006 und somit schon vor dem AGG vom 14. August 2006 in Kraft getreten ist, steht dem nicht entgegen. Die für die Jahre 2008 und 2009 geltend gemachte Benachteiligung durch § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD ist erst nach Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 eingetreten. Da § 33 Abs. 1 AGG insoweit keine Übergangsregelung enthält, findet dieses Gesetz auch dann Anwendung, wenn die Benachteiligung auf einem vor Inkrafttreten des AGG abgeschlossenen Tarifvertrag beruht. Es kommt allein auf den Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung an (BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33, BAGE 129, 72).

13

3. Die Urlaubsstaffelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD enthält eine auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung der Beschäftigten, die das 30. bzw. das 40. Lebensjahr nicht vollendet haben. Das ist eine unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.

14

a) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Beim Alter handelt es sich um einen in § 1 AGG genannten Grund, wobei unter Alter das Lebensalter zu verstehen ist. Dies folgt aus dem gesetzlichen Wortlaut und auch aus der Gesetzesbegründung ( BT-Drucks. 16/1780 S. 31; BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 49, BAGE 132, 210; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07  - Rn. 36, BAGE 129, 181). Der für eine unmittelbare Benachteiligung erforderliche Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 AGG genannte Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 50, aaO).

15

b) Diese Voraussetzung ist erfüllt. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD sieht für Beschäftigte bei einer Fünftagewoche in jedem Kalenderjahr einen Urlaubsanspruch bis zum vollendeten 30. Lebensjahr in Höhe von 26 Arbeitstagen, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr in Höhe von 29 Arbeitstagen und erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr in Höhe von 30 Arbeitstagen vor. Die Höhe des Urlaubsanspruchs nach § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft damit in allen Stufen unmittelbar an das Lebensalter der Beschäftigten an. Danach haben Beschäftigte wie die Klägerin, die zwar das 30. Lebensjahr, aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben, in jedem Jahr nur Anspruch auf 29 statt auf 30 Urlaubstage. Sie werden ebenso wie die unter 30-Jährigen im Vergleich zu den Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich der Höhe des Urlaubsanspruchs wegen ihres geringeren Alters ungünstiger behandelt.

16

4. Diese Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.

17

a) Bei ihr handelt es sich nicht um eine nach § 8 AGG zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen. Die Urlaubsstaffel des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung an. Sie stellt nicht auf die Art der auszuübenden Tätigkeit ab und beansprucht damit Geltung für alle dem TVöD unterfallenden Beschäftigten.

18

b) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Ungleichbehandlung auch nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt(so ebenfalls die herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Linck/Schütz FS Leinemann, S. 181 f.; Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV Stand Januar 2012 E § 26 TVöD Rn. 22; AGG/Voigt 3. Aufl. § 10 Rn. 33; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 42b; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 105; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478; vgl. ferner bereits zu § 48 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). § 10 Satz 1 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ungeachtet der Regelung des § 8 AGG zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Zudem müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die an das Lebensalter anknüpfende Differenzierung in § 26 Abs. 1 TVöD nicht sachlich gerechtfertigt, weil sie einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung trägt und deren Gesundheit schützen will. Dabei kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen das Ziel des Gesundheitsschutzes eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde. Die Tarifvorschrift verfolgt dieses Ziel schon nicht.

19

aa) Die Tarifvertragsparteien haben das mit der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD geregelten Urlaubsstaffelung verfolgte Ziel nicht ausdrücklich genannt. Nennt eine Regelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus dem Kontext abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der Regelung oder der Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, um die Legitimität des Ziels sowie die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die sozialpolitischen Ziele als legitim angesehen werden, die im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07  - [Age Concern England] Rn. 45 ff., Slg. 2009, I-1569; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08  - Rn. 36 ff., BAGE 131, 61). Denn das nationale Gericht hat zu prüfen, ob die Regelung oder Maßnahme ein rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgt. Gleiches gilt für die Frage, ob die Tarifvertragsparteien als Normgeber angesichts des vorhandenen Wertungsspielraums davon ausgehen durften, dass die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich waren (vgl. EuGH 5. März 2009 -  C-388/07  - [Age Concern England] Rn. 49 ff., aaO; vgl. auch BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 57, BAGE 132, 210).

20

bb) Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD dient nicht dem Schutz älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Diese gesetzliche Regelung konkretisiert das legitime Ziel, nämlich ua. die Sicherstellung des Schutzes älterer Beschäftigter, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Arbeitsbedingungen einschließen kann. Aus einer tariflichen Urlaubsstaffelung, die - wie die in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD - den Beschäftigten bereits nach Vollendung des 30. Lebensjahres drei weitere Urlaubstage und dann nach Vollendung des 40. Lebensjahres letztmals einen zusätzlichen Urlaubstag gewährt, lässt sich nicht ableiten, dass die Tarifvertragsparteien einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten und das Ziel verfolgten, den Schutz älterer Beschäftigter iSd. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG sicherzustellen. Wenn sich auch eine genaue Schwelle für die Zuordnung zu den älteren Arbeitnehmern weder dieser Regelung selbst noch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG entnehmen lässt, so ist diese freilich an der Zielsetzung (vgl. zu dieser Däubler/Bertzbach/Brors 2. Aufl. § 10 Rn. 42) auszurichten. Einen arbeitsmarktpolitischen Zweck verfolgt zB § 417 Abs. 1 SGB III, wonach Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung beenden oder vermeiden, unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung haben. Diese Regelung der Entgeltsicherung bezweckt, die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer abzubauen und ihren Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung zu erhöhen (vgl. BT-Drucks. 17/1945 S. 17). Im Vergleich zu der in § 417 Abs. 1 SGB III genannten Altersgruppe setzt sich die durch die Urlaubsstaffel in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD begünstigte Beschäftigtengruppe, der ein Urlaubsanspruch von jährlich 30 Arbeitstagen eingeräumt wird, nicht ausnahmslos aus älteren Beschäftigten zusammen. Vielmehr gehören ihr alle Beschäftigten ab Vollendung des 40. Lebensjahres an. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein Arbeitnehmer jedenfalls ab Vollendung des 31. Lebensjahres offensichtlich kein älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ist(BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 55, BAGE 132, 210).

21

cc) Ein legitimes Ziel iSd. § 10 AGG ergibt sich entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts auch nicht aus § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG. Danach kann eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile einschließen. Diese Regelung bestimmt selbst kein legitimes Ziel, sondern beschreibt nur ein mögliches Mittel, mit der ein auf andere Weise zu legitimierendes Ziel gerechtfertigt werden kann (vgl. ErfK/Schlachter 12. Aufl. § 10 AGG Rn. 6), sofern es erforderlich und angemessen iSd. § 10 Satz 2 AGG ist.

22

dd) Die Tarifvertragsparteien verfolgen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht das Ziel des Gesundheitsschutzes älterer Arbeitnehmer.

23

(1) Das mit der Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verfolgte Ziel lässt sich nicht mit ausreichender Deutlichkeit aus dem Wortlaut des § 26 TVöD entnehmen. § 26 TVöD normiert ausweislich seiner Überschrift den Erholungsurlaub. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 TVöD haben Beschäftigte in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD legt die Dauer dieses Erholungsurlaubs fest. Der Begriff des Erholungsurlaubs wird dabei nicht näher definiert und ist dem BUrlG entlehnt, auf das § 26 Abs. 2 TVöD im Übrigen verweist. Der Erholungsurlaub nach dem BUrlG soll nach der Gesetzesbegründung dem sozialpolitischen Anliegen der Erhaltung und Wiederauffrischung der Arbeitskraft der Arbeitnehmer dienen (vgl. den schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit, BT-Drucks. IV/785; Begründung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Bundesurlaubsgesetzes, BT-Drucks. IV/207). Durch den Erholungsurlaub wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gesichert, für eine bestimmte Dauer im Jahr, die ihm eingeräumte Freizeit zur selbstbestimmten Erholung zu nutzen (st. Rspr., vgl. BAG 20. Juni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b bb 1 der Gründe, BAGE 95, 104; 8. März 1984 - 6 AZR 600/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 45, 184; ebenso st. Rspr. des EuGH zum Jahresurlaub nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG , EuGH 22. No-vember 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7; 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06  - [Schultz-Hoff] Rn. 25, Slg. 2009, I-179). Wenn eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen. Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD rechtfertigt eine solche Annahme freilich nicht, sondern schließt sie aus.

24

(2) Das folgt bereits aus dem Inhalt der Regelung. Die Tarifvorschrift räumt den Beschäftigten schon ab dem 30. Lebensjahr drei weitere Urlaubstage ein. Dafür, dass die Tarifvertragsparteien von einem so deutlich gesteigertem Erholungsbedürfnis bereits nach der Vollendung des 30. Lebensjahres ausgegangen sind, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen eine solche Annahme spricht auch, dass die Tarifvertragsparteien den Beschäftigten nach der Vollendung des 40. Lebensjahres letztmals nur einen weiteren Urlaubstag gewährt und davon abgesehen haben, ein gesteigertes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten in der Zeit bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der Regelaltersrente (§ 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD) zu berücksichtigen. Hätten die Tarifvertragsparteien ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter vor Augen gehabt, hätten sie nicht einem 30-Jährigen einen gegenüber einem 29-jährigen Beschäftigten um drei Tage längeren Urlaub gewährt, nach der Vollendung des 40. Lebensjahres des Beschäftigten eine wesentlich geringere Steigerung des Erholungsbedürfnisses angenommen und für die Zeit danach bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der Regelaltersrente ein zunehmendes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten überhaupt nicht mehr berücksichtigt (vgl. Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478). Auch das Schrifttum nimmt ganz überwiegend an, dass eine tarifliche Urlaubsstaffelung nicht schon auf die Vollendung des 30. bzw. des 40. Lebensjahres abstellen darf, wenn sie einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen will (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Tempelmann/Stenslik DStR 2011, 1183, 1186; Richter Benachteiligung wegen des Alters im Erwerbsleben S. 170; Meinel/Heyn/Herms § 10 Rn. 42b; AGG/Voigt § 10 Rn. 33; Hey AGG § 10 Rn. 28; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdle ZTR 2006, 622, 623; Linck/Schütz FS Leinemann S. 181 f.; Senne Auswirkungen des europäischen Verbots der Altersdiskriminierung auf das deutsche Arbeitsrecht S. 269; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 246). Selbst wenn die Erholungsbedürftigkeit von Arbeitnehmern mit zunehmendem Lebensalter steigen sollte (zweifelnd Däubler/Bertzbach/Brors § 10 Rn. 50; aA Waltermann NZA 2005, 1265, 1269), hätte es mit dem Schutz älterer Arbeitnehmer nichts zu tun, bereits mit dem 30. Lebensjahr eine erste Verlängerung des Urlaubsanspruchs um drei Tage und die zweite und zugleich letzte Verlängerung um einen weiteren Urlaubstag bereits mit Vollendung des 40. Lebensjahres vorzusehen (so auch Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Adomeit/Mohr § 10 Rn. 105; so bereits zu § 48 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). Es fehlt in beiden Stufen an dem erkennbaren Schutz Älterer. Die Verlängerung des Urlaubsanspruchs bereits mit dem vollendeten 30. Lebensjahr lässt sich kaum mit der Erhaltung der Leistungsfähigkeit Älterer begründen. Auch mit der Vollendung des 40. Lebensjahres hat ein Beschäftigter regelmäßig allenfalls die Mitte seines Erwerbsalters erreicht (vgl. auch Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). Hätten die Tarifvertragsparteien gemäß der Ansicht des Beklagten ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter berücksichtigen wollen, hätten sich die gewählten Altersgrenzen nicht an dem mit dem Alter zunehmenden Erholungsbedürfnis orientiert und wären willkürlich.

25

(3) Gerade dieser Umstand bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 26 TVöD weder den Schutz der Gesundheit bezweckten noch einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten. Hätten sie diese Ziele verfolgt, hätte es nahe gelegen, gerade für die älteren Beschäftigten, zB die Gruppe der über 50- oder über 60-jährigen Beschäftigten, die Dauer des Erholungsurlaubs zu verlängern. Bei dieser Personengruppe ist ein altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis eher nachvollziehbar. Ein solches Schutzbedürfnis für die über 50-Jährigen haben die Tarifvertragsparteien aber nur hinsichtlich der Beschränkung der Höchstdauer des Gesamturlaubs bei besonders belastenden Arbeiten (Schicht- und Wechselschicht) gesehen. Das folgt aus § 27 Abs. 4 Satz 4 TVöD. Danach erhöht sich ab diesem Lebensalter die maximal erreichbare Gesamturlaubsdauer von jährlich 35 auf 36 Arbeitstage.

26

(4) Die Tarifgeschichte bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der Urlaubsstaffel nicht einem mit dem Lebensalter steigenden Erholungsbedürfnis Rechnung tragen wollten. Bereits seit dem Inkrafttreten des BAT wurde die Urlaubsdauer an das Lebensalter geknüpft (§ 48 Abs. 1 BAT). Sie steigerte sich auch nach dem vollendeten 30. Lebensjahr und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr. Innerhalb der Lebensaltersstufen verlängerte sich die Urlaubsdauer teilweise nach Vergütungsgruppen. Je höher der Angestellte eingruppiert war, je länger war sein Urlaubsanspruch. Dies zeigt, dass nicht der Erholungszweck maßgebend für die Urlaubsdauer sein sollte. Der Urlaub wurde vielmehr als Quasi-Gegenleistung für die Arbeitsleistung geregelt. Nur so lässt sich die normierte Abhängigkeit der Urlaubsdauer von der Vergütungsgruppe erklären. Es kann deshalb nicht angenommen werden, die Tarifvertragsparteien hätten bei Angestellten in höheren Vergütungsgruppen ein gesteigertes Erholungsbedürfnis ausgleichen wollen. Die Differenzierung resultiert vielmehr aus der überkommenen Auffassung, der Urlaub werde „verdient“.

27

5. Die Diskriminierung der Klägerin kann nur durch die Verpflichtung des Beklagten beseitigt werden, der Klägerin für die Jahre 2008 und 2009 jeweils einen Ersatzurlaubstag zu gewähren. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die diskriminierende Regelung unwirksam ist. Auch wird vom Senat nicht verkannt, dass es sich bei § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD um ein Stufensystem handelt, sodass grundsätzlich keine Stufe als die von den Tarifvertragsparteien als „übliche“ Urlaubsdauer gewollte angesehen werden kann. Jedoch kann die Beseitigung der Diskriminierung vorliegend nur durch eine Anpassung „nach oben“ erfolgen.

28

a) Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, eine benachteiligungsfreie Regelung zu treffen, wofür ihnen verschiedene Möglichkeiten zu Verfügung stehen. Doch scheidet eine Aussetzung des Rechtsstreits unter Fristsetzung zur Lückenschließung durch die Tarifvertragsparteien selbst von vornherein aus (aM Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind für den Fall, dass gesetzliche oder tarifvertragliche Regelungen eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, die nationalen Gerichte gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie die Regelung für die nicht benachteiligte Gruppe auch auf die benachteiligte Gruppe anwenden, ohne die Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise abzuwarten (vgl. so bereits zur Richtlinie 76/207/EWG: EuGH 20. März 2003 - C-187/00 - [Kutz-Bauer] Rn. 75, Slg. 2003, I-2741). Auch nach Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre eine Aussetzung grundsätzlich allenfalls zur Beseitigung einer Diskriminierung für die Zukunft geboten(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 28, NZA 2012, 161). Vorliegend geht es jedoch um die Beseitigung einer Diskriminierung in der Vergangenheit.

29

b) Die Benachteiligung der Klägerin kann nicht auf andere Weise für die Jahre 2008 und 2009 ausgeschlossen werden. Ein Rückgriff auf den noch unterhalb der Eingangstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD liegenden gesetzlichen Mindesturlaub gemäß den §§ 1, 3 BUrlG in Höhe von 20 Arbeitstagen bei einer Fünftagewoche ist hierzu nicht geeignet(aM Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 483; Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Februar 2012, § 26 Rn. 163.5). Der von den §§ 1, 7 AGG bzw. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgte Zweck, Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen, würde nicht erreicht. Da diskriminierende Maßnahmen oder Vereinbarungen nicht hingenommen und ihre Fortwirkung nicht akzeptiert werden darf (vgl. ErfK/Schlachter § 7 AGG Rn. 5), ist auch nicht auf die Eingangsstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD mit 26 Urlaubstagen abzustellen. Hätte die Klägerin nur Anspruch auf die erste Stufe der Urlaubsstaffel, fehlte es an einer Sanktion, die einen tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutz gewährt und abschreckende Wirkung hat (vgl. zu diesem Aspekt: BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 18 ff., NZA 2012, 161).

30

c) Hingegen ist eine Anpassung „nach oben“ zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, wenn auf andere Weise die Diskriminierung nicht behoben werden kann, weil der Arbeitgeber den Begünstigten für die Vergangenheit die Leistung nicht mehr entziehen kann (vgl. ausführlich: BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 20 ff., NZA 2012, 161). Dies ist vorliegend der Fall. Der den begünstigten Beschäftigten in den Jahren 2008 und 2009 gewährte Urlaub von jährlich 30 Arbeitstagen kann nicht rückwirkend auf 29 oder 26 Arbeitstage begrenzt werden. Die als Urlaub bereits gewährte Freizeit ist nicht kondizierbar.

31

d) Schließlich steht der Anpassung „nach oben“ auch nicht § 15 Abs. 3 AGG entgegen. Danach ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fährlässig handelt. Diese Bestimmung bezieht sich allein auf die immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG(vgl. BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 38, NZA 2012, 161; ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 13) und verhält sich nicht zur Beseitigung einer Diskriminierung durch eine den Diskriminierungsverboten genügende Regelung.

32

e) Der Beklagte kann auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. In den Jahren 2008 und 2009 galt bereits das am 18. August 2006 in Kraft getretene AGG. Dieses nimmt Dauerschuldverhältnisse und damit auch Arbeitsverhältnisse ebenso wenig wie Tarifverträge aus, die vor dem Inkrafttreten des AGG bereits abgeschlossen waren. Übergangsvorschriften oder Vertrauensschutzregelungen sind insoweit in § 33 AGG nicht vorgesehen. Gemäß § 1 AGG ist ua. Ziel dieses Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen des Alters nicht nur zu verhindern, sondern auch zu beseitigen. Die damit einhergehende unechte Rückwirkung ist zulässig. Der zeitliche Geltungsbereich wird je nach Lage der Verhältnisse im Einzelfall nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt (vgl. so bereits zu § 81 Abs. 2 SGB IX aF: BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 38, BAGE 129, 72). Dies setzt jedoch in jedem Fall das Vorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens voraus, das vorliegend nicht gegeben ist, selbst wenn man die Grundsätze zum Vertrauensschutz bei unechter Rückwirkung von Gesetzen anwendet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes nur dann verletzt, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfG 10. August 2006 - 2 BvR 563/05  - Rn. 14, BVerfGK 9, 28). Zum einen dient das AGG der Umsetzung von EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung im Bereich Beschäftigung und Beruf und enthält insoweit insbesondere im Bereich der Altersdiskriminierung unionsrechtlich verankerte notwendige und bedeutende Regelungen. Zum anderen wäre ein Vertrauen in den Fortbestand der angewandten tarifvertraglichen Regelungen nicht schutzwürdig. Denn die Richtlinie 2000/78/EG wurde schon im Jahr 2000 erlassen und stellt in Art. 16 Buchst. b ausdrücklich klar, dass die Diskriminierungsverbote auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung finden. Nach Art. 18 der Richtlinie 2000/78/EG war diese zudem spätestens zum 2. Dezember 2006 in nationales Recht umzusetzen. Der Beklagte musste ebenso wie die Tarifvertragsparteien damit rechnen, dass tarifvertragliche Regelungen auch am Verbot der Altersdiskriminierung gemessen werden. Deshalb konnte der Beklagte nicht darauf vertrauen, dass auch nach Inkrafttreten des AGG die Urlaubsstaffelregelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD zulässig war, zumal in der Gesetzesbegründung zum AGG die Anknüpfung an das bloße Lebensalter als Mindestgrenze für mit der Beschäftigung verbundener Vorteile nicht unkritisch gesehen wurde(vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 36) und im Schrifttum nicht nur vereinzelt die Unwirksamkeit des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung angenommen wurde (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22 mwN; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; so bereits zu § 48 Abs. 1 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156).

33

6. Die Klägerin hat Anspruch auf Ersatzurlaub gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Resturlaubsansprüche für die Jahre 2008 und 2009 waren mangels Vorliegens eines Übertragungsgrundes nach § 26 Abs. 1 Satz 6 TVöD iVm. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG zum 31. Dezember des jeweiligen Jahres verfallen. Diesen Untergang hat der Beklagte zu vertreten, weil er sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befand.

34

a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus Verzug gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB liegen vor. Die Klägerin hatte in den Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils 30 Urlaubstage. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um, der auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub aufgrund seiner Befristung verfällt ( BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05  - Rn. 24, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116).

35

b) Die Klägerin machte mit Schreiben vom 5. November 2008 unter der Überschrift „Geltendmachung von Urlaubsansprüchen“ Urlaub in Höhe von 30 Tagen nach dem TVöD geltend und bat zudem, den Urlaubsanspruch auch für die Zukunft entsprechend anzupassen. Dahingestellt bleiben kann, ob dies schon ein konkretes Verlangen beinhaltet hat, den Urlaub in den Jahren 2008 und 2009 zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des Senats ist hierfür zumindest erforderlich, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des § 133 BGB davon ausgehen muss, der Arbeitnehmer wünsche ab einem bestimmten Zeitpunkt Erholungsurlaub(vgl. BAG 17. November 2009 - 9 AZR 745/08 - Rn. 45; 11. April 2006 -  9 AZR 523/05  - Rn. 28, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116). Maßgebend ist, dass der Beklagte mit Schreiben vom 28. November 2008 erklärt hat, er lehne den Antrag auf Verlängerung des Urlaubs „auf 30 Tage vor Erreichen des 41. Lebensjahres“ ab, weil der Klägerin nach dem für ihn verbindlichen § 26 Abs. 1 TVöD derzeit nur 29 Urlaubstage zustünden. Aus objektiver Empfängersicht lag darin eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung des Beklagten als Schuldner des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin entbehrlich machte(vgl. BAG 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89  - zu II der Gründe). Denn der Beklagte gab mit diesem Schreiben vor Ablauf des Urlaubsjahres 2008 klar zu erkennen, dass er nicht bereit sei, im laufenden Jahr mehr als 29 Tage Urlaub zu gewähren. Hinsichtlich des weiteren Urlaubstags für das Jahr 2009 folgt der Verzug des Beklagten zudem daraus, dass er jedenfalls mit dem Antrag auf Klageabweisung vom 24. April 2009 und somit vor Ablauf des Urlaubsjahres 2009 zu erkennen gegeben hat, den weiteren Urlaubstag auch im Jahr 2009 nicht gewähren zu wollen. Darin lag ebenso seine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung als Schuldner des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin ebenfalls entbehrlich machte(vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 14, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 138; 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89  - zu II der Gründe).

36

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Brühler    

        

    Brühler    

        

    Krasshöfer    

        

        

        

    Preuß    

        

    Neumann-Redlin    

        

        

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Februar 2009 - 7 Sa 1132/08 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 30. Juni 2008 geendet hat. Hilfsweise macht der Kläger den Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags geltend. Für den Fall des Obsiegens begehrt er seine Weiterbeschäftigung. Hilfsweise verlangt er Entschädigung wegen Altersdiskriminierung.

2

Der am 25. Januar 1968 geborene Kläger promovierte im Jahr 2003. Aufgrund eines zwischen ihm und dem Land Nordrhein-Westfalen am 31. Mai 2005 geschlossenen und vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Mai 2007 befristeten Arbeitsvertrags war er bei der beklagten Universität als wissenschaftlicher Angestellter auf einer Stelle zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses beschäftigt. Neben der Erfüllung der ihm übertragenen Lehraufgaben arbeitete er an seiner Habilitation. Die Beklagte nimmt keine sog. Hausberufungen vor, dh. sie beruft keine „im eigenen Hause“ habilitierten Wissenschaftler auf eine Professorenstelle. Vor dem 31. Mai 2007 beantragte das Institut für O eine Verlängerung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger um zwei Jahre. Die Beklagte lehnte dies unter Hinweis auf einen Beschluss des Rektorats vom 21. November 2005 ab. Dieser Beschluss sieht vor, dass die Einstellung von wissenschaftlichem Personal auf befristet zu besetzenden Nachwuchsstellen in aller Regel nur zulässig ist, wenn das Beschäftigungsverhältnis vor dem vollendeten 40. Lebensjahr - ausnahmsweise spätestens ein halbes Jahr danach - endet. Am 14. Mai 2007 schlossen die Parteien einen Änderungsvertrag zum Arbeitsvertrag vom 31. Mai 2005, wonach der Kläger „befristet bis zum 30.06.2008 im Rahmen einer Befristung gem. §§ 1 ff. Wissenschaftszeitvertragsgesetz weiterbeschäftigt“ wurde. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre der Arbeitsvertrag mit dem Kläger, der am 25. Januar 2008 sein 40. Lebensjahr vollendete, ohne den Rektoratsbeschluss mit einem über den 30. Juni 2008 hinausgehenden Endtermin - jedenfalls mit einer Dauer bis zum 31. Mai 2009 - vereinbart worden.

3

Unter dem 28. Januar/1. Februar 2008 beantragte das Institut für O erneut eine Verlängerung des Arbeitsvertrags um zwei Jahre. Das Rektorat der beklagten Universität lehnte den Verlängerungsantrag mit Schreiben vom 15. Februar 2008 ab und führte ua. aus:

        

„Einer Weiterbeschäftigung auf einer Nachwuchsstelle steht der Rektoratsbeschluss vom 21.11.2005 entgegen, der grundsätzlich eine Beschäftigung eines Mitarbeiters über das vollendete 40. Lebensjahr hinaus ablehnt. Über Ausnahmen entscheidet das Rektorat, stellvertretend der Kanzler. Die abschließend vereinbarten Ausnahmetatbestände sind:

        

1.    

die Beschäftigung in einem Exzellenzbereich,

        

2.    

geringfügige (< 6 Monate) Überschreitung des 40. Lebensjahres,

        

3.    

Kindererziehungszeiten in Höhe der Überschreitung des 40. Lebensjahres.

        

Andere Konstellationen werden in Absprache mit dem Kanzler nicht mehr vorgelegt. Leider scheiden die Punkte 1 - 3 im vorliegenden Fall aus.“

4

Mit seiner am 28. Mai 2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, die Befristung des Arbeitsvertrags vom 14. Mai 2007 benachteilige ihn ungerechtfertigt wegen seines Alters. Sie sei daher nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Im Hinblick auf die diskriminierende Ablehnung der Vertragsverlängerung mit Schreiben vom 15. Februar 2008 sei die Beklagte jedenfalls verpflichtet, ihm einen bis zum 30. Juni 2010 befristeten Vertrag anzubieten. Bestehe diese Verpflichtung nicht, habe die Beklagte eine Entschädigung wegen der Diskriminierung zu zahlen.

5

Der Kläger hat zuletzt beantragt

        

1.    

festzustellen, dass sein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch die Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 nicht zum 30. Juni 2008 aufgelöst wird, sondern unverändert fortbesteht;

        

hilfsweise hierzu

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Angebot auf Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrags für den Zeitraum vom 1. Juli 2008 bis zum 30. Juni 2010 als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Angestellter der Entgeltgruppe E 13 TVÜ-L zu unterbreiten;

        

3.    

für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. oder 2., die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen als vollbeschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter der Entgeltgruppe E 13 TVÜ-L weiterzubeschäftigen;

        

äußerst hilfsweise

        

4.    

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung in angemessener Höhe zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Befristung sei wirksam. Die im Rektoratsbeschluss vom 21. November 2005 festgelegte unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern aufgrund deren Alters sei durch legitime Ziele gerechtfertigt, erforderlich und angemessen. Unterstelle man zugunsten des Klägers eine unzulässige Altersdiskriminierung, folge hieraus nicht die Unwirksamkeit der Befristungsabrede. Der Kläger stünde sonst besser als ohne die Benachteiligung, denn der letzte Arbeitsvertrag wäre auch ohne den Rektoratsbeschluss nur befristet bis zum 31. Mai 2009 abgeschlossen worden.

7

Das Arbeitsgericht hat dem Befristungskontroll- und dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiterhin das Ziel der Klageabweisung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Befristungskontrollklage entsprochen. Über die weiteren Anträge hatte der Senat nicht zu befinden.

9

A. Der zulässige Klageantrag zu 1. ist begründet.

10

I. Bei ihm handelt es sich ausschließlich um eine Befristungskontrollklage nach § 17 Satz 1 TzBfG. Dem Antragswortlaut „... sondern unverändert fortbesteht“ kommt keine eigenständige Bedeutung im Sinne einer allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu. Dies ergibt die Auslegung des Klageantrags unter Hinzuziehung der Klagebegründung. Dort wird ausschließlich begründet, warum das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der vereinbarten Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 zum 30. Juni 2008 geendet haben soll. Andere Beendigungstatbestände sind zwischen den Parteien nicht im Streit.

11

II. Der Klageantrag zu 1. ist begründet. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die Befristung im Änderungsvertrag vom 14. Mai 2007 gegen § 7 Abs. 1 AGG verstößt und deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam ist.

12

1. Die Befristung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Die Klage ist am 28. Mai 2008 und damit noch vor dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrags beim Arbeitsgericht eingegangen. Die materiell-rechtliche Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG wird nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt(vgl. etwa BAG 23. Juni 2010 - 7 AZR 1021/08 - Rn. 12 mwN, EzA BGB 2002 § 620 Altersgrenze Nr. 8).

13

2. Die Dauer der vereinbarten Befristung benachteiligt den Kläger wegen seines Alters iSv. § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG. Die Befristung des Arbeitsvertrags ist deshalb nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksam.

14

a) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet auf den Streitfall Anwendung. Die Vereinbarung einer Befristung des Arbeitsverhältnisses ist eine Entlassungsbedingung nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Solche Bedingungen sind neben Kündigungen - unbeschadet der Sonderregelung des § 2 Abs. 4 AGG - auch alle anderen Beendigungstatbestände. Sie beziehen sich sowohl auf das „Ob“ als auch auf das „Wie“ der Beendigung und umfassen damit auch die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis aufgrund einer vereinbarten Befristung endet (vgl. zB Schleusener in: Schleusener/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 9).

15

b) Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG verstoßen, unwirksam. Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Gründe - hierzu gehört auch das Alter - benachteiligt werden. Der Kläger wurde durch die Vereinbarung der Befristung im Vertrag vom 14. Mai 2007 wegen seines Alters benachteiligt. Die unterschiedliche Behandlung war nicht zulässig.

16

aa) Der Kläger wurde durch die im Vertrag vom 14. Mai 2007 vereinbarte Befristungsdauer wegen seines Alters unmittelbar benachteiligt.

17

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde(vgl. BAG 8. Dezember 2010 - 7 ABR 98/09 - Rn. 62 mwN).

18

(2) Das ist hier der Fall. Der Kläger erfuhr gegenüber einer hypothetischen Vergleichsperson in vergleichbarer Situation eine ungünstigere Behandlung, weil sein Arbeitsvertrag lediglich bis zum 30. Juni 2008 befristet wurde. Mit einer hypothetischen Vergleichsperson wäre ein Vertrag mit längerer Befristungsdauer abgeschlossen worden. Nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen und damit für den Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wäre die Änderungsvereinbarung vom 14. Mai 2007, mit der das befristete Arbeitsverhältnis verlängert worden ist, ohne den Rektoratsbeschluss vom 21. November 2005 von vornherein mit einem anderen, nach dem 30. Juni 2008 liegenden Beendigungstermin geschlossen worden. Einem jüngeren, im Übrigen aber vergleichbaren Beschäftigten wäre ein Vertrag mit längerer Vertragslaufzeit angeboten worden.

19

bb) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, war die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nicht nach § 10 AGG zulässig.

20

(1) § 10 Satz 1 AGG lässt - unbeschadet des § 8 AGG - eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach § 10 Satz 2 AGG müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Die Rechtfertigungsgründe werden in § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG zunächst in Form einer Generalklausel umschrieben. § 10 Satz 3 AGG zählt sodann sechs Anwendungsfälle auf. Diese stellen, wie das Wort „insbesondere“ deutlich macht, keinen abschließenden Katalog, sondern die Generalklausel konkretisierende Beispiele dar (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 35 mwN, AP AGG § 3 Nr. 3 = EzA AGG § 10 Nr. 3; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn.  40 mwN, BAGE 129, 181 ). Bei Anwendung der Generalklausel des § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG müssen die nationalen Gerichte sicherstellen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters nicht ausgehöhlt wird. Deshalb genügen allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung zu dienen, nicht zur Darlegung eines legitimen Ziels iSd. § 10 AGG. Vielmehr müssen zumindest aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter ihr stehenden Ziels ermöglichen, um die Rechtmäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Als rechtmäßig sind jedenfalls Ziele anzusehen, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - Rn. 39 mwN, aaO). Insgesamt erfordert die Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG - ebenso wie nach der nahezu wortgleichen Regelung in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) - der Sache nach, „dass sich die zugrunde liegende Maßnahme auf ein legitimes Ziel stützt und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhält“ (Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 6. Mai 2010 in der Rechtssache - C-499/08 - [Andersen] Rn. 47, dort auch unter Rn. 41 bis 46 zur Bedeutung und Einordnung der Worte „objektiv und angemessen“ sowie „angemessen und erforderlich“; vgl. dazu auch EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 65, Slg. 2009, I-1569).

21

(2) Hier kann zugunsten der Beklagten angenommen werden, dass diese mit der wegen des Alters des Klägers gewählten Befristungsdauer legitime Ziele verfolgte. Das hierzu gewählte Mittel, das Arbeitsverhältnis des Klägers kürzer zu befristen als das vergleichbarer jüngerer Arbeitnehmer, war zur Erreichung der Ziele aber weder erforderlich noch angemessen.

22

(a) Die Beklagte verfolgt mit der bei ihr geltenden Regelung, wissenschaftliche Nachwuchskräfte auf den Qualifikationsstellen bis höchstens zur Erreichung eines Lebensalters von 40 ½ Jahren zu beschäftigen, verschiedene Ziele. Zum einen soll die Regelung dazu dienen, das Erstberufungsalter von Professoren herabzusetzen und damit im Interesse der Allgemeinheit sicherzustellen, dass aus Steuermitteln qualifizierte Nachwuchswissenschaftler möglichst lange der selbstständigen Forschung zur Verfügung stehen. Zum anderen soll der laufende Zustrom junger Wissenschaftler und neuer Ideen gewährleistet werden. Und schließlich soll sie verhindern, dass Inhaber von Nachwuchsstellen erst in einem Lebensalter, in dem eine berufliche Neuorientierung nicht mehr oder nur noch schwer möglich ist, realisieren, ihre angestrebte Habilitation und das Ziel einer Hochschulprofessur nicht erreichen zu können. Dabei ist - entgegen der, im Ergebnis allerdings offengelassenen Fragestellung des Landesarbeitsgerichts - nicht entscheidend, ob der Beschluss des Rektorats vom 21. November 2005 wegen eines unzulässigen Eingriffs in das Recht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG unwirksam ist. Nähme man dies an, folgte allein daraus nicht, dass die mit einer Altersgrenze begründete Befristung des Arbeitsvertrags des Klägers eine ungerechtfertigte Benachteiligung wäre. Maßgeblich ist allein, ob die zur Begründung der - an das Lebensalter anknüpfenden - Befristungsdauer vorgebrachten Ziele iSd. § 10 Satz 1 AGG legitim und die Mittel zur Erreichung dieser Ziele iSd. § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sind.

23

(b) Die von der Beklagten verfolgten Ziele unterfallen keinem der in § 10 Satz 3 AGG genannten Beispielsfälle. Sie mögen zwar iSv. § 10 Satz 1 AGG legitim sein. Das gewählte Mittel ist aber weder erforderlich noch angemessen.

24

(aa) Keines der Ziele unterfällt einem der in § 10 Satz 3 AGG aufgeführten Beispielsfälle. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 10 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 AGG nicht gegeben. Nach § 10 Satz 3 Nr. 3 Alt. 2 AGG ist die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand möglich. Die Vorschrift zielt auf ältere Beschäftigte, deren Rentenalter bereits absehbar ist und bei denen einer aufwendigen Einarbeitung am Arbeitsplatz eine betriebswirtschaftlich sinnvolle Mindestdauer einer produktiven Arbeitsleistung gegenüberstehen soll (BT-Drucks. 16/1780 S. 36). Im vorliegenden Fall geht es der Beklagten nicht darum, Beschäftigte nur bis zu einem bestimmten Alter auf den Nachwuchsstellen einzustellen, um auf diesen Stellen eine Mindestbeschäftigungszeit bis zum Eintritt in den Ruhestand zu erreichen.

25

(bb) Zugunsten der Beklagten kann angenommen werden, dass die von ihr mit der Ungleichbehandlung verfolgten Ziele legitim sind. Das gewählte Mittel ist aber nicht verhältnismäßig.

26

(aaa) Die von der Beklagten verfolgten Ziele mögen legitim iSd. § 10 Satz 1 AGG sein. So hat das Bundesverfassungsgericht die Vorgabe einer die Mobilität des wissenschaftlichen Personals sichernden Regelaltersgrenze für die Erstberufung, die beim Abschluss des Qualifikationswegs nicht überschritten sein sollte, als probates Mittel zur Verfolgung hochschulpolitischer Reformziele anerkannt (vgl. BVerfG 27. Juli 2004 - 2 BvF 2/02 - zu B IV der Gründe, BVerfGE 111, 226). Auch stellen die Schaffung einer hochwertigen Lehre und die optimale Verteilung von Professorenstellen auf die Generationen legitime Ziele iSv. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG dar(EuGH 18. November 2010 - C-250/09 und C-268/09 - [Georgiev] Rn. 68, NZA 2011, 29). Schließlich mag auch das Ziel, im objektiven Interesse der Nachwuchswissenschaftler Sackgassen in ihrer Erwerbsbiographie zu vermeiden, iSv. § 10 Satz 1 AGG legitim sein.

27

(bbb) Das von der Beklagten gewählte Mittel - die Reduzierung der an sich nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG möglichen Befristungsdauer - ist zur Erreichung der Ziele weder erforderlich noch angemessen(verhältnismäßig im engeren Sinn). Zur Senkung des Erstberufungsalters von Professoren der Beklagten erscheint die Altersgrenze für befristete Verträge mit Habilitanden ohnehin ungeeignet, nimmt doch die Beklagte keine sog. Hausberufungen vor. Ferner ist sie aber auch deshalb unverhältnismäßig, weil die Habilitation nicht notwendig der Vorbereitung einer universitären Laufbahn dient. Nicht jeder Habilitand wird nach erfolgreicher Habilitation Professor. Nichts anderes gilt für das Interesse der Forschung und Lehre an der kontinuierlichen Fluktuation der Nachwuchswissenschaftler. Es wäre unverhältnismäßig, die Höchstdauer der Zeitbefristungen nach dem WissZeitVG im Hinblick auf das Lebensalter noch weiter zu reduzieren. Im Übrigen hängt - wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - das Ausmaß der Fluktuation im wissenschaftlichen Bereich der Universitäten und staatlichen Hochschulen nicht davon ab, wie alt die Bewerber zum Zeitpunkt der Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses sind, sondern davon, wie lange sie auf den von ihnen besetzten Stellen verweilen. Dass sich die Verweildauer der Wissenschaftler auf den ohnehin nur befristet zu besetzenden Stellen in Abhängigkeit vom Lebensalter verkürzt oder verlängert, ist nicht ersichtlich. Auch zur Vermeidung beruflicher Sackgassen ist die an das Lebensalter anknüpfende Reduzierung der Befristungsdauer jedenfalls unangemessen, nimmt sie doch auch den Habilitanden, die keine universitäre Laufbahn im Auge haben, die Möglichkeit, sich im Rahmen eines nach dem WissZeitVG befristeten Arbeitsverhältnisses zu habilitieren.

28

3. Das Landesarbeitsgericht hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass die unzulässige Benachteiligung des Klägers bei der Befristungsdauer gemäß § 7 Abs. 2 AGG zur Unwirksamkeit der Befristungsabrede „an sich“ führt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat deshalb nicht etwa zu einem späteren Zeitpunkt, sondern - jedenfalls aufgrund der Befristungsabrede - überhaupt nicht geendet.

29

a) § 139 BGB ist auf das Verhältnis zwischen der Befristungsdauer und der Vereinbarung der Befristung nicht anwendbar. § 139 BGB setzt die Teilbarkeit des Rechtsgeschäfts voraus. Der unwirksame Teil des Rechtsgeschäfts muss von dem wirksamen in dem Sinn trennbar sein, dass das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil hätte vorgenommen werden können (Palandt/Ellenberger BGB 70. Aufl. § 139 Rn. 10). Dies ist hier nicht der Fall. Die Befristungsvereinbarung ist nur Teil eines Rechtsgeschäfts, nämlich des Arbeitsvertrags. Sie ist als einheitliche Klausel auch nicht teilbar. Es gibt keine Befristung ohne bestimmte Dauer (vgl. [bei der unwirksamen Länge der Ausschlussklausel] BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - zu II 5 f der Gründe, BAGE 116, 66).

30

b) Weder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung noch der Umdeutung nach § 140 BGB oder der Anwendung der Grundsätze zur „Anpassung nach oben“ bei diskriminierender Vorenthaltung von Leistungen kann eine andere - längere - Befristungsdauer angenommen werden.

31

aa) Durch die Unwirksamkeit der gesamten Befristungsvereinbarung entsteht keine Vertragslücke, die durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen ist. Die Beklagte hat deutlich zum Ausdruck gebracht, vor dem Hintergrund des Rektoratsbeschlusses zur Altersgrenze gerade die gewählte Befristungsdauer zu wünschen. Eine ergänzende Vertragsauslegung scheidet aus, wenn eine der Vertragsparteien einen abschließenden Willen zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Palandt/Ellenberger BGB § 157 Rn. 3 mwN).

32

bb) Der unwirksam bis zum 30. Juni 2008 befristete Vertrag kann nicht nach § 140 BGB in einen bis zu einem anderen Beendigungstermin befristeten Vertrag umgedeutet werden. § 140 BGB erfordert das Vorliegen eines nichtigen Rechtsgeschäfts, das den Erfordernissen eines anderen Rechtsgeschäfts entspricht. Die nichtige Befristungsvereinbarung ist kein Rechtsgeschäft, sondern Teil eines solchen, nämlich des - gerade nicht nichtigen - Arbeitsvertrags.

33

cc) Eine Aufrechterhaltung der vereinbarten Befristung mit verlängerter Befristungsdauer kommt auch nicht etwa vor dem Hintergrund der Rechtsprechung zum Anspruch benachteiligter Arbeitnehmer auf „Anpassung nach oben“ in Betracht. Ist eine - gesetzliche oder tarifliche - Regelung unwirksam, weil sie unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG einem Arbeitnehmer eine Leistung vorenthält oder kürzt, kann dieser einen Anspruch auf die Leistung haben(vgl. BAG 18. Dezember 2008 - 6 AZR 287/07 - Rn. 35 f., BAGE 129, 93; 24. September 2003 - 10 AZR 675/02 - zu II 4 der Gründe, BAGE 108, 17). Dies ist auf eine den Arbeitnehmer benachteiligende Befristungsdauer nicht übertragbar. Sie stellt keine einseitig gewährte Leistung des Arbeitgebers dar, sondern ist als Vereinbarung eine einheitliche belastende Regelung, die nicht in einen belastenden und einen begünstigenden Teil aufgespalten werden kann. Im Übrigen begegnete es erheblichen Bedenken, den ungerechtfertigt benachteiligten Arbeitnehmer mit der Unsicherheit zu belasten, welche Dauer seines Arbeitsvertrags die „richtige“ ist. Dies gilt insbesondere wegen der von ihm nach § 17 Satz 1 TzBfG einzuhaltenden Klagefrist.

34

c) Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht schließlich davon aus, dass der Annahme eines unbefristeten Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bei diskriminierender Befristungsdauer § 15 Abs. 6 AGG nicht entgegensteht. § 15 Abs. 6 AGG schließt seinem Wortlaut nach einen gegen den Arbeitgeber gerichteten Anspruch auf Abschluss eines Arbeitsverhältnisses oder auf Gewährung des beruflichen Aufstiegs aus. Der in dieser Regelung zum Ausdruck kommende Schutz der Privatautonomie gebietet nicht die entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6 AGG auf eine nach § 7 Abs. 2 AGG unwirksame Befristungsabrede. Es fehlt an der erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage. § 15 Abs. 6 AGG trägt der grundrechtlich geschützten Auswahlfreiheit des Arbeitgebers Rechnung(vgl. zB Adomeit/Mohr AGG § 15 Rn. 113). Es ist wertungsmäßig ein Unterschied, ob ein Arbeitgeber verpflichtet ist, einen von ihm abgelehnten Arbeitnehmer einzustellen oder auf einer anderen (Beförderungs-)Position zu beschäftigen, oder ob er verpflichtet ist, einen Arbeitnehmer, den er aus eigener Willensentscheidung auf einer bestimmten Position eingestellt hat, weiterzubeschäftigen.

35

d) Auch die Argumentation der Beklagten, der Kläger stünde bei der Annahme eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses letztlich aufgrund der Diskriminierung besser, als er ohne sie gestanden hätte, vermag die Annahme eines zu einem späteren - nicht diskriminierenden - Zeitpunkt befristeten Arbeitsvertrags nicht zu rechtfertigen. § 7 Abs. 2 AGG begründet keinen Schadensersatzanspruch des benachteiligten Arbeitnehmers, sondern normiert als Rechtsfolge und Sanktion der diskriminierenden Vereinbarung deren Unwirksamkeit.

36

B. Die Klageanträge zu 2. und 4. sind dem Senat als echte, nur für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. gestellte Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen. Auch über den zu 3. gestellten Weiterbeschäftigungsantrag war nicht zu befinden. Er ist inhaltlich auf die Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag gerichtet. Die Entscheidung des Senats über den Feststellungsantrag wird mit der Verkündung rechtskräftig.

37

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Linsenmaier    

        

    Gallner    

        

    Schmidt    

        

        

        

    Für den durch Ablauf der Amtszeit
an der Unterschrift gehinderten
Richter Güner.
Linsenmaier    

        

    M. Zwisler    

                 

Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein. Derartige unterschiedliche Behandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

1.
die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen,
2.
die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile,
3.
die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung auf Grund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder auf Grund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand,
4.
die Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen,
5.
eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantragen kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt,
6.
Differenzierungen von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wenn die Parteien eine nach Alter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung geschaffen haben, in der die wesentlich vom Alter abhängenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters erkennbar berücksichtigt worden sind, oder Beschäftigte von den Leistungen des Sozialplans ausgeschlossen haben, die wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, gegebenenfalls nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind.

(1) Benachteiligungen aus einem in § 1 genannten Grund sind nach Maßgabe dieses Gesetzes unzulässig in Bezug auf:

1.
die Bedingungen, einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für den Zugang zu unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie für den beruflichen Aufstieg,
2.
die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und kollektivrechtlichen Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sowie beim beruflichen Aufstieg,
3.
den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung,
4.
die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Beschäftigten- oder Arbeitgebervereinigung oder einer Vereinigung, deren Mitglieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören, einschließlich der Inanspruchnahme der Leistungen solcher Vereinigungen,
5.
den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste,
6.
die sozialen Vergünstigungen,
7.
die Bildung,
8.
den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.

(2) Für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch gelten § 33c des Ersten Buches Sozialgesetzbuch und § 19a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch. Für die betriebliche Altersvorsorge gilt das Betriebsrentengesetz.

(3) Die Geltung sonstiger Benachteiligungsverbote oder Gebote der Gleichbehandlung wird durch dieses Gesetz nicht berührt. Dies gilt auch für öffentlich-rechtliche Vorschriften, die dem Schutz bestimmter Personengruppen dienen.

(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. September 2008 - 9 Sa 525/07 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung oder wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Abfindung verpflichtet ist.

2

Der 1949 geborene Kläger ist seit 1971 bei der Beklagten beschäftigt. Im Juni 2006 legte die Beklagte, bei der betriebsbedingte Beendigungskündigungen zu diesem Zeitpunkt tariflich noch bis mindestens 31. Dezember 2011 ausgeschlossen waren, für die bei ihr und bei bestimmten konzernangehörigen Gesellschaften Beschäftigen ein Abfindungsmodell für Arbeitnehmer auf, die bis zum 30. Juni 2007 freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis ausschieden. Für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse zwischen dem 1. Juni und dem 30. September 2006 aufgrund entsprechender Aufhebungsverträge endeten, war eine zusätzliche „Turbo-Prämie“ von 54.000,00 Euro brutto vorgesehen. Dieses Modell richtete sich ausdrücklich lediglich an Mitarbeiter der Jahrgänge 1952 und jünger. Es stand unter einem doppelten Freiwilligkeitsvorbehalt: Kein Arbeitnehmer musste zu den dargelegten Bedingungen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden; die Beklagte behielt sich vor, Angebote von Arbeitnehmern auf ein Ausscheiden abzulehnen. Bis zum 1. Januar 2007 hatten 5.937 Arbeitnehmer Aufhebungsverträge unterschrieben, darunter 24 Arbeitnehmer, die wie der Kläger vor dem 1. Januar 1952 geboren sind. Das ergibt sich aus einem „Flash-Report“ mit Stand vom 1. Januar 2007. Zwischen den Parteien ist streitig, zu welchen Konditionen die 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer, mit denen die Beklagte Aufhebungsverträge geschlossen hat, aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind.

3

Der Kläger erhielt das Rundschreiben von Mai 2006, aus dem sich die Einzelheiten des Abfindungsmodells ergaben, nicht. Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 bat er unter Bezug auf dieses Rundschreiben die Beklagte darum, ihm ein „entsprechendes“ Angebot zu unterbreiten. Dem Kläger stünde nach dem von der Beklagten aufgelegten Modell bei Ausscheiden bis zum 30. September 2006 inklusive der Turbo-Prämie unstreitig eine Abfindung von 171.720,00 Euro brutto zu. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 22. Juni 2006 den Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung zu den im Rundschreiben niedergelegten Bedingungen ab. Sie wies auf die bei ihr bestehende tarifliche Altersteilzeitregelung hin und erklärte sich bereit, dem Kläger eine Abfindung zu zahlen, die sich an den Altersteilzeitregelungen orientierte. Nach den bei der Beklagten geltenden tariflichen Regelungen darf die Altersteilzeit 24 Kalendermonate nicht unter- und 60 Kalendermonate nicht überschreiten. Während der Altersteilzeit dürfen grundsätzlich nur geringfügige Tätigkeiten unterhalb der Grenze des § 8 SGB IV ausgeübt werden.

4

In der Güteverhandlung bot die Beklagte dem Kläger eine Abfindung von 58.700,00 Euro netto an. Dieser bat daraufhin mit Schreiben vom 26. Oktober 2006 um kurzfristige Mitteilung, welche Bruttoabfindung der Berechnung der Beklagten zugrunde liege, und um Übersendung der entsprechenden Berechnungen. Die Beklagte antwortete daraufhin mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 wie folgt:

        

„... teilen wir Ihnen mit, dass es uns nicht möglich ist, Ihnen eine Bruttoabfindungssumme zu nennen, weil diese abhängig vom konkreten Verdienst und den Steuerdaten Ihres Mandanten zum Auszahlungszeitpunkt ist. Die Nettosumme errechnet sich nach den Monaten bis zu einem frühestmöglichen Renteneintritt Ihres Mandanten (in diesem Fall 60 Jahre nach Altersteilzeit, also bei Austritt noch in diesem Oktober 36 Monate) und den Nettobeträgen, die er in einer Altersteilzeit monatlich lt. Zumutbarkeitstabelle erhalten würde (unter Berücksichtigung der Steuerklasse III 1.632,46 €).

        

...“

5

Ein Aufhebungsvertrag zu diesen Konditionen kam zwischen den Parteien nicht zustande.

6

Mit der am 22. September 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger den Abschluss eines Aufhebungsvertrags unter Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro brutto.

7

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, sein Anspruch ergebe sich aus dem Verbot der Altersdiskriminierung. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) finde bereits Anwendung. Die Beklagte habe auch nach Inkrafttreten dieses Gesetzes noch den Abschluss des Aufhebungsvertrags zu den begehrten Bedingungen abgelehnt. Sie habe falsche Vergleichsgruppen gebildet. Zu vergleichen seien die Arbeitnehmer, die einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung schließen wollten, und die Arbeitnehmer, die das Arbeitsverhältnis fortsetzen wollten. Die Möglichkeit, Altersteilzeit in Anspruch nehmen zu können, rechtfertige die Ungleichbehandlung der kontrahierungswilligen Arbeitnehmer der Geburtsjahrgänge 1951 und älter nicht. So könne er - unstreitig - frühestens im Jahr 2009 Altersteilzeit in Anspruch nehmen, also zu einem Zeitpunkt, zu dem das von der Beklagten aufgelegte Abfindungsmodell bereits abgelaufen sei. Personalabbau sei kein legitimes und angemessenes Ziel iSd. § 10 AGG.

8

Der Kläger behauptet, er werde auch gegenüber den vor dem 1. Januar 1952 geborenen 24 Arbeitnehmern ungleich behandelt, mit denen die Beklagte Aufhebungsverträge geschlossen habe. Aus dem Flash-Report ergebe sich, dass die Aufhebungsverträge zu den Bedingungen der Turbo-Prämie abgeschlossen worden seien. Andernfalls wären sie in diesem nicht aufgeführt, der sich nach seinem Sinn und Zweck lediglich auf die Turbo-Prämie beziehe. Weitere Darlegungen seien ihm nicht möglich, da ihm diese Mitarbeiter namentlich nicht bekannt seien.

9

Der Kläger hat beantragt,

        

1.   

die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Zahlung einer Abfindung in Höhe von 117.720,00 Euro zuzüglich eines Zuschlags in Höhe von 54.000,00 Euro, insgesamt also eine Abfindung in Höhe von 171.720,00 Euro beinhaltet, zu unterbreiten, sowie

        

2.   

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger dadurch entstanden sind und entstehen werden, dass die Beklagte dem Kläger wegen seines Alters keinen Aufhebungsvertrag über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bis zum 30. September 2006 und Zahlung einer Abfindung in Höhe von 117.720,00 Euro zuzüglich Zuschlag in Höhe von 54.000,00 Euro, insgesamt also eine Abfindung in Höhe von 171.720,00 Euro, angeboten hat.

10

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags auf den doppelten Freiwilligkeitsvorbehalt verwiesen, unter dem der Abschluss der Aufhebungsverträge im Rahmen der aufgelegten Aktion gestanden habe. Da sie das Angebot des Klägers, gegen Zahlung einer Abfindung zu den Bedingungen des Rundschreibens aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, vor Inkrafttreten des AGG endgültig abgelehnt habe, finde dieses keine Anwendung. Jedenfalls habe sie den Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert. Für ihn sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich am vorteilhaftesten.

11

Die Beklagte hat behauptet, sie habe mit den Arbeitnehmern, die vor dem 1. Januar 1952 geboren seien, zu anderen Konditionen als denen des Rundschreibens kontrahiert. Sie hat insoweit drei Arbeitnehmer aus dem Werk H, in dem auch der Kläger beschäftigt war, namentlich benannt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass diese Arbeitnehmer nicht zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 ausgeschieden sind. Der Flash-Report werte insgesamt aus, mit wie vielen Arbeitnehmern einvernehmliche Ausscheidensregelungen getroffen worden seien.

12

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Ausschluss der vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer aus dem Personenkreis des 2006 aufgelegten Abfindungsmodells sei durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt und objektiv angemessen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den 24 Arbeitnehmern, die als Angehörige des Jahrgangs 1951 und älter Aufhebungsverträge erhalten hätten. Die Beklagte biete auch älteren Arbeitnehmern Abfindungen an, wie sie es unstreitig auch beim Kläger getan habe. Deshalb reiche es aus, wenn die Beklagte lediglich bestreite, dass im Flash-Report ausschließlich Arbeitnehmer aufgeführt seien, die zu den Konditionen des Turbo-Modells ausgeschieden seien.

13

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision, mit der er ua. geltend macht, das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast rechtsfehlerhaft überspannt, soweit es die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes verneint habe.

Entscheidungsgründe

14

Der Kläger ist im Rahmen der von der Beklagten im Jahr 2006 aufgelegten Abfindungsaktion weder wegen seines Alters diskriminiert noch von der Beklagten gleichheitswidrig benachteiligt worden. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

15

A. Die Beklagte hat bei ihrer im Rahmen eines Personalabbaus durchgeführten Abfindungsaktion den Kläger nicht wegen seines Alters diskriminiert. Er hat deshalb unter diesem Gesichtspunkt keinen Anspruch auf das begehrte Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro.

16

I. Die Beklagte hat den Kläger durch die Herausnahme aus dem Personenkreis, mit dem sie bereit war, den Abschluss von Aufhebungsverträgen zu den Bedingungen des Rundschreibens vom Mai 2006 in Betracht zu ziehen, nicht wegen seines Alters iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar benachteiligt. Bereits aus diesem Grund besteht kein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags als Erfüllungsanspruch aus § 7 Abs. 1 AGG(zum Anspruch auf Abschluss eines Änderungsvertrags als vorenthaltene Leistung nach dem Rechtsgedanken des durch das AGG aufgehobenen § 611a Abs. 3 Satz 1 BGB siehe BAG 14. August 2007 - 9 AZR 943/06 - Rn. 48, BAGE 123, 358; zum Anspruch auf Erfüllung derjenigen Ansprüche, die der begünstigten Gruppe zustehen, bei Verletzung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes siehe BAG 24. September 2009 - 8 AZR 636/08 - Rn. 37, NZA 2010, 159; zum Erfüllungsanspruch aus § 7 Abs. 1 AGG allg. siehe Wendeling-Schröder/Stein AGG § 7 Rn. 6; Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 19 f.). Ob einem solchen Erfüllungsanspruch die Bestimmung des § 15 Abs. 6 AGG entgegenstünde, der einen Vertragsabschlusszwang als Schadenersatz bei Verstößen des Arbeitgebers gegen § 7 Abs. 1 AGG bei Begründung eines Beschäftigungs- und Berufsausbildungsverhältnisses und bei beruflichem Aufstieg ausschließt, kann deshalb dahinstehen. Vertragsänderungen und -beendigungen wie die vom Kläger verlangte werden von dieser Bestimmung jedenfalls ihrem Wortlaut nach nicht erfasst (ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 15 AGG Rn. 13; für eine Ausweitung des Anwendungsbereichs der Vorschrift auf die Vereinbarung jeglichen Vertrags und jeglicher Vertragsänderung gleichwohl MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 15 AGG Rn. 42). Ebenso kann dahinstehen, ob ein etwaiger Kontrahierungszwang mit der durch Art. 2, 12 GG gewährleisteten Vertragsfreiheit vereinbar wäre(vorsichtig bejahend ErfK/Dieterich 10. Aufl. Art. 12 GG Rn. 31 zur Sicherung verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen bei gesetzlicher Grundlage mwN zum Streitstand).

17

1. Nach Auffassung des EuGH ist das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt ist und den die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf konkretisiert (EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 21 f.). Die unionsrechtliche Frage, welcher Rechtscharakter dem Verbot der Altersdiskriminierung zukommt, ist damit vom EuGH endgültig beantwortet. Dieses Verbot ist vom EuGH in den Rang eines Primärrechts erhoben worden, das unabhängig von einer nationalen Umsetzung auch im Verhältnis zwischen Privaten von den Gerichten unmittelbar anzuwenden ist. Ob dieses Verbot verletzt worden ist, ließ sich angesichts seiner Unbestimmtheit bis zum Inkrafttreten des AGG nur am Maßstab der es konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG ABl. EG Nr. L 303 vom 2. Dezember 2000 S. 16) feststellen. Seit dem 18. August 2006 ist eine Verletzung des Verbots der Altersdiskriminierung anhand des diese Richtlinie in nationales Recht umsetzenden AGG zu prüfen.

18

Auch wenn die Beklagte das Angebot des Klägers auf Kontrahierung zu den Bedingungen des Rundschreibens noch vor Inkrafttreten des AGG endgültig abgelehnt hat, ist damit die Frage, ob sie dadurch das Verbot der Altersdiskriminierung verletzt hat und der Kläger Anspruch auf Abgabe der begehrten Willenserklärung hat (§ 894 Satz 1 ZPO), am Maßstab des AGG zu beantworten. Dies gilt um so mehr, als der Kläger sein Verlangen nach einem Angebot zum Abschluss eines entsprechenden Aufhebungsvertrags spätestens mit seiner der Beklagten am 29. September 2006 zugestellten Klageschrift und damit vor Ablauf der von der Beklagten für den Anspruch auf die höchste Stufe der Turbo-Prämie gesetzten Frist am 30. September 2006 wiederholt hat, der Sachverhalt also bei Inkrafttreten des AGG noch nicht abgeschlossen iSd. § 33 Abs. 1 AGG war(dazu zuletzt BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 31 ff.).

19

2. Die das Verbot der Altersdiskriminierung konkretisierende Richtlinie 2000/78/EG soll ausweislich ihres Art. 1 innerhalb der Europäischen Gemeinschaft einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes festlegen und in diesem Rahmen Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf bekämpfen. Verboten ist deshalb im hier interessierenden Zusammenhang jede unmittelbare und mittelbare Diskriminierung wegen des Alters. Welches Verhalten als unzulässige Diskriminierung zu werten ist, legt Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie fest. Regelungstechnisch ist das Verbot der unmittelbaren Diskriminierung in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie ein Verbot, eine differenzierende, benachteiligende Behandlung an das Alter zu knüpfen. Erfährt eine Person wegen ihres Alters eine weniger günstige Behandlung als andere Personen in vergleichbaren Situationen, stellt eine solche Ungleichbehandlung begrifflich zunächst einmal eine „unmittelbare Diskriminierung“ iSd. Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie dar (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9).

20

Eine derartige Ungleichbehandlung unterliegt - anders als unmittelbare Diskriminierungen im Europarecht im Allgemeinen - jedoch nicht uneingeschränkt dem Verdikt, rechtswidrig zu sein. Das Differenzierungsmerkmal des Alters als solches besitzt nämlich im Unterschied zu den übrigen in Art. 1 der Richtlinie genannten verbotenen Anknüpfungspunkten die zur Annahme einer verbotenen Diskriminierung erforderliche abschließende Aussagekraft für sich allein genommen noch nicht. Auch bei Anknüpfung an ein solches Merkmal können die Betroffenen tatsächlich nicht nachteilig belastet sein. Alter ist eine lineare Eigenschaft, denn jeder Beschäftigte weist irgendein Alter auf, das sich auf einer horizontalen, nach Lebensjahren eingeteilten Skala entwickelt, auf der sich Abschnitte festlegen und Differenzierungen nach Altersstufen vornehmen lassen. Die anderen in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsmerkmale lassen sich nicht in derartigen Stufen messen und sind keiner ständigen, unausweichlichen Veränderung unterworfen, sondern - jedenfalls im Regelfall - ein für alle Mal festgelegt. Das Alter ist dagegen ein ambivalentes, relatives Differenzierungsmerkmal (Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5 S. 22, 25; Sprenger Das arbeitsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78/EG S. 58 mwN zu Fn. 357). Von einer Altersdiskriminierung ist darum potenziell jeder Mensch betroffen. Eine bloße Differenzierung anhand des Lebensalters indiziert deshalb selbst dann, wenn sie zu einer Benachteiligung einer Personengruppe bestimmten Alters führt, eine Diskriminierung im Sinne einer rechtswidrigen Benachteiligung (vgl. Brockhaus Enzyklopädie 21. Aufl. „Diskriminierung“; Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch 1981 2. Bd. S. 245 „diskriminieren“) noch nicht. Vielmehr kann es gerechtfertigt sein, eine Maßnahme altersabhängig zu gestalten. Das bringt der Erwägungsgrund Nr. 25 der Richtlinie 2000/78/EG zum Ausdruck, der eine Unterscheidung zwischen einer bloßen Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer zu verbietenden Diskriminierung verlangt.

21

Wegen dieser Besonderheiten des Alterskriteriums als Anknüpfungspunkt einer Diskriminierung sieht die Richtlinie 2000/78/EG abweichend von der üblichen Systematik unionsrechtlicher Diskriminierungsverbote nicht nur in Art. 2 Abs. 2 Buchst. b bei mittelbaren Diskriminierungen Rechtfertigungsmöglichkeiten vor, sondern eröffnet in Art. 6 auch bei unmittelbar an das Alter anknüpfenden Maßnahmen die Möglichkeit, diese durch den Nachweis ihrer Verhältnismäßigkeit zu rechtfertigen(Schlachter Altersgrenzen und Alterssicherung im Arbeitsrecht S. 355, 366 f.).

22

3. Diese Systematik der Richtlinie 2000/78/EG behält das AGG bei. Danach hat die Beklagte den Kläger schon nicht wegen seines Alters iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar benachteiligt.

23

a) Die Beklagte hat den Kläger aus dem Kreis der Arbeitnehmer ausgenommen, mit denen sie den Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu den Konditionen des Rundschreibens in Erwägung gezogen hat, weil er vor dem 1. Januar 1952 geboren ist. Damit ist der Anwendungsbereich des AGG eröffnet, denn unter die Entlassungsbedingungen iSd. § 2 Abs. 1 Ziff. 2 AGG fallen auch Aufhebungsverträge (Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 16; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 8; vgl. EuGH 16. Februar 1982 - C-19/81 - [Burton] Rn. 9, Slg. 1982, 555 für die Richtlinie 76/207).

24

b) Die von der Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern, die vor oder nach dem 1. Januar 1952 geboren sind, benachteiligte Arbeitnehmer wie den Kläger, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, nicht unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Solche Arbeitnehmer haben dadurch, dass sie von dem geplanten Personalabbau ausgenommen worden sind, keine weniger günstige Behandlung als jüngere Arbeitnehmer erfahren, denen das Angebot unterbreitet worden ist, zu den im Rundschreiben vom Mai 2006 genannten Bedingungen auszuscheiden, und die dieses Angebot angenommen haben. Das gilt auch dann, wenn ältere Arbeitnehmer wie der Kläger ein Angebot der Beklagten, zu den Bedingungen des Rundschreibens bis zum 30. September 2006 aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden, angenommen hätten.

25

aa) Ein Arbeitnehmer erfährt nicht bereits dann eine „weniger günstige Behandlung“ iSv. § 3 Abs. 1 AGG, wenn er objektiv anders als ein älterer oder jüngerer Arbeitnehmer behandelt wird(vgl. Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 4; MünchKommBGB/Thüsing 5. Aufl. § 3 AGG Rn. 2; vgl. für die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 1 GG ErfK/Schmidt 10. Aufl. Art. 3 GG Rn. 34; Osterloh in Sachs Grundgesetz 5. Aufl. 2009 Art. 3 Rn. 84). Die dargelegte fehlende Eindeutigkeit des ambivalenten Diskriminierungsmerkmals „Alter“ verlangt bereits auf der Tatbestandsebene zur Feststellung einer objektiv vorliegenden Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG eine Ungleichbehandlung, die für den Betroffenen einen eindeutigen Nachteil bewirkt. Die Differenzierung zwischen unterschiedlich alten Arbeitnehmern muss sich also für eine bestimmte Altersgruppe negativ auswirken, indem sie sie zurücksetzt (Wendeling-Schröder/Stein aaO; Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 2).

26

bb) Ob ein Arbeitnehmer, der von einem durch Abschluss freiwilliger Aufhebungsverträge unter Zahlung von Abfindungen durchgeführten Personalabbau wegen seines Alters ausgenommen wird, im vorstehend dargelegten Sinn eine „weniger günstige Behandlung“ erfährt als jüngere Arbeitnehmer, denen Aufhebungsverträge gegen Zahlung einer Abfindung angeboten werden, und deshalb im unionsrechtlichen Sinne zunächst unmittelbar diskriminiert wird, kann nur unter Heranziehung der Gründe beurteilt werden, die zur Aufnahme des Alters als verpöntes Differenzierungsmerkmal in die Richtlinie 2000/78/EG und damit in das AGG geführt haben.

27

(1) Ziel für die Schaffung einer Richtlinie zur einheitlichen Bekämpfung von Diskriminierungen in der Europäischen Union war es, sicherzustellen, dass ein möglichst hoher Prozentsatz der Personen im erwerbsfähigen Alter tatsächlich einer Beschäftigung nachgeht. Ältere Menschen werden im Bereich Beschäftigung bei Arbeitsplatzverlusten, Einstellung, Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und in Bezug auf die Bedingungen für den Eintritt in den Ruhestand besonders diskriminiert (KOM [1999] 565 endgültig S. 3).

28

Diese von der Kommission in ihrem Vorschlag zum Erlass einer Gleichbehandlungsrichtlinie angeführte Zielrichtung des Schutzes und der Integration gerade älterer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt hat auch in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2000/78/EG Niederschlag gefunden. Nach Art. 253 EGV bedarf das gesamte Sekundärrecht der Gemeinschaft einer Begründung, die die wichtigsten rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen darlegt, auf denen die Rechtshandlungen beruhen und die für das Verständnis des Gedankengangs erforderlich sind. Motive und Hintergründe, die zum Erlass der Maßnahme geführt haben, sollen durch sie transparent gemacht werden. Mitgliedsstaaten und den Gemeinschaftsrichtern dienen sie als Indikator und maßgebliche Erkenntnisquelle zur Überprüfung der materiellen Rechtmäßigkeit einer Maßnahme (Calliess in Calliess/Ruffert EUV/EGV 3. Aufl. 2007 Art. 253 EGV Rn. 2, 6; Schwarze EU-Kommentar 2. Aufl. Artikel 253 EGV Rn. 5 f.). Erwägungsgründe stellen deshalb nicht etwa unbeachtliche Programmsätze dar, sondern geben für die Auslegung der Regelungen einer Richtlinie entscheidende Hinweise (vgl. Senat 26. Oktober 2006 - 6 AZR 307/06 - Rn. 43, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 49 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 9 [insoweit in der amtl. Sammlung nicht abgedruckt]; vgl. auch BVerfG 20. September 2007 - 2 BvR 855/06 - Rn. 33, NJW 2008, 209).

29

Der Erwägungsgrund Nr. 6 nimmt auf die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer Bezug, in der anerkannt werde, wie wichtig die Bekämpfung jeder Art von Diskriminierung und geeignete Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung älterer Menschen und Menschen mit Behinderung seien. Der Erwägungsgrund Nr. 8 betont, dass der Unterstützung älterer Arbeitnehmer mit dem Ziel der Erhöhung ihres Anteils an der Erwerbsbevölkerung besonderer Aufmerksamkeit gebührt. Erwägungsgrund Nr. 11 stellt fest, dass Diskriminierungen ua. wegen des Alters die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren könnten, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz. Schließlich stellt nach dem bereits angeführten Erwägungsgrund Nr. 25 das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Nach Art. 2 Abs. 1 erster Gedankenstrich EU und Art. 2 EG zählt die Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus zu den Zielen, die sowohl von der Europäischen Union als auch von der Gemeinschaft verfolgt werden(EuGH 16. Oktober 2007 - C-411/05 - [Palacios de la Villa] Rn. 64, Slg. 2007, I-8531).

30

(2) Dem Schutz älterer Menschen vor Benachteiligung im Beschäftigungsverhältnis kommt auch nach Auffassung des nationalen Gesetzgebers besondere Bedeutung zu (BT-Drucks. 16/1780 S. 31, 36). Dieser hat bei der Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG darauf abgestellt, dass es auch in Deutschland Hinweise dafür gebe, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen schlechtere Chancen im Arbeitsleben als andere hätten. Insbesondere Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, Behinderte und ältere Menschen seien schlechter in die Arbeitswelt eingebunden. Menschen über 55 und unter 20 Jahren arbeiteten überdurchschnittlich häufig in atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Die Erwerbsbeteiligung der über 55-Jährigen gehe drastisch zurück. Bei Männern falle sie zwischen 55 und 64 Jahren von 82,1 % auf 27 %. Diese soziale Lage könne zwar nicht allein mit gesetzlichen Benachteiligungsverboten verbessert werden, mache aber deutlich, dass auch in Deutschland diese Personengruppen besonderen Schutzes bedürften (BT-Drucks. 16/1780 S. 23 bis 25).

31

(3) Schutz und Integration älterer Arbeitnehmer stehen somit im Vordergrund der mit der Richtlinie 2000/78/EG und dem AGG verfolgten Ziele, soweit diese die Diskriminierung wegen des Alters verbieten (vgl. ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 11; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 67). Dies wird auch daran deutlich, dass die in Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Rechtfertigungsgründe für Ungleichbehandlungen wegen des Alters, soweit sie in Abs. 1 Satz 2 Buchst. a die Entlassungsbedingungen ausdrücklich ansprechen, den Schutz älterer Arbeitnehmer verstärken und nicht etwa schwächen sollen (Schlachter Altersgrenzen und Alterssicherung im Arbeitsrecht S. 355, 369 f.).

32

Zwar ist unbestritten auch die Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch die Richtlinie 2000/78/EG untersagt (Wendeling-Schröder/Stein AGG § 1 Rn. 66; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 1 AGG Rn. 11; Linsenmaier RdA 2003 Sonderbeilage Heft 5 S. 22, 25; zu einer Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch ein Punkteschema bei Versetzungen vgl. BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - DB 2010, 397). Gleichwohl darf die oben dargestellte Hauptzielrichtung der Richtlinie bei der Auslegung des § 3 AGG nicht unbeachtet bleiben.

33

cc) Angesichts dieser Zielrichtung der das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung konkretisierenden Richtlinie 2000/78/EG und des diese umsetzenden AGG werden ältere Arbeitnehmer, die ein Arbeitgeber generell von einem Personalabbau ausnimmt, auch dann nicht iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG unmittelbar gegenüber jüngeren Arbeitnehmern benachteiligt, wenn der Personalabbau durch freiwillige Aufhebungsverträge unter Zahlung attraktiver Abfindungen erfolgen soll. Bei Anlegung des von der Richtlinie 2000/78/EG und des AGG geforderten objektiven Maßstabes zur Beurteilung einer Benachteiligung (ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 3; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 4; aA wohl Schleusner/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 12) werden ältere Arbeitnehmer durch die Herausnahme aus dem Personalabbau gegenüber jüngeren Arbeitnehmern, die unter Zahlung einer Abfindung freiwillig aus dem Unternehmen ausscheiden können und sich neue Erwerbschancen suchen müssen, im Regelfall nicht weniger günstig behandelt. Im Gegenteil ist der Zweck des Diskriminierungsverbots wegen des Alters grundsätzlich gerade durch den weiteren Verbleib älterer Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis verwirklicht. Diese stehen dadurch nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis, das bei Vorliegen der Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes bestandsgeschützt ist. Sie erhalten so bei typisierender Betrachtung aus der ex ante-Perspektive die Chance, bis zum Eintritt in den Ruhestand bzw. bis zum Erreichen der für das Arbeitsverhältnis maßgeblichen Altersgrenze erwerbstätig zu bleiben. Dass in Einzelfällen Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen vor Erreichen der Altersgrenze ausscheiden oder später aus betriebsbedingten Gründen doch ihren Arbeitsplatz verlieren, muss dabei außer Betracht bleiben. Auch die subjektive Einschätzung einzelner älterer Arbeitnehmer, es sei für sie wirtschaftlich attraktiver, unter Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden als im Arbeitsverhältnis zu verbleiben - etwa in der Hoffnung oder Erwartung, sich neue Einkommensquellen zu erschließen -, kann nach dem Regelungszweck des AGG, der mit dem der Richtlinie 2000/78/EG in Einklang steht, eine Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG nicht begründen(vgl. bereits Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 31, NZA 2010, 273). Das Verbot der Altersdiskriminierung zwingt deshalb Arbeitgeber im Rahmen eines von ihnen geplanten Personalabbaus im Regelfall nicht dazu, auf Verlangen älterer Arbeitnehmer mit diesen einen Aufhebungsvertrag gegen Zahlung einer Abfindung zu schließen.

34

II. Jedenfalls war die Herausnahme älterer Arbeitnehmer aus der von der Beklagten im Jahr 2006 vorgenommenen Personalabbaumaßnahme gerechtfertigt iSd. § 10 AGG.

35

1. § 10 AGG hat Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG unionsrechtskonform umgesetzt. Der Gesetzgeber hat die möglichen Rechtfertigungsgründe zunächst in § 10 Satz 1 und 2 AGG in Form einer Generalklausel umschrieben, die mit der des Art. 6 Abs. 1 nahezu wortgleich ist. In § 10 Satz 3 AGG sind dann sechs nicht abschließende Anwendungsfälle von denkbaren Rechtfertigungen aufgeführt(vgl. BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 40, EzA AGG § 15 Nr. 1). Zur weitergehenden Festlegung von rechtfertigenden Zielen war der nationale Gesetzgeber nicht verpflichtet. Die Mitgliedstaaten sind durch Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG nicht gezwungen, einen abschließenden Katalog rechtfertigender Ausnahmen aufzustellen. Die darin genannten Ziele sind nicht abschließend, sondern haben nur Hinweischarakter (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 43, 52, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 49, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 12; 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31).

36

Auch die Generalklausel in § 10 Satz 1 und 2 AGG ist unionsrechtskonform. Der Gesetzgeber kann über eine solche Regelung Tarif-, Betriebsparteien oder auch einzelnen Arbeitgebern Ermessens- und Gestaltungsbefugnisse bei der Festlegung von Zielen, die als rechtmäßig iSv. Art. 6 der Richtlinie angesehen werden können, einräumen und damit den Arbeitgebern bei der Verfolgung der in der Umsetzungsnorm genannten rechtmäßigen Ziele eine gewisse Flexibilität gewähren(vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 46, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; Schlussantrag des Generalanwalts Mazák vom 23. September 2008 - C-388/07 - Rn. 83; Sprenger EuZA 2009, 355, 358; vgl. für Tarifvertrags- und Betriebsparteien BAG 17. Juni 2009 - 7 AZR 112/08 (A) - Rn. 50, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 12; 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 38, AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31). Dies hat der nationale Gesetzgeber getan, der in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch einzel- und kollektivvertragliche Regelungen einer Rechtfertigung über die Generalklausel zugänglich machen will (BT-Drucks. 16/1780 S. 36).

37

2. Die von der Beklagten vorgenommene Maßnahme unterfällt keinem der Regelbeispiele in § 10 Satz 3 Nr. 1 bis 6 AGG. Das in Nr. 6 dieser Norm aufgeführte Regelbeispiel ist nicht analog auf einzelvertragliche Abfindungsregelungen anzuwenden (aA Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 59; für eine Ausdehnung nur auf freiwillige Sozialpläne und bei Sozialplänen nach dem Personal- oder Mitarbeitervertretungsrecht Wendeling-Schröder/Stein AGG § 10 Rn. 61; der Senat hat in seiner Entscheidung vom 19. November 2009 - 6 AZR 561/08 - Rn. 30 die für Sozialpläne geltenden Grundsätze des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG auch auf eine von einer paritätisch besetzen Arbeits- und Dienstrechtlichen Kommission beschlossene kirchliche Arbeitsvertragsregelung angewandt). Nach dem eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Wortlaut dieser Vorschrift sind davon nur kollektivrechtlich vereinbarte Leistungen erfasst. Es fehlt zudem bereits an der für eine analoge Anwendung des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG erforderlichen Regelungslücke. Einzelvertragliche Abfindungsregelungen unterfallen der Generalklausel in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AGG.

38

3. Die Maßnahme der Beklagten ist nach § 10 Satz 1 und 2 AGG gerechtfertigt.

39

a) Kommt die Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG zur Anwendung, müssen die nationalen Gerichte feststellen, ob generell-abstrakte Regelungen, die an das Alter anknüpfen und zu einer Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG führen, durch rechtmäßige Ziele im Sinne dieser Generalklausel gerechtfertigt sind. Sie haben sicherzustellen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters nicht ausgehöhlt wird. Deshalb genügen allgemeine Behauptungen, dass eine bestimmte Maßnahme geeignet sei, der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung zu dienen, nicht zur Darlegung eines legitimen Ziels iSd. § 10 AGG. Vielmehr müssen zumindest aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter ihr stehenden Ziels ermöglichen, um die Rechtmäßigkeit, die Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können als rechtmäßig nur Ziele angesehen werden, die als sozialpolitische Ziele im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie 2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 45 ff., EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 9; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36 ff., AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31). Inwieweit danach auch betriebs- und unternehmensbezogene Interessen Berücksichtigung finden können (bejahend BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 53 mwN zum Streitstand in Rn. 45 ff., EzA AGG § 15 Nr. 1), kann dahinstehen, weil die Beklagte solche nicht anführt.

40

b) Danach war hier der Ausschluss der Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, aus der Personalabbaumaßnahme gerechtfertigt. Die Beklagte hat diese älteren Arbeitnehmer aus der Personalabbaumaßnahme ausgenommen und hat ihnen mit der bei ihr geltenden Altersteilzeitregelung einen gleitenden Übergang in die Altersrente ermöglicht (vgl. § 1 Abs. 1 AltTZG). Sie hat damit dem Personenkreis, dem der Kläger angehört, die weitere Teilnahme am Erwerbsleben ermöglicht. Dies ist ein legitimes beschäftigungspolitisches Ziel iSd. § 10 Satz 1 AGG, das sich mit dem dargelegten Regelungsziel der Richtlinie 2000/78/EG und des diese umsetzenden AGG deckt und deshalb die Herausnahme älterer Arbeitnehmer aus dem Personenkreis, mit dem die Beklagte den Abschluss von Aufhebungsverträgen gegen Zahlung von Abfindungen auf freiwilliger Basis zum Zwecke des Personalabbaus in Betracht gezogen hat, sachlich rechtfertigt(zum Verständnis der unbestimmten Rechtsbegriffe des § 10 Satz 1 AGG BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 55, EzA AGG § 15 Nr. 1). Zur Erreichung dieses Ziels einer weiteren Integration älterer Arbeitnehmer in das Erwerbsleben war der Ausschluss älterer Arbeitnehmer aus dem Personalabbau auch ein verhältnismäßiges Mittel iSd. § 10 Satz 2 AGG.

41

III. Würde dem Arbeitgeber wegen des Verbots der Altersdiskriminierung generell untersagt, ältere Arbeitnehmer aufgrund der typisierenden und pauschalierenden Annahme, dass diesem Personenkreis der Verbleib im Erwerbsleben ermöglicht werden solle, generell von einem Personalabbau durch freiwilliges Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung auszunehmen, würde dies auch zu unüberbrückbaren Wertungswidersprüchen und Brüchen in der Systematik des nationalen Vertragsrechts führen. Dass die Arbeitsvertragsparteien in Wahrnehmung ihrer auch verfassungsrechtlich durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Privatautonomie die freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer Abfindung vereinbaren können, steht außer Zweifel. Letzten Endes geht es darum, den von beiden Seiten für angemessen gehaltenen Preis für ein „Abkaufen“ des Bestandsschutzes zu ermitteln. Folgte man jedoch der Rechtsauffassung des Klägers, wäre dem Arbeitgeber die Ablehnung des Angebots des kontrahierungswilligen Arbeitnehmers verwehrt. Ein derartiger Kontrahierungszwang würde im Ergebnis jeden Personalabbau durch freiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung unmöglich machen, weil das zur Verfügung stehende Abfindungsvolumen überwiegend von älteren Arbeitnehmern in Anspruch genommen werden würde, ohne dass der Arbeitgeber das mit dem geplanten Personalabbau verfolgte Ziel einer Kostenersparnis tatsächlich erreicht.

42

IV. Die zu I. und II. dargestellten Grundsätze zum Verständnis und zur Anwendung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. a sowie Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Richtlinie 2000/78/EG sind, soweit sie nicht ohnehin offenkundig sind, durch die angeführte jüngere Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt, so dass ein erneutes Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 Abs. 3 EGV nicht erforderlich war(vgl. EuGH 6. Oktober 1982 - C-283/81 - Ls. 4, Slg. 1982, 3415, 3429; 15. September 2005 - C-495/03 - [Intermodal Transports] Rn. 33, Slg. 2005, I-8151).

43

B. Der Kläger hat auch aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen Anspruch auf Abschluss des begehrten Aufhebungsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung von 171.720,00 Euro.

44

I. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der ungeachtet seiner umstrittenen dogmatischen Herleitung inhaltlich durch den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt wird, knüpft an eine verteilende Entscheidung des Arbeitgebers an. Er gebietet diesem, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regelung gleich zu behandeln. Er verbietet somit nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung. Nicht anwendbar ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch, wenn Leistungen oder Vergünstigungen individuell vereinbart werden. Insoweit genießt die Vertragsfreiheit Vorrang vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz (st. Rspr., zuletzt Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 29, NZA 2010, 273).

45

II. Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.

46

1. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht dadurch verletzt, dass die Beklagte den Kläger wie alle anderen Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, aus dem Personenkreis, dem sie angeboten hat, zu den Bedingungen des Rundschreibens Stand Mai 2006 auszuscheiden, von vornherein ausgenommen hat. Dieser Grundsatz findet keine Anwendung, wenn ein Arbeitgeber mit Arbeitnehmern individuelle Vereinbarungen über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses unter Zahlung von Abfindungen trifft. Dies gilt auch dann, wenn die Abfindungen dem Grunde und der Höhe nach in einer Betriebsvereinbarung oder wie hier in einem von der Beklagten aufgestellten Regelungsplan festgelegt sind. Die Beklagte hat sich ausdrücklich vorbehalten, in jedem Einzelfall darüber zu entscheiden, ob sie Angebote von Arbeitnehmern auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu den im Rundschreiben von Mai 2006 dargestellten Bedingungen annehmen will. In einem solchen Fall fehlt es bereits an einer verteilenden Entscheidung des Arbeitgebers nach einer von ihm selbst aufgestellten Regel (vgl. Senat 17. Dezember 2009 - 6 AZR 242/09 - Rn. 30, NZA 2010, 273). Auf die vom Kläger angezogene Entscheidung (BAG 18. September 2007 - 9 AZR 788/06 - AP BGB § 307 Nr. 29 = EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 15) kommt es deshalb nicht an.

47

2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung mit den 24 Arbeitnehmern, die wie er vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, und mit denen die Beklagte unstreitig bis zum 31. Dezember 2006 Aufhebungsverträge abgeschlossen hat. Er hat nicht dargelegt, dass die Konditionen der mit diesen Arbeitnehmern vereinbarten Aufhebungsverträge den Bedingungen, wie sie die Beklagte im Rundschreiben vom Mai 2006 festgelegt hat, entsprechen und die Beklagte sich insoweit an die von ihr selbst gesetzte Regelung nicht gehalten, sondern eine neue, wiederum generalisierende Regelung geschaffen hat, mit einer Mehrzahl kontrahierungswilliger Arbeitnehmer, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, einen Aufhebungsvertrag zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 zu schließen.

48

a) Die Beklagte hat dargelegt, dass sie mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern zu den Bedingungen, wie sie sie auch dem Kläger mit Schreiben vom 30. Oktober 2006 angeboten hat, kontrahiert hat. Damit hat sie der ihr obliegenden Verpflichtung, die Gründe für eine Differenzierung zwischen beiden Arbeitnehmergruppen offenzulegen und so substantiiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht (BAG 15. Juli 2009 - 5 AZR 486/08 - Rn. 14, EzA BGB 2002 § 242 Gleichbehandlung Nr. 20), genügt. Der Kläger hätte nunmehr seine Behauptung, dieser Vortrag der Beklagten sei inhaltlich unzutreffend, näher begründen müssen. Dies ist nicht hinreichend geschehen. Darauf hat das Landesarbeitsgericht zu Recht abgestellt.

49

aa) Die bloße Aufnahme der 24 Arbeitnehmer in den Flash-Report lässt entgegen der Auffassung des Klägers keinen Rückschluss darauf zu, dass die Aufhebungsverträge auch dieser älteren Arbeitnehmer zu den von ihm begehrten Konditionen geschlossen worden sind. Dieser Report gibt laut seiner S. 1 den „Realisierungsstand der abgeschlossenen Aufhebungsverträge“ wieder. Ausgehend vom Ziel der Abfindungsaktion, zur Kostensenkung Personal abzubauen, ist es folgerichtig, sämtliche Arbeitnehmer, die anlässlich dieser Aktion bis zu dem gewünschten Zeitpunkt aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, im Report aufzuführen, auch soweit Aufhebungsverträge zu anderen Konditionen als denen des Rundschreibens von Mai 2006 geschlossen worden sind.

50

bb) Auch die auf S. 5 des Flash-Reports erfolgte „Aufteilung abgeschlossener Aufhebungsverträge“ spricht entgegen der Auffassung des Klägers nicht für seine Behauptung, sondern im Gegenteil gegen diese. Der Flash-Report wertet dort unter Aufschlüsselung nach Entgeltstufen und Dauer der Betriebszugehörigkeit aus, wie hoch der Anteil angeschriebener Arbeitnehmer ist, die tatsächlich einen Aufhebungsvertrag geschlossen haben. Dem Kläger ist zuzugeben, dass die vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer unstreitig nicht von der Beklagten angeschrieben worden sind. Gleichwohl sind Basis auch dieser Statistik alle bis zum 31. Dezember 2006 geschlossenen 5.937 Aufhebungsverträge einschließlich der auf S. 11 des Flash-Reportsausgewiesenen 24 Verträge, die mit vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern geschlossen worden sind. Aussagen zu den Konditionen der Aufhebungsverträge lassen sich damit S. 5 des Flash-Reports nicht entnehmen, sondern nur das Bemühen der Beklagten, alle bis zum 31. Dezember 2006 abgeschlossenen Aufhebungsverträge statistisch zu erfassen und zu bewerten.

51

cc) Schließlich ist auch der Vortrag des Klägers, Abfindungen an ältere Arbeitnehmer seien stets netto gezahlt worden, kein schlüssiges Indiz für seine Behauptung, die Konditionen der 24 auf S. 11 des Flash-Reports aufgeführten Aufhebungsverträge entsprächen denen des Rundschreibens. Der Kläger nimmt insoweit ausdrücklich Bezug auf das Schreiben der Beklagten vom 30. Oktober 2006,aus dem sich lediglich ergibt, dass sie im konkreten Fall des Klägers eine Nettoabfindung errechnet hat, weil ihr mangels der erforderlichen Daten die Ermittlung einer Bruttoabfindung nicht möglich war.

52

b) Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Anforderungen an die Darlegungslast nicht überspannt. Es hat vielmehr zu Recht vom Kläger verlangt, weitere Indizien vorzutragen, aus denen geschlossen werden könne, dass seine Behauptung, die Beklagte habe auch mit 24 älteren Arbeitnehmern zu den Bedingungen des Rundschreibens vom Mai 2006 kontrahiert, richtig sei. Trotz des unstreitigen Umstands, dass der Kläger die Bedingungen der 24 auf S. 11 des Flash-Reports aufgeführten Aufhebungsverträge, die mit vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern geschlossen sind, nicht kennt und keine Einsicht in die Personalunterlagen hat, war die Beklagte nicht zu weitergehendem Vortrag verpflichtet.

53

aa) Allerdings genügt nach den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast das einfache Bestreiten des Gegners der primär darlegungspflichtigen Partei nicht, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, der Gegner dagegen alle wesentlichen Tatsachen kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. In diesen Fällen kann von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 16, NJW 2008, 982; BAG 6. September 2007 - 2 AZR 715/06 - Rn. 38, BAGE 124, 48). Der Gegner der primär darlegungs- und beweispflichtigen Partei muss deren Vortrag also positive Gegenangaben gegenüberstellen (Stein/Jonas/Leipold 22. Aufl. § 138 Rn. 36 f.; umfassend zu den Modifizierungen der Darlegungslast unter dem Gesichtspunkt der sekundären Behauptungslast Zöller/Greger ZPO 28. Aufl. Vor § 284 Rn. 34 ff.).

54

Diesen Anforderungen hat die Beklagte genügt. Sie hat vorgetragen, dass sie mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern Aufhebungsverträge zu den Bedingungen geschlossen habe, wie sie sie auch dem Kläger angeboten hat . Sie hat diesen Vortrag mit der namentlichen Benennung von drei Arbeitnehmern, die wie der Kläger im Werk H beschäftigt und im Flash-Report erfasst seien, untermauert. Unstreitig sind diese Arbeitnehmer tatsächlich zu anderen Bedingungen als denen des Abfindungsmodells des Jahres 2006 ausgeschieden. Ebenso unstreitig hat die Beklagte jedenfalls dem Kläger lediglich die Konditionen angeboten, zu denen sie nach ihrem Vortrag mit den 24 älteren Arbeitnehmern kontrahiert hat. Sie hat damit den vom Kläger behaupteten Sachverhalt hinreichend substantiiert bestritten.

55

Weitergehende Vortragspflichten trafen die Beklagte aufgrund des Grundsatzes der sekundären Behauptungslast nicht. Insbesondere verlangen diese vom Gegner der beweispflichtigen Partei nicht die Preisgabe von Namen und ladungsfähiger Anschrift von (potentiellen) Zeugen. Dass die Beklagte die 24 Arbeitnehmer nicht namentlich benannt hat, hatte deshalb entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Folge, dass sein Vortrag, diese Arbeitnehmer seien zu den Bedingungen des Rundschreibens von Mai 2006 ausgeschieden, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen war(vgl. BGH 17. Januar 2008 - III ZR 239/06 - Rn. 18 f., NJW 2008, 982).

56

bb) Die Zivilprozessordnung kennt keine - über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende - allgemeine Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei. Dass im Zivilprozess die Wahrheitspflicht wesentliche Bedeutung hat, erlaubt nicht den Schluss, die Parteien seien generell zu dem Verhalten verpflichtet, das am besten der Wahrheitsfindung dient. Weder die Aufgabe der Wahrheitsfindung noch das Rechtsstaatsprinzip hindert den Gesetzgeber daran, den Zivilprozess der Verhandlungsmaxime zu unterstellen und es in erster Linie den Parteien zu überlassen, die notwendigen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die Beweismittel zu benennen. Im Grundsatz gilt, dass keine Partei gehalten ist, dem Gegner das Material für dessen prozessuales Obsiegen zu verschaffen (BAG 1. Dezember 2004 - 5 AZR 664/03 - BAGE 113, 55, 58 f.; BGH 11. Juni 1990 - II ZR 159/89 - NJW 1990, 3151).

57

Ohnehin ist außer einem ausdrücklichen Geständnis der Beklagten kein Vortrag erkennbar, der dem Kläger die weitere Substantiierung seiner Behauptung, die Aufhebungsverträge mit den 24 vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern seien zu denselben Bedingungen wie die der 5.913 bis zum 31. Dezember 2006 ausgeschiedenen jüngeren Arbeitnehmer geschlossen, ermöglichen würde. Trüge die Beklagte die Namen und Konditionen von 21 weiteren vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmern vor, mit denen sie 2006 Aufhebungsverträge geschlossen hat, könnte der Kläger ebenso, wie er es bereits bei den drei von der Beklagten namentlich benannten Arbeitnehmern des Werks H getan hat, einwenden, dass deren Aufhebungsverträge nicht im Flash-Report aufgeführt seien. Legte die Beklagte - unter Hintanstellung datenschutzrechtlicher Bedenken - alle 5.937 von ihr bis zum 31. Dezember 2006 geschlossenen Aufhebungsverträge vor, wären davon 24 mit Arbeitnehmern geschlossen, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, und würden diese Verträge andere Konditionen als die im Rundschreiben vom Mai 2006 genannten aufweisen, könnte der Kläger ebenfalls einwenden, dass dies nicht die Verträge der 24 im Flash-Report aufgeführten Arbeitnehmer seien.

58

c)  Das Landesarbeitsgericht hat auch seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO entgegen der Aufklärungsrüge der Revision nicht verletzt. Zum einen hatte es bereits laut Protokoll vom 4. Februar 2008 auf seine Auffassung hingewiesen, der Kläger habe konkret vorzutragen, zu welchen Bedingungen die Arbeitnehmer, die älter als 55 Jahre gewesen seien, aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden seien. Zum anderen war der vom Kläger auf den vermissten Hinweis gehaltene Vortrag, den er in der Revisionsbegründung mitgeteilt hat, nicht entscheidungserheblich. Wie ausgeführt, ändert der Umstand, dass der Kläger die 24 im Flash-Report aufgeführten, vor dem 1. Januar 1952 geborenen Arbeitnehmer nicht kennt und unter der Vielzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer auch nicht ausfindig machen kann, nichts daran, dass er seiner Darlegungslast nicht genügt hat.

59

C. Der Antrag auf Feststellung einer künftigen Schadenersatzpflicht ist aus den dargelegten Gründen unbegründet.

60

D. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Brühler    

        

    Spelge    

        

        

        

    Schmidt    

        

    B. Stang    

        

        

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 10. November 2010 - 17 Sa 1410/10 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Entschädigungsanspruch, den der Kläger geltend macht, weil er sich wegen seines Alters bei einer Bewerbung benachteiligt sieht.

2

Unter dem 22. Juni 2009 schrieb die Beklagte Stellen über ein Internetportal aus. In der Stellenanzeige heißt es ua. (wörtliche Wiedergabe):

        

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Für unsere aktuelle Projekte suchen wir zur Unterstützung zwei freiberufliche Mitarbeiter (bei Eignung auch Festanstellung möglich) zwischen 25 und 35 Jahren

        

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.Net Entwickler (m/w)

        

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SQL Datenbankentwickler

        

Ihre Aufgaben:

        

Sie sind zuständig für die Entwicklung von Bedienoberflächenentwicklungen unter VB.Net sowie die Entwicklung von Datenbankmodellen unter dem MS SQL Server 2000/2005.

        

Wir erwarten von den Bewerbern einen kommunikativen, dynamischen Charakter sowie eine gute Teamfähigkeit.“

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Der am 27. März 1956 geborene Kläger bewarb sich erfolglos auf eine der Stellen. Nachdem die Beklagte zumindest einen Bewerber aus Berlin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, sah sie letztlich von einer Einstellung von Mitarbeitern ab.

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Mit der am 27. Oktober 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 26.400,00 Euro in Anspruch genommen.

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Er behauptet, die Beklagte habe ihn wegen seines Alters benachteiligt. Dafür spreche der Inhalt der Stellenausschreibung. Für die ausgeschriebenen Stellen sei er objektiv geeignet gewesen.

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Der Kläger beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 26.400,00 Euro zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Sie bestreitet, den Kläger wegen dessen Alters benachteiligt zu haben. Dieser habe in der ihr vorgelegten Projekthistorie lediglich sieben Monate Projekterfahrung mit der erforderlichen Software VB.Net und der Datenbank MS SQL Server 2005 vorweisen können. Andere Bewerber hätten mehr Erfahrung als der Kläger gehabt. Die weiteren vom Kläger nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten seien weder notwendig noch durch die Ausschreibung gefordert gewesen. Dem Kläger fehle daher die objektive Eignung für die ausgeschriebenen Stellen. Auch habe sich der Kläger nicht subjektiv ernsthaft beworben, was sich daraus ergebe, dass bei einer ernsthaften Bewerbung die Bewerbungsunterlagen ausführlicher gewesen und stärker die Vorzüge des Klägers dargelegt worden wären. Auch sei deshalb von einem „AGG-Hopping“ auszugehen, weil der Kläger überzogene Vergütungsvorstellungen habe, wie sich aus der Klageforderung mit einem vermeintlich entgangenen Gehalt von 8.800,00 Euro brutto monatlich ergebe. Letztlich sei der Kläger auch aufgrund seines Wohnsitzes für die ausgeschriebene „Stelle“ nicht infrage gekommen.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Entschädigungsklage mit einer nicht tragfähigen Begründung abgewiesen.

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A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Dem Kläger stehe ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht zu. Eine unmittelbare Benachteiligung eines nicht zum Zuge gekommenen Stellenbewerbers iSd. § 3 Abs. 1 AGG setze ua. voraus, dass die ausgeschriebene Stelle tatsächlich besetzt wurde. Eine gegen § 1 AGG verstoßende Stellenausschreibung bedeute für sich genommen noch keine Benachteiligung. Deshalb könne dahinstehen, ob der Kläger für die Stelle objektiv geeignet gewesen wäre, da er keine schlechtere Behandlung als die übrigen Bewerber erfahren habe, die ebenfalls nicht eingestellt worden seien.

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B. Die Revision des Klägers ist zulässig. Insbesondere ist sie ausreichend iSd. § 551 ZPO iVm. § 72 Abs. 5 ArbGG begründet.

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Die Revisionsbegründung enthält zwar keine Auseinandersetzung mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts. Der Kläger durfte allerdings auf die Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde Bezug nehmen (§ 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

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Soll eine solche Bezugnahme zur Zulässigkeit der Revision führen, muss zum einen die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde den inhaltlichen Anforderungen an eine Revisionsbegründung entsprechen, zum anderen muss diese Bezugnahme innerhalb der Zweimonatsfrist des § 72a Abs. 6 Satz 3 iVm. § 74 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bei Gericht eingehen(BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 875/08 - AP ArbGG 1979 § 72 Nr. 54).

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Die Revisionsbegründung, welche die Bezugnahme auf die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde enthält, ist innerhalb der Zweimonatsfrist nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses des Senats an den Kläger eingegangen. In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde führt der Kläger unter Bezugnahme auf Entscheidungen des Senats aus, dass eine ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegen könne, sodass es auf die anschließende Einstellungsentscheidung des Arbeitgebers nicht mehr ankomme. Dies stellt eine ausreichende Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des Landesarbeitsgerichts dar.

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C. Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung durfte die Berufung des Klägers nicht zurückgewiesen werden.

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I. Zunächst ist das Landesarbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch um einen solchen nach § 15 Abs. 2 AGG handelt. Ob ein solcher jedoch besteht, konnte der Senat aufgrund der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden.

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1. Als Bewerber ist der Kläger nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AGG „Beschäftigter“ und fällt in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Unerheblich ist, dass sich die Ausschreibung vorrangig auf eine „freiberufliche Mitarbeit“ bezog und ein Arbeitsverhältnis nur für den Fall der Eignung in Aussicht gestellt wurde (vgl. BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - AP AGG § 7 Nr. 2 = EzA AGG § 15 Nr. 6). § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AGG bezieht in die durch das AGG geschützten Beschäftigungsverhältnisse nämlich auch arbeitnehmerähnliche Personen ein. Außerdem erstreckt § 6 Abs. 3 AGG die Anwendbarkeit der §§ 7 bis 18 AGG auch auf Selbständige, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft.

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Für den persönlichen Anwendungsbereich nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG ist es unerheblich, ob der Bewerber für die in Aussicht genommene Stelle objektiv geeignet ist(vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16; 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12). Für den Bewerberstatus ist zudem die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung keine Voraussetzung. Vielmehr kann die fehlende subjektive Ernsthaftigkeit allenfalls den Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB begründen(vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - aaO).

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2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passivlegitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist also derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - AP SGB IX § 81 Nr. 19 = EzA AGG § 15 Nr. 11).

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3. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG. Für die Voraussetzungen des Anspruchs ist auf § 15 Abs. 1 AGG zurückzugreifen(vgl. BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21). Entgegen der Meinung des Landesarbeitsgerichts scheitert eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers nicht allein daran, dass die Beklagte auf die ausgeschriebenen Stellen letztlich niemanden eingestellt hat.

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a) Nach § 3 Abs. 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine weniger günstige Behandlung erfordert das Zufügen eines Nachteils. Eine bloße Ungleichbehandlung genügt hierfür nicht (vgl. BAG 25. Februar 2010 - 6 AZR 911/08 - BAGE 133, 265 = AP AGG § 3 Nr. 3 = EzA AGG § 10 Nr. 3). Ob die Zufügung eines Nachteils vorliegt, bestimmt sich objektiv aus der Sicht eines verständigen Dritten (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - EzA AGG § 3 Nr. 7) und in Relation zur Vergleichsperson.

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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, bereits dann vor, wenn der Beschäftigte nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab ausgeschieden wird. Die Benachteiligung liegt in der Versagung einer Chance (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - mwN, NZA 2012, 667). Wie sich aus § 15 Abs. 2 AGG ergibt, ist auch dann, wenn der Bewerber selbst bei diskriminierungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, ein Entschädigungsanspruch nicht ausgeschlossen, sondern nur der Höhe nach begrenzt. Selbst eine später vorgenommene Einstellung oder tatsächliche Beschäftigung eines zuvor benachteiligten Bewerbers beseitigt dessen ungünstigere Behandlung nicht (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7).

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Da die ungünstigere Behandlung bereits in der Versagung einer Chance liegt, ist es irrelevant, ob es im Zuge des Auswahlverfahrens später tatsächlich zu einer Einstellung oder Beschäftigung eines anderen Bewerbers kommt (vgl. MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 15 AGG Rn. 20; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 51; MünchKommBGB/Müller-Glöge 4. Aufl. 2005 § 611a BGB Rn. 64; aA LAG Rheinland-Pfalz 30. November 2006 - 4 Sa 727/06 -; LAG Düsseldorf 1. Februar 2002 - 9 Sa 1451/01 - NZA-RR 2002, 345). Die Auslegung der Norm darf nicht dazu führen, dass es der Arbeitgeber in der Hand hat, durch geeignete Verfahrensgestaltung, etwa das vorläufige Absehen von einer Stellenbesetzung, die Chancen von Bewerbern wegen ihrer Merkmale nach § 1 AGG so zu mindern, dass seine Entscheidung praktisch unangreifbar wird(vgl. BVerfG 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - BVerfGK 9, 218 = AP BGB § 611a Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 4 für geschlechtsbezogene Benachteiligungen). Der Bewerber hat Anspruch auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren (vgl. BAG 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15), der unabhängig von dessen Ausgang besteht (vgl. MüKoBGB/Thüsing aaO; MünchKommBGB/Müller-Glöge aaO).

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b) Nach diesen Grundsätzen liegt eine ungünstigere Behandlung des Klägers vor. Diese besteht darin, dass der Kläger aus dem Auswahlverfahren ausgeschieden und er anders als mindestens ein anderer Bewerber von der Beklagten nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist. Dem Kläger wurde damit bereits im Vorfeld der eigentlichen Besetzungsentscheidung die Chance auf Einstellung genommen. Dies stellt eine ungünstigere Behandlung dar, unabhängig davon, ob der Kläger bei „passendem“ Alter eingestellt worden wäre (vgl. BAG 18. März 2010 - 8 AZR 1044/08 - mwN, AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7). Unerheblich ist es deshalb, dass sich die Beklagte später entschlossen hat, keinen Bewerber einzustellen. Hierdurch wurde die bereits zuvor erfolgte Benachteiligung des Klägers nicht beseitigt.

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II. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, § 563 Abs. 3 ZPO. Das Landesarbeitsgericht hat die Frage der objektiven Eignung des Klägers für die ausgeschriebenen Stellen dahinstehen lassen und hierzu auch keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die fehlenden Feststellungen wird das Landesarbeitsgericht nachzuholen und bei der Frage der vergleichbaren Situation iSv. § 3 Abs. 1 AGG ua. Folgendes zu beachten haben:

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1. Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16). Für das Vorliegen einer Benachteiligung ist es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektiv ungeeigneter Bewerber immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen, stünde dies nicht im Einklang mit dem Schutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen, nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektive Eignung ist also keine ungeschriebene Voraussetzung der Bewerbereigenschaft, sondern Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG(vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12).

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2. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber über den der Stelle zuzuordnenden Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stellenbewerbers frei entscheiden. Durch das Stellen von Anforderungen an Bewerber, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gedeckt sind, darf der Arbeitgeber aber die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des AGG de facto beseitigen (BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2). Deshalb ist für die objektive Eignung nicht (allein) das Anforderungsprofil maßgeblich, welches der Arbeitgeber erstellt hat, sondern die Anforderungen, welche an die jeweilige Tätigkeit nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung gestellt werden (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - AP AGG § 15 Nr. 6 = EzA AGG § 15 Nr. 13). Im Übrigen ist die objektive Eignung von der individuellen und persönlichen Qualifikation des Bewerbers zu trennen, die nur als Kriterium der Auswahlentscheidung auf der Ebene der Kausalität zwischen Benachteiligung und verbotenem Merkmal eine Rolle spielt (vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - aaO). Bewerber, welche die auf der zu besetzenden Stelle auszuübenden Tätigkeiten grundsätzlich verrichten können, ohne aber jede Voraussetzung des Anforderungsprofils zu erfüllen, bedürfen des Schutzes vor Diskriminierung, weil gerade Anforderungsprofile in Stellenanzeigen häufig Qualifikationen benennen, deren Vorhandensein der Arbeitgeber sich für den Idealfall zwar wünscht, die aber keinesfalls zwingende Voraussetzung einer erfolgreichen Bewerbung sind (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 466/09 - AP AGG § 3 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 12). Ebenfalls keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation kann aus gesetzessystematischen Erwägungen das Vorliegen des verbotenen Merkmals selbst haben (BAG 18. März 2010 - 8 AZR 77/09 - AP AGG § 8 Nr. 2 = EzA AGG § 8 Nr. 2).

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3. Unter Berücksichtigung der für den Nachweis der objektiven Eignung geltenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast (vgl. BAG 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 - AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 49) wird das Landesarbeitsgericht unter Beachtung der genannten Maßstäbe zu prüfen haben, ob der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war.

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4. Sollte das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Kläger für die ausgeschriebenen Stellen objektiv geeignet war und damit nach § 3 Abs. 1 AGG unmittelbar benachteiligt wurde, wird es weiter zu prüfen haben, ob dies - wie vom Kläger behauptet - wegen seines Alters, dh. wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist.

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a) Eine weniger günstige Behandlung wegen des Alters ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Alter anknüpft oder durch sie motiviert ist. Ausreichend ist, dass das Alter Bestandteil eines Motivbündels war, das die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10).

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b) Das Landesarbeitsgericht wird zu beachten haben, dass hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteil und dem verpönten Merkmal in § 22 AGG eine Beweislastregelung getroffen ist, die sich auch auf die Darlegungslast auswirkt.

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aa) Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Durch die Verwendung der Wörter „Indizien“ und „vermuten“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass es hinsichtlich der Kausalität zwischen einem der in § 1 AGG genannten Gründe und einer ungünstigeren Behandlung genügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen, die aber die Annahme rechtfertigen, dass die Kausalität gegeben ist(BAG 27. Januar 2011 - 8 AZR 580/09 - EzA AGG § 22 Nr. 3).

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bb) Die Verletzung der Verpflichtung, einen Arbeitsplatz nicht unter Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG auszuschreiben(§ 11 AGG), kann die Vermutung begründen, die Benachteiligung sei wegen des in der Ausschreibung bezeichneten Merkmals erfolgt (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10).

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cc) Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals iSd. § 1 AGG(hier: des Alters) vermuten lassen, trägt die Beklagte nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass eine solche Benachteiligung nicht vorgelegen hat. Sie muss das Gericht davon überzeugen, dass die Benachteiligung des Klägers nicht (auch) auf dessen Alter beruht hat. Damit muss sie Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als das Alter, die zu der weniger günstigen Behandlung des Klägers geführt haben (vgl. BAG 19. August 2010 - 8 AZR 530/09 - AP AGG § 15 Nr. 5 = EzA AGG § 15 Nr. 10) und in ihrem Motivbündel dessen Alter keine Rolle gespielt hat.

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5. Das Landesarbeitsgericht wird ggf. weiter zu prüfen haben, ob der Kläger den von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruch rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 AGG schriftlich geltend gemacht und seine Klage innerhalb der Dreimonatsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG erhoben hat.

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6. Sollte das Berufungsgericht einen Entschädigungsanspruch des Klägers dem Grunde nach bejahen, so wird es auch zu prüfen haben, ob der Entschädigungsanspruch des Klägers ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB)ausgeschlossen ist.

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Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG können unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles dann wegen Verstoßes gegen das Verbot des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB ausgeschlossen sein, wenn die Bewerbung allein deshalb erfolgt ist, um Entschädigungsansprüche zu erlangen. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sich der Bewerber nicht ernsthaft beworben hat und der Anspruch nach § 15 AGG sonach ausnahmsweise ausgeschlossen ist, trägt der Arbeitgeber. Er muss dafür Indizien vortragen, die geeignet sind, den Schluss auf die fehlende Ernsthaftigkeit zuzulassen (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - EzA AGG § 15 Nr. 16).

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7. Sollte sich danach ergeben, dass dem Kläger ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zusteht, wird das Berufungsgericht auch über die Höhe der Entschädigung zu befinden haben. Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist auch der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, sodass die Höhe auch danach zu bemessen wäre, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und dass sie in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (vgl. BAG 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - AP AGG § 7 Nr. 2 = EzA AGG § 15 Nr. 6; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - mwN, BAGE 129, 181 = AP AGG § 15 Nr. 1 = EzA AGG § 15 Nr. 1).

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8. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten der Revision mitzuentscheiden haben.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Der ehrenamtliche Richter Brückmann ist wegen Ende der Amtszeit an der Unterschriftsleistung verhindert.
Hauck    

        

    Bloesinger    

        

        

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 27. Juli 2012 - 3 Sa 129/12 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um eine Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts.

2

Die 1978 geborene, geschiedene und zwei Kindern unterhaltspflichtige Klägerin ist bei der Beklagten, die regelmäßig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt, seit dem 1. September 2010 bei einer Arbeitszeit von 30 Wochenstunden und einem monatlichen Bruttoentgelt von 750,00 Euro als Vertriebsmitarbeiterin angestellt. In der Jahresmitte 2011 wurde bei der Klägerin eine Schwangerschaft mit voraussichtlichem Entbindungstermin am 16. Januar 2012 festgestellt. Am 4. Juli 2011 bescheinigte ihr Gynäkologe ein sofortiges, generelles Beschäftigungsverbot iSd. § 3 Abs. 1 MuSchG. Davon unterrichtete die Klägerin den Geschäftsführer der Beklagten, der verärgert reagierte und die Klägerin drängte, weiter zu arbeiten. Die Klägerin lehnte dies ab.

3

Durch eine weitere Untersuchung wurde am 14. Juli 2011 festgestellt, dass die Leibesfrucht abgestorben war. Für den damit notwendigen Eingriff wurde die Klägerin für den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt. Darüber informierte die Klägerin noch am 14. Juli 2011 ihre Vorgesetzte, die Innendienstleiterin S der Beklagten. Nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung. Frau S informierte den Geschäftsführer der Beklagten.

4

Dieser verfasste noch am 14. Juli 2011 eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2011 „aus betriebsbedingten Gründen“ und ließ diese am Abend desselben Tages in den Briefkasten der Klägerin einwerfen.

5

Am 15. Juli 2011 wurde die Klägerin stationär im Klinikum G aufgenommen. Die Diagnose lautete „missed abortion Mens IV“, dh. fehlender Abgang der (toten) Leibesfrucht im vierten Schwangerschaftsmonat. Die Frucht wurde durch Vakuumextraktion entfernt, danach wurde eine Ausschabung vorgenommen. Am 16. Juli 2011 wurde die Klägerin aus der Klinik entlassen; bei ihrer Rückkehr fand sie in ihrem Hausbriefkasten die Kündigung vom 14. Juli 2011.

6

Unter dem 9. August 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ein weiteres Mal „aus betriebsbedingten Gründen“, diesmal zum 15. September 2011. Die Beklagte hat dazu vortragen lassen, dass diese zweite Kündigung erfolgte, da sie nicht wusste, ob bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch galten oder nicht. Zu betriebsbedingten Kündigungen anderer Arbeitnehmer kam es nicht. Im Zeitraum der ersten Kündigung wurde mit einem anderen Mitarbeiter auf dessen Wunsch ein Aufhebungsvertrag geschlossen. Die Klägerin hat mittlerweile nach Zustellung des Berufungsurteils das Arbeitsverhältnis unter dem 30. August 2012 außerordentlich zum 31. August 2012 gekündigt.

7

Die Klägerin hat beide Kündigungen der Beklagten mit fristgerechten Feststellungsklagen angegriffen. Die Beklagte habe keine billigenswerten Motive für ihre Kündigungen gehabt, vielmehr ergebe sich schon aus der zeitlichen Nähe zum Ende ihrer Schwangerschaft und aus der Verärgerung des Geschäftsführers über ihr vorausgegangenes Beschäftigungsverbot eine Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Kündigung sei zur Unzeit erfolgt, die zweite Kündigung stelle darüber hinaus eine Maßregelung wegen Erhebung der Klage gegen die erste Kündigung, verbunden mit einem Antrag auf Entschädigung, dar. Sie sei der Beklagten am 9. August 2011 zugestellt worden.

8

Soweit für die Revision noch von Bedeutung hat die Klägerin beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung gemäß § 15 AGG für die mit Datum vom 14. Juli 2011 ausgesprochene Kündigung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 3.000,00 Euro nicht unterschreiten darf.

9

Ihren Antrag auf Klageabweisung hat die Beklagte damit begründet, dass die Kündigung nur zufällig eine zeitliche Nähe zur Beendigung der Schwangerschaft aufweise. Die Kündigung beruhe auf unternehmerischer Entscheidung und sei von normalen geschäftlichen Überlegungen getragen.

10

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung vom 14. Juli 2011 für unwirksam befunden, die Klage gegen die Kündigung vom 9. August 2011 sowie den Klageantrag auf Zahlung einer Entschädigung hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem Landesarbeitsgericht auch in diesen beiden Anträgen Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht für die Beklagte im Hinblick auf die ausgeurteilte Entschädigung zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte insoweit das Ziel einer Klageabweisung weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler der Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 3.000,00 Euro zugesprochen.

12

A. Seine Entscheidung zum Anspruch der Klägerin auf Entschädigung hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Klägerin habe ausreichend Tatsachen vorgetragen, die aus objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen ließen, dass sie durch die Beklagte eine Benachteiligung wegen ihrer Schwangerschaft und damit unmittelbar wegen ihres Geschlechts erfahren habe. Die Beklagte habe nur der Klägerin gekündigt. Ihr Vorbringen, noch eine weitere Kündigung ausgesprochen zu haben, habe sie nicht substanziiert. Vielmehr habe sie den Vortrag der Klägerin, es sei ein Aufhebungsvertrag auf Wunsch eines Arbeitnehmers abgeschlossen worden, unbestritten gelassen. Die Umstände zu diesem Aufhebungsvertrag habe die Beklagte nicht dargelegt. Damit könne nicht von einer einheitlichen unternehmerischen Entscheidung zum Personalabbau ausgegangen werden.

13

Der Geschäftsführer der Beklagten habe auf das Beschäftigungsverbot verärgert reagiert und die Klägerin gedrängt, weiter zu arbeiten. Schließlich sei der unmittelbare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Wegfall des Mutterschutzes und dem Kündigungsausspruch am 14. Juli 2011 zu berücksichtigen. Damit lägen hinreichende Indizien für die Annahme vor, dass die Kündigung vom 14. Juli 2011 eine Reaktion der Beklagten auf das Beschäftigungsverbot gewesen sei und dessen Einhaltung durch die Klägerin. Es sei zu vermuten, dass die Beklagte gegenüber einer nicht schwangeren und von keinem Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG betroffenen Arbeitnehmerin eine Kündigung nicht ausgesprochen hätte. Die Beklagte habe der ihr nach § 22 AGG obliegenden Darlegungslast, die Schwangerschaft der Klägerin sei in ihrem Motivbündel nicht enthalten gewesen, nicht entsprochen. Vielmehr habe sie nur pauschal auf die „Betriebsbedingtheit“ der Kündigungen verwiesen und auf eine unternehmerische Entscheidung, wegen rückläufigen Arbeitsanfalls das Arbeitsverhältnis zur Klägerin zu kündigen. Dies stehe aber in Widerspruch zu den sonstigen Umständen und sei von der Beklagten nicht weiter substanziiert worden. Damit sei die Klägerin wegen des Beschäftigungsverbots, mithin wegen ihrer Schwangerschaft und folglich wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Diese Benachteiligung wiege schwer, zumal sie bewusst und gewollt geschehen sei, worauf auch der Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hindeute. Unter dem Gesichtspunkt einer fühlbaren Sanktion, aber auch zur Abschreckung hinsichtlich künftigen Fehlverhaltens sei unter Berücksichtigung der geringen Betriebsgröße der Beklagten ein Betrag von 3.000,00 Euro angemessen, aber auch ausreichend. § 2 Abs. 4 AGG stehe dem nicht entgegen. Das Bundesarbeitsgericht habe bereits Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung ausdrücklich für möglich gehalten.

14

B. Diese Begründung des Berufungsurteils hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Die Klägerin wurde wegen ihrer Schwangerschaft und daher wegen ihres Geschlechts ungünstiger behandelt, § 7 Abs. 1 iVm. §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG. Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG wird nicht durch § 2 Abs. 4 AGG ausgeschlossen.

15

I. Der Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Als Arbeitnehmerin ist die Klägerin „Beschäftigte“ iSd. AGG, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG. Die Beklagte, die die Klägerin beschäftigt hat, ist Arbeitgeberin, § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG.

16

II. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin rechtzeitig nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht. Bereits die am 5. August 2011 beim Arbeitsgericht Z eingegangene Klage gegen die Kündigung vom 14. Juli 2011 enthielt unter Ziff. 2 den Antrag auf Entschädigung. Damit hat die Klägerin sowohl die Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt.

17

III. Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann die Klägerin grundsätzlich auch in Ansehung der Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG geltend machen.

18

1. Der Wortlaut von § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen“ ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück (BT-Drucks. 16/2022 S. 6). Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für Kündigungen „vorrangig“ die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu gelten hätten (BT-Drucks. 16/1780 S. 7). Für die Beurteilung von Kündigungen hat dies in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch primärrechtswidrig die „Kündigung“ aus dem Anwendungsbereich des AGG ausklammere(zB Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 260, 262 unter Verweis auf EuGH 22. November 2005 - C-144/04 - [Mangold] Slg. 2005, I-9981), oder ob mit der Norm nur ein „doppelter Kündigungsschutz“ vermieden werden sollte (zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59). Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen(vgl. BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15; 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 -).

19

2. Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen(vgl. BAG 24. April 2008 - 8 AZR 347/07 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 15 f.; 28. April 2011 - 8 AZR 515/10 - Rn. 20). Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen (zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso - im Hinblick auf das unionsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs - Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257). Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt. Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung - wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung - über das Normalmaß hinausgeht.

20

3. Es ist nicht zu entscheiden, ob bei diskriminierenden Kündigungssachverhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG in Betracht kommen können. Grundsätzlich wird bei einer für unwirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere materielle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts unabhängig von § 15 Abs. 1 AGG seit jeher zur Verfügung, zB § 615 BGB.

21

IV. Durch die Kündigungen hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, denen nicht gekündigt wurde. Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.

22

1. Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht“ ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Schwangerschaft - das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BAGE 142, 158 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17). Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - aaO). Die Schwangerschaft muss mithin nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.

23

Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

24

2. Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von der Klägerin vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen (Hilfs-)Tatsachen eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft vermuten lassen, ist nur beschränkt revisibel. Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene Überzeugung bzw. Nichtüberzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen dem Anknüpfungsmerkmal - hier die Schwangerschaft oder das Geschlecht - und einem Nachteil kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 34, BAGE 142, 158 = AP AGG § 22 Nr. 5 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 36, AP AGG § 15 Nr. 9 = EzA AGG § 15 Nr. 16).

25

3. Das Landesarbeitsgericht hat die Kausalität zwischen der Schwangerschaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten der Beklagten im Ergebnis rechtsfehlerfrei bejaht.

26

a) Die Kündigung vom 14. Juli 2011 ist der Klägerin während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zugegangen. Damit verstieß sie objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war.

27

aa) Die Klägerin hatte am 14. Juli 2011 erfahren, dass ihre Leibesfrucht abgestorben ist. Eine natürliche Fehlgeburt war bis dahin nicht erfolgt, weswegen sie auf den 15. Juli 2011 ins Krankenhaus einbestellt worden war, um eine solche Fehlgeburt künstlich einzuleiten oder durch einen entsprechenden Eingriff zu ersetzen. Hierüber unterrichtete die Klägerin die Beklagte über ihre Vorgesetzte Frau S noch am 14. Juli 2011. Daraufhin setzte der Geschäftsführer der Beklagten sofort ein Kündigungsschreiben auf und ließ dieses noch am 14. Juli 2011 in den Hausbriefkasten der Klägerin einwerfen. Dadurch ging die Kündigung der Klägerin spätestens am Morgen des 15. Juli 2011 zu, als die Schwangerschaft noch bestand.

28

bb) § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Kündigungsverbot - wie § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG - Beschäftigungsverbot - stellen auf den Begriff der Schwangerschaft und auf deren Ende durch „Entbindung“ ab. Unter „Entbindung“ ist grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib“ zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist (vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - BAGE 25, 70; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 6 MuSchG Rn. 2). Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gesprochen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte (vgl. BAG 16. Februar 1973 - 2 AZR 138/72 - zu II 1 der Gründe, aaO). Nach einer Änderung der Personenstandsverordnung (§ 29 Abs. 2 PStV aF, gültig ab 1. April 1994; seit 1. Januar 2009 § 31 Abs. 2 PStV) entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1977 gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 d der Gründe). Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt hatte, in dem es zu einem selbständigen Leben - wenn auch nur kurz - grundsätzlich fähig war (vgl. BAG 15. Dezember 2005 - 2 AZR 462/04 - zu B I 1 der Gründe). Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet. Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.

29

cc) Dem entspricht die medizinische Terminologie und Einteilung. Ärzte sprechen bei einem Gewicht des Fötus von 500 g und mehr von einer Totgeburt. Dieses Gewicht ist ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erwarten (Runnebaum/Rabe Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin Bd. 2, S. 414). Generell wird zwischen Fehlgeburten aus natürlicher Ursache (Spontanaborten) und Schwangerschaftsabbrüchen (artifizielle Aborte) unterschieden. Bei einer „missed abortion“, also einem verhaltenen Abort, ist die Fruchtanlage abgestorben, wird aber nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen. Es gibt außer fehlenden Vitalitätszeichen keine äußeren Anhaltspunkte wie eine Blutung oder Gewebsabgang. Der Zervikalkanal ist geschlossen. Eine sicher diagnostizierte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um möglicherweise letale Komplikationen wie das Dead-Fetus-Syndrom zu vermeiden. Dies bedeutet, dass auch medizinisch der Abort „verhalten“, also vom Körper nicht natürlich vorgenommen wird und die Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erst durch den artifiziell herbeigeführten Abort erfolgt. Erst in diesem Zeitpunkt ist auch aus medizinischer Sicht die Schwangerschaft beendet.

30

dd) Juristisch wie medizinisch hat daher die Schwangerschaft der Klägerin nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter geendet. Entscheidend war vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib, die erst im Verlauf des 15. Juli 2011 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war die Kündigung der Klägerin schon zugegangen (vgl. BAG 22. März 2012 - 2 AZR 224/11 - Rn. 21 und 22, EzA KSchG § 5 Nr. 41). Wann die Klägerin als Empfängerin die Kündigung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, ist unerheblich. Es kommt nicht darauf an, dass dies - aus individuell verständlichen Gründen - erst am 16. Juli 2011 nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus geschah. Da die Kündigung mit Zugang wirksam wurde und die Klägerin in diesem Zeitpunkt noch schwanger war, verstieß die Kündigung der Beklagten vom 14. Juli 2011 gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

31

b) Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG iVm. § 1 AGG. Die Beklagte kann diesen Kausalzusammenhang nicht dadurch mit Erfolg bestreiten, dass sie auf eine am 14./15. Juli 2011 bestehende komplizierte kündigungs- und mutterschutzrechtliche Konstellation verweist. Im Gegenteil: Ihr Hinweis in der Revisionsbegründung, sie habe nicht gewusst, ob „bei der Klägerin die Schutzvorschriften zum Mutterschutz noch gelten oder nicht“ und deswegen das Arbeitsverhältnis am 9. August 2011 nochmals gekündigt, wirkt verstärkend: Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, will „erst recht“ wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen. Im Übrigen deutet diese Argumentation der Beklagten darauf hin, dass weder ein neuer, vom Geschlecht der Klägerin unabhängiger Kündigungsentschluss bei der Kündigung vom 9. August 2011 zugrunde lag noch, dass der ersten Kündigung „betriebsbedingte“ Motivationen zugrunde gelegen hätten.

32

c) Die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts, auch die Tatsache, dass sich der Geschäftsführer der Beklagten über das Beschäftigungsverbot vom 4. Juli 2011 verärgert gezeigt und die Klägerin - erfolglos - zur Weiterarbeit gedrängt habe, deute darauf hin, dass die nur zehn Tage später ausgesprochene Kündigung eine Benachteiligung wegen der Schwangerschaft gewesen sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Diese Würdigung ist möglich, in sich widerspruchsfrei und verstößt nicht gegen Erfahrungssätze, zumal die Klägerin bei ihrer Nachricht an Frau S am 14. Juli 2011 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, nach dem Eingriff stehe sie wieder zur Verfügung und damit - juristisch korrekt - das Ende des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes mit dem Abschluss der artifiziellen Fehlgeburt mitgeteilt hatte.

33

d) Darüber hinaus ist die Kündigung vom 14. Juli 2011 „zur Unzeit“ erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskriminierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht der Beklagten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Klägerin, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie - für die Beklagte bekannt - einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Klägerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Die Beklagte hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Klägerin besonders beeinträchtigen musste (vgl. BAG 14. November 1984 - 7 AZR 174/83 - zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 88; 12. Juli 1990 - 2 AZR 39/90 - zu B IV 2 a der Gründe; 5. April 2001 - 2 AZR 185/00 - zu II 2 b der Gründe, BAGE 97, 294).

34

V. Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Bestimmung der Höhe der ausgeurteilten Entschädigung sind nicht erkennbar. Entgegen der mit der Revision vertretenen Meinung liegt auch kein Anwendungsfall des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vor.

35

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Hauck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Eimer    

        

    Wroblewski    

                 

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. März 2013 - 25 Sa 2304/12, 25 Sa 311/13 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entschädigungsansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG.

2

Der Kläger ist nach erfolgreichem Universitätsstudium der Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation Diplom-Kommunikationswirt. Zudem hat er an der Universität Island Business Administration studiert. Studienbegleitend war er als universitärer Tutor tätig und beriet Studierende über Studieninhalte. Im Jahr 2006 leitete er das Projekt „B“ des B, mit dem ein Studierendenwettbewerb für Sozialmarketing durchgeführt wurde. Seit Januar 2009 ist er als freiberuflicher Kommunikationsberater tätig. Wegen einer Gehbehinderung ist er schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 100.

3

Ende Oktober 2011 schrieb die beklagte Universität, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, für ihre Abteilung Gründungsservice die jeweils für die Dauer von zwei Jahren befristeten Stellen als Communitymanager/in und Gründungsberater/in aus. Voraussetzung war in beiden Fällen ein erfolgreich abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium oder das Vorhandensein gleichwertiger Fähigkeiten und Erfahrungen, betriebswirtschaftliches Verständnis oder Projektmanagementerfahrung, praktische Erfahrungen in den jeweiligen Aufgabenschwerpunkten sowie Begeisterung für die Förderung von Unternehmertum und Technologietransfer in der Universität. Beide Stellenausschreibungen enthielten den Hinweis „Schwerbehinderte werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt“. Es war jeweils eine Vergütung nach der EG 13 des Tarifvertrags zur Übernahme des TV-L für die Hochschulen im Land Berlin angegeben (mit einem Grundentgelt der ersten Stufe von monatlich jeweils 2.882,00 Euro brutto).

4

Die Beklagte veröffentlichte die Stellenausschreibungen auf ihrer Webseite und im Onlinemarkt der Wochenzeitung „D“. Sie nahm im Zusammenhang der beiden Stellenausschreibungen keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf und prüfte nicht die Möglichkeit der Besetzung der Stellen mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen (Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX). Der frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplatz wurde der Agentur für Arbeit entgegen § 82 Satz 1 SGB IX nicht gemeldet.

5

Mit Schreiben vom 7. November 2011 bewarb sich der Kläger auf beide Ausschreibungen. In seinem Schreiben hieß es ua.:

        

„Meine berufspraktischen Erfahrungen sowie der erfolgreiche Abschluss meines Studiums habe ich mit einer Schwerbehinderung erreicht, die weder meine geistige noch meine soziale Kompetenz beeinflusst. Dabei bin ich weder auf fremde Hilfe noch auf andere Hilfsmittel angewiesen.“

6

Nach einer Vorauswahl anhand der eingegangenen Bewerbungsunterlagen lud die Beklagte den Kläger als einen von acht Kandidat/inn/en für die Stelle als Communitymanager/in und als einen von neun für die Stelle als Gründungsberater/in zu zwei Gesprächsterminen am 25. und 30. November 2011 ein. Im jeweiligen Termin war zunächst ein 25-minütiger schriftlicher Test mit praktischen Fragen zum Aufgabenschwerpunkt zu absolvieren. Zudem fand im Verlauf der ca. 30-minütigen Gespräche je ein kurzes Rollenspiel zur Kommunikationsfähigkeit statt. An den Gesprächen - wie auch an der abschließenden Auswahl - nahmen neben der Leiterin der Abteilung Gründungsservice - Frau M - ua. ein Mitglied der bei der Beklagten gebildeten Schwerbehindertenvertretung teil. Im ersten Termin des Klägers wurde angesprochen, dass der Umzug der Abteilung Gründungsservice in ein Gebäude ohne Fahrstuhl mit Arbeitsräumen im ersten und zweiten Obergeschoss geplant sei.

7

Der Kläger erfuhr von dem für ihn erfolglosen Ausgang des Bewerbungsverfahrens durch eigene Nachfrage im Dezember 2011 (in der 50. Kalenderwoche). Die Stelle als Communitymanager/in erhielt eine Mitbewerberin; für die Tätigkeit als Gründungsberater/in wurden zwei Mitbewerberinnen in Teilzeitarbeit eingestellt, darunter eine mit einer Behinderung (GdB von 30). Mit Schreiben vom 10. Januar 2012 machte der Kläger gegenüber der Beklagten, die mit Schreiben vom 23. Januar 2012 antwortete, erfolglos Entschädigungsansprüche iHv. insgesamt 17.292,00 Euro (pro Stelle drei Bruttomonatsentgelte) geltend. Am 14. Februar 2012 reichte er seine Klage beim Arbeitsgericht ein.

8

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vermutung einer Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung ergebe sich bereits aus der Verletzung der Prüf- und Meldepflicht des § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX. Folglich gehe nach § 22 AGG die Beweislast auf die Beklagte über, die die von ihm vorgebrachten Indizien nicht widerlegt habe. Zudem seien durch Ablauf, Wortwahl und die Art und Weise des Gesprächs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl ausreichend Hilfstatsachen vorhanden, die zur Annahme einer Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung führten. Die Abteilungsleiterin habe ihn am Gesprächsende nach der Art seiner in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Schwerbehinderung und der damit verbundenen Einschränkung gefragt. Er habe erwidert, dass es sich um eine Gehbehinderung handele, die ihn nicht einschränke. Nur beim Treppensteigen habe er Schwierigkeiten. Daraufhin sei eine ihn verunsichernde „Totenstille“ eingetreten und er habe ergänzt, dass ein Aufzug für ihn hilfreich sei. Die Abteilungsleiterin habe sodann gefragt, wie er die im Haus des Bewerbungsgesprächs befindlichen Stufen „gepackt“ habe. Er habe geantwortet, dass er Treppen steigen könne, wenn ein Geländer vorhanden sei. Nachdem daraufhin die Abteilungsleiterin gemeint habe, er brauche dann wohl keinen Aufzug, habe er sich erkundigt, ob seine Gehbehinderung ein Problem darstelle. Erst dann sei der anstehende Umzug der Abteilung einschließlich der zukünftigen Notwendigkeit des Treppensteigens erklärt worden.

9

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung zu zahlen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch einen Betrag iHv. 17.292,00 Euro nicht unterschreiten sollte.

10

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Behinderung des Klägers habe keine Rolle im Bewerbungsverfahren gespielt und der Verstoß gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX sei nicht kausal für die Nichteinstellung des Klägers, der durch die Einladung zum und Teilnahme am Bewerbungsgespräch die gebotene Chance erhalten habe. Auf beide Stellen seien Personen eingestellt worden, die sich durch mehr Erfahrungen, Kompetenzen, konkrete Ideen in der Umsetzung und durch eine sehr gute Kommunikationsfähigkeit ausgewiesen hätten.

11

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung iHv. 5.764,00 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Im Umfang ihres Unterliegens hat die Beklagte dagegen Berufung eingelegt; der Kläger hat mit seiner Anschlussberufung seine Forderung im Hinblick auf weitere 11.528,00 Euro nebst Zinsen verfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten hin die Klage insgesamt ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Entschädigungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

13

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger habe keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vorgetragen. Weder bei einer Einzel- noch bei einer Gesamtbetrachtung ergebe sich die vom Kläger behauptete Vermutungswirkung iSd. § 22 AGG.

14

Zwar sei die Verletzung der Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX grundsätzlich als Vermutungstatsache für einen Zusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung geeignet. Jedoch liege im Streitfall keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme vor, die Beklagte als Arbeitgeberin sei an einer Bewerbung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert gewesen und habe möglichen Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen wollen. Dies zeige sich daran, dass der Kläger, dessen Schwerbehinderung aus dem Bewerbungsschreiben bekannt gewesen sei, mit den Einladungen zu beiden Vorstellungsgesprächen die Möglichkeit erhalten habe, die Beklagte von seiner persönlichen Eignung und Befähigung zu überzeugen. Die Beklagte habe zudem bei den im Internet der Öffentlichkeit zugänglichen Stellenausschreibungen ausdrücklich den Hinweis auf bei gleicher Eignung bevorzugte Einstellung schwerbehinderter Menschen gegeben und die Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen einbezogen.

15

Auch der vom Kläger behauptete Ablauf des ersten Bewerbungsgesprächs - der zu seinen Gunsten als wahr unterstellt werden könne -, insbesondere die von der Beklagten bestrittene Frage nach der Art seiner Schwerbehinderung, begründe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Behinderung des Klägers in dem Motivbündel der Auswahlentscheidung eine Rolle gespielt habe. Diese Frage sei vor dem Hintergrund des bevorstehenden Umzugs in ein Gebäude ohne Fahrstuhl offensichtlich auf die Klärung bezogen gewesen, ob und inwieweit seine körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehen könne. Die abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin, er brauche dann wohl keinen Aufzug, zeige, dass auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstehe.

16

B. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, sodass die Revision zurückzuweisen ist.

17

I. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Der Kläger ist als Bewerber Beschäftigter (§ 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG) und die Beklagte Arbeitgeberin (§ 6 Abs. 2 Satz 1 AGG)iSd. AGG (vgl. ua. BAG 23. Januar 2014 - 8 AZR 118/13 - Rn. 17).

18

II. Die zweimonatige Geltendmachungs- und die im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch maßgebende dreimonatige Klagefrist (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG) sind eingehalten worden.

19

1. Dahinstehen kann dabei, ob dem Kläger bereits bei seiner eigenen Nachfrage im Dezember 2011 eine „Ablehnung“ iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zugegangen ist.

20

a) Seinen Vortrag, er habe auf Nachfrage erfahren, eine für ihn negative Entscheidung sei getroffen worden, müsse jedoch noch „durch den Personalrat gehen“, haben die Vorinstanzen nicht weiter aufgeklärt oder gewürdigt. Es wurden auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob dem Kläger - wie er ausgeführt hat - tatsächlich keine letztliche Absage zugegangen ist.

21

b) Unterstellt, die Antwort auf seine telefonische Nachfrage in der 50. Kalenderwoche des Jahres 2011 (also von Montag dem 12. Dezember bis vermutlich Freitag dem 16. Dezember 2011), sei als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG aufzufassen, so wahrt seine per Telefax und einfacher Post erfolgte schriftliche Geltendmachung vom 10. Januar 2012 die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG. Die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage, der Beklagten am 23. Februar 2012 „demnächst“ iSd. § 167 ZPO zugegangen, wahrt die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.

22

2. Spätestens das Schreiben der Beklagten vom 23. Januar 2012 als Antwort auf seine Geltendmachung vom 10. Januar 2012 ist als Ablehnung iSd. § 15 Abs. 4 Satz 2 AGG zu verstehen. Jedenfalls die am 14. Februar 2012 eingereichte Klage wahrt sowohl die Geltendmachungsfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG als auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG.

23

III. Das Landesarbeitsgericht hat den geltend gemachten Entschädigungsanspruch ohne Rechtsfehler verneint. Die weniger günstige Behandlung des Klägers ist nicht wegen seiner Behinderung erfolgt.

24

1. Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG(zur Bezugnahme auf die Voraussetzungen in § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG - ohne die des Verschuldens nach § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG - vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 25; BVerwG 3. März 2011 - 5 C 16.10 - Rn. 14, BVerwGE 139, 135). Nach näherer Maßgabe des AGG sind Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund (hier: wegen einer Behinderung) in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbstständiger Erwerbstätigkeit, einschließlich der Auswahlkriterien und der Einstellungsbedingungen, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und von der beruflichen Position unzulässig(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG). Eine verbotene (§ 7 AGG) unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

25

Bei einer Behinderung iSd. § 1 AGG(zum Begriffsverständnis ausführlich: BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 57 ff. mwN) kommt es auf einen bestimmten GdB nicht an (BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 32 mwN). Voraussetzung ist also nicht, wie beim Kläger jedoch gegeben, eine Schwerbehinderung iSv. § 2 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB IX.

26

2. Der Nachteil des Klägers iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 7 AGG beim Zugang zu einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit(§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG) besteht in der Nichteinstellung.

27

3. Der Kläger hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer „vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Diese Voraussetzung - deren Erfüllung das Landesarbeitsgericht letztlich dahinstehen gelassen hatte - liegt vor.

28

a) Die Feststellung einer unmittelbaren Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. Dabei müssen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Die Prüfung dieser Vergleichbarkeit darf nicht allgemein und abstrakt, sondern muss spezifisch und konkret erfolgen (zur Auslegung der übereinstimmenden Maßgabe in Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG ua. EuGH 12. Dezember 2013 - C-267/12 - [Hay] Rn. 32 f. mwN; 10. Mai 2011 - C-147/08 - [Römer] Rn. 41 ff., Slg. 2011, I-3591; 1. April 2008 - C-267/06 - [Maruko] Rn. 67 ff., Slg. 2008, I-1757; ebenfalls BAG 7. Juni 2011 - 1 AZR 34/10 - Rn. 29, BAGE 138, 107). Der Vergleich der jeweiligen Situationen ist fallbezogen im Zusammenhang der jeweils streitgegenständlichen Benachteiligung zu bestimmen: Bezugspunkt kann das Ziel einer eine Ungleichbehandlung festsetzenden Regelung (EuGH 12. September 2013 - C-614/11 - [Kuso] Rn. 45 mwN), einer Leistung (EuGH 12. Dezember 2013 - C-267/12 - [Hay] Rn. 33 mwN) oder einer sonstigen Maßnahme (EuGH 30. September 2010 - C-104/09 - [Roca Álvarez] Rn. 24 f., Slg. 2010, I-8661) sein. In jedem Fall darf die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte (hier bezogen auf die Richtlinie 2000/78/EG) nicht durch einen zu eng gefassten Vergleichsmaßstab praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert (Grundsatz der Effektivität) werden (ua. EuGH 16. Januar 2014 - C-429/12 - [Pohl] Rn. 23).

29

b) Vorliegend ist es nicht erforderlich, die Voraussetzungen der „vergleichbaren Situation“ bezogen auf Bewerbungsverfahren und Auswahlentscheidungen im Hinblick auf den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG näher zu benennen. Nach Wortlaut, Eigenart und Ziel dieses Entschädigungsanspruchs werden auch Personen erfasst, die „bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden“ wären. Für den Fall, dass der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, wird nicht der Anspruch ausgeschlossen, sondern lediglich die Entschädigungshöhe begrenzt (BAG 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 29). Es muss nicht entschieden werden, wie weit oder eng damit die Anforderung einer vergleichbaren Situation im Zusammenhang des § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG zu verstehen ist. Selbst bei einem auf Erfüllung einzelner Anforderungen der Stellenausschreibung bezogenem Verständnis der Maßgabe der „vergleichbaren Situation“ iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt diese hier vor. Die Beklagte hat den Kläger in die engere Wahl einbezogen und ihn zu beiden Bewerbungsgesprächsrunden eingeladen. Damit ist sie davon ausgegangen, dass er die in den beiden veröffentlichten Stellenausschreibungen formulierten Anforderungen (jedenfalls iSv. § 82 Satz 3 SGB IX) erfüllt.

30

4. Der Kläger ist nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt worden.

31

a) Nach § 22 Halbs. 1 AGG iVm. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast, wenn sie Indizien (Richtlinie 2000/78/EG: Tatsachen) vorträgt, die ihre - hier unmittelbare - Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen(ua. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 26; gleichbedeutend ua. EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 37). Im Hinblick auf diesen Kausalzusammenhang (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 25 mwN) sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (vgl. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 50; 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42, 44 f.; BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 33, BAGE 142, 158; 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - Rn. 44).

32

b) Innerhalb der damit vorzunehmenden Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts kommt es nach der Rechtsprechung des Senats auf Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts zum „Bestandteil eines Motivbündels“ an. Die Beweiswürdigung ist nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des Beweismaßes des § 22 AGG vorzunehmen.

33

aa) Für die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG ist es ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund (oder mehrere) ein „Bestandteil eines Motivbündels“ ist (sind), das die Entscheidung beeinflusst hat.

34

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfen die in Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG genannten „Merkmale“ (ua. Geschlecht, Rasse, Behinderung) - bzw. in der Begrifflichkeit von § 1 AGG „Gründe“ - nicht als Anknüpfungspunkt für eine (benachteiligende) rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden(BVerfG 28. Januar 1992 - 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83, 1 BvL 10/91 - zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende „Grund“ das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Er muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 25).

35

So darf bei einer Entscheidung über eine Stellenbesetzung kein in § 1 AGG genannter Grund zu Lasten des Bewerbers/der Bewerberin berücksichtigt werden. Eine unzulässige Berücksichtigung wäre bereits dann gegeben, wenn in dem Motivbündel, das die Entscheidung des (potentiellen) Arbeitgebers beeinflusst hat, ein in § 1 AGG genannter Grund als negatives oder (sein Fehlen) als positives Kriterium enthalten ist(vgl. zu Art. 3 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 GG bzw. dem früheren § 611a Abs. 1 BGB: BVerfG 21. September 2006 - 1 BvR 308/03 - zu II 1 a der Gründe, BVerfGK 9, 218; 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 d der Gründe, BVerfGE 89, 276; BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 364/11 - Rn. 32, BAGE 142, 158; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 31; 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b bb der Gründe, BAGE 109, 265; BGH 23. April 2012 - II ZR 163/10 - Rn. 37, BGHZ 193, 110).

36

(2) Der von Verfassungs wegen zu beachtende Maßstab zum „Bestandteil eines Motivbündels“ ist auch unionsrechtskonform.

37

(a) Nach den betroffenen Richtlinien des Unionsrechts (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG, 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; vgl. auch Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG) steht es den Mitgliedstaaten frei, abweichend von den jeweiligen Richtlinienvorgaben für die klagende Partei günstigere (Beweislast-)Vorschriften (wozu auch eine günstigere Auslegung von § 22 AGG gehört) einzuführen oder beizubehalten. Zudem ist teilweise eine Absenkung des in den Mitgliedstaaten bereits bestehenden Schutzniveaus ausdrücklich untersagt (25. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/43/EG, 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG). Weiterhin sind die Tatsachen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, im Einklang mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten zu bewerten (15. Erwägungsgrund der Richtlinien 2000/43/EG und 2000/78/EG sowie 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/54/EG; EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 37; 21. Juli 2011 - C-104/10 - [Kelly] Rn. 31, Slg. 2011, I-6813).

38

(b) Die Rechtsprechung zum „Bestandteil eines Motivbündels“ ist für die klagende Partei mindestens gleich im Schutzniveau wie die genannten Vorgaben des Unionsrechts. Demgegenüber enthält das Unionsrecht kaum nähere Vorgaben zum „wie“ der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. In älterer Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wurde für den Kausalzusammenhang auf einen „wesentlichen Grund“ (EuGH 5. Mai 1994 - C-421/92 - [Habermann-Beltermann] Rn. 14, Slg. 1994, I-1657; 8. November 1990 - C-177/88 - [Dekker] Rn. 10 und 17, Slg. 1990, I-3941) abgestellt. Zudem kommt es auf ein „stichhaltiges Indiz“ (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] - Rn. 51) an.

39

bb) Nach dem 15. Erwägungsgrund der hier maßgebenden Richtlinie 2000/78/EG sind bei der Beurteilung von Tatbeständen, die ua. auf eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung schließen lassen, die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten maßgebend. Die Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel ist nach den Regeln des innerstaatlichen Rechts zu beurteilen (EuGH 21. Juli 2011 - C-159/10 und C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 79, 82, Slg. 2011, I - 6919; vgl. auch EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 42 mwN). Maßgebend für die Beweiswürdigung ist daher die freie Überzeugung des Tatsachengerichts gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßes des § 22 AGG. Es reicht aus, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lässt(vgl. ua. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 160/11 - Rn. 63; 17. Dezember 2009 - 8 AZR 670/08 - Rn. 19). Dabei haben die Gerichte darüber zu wachen, dass im Rahmen des Nachweises von Tatsachen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen, die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 42).

40

c) Besteht eine Benachteiligungsvermutung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (ua. EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 55 mwN; 10. Juli 2008 - C-54/07 - [Feryn] Rn. 32, Slg. 2008, I-5187; BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 27). Auch dafür gilt § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO, allerdings mit dem Beweismaß des sog. Vollbeweises.

41

Die dafür von Verfassungs wegen zu beachtende Rechtsprechung zum „Motivbündel“ (vgl. oben Rn. 34 f.) ist für die klagende Partei nicht ungünstiger als die des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den einschlägigen Richtlinien. Nach Letzterer kann der (potentielle) Arbeitgeber im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung den Anschein einer Diskriminierung grundsätzlich mit einem Bündel übereinstimmender Indizien widerlegen (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 58). Gemäß der Rechtsprechung zum „Motivbündel“ sind Tatsachen und Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als ua. die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben (grundlegend zu Art. 3 Abs. 2 GG und dem früheren § 611a Abs. 1 BGB bereits: BVerfG 16. November 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 e der Gründe, BVerfGE 89, 276). In dem Motivbündel des (potentiellen) Arbeitgebers darf der betreffende Grund - hier die Behinderung - weder als negatives noch - die fehlende Behinderung - als positives Kriterium enthalten gewesen sein (BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 188/12 - Rn. 41; 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 58).

42

d) Die nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO gewonnene tatrichterliche Überzeugung ist nur beschränkt revisibel. Sie kann revisionsrechtlich nur darauf überprüft werden, ob sich das Landesarbeitsgericht entsprechend diesem gesetzlichen Gebot mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (vgl. ua. BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37; 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 28).

43

e) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das Urteil des Landesarbeitsgerichts stand. Die Würdigung, dass der Kläger die ihm obliegende erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG nicht erfüllt hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision bleiben erfolglos.

44

aa) Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht nicht bereits allein wegen der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX eine Benachteiligung wegen des in § 1 AGG genannten Grundes der Behinderung vermutet hat.

45

(1) Grundsätzlich kann aus der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX die Vermutungswirkung des § 22 Halbs. 1 AGG abgeleitet werden (ua. BAG 26. September 2013 - 8 AZR 650/12 - Rn. 29; 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 37 ff., BAGE 144, 275; 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 45; 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 35). Diese Pflichtverletzung ist geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein und sogar möglichen Vermittlungsvorschlägen und Bewerbungen von arbeitsuchenden schwerbehinderten Menschen aus dem Weg gehen zu wollen (BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 47; 12. September 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 22, BAGE 119, 262).

46

(2) Allerdings sind entgegen der Auffassung des Klägers bei der Klärung der Frage, ob (genügend) Indizien vorliegen, um eine Benachteiligung iSd. AGG vermuten zu lassen, alle und nicht nur einzelne Umstände zu berücksichtigen. Für eine Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX gilt diesbezüglich keine Ausnahme im Sinne eines „Automatismus“. Das schließt nicht aus, dass bei anders gelagerten Gesamtumständen deren Würdigung dazu führen kann, dass allein eine solche Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX zu einem Entschädigungsanspruch iSv. § 15 Abs. 2 AGG führen kann.

47

bb) Unzutreffend ist die Auffassung des Klägers, das Landesarbeitsgericht habe die Beweislastregelung des § 22 AGG nicht richtig angewandt, weil es eine „Kompensation“ bzw. „positive Überlagerung“ des Pflichtverstoßes (Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen des SGB IX) angenommen habe. Die erforderliche und vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts darf nicht mit einer - nicht möglichen - nachträglichen „Heilung“ oder „Beseitigung“ eines Verstoßes beispielsweise gegen § 82 Satz 2 SGB IX(vgl. BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 53 zu einer „Nacheinladung“ nach bereits zuvor erfolgter Absage) verwechselt werden.

48

cc) Ebenfalls hält die weitere Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Auch in der Gesamtbetrachtung aller Umstände - der Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX und des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs im Zusammenhang mit dem geplanten Umzug der Abteilung Gründungsservice in Obergeschosse eines Gebäudes ohne Fahrstuhl - konnte es die erste Stufe der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 22 AGG als nicht erfüllt ansehen.

49

(1) Das trifft für die Würdigung zu, dass aus der erfolgten Verletzung der Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX in diesem Fall unter Einbeziehung aller Umstände nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geschlossen werden könne, die Beklagte wolle Bewerbungen von arbeitssuchenden (schwer)behinderten Menschen aus dem Wege gehen.

50

(a) Aus dem Text der Stellenanzeigen, der Einladung des nach den selbst eingereichten Bewerbungsunterlagen offensichtlich behinderten Klägers für beide Bewerbungsrunden und der Einbindung der Schwerbehindertenvertretung durfte das Landesarbeitsgericht ohne Weiteres den Schluss ziehen, dass eine Vermutung der Benachteiligung wegen der Behinderung nicht ausreichend dargelegt ist.

51

(b) Soweit der Kläger meint, das Landesarbeitsgericht sei unzutreffend von einer „Einbeziehung“ der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen ausgegangen, während die Beklagte selbst nur eine Auswahlentscheidung „im Beisein“ der Schwerbehindertenvertretung vorgetragen habe, ergibt sich nichts anderes. Das Landesarbeitsgericht hat zur „Einbeziehung“ der Schwerbehindertenvertretung in den Prozess der Auswahlentscheidungen zwar verschiedene Begriffe benutzt („im Beisein“, „anwesend war“ und „mit einbezogen“), diese jedoch erkennbar gleichbedeutend verstanden und verwendet: Es ging immer um den Gegensatz zu „nicht erst … nachträglich“.

52

(2) Auch das Gespräch zum Umzug in ein Gebäude ohne Fahrstuhl einschließlich des zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellten Gesprächsverlaufs mit Nachfragen zu seiner Gehbehinderung zwang nicht zu einer anderen Bewertung.

53

(a) In der Bewerbungssituation nachzufragen, welche Einschränkungen sich aus einer in den Bewerbungsunterlagen angegebenen Behinderung ergeben, ist unter der Voraussetzung unbedenklich, dass damit die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen“ (Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen [UN-Behindertenrechtskonvention - UN-BRK]; zur mangelnden ausdrücklichen Umsetzung im AGG, zur Einbeziehung in § 8 Abs. 1 AGG und in der unionsrechtskonformen Auslegung von § 241 Abs. 2 BGB vgl. BAG 22. Mai 2014 - 8 AZR 662/13 - Rn. 42; 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 53) zum Tragen kommt. Eine solche, besonderen Umständen geschuldete Nachfrage im Bewerbungsgespräch bezogen auf eine vom Bewerber selbst angeführte Schwerbehinderung ist nicht zu verwechseln mit der „Frage nach der (Schwer)behinderung“ (dazu BAG 16. Februar 2012 - 6 AZR 553/10 - Rn. 11 ff., BAGE 141, 1) oder der Anerkennung als Schwerbehinderte(r) (dazu BAG 7. Juli 2011 - 2 AZR 396/10 - Rn. 17).

54

(aa) Die Verpflichtung zu „angemessenen Vorkehrungen“ ist im Zusammenhang der Richtlinie 2000/78/EG auf die Beseitigung der verschiedenen Barrieren gerichtet, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleichberechtigt mit den anderen Arbeitnehmern, behindern. Diese Verpflichtung wird dadurch begrenzt, dass keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung des (potentiellen) Arbeitgebers verlangt wird (vgl. EuGH 11. April 2013 - C-335/11 und C-337/11 - [HK Danmark, auch genannt „Ring, Skouboe Werge“] Rn. 49 ff., 66, 68; 11. Juli 2006 - C-13/05 - [Chacón Navas] Rn. 50, Slg. 2006, I-6467; BAG 19. Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - Rn. 50 ff.). Dabei können im Rahmen des AGG auch Verpflichtungen aus § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX(zu einer Frage im Bewerbungsgespräch bezogen darauf vgl. BAG 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 54, BAGE 144, 275) und zur Gleichstellung und Barrierefreiheit nach dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (Behindertengleichstellungsgesetz - BGG) von Bedeutung sein.

55

(bb) Bei der Beurteilung einer solchen Nachfrage im Zusammenhang mit einer Behinderung ist sicherzustellen, dass die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2000/78/EG verfolgten Ziels nicht beeinträchtigt wird (insoweit übertragbar ua. EuGH 19. April 2012 - C-415/10 - [Meister] Rn. 40). Die Frage muss deshalb einen objektiven - und wünschenswerterweise zu Beginn der Nachfrage darzulegenden - Anlass haben. Beispielsweise kann es um die Klärung gehen, ob ergänzende Maßnahmen der Herstellung von Barrierefreiheit dienen können, um die tatsächliche Arbeitsaufnahme zu ermöglichen, etwa der Einbau von weiteren Handläufen im Treppenhaus oder die Bereitstellung eines ebenerdigen Arbeitsraums außerhalb der Abteilung. Dabei ist es von der Würdigung der Umstände im Einzelfall abhängig, ob eine Frage im Hinblick auf einen Bedarf an Hilfsmitteln oder baulichen Maßnahmen ein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung darstellt (vgl. zu einer vergleichbaren Frage im Zusammenhang von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX ebenso BAG 21. Februar 2013 - 8 AZR 180/12 - Rn. 54, BAGE 144, 275).

56

(cc) Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt kein Verschulden oder gar eine Benachteiligungsabsicht voraus(ua. BAG 22. August 2013 - 8 AZR 563/12 - Rn. 37 mwN). Deshalb kann bereits ein lediglich „unglücklicher“ Gesprächsverlauf einen Anspruch auf Entschädigung begründen.

57

(b) Danach ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht in der Nachfrage zu der Gehbehinderung des Klägers - den Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt - kein Indiz für eine Benachteiligung wegen der Behinderung gesehen hat. Dabei hat das Gericht den gesamten Vortrag des Klägers berücksichtigt und umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt.

58

(aa) Zwar entspricht die vom Landesarbeitsgericht der Beklagten unterstellte „Fragerichtung“ (ob und inwieweit die körperliche Beeinträchtigung einem etwaigen Einsatz als Communitymanager entgegenstehe) nicht den oben genannten Vorgaben von Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG iVm. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i, Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK und auch nicht den ähnlich gelagerten Vorgaben von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 und Nr. 5 SGB IX. Danach steht „ermöglichen“ im Fokus, nicht „entgegenstehen“. Es ist gleichwohl nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht unter Zugrundelegung des gesamten vom Kläger geschilderten Gesprächsverlaufs kein Indiz gesehen hat, das eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lässt. Es hat dabei besonders bedacht, dass am Schluss des Gesprächs eine abschließende Feststellung der Abteilungsleiterin erfolgt sein soll, dass der Kläger „trotz seiner Gehbehinderung wohl keinen Aufzug benötige“, um in die im Obergeschoss gelegenen Büroräume zu gelangen. Das Landesarbeitsgericht hat dies dahin gehend gewertet, dass „auch aus Sicht der Beklagten die Gehbehinderung des Klägers seinem Einsatz auf den ausgeschriebenen Stellen nicht entgegenstand“. Diese Bewertung ist vertretbar und somit im Rahmen von § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zu beanstanden.

59

(bb) Soweit der Kläger meint, sein Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sei verletzt (vgl. zu den Anforderungen der Darlegung: BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 26), weil das Landesarbeitsgericht seinen Sachvortrag zu Nachfragen zu seiner Schwerbehinderung übergangen habe, ist dies unbegründet. Dabei kann zu seinen Gunsten unterstellt werden, dass sich seine Rügen nicht gegen tatbestandliche Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, sondern gegen den Weg richten, auf dem dieses seine Überzeugung gewonnen hat. Der Kläger übersieht bereits, dass das Landesarbeitsgericht ihm gestellte Fragen des zu seinen Gunsten unterstellten Gesprächsverlaufs nicht übergangen hat. So ist die Frage „was haben Sie genau?“ in der Frage „nach der Art seiner Schwerbehinderung“ enthalten. Auch die Nachfrage, wie er die Stufen „gepackt“ habe, hat das Landesarbeitsgericht ausdrücklich wiedergegeben, nur mit dem Wort „bewältigt“. Tatsächlich setzt der Kläger lediglich seine eigene Würdigung der Situation an die Stelle derer des Landesarbeitsgerichts, ohne Verstöße gegen Erfahrungs- und/oder Denkgesetze oder eine Widersprüchlichkeit der Würdigung darzulegen. Das reicht nicht aus (vgl. auch BAG 2. Mai 2014 - 2 AZR 490/13 - Rn. 31; 13. Februar 2003 - 8 AZR 654/01 - zu II 5 der Gründe, BAGE 104, 358).

60

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Winter    

        

    Kiel    

        

        

        

    v. Schuckmann    

        

    Volz    

                 

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 11. Juli 2012 - 4 Sa 596/11 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entschädigung wegen Altersdiskriminierung und auf Unterlassung von Benachteiligungen von Stellenbewerbern wegen ihres Alters.

2

Die Beklagte schaltete im April 2009 eine Stellenanzeige für ein „S Graduate Program Traineeprogramm für Führungsnachwuchskräfte (m/w) im Bereich Human Resources“. In dieser heißt es ua.:

„Das S Graduate Program (SGP) ist ein internationales Traineeprogramm für unseren Führungsnachwuchs und bereitet Sie auf spätere Managementaufgaben im In- und Ausland vor. Für die Zukunftsgestaltung unseres Unternehmens suchen wir ambitionierte und hochqualifizierte Hochschulabsolventen, für die soziale Kompetenz und Verantwortungsbereitschaft selbstverständlich sind. Für unsere Sektoren und Corporate Units suchen wir Trainees für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik sowie anverwandte.

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Zusätzliche Informationen

Ergreifen Sie die Initiative und senden uns Ihre aussagekräftige Online-Bewerbung mit Ihrem persönlichen Anschreiben, Ihrem Lebenslauf und allen relevanten Zeugnissen.“

3

Der am 11. Mai 1973 geborene Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 24. April 2009 für dieses Traineeprogramm. Im Jahre 1999 hatte er in Bayern die Erste Juristische Staatsprüfung mit 6,58 Punkten („befriedigend“) und im Jahre 2001 die Zweite Juristische Staatsprüfung mit 5,60 Punkten („ausreichend“) abgelegt. Von 2003 bis 2005 war der Kläger zunächst als selbständiger Rechtsanwalt und in den Jahren 2006 und 2007 als Angestellter einer Versicherungsgesellschaft (zuletzt als Leiter einer fünfköpfigen Juristengruppe) tätig gewesen. Im Jahre 2008 hatte er in Südafrika (Universität Stellenbosch) den Grad eines „Master of Laws“ erworben. Zur Zeit der Stellenausschreibung war der Kläger erneut als selbständiger Rechtsanwalt tätig. Seiner Onlinebewerbung fügte der Kläger die Zeugnisse seiner beiden Staatsexamina nicht bei und teilte auch seine Examensnoten nicht mit.

4

Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 29. April 2009 mittels E-Mail eine Absage. Hierauf forderte sie der Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2009 auf, es künftig zu unterlassen, Bewerber bei der Stellenvergabe wegen ihres Alters zu benachteiligen. Weiter verlangte er materiellen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sowie eine immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. 20.000,00 Euro. Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juni 2009 ab.

5

Mit seiner am 23. September 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger einen Unterlassungs- und einen Entschädigungsanspruch geltend gemacht.

6

Der Kläger vertritt die Auffassung, er sei wegen seines Alters diskriminiert worden. Die Beklagte habe sich mit ihrer Stellenausschreibung speziell an Berufseinsteiger gewandt, deren Hochschulabschluss maximal ein Jahr zurückliege. Deshalb sei eine zumindest mittelbare Benachteiligung wegen des Alters zu vermuten. Er habe sich im Übrigen mit der letztlich erfolgreichen Bewerberin in einer vergleichbaren Situation befunden und sei einer der am besten qualifizierten Bewerber gewesen. Seine Benachteiligung wegen des Alters sei auch nicht zu rechtfertigen. Darüber hinaus stehe ihm der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung nach den § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB, § 15 AGG zu. Dies ergebe sich auch aus dem unionsrechtlichen Grundsatz des „effet utile“ (Effektivitätsgrundsatz).

7

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, Stellenbewerber im Auswahlverfahren für eine Stelle als Trainee wegen des Alters zu benachteiligen,

und

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die jedoch den Betrag von 20.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 9. Juli 2009.

8

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

9

Sie bestreitet das Bestehen eines Entschädigungs- und Unterlassungsanspruchs. Mit den in ihrer Ausschreibung verwendeten Begriffen „Berufseinsteiger“ oder „Hochschulabsolvent“ sei keine unmittelbare oder mittelbare Altersdiskriminierung verbunden, weil alle Bewerber unabhängig von ihrem Alter angesprochen würden, die diese Kriterien erfüllten. Der Kläger sei auch nicht aufgrund seines Alters aus dem Kreis der Bewerber ausgeschieden, sondern allein wegen der nicht nachgewiesenen Qualifikationsanforderungen (Zeugnisse mit Examensnoten) und der Nichteinhaltung der geforderten Bewerbungsformalitäten. Dem Kläger fehle im Übrigen bereits die objektive Eignung für die Teilnahme an dem Traineeprogramm. Er habe sich nicht in einer vergleichbaren Situation mit der letztlich zum Zuge gekommenen Bewerberin befunden. Mit ihrem Traineeprogramm wolle sie besonders talentierte Hochschulabsolventen für spätere Aufgaben als Führungskräfte in ihrem Unternehmen vorbereiten. Das Programm sei als weitere Ausbildungsstation von Hochschulabsolventen unmittelbar im Anschluss an ihre Universitätsgrundausbildung konzipiert. Sinn eines solchen Traineeprogrammes sei das Erlangen praktischer Fähigkeiten im unmittelbaren Anschluss an die Hochschulausbildung. Hierdurch solle gewährleistet werden, dass Nachwuchspersonal für einen künftigen Führungskräftebedarf ausgebildet und möglichst lange an das Unternehmen gebunden werde. Es liege bereits in der Natur eines solchen Programms, dass die Teilnehmer Berufseinsteiger ohne Berufserfahrung und ohne berufspraktische Vorprägung seien. Im Übrigen verschließe sie sich keineswegs Bewerbungen von berufserfahrenen Hochschulabsolventen. Schließlich bezweifelt die Beklagte die Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Ihm stehen weder ein Unterlassungs- noch ein Entschädigungsanspruch zu.

12

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine klageabweisende Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Bewerbung des Klägers nicht ernsthaft gewesen sei, lägen nicht vor. Der Kläger habe ausreichende Indizien nach § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen seines Alters vermuten lassen. Die Angabe in der Ausschreibung, dass sich das Traineeprogramm speziell an Berufseinsteiger richte, und der Hochschulabschluss maximal ein Jahr zurückliegen solle, stelle eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters iSd. § 3 Abs. 2 AGG dar. Hierdurch würden typischerweise Bewerber mit einem höheren Lebensalter von der Bewerbung ausgeschlossen.

13

Jedoch habe die Beklagte ausreichende Anhaltspunkte für die Zulässigkeit der unterschiedlichen Behandlung der Bewerber nach § 3 Abs. 2, §§ 8 und 10 AGG vorgetragen. Eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals könne durch ein legitimes Ziel und die Wahl von verhältnismäßigen Mitteln zu seiner Durchsetzung gerechtfertigt werden. Zu den rechtmäßigen Zielen gehörten auch privatautonom bestimmte Ziele des Arbeitgebers, zB betriebliche Notwendigkeiten und Anforderungen an persönliche Fähigkeiten des Arbeitnehmers. Vorliegend sei es das Ziel der Beklagten, mit dem zweijährigen Traineeprogramm qualifiziertes Nachwuchspersonal für den Führungskräftebedarf im Bereich Human Resources zu gewinnen. Hoch qualifizierte Hochschulabgänger erhielten durch die Teilnahme an dem Traineeprogramm eine Chance, sich für den Kreis der künftigen Führungskräfte zu qualifizieren. Ein solches Traineeprogramm gleiche damit mehr einem Berufspraktikum als einer Berufstätigkeit, es sei ein Programm zur beidseitigen Förderung beruflicher Perspektiven. Das Programm sei mithin auf Hochschulabsolventen zugeschnitten, die am Anfang ihres Berufslebens stehen. So sollten Nachwuchskräfte unternehmensspezifisch ausgebildet und langfristig an das Unternehmen gebunden werden. Zugleich weise das Programm einen sozialen Bezug auf, da es den Einstieg von Berufsanfängern in das Berufsleben erleichtere. Die Beklagte decke ihren Personalbedarf im Übrigen auch durch Bewerber mit mehrjähriger Berufserfahrung. Der Kläger werde damit als potentieller Bewerber für eine Anstellung bei der Beklagten nicht gänzlich ausgeschlossen. Er habe nur nicht zu der Zielgruppe der Teilnehmer an ihrem Traineeprogramm gehört, da seine universitäre Ausbildung zehn Jahre zurückliege und er bereits über eine fünfjährige berufliche Tätigkeit verfüge. Unter Berücksichtigung der unternehmerischen Ziele erweise sich das Traineeprogramm daher als verhältnismäßig.

14

Aufgrund der damit anzunehmenden Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Bewerbern unterschiedlicher Altersgruppen stehe dem Kläger auch der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch nicht zu. Es könne dahingestellt bleiben, ob der Antrag einen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und damit dem Bestimmtheitsgebot entspreche und ob der Kläger ausreichend aktivlegitimiert sei.

15

B. Die Entscheidung hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

16

I. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der Kläger durfte die Höhe der von ihm begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Erforderlich ist allein, dass der Kläger Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 16). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger hat einen Sachverhalt dargelegt, der dem Gericht die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht, und den Mindestbetrag der für angemessen erachteten Entschädigung mit 20.000,00 Euro beziffert.

17

II. Die Klage ist in Bezug auf den geltend gemachten Entschädigungsanspruch unbegründet. Da der Kläger durch die Nichtberücksichtigung im Bewerbungsverfahren nicht in unzulässiger Weise wegen seines Alters benachteiligt worden ist, steht ihm kein Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu.

18

1. Der Kläger ist als Bewerber „Beschäftigter“ nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG und fällt daher unter den persönlichen Anwendungsbereich des AGG. In diesem Zusammenhang spielt es keine Rolle, ob er für die ausgeschriebene Tätigkeit objektiv geeignet ist (vgl. BAG 13. Oktober 2011 - 8 AZR 608/10 - Rn. 18). Die objektive Eignung eines Bewerbers ist vielmehr für die Frage bedeutsam, ob eine „vergleichbare Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vorliegt(vgl. BAG 7. April 2011 - 8 AZR 679/09 - Rn. 29). Auch auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung kommt es nicht an, weil ihr Fehlen allenfalls den Einwand treuwidrigen Verhaltens des Bewerbers begründen könnte (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 24).

19

2. Die Beklagte ist als „Arbeitgeberin“ passiv legitimiert. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes, wer „Personen nach Absatz 1“ des § 6 AGG „beschäftigt“. Arbeitgeber ist mithin auch derjenige, der um Bewerbungen für ein von ihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnis bittet (vgl. BAG 21. Juni 2012 - 8 AZR 188/11 - Rn. 18, BAGE 142, 143).

20

3. Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

21

a) Gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55 ff., BAGE 141, 48). Die Ablehnung der Bewerbung wurde dem Kläger mittels E-Mail vom 29. April 2009 mitgeteilt. Der Kläger machte mit Schreiben vom 24. Juni 2009 einen Schadensersatz- und Entschädigungsanspruch sowie einen Unterlassungsanspruch außergerichtlich geltend. Mangels anderweitigen Sachvortrags der Parteien ist daher - unter Zugrundelegung der üblichen Postlaufzeiten - davon auszugehen, dass die Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG gewahrt ist.

22

b) Der Kläger hat seinen Entschädigungs- und Unterlassungsanspruch durch die beim Arbeitsgericht am 23. September 2009 eingegangene Klage auch innerhalb der dreimonatigen Klageerhebungsfrist des § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

23

4. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus. § 15 Abs. 2 AGG enthält zwar nur eine Rechtsfolgenregelung; jedoch ist für die Voraussetzungen des Anspruchs auf § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG zurückzugreifen. Dies ergibt sich bereits aus dem systematischen Zusammenhang (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 30).

24

Die Beklagte hat den Kläger weder unmittelbar noch mittelbar in unzulässiger Weise (§§ 1, 7 Abs. 1, § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) benachteiligt.

25

a) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - zu denen auch das Alter zählt - eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die nachteilige Maßnahme muss dabei unmittelbar an das verbotene Merkmal anknüpfen bzw. mit diesem begründet werden (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG 22. Juni 2011 - 8 AZR 48/10 - Rn. 33, BAGE 138, 166).

26

Im Streitfalle fehlt es bereits an einer unmittelbaren Benachteiligung, weil sich der Kläger nicht in einer „vergleichbaren Situation“ mit den zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern bzw. der letztlich erfolgreichen Bewerberin befand.

27

aa) Zwar erfuhr der Kläger - bereits im Zeitpunkt der Absage - eine weniger günstige Behandlung als die später tatsächlich eingestellte Bewerberin. Darüber hinaus war auch die Behandlung des Klägers im Vergleich mit den zu Vorstellungsgesprächen eingeladenen (letztlich gleichfalls erfolglosen) Bewerbern weniger günstig. Ein Nachteil im Rahmen einer Auswahlentscheidung, insbesondere bei einer Einstellung oder Beförderung, liegt nämlich bereits dann vor, wenn der Bewerber nicht in die Auswahl einbezogen, sondern vorab aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschieden wird. Hier liegt die Benachteiligung in der Versagung einer Chance (st. Rspr., vgl. BAG 23. August 2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22).

28

bb) Der Kläger befand sich jedoch mit den zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenen Bewerbern und der letztlich erfolgreichen Bewerberin nicht „in einer vergleichbaren Situation“ (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG).

29

(1) Das Vorliegen einer vergleichbaren Situation setzt zunächst voraus, dass der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle geeignet war, denn vergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituation nur für Arbeitnehmer, die gleichermaßen die objektive Eignung für die zu besetzende Stelle aufweisen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 35).

30

Für die Beurteilung der damit stets erforderlichen objektiven Eignung ist nicht nur auf das formelle und bekannt gegebene Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber erstellt hat, zurückzugreifen und abzustellen. Maßgeblich sind vielmehr die Anforderungen, die der Arbeitgeber an einen Bewerber in redlicher Weise stellen durfte. Zwar darf der Arbeitgeber über den einer Stelle zugeordneten Aufgabenbereich und die dafür geforderten Qualifikationen des Stelleninhabers grundsätzlich frei entscheiden. Durch überzogene Anforderungen, die nach der im Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauung unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt durch die Erfordernisse der wahrzunehmenden Aufgaben gedeckt sind, darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situation nicht willkürlich gestalten und dadurch den Schutz des Allgemeinen Diskriminierungsschutzes de facto beseitigen (vgl. BAG 16. Februar 2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 36).

31

Es ist grundsätzlich zulässig, in einem Stellenprofil eine bestimmte Mindestnote oder sonstige besondere Qualifikationen zu fordern (vgl. BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 36). Hierzu ist ein Arbeitgeber vor allem dann berechtigt, wenn es um die Gewinnung von Führungsnachwuchs oder die Besetzung von Führungsstellen geht. Hierin liegen mit Blick auf die besonderen Anforderungen in solchen Positionen keine überzogenen oder willkürlichen Auswahlkriterien.

32

(2) Die Beklagte hat in ihrer Stellenanzeige „ambitionierte und hochqualifizierte“ Hochschulabsolventen für den Bereich Human Resources mit den Studienrichtungen Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik „sowie anverwandte“ gesucht. Zudem hat sie unter der Rubrik „Ausbildung“ gefordert: „Sie haben Ihr Studium überdurchschnittlich gut mit der Studienrichtung Jura, BWL, Psychologie, Pädagogik abgeschlossen.“ Diese spezifische Anforderung ist mit Blick auf die - als „Mission“ bezeichnete - gewünschte Gewinnung (und Bindung) von Führungsnachwuchs für spätere Managementaufgaben im In- und Ausland gerechtfertigt und unbedenklich.

33

Der Kläger verfügt zwar über das - hier aufgrund der Fokussierung auf „Hochschulabsolventen“ maßgebliche - erste juristische Staatsexamen. Allerdings erfüllt seine dabei erzielte Abschlussnote nicht die hohe Anforderung eines „überdurchschnittlich gut(en)“ Examens. Auch wenn man die Besonderheiten des juristischen Examens, insbesondere in Bayern, berücksichtigt, so handelt es sich bei einem Examen mit 6,58 Punkten um keinen solchen überdurchschnittlich guten Abschluss. Soweit der Kläger der Auffassung ist, es genüge bereits ein „überdurchschnittliches“ Examen, das er im statistischen Vergleich auch erzielt habe, geht dies fehl. Die Anforderung „überdurchschnittlich gut“ ist nämlich - aus der hier maßgeblichen Sicht des Erklärungsempfängers, dh. des Lesers der Stellenanzeige - nicht so zu lesen: „überdurchschnittlich und damit gut“. Vielmehr muss es sich zunächst um ein „gutes“ und sodann sogar „überdurchschnittlich gutes“ Examen handeln, mithin nicht nur um ein bloß „überdurchschnittliches“, sondern herausragendes Zeugnis. Dabei hat die Beklagte nach ihrem Sachvortrag im Falle der auch angesprochenen Juristen ein „gut“ nicht gefordert, sondern ein „befriedigend im oberen Bereich“ ausreichen lassen. Dies belegt auch der systematische Zusammenhang der Stellenausschreibung. So werden ausdrücklich „hochqualifizierte Hochschulabsolventen“ als Führungsnachwuchs gesucht. Das lediglich „befriedigende“ „Prädikatsexamen“ (im unteren Notenbereich) des Klägers ist kein Ausweis einer Hochqualifizierung. Daher war ein bloß „überdurchschnittliches“ Examen nicht ausreichend. Juristen mit knapp „befriedigendem“ Staatsexamen hat die Beklagte erkennbar nicht ansprechen wollen.

34

Auf eine später gewonnene Qualifikation - wie das zweite juristische Staatsexamen - kam es der Beklagten ersichtlich nicht an. Der Kläger vermag sich daher auf dieses nicht mit Erfolg zu berufen.

35

(3) Nach alledem entsprach der Kläger von vornherein nicht den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle. Sein Defizit war so erheblich, dass eine weitere Prüfung seiner Bewerbung nicht ernstlich in Betracht gekommen wäre. Es kam deshalb auch nicht darauf an, dass die Beklagte aufgrund der diesbezüglich lückenhaften Stellenbewerbung (keine Angabe der Examensnote) des Klägers von dessen Examensnote keine Kenntnis hatte, weil es diesem bereits an der maßgeblichen objektiven Eignung fehlte. Da das AGG vor ungerechtfertigter Benachteiligung schützen und nicht eine unredliche Gesinnung des (potentiellen) Arbeitgebers sanktionieren will, steht einem objektiv ungeeigneten Bewerber kein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu(vgl. BAG 24. Januar 2013 - 8 AZR 429/11 - Rn. 34). Deshalb kann bei objektiver Nichteignung des Bewerbers auch bei Nichtkenntnis des Arbeitgebers von der Nichteignung kein Entschädigungsanspruch des abgelehnten Bewerbers entstehen.

36

(4) Im Streitfalle war die objektive Nichteignung des Klägers aufgrund der objektiv gegebenen Umstände offensichtlich. Deshalb spielte die Frage keine Rolle, wer für die objektive Eignung oder Nichteignung eines Bewerbers die Darlegungs- und Beweislast trägt.

37

b) Da der Kläger objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet war, scheidet auch eine mittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 2 AGG wegen seines Alters aus. Auch ein Entschädigungsanspruch wegen mittelbarer Diskriminierung setzt eine konkrete Betroffenheit des Benachteiligten voraus (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 51). Damit stellt sich das Verbot der mittelbaren Diskriminierung letztlich als Hilfsmittel zur Durchsetzung des eigentlichen Verbots unmittelbarer Diskriminierung dar (vgl. Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz 2. Aufl. Rn. 246; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 20; so auch: Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 127, die das Verbot der mittelbaren Diskriminierung als Beweiserleichterung für das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung betrachten). Scheidet eine konkrete Betroffenheit eines abgelehnten Bewerbers wegen dessen objektiver Ungeeignetheit für die ausgeschriebene Stelle aus, so scheitert daran auch ein Entschädigungsanspruch wegen einer möglicherweise vorliegenden mittelbaren Diskriminierung.

38

III. Die Unterlassungsklage ist unzulässig. Es fehlt für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch bereits an der erforderlichen, von Amts wegen zu prüfenden Prozessführungsbefugnis und damit an einer Prozessvoraussetzung.

39

Der Kläger macht - ohne konkrete Selbstbetroffenheit und gewissermaßen „stellvertretend“ für (andere) Bewerber bei künftigen Ausschreibungen der Beklagten - einen „vorbeugenden Unterlassungsanspruch“ im Sinne einer „Popularklage“ geltend.

40

So wie eine abstrakte Diskriminierung ohne konkrete eigene Benachteiligung einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht auszulösen vermag, begründet auch der Gesichtspunkt der „Generalprävention“ keinen Unterlassungsanspruch. Es fehlt an einer nationalen gesetzlichen Grundlage für einen solchen „generalpräventiven“ Unterlassungsanspruch. Auch Europarecht begründet einen derartigen Anspruch nicht.

41

1. Einen vom konkreten Bewerbungsverfahren losgelösten, einer „Popularklage“ ähnelnden Anspruch auf Unterlassung - künftiger - diskriminierender Ausschreibungen bzw. auf - künftige - diskriminierungsfreie Neuausschreibungen ist aus dem AGG nicht herzuleiten. Im Übrigen haben selbst konkret betroffene Stellenbewerber, die einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot geltend machen, während eines laufenden Auswahlverfahrens keinen Anspruch auf Unterlassung einer Ausschreibung und auf Neuausschreibung (vgl. BayVGH 4. Dezember 2012 - 7 ZB 12.1816 - BayVBl. 2013, 308).

42

Lediglich für den Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft ist in § 17 Abs. 2 AGG iVm. § 23 Abs. 3 BetrVG bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers ein Unterlassungsanspruch vorgesehen und kommt dann auch bei diskriminierenden Stellenausschreibungen in Betracht. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche ergeben sich für Stellenbewerber auch nicht aus § 21 Abs. 1 AGG. § 21 AGG betrifft nicht den Schutz von Beschäftigten und Bewerbern vor Benachteiligungen, sondern ausschließlich den Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr im Sinne des § 19 AGG.

43

2. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht.

44

Die europäischen Richtlinien zur Durchsetzung der Gleichbehandlung, die durch das AGG umgesetzt worden sind, verlangen, dass in den Mitgliedstaaten alle Personen, die sich durch Ungleichbehandlung aufgrund eines verpönten Merkmals für in ihren Rechten verletzt halten, den Gerichtsweg beschreiten können (Art. 7 Abs. 1 RL 2000/43/EG und Art. 9 Abs. 1 RL 2000/78/EG). Die Richtlinien fordern darüber hinaus, dass Verbände, Organisationen oder andere juristische Personen, die nach nationalem Recht für die Einhaltung der Bestimmungen der Richtlinien zu sorgen haben, sich entweder im Namen der beschwerten Person oder zu deren Unterstützung am Gerichtsverfahren beteiligen können. Diese Mindestanforderungen (Art. 6 Abs. 1 RL 2000/43/EG und Art. 8 Abs. 1 RL 2000/78/EG)erfüllt das nationale Recht. Zwar ist für die durch Gesetz vorgeschriebenen Einrichtungen zur Unterstützung der Integration behinderter Menschen (Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Integrationsfachdienste, vgl. Kap. 5 bis 7 SGB IX) ein allgemeines Klagerecht nicht vorgesehen, jedoch können Antidiskriminierungsverbände nach § 23 Abs. 2 AGG im gerichtlichen Verfahren als Beistände Benachteiligter auftreten. Die Popularklage einzelner Betroffener ist dem deutschen Recht dagegen grundsätzlich fremd (BAG 19. August 2010 - 8 AZR 370/09 - Rn. 33).

45

3. Der Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union(AEUV) bedurfte es nicht. Insoweit hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits in seinem Urteil vom 10. Juli 2008 (- C-54/07 - [Feryn] Rn. 37 - 39, Slg. 2008, I-5187) ausgeführt, die Richtlinie 2000/43/EG verpflichte nicht zu bestimmten Sanktionen, sondern belasse den Mitgliedstaaten die Freiheit der Wahl unter den verschiedenen Lösungen, die zur Verwirklichung des festgelegten Ziels geeignet sind. Auch wenn die Sanktionen neben anderen Maßnahmen darin bestehen könnten, dass dem Arbeitgeber nach den entsprechenden Vorschriften im nationalen Recht aufgegeben werde, die festgestellte diskriminierende Praxis zu unterlassen, ist eine solche Sanktion nicht zwingend, sondern steht unter dem Vorbehalt des nationalen Rechts. Diese Rechtsprechung - und damit die Freiheit der Mitgliedstaaten - hat der Gerichtshof jüngst ausdrücklich bestätigt (EuGH 25. April 2013 - C-81/12 - [Asociatia ACCEPT] Rn. 36 ff.).

46

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

    Breinlinger    

        

        

        

    Lüken    

        

    Soost    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen sind aufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Verwirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken.

(2) In Betrieben, in denen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes vorliegen, können bei einem groben Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften aus diesem Abschnitt der Betriebsrat oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft unter der Voraussetzung des § 23 Abs. 3 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes die dort genannten Rechte gerichtlich geltend machen; § 23 Abs. 3 Satz 2 bis 5 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt entsprechend. Mit dem Antrag dürfen nicht Ansprüche des Benachteiligten geltend gemacht werden.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.

(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(3) § 22 gilt entsprechend.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.

(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.

(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Mai 2012 - 3 Sa 1420/11 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch, weil sich die Klägerin wegen ihres Geschlechts benachteiligt sieht.

2

Die 1981 geborene, verheiratete Klägerin nahm am 6. Juli 2010 eine bis 5. Juli 2012 befristete Beschäftigung bei der Beklagten als Personalsachbearbeiterin zu einem monatlichen Bruttogehalt von 2.750,00 Euro auf. Nach § 2 des zugrunde liegenden Arbeitsvertrages vom 17. Juni 2010 sollten die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses als Probezeit gelten, innerhalb derer das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen ohne Nennung von Gründen gekündigt werden können sollte.

3

Ab dem 28. September 2010 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte zahlte nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit bis 9. November 2010 das Entgelt fort. Vom 10. November bis 21. November 2010 erhielt die Klägerin Krankengeld. Die Beklagte kündigte unter dem 18. November 2010 das Arbeitsverhältnis zum 3. Dezember 2010.

4

Durch Rechtsanwaltsschreiben vom 22. November 2010 ließ die Klägerin der Beklagten mitteilen, dass sie schwanger sei. Die Anwälte baten die Beklagte zur Vermeidung einer Klage bis zum 29. November 2010 mitzuteilen, dass sie an der Kündigung „nicht festhalte“. Mit weiterem Schreiben vom 25. November 2010 übersandten sie ein ärztliches Schwangerschaftsattest und teilten mit, dass ein ärztliches Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG ausgesprochen worden sei. Am 29. November 2010 forderte die Beklagte die Klägerin auf, sich betriebsärztlich untersuchen zu lassen. Daraufhin bestätigte der Betriebsarzt unter dem 22. Dezember 2010 sowohl die bestehende Schwangerschaft als auch das Beschäftigungsverbot.

5

Klage gegen die ihr ausgesprochene Kündigung erhob die Klägerin am 7. Dezember 2010, trug aber dem Arbeitsgericht die Tatsache ihrer Schwangerschaft erst im Gütetermin vom 27. Januar 2011 vor. Mit Eingang bei Gericht am 8. Februar 2011 erweiterte die Klägerin die Klage um Gehaltszahlungsansprüche und den streitgegenständlichen Entschädigungsanspruch. Vor Zustellung dieser Klageerweiterung „bestätigte“ die Beklagte mit Datum vom 9. Februar 2011 der Klägerin „hiermit die Rücknahme unserer vorgenannten Kündigung“.

6

Nachdem die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit dem 2. Februar 2011 ihr Mandat niedergelegt hatten, meldeten sich mit Schriftsatz vom 4. März 2011 ihre jetzigen Prozessbevollmächtigten beim Arbeitsgericht. Sie verwiesen auf die bereits erfolgte „Rücknahme“ der Kündigung und stellten klar, dies sei als Angebot zu verstehen, das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortzusetzen. Diesbezüglich setzten sie der Klägerin eine Erklärungsfrist bis 25. März 2011. Soweit die Klägerin nunmehr wegen des Beschäftigungsverbotes weitere Entgeltzahlung verlange, müsse zunächst geklärt werden, ob das Beschäftigungsverbot seine Ursache allein in der Schwangerschaft habe. In diesem Fall werde die Beklagte selbstverständlich ihrer Verpflichtung aus § 11 MuSchG nachkommen, ihr sei das Erstattungsverfahren nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 Aufwendungsausgleichsgesetz(AAG) bekannt. Mit Schreiben vom 21. März 2011 machte die Klägerin geltend, von der Beklagten diskriminiert zu werden und forderte sie auf, die Unwirksamkeit der Kündigung durch Anerkenntnis der Klage zu bestätigen. Im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht am 5. Mai 2011 gaben die Prozessvertreter der Beklagten ein Anerkenntnis hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags „vor dem Hintergrund der heutigen Versuche einer gütlichen Einigung im vorliegenden Rechtsstreit“ ab. Ein entsprechendes Teil-Anerkenntnisurteil wurde vom Arbeitsgericht erlassen.

7

Ihren Antrag auf Entschädigung wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts hat die Klägerin damit begründet, dass die Beklagte das Beschäftigungsverhältnis gekündigt und daran auch festgehalten habe, als sie positive Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt habe. Die Beklagte habe ihre Schwangerschaft ignoriert, statt die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Prozesshandlungen zu vollziehen. Schon bei der Mitteilung der Schwangerschaft sei die Beklagte aufgefordert worden, die Kündigung zurückzunehmen. Auch das ärztliche Schwangerschaftsattest habe nichts bewirkt. Obschon der Betriebsarzt das Beschäftigungsverbot bestätigt habe, habe die Beklagte Lohnzahlungen oder Ersatzleistungen nicht erbracht.

8

Soweit für die Revision von Bedeutung hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.250,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klageerweiterung zu zahlen.

9

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat die Beklagte zunächst darauf verwiesen, die Kündigung in Unkenntnis der Schwangerschaft ausgesprochen zu haben. Soweit sie wegen des Beschäftigungsverbotes in Anspruch genommen werden sollte, habe sie nur aufgefordert, Auskunft über die Gründe für das Beschäftigungsverbot zu geben. Außerdem habe sie die Kündigung „zurückgenommen“ und schließlich den Kündigungsschutzantrag anerkannt.

10

Durch Schlussurteil vom 5. Mai 2011 hat das Arbeitsgericht den Zahlungsansprüchen der Klägerin entsprochen, soweit sie durch das Beschäftigungsverbot nach § 11 Abs. 1 MuSchG begründet waren. Den Entschädigungsanspruch hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb insoweit ohne Erfolg. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin den Entschädigungsanspruch iHv. drei Bruttomonatsgehältern weiter.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet, weil die Klage unbegründet ist. Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG steht der Klägerin nicht zu, weil sie nicht wegen ihrer Schwangerschaft und damit auch nicht wegen ihres Geschlechts von der Beklagten benachteiligt worden ist, § 15 Abs. 2 in Verb. mit § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.

12

A. Seine Entscheidung zum Entschädigungsanspruch hat das Landesarbeitsgericht im Wesentlichen wie folgt begründet:

13

Die Klägerin habe keine Verhaltensweisen der Beklagten dargelegt, die für sich genommen oder im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ihre Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten ließen. Die Kündigung sei ausgesprochen worden, ohne dass der Beklagten zu diesem Zeitpunkt die Schwangerschaft der Klägerin bekannt gewesen sei. Dass Festhalten an der wegen der mutterschutzrechtlichen Bestimmungen unwirksamen Kündigung sei wertneutral und keinem verpönten Kriterium aus § 1 AGG zuzuordnen. Ebenso lasse auch die Nichtgewährung von Leistungen, die nach den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes zu erbringen waren, eine Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht vermuten. Sofern darin die Verletzung allgemeiner arbeitsvertraglicher Verpflichtungen zu sehen sei, stelle dies nicht zugleich eine unzulässige Benachteiligung iSd. § 1 AGG dar. Die Klägerin habe ihre vertraglichen oder gesetzlichen Rechte gerichtlich geltend gemacht und durchgesetzt. Jedenfalls sei selbst im Falle einer Benachteiligung eine angemessene Entschädigung nicht festzusetzen. Es liege kein Wiederholungsfall vor, der Anlass für die Kündigung sei nicht schwangerschaftsbezogen. Die Dauer der Beeinträchtigung habe sich in Grenzen gehalten. Außerdem habe die Beklagte schon Anfang Februar 2011 zu erkennen gegeben, an der Kündigung nicht festhalten zu wollen und unwidersprochen hätten Versuche einer außergerichtlichen Einigung davor stattgefunden. Im Hinblick darauf sei es üblich, mit Zahlungen innezuhalten. Außerdem habe die Beklagte lediglich von ihrer rechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht überprüfen zu lassen, ob eine Nichtbeschäftigung der Klägerin wegen Arbeitsunfähigkeit oder wegen eines Beschäftigungsverbotes im Sinne des Mutterschutzgesetzes zu beachten gewesen sei.

14

B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält im Ergebnis einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.

15

I. Es kann dahinstehen, ob der sachliche Anwendungsbereich des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 2 AGG eröffnet ist.

16

1. Die Klägerin sieht in der Kündigung vom 18. November 2010 eine der sie benachteiligenden Maßnahmen. § 2 Abs. 4 AGG bestimmt seinem Wortlaut nach, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Es ist umstritten, welche Bedeutung § 2 Abs. 4 AGG im Einzelnen zukommt(vgl. zB Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 103 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 55 ff.; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 29 ff.; Däubler/Bertzbach/ Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 256 ff.; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 2 AGG Rn. 17 f.). Jedenfalls sind die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG (§§ 1 bis 10 AGG), so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen. § 2 Abs. 4 AGG steht dem nicht entgegen(BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 28, BAGE 128, 238 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82).

17

2. Ob die Ausschließlichkeitsanordnung des § 2 Abs. 4 AGG, unabhängig von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage und ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung, darüber hinaus den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht „sperrt“(so zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso - im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs - Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204, 211; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257), kann der Senat im vorliegenden Fall dahinstehen lassen. Denn selbst bei unterstellter Anwendbarkeit des § 15 Abs. 2 AGG sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Entschädigungszahlung nicht erfüllt.

18

II. Die Klägerin hat einen Entschädigungsanspruch nicht für alle von ihr angeführten Diskriminierungssachverhalte rechtzeitig innerhalb der Fristen der § 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG geltend gemacht.

19

1. Nach § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG muss ein Anspruch nach Abs. 1 oder Abs. 2 des § 15 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Im Falle einer Bewerbung beginnt die Frist grundsätzlich mit dem Zugang der Ablehnung (§ 15 Abs. 4 Satz 2 AGG), nicht jedoch vor dem Zeitpunkt, in dem der Bewerber von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt (vgl. BAG 15. März 2012 - 8 AZR 37/11 - Rn. 55, BAGE 141, 48 = AP AGG § 15 Nr. 11 = EzA AGG § 15 Nr. 18).

20

2. Auch bei dem Erhalt einer Kündigung beginnt die Frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Gekündigte von seiner Benachteiligung Kenntnis erlangt hat. Dies muss nicht mit dem Zugang der Kündigung zusammenfallen, ist aber vorliegend jedenfalls für den 22. November 2010 anzunehmen, da unter diesem Datum die Anwälte der Klägerin die Mitteilung an die Beklagte verfassten, die Klägerin sei schwanger. Jedenfalls ab dem 22. November 2010 wusste die Klägerin zum einen um die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung, zum anderen, dass sie schwanger war und hatte damit Kenntnis von allen Umständen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts ausmachen konnten. Den Entschädigungsanspruch hat die Klägerin jedoch nicht bis 22. Januar 2011 geltend gemacht, sondern erst durch die Klageerweiterung vom 8. Februar 2011, der Beklagten am 15. Februar 2011 zugestellt. Dies wahrt die Frist des § 15 Abs. 4 AGG nicht, soweit die Klägerin an den Ausspruch der Kündigung anknüpfen will. Die Klageerhebung wahrt aber hinsichtlich der Sachverhalte „Festhalten an der Kündigung“ und „Streit um den Mutterschutzlohn“ die Frist des § 15 Abs. 4 AGG.

21

III. Im Ergebnis zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden ist.

22

1. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, wobei vorliegend die Klägerin eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts geltend macht. Der Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Handlung und dem Geschlecht der Klägerin ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an das Geschlecht der Klägerin anknüpft oder dadurch motiviert ist (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat(BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 37, BAGE 129, 181 = EzA AGG § 15 Nr. 1). Nach der gesetzlichen Beweislastregelung des § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat.

23

2. Als benachteiligende Handlung der Beklagten kommt unabhängig von der insoweit nicht gewahrten Frist des § 15 Abs. 4 AGG, aber im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die der Klägerin unter dem 18. November 2010 ausgesprochene ordentliche, fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.

24

a) Dass der Klägerin als Frau eine Kündigung ausgesprochen wurde, lässt für sich genommen keinen Schluss auf die Vermutung einer Ursächlichkeit zwischen der (zu ihren Gunsten als Benachteiligung gewerteten) Kündigungserklärung und ihrem Geschlecht als Diskriminierungsmerkmal zu. Ein in der Person des Anspruchstellers erfülltes Diskriminierungsmerkmal vermag eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine gesetzwidrige Motivation der Kündigungsentscheidung oder deren Verknüpfung mit einem pönalisierten Merkmal nach § 1 AGG nicht zu begründen(st. Rspr., vgl. BAG 22. Oktober 2009 - 8 AZR 642/08 - Rn. 28 f.; zuletzt 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - [Meister] Rn. 37). Der während der Probezeit erklärten Kündigung sind - sie wurde fristgemäß erklärt - keine Hinweise für eine Anknüpfung an ein Diskriminierungsmerkmal zu entnehmen. Die Beklagte hat die Kündigung auch erst ausgesprochen, nachdem der sechswöchige Zeitraum für die Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG abgelaufen war.

25

b) Die Klägerin war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung schwanger. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Beklagte dies nicht wusste. Diese Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht mit einer Revisionsrüge angegriffen. Die geschlechtsspezifische, nur Frauen betreffende Tatsache einer Schwangerschaft kann bei Ausspruch der Kündigung keine Rolle gespielt haben.

26

3. Die Benachteiligung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Beklagte, nachdem ihr die Schwangerschaft der Klägerin bekannt gemacht wurde, an der Kündigung „festgehalten“ hat.

27

a) Die Missachtung der zugunsten der werdenden Mutter gesetzlich bestehenden Schutzpflichten durch den Arbeitgeber kann Indizwirkung für die Benachteiligung wegen des Geschlechts haben. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft auch dann unzulässig, wenn dem Arbeitgeber „zur Zeit der Kündigung“ die Schwangerschaft zwar unbekannt war, sie ihm aber innerhalb zweier Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird.

28

b) Die Klägerin hat durch Anwaltsschreiben vom 22. November 2010 und sodann durch weiteres Anwaltsschreiben vom 25. November 2010 unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung die Beklagte über ihre Schwangerschaft unterrichtet. Spätestens mit Zugang dieses zweiten Anwaltsschreibens musste die Beklagte damit rechnen, dass ihre Kündigung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unzulässig war. Diese sich nach Ausspruch einer an sich diskriminierungsfreien Kündigung herausstellende Unzulässigkeit der Kündigung wegen bestehender Schwangerschaft entspricht der Europäischen Rechtslage, die in Art. 10 der Richtlinie 92/85 ebenfalls allein auf die Tatsache der Schwangerschaft und nicht auf die Kenntnis des Kündigenden von dieser abstellt(vgl. EuGH 29. Oktober 2009 - C-63/08 - [Pontin] Rn. 27, 37 bis 48, Slg. 2009, I-10467).

29

c) Die Klägerin hatte schon mit ihrem Schreiben vom 22. November 2010 die Beklagte gebeten, um keine Klage erheben zu müssen, bis zum 29. November 2010 zu erklären, dass „sie an der Kündigung nicht festhalte“. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen, vielmehr hat sie in der Folgezeit die Klägerin aufgefordert, ihre Angaben durch eine betriebsärztliche Untersuchung bestätigen zu lassen.

30

Diesem „Festhalten“ an einer möglicherweise unzulässigen Kündigung kommt Indizwirkung iSd. § 22 AGG nicht zu. Dass die Beklagte nicht bis zum 29. November 2010 mitgeteilt hat, an der Kündigung nicht „festzuhalten“, „damit wir hier keine Klage erheben müssen“, wirkte sich im Gegenteil rechtswahrend für die Klägerin aus.

31

aa) Auch die schwangere Arbeitnehmerin ist gehalten, den gesetzlichen Unwirksamkeitsgrund des § 9 Abs. 1 MuSchG innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG vor dem Arbeitsgericht geltend zu machen. Die fehlende Zustimmung der obersten Landesbehörde nach § 9 Abs. 3 MuSchG führt nicht zur Nichtigkeit der Kündigung, außerdem müssten auch Unwirksamkeits- und Nichtigkeitsgründe innerhalb der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht werden(vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 703/09 - Rn. 22). Die von der Klägerin verlangte Mitteilung, „an der Kündigung nicht festzuhalten“ hätte also, wäre sie erfolgt, eine Klageerhebung wegen der Frist des § 4 Satz 1 KSchG nicht überflüssig gemacht.

32

bb) Als einseitiges Rechtsgeschäft kann die zugangsbedürftige Willenserklärung der Kündigung nach dem Zugang an den Gekündigten vom Kündigenden grundsätzlich nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (BAG 29. Januar 1981 - 2 AZR 1055/78 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 35, 30; vgl. 26. November 1981 - 2 AZR 509/79 - BAGE 37, 135; 19. August 1982 - 2 AZR 230/80 - zu II 2 a der Gründe, BAGE 40, 56; Thüsing AuR 1996, 245; Fischer NZA 1999, 459; HaKo/Gallner 3. Aufl. § 4 KSchG Rn. 79). Die Gestaltungswirkung seiner Willenserklärung kann der kündigende Arbeitgeber nicht mehr allein beseitigen, eine einseitige Kündigungsrücknahme ist ihm verwehrt. Die Wirkungen einer Kündigung können nur durch eine Vereinbarung beseitigt werden, durch die der gekündigte Arbeitnehmer ein Fortsetzungsangebot des Arbeitgebers annimmt. Steht nicht endgültig fest, ob der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses annehmen will, muss er vorsorglich Kündigungsschutzklage erheben, um die Wirkung des § 7 KSchG zu vermeiden. Sogar bei einer offensichtlich rechtsunwirksamen Kündigung gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer sich nicht rechtzeitig mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung wendet und ihre Rechtsunwirksamkeit nicht rechtzeitig geltend macht.

33

cc) Sowohl dem Schreiben der Klägerin vom 22. November 2010 als auch ihrer Klageerweiterung vom 8. Februar 2011, mit der sie der Beklagten vorhält, an der Kündigung trotz positiver Kenntnis ihrer Schwangerschaft „festzuhalten“, lässt sich entnehmen, dass sie dies verstanden hatte. Auch nachdem die Beklagte, am 9. Februar 2011 gegenüber der Klägerin und in der Nachricht vom 10. Februar 2011 an das Arbeitsgericht, die „Rücknahme“ der Kündigung bestätigt hatte, blieb eine Reaktion der anwaltlich beratenen Klägerin aus. Dies setzte sich fort, nachdem die neuen Prozessbevollmächtigten der Beklagten unter dem 4. März 2011 die Rechtslage im Hinblick auf die ausgesprochene Kündigung im Grundsatz zutreffend erläuterten. Die Anwälte der Klägerin stellten weiter darauf ab, dass die Beklagte schon während des Gütetermins die Gelegenheit ausgelassen habe zu erklären, dass sie an der Kündigung nicht festhalte und verwiesen darauf, dass die Klägerin selbst keine weiteren Erklärungen abgeben müsse, da sie gegen die ungerechtfertigte Kündigung Klage erhoben habe. Dies stand der Klägerin frei. Sie kann jedoch, wenn sie zu einer außergerichtlichen Bereinigung selbst nicht beiträgt, der Beklagten keine Benachteiligung vorhalten, wenn diese ihrerseits an dem Prozessweg festhält, um den in Unkenntnis der Schwangerschaft der Klägerin geschaffenen Kündigungssachverhalt aus der Welt zu schaffen. Dies hat die Beklagte dann durch Anerkenntnis im Kammertermin vom 5. Mai 2011 getan. Indizwirkung iSd. § 22 AGG kommt ihrem Verhalten jedoch nicht zu.

34

4. In den Monaten November 2010 bis Februar 2011 hat die Beklagte zunächst Gehaltszahlungen nicht geleistet, obwohl unstreitig ab dem 22. November 2010 ein ärztliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen worden war.

35

a) Der Anspruch auf Mutterschutzlohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG besteht nur, wenn allein das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot dazu führt, dass die Schwangere mit der Arbeit aussetzt. Für die Zeit, in der die Schwangere arbeitsunfähig krank ist, ist dieser alleinige Ursachenzusammenhang nicht gegeben. Das Beschäftigungsverbot hat in diesem Fall zwar die Wirkungen der § 3 Abs. 1, §§ 21, 24 MuSchG, begründet aber keine Vergütungspflicht nach § 11 MuSchG. Insoweit verbleibt der Schwangeren dann nach § 3 Abs. 1 EFZG der auf sechs Wochen begrenzte Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die Abgrenzung, ob eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder ob ohne eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet sind, hat der behandelnde Arzt in seinem Ermessen vorzunehmen (vgl. BAG 9. Oktober 2002 - 5 AZR 443/01 - zu I 4 der Gründe, AP MuSchG 1968 § 11 Nr. 23 = EzA MuSchG § 11 nF Nr. 23).

36

Dabei kommt der schriftlichen Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 MuSchG ein hoher Beweiswert zu. Die Arbeitnehmerin genügt ihrer Darlegungslast zur Suspendierung der Arbeitspflicht und zur Begründung eines Anspruchs nach § 11 Abs. 1 MuSchG zunächst durch Vorlage dieser ärztlichen Bescheinigung über das Beschäftigungsverbot(BAG 21. März 2001 - 5 AZR 352/99 - zu II 3 der Gründe, BAGE 97, 215, 220). Der Arbeitgeber, der ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG anzweifelt, kann vom ausstellenden Arzt Auskunft über die Gründe verlangen, soweit diese nicht der Schweigepflicht unterliegen. Der Arzt hat dem Arbeitgeber sodann mitzuteilen, von welchen tatsächlichen Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmerin er bei Erteilung seines Zeugnisses ausgegangen ist und ob krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat (BAG 9. Oktober 2002 - 5 AZR 443/01 - zu I 6 der Gründe). Legt die Arbeitnehmerin trotz Aufforderung des Arbeitgebers keine entsprechende ärztliche Bescheinigung vor, ist der Beweiswert eines zunächst nicht näher begründeten ärztlichen Beschäftigungsverbotes erschüttert. Nur wenn der Arbeitgeber die tatsächlichen Gründe des Beschäftigungsverbotes kennt, kann er prüfen, ob er der Arbeitnehmerin eine andere zumutbare Arbeit zuweisen kann, die dem Beschäftigungsverbot nicht entgegensteht. Das Mutterschutzgesetz hindert den Arbeitgeber auch nicht, Umstände darzulegen, die ungeachtet der medizinischen Bewertung den Schluss zulassen, dass ein Beschäftigungsverbot auf unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen beruht (BAG 7. November 2007 - 5 AZR 883/06 - Rn. 17 mwN, AP MuSchG 1968 § 3 Nr. 21 = EzA MuSchG § 3 Nr. 10).

37

b) Erstmalig wurde die Beklagte von den Anwälten der Klägerin mit Schreiben vom 25. November 2010 davon unterrichtet, dass für die Klägerin ein Beschäftigungsverbot ausgesprochen und insoweit eine Tätigkeit ausgeschlossen ist. Eine ärztliche Bescheinigung ist dabei nicht überreicht worden, nur eine Bescheinigung des Arztes über die Schwangerschaft als solche. In der Folgezeit fand dann auf Verlangen der Beklagten eine betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin statt. Der Betriebsarzt bestätigte aus arbeitsmedizinischer Sicht sowohl die bestehende Schwangerschaft als auch das Beschäftigungsverbot, das der behandelnde Frauenarzt bereits der Krankenkasse angezeigt hatte. Mit Schriftsatz vom 4. März 2011 hat die Beklagte dann durch ihren neuen Prozessbevollmächtigten anzweifeln lassen, dass das Beschäftigungsverbot seinen Grund allein in der Schwangerschaft hat. Gleichzeitig hat sie für den Fall, dass sich ergeben sollte, dass bei der Klägerin kein krankhafter, die Arbeitsunfähigkeit begründender Befund gegeben ist, die Beachtung von § 11 MuSchG zugesagt und dabei darauf verwiesen, dass ihr das U2-Verfahren zum Ausgleich des fortzuzahlenden Entgeltes bekannt sei. Auf diesen zutreffenden Hinweis hat die Klägerin nicht oder nicht rechtskonform reagiert, indem sie auf die bloße Tatsache eines Beschäftigungsverbotes weiterhin verwies. Dies hat das Arbeitsgericht für eine Verurteilung der Beklagten ausreichen lassen, die Beklagte hat von einer Berufung insoweit abgesehen.

38

c) In Anbetracht der Rechtslage ist dem Verhalten der Beklagten auch insoweit keine Indizwirkung im Sinne eines geschlechtsdiskriminierenden Verhaltens beizumessen. Ihre gesetzliche Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG hatte die Beklagte bis 9. November 2010 in vollem Umfang, also für sechs Wochen, erfüllt. Wenn dann ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung hierüber von einem ab dem 22. November 2010 greifenden Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG unterrichtet wurde, setzte streng genommen ihre sofortige Pflicht zur Entrichtung des Arbeitsentgeltes nach § 11 Abs. 1 MuSchG noch nicht ein. Davon ist erst nach der Mitteilung des Betriebsarztes vom 22. Dezember 2010 auszugehen, nach der das Beschäftigungsverbot „nicht anzutasten“ sei. Der weitere Einwand der Beklagten vom 4. März 2011, in dem sie die Monokausalität des Beschäftigungsverbotes in der Schwangerschaft bezweifelte, ist nicht aufgeklärt worden. Der Beklagten hätte, um unzweifelhaft ihre Pflicht nach § 11 Abs. 1 MuSchG auszulösen, eine ärztliche Bescheinigung über das Beschäftigungsverbot und dass dies allein auf die Schwangerschaft zurückzuführen ist, vorgelegt werden müssen. Zwar hätte die Beklagte ihrerseits nicht ohne Weiteres eine betriebsärztliche Untersuchung der Klägerin verlangen dürfen, darauf jedoch hat sich die Klägerin eingelassen mit der Folge, dass danach zwischen den Parteien das Beschäftigungsverbot als solches unstreitig wurde. Die Pflicht zur Entgeltfortzahlung nach § 11 MuSchG ist indes rechtlich nicht endgültig geklärt worden.

39

IV. Hat die Beklagte somit weder durch die Erklärung der Kündigung, noch durch das „Festhalten“ an dieser und schließlich auch nicht beim Streit um die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes wegen des Beschäftigungsverbotes gegen Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes verstoßen, so lässt sich auch in einer Gesamtschau ihr Verhalten entgegen der mit der Revision vertretenen Auffassung nicht als Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG würdigen.

40

1. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG liegt auch dann vor, wenn von einer Belästigung iSd. § 3 Abs. 3 AGG auszugehen ist. Dabei ist die Belästigung eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 AGG genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

41

Die Würdeverletzung und ein „feindliches Umfeld“ - als Synonym für „ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld“ - müssen für die Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 3 AGG kumulativ vorliegen. Soweit vertreten wird, dass „das feindliche Umfeld“ vorrangig eine Konkretisierung des Maßstabes für den bei einer Belästigung gem. § 3 Abs. 3 AGG vorauszusetzenden Schweregrad der unerwünschten Belästigung darstelle(in diesem Sinne: ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 3 AGG Rn. 19; Meinel/Heyn/Herms AGG § 3 Rn. 36), ist dem nicht zu folgen. Zwar deutet die Begründung des Gesetzentwurfes vom 8. Juni 2006 darauf hin, dass mit dem Begriff „feindliches Umfeld“ kein zusätzliches Tatbestandsmerkmal aufgestellt werden sollte. In der BT-Drucks. heißt es: „insbesondere durch das Schaffen eines von Einschüchterungen ... gekennzeichneten Umfeldes“ (BT-Drucks. 16/1780 S. 33). Dafür, dass „die Schaffung eines feindlichen Umfeldes“ eine weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 3 Abs. 3 AGG ist, welche kumulativ vorliegen muss, spricht jedoch, dass der Gesetzgeber in § 3 Abs. 3 AGG von dem „Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung europäischer Antidiskriminierungsrichtlinien“ vom 16. Dezember 2004 abgewichen ist. In diesem, letztlich nicht Gesetz gewordenen Entwurf waren die Würdeverletzung und das feindliche Umfeld noch mit „insbesondere“ (vgl. BT-Drucks. 15/4538 S. 5) und nicht mit „und“ wie im späteren Gesetzestext, dem geltenden § 3 Abs. 3 AGG, verbunden. Im Hinblick auf diesen eindeutigen Wortlaut des § 3 Abs. 3 AGG ergibt sich die Klarstellung des Gesetzgebers, dass beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen(so auch Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 233; MüKoBGB/Thüsing 6. Aufl. § 3 AGG Rn. 56; v. Roetteken AGG Stand Oktober 2013 § 3 Rn. 367; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 66 ff.; Schiek AGG § 3 Rn. 73; Wendtland in Gaier/Wendtland AGG § 2 Rn. 92; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 45; Schaub/Linck ArbR-HdB 15. Aufl. § 36 Rn. 36). Durch die gegenüber dem Entwurf geänderte Wortwahl hat der Gesetzgeber auch der Kritik Rechnung getragen, dass der Entwurf den Begriff der Belästigung uferlos ausdehne und unnötigerweise über die Richtlinienvorgabe hinausgehe. Mit den vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen entspricht § 3 Abs. 3 AGG auch dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (BAG 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 29, AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA AGG § 3 Nr. 1).

42

Im Ergebnis ist immer eine wertende Gesamtschau aller Faktoren bei der Beurteilung, ob ein feindliches Umfeld geschaffen wurde, vorzunehmen. Diese Gesamtschau unterliegt revisionsrechtlich nur einer eingeschränkten Überprüfung. Die tatrichterliche Würdigung darf dem Berufungsgericht nicht entzogen werden. Das Revisionsgericht kann nur überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, alle wesentlichen Umstände des Einzelfalls beachtet und hinreichend gewürdigt hat und ob es in die vorzunehmende Gesamtschau die wesentlichen Umstände des Einzelfalles in nachvollziehbarer Weise miteinbezogen hat sowie ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (BAG 24. September 2009 - 8 AZR 705/08 - Rn. 33).

43

2. Nach dem unstreitigen Sachverhalt, wie ihn das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, hat die Beklagte kein „feindliches Umfeld“ im Sinne eines frauen- oder mutterschaftsfeindlichen Verhaltens geschaffen. Die Kündigung erfolgte in Unkenntnis der Schwangerschaft, war somit geschlechtsneutral. Das „Festhalten“ an der Kündigung wirkte sich in Anbetracht der Rechtsunkenntnis der Klägerin interessengerechter aus, als es eine sofortige Erklärung, man leite aus der Kündigung keine Rechte mehr her, für die notwendige Erhebung der Klage innerhalb der Frist des § 4 Satz 1 KSchG gewesen wäre. Ob die Beklagte tatsächlich nach § 11 MuSchG zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes gegenüber der Klägerin verpflichtet war, ist bzgl. der Voraussetzungen nicht aufgeklärt worden, allerdings rechtskräftig zuungunsten der Beklagten entschieden. Der Beklagten, die auf eine Berufung insoweit verzichtet hat, bei der Verfolgung von Rechtspositionen eine mutterschaftsfeindliche und frauendiskriminierende Einstellung zu unterstellen, ist ohne weitere Anhaltspunkte dafür entgegen der Rechtsauffassung der Revision nicht zulässig. Der Arbeitgeber ist gehalten, die besonderen Verpflichtungen zum Schutz der werdenden Mutter nach den Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes einzuhalten. Dies bedeutet nicht, dass er bei begründeten Zweifeln in zulässiger Weise seine Rechte nicht ausüben dürfte. Das Beschäftigungsverbot für die Klägerin ab dem 22. November 2010 schloss sich nahtlos an die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 28. September bis zum 21. November 2010 an. Dies lässt die geäußerten Zweifel der Beklagten, ob das Beschäftigungsverbot nicht auch krankheitsbedingte Ursachen haben könnte, jedenfalls nicht als frauenfeindliche und geschlechtsspezifische Belästigung einer schwangeren Arbeitnehmerin erscheinen.

44

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Hauck    

        

    Böck    

        

  Breinlinger  

        

        

        

    v. Schuckmann    

        

   F. Avenarius  

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juni 2013 - 7 Sa 1878/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin seit 1996 als Kfz-Mechaniker tätig. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

3

Am 27. Juli 2012 betrat der Kläger die Sozialräume der Beklagten, um sich umzuziehen. Er traf dort auf die ihm bislang unbekannte Mitarbeiterin eines externen Reinigungsunternehmens. Bei seinem Eintreffen lehnte diese - Frau M. - in der Tür zwischen Wasch- und Umkleideraum und unterhielt sich mit zwei Kollegen des Klägers, die sich im Waschraum befanden. Dorthin begab sich auch der Kläger. Nachdem die beiden Kollegen die Räumlichkeiten verlassen hatten, führten der Kläger - während er sich Hände und Gesicht wusch - und Frau M. ein Gespräch. In dessen Verlauf stellte diese sich zunächst vor das Waschbecken und anschließend neben den Kläger. Der Kläger sagte zu ihr, sie habe einen schönen Busen und berührte sie an einer Brust. Frau M. erklärte, dass sie dies nicht wünsche. Der Kläger ließ sofort von ihr ab. Er zog sich um und verließ den Sozialraum. Frau M. arbeitete weiter. Sie schilderte den Vorfall später ihrem Arbeitgeber, der seinerseits an die Beklagte herantrat.

4

Am 31. Juli 2012 bat die Beklagte den Kläger zu einem Gespräch. Er gestand den Vorfall ein und erklärte, er habe sich eine Sekunde lang vergessen. „Die Sache“ tue ihm furchtbar leid. Er schäme sich, so etwas werde sich nicht wiederholen.

5

Mit Schreiben vom 31. Juli 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit sofortiger Wirkung.

6

In der Folge richtete der Kläger ein Entschuldigungsschreiben an Frau M. Er führte mit ihr unter Zahlung eines Schmerzensgelds einen Täter-Opfer-Ausgleich herbei. Frau M. nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt. Sie habe kein Interesse mehr an einer Strafverfolgung. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

7

Der Kläger hat fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe - subjektiv unstreitig - den Eindruck gehabt, Frau M. habe mit ihm geflirtet. Dann sei es zu einem plötzlichen „Blackout“ gekommen und er habe sich zu dem im Rückblick unverständlichen Übergriff hinreißen lassen. So unentschuldbar sein Fehlverhalten sei, so rechtfertige es doch keine außerordentliche Kündigung. Es habe sich um einen einmaligen „Ausrutscher“ gehandelt. Eine Abmahnung sei als Reaktion der Beklagten ausreichend gewesen.

8

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 31. Juli 2012 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Bemerkung und die anschließende Berührung zwei eigenständige sexuelle Belästigungen begangen. Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzungen sei die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Sie - die Beklagte - sei verpflichtet, sowohl ihr eigenes als auch das weibliche Personal des externen Unternehmens vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dessen Entschuldigungen seien lediglich unter dem Druck der ausgesprochenen Kündigung erfolgt.

10

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision ist unbegründet.

12

A. Die außerordentliche Kündigung vom 31. Juli 2012 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

13

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. April 2014 - 2 AZR 684/13 - Rn. 39; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BAGE 146, 203).

14

II. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht einen „an sich“ wichtigen Grund angenommen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten in erheblicher Weise verletzt. Er hat Frau M. sexuell belästigt.

15

1. Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 16 mwN).

16

2. Der Kläger hat Frau M. sowohl verbal als auch körperlich sexuell belästigt.

17

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 18 mwN).

18

b) Bei der Aussage, Frau M. habe einen schönen Busen, handelte es sich nicht um ein sozialadäquates Kompliment, sondern um eine unangemessene Bemerkung sexuellen Inhalts. Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen indes - entgegen der Ansicht der Revision - nicht die Annahme, der Kläger habe zum Ausdruck bringen wollen, Frau M. stelle in anzüglicher Weise ihre Reize zur Schau oder solle dies für ihn tun (zu einem solchen Fall vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 21). In der anschließenden Berührung lag ein sexuell bestimmter Eingriff in die körperliche Intimsphäre von Frau M. Sowohl die Bemerkung als auch die folgende Berührung waren objektiv unerwünscht. Dies war für den Kläger erkennbar (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 22). Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten zunächst eingeschätzt und empfunden haben mag und verstanden wissen wollte (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 24). Mit seinen erkennbar unerwünschten Handlungen hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde von Frau M. verletzt und sie zum Sexualobjekt erniedrigt.

19

III. Obschon der Kläger Frau M. sexuell belästigt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, ihn weiter zu beschäftigen. Nach den Umständen des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht.

20

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen.

21

a) Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 15 mwN).

22

b) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(BAG 23. Oktober 2014 - 2 AZR 865/13 - Rn. 47; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 16).

23

c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird zudem durch § 12 Abs. 3 AGG konkretisiert. Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen - wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung - zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen allerdings insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet iSd. Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 28 mwN).

24

d) Dem Berufungsgericht kommt bei der Prüfung und Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Seine Würdigung wird in der Revisionsinstanz lediglich daraufhin überprüft, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 42 mwN).

25

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Abwägung fehlerfrei vorgenommen. Es hat die Kündigung als unverhältnismäßig angesehen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vorrangig abzumahnen. Diese Würdigung liegt innerhalb des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums. Es liegen keine Umstände vor, die zu der Annahme berechtigten, selbst nach einer Abmahnung sei von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Die in Rede stehende Pflichtverletzung des Klägers wiegt auch nicht so schwer, dass eine Abmahnung aus diesem Grund entbehrlich gewesen wäre.

26

a) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass eine Abmahnung nicht deshalb verzichtbar war, weil bereits ex ante erkennbar gewesen wäre, dass eine Verhaltensänderung auch nach Abmahnung in Zukunft nicht zu erwarten stand.

27

aa) Es ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unfähig sei, sein Verhalten zu ändern. Mit dem Hinweis auf einen unerklärlichen „Blackout“ wollte er ausdrücken, dass es sich bei seiner Handlungsweise um ein ihm wesensfremdes, einmaliges „Augenblicksversagen“ gehandelt habe. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger sich noch einmal irrtümlich einbilden könnte, „angeflirtet“ zu werden, und auf eine solche Annahme erneut in vergleichbarer Weise reagieren müsste. Ersichtlich war er imstande, seine Fehleinschätzung sofort zu erkennen und entsprechend dieser Einsicht zu handeln, nämlich augenblicklich von Frau M. abzulassen.

28

bb) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger auch nicht unwillig sei, sein Verhalten zu ändern.

29

(1) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landesarbeitsgericht durchaus erkannt, dass es sich um eine mehraktige sexuelle Belästigung von sich steigernder Intensität gehandelt hat. Es ist allerdings angesichts des unstreitigen Geschehensablaufs von einer natürlichen Handlungseinheit ausgegangen und hat dem Kläger zugutegehalten, dass er sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt und dieses nach Erkennen seiner Fehleinschätzung sofort beendet habe. Daraus hat es den Schluss gezogen, der Kläger werde in dieser Weise künftig nicht mehr vorgehen und genauer zwischen eigenen Beobachtungen und subjektiven Schlussfolgerungen unterscheiden (vgl. dazu BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 43). Dies ist ohne Einschränkung vertretbar. Der Kläger hat nicht etwa notorisch Grenzen überschritten. Sein Verhalten ist nicht zu vergleichen mit dem des Klägers in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juni 2011 (- 2 AZR 323/10 -). Dieser war bereits einschlägig abgemahnt und hatte einer Mitarbeiterin gleichwohl über mehrere Tage in immer neuen Varianten bei unterschiedlichsten Gelegenheiten trotz von ihm erkannter ablehnender Haltung zugesetzt und damit für diese ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten rechnen musste.

30

(2) Das Landesarbeitsgericht hat sich aufgrund der gesamten Umstände des Streitfalls die Überzeugung iSv. § 286 Abs. 1 ZPO gebildet, bereits durch eine Abmahnung werde eine Wiederholung iSv. § 12 Abs. 3 AGG „ausgeschlossen“. Es hat diese Überzeugung darauf gestützt, dass es sich um den ersten Vorfall nach langjähriger, beanstandungsfreier Beschäftigung gehandelt und der Kläger in dem Gespräch am 31. Juli 2012 sein Fehlverhalten ohne Zögern eingeräumt habe, obwohl er es aufgrund der „Vier-Augen-Situation“ im Waschraum möglicherweise erfolgreich hätte abstreiten können. Aus seiner Erklärung im Personalgespräch mit der Beklagten, der Vorfall tue ihm furchtbar leid und er schäme sich dafür, hat es den Schluss gezogen, dass der Kläger über sein Verhalten ehrlich erschrocken gewesen sei. In diese Richtung wiesen auch das Entschuldigungsschreiben und die Herbeiführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds.

31

(3) Die Revision setzt dieser vertretbaren Würdigung nur ihre eigene Bewertung entgegen. Rechtsfehler zeigt sie nicht auf. Ein solcher liegt nicht darin, dass das Landesarbeitsgericht entschuldigendes Verhalten berücksichtigt hat, das der Kläger erst auf Vorhalt der Beklagten und unter dem Eindruck einer - drohenden - Kündigung und eines - drohenden - Strafverfahrens gezeigt hat. Zwar wirkt sich „Nachtatverhalten“ vor Zugang der Kündigung unter diesen Umständen nur schwach entlastend aus (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 39). Jedoch kann es zumindest dann die Annahme fehlender Wiederholungsgefahr stützen, wenn es sich um die Fortsetzung einer zuvor gezeigten Einsicht handelt (zur Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände vgl. allgemein BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 53, BAGE 134, 349). Das Landesarbeitsgericht durfte aufgrund seines Verhaltens nach der Zurückweisung durch Frau M. davon ausgehen, dass der Kläger noch vor dem Gespräch mit der Beklagten sein Fehlverhalten und dessen Schwere erkannt und - auch ausweislich seiner späteren Bemühungen - seine „Lektion“ schon von sich aus so weit gelernt hatte, dass eine Abmahnung ihr Übriges zum Ausschluss einer Wiederholungsgefahr getan hätte.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat nicht ausdrücklich geprüft, ob es einer Abmahnung deshalb nicht bedurfte, weil es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelte, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war. In der Sache hat es diese Prüfung bei der abschließenden Interessenabwägung vorgenommen. Eine eigene Beurteilung durch das Revisionsgericht ist insoweit möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und - wie hier - alle relevanten Tatsachen feststehen (BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 31 mwN).

33

aa) Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angeführt, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt und der Kläger keinen Belästigungswillen gehabt habe. Er habe sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt (vgl. dazu BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 38).

34

bb) Entgegen der Annahme der Revision hat das Landesarbeitsgericht den Irrtum des Klägers nicht für unverschuldet erachtet oder gar Frau M. für diesen verantwortlich gemacht. Es hat weder den Gesprächsinhalt als verfänglich eingestuft, noch Frau M. die räumliche Annäherung vorgeworfen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass sie ihrerseits die Privatsphäre des Klägers tangiert oder ein „Umschlagen“ der Situation provoziert habe. Das Landesarbeitsgericht durfte indes auch eine vermeidbare Fehleinschätzung zugunsten des Klägers berücksichtigen (vgl. BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 44; 14. Februar 1996 - 2 AZR 274/95 - zu II 4 der Gründe).

35

c) Da eine Abmahnung schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich war, kommt es nicht mehr darauf an, dass das Landesarbeitsgericht auch die weitere Interessenabwägung angesichts des Irrtums über die Unerwünschtheit seines Verhaltens, der langen, beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, des Einräumens der Pflichtverletzung trotz des Fehlens von Zeugen, der Entschuldigung und der Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleichs unter Zahlung eines Schmerzensgelds rechtsfehlerfrei zugunsten des Klägers vorgenommen hat. Das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegt nicht etwa aufgrund einer Drucksituation (vgl. dazu ErfK/Müller-Glöge 14. Aufl. § 626 BGB Rn. 185; ErfK/Oetker 14. Aufl. § 1 KSchG Rn. 142 ff.; Deinert RdA 2007, 275, 278). Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitgeber von Frau M. als Auftragnehmer der Beklagten von dieser eine bestimmte Reaktion gegenüber dem Kläger gefordert hätte.

36

B. Eine Umdeutung (§ 140 BGB) in eine ordentliche Kündigung kommt nicht in Betracht. Eine solche wäre durch das Verhalten des Klägers nicht iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen (vgl. BAG 25. Oktober 2012 - 2 AZR 495/11 - Rn. 38).

37

C. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Grimberg    

                 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Oktober 2009 - 11 Sa 511/09 - aufgehoben.

2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 5. Februar 2009 - 1 Ca 1247/08 - wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Die Belegschaft hat einen Betriebsrat gewählt.

3

Der im Jahr 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1976, zuletzt als Einkäufer und Produktmanager bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 6.558,10 Euro.

4

Am 18. Oktober 2007 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung. Sie warf ihm vor, eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf das Gesäß belästigt zu haben.

5

Am 25. und 26. Juni 2008 war der Kläger in einem Betrieb der Beklagten in K eingesetzt. Gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin der Beklagten machte er an diesen Tagen bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts. Die Mitarbeiterin meldete die Vorfälle der Beklagten. Diese hörte den Kläger am 4. Juli 2008 zu den Vorwürfen an.

6

Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 leitete die Beklagte das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats ein. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit Schreiben vom 10. Juli 2008 zu.

7

Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28. Februar 2009.

8

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Die Beklagte habe allenfalls mit einer Abmahnung reagieren dürfen. Die ihm zuvor erteilte Abmahnung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat tendenziös informiert. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe sie in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn sie zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen - unstreitig - schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.

9

Der Kläger hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgerechte Kündigung vom 11. Juli 2008 beendet worden ist.

10

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Verhalten des Klägers stelle eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar. Darauf habe sie mit Blick auf die zuvor erteilte einschlägige Abmahnung von Oktober 2007 mit einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reagieren dürfen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung (I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt(II.). Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam (III.). Die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt damit ebenfalls ohne Erfolg (IV.).

13

I. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

14

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 220).

15

2. Das Verhalten des Klägers rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Er hat eine Mitarbeiterin sexuell belästigt.

16

a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - aaO mwN).

17

b) Der Kläger hat mit den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Äußerungen am 25. und 26. Juni 2008 eine Mitarbeiterin der Beklagten an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt. Gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, bei den Bemerkungen des Klägers habe es sich um sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehandelt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

18

aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 60; Kamanabrou RdA 2006, 321, 326; Kock MDR 2006, 1088, 1089; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 375; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77).

19

Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht (Nollert-Borasio/Perreng AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 39). Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (v. Roetteken AGG § 3 Rn. 352, 383). Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 14). Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) ist der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 (ABl. EG L 39 vom 14. Februar 1976 S. 40) idF der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) weiter gefasst (vgl. Entwurfsbegründung BR-Drucks. 329/06 S. 34; BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Nollert-Borasio/Perreng aaO Rn. 36; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; v. Roetteken aaO Rn. 375). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6) - nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO Rn. 12; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 157; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert aaO Rn. 77a). Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 41).

20

bb) Danach lässt die Bewertung der Bemerkungen des Klägers als sexuelle Belästigungen durch das Landesarbeitsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.

21

(1) Alle vier Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt. Mit der ersten Bemerkung gab der Kläger in anzüglicher Weise der Erwartung Ausdruck, die Mitarbeiterin würde für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau stellen. In Bezug auf den Zollstock stellte er einen anzüglichen Vergleich an. Beim Mittagessen sprach er die Mitarbeiterin auf ihr Sexualleben an. Schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot.

22

(2) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Unerwünschtheit dieser Bemerkungen objektiv und im Übrigen auch für den Kläger erkennbar gewesen sei. Das hat dieser nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen.

23

(3) Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers rechnen musste.

24

(4) Der Kläger hat die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin iSv. § 3 Abs. 4 AGG „bewirkt“. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.

25

3. Die außerordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.

26

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).

27

aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können berücksichtigt werden (BAG 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO).

28

bb) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 AGG(vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 593/06 - Rn. 68, BAGE 124, 295; noch zu § 4 Abs. 1 BSchG: BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = BGB 2002 § 626 Nr. 6). Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 12 Rn. 32; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 12 AGG Rn. 3).

29

b) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73). Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).

30

c) Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene einzelfallbezogene Interessenabwägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, trotz der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 rechtfertige das Fehlverhalten des Klägers keine negative Prognose, ist rechtsfehlerhaft.

31

aa) Die anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden muss, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen ( BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 40, aaO). Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, aaO; 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - zu B I 2 b bb der Gründe, EzA BGB § 123 Nr. 36). Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (HaKo-Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 233; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 281).

32

bb) Nach diesen Grundsätzen bestand zwischen der der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden Pflichtverstößen ein ausreichender innerer Zusammenhang.

33

(1) Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden. Die Bewertung dieses Verhaltens als sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem Schlag auf das Gesäß handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der objektiv als sexuell bestimmt iSv. § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist(vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 55; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 378; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 153; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77a; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 45). Auf die Motivation des Klägers kam es nicht an.

34

(2) Mit den zur Kündigung führenden verbalen sexuellen Belästigungen trat eine der körperlichen Belästigung gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung des Klägers zu Tage. Es geht in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten. Unerheblich ist, in welcher Form sich die Belästigungen äußerten.

35

(3) Die Warnfunktion der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 war nicht etwa auf körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Die Beklagte hatte zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung erklären werde. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.

36

d) Im Hinblick darauf war der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Eine solche Abwägung durch den Senat selbst ist möglich, weil die des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft ist und alle relevanten Tatsachen feststehen.

37

aa) Die Pflichtverletzung des Klägers wiegt schwer. Er hat eine Mitarbeiterin an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Verbale Belästigungen bewegen sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht generell in einem „weniger gravierenden Bereich“ des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums. Auch die Intensität verbaler Belästigungen kann vielmehr erheblich sein. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat der Mitarbeiterin mit immer neuen Varianten verbaler Anzüglichkeiten zugesetzt. Die Äußerungen fielen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten. Es handelte sich nicht etwa um eine einmalige „Entgleisung“. Die Belästigungen erfolgten fortgesetzt und hartnäckig. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich hatte zudem, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter.

38

bb) Der Kläger kann sich nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweise berufen. Sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar wird es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn er sich nachvollziehbar in einem solchen Irrtum befand. Der Kläger setzte aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Belästigungen trotz einer für ihn erkennbar ablehnenden Haltung der Mitarbeiterin fort.

39

cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein der Beklagten zumutbares milderes Mittel. Nachdem sich der Kläger die vorhergegangene Abmahnung nicht zur Warnung hatte gereichen lassen, war davon auszugehen, dass dieses Mittel zukünftige Pflichtverletzungen nicht würde verhindern können. Schon aufgrund der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 musste der Kläger für den Fall der erneuten sexuellen Belästigung mit einer Kündigung rechnen. Auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit war angesichts dessen nicht mehr geeignet, Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen. Der Umstand, dass sich der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger hatte sich dazu erst nach dem Personalgespräch am 4. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung entschlossen.

40

dd) Der Beklagten war auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Die Beklagte hatte gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 AGG die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats hätte vielmehr die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger - möglicherweise gerade verstärkt durch das absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses - fortbestanden. Dessen erst nach dem Personalgespräch erfolgter Entschuldigung kommt auch insoweit kein besonderes Gewicht zu. Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit und des relativ hohen Alters des Klägers überwog damit das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Interesse an einer Fortsetzung zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist.

41

II. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.

42

1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).

43

2. Danach hat die Beklagte die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Frist begann am 4. Juli 2008 zu laufen. Nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vorbringen hatte die Beklagte an diesem Tag erstmals Kenntnis von den Vorwürfen erlangt. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist dem Kläger nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten noch an diesem Tag zugegangen.

44

III. Die außerordentliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.

45

1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - aaO).

46

2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 7. Juli 2008 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des belästigenden Verhaltens des Klägers am 25. und 26. Juni 2008 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüberhinaus hat sie den Betriebsrat an „die einschlägige Abmahnung vom 18. Oktober 2007 und an die anderen einschlägigen Hinweise und Abmahnungen aus den letzten Jahren (…) erinnert“. Aus ihrer Sicht enthielt dies auch angesichts des Umstands, dass die früheren Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers bereits entfernt waren, keine unrichtige Information.

47

3. Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b bb der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89). So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2008, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden, der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.

48

IV. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 11. Juli 2008 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2009 schon deshalb ohne Erfolg.

49

V. Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Koch    

        

    Rachor    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Dr. Roeckl    

                 

(1) Bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ist der Arbeitgeber verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Dies gilt nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

(3) Der Arbeitgeber ist bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt.

(4) Ein Anspruch nach Absatz 1 oder 2 muss innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, es sei denn, die Tarifvertragsparteien haben etwas anderes vereinbart. Die Frist beginnt im Falle einer Bewerbung oder eines beruflichen Aufstiegs mit dem Zugang der Ablehnung und in den sonstigen Fällen einer Benachteiligung zu dem Zeitpunkt, in dem der oder die Beschäftigte von der Benachteiligung Kenntnis erlangt.

(5) Im Übrigen bleiben Ansprüche gegen den Arbeitgeber, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, unberührt.

(6) Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 begründet keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg, es sei denn, ein solcher ergibt sich aus einem anderen Rechtsgrund.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

(1) Durch die Erhebung der Klage wird die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet.

(2) Die Rechtshängigkeit eines erst im Laufe des Prozesses erhobenen Anspruchs tritt mit dem Zeitpunkt ein, in dem der Anspruch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht oder ein den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 entsprechender Schriftsatz zugestellt wird.

(3) Die Rechtshängigkeit hat folgende Wirkungen:

1.
während der Dauer der Rechtshängigkeit kann die Streitsache von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden;
2.
die Zuständigkeit des Prozessgerichts wird durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt.

(1) Die Anträge sind aus den vorbereitenden Schriftsätzen zu verlesen. Soweit sie darin nicht enthalten sind, müssen sie aus einer dem Protokoll als Anlage beizufügenden Schrift verlesen werden. Der Vorsitzende kann auch gestatten, dass die Anträge zu Protokoll erklärt werden.

(2) Die Verlesung kann dadurch ersetzt werden, dass die Parteien auf die Schriftsätze Bezug nehmen, die die Anträge enthalten.

2
Das Berufungsgericht hat die Berufung über den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag auf Zahlung von 10.000 € zurückgewiesen, so dass der Kläger insoweit nach dem Grundsatz der formellen Beschwer (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2009 - IX ZB 152/08, NJW-RR 2009, 853 Rn. 6) mit 10.000 € beschwert ist. Der erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, das beklagte Land zur Zahlung von 22.000 € zu verurteilen, war unzulässig, weil Sachanträge, wie sich aus dem Zusammenhang der Bestimmungen des § 256 Abs. 2, des § 261 Abs. 2 und des § 297 ZPO ergibt, spätestens in der mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2009 - IX ZB 152/08, aaO Rn. 8; vom 9. Juli 1997 - IV ZB 11/97, NJW-RR 1997, 1486). Das Berufungsgericht hat allerdings den erweiterten Klageantrag nicht als unzulässig abgewiesen, was der Bundesgerichtshof für den Fall einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung erhobenen unzulässigen Widerklage für möglich erachtet hat (vgl. Beschluss vom 12. Mai 1992 - XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085; vgl. hierzu auch Urteil vom 19. April 2000 - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512, 2513), sondern sich einer Entscheidung über diesen Antrag - auch in den Gründen - überhaupt enthalten. Es hat insoweit lediglich mit näherer Begründung hervorgehoben, dass das Vorbringen des Klägers eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht gebiete.
8
a) Gemäß § 296a ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Da die Vorschrift lediglich Angriffsmittel, aber nicht den Angriff und damit die Klage selbst betrifft, werden zwar neue Sachanträge von ihrem Regelungsbereich nicht erfasst (vgl. nur Musielak/Huber aaO § 296a Rn. 3). Wie sich jedoch aus § 256 Abs. 2, § 261 Abs. 2, § 297 ZPO ergibt, ist die Erhebung einer neuen Klageforderung oder einer Klageerweiterung durch einen nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz unzulässig, weil Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden müssen (BGH, Urt. v. 2. Juni 1966 - VII ZR 41/64, WM 1966, 863, 864; Beschl. v. 9. Juli 1997 - IV ZB 11/97, NJW-RR 1997, 1486; Musielak/Huber, aaO; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 22. Aufl. § 296a Rn. 26; Zöller/Greger, ZPO 27. Aufl. § 296a Rn. 2a; HK-ZPO/Saenger, 2. Aufl. § 296a Rn. 3; Frank O. Fischer NJW 1994, 1315, 1316; vgl. zur Unzulässigkeit einer nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Widerklage: BGH, Beschl. v. 12. Mai 1992 – XI ZR 251/91, NJW-RR 1992, 1085; Urt. v. 19. April 2000 - XII ZR 334/97, NJW 2000, 2512, 2513).

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

(1) Das Urlaubsentgelt bemißt sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Bei Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur, die während des Berechnungszeitraums oder des Urlaubs eintreten, ist von dem erhöhten Verdienst auszugehen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des Urlaubsentgelts außer Betracht. Zum Arbeitsentgelt gehörende Sachbezüge, die während des Urlaubs nicht weitergewährt werden, sind für die Dauer des Urlaubs angemessen in bar abzugelten.

(2) Das Urlaubsentgelt ist vor Antritt des Urlaubs auszuzahlen.

(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, daß ihrer Berücksichtigung dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. Der Urlaub ist zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer dies im Anschluß an eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation verlangt.

(2) Der Urlaub ist zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, daß dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Kann der Urlaub aus diesen Gründen nicht zusammenhängend gewährt werden, und hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaub von mehr als zwölf Werktagen, so muß einer der Urlaubsteile mindestens zwölf aufeinanderfolgende Werktage umfassen.

(3) Der Urlaub muß im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muß der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden. Auf Verlangen des Arbeitnehmers ist ein nach § 5 Abs. 1 Buchstabe a entstehender Teilurlaub jedoch auf das nächste Kalenderjahr zu übertragen.

(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet.

(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

(1) Für das Verfahren vor den Amtsgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren vor den Landgerichten, soweit nicht aus den allgemeinen Vorschriften des Buches 1, aus den nachfolgenden besonderen Bestimmungen und aus der Verfassung der Amtsgerichte sich Abweichungen ergeben.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.

(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.

(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.

(1) Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, einer Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die anstelle einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen sowie in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ist im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Höhe des Jahresbetrags nicht nach dem Antrag des Klägers bestimmt oder nach diesem Antrag mit vertretbarem Aufwand bestimmbar, ist der Streitwert nach § 52 Absatz 1 und 2 zu bestimmen.

(2) Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. Bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen ist der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.

(3) Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet; dies gilt nicht in Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen. Der Einreichung der Klage steht die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleich, wenn die Klage alsbald nach Mitteilung der Entscheidung über den Antrag oder über eine alsbald eingelegte Beschwerde eingereicht wird.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.