Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 25. Apr. 2017 - 12 S 2216/14

bei uns veröffentlicht am25.04.2017

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. September 2014 - 3 K 1117/14 - wird geändert. Verfügungen Nrn. 1, 3 und 5 im Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 7. März 2014 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Der am ... Mai 1981 in Damaskus geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Seine Kindheit verbrachte er in Syrien und Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate). Der Kläger reiste im Oktober 1999 ins Bundesgebiet ein und absolvierte nach einem Studienkolleg (von 2000 bis 2002) zwischen 2003 und 2007 ein Bauingenieurstudium an der Fachhochschule in K... Seit dem Jahr 2008 arbeitet er in K... als angestellter Bauingenieur.
Der Kläger ist seit dem 19. April 2008 mit der am 12. März 1980 in K...-nn/Litauen geborenen und am 10. Dezember 2007 eingebürgerten deutschen Staatsangehörigen K... M...-W..., geb. A..., verheiratet. Aus dieser Ehe sind die am ... Juni 2010, am ... März 2013 und am ... Dezember 2015 geborenen Kinder I..., S... und A... hervorgegangen. Dem Kläger war zunächst eine Aufenthaltsbewilligung (§ 28 AuslG 1990), später eine Aufenthaltserlaubnis nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 AufenthG zum Zwecke des Studiums und sodann eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 AufenthG zum Ehegattennachzug zu einer Deutschen erteilt und jeweils verlängert worden. Seit dem 24. Juni 2009 war der Kläger im Besitz einer Niederlassungserlaubnis.
Am 21. April 2010 beantragte der Kläger bei der Beklagten seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband und gab in dem Antragsformular seine am 19. April 2008 geschlossene Ehe mit Frau M...-W... an. Zudem gab der Kläger eine Bekenntnis- und Loyalitätserklärung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ab, unterschrieb eine Erklärung zur Bedeutung der Ehe mit Frau M...-W... für die Einbürgerung und erklärte anlässlich der Abgabe des feierlichen Bekenntnisses, das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten zu wollen. Alle Erklärungen enthielten den Hinweis, dass falsche bzw. unrichtige oder unvollständige Angaben zur Rücknahme der Einbürgerung führen können.
Am 21. Oktober 2010 wurde der Kläger unter Belassung seiner syrischen Staatsangehörigkeit eingebürgert.
Am 11. September 2012 erhielt die Beklagte davon Kenntnis, dass der Kläger bereits am 9. Juni 2008 in Syrien eine weitere Ehe mit der am 1. September 1983 in Damaskus geborenen syrischen Staatsangehörigen R... M... eingegangen war. Angaben zu dieser Ehe hatte er zuvor im Einbürgerungsverfahren nicht gemacht. Am 11. Juni 2012 erkannte der Kläger gem. § 1592 ff. BGB, Art. 19 EGBGB, §§ 27 und 44 PStG die Vaterschaft hinsichtlich des am 1. Januar 2012 in Damaskus/Syrien geborenen Kindes der R... M..., H... M..., an. Dieses Kind wohnt seit Herbst 2013 im Haushalt des Klägers und seiner deutschen Ehefrau. Frau M... lebte einige Zeit als aus Syrien geflüchtete Frau in Istanbul und - bei den Eltern des Klägers - in Abu Dhabi. In den Jahren 2015 und 2016 lebte sie in Schweden. Seit April 2017 ist sie - mit eigenem Haushalt - in Karlsruhe wohnhaft. Ihre Tochter H... sieht sie täglich, namentlich bringt sie sie zum Kindergarten und holt sie dort wieder ab.
Nach im Mai 2013 erfolgter Anhörung nahm die Beklagte mit Verfügung vom 11. Dezember 2013 die Einbürgerung des Klägers mit Wirkung vom 21. Oktober 2010 - dem Tag der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde - zurück (Verfügung Nr. 1) und stellte fest, dass durch den rückwirkenden Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Voraussetzungen für die deutsche Staatsangehörigkeit des am 1. Januar 2012 geborenen Kindes H... M... entfallen seien, das ebenfalls seine deutsche Staatsangehörigkeit verliere (Verfügung Nr. 2). In Verfügung Nr. 3 des angefochtenen Bescheids forderte die Beklagte den Kläger zur Rückgabe der am 21. Oktober 2010 ausgehändigten Einbürgerungsurkunde und der ihm ausgestellten Ausweisdokumente (Personalausweis und Reisepass) sowie zur Rückgabe des Kinderreisepasses des Kindes H... M... innerhalb von 14 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheides auf. Ferner kündigte die Beklagte für den Fall der nicht fristgerechten Rückgabe der Dokumente die Ergreifung von Maßnahmen zur Erzwingung der Ablieferung nach dem Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz an (Verfügung Nr. 4) und setzte schließlich in Verfügung Nr. 5 des Bescheids eine Verwaltungsgebühr von 200,-- EUR fest. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, die Einbürgerung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Sie hätte auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 StAG nur erfolgen dürfen, wenn gewährleistet sei, dass sich der Kläger in die deutschen Lebensverhältnisse einordne. Diese seien maßgeblich geprägt durch das hier herrschende und das Institut der Ehe im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GG bestimmende Prinzip der Einehe. Die Einbürgerung setze die freiwillige und dauernde Hinwendung zu Deutschland voraus, die aus der nach dem bisherigen Gesamtverhalten zu beurteilenden grundsätzlichen Einstellung des Einbürgerungsbewerbers zum deutschen Kulturkreis zu schließen sei. Die Zweitheirat des Klägers in Syrien wenige Tage nach der Eheschließung in Deutschland zeige, dass der Kläger in die deutschen Lebensverhältnisses noch nicht hinreichend integriert gewesen, sondern noch in der Gedankenwelt seiner ursprünglichen Heimat verhaftet sei. Die Mehrehe werde vom Kläger auch praktiziert. Denn in der Zweitehe sei am 1. Januar 2012 das Kind H... geboren worden, in der Erstehe am 12. März 2013 das Kind S... Es sei dem Kläger auch wichtig, dass seine Zweitfrau möglichst bald in die mit der Erstfrau bestehende Wohnung nachziehe. Er habe die deutsche Botschaft gedrängt, den als Ehegattennachzug begründeten Antrag zu gestatten. Die praktizierte Mehrehe widerspreche den Grundpfeilern der deutschen Lebensverhältnisse und sei mit den Grundzügen des Grundgesetzes nicht vereinbar. Sowohl die notwendige Identifikation mit den hiesigen Lebensverhältnissen als auch die wirtschaftliche Situation des Einbürgerungsbewerbers seien zentrale Voraussetzungen für die Einbürgerung und damit ein für die Einbürgerung des Klägers wesentlicher Umstand im Sinne des § 35 StAG gewesen. Die Angaben des Klägers in seinem Antrag, das Verschweigen der Tatsache der Zweitehe auch im weiteren Verlauf und die entsprechenden Erklärungen des Klägers unmittelbar vor Aushändigung der Einbürgerungsurkunde seien als arglistige Täuschung und als vorsätzliche unrichtige oder unvollständige Angaben im Sinne des § 35 StAG zu werten. Denn im Antragsformular habe sich der Kläger verpflichtet, Änderungen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse mitzuteilen. Aus dem Verwaltungsverfahren sei dem Kläger auch bekannt gewesen, dass es auf die Eheverhältnisse ankomme und sich eine zweite Familie auch auf die wirtschaftliche Lage auswirke, wobei die finanzielle Situation ebenfalls zu den grundlegenden Fragen für die Einbürgerung gehöre. Durch die Rücknahme werde der Kläger nicht staatenlos. Auch erfolge die Rücknahme innerhalb von fünf Jahren seit der Einbürgerung und erfülle die übrigen Voraussetzungen des § 35 StAG. Eine Einbürgerung nach anderen gesetzlichen Grundlagen wäre nicht möglich gewesen. Eine Abwägung der öffentlichen und privaten Belange ergebe hier im Rahmen der Ermessensbetätigung, dass die Einbürgerung zurückgenommen werde. Etwaiges Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Einbürgerung sei nicht schutzwürdig. Auch führe der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit weder zum Verlust des Arbeitsplatzes noch zu einer Beendigung des Aufenthaltsrechts. Durch den rückwirkenden Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit beim Kläger entfalle auch die deutsche Staatsangehörigkeit des Kindes H... Dieses Kind sei erst ein Jahr alt und teile deshalb das staatsangehörigkeitsrechtliche Schicksal des Elternteils, von dem es seine deutsche Staatsangehörigkeit ableite. Dieser Umstand führe im Rahmen der anzustellenden Ermessenserwägungen zu keinem anderen Ergebnis. Argumente der Familienzusammenführung würden im Rahmen des Aufenthaltsrechts ausreichend berücksichtigt. Nach § 52 LVwVfG könne die Rückgabe von Urkunden oder Sachen gefordert werden, die zum Nachweis der Rechte aus der Einbürgerung oder zu deren Ausübung bestimmt seien. Um sicherzustellen, dass durch die Vorlage dieser Urkunden keine deutsche Staatsangehörigkeit vorgetäuscht werde, seien sie einzuziehen.
Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies das Regierungspräsidium Karlsruhe mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2014, zugestellt am 17. März 2014, zurück. Neben einer Wiederholung und Vertiefung der bereits von der Beklagten vorgebrachten Gründe führte das Regierungspräsidium weiter aus, der Kläger erfülle auch aktuell nicht die Voraussetzungen eines Einbürgerungsanspruchs. Zwar seien mittlerweile die zeitlichen Voraussetzungen des § 10 StAG geben, nachdem seit 2005 ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt vorliege, jedoch sei bereits fraglich, ob die weiteren, insbesondere wirtschaftlichen Einbürgerungsvoraussetzungen vorlägen. Die Einbürgerung scheitere aber zwingend daran, dass der Kläger angesichts der tatsächlichen Situation kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG und kein feierliches Bekenntnis nach § 16 StAG abgeben könne. Er sei nicht nur formal mit zwei Frauen verheiratet, sondern beabsichtige auch weiterhin, die Ehe mit beiden Frauen zu führen und betreibe den Familiennachzug seiner Zweitehefrau.
Am 14. April 2014 hat der Kläger bei dem Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit welcher er die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt hat. Er hat vorgetragen: Seine Ehe mit R... M... sei in Deutschland grundsätzlich zivilrechtlich wirksam. Diese Zweitehe entspreche syrischem Recht. Eine Strafbarkeit wegen der Doppelehe sei nicht gegeben. Die Angabe bzw. Nichtangabe der Zweitehe sei nicht „wesentlich" im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG gewesen. Eine zwei Jahre vor der Einbürgerung nach syrischem Recht eingegangene Ehe sei nicht geeignet, zum Zeitpunkt der Einbürgerung Zweifel an seinem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung aufkommen zu lassen, zumal die Begriffe „Ehe" und „Partnerschaft" einem steten gesellschaftlichen wie rechtlichen Wandel unterlägen. Gerade aktuell sei hier so manches im Fluss; die Neuerung durch das Lebenspartnerschaftsgesetz sei z.B. noch vor nicht allzu langer Zeit als Verstoß gegen die Institutsgarantie des Art. 6 GG betrachtet worden. Daher sei fraglich, ob die durch Art. 6 GG geschützte Einehe überhaupt noch wesentlicher Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sei. Der Einbürgerungsantrag hätte demnach auch in Kenntnis der Zweitehe nicht abgelehnt werden dürfen. Es werde auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 8. Mai 2013 (4 K 1419/11) verwiesen. Aufgrund dessen sei ein iranischer Staatsangehörige trotz Zweitehe letztlich eingebürgert worden. Es könne nicht Aufgabe staatlichen Handelns sein, ihn zur Scheidung einer seiner beiden zivilrechtlich wirksamen Ehen zu veranlassen. Die Rücknahmeentscheidung sei auch nicht in der erforderlichen Weise zeitnah zur Einbürgerung erfolgt. Der Begriff „zeitnah" beziehe sich auf den von der Einbürgerung bis zu ihrer Rücknahme verstrichenen Zeitraum. Er sei am 21. Oktober 2010 eingebürgert worden; die Rücknahme datiere auf den 11. Dezember 2013. Ein Zeitraum von drei Jahren sei nicht mehr zeitnah, zumal die Behörde bereits seit 6. September 2012 Kenntnis von der Zweitehe gehabt habe.
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Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat zur Begründung - unter Berufung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide im Übrigen - ausgeführt: Es spiele keine Rolle, ob die Zweitehe nach dem Ortsrecht rechtswirksam zustande gekommen sei. Entscheidungserheblich sei allein, dass es zum unabdingbaren Wertesystem der Bundesrepublik Deutschland gehöre, dass Zweitehen nicht geschlossen werden dürften. Der Auffassung, die Institutsgarantie des Art. 6 Abs. 1 GG sei wegen des Wertewandels nicht mehr zeitgemäß, sei zu widersprechen. Auch der Hinweis auf das Lebenspartnerschaftsgesetz gehe fehl, weil dieses ebenfalls die monogame Partnerschaft voraussetze. Nicht weiterführend sei auch der Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 8. Mai 2013. Im dortigen Fall sei der Kläger im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nur noch mit einer Frau verheiratet gewesen und habe sich zum Prinzip der Einehe bekannt. Dies sei beim Kläger anders. Entgegen dessen Rechtsauffassung sei die Rücknahme auch zeitnah erfolgt. Denn die Einbürgerungsbehörde habe erst am 6. September 2012 und damit etwa ein Jahr vor Ergehen der Rücknahmeentscheidung von der Zweitehe erfahren. Dies sei noch zeitnah, zumal von einer vorsätzlichen Täuschungsabsicht des Klägers ausgegangen werden müsse.
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Mit Urteil vom 25. September 2014 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Einbürgerung des Klägers seien gegeben. Denn die Einbürgerung nach Maßgabe des § 9 StAG könne nur erfolgen, wenn eine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse mit Sicherheit zu erwarten war. Zu den grundlegenden deutschen Lebensverhältnissen gehöre das Prinzip der Einehe. Mit dem Eingehen einer Zweitehe nur wenige Wochen nach der Eheschließung mit seiner deutschen Ehefrau habe der Kläger gezeigt, dass er in einem zentralen Punkt nach wie vor den Wertvorstellungen und Lebensverhältnissen seiner syrischen Herkunft verhaftet sei. Der Kläger habe seine Einbürgerung auch durch Täuschung und vorsätzlich unrichtige und unvollständige Angaben erwirkt. Schließlich bestehe auch die erforderliche Kausalität zwischen Täuschung und Einbürgerung. Zwar wäre im Zeitpunkt der Einbürgerung auch ein Anspruch nach Maßgabe des § 10 StAG in Betracht gekommen. Ein solcher Anspruch bestehe aber nicht, denn das Prinzip der Einehe sei Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG). Auch im Übrigen lägen die Voraussetzungen für die Rücknahme der Einbürgerung vor; die getroffene Ermessensentscheidung sei ebenfalls nicht zu beanstanden.
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Gegen das dem Kläger am 20. Oktober 2014 zugestellte Urteil hat dieser am 30. Oktober 2014 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er - nach entsprechender Fristverlängerung durch den Senat - am 20. Januar 2015 begründet hat. Er führt aus: Die Eingebung einer Zweitehe stehe einer Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse nicht entgegen. Auch spreche das Eingehen einer Zweitehe nicht gegen die Annahme eines Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Seine Ehe mit R... M... sei in Deutschland als zivilrechtlich wirksam zu betrachten. Eine im Ausland erfolgte Eheschließung könne grundsätzlich anerkannt werden, wenn im Zeitpunkt der Eheschließung die materiell-rechtlichen Voraussetzungen zur Eheschließung für beide Verlobte nach ihrem jeweiligen Heimatrecht vorlagen und wenn das Recht am Ort der Eheschließung hinsichtlich der Form der Eheschließung gewahrt worden sei. So liege der Fall hier. Die zweite Ehe habe syrischem Recht entsprochen und sei in Deutschland zivilrechtlich wirksam. In der hiesigen Gesellschaft sei im Zuge der Zuwanderung von Personen aus dem arabischen Kulturkreis die Zweitehe kein Einzelfall mehr. Eine Strafbarkeit wegen der Doppelehe sei vorliegend nicht gegeben. Die Angabe bzw. Nichtangabe der zweiten Ehe sei auch nicht „wesentlich" im Sinne des § 35 Abs. 1 StAG gewesen. Eine zwei Jahre vor der Einbürgerung nach syrischem Recht in Syrien geschlossene Ehe sei nicht geeignet, zum Zeitpunkt der Einbürgerung Zweifel an seinem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland zu begründen. Der Einbürgerungsantrag hätte auch bei Angabe der zweiten Ehe nicht abgelehnt werden dürfen. Er - der Kläger - bekenne sich ausdrücklich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 25. September 2014 - 3 K 1117/14 - zu ändern und Verfügungen Nrn. 1, 3 und 5 im Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 7. März 2014 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt aus, es treffe nicht zu, dass die Begrifflichkeit der Einehe einem gesellschaftlichen Wandel unterzogen sei. Es sei nicht bekannt, dass in Deutschland irgendeine Gruppierung einen Anspruch auf Heirat mehrerer Frauen durch einen Mann ableite. Hierin läge auch ein eklatanter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 GG, da der Islam die Mehrehe nur für Männer vorsehe. Der vom Verwaltungsgericht Karlsruhe durch Urteil vom 8. Mai 2013 (4 K 1419/11) entschiedene Fall sei anders gelagert gewesen und tauge nicht für einen Vergleich, zumal der Kläger im hiesigen Verfahren beide Ehen aufrechterhalten wolle und dies sogar für grundgesetzkonform halte. Schließlich sei die Rücknahme auch zeitnah erfolgt.
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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom Senat informatorisch befragt worden. Er hat ausgeführt, seine syrische Ehefrau sei seine Cousine; sie sei die Tochter seiner Tante mütterlicherseits. Er sei schon zu Abiturszeiten mit ihr befreundet gewesen, aber in diesem jungen Alter spiele Sex in der arabischen Welt keine große Rolle. Seinerzeit habe er Frau M... nicht geheiratet, weil ihre Eltern das nicht gewollt hätten. Er sei dann kurz vor Ende des Studiums im Jahr 2006 wieder in Syrien gewesen. Seine Beziehung mit ihr sei damals aufgeflogen. Ihr Bruder habe ihn darauf angesprochen. Er habe dann zwei Möglichkeiten gehabt: da er in Deutschland gewesen sei, hätte er einfach darauf verzichten können, wieder nach Syrien zu reisen. Dann wäre Frau M... als Frau verloren gewesen. In Syrien sei eine Frau „erledigt“, wenn sie ein Verhältnis gehabt habe und dabei erwischt worden sei. Eine Frau habe dann keine Rechte mehr. Er habe sich für den zweiten Weg entschieden und habe Frau M... gerettet. In Syrien heirate man, wenn eine Beziehung auffliege. Man sage: „dann sind die Mäuler zu“ (Anm. gemeint ist das Gerede von Familie, von Bekannten). Seine erste Ehefrau habe von dieser zweiten Ehe immer gewusst. Diese Ehe habe für ihn momentan als solche keine Bedeutung; aber Frau M... sei die Mutter seiner Tochter und deshalb bleibe er für immer mit ihr verbunden. (Auf Frage:) Die Zweitehe werde nicht vollzogen; er schlafe nicht mit seiner Zweitfrau.
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Im Jahr 2013 sei ihre Heimat bombadiert worden. Er habe Mutter und Tochter, die nach Istanbul geflüchtet gewesen seien, in Sicherheit bringen wollen. Seine Tochter sei im Herbst 2013 zu ihnen nach Deutschland gekommen. Für sie habe immer ein gemeinsames Sorgerecht mit Frau M... bestanden. Dem Nachzug seiner Zweitfrau habe die Beklagte nicht zugestimmt. Sie sei zunächst in Istanbul geblieben. Sodann hätten sich seine Eltern um sie gekümmert. Im Sommer 2014 sei er mit H... zu seinen Eltern und seiner Zweifrau nach Abu Dhabi geflogen; seine Erstfrau sei dann einige Wochen später zusammen mit allen Kindern nach Deutschland zurück geflogen. Im Jahr 2015 sei Frau M... nach Schweden gereist; dort sei sie als Flüchtling anerkannt worden. Sie sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Nachdem sie Weihnachten 2015 gemeinsam verbracht hätten, sei sie zurück nach Schweden geflogen. Dort habe er sie zusammen mit H... auch einmal besucht. Seit 6. April 2017 sei sie nun in Deutschland. Soweit sie eine Erlaubnis erhalte, könne sie in einem Restaurant arbeiten. Zwischenzeitlich sei seine ganze Familie in Deutschland. Er bezahle den Unterhalt. Zu keinem Zeitpunkt habe er Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe für sich oder seine Familie in Anspruch nehmen müssen. Er verdiene derzeit 4.000 EUR brutto und erhalte das Kindergeld für vier Kinder.
20 
Ein Herz schenke man einer Frau, auch wenn man zehn Verhältnisse habe. Er habe sein Herz seiner Erstfrau geschenkt. Es sei schwierig, zwei Ehen zu führen. In seiner Familie sei er der einzige, der zwei Ehen eingegangen sei. Auf der anderen Seite meine er, in Deutschland sei das zwar nicht akzeptiert, aber man behandele vieles andere „mit zwei Gesichtern“. Als Mann könne er sich nicht vorstellen, dass seine Ehefrau eine zweite Ehe führe. Das wäre eine komische Vorstellung. Ihn würde das nicht zu Gewalt veranlassen, aber er würde seine Konsequenzen ziehen und gehen. Auch für seine „Erstfrau“ sei es manchmal schwierig; sie sei auch eifersüchtig. Aber er befolge den Islam und im Islam sei es so, dass - was er getan habe - eine Möglichkeit sei.
21 
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten, des Regierungspräsidiums Karlsruhe und des Verwaltungsgerichts vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere die verlängerte Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO wahrende Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Anfechtungsklage des Klägers zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2013 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist - soweit er mit seinen Verfügungen Nrn. 1, 3 und 5 einer Beurteilung durch den Senat unterliegt - rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 
Nach § 35 Abs. 1 StAG kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen (§ 35 Abs. 3 StAG) und sie erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 35 Abs. 4 StAG). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
I.
24 
Dabei kann der Senat offen lassen, ob die nach Maßgabe des § 9 StAG erfolgte Einbürgerung des Klägers auf einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder auf vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, beruht. Dafür mögen die vom Verwaltungsgericht angeführten Umstände sprechen (UA S. 10 bis 12). Dagegen mag man anführen, dass - anders als das Verwaltungsgericht annimmt - unter Gliederungsnummer 2.2 des Antragsformulars nur nach „früheren Ehen“ gefragt wird, nicht aber nach „weiteren Ehen“ des Einbürgerungsbewerbers. Auch die Frage nach der „zweiten Ehe“ bezieht sich nur auf „frühere Ehen“, wenngleich der vom Verwaltungsgericht gezogene Erst-Recht-Schluss keinesfalls fernliegt. Ferner mag der Kläger gegen eine „Unvollständigkeit wesentlicher Angaben“ einwenden, dass die Beklagte die für die Einbürgerung insoweit wesentlichen Angaben im Sinne von § 35 Abs. 1 StAG selbst konkretisiert hat, indem sie die Erklärung über den Bestand der Ehe (Bl. 141 d.A.) allein auf die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau bezogen hat. Eine Erklärung zum Nichtbestehen weiterer Ehen wurde dem Kläger nicht abverlangt; er mag diesen Umstand - was der Senat freilich für unwahrscheinlich hält - deshalb für nicht wesentlich gehalten haben. Darauf kommt es aber letztlich nicht entscheidungserheblich an.
II.
25 
Denn anders als das Verwaltungsgericht annimmt, fehlt es an der Kausalität des in § 35 Abs. 1 StAG genannten Verhaltens für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens. Die Beklagte hätte den Kläger auch dann einbürgern müssen, wenn dieser die später in Syrien mit R... M... geschlossene Ehe in seinem Einbürgerungsantrag erwähnt hätte. Es fehlt mithin an einem Erwirken einer im Ergebnis rechtswidrigen Einbürgerung (vgl. zum Kausalitätserfordernis näher BVerfG, Urteil vom 24.06.2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 [45, 49, 52]) und damit am Geltungsgrund des § 35 Abs. 1 StAG, der in der „Wiederherstellung eines Zustandes der Rechtmäßigkeit“ besteht, der durch den Erlass und die Fortgeltung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes verletzt wird (vgl. auch BT-Drs. 16/10528 S. 8).
26 
a) Gegenstand des Einbürgerungsverfahrens war die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband. Weder das Antragsformular noch die vom Kläger vorgelegten Unterlagen lassen den Schluss zu, dass Verfahrensgegenstand lediglich der Soll-Anspruch auf Ehegatteneinbürgerung nach § 9 StAG gewesen sein könnte. Deshalb ist im Blick auf das Kausalitätserfordernis nicht nur zu fragen, ob der Kläger auch bei Hinwegdenken seines Verhaltens einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 9 StAG gehabt hätte. Vielmehr ist im Blick auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Verhalten des Klägers und Ergebnis des Verwaltungsverfahrens auch zu fragen, ob der Kläger aus anderem Rechtsgrund einen Anspruch auf Einbürgerung gehabt hätte (vgl. Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 35 Rn. 44; hierzu schon zu § 48 VwVfG: OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.10.1996 - 13 L 7223/94 - juris; Hessischer VGH, Urteil vom 18.05.1998 - 12 UE 1542/98 - NVwZ-RR 1999, 274; offen: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - VBlBW 2003, 442).
27 
b) Der Kläger hatte im Zeitpunkt seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach § 9 StAG einen Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG.
28 
1. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Einbürgerung sämtliche Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2, 3, 5 bis 7 StAG erfüllt hat. Der Kläger hatte im Zeitpunkt seiner Einbürgerung am 21. Oktober 2010 (vgl. § 16 StAG) seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (vgl. zur Anrechnung der Zeiten der Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG 1990: Nr. 4.3.1.2 Buchstabe d) der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz - VwV StAG - vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1), war im Besitz einer Niederlassungserlaubnis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) und imstande, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu bestreiten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Insoweit hat der Gesetzgeber davon abgesehen, Unterhaltsansprüche von im Ausland lebenden Angehörigen zu berücksichtigen (Berlit, in: GK-StAR, Loseblattslg., § 10 Rn. 233 [Stand Dezember 2014]; s. aber zur Einbürgerung nach § 8 StAG BVerwG, Urteil vom 28.05.2015 - 1 C 23.14 - BVerwGE 152, 156). Ob die Zweitfrau des Klägers diesem gegenüber Unterhalt zu fordern berechtigt ist, bleibt deshalb mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG außer Betracht. Vom Erfordernis der Aufgabe seiner syrischen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) war nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 Nr. 2 StAG abzusehen. Schließlich ist der Kläger nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer unter Berücksichtigung des § 12a StAG beachtlichen Strafe verurteilt worden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG), er verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG) und über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG), den Einbürgerungstest hat er mit 33 von 33 möglichen Punkten bestanden (vgl. dazu § 10 Abs. 5 StAG).
29 
2. Im Zeitpunkt der Einbürgerung des Klägers am 21. Oktober 2010 war auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG gegeben. Nach dieser Bestimmung muss sich der Einbürgerungsbewerber zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennen und erklären, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (Buchstabe a) oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben (Buchstabe b) oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (Buchstabe c) oder er muss glaubhaft machen, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
30 
Das Verwaltungsgericht hat mit der wohl herrschenden Meinung angenommen, dass es sich bei dem Bekenntnis- und Erklärungserfordernis um eine materiell-rechtliche Einbürgerungsvoraussetzung handelt (dazu nachfolgend aa) und das Prinzip der Einehe Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist (dazu bb). Letztere Annahme teilt der Senat nicht.
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aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs ist der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll - so der erkennende Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung - zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reiche ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen, stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.02.2008 - 13 S 1169/07 - VBlBW 2008, 277; Beschluss vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 - NVwZ 2006, 484; Urteil vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - juris Rn. 34; Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [220]).
32 
Gegen diese Auffassung eines materiell-rechtlichen Einbürgerungserfordernisses sind in Rechtsprechung und Literatur gewichtige Einwendungen erhoben worden. Bei den Bekenntnis- und Erklärungserfordernissen handele es sich allein um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung, die Richtigkeit oder Wahrheit insbesondere des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung seien deshalb nicht zu überprüfen (Berlit, in: GK-StAR, a.a.O., Rn. 135 ff.; ihm folgend VG Köln, Urteil vom 13.04.2011 - 10 K 201/10 - juris Rn. 41 ff.; VG München, Urteil vom 29.06.2011 - M 25 K 10.3434 - juris Rn. 21; offen BVerwG, Beschluss vom 04.07.2016 - 1 B 78.16 - InfAuslR 2016, 337). Für diese Auffassung wird angeführt, § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hätte keinen selbständigen Sinn, wenn bereits im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz Nr. 1 StAG von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen und zu entscheiden wäre, ob die Erklärungen des Einbürgerungsbewerbers inhaltlich zutreffend seien. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkennnisse der freiheitlich demokratischen Grundordnung besitze und deshalb den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärungen verstanden habe. Dies sei bei Einbürgerungen indes sichergestellt durch § 10 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 5 StAG, wonach solche Kenntnisse ausdrücklich gefordert würden und grundsätzlich durch einen Einbürgerungstest nachzuweisen seien.
33 
Auch die Gesetzesmaterialien zum StAG 2007 sprächen für diese Auffassung. Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen (BT-Drs. 16/5107 S. 6), in § 11 StAG einen weiteren Ausschlussgrund aufzunehmen. Danach sollte die Einbürgerung auch dann ausgeschlossen sein, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis des Ausländers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht glaubwürdig ist, und diese auch in einem Gespräch nicht ausgeräumt werden können." Dieser Änderungsvorschlag wurde von der Bundesregierung jedoch ausdrücklich abgelehnt; er hat keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden. Die Bundesregierung führte in ihrer Stellungnahme dazu aus (BT-Drs. 16/5107, S. 14):
34 
"Den neuen Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs des Bundesrates lehnt die Bundesregierung ab. Dieser neue Ausschlussgrund knüpft an tatsächliche Anhaltspunkte an, die Zweifel aufwerfen, ob das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG „glaubwürdig“ ist. Diese Regelung ist jedoch nicht erforderlich, weil das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und die Abgabe einer Loyalitätserklärung bereits als Einbürgerungsvoraussetzung in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG geregelt sind. Die Staatsangehörigkeitsbehörde belehrt den Einbürgerungsbewerber schriftlich und mündlich über die Bedeutung des Bekenntnisses und kann ihn in diesem Zusammenhang auch befragen, ob er den Inhalt des Bekenntnisses versteht und bejaht. Es bedarf daher keiner neuen gesetzlichen Regelung, die die Überprüfung einer bereits bestehenden gesetzlichen Norm zum Inhalt hat. Problematisch ist die Regelung aber vor allem deswegen, weil sie anders als der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 des geltenden Rechts, der an überprüfbare Fakten anknüpft, auf die innere Einstellung des Einbürgerungsbewerbers zielt, diese einer Bewertung durch die Staatsangehörigkeitsbehörde unterziehen und daran den Wahrheitsgehalt des Bekenntnisses des Einbürgerungsbewerbers messen will. Die Staatsangehörigkeitsbehörde muss nach dieser Regelung nicht nur die „wahre“ Einstellung des Einbürgerungsbewerbers erforschen, sie muss sie auch unter Berücksichtigung von Meinungs- und Religionsfreiheit im Lichte des Grundgesetzes bewerten und mit der Loyalitätserklärung des Einbürgerungsbewerbers abgleichen. Behördliche Zweifel an der inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers können von diesem nur schwer widerlegt werden. Eine solche Regelung ist im Hinblick auf widerstreitende Grundrechte verfassungsrechtlich problematisch, wenig praktikabel und auch nicht durch Verwaltungsvorschriften „gerichtsfest“ auszugestalten."
35 
Danach - so wird angeführt - erscheine es ausgeschlossen, die im Gesetzgebungsverfahren gescheiterte, von der Bundesregierung ausdrücklich als "verfassungsrechtlich problematisch" und "wenig praktikabel" verworfene inhaltliche Überprüfung der von dem Einbürgerungsbewerber abzugebenden Erklärungen in den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG "hineinzulesen".
36 
Träfe diese - letztgenannte - Auffassung zu, bestünde an einem wirksamen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG kein Zweifel. Wäre hingegen an der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs festzuhalten und handelte es sich bei dem Bekenntnis um eine materielle Einbürgerungsvoraussetzung, stellte sich die Frage, ob ein Verstoß gegen das Prinzip der Einehe ein wirksames Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausschließt.
37 
bb) Anders als das Verwaltungsgericht meint und entgegen der wohl herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (VG Gießen, Urteil vom 07.06.2004 - 10 E 2666/03 - juris; VG Freiburg, Urteil vom 25.03.2010 - 6 K 630/09 - juris; offen VG Karlsruhe, Urteil vom 08.05.2013 - 4 K 1419/11 - VBlBW 2014, 150; a.A. VG Köln, Urteil vom 13.04.2011, a.a.O.) rechnet das Prinzip der Einehe nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist im Staatsangehörigkeitsgesetz nicht definiert. Zur Klärung des Bedeutungsgehalts hat der erkennende Senat verschiedene Ansätze in Betracht gezogen:
38 
(1) Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13 - Rn. 535 ff.) geht in seiner jüngsten Entscheidung zum Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) davon aus, der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasse nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich seien. Ihren Ausgangspunkt finde die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasse insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Ferner sei das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System seien die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordere die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten sei. Nach diesem - engen - Begriffsverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, an das der Senat freilich u.a. wegen des ausdrücklichen Bezugs auf Art. 21 Abs. 2 GG nicht schon wegen § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden ist, ist das Prinzip der Einehe nicht Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. auch Warg, NVwZ-Beilage 2017, 42 [44]). Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, die Mehrehe verstoße gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde, handelt es sich um eine völlig singuläre Rechtsauffassung, die die Beklagte anhand des gängigen Begriffsverständnisses (v.a. Objektformel) nicht näher darzulegen vermochte. Dass allein der Bestand zweier Ehen eine Verachtung oder Geringschätzung des dem Menschen kraft seines Person-Seins zukommenden Wertes zum Ausdruck bringt, hält der erkennende Senat - insoweit von weiteren Ausführungen absehend - für fernliegend (vgl. zur Ausstrahlungswirkung bestimmter Grundrechte auf die von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umfasste Menschenwürde: Warg, a.a.O., S. 44).
39 
(2) In seiner älteren Rechtsprechung zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1) ausgeführt, die freiheitliche demokratische Grundordnung lasse sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstelle. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung seien mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (s. auch BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 12 BvR 1152/10 - BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urteil vom 13.04.1999 - 1 A 3.94 - DVBl. 1999, 1743 ff.). Im Grundgesetz taucht dieser Begriff neben Art. 21 Abs. 2 GG auch an anderer Stelle - bei vergleichbarem Begriffsverständnis (vgl. etwa Ziekow, in: Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, Art. 11 Rn. 110; Höfling/Krings, in: Friauf/Höfling, a.a.O., Art. 18 Rn. 18) - auf (Art. 11 Abs. 2, 18 und 87a Abs. 4 GG).
40 
(3) Einfachgesetzlich findet sich der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in verschiedenen Fachgesetzen (vgl. etwa §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 8 SoldG, § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG, § 49 AbgG, § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AZRG). Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung der Fachgesetze muss das Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht notwendig (voll)identisch sein, wenngleich zu konstatieren sein dürfte, dass es gerade bei dem Rechtsbegriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenig überzeugend sein dürfte, gleichsam von mehreren nebeneinander stehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnungen auszugehen. Nicht umsonst wird der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland“ nicht nur bei § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG im Singular („die…Grundordnung“) verwendet. Folgerichtig wird bei der Auslegung einfach-rechtlicher Vorschriften stets auf die (frühere) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG Bezug genommen (vgl. statt vieler Battis, BBG, 4. Aufl., § 7 Rn. 14).
41 
(4) Rechtsprechung und Literatur haben die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG in der Weise umrissen, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, in: GK-StAR, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.; vgl. auch Nr. 10.1.1.1 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1 -). Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen danach das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Mit dieser bereichsspezifischen Legaldefinition wird die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG - bewusst (vgl. BT-Drs. 11/4306 S. 60: „Die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind durch die Rechtsprechung [BVerfGE 2, 1 ff. und 5, 85 ff.] sowie durch den Gesetzgeber in § 92 des Strafgesetzbuches inhaltlich festgelegt worden.“) - aufgenommen.
42 
Dieses Begriffsverständnis des § 4 Abs. 2 BVerfSchG lag auch dem Bekenntnis des Klägers zugrunde, das sich sowohl als „Merkblatt zur Verfassungstreue und Absage an alle Formen des Extremismus“ (Bl. 115. d.A.) als auch als „Bekenntnis- und Loyalitätserklärung“ (Bl. 123 d.A.) als von ihm unterschriebene Formblätter in den Verwaltungsakten befindet. Dies spricht nach Auffassung des Senats dafür, für die Frage, ob dem Kläger bei seiner Einbürgerung am 21. Oktober 2010 ein Einbürgerungsanspruch nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG zugestanden hat, auf das damalige (weitere) Begriffsverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzustellen.
43 
(5) Dies zugrunde legend erweist sich das Prinzip der Einehe nicht als Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Denn der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist historisch nachgerade untrennbar mit dem Begriff der „wehrhaften“ oder „streitbaren“ Demokratie („militant democracy“) verbunden und stellt die verfassungsrechtliche Reaktion auf den Werterelativismus der Weimarer Zeit dar (vgl. statt vieler: Schliesky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 277 Rn. 10). Die freiheitliche demokratische Grundordnung statuiert das Rechtsprinzip, die vom Grundgesetz konstituierte Demokratie als wertgebundene Ordnung zu begreifen und diese mit den verfassungsrechtlich zugewiesenen Instrumenten gegen die Feinde der Demokratie zu verteidigen (vgl. auch Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [219]). Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist zum einen der Rahmen der politischen Betätigung des Einzelnen wie auch deren Voraussetzung. Zum anderen schützt sie die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes gegen ihre Feinde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2013 - 2 BvE 6/08, 2 BvR 22 BvR 2436/10 - BVerfGE 134, 141 Rn. 112: „Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören dürfen.“). Mit Blick auf diese Zielrichtung des Rechtsbegriffs erscheint es naheliegend, etwa der Vereinigungsfreiheit, dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, der Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit und auch der Religionsfreiheit einen engen thematischen Bezug zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuzugestehen. Hingegen kommt der Ehe als solcher, die das Grundgesetz als Einehe und als auf Dauer angelegte, frei eingegangene Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau versteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.10.1970 - 1 BvR 409/67 - BVerfGE 29, 166 [176]; Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323 [330]), zwar eine erhebliche das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG auslösende sozialethische und kulturelle Funktion in der Konstituierung und Entwicklung des Gemeinschaftslebens zu (vgl. etwa Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Band 1, Art. 6 Rn. 2 [Stand August 2000]). Sie ist zudem durch eine die normative Grundausstattung sichernde Institutsgarantie vor Abschaffung und Wesensveränderungen durch den (einfachen) Gesetzgeber geschützt. Das Prinzip der Einehe gehört deshalb zweifellos zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und zu den Art. 6 Abs. 1 GG vorgegebenen Strukturprinzipien (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.08.2007 - 11 S 995/07 - NJW 2007, 3453; OVG Niedersachsen, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris Rn. 24). Dieses Prinzip wird in seinem (verfassungs-)rechtlichen Gehalt - anders als der Kläger meint - auch nicht durch die Zunahme von Ehescheidung, serielle Monogamie und außereheliche Partnerschaften in Frage gestellt.
44 
Einen unmittelbaren thematischen Bezug zur wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes weist das Prinzip der Einehe aber nicht auf. Wer gegen das Verbot der Doppel- oder Mehrehe verstößt, ist - wie es das Verwaltungsgericht Regensburg (Urteil vom 27.05.2009 - RN 9 K 08.01658 - juris Rn. 24) ebenso plakativ wie treffend ausgedrückt hat - nicht schon deshalb ein „Verfassungsfeind“ (vgl. aber zu Zwangsheirat und Eheschließungsfreiheit: Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [223]; zur Einführung eines islamistischen Staats- und Gesellschaftssystems: Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 56). Der Bestand und die Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung werden bei einem Verstoß gegen das Prinzip der Einehe nicht gefährdet. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft den Kern dessen offenbart, was ihn zur Eingehung einer Zweitehe bewogen hat: Sein im Jahr 2006 gelebtes Verhältnis zu seiner Cousine war aufgeflogen; der Bruder seiner heutigen Zweitfrau hatte ihn auf diese Beziehung angesprochen. Er habe dann zum einen die Möglichkeit gehabt, in Deutschland zu bleiben und nicht nach Syrien zurückzukehren. Dann wäre seine Cousine als Frau verloren gewesen. In Syrien sei eine Frau „erledigt“, wenn sie ein Verhältnis gehabt habe und dabei erwischt worden sei. Eine Frau habe dann keine Rechte mehr. Er habe sich für den zweiten Weg entschieden und habe Frau M... gerettet. In Syrien heirate man, wenn eine Beziehung auffliege (dann „sind die Mäuler zu“). Der Islam, an den er glaube, gestatte die Mehrehe. Seine erste Ehefrau habe von dieser zweiten Ehe immer gewusst. Diese Ehe habe für ihn momentan als solche keine Bedeutung, sie werde nicht vollzogen und er schlafe nicht mit seiner „Zweitfrau“; aber Frau M... sei die Mutter seiner Tochter und deshalb bleibe er für immer mit ihr verbunden. In ihrer Begründung mag die vom Kläger eingegangene Zweitehe für hiesiges Verständnis ebenso fremd wie Anstoß erregend sein. Insbesondere die weitgehende Entrechtung der Frau im Falle der Nichtheirat als auch der Umstand, dass die Mehrehe ausschließlich Männern vorbehalten bleibt, konfligieren in Werteverständnis und Moral erheblich mit westeuropäischen Vorstellungen. Indes kann aus der vom Kläger eingegangenen Zweitehe unter Berücksichtigung der von ihm insoweit geschilderten Umstände nicht geschlossen werden, er sei auf eine Beseitigung der wertgebundenen Ordnung des Grundgesetzes aus (vgl. Gusy, AöR 105 [1980], 279 [284]).
45 
Auch die Reaktion des einfachen Rechts auf die im Ausland nach syrischem Recht in zulässiger Weise geschlossene Mehrehe bestätigt diesen Befund (vgl. zur Erheblichkeit des Kollisionsrechts für die Ermittlung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 - BVerfGE 76, 1; Beschluss vom 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 - BVerfGE 31, 58 [77]) Nach herrschender Meinung verbietet es der ordre public zwar, dass eine nach anwendbarem ausländischem Recht zulässige Mehrehe vor einem deutschen Standesbeamten geschlossen wird und dass ein deutsches Gericht auf entsprechende Klage die Partner einer Mehrehe zur Herstellung der (polygamen) ehelichen Lebensgemeinschaft verurteilt (vgl. Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, Art. 13 Rn. 68; Hohloch, in: Erman, BGB, 14. Aufl., Art. 6 EGBGB Rn. 33; Cullmann, FamRZ 1976, 313 [314]; Hohloch, JuS 1977, 679; Jayme, FamRZ 1975, 340 [341]). Der starke Inlandsbezug und die notwendige Mitwirkung deutscher Behörden führen insoweit zum Durchschlagen deutscher Grundwerte im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Hingegen wird die im Ausland - wie hier in Syrien - rechtmäßig geschlossene Mehrehe auch im Inland als Ehe im Sinne des bürgerlichen Rechts anerkannt - einschließlich ihrer vermögens- und kindschaftsrechtlichen Wirkungen (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; BSG, Urteil vom 30.08.2000 - B 5 RJ 4/00 R - NZS 2001, 426; BFH, Urteil vom 06.12.1985 - VI R 56/82 - NJW 1986, 2209; OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1986 - 15 W 16/86 - StAZ 1986, 352; OLG München, Beschluss vom 03.07.2015 - 34 Wx 311/14 - NJW-RR 2015, 1349; KG, Beschluss vom 31.05.2016 - 1 VA 7/15 - juris Rn. 7; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.1974 - 2 K 763/72 - FamRZ 1975, 338 m. Anm. Jayme; vgl. zur Eintragung der zweiten Ehe in ein deutsches Personenstandsregister BGH, Beschluss vom 04.10.1990 - XII ZB 200/87 - NJW 1991, 3088 [3090]; KG, Beschluss vom 31.05.2016 - 1 VA 7/15 - juris Rn. 7). Insbesondere steht der ordre public nicht den Unterhaltsansprüchen der Ehefrauen gegen den gemeinsamen Ehemann entgegen. Die aus einer Mehrehe hervorgehenden Kinder werden als eheliche Kinder betrachtet (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.; von Coelln, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl., Art. 6 Rn. 8). Es wird auch nicht als sittenwidrig gewertet, wenn die Partner einer im Ausland wirksam eingegangenen Mehrehe ihr Zusammenleben im Inland freiwillig fortsetzen (BFH, Urteil vom 06.12.1985 - VI R 56/82 - NJW 1986, 2209; OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1986 - 15 W 16/86 - StAZ 1986, 352; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.1974 - 2 K 763/72 - FamRZ 1975, 338 [340]), wenngleich eine Herstellungsklage im Sinne des § 1353 BGB überwiegend für nicht durchsetzbar gehalten wird (Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 69). Auch eine Strafbarkeit nach § 172 StGB ist bei der hier zur Beurteilung stehenden Mehrfacheheschließung nicht gegeben. Selbst in den Fällen, in denen der Ehemann - wie hier - bereits in monogamer Erstehe (mit einer Deutschen) verheiratet ist, beherrscht das monogame Statut der Erstfrau die Zweiteheschließung zwischen zwei Muslimen nicht, wenngleich der deutsche ordre public einer vollen Anerkennung der Zweitehe entgegen steht und die Zweitehe auf Antrag der deutschen „Erstfrau“ aufhebbar ist (§§ 1306, 1314 Abs. 1, 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB; Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 69).
46 
Der Umstand, dass die nach ausländischem Recht im Ausland in rechtmäßiger Weise geschlossene Zweitehe in Deutschland als wirksam betrachtet, ein Verstoß gegen den ordre public mithin nicht angenommen wird, spricht somit ebenfalls gegen einen Verstoß der Mehrehe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Denn führt die Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm nach deutschem Verständnis nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (vgl. Art. 6 Satz 1 EGBGB), ist - bei aller Unterschiedlichkeit der durch ordre public und freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) geschützten Rechtsgüter - der Schluss auf eine gleichwohl bestehende Gefährdung von Bestand und Sicherheit des Staates oder seine Grundordnung schwerlich möglich. Andernfalls ließe sich etwa die Verpflichtung der Standesämter zur Eintragung der Zweitehe in ein deutsches Personenstandsregister kaum begründen (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 31.05.2016, a.a.O.).
47 
Jenseits der einfachrechtlichen Reaktion des internationalen Privatrechts auf eine Zweitehe kommt aus verfassungsrechtlicher Perspektive hinzu, dass die Frage des (nicht gegebenen) Schutzes der Zweitfrau durch Art. 6 Abs. 1 GG keineswegs als in jeder Hinsicht gesichert gelten kann (offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O., S. 230; eine Eröffnung des Schutzbereichs erwägend Burgi, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Band 1, Art. 6 Rn. 19; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 - BVerfGE 76, 1 ). Die Kinder aus der Zweitehe - hier etwa die Tochter des Klägers H... - können sich als dessen Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG unzweifelhaft auf die grundrechtlichen Gewährleistungen berufen (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.; von Coelln, in: Sachs, Grundgesetz, a.a.O., Rn. 7).
48 
Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird ferner - mit Blick auf die allgemeinen und besonderen Gleichheitsrechte und Diskriminierungsverbote - nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Mehrehe in Syrien nur Männern, nicht aber Frauen offensteht. Das mag die Unvereinbarkeit des islamischen Eherechts mit dem deutschen (und europäischen) Verständnis von Gleichheit der Geschlechter sowie Mann und Frau nach sich ziehen. Hingegen ist in dem Eingehen der Ehe mit einer weiteren Frau kein grundsätzliches Bekenntnis des Klägers gegen die Gleichheit von Mann und Frau zu sehen (vgl. aber zur in Deutschland „gelebten“ Ungleichheit von Mann und Frau: Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [222]; s. auch Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, a.a.O., §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 51). Der Kläger hat auf entsprechende Frage durch den Senat zwar ausgeführt, für ihn selbst komme es nicht in Betracht, (nur) einer von mehreren Ehemännern einer Frau zu sein. Er hat aber auch klargestellt, dass er daraus nur die Konsequenz ziehen würde, in einer solchermaßen verfassten Polygamie nicht leben zu wollen. Für einen prinzipiellen Zweifel an der Gleichheit von Mann und Frau in der Haltung des Klägers hat der Senat keinen Anhaltspunkt. Die vom Kläger eingegangene Zweitehe diente - so hat er glaubhaft ausgeführt - dem Schutz seiner Cousine vor der Reaktion der syrischen Gesellschaft auf die außereheliche Affäre einer jungen Frau. Die Gleichheit von Mann und Frau wird damit nicht in Frage gestellt. Auch ist nicht ersichtlich, dass die durch den Gleichheitssatz verpflichtete deutsche Staatsgewalt im Falle des Klägers gegen die Gewährleistungen des Gleichheitssatzes verstoßen haben könnte. Darauf, ob die Mehrehe als solche gegen Art. 3 Abs. 1 bis 3 GG verstoßen könnte (so VG Freiburg, Urteil vom 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; offen VG Karlsruhe, Urteil vom 08.05.2013 - 4 K 1419/11 - juris Rn. 29), kommt es bei der Frage, ob sich der Kläger inhaltlich überzeugt zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt, nicht an (vgl. zu entsprechenden Gesprächsleitfäden Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [221]).
49 
Im Übrigen kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger anhand der ihm für sein Bekenntnis vorgelegten Formblätter nicht nachvollziehen konnte, ob der Umstand seiner im Jahr 2008 geschlossenen zweiten Ehe ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausschließt. Die Klärung eines - selbst in der Rechtswissenschaft unklaren (vgl. nur Gusy, AöR 105 [1980], 279 [301ff.]) und vom Bundesverfassungsgericht jüngst korrigierten - weithin unbestimmten Rechtsbegriffs ist nicht Aufgabe des Einbürgerungsbewerbers (in diese Richtung auch Berlit, in GK-StAR, a.a.O., Rn. 145.1). Soweit der Gesetzgeber Einbürgerungsbewerber auf die Einhaltung bestimmter Prinzipien festlegen will, mag er die Erwartungen in hinreichend bestimmten, für den Normadressaten nachvollziehbaren Vorschriften konkretisieren oder die Glaubhaftigkeit des Bekenntnisses in einem Gespräch überprüfen (vgl. hierzu wiederum Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff.). Auch bestehen aus der Perspektive des Verfassungsrechts keine Einwände dagegen, den Rechtsbegriff der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG) auch zur Grundlage von Einbürgerungen nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG zu machen. Soweit aber Inhalt und Gewährleistungsgehalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG für den Einbürgerungsbewerber nicht nachvollziehbar sind, muss er für etwaige „Subsumtionsfehler“ nicht einstehen.
50 
3. Da der Kläger am 21. Oktober 2010 einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG hatte, scheidet die Rücknahme der Einbürgerung mangels Kausalität des Verhaltens für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens aus.
III.
51 
Die Rücknahme der Einbürgerung könnte aber auch keinen Bestand haben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG gegeben wären. Davon ließe sich ausgehen, wenn man - entgegen Nr. 4.3.1.2 Buchstabe d) der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VwV StAG) vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1 - davon ausgehen wollte, die Zeiten einer Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG 1990 müssten im Hinblick auf § 10 Abs. 1 StAG außen vor bleiben (vgl. hierzu ausführlich: BVerwG, Urteil vom 26.04.2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47). Dann wäre die Einbürgerung des Klägers mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG rechtwidrig. Hierfür ursächlich wäre - was insoweit unterstellt werden kann - das in § 35 Abs. 1 StAG beschriebene Verhalten des Klägers (UA S. 10 ff. im Urteil des Verwaltungsgerichts), und ein Einbürgerungsanspruch hätte im Zeitpunkt der Einbürgerung am 21. Oktober 2010 weder nach Maßgabe des § 8 StAG noch nach § 10 Abs. 1 StAG bestanden.
52 
Jedoch wäre innerhalb der Ausübung des Rücknahmeermessens gemäß § 35 StAG danach zu fragen, ob der Kläger im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung einen Einbürgerungsanspruch aus anderem Rechtsgrund gehabt hätte. So ist auch das Regierungspräsidium Karlsruhe in seinem Widerspruchsbescheid vom 7. März 2014 vorgegangen. Einem Rechtsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG hat es aber die - tragende - Ermessenserwägung entgegen gehalten (vgl. Widerspruchsbescheid S. 5 und 6), der Kläger könne „angesichts der tatsächlichen Situation kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG und kein feierliches Bekenntnis nach § 16 StAG abgeben“. Mit dieser Ermessensausübung erweist sich die Rücknahme der Einbürgerung in der hier maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) als ermessensfehlerhaft, denn sie beruht tragend auf der - wie gezeigt - unzutreffenden Annahme, der Umstand einer Zweitehe schließe für sich genommen ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes aus.
53 
Keiner Entscheidung aus Anlass dieses Verfahrens bedarf die Frage, ob aus Gründen vorrangigen Rechts (Art. 16 Abs. 1 GG) zu fordern ist, dass die Behörde ihr Ermessen gleichsam unter Kontrolle hält und ggf. bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ergänzt (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt auch Marx, in: GK-StAR, a.a.O., § 35 Rn. 199). Denn die Beklagte hat die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht ergänzt, obwohl die Frage des insoweit maßgeblichen Zeitpunkts Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Deshalb bedarf auch die Frage, ob die Reduzierung des Gewährleistungsgehalts der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsfahren einen rechtlichen Umstand darstellen kann, der jedenfalls auf der „Ermessensseite“ eine Ergänzung der Ermessenserwägungen erfordern kann, keiner Klärung im hier zu entscheidenden Verfahren.
54 
Erweist sich die Rücknahme der Einbürgerung als rechtswidrig, kann die Herausgabe der Urkunden und Ausweisdokumente (Verfügung Nr. 3 im Bescheid vom 11. Dezember 2013) und die Festsetzung der Verwaltungsgebühr in Höhe von 200,-- EUR (ebenda Nr. 5) keinen Bestand haben.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
56 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
57 
Beschluss vom 25. April 2017
58 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt (Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2013).
59 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
22 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere die verlängerte Berufungsbegründungsfrist des § 124a Abs. 3 Satz 1 und 3 VwGO wahrende Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die zulässige Anfechtungsklage des Klägers zu Unrecht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2013 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, ist - soweit er mit seinen Verfügungen Nrn. 1, 3 und 5 einer Beurteilung durch den Senat unterliegt - rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 
Nach § 35 Abs. 1 StAG kann eine rechtswidrige Einbürgerung nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist. Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von fünf Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen (§ 35 Abs. 3 StAG) und sie erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit (§ 35 Abs. 4 StAG). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
I.
24 
Dabei kann der Senat offen lassen, ob die nach Maßgabe des § 9 StAG erfolgte Einbürgerung des Klägers auf einer arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder auf vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben, die wesentlich für die Einbürgerung gewesen sind, beruht. Dafür mögen die vom Verwaltungsgericht angeführten Umstände sprechen (UA S. 10 bis 12). Dagegen mag man anführen, dass - anders als das Verwaltungsgericht annimmt - unter Gliederungsnummer 2.2 des Antragsformulars nur nach „früheren Ehen“ gefragt wird, nicht aber nach „weiteren Ehen“ des Einbürgerungsbewerbers. Auch die Frage nach der „zweiten Ehe“ bezieht sich nur auf „frühere Ehen“, wenngleich der vom Verwaltungsgericht gezogene Erst-Recht-Schluss keinesfalls fernliegt. Ferner mag der Kläger gegen eine „Unvollständigkeit wesentlicher Angaben“ einwenden, dass die Beklagte die für die Einbürgerung insoweit wesentlichen Angaben im Sinne von § 35 Abs. 1 StAG selbst konkretisiert hat, indem sie die Erklärung über den Bestand der Ehe (Bl. 141 d.A.) allein auf die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau bezogen hat. Eine Erklärung zum Nichtbestehen weiterer Ehen wurde dem Kläger nicht abverlangt; er mag diesen Umstand - was der Senat freilich für unwahrscheinlich hält - deshalb für nicht wesentlich gehalten haben. Darauf kommt es aber letztlich nicht entscheidungserheblich an.
II.
25 
Denn anders als das Verwaltungsgericht annimmt, fehlt es an der Kausalität des in § 35 Abs. 1 StAG genannten Verhaltens für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens. Die Beklagte hätte den Kläger auch dann einbürgern müssen, wenn dieser die später in Syrien mit R... M... geschlossene Ehe in seinem Einbürgerungsantrag erwähnt hätte. Es fehlt mithin an einem Erwirken einer im Ergebnis rechtswidrigen Einbürgerung (vgl. zum Kausalitätserfordernis näher BVerfG, Urteil vom 24.06.2006 - 2 BvR 669/04 - BVerfGE 116, 24 [45, 49, 52]) und damit am Geltungsgrund des § 35 Abs. 1 StAG, der in der „Wiederherstellung eines Zustandes der Rechtmäßigkeit“ besteht, der durch den Erlass und die Fortgeltung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes verletzt wird (vgl. auch BT-Drs. 16/10528 S. 8).
26 
a) Gegenstand des Einbürgerungsverfahrens war die Einbürgerung des Klägers in den deutschen Staatsverband. Weder das Antragsformular noch die vom Kläger vorgelegten Unterlagen lassen den Schluss zu, dass Verfahrensgegenstand lediglich der Soll-Anspruch auf Ehegatteneinbürgerung nach § 9 StAG gewesen sein könnte. Deshalb ist im Blick auf das Kausalitätserfordernis nicht nur zu fragen, ob der Kläger auch bei Hinwegdenken seines Verhaltens einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 9 StAG gehabt hätte. Vielmehr ist im Blick auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen Verhalten des Klägers und Ergebnis des Verwaltungsverfahrens auch zu fragen, ob der Kläger aus anderem Rechtsgrund einen Anspruch auf Einbürgerung gehabt hätte (vgl. Hailbronner, in: ders./Renner/Maaßen, Staatsangehörigkeitsrecht, 5. Aufl. 2010, § 35 Rn. 44; hierzu schon zu § 48 VwVfG: OVG Niedersachsen, Urteil vom 22.10.1996 - 13 L 7223/94 - juris; Hessischer VGH, Urteil vom 18.05.1998 - 12 UE 1542/98 - NVwZ-RR 1999, 274; offen: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.11.2002 - 13 S 2039/01 - VBlBW 2003, 442).
27 
b) Der Kläger hatte im Zeitpunkt seiner Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach § 9 StAG einen Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG.
28 
1. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass der Kläger im Zeitpunkt seiner Einbürgerung sämtliche Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2, 3, 5 bis 7 StAG erfüllt hat. Der Kläger hatte im Zeitpunkt seiner Einbürgerung am 21. Oktober 2010 (vgl. § 16 StAG) seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (vgl. zur Anrechnung der Zeiten der Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG 1990: Nr. 4.3.1.2 Buchstabe d) der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz - VwV StAG - vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1), war im Besitz einer Niederlassungserlaubnis (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG) und imstande, den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch zu bestreiten (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG). Insoweit hat der Gesetzgeber davon abgesehen, Unterhaltsansprüche von im Ausland lebenden Angehörigen zu berücksichtigen (Berlit, in: GK-StAR, Loseblattslg., § 10 Rn. 233 [Stand Dezember 2014]; s. aber zur Einbürgerung nach § 8 StAG BVerwG, Urteil vom 28.05.2015 - 1 C 23.14 - BVerwGE 152, 156). Ob die Zweitfrau des Klägers diesem gegenüber Unterhalt zu fordern berechtigt ist, bleibt deshalb mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG außer Betracht. Vom Erfordernis der Aufgabe seiner syrischen Staatsangehörigkeit (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StAG) war nach Maßgabe des § 12 Abs. 1 Nr. 2 StAG abzusehen. Schließlich ist der Kläger nicht wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer unter Berücksichtigung des § 12a StAG beachtlichen Strafe verurteilt worden (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StAG), er verfügt über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 StAG) und über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG), den Einbürgerungstest hat er mit 33 von 33 möglichen Punkten bestanden (vgl. dazu § 10 Abs. 5 StAG).
29 
2. Im Zeitpunkt der Einbürgerung des Klägers am 21. Oktober 2010 war auch die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG gegeben. Nach dieser Bestimmung muss sich der Einbürgerungsbewerber zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennen und erklären, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (Buchstabe a) oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben (Buchstabe b) oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (Buchstabe c) oder er muss glaubhaft machen, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
30 
Das Verwaltungsgericht hat mit der wohl herrschenden Meinung angenommen, dass es sich bei dem Bekenntnis- und Erklärungserfordernis um eine materiell-rechtliche Einbürgerungsvoraussetzung handelt (dazu nachfolgend aa) und das Prinzip der Einehe Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist (dazu bb). Letztere Annahme teilt der Senat nicht.
31 
aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs ist der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll - so der erkennende Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung - zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reiche ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen, stelle mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 20.02.2008 - 13 S 1169/07 - VBlBW 2008, 277; Beschluss vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 - NVwZ 2006, 484; Urteil vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - juris Rn. 34; Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [220]).
32 
Gegen diese Auffassung eines materiell-rechtlichen Einbürgerungserfordernisses sind in Rechtsprechung und Literatur gewichtige Einwendungen erhoben worden. Bei den Bekenntnis- und Erklärungserfordernissen handele es sich allein um eine formelle Einbürgerungsvoraussetzung, die Richtigkeit oder Wahrheit insbesondere des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung seien deshalb nicht zu überprüfen (Berlit, in: GK-StAR, a.a.O., Rn. 135 ff.; ihm folgend VG Köln, Urteil vom 13.04.2011 - 10 K 201/10 - juris Rn. 41 ff.; VG München, Urteil vom 29.06.2011 - M 25 K 10.3434 - juris Rn. 21; offen BVerwG, Beschluss vom 04.07.2016 - 1 B 78.16 - InfAuslR 2016, 337). Für diese Auffassung wird angeführt, § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hätte keinen selbständigen Sinn, wenn bereits im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz Nr. 1 StAG von der Einbürgerungsbehörde zu prüfen und zu entscheiden wäre, ob die Erklärungen des Einbürgerungsbewerbers inhaltlich zutreffend seien. Dies gelte jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkennnisse der freiheitlich demokratischen Grundordnung besitze und deshalb den Inhalt der von ihm abgegebenen Erklärungen verstanden habe. Dies sei bei Einbürgerungen indes sichergestellt durch § 10 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 5 StAG, wonach solche Kenntnisse ausdrücklich gefordert würden und grundsätzlich durch einen Einbürgerungstest nachzuweisen seien.
33 
Auch die Gesetzesmaterialien zum StAG 2007 sprächen für diese Auffassung. Der Bundesrat hatte im Gesetzgebungsverfahren vorgeschlagen (BT-Drs. 16/5107 S. 6), in § 11 StAG einen weiteren Ausschlussgrund aufzunehmen. Danach sollte die Einbürgerung auch dann ausgeschlossen sein, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis des Ausländers zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland nicht glaubwürdig ist, und diese auch in einem Gespräch nicht ausgeräumt werden können." Dieser Änderungsvorschlag wurde von der Bundesregierung jedoch ausdrücklich abgelehnt; er hat keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden. Die Bundesregierung führte in ihrer Stellungnahme dazu aus (BT-Drs. 16/5107, S. 14):
34 
"Den neuen Absatz 1 Nr. 1 des Gesetzentwurfs des Bundesrates lehnt die Bundesregierung ab. Dieser neue Ausschlussgrund knüpft an tatsächliche Anhaltspunkte an, die Zweifel aufwerfen, ob das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG „glaubwürdig“ ist. Diese Regelung ist jedoch nicht erforderlich, weil das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und die Abgabe einer Loyalitätserklärung bereits als Einbürgerungsvoraussetzung in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG geregelt sind. Die Staatsangehörigkeitsbehörde belehrt den Einbürgerungsbewerber schriftlich und mündlich über die Bedeutung des Bekenntnisses und kann ihn in diesem Zusammenhang auch befragen, ob er den Inhalt des Bekenntnisses versteht und bejaht. Es bedarf daher keiner neuen gesetzlichen Regelung, die die Überprüfung einer bereits bestehenden gesetzlichen Norm zum Inhalt hat. Problematisch ist die Regelung aber vor allem deswegen, weil sie anders als der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 des geltenden Rechts, der an überprüfbare Fakten anknüpft, auf die innere Einstellung des Einbürgerungsbewerbers zielt, diese einer Bewertung durch die Staatsangehörigkeitsbehörde unterziehen und daran den Wahrheitsgehalt des Bekenntnisses des Einbürgerungsbewerbers messen will. Die Staatsangehörigkeitsbehörde muss nach dieser Regelung nicht nur die „wahre“ Einstellung des Einbürgerungsbewerbers erforschen, sie muss sie auch unter Berücksichtigung von Meinungs- und Religionsfreiheit im Lichte des Grundgesetzes bewerten und mit der Loyalitätserklärung des Einbürgerungsbewerbers abgleichen. Behördliche Zweifel an der inneren Einstellung des Einbürgerungsbewerbers können von diesem nur schwer widerlegt werden. Eine solche Regelung ist im Hinblick auf widerstreitende Grundrechte verfassungsrechtlich problematisch, wenig praktikabel und auch nicht durch Verwaltungsvorschriften „gerichtsfest“ auszugestalten."
35 
Danach - so wird angeführt - erscheine es ausgeschlossen, die im Gesetzgebungsverfahren gescheiterte, von der Bundesregierung ausdrücklich als "verfassungsrechtlich problematisch" und "wenig praktikabel" verworfene inhaltliche Überprüfung der von dem Einbürgerungsbewerber abzugebenden Erklärungen in den Tatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG "hineinzulesen".
36 
Träfe diese - letztgenannte - Auffassung zu, bestünde an einem wirksamen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG kein Zweifel. Wäre hingegen an der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichtshofs festzuhalten und handelte es sich bei dem Bekenntnis um eine materielle Einbürgerungsvoraussetzung, stellte sich die Frage, ob ein Verstoß gegen das Prinzip der Einehe ein wirksames Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ausschließt.
37 
bb) Anders als das Verwaltungsgericht meint und entgegen der wohl herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (VG Gießen, Urteil vom 07.06.2004 - 10 E 2666/03 - juris; VG Freiburg, Urteil vom 25.03.2010 - 6 K 630/09 - juris; offen VG Karlsruhe, Urteil vom 08.05.2013 - 4 K 1419/11 - VBlBW 2014, 150; a.A. VG Köln, Urteil vom 13.04.2011, a.a.O.) rechnet das Prinzip der Einehe nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist im Staatsangehörigkeitsgesetz nicht definiert. Zur Klärung des Bedeutungsgehalts hat der erkennende Senat verschiedene Ansätze in Betracht gezogen:
38 
(1) Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 17.01.2017 - 2 BvB 1/13 - Rn. 535 ff.) geht in seiner jüngsten Entscheidung zum Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) davon aus, der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasse nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich seien. Ihren Ausgangspunkt finde die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasse insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Ferner sei das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System seien die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung seien schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordere die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten sei. Nach diesem - engen - Begriffsverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, an das der Senat freilich u.a. wegen des ausdrücklichen Bezugs auf Art. 21 Abs. 2 GG nicht schon wegen § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden ist, ist das Prinzip der Einehe nicht Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. auch Warg, NVwZ-Beilage 2017, 42 [44]). Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten hat, die Mehrehe verstoße gegen die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde, handelt es sich um eine völlig singuläre Rechtsauffassung, die die Beklagte anhand des gängigen Begriffsverständnisses (v.a. Objektformel) nicht näher darzulegen vermochte. Dass allein der Bestand zweier Ehen eine Verachtung oder Geringschätzung des dem Menschen kraft seines Person-Seins zukommenden Wertes zum Ausdruck bringt, hält der erkennende Senat - insoweit von weiteren Ausführungen absehend - für fernliegend (vgl. zur Ausstrahlungswirkung bestimmter Grundrechte auf die von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung umfasste Menschenwürde: Warg, a.a.O., S. 44).
39 
(2) In seiner älteren Rechtsprechung zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, 1) ausgeführt, die freiheitliche demokratische Grundordnung lasse sich als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstelle. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung seien mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (s. auch BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 BvR 12 BvR 1152/10 - BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urteil vom 13.04.1999 - 1 A 3.94 - DVBl. 1999, 1743 ff.). Im Grundgesetz taucht dieser Begriff neben Art. 21 Abs. 2 GG auch an anderer Stelle - bei vergleichbarem Begriffsverständnis (vgl. etwa Ziekow, in: Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Band 1, Art. 11 Rn. 110; Höfling/Krings, in: Friauf/Höfling, a.a.O., Art. 18 Rn. 18) - auf (Art. 11 Abs. 2, 18 und 87a Abs. 4 GG).
40 
(3) Einfachgesetzlich findet sich der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in verschiedenen Fachgesetzen (vgl. etwa §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, § 8 SoldG, § 7 Abs. 1 Nr. 2 BBG, § 49 AbgG, § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AZRG). Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung der Fachgesetze muss das Verständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht notwendig (voll)identisch sein, wenngleich zu konstatieren sein dürfte, dass es gerade bei dem Rechtsbegriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenig überzeugend sein dürfte, gleichsam von mehreren nebeneinander stehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnungen auszugehen. Nicht umsonst wird der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland“ nicht nur bei § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG im Singular („die…Grundordnung“) verwendet. Folgerichtig wird bei der Auslegung einfach-rechtlicher Vorschriften stets auf die (frühere) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG Bezug genommen (vgl. statt vieler Battis, BBG, 4. Aufl., § 7 Rn. 14).
41 
(4) Rechtsprechung und Literatur haben die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG in der Weise umrissen, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, in: GK-StAR, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.; vgl. auch Nr. 10.1.1.1 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1 -). Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen danach das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Mit dieser bereichsspezifischen Legaldefinition wird die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 21 Abs. 2 GG - bewusst (vgl. BT-Drs. 11/4306 S. 60: „Die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind durch die Rechtsprechung [BVerfGE 2, 1 ff. und 5, 85 ff.] sowie durch den Gesetzgeber in § 92 des Strafgesetzbuches inhaltlich festgelegt worden.“) - aufgenommen.
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Dieses Begriffsverständnis des § 4 Abs. 2 BVerfSchG lag auch dem Bekenntnis des Klägers zugrunde, das sich sowohl als „Merkblatt zur Verfassungstreue und Absage an alle Formen des Extremismus“ (Bl. 115. d.A.) als auch als „Bekenntnis- und Loyalitätserklärung“ (Bl. 123 d.A.) als von ihm unterschriebene Formblätter in den Verwaltungsakten befindet. Dies spricht nach Auffassung des Senats dafür, für die Frage, ob dem Kläger bei seiner Einbürgerung am 21. Oktober 2010 ein Einbürgerungsanspruch nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG zugestanden hat, auf das damalige (weitere) Begriffsverständnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzustellen.
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(5) Dies zugrunde legend erweist sich das Prinzip der Einehe nicht als Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Denn der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist historisch nachgerade untrennbar mit dem Begriff der „wehrhaften“ oder „streitbaren“ Demokratie („militant democracy“) verbunden und stellt die verfassungsrechtliche Reaktion auf den Werterelativismus der Weimarer Zeit dar (vgl. statt vieler: Schliesky, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 277 Rn. 10). Die freiheitliche demokratische Grundordnung statuiert das Rechtsprinzip, die vom Grundgesetz konstituierte Demokratie als wertgebundene Ordnung zu begreifen und diese mit den verfassungsrechtlich zugewiesenen Instrumenten gegen die Feinde der Demokratie zu verteidigen (vgl. auch Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [219]). Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist zum einen der Rahmen der politischen Betätigung des Einzelnen wie auch deren Voraussetzung. Zum anderen schützt sie die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes gegen ihre Feinde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.09.2013 - 2 BvE 6/08, 2 BvR 22 BvR 2436/10 - BVerfGE 134, 141 Rn. 112: „Verfassungsfeinde sollen nicht unter Berufung auf Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören dürfen.“). Mit Blick auf diese Zielrichtung des Rechtsbegriffs erscheint es naheliegend, etwa der Vereinigungsfreiheit, dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung, der Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit und auch der Religionsfreiheit einen engen thematischen Bezug zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuzugestehen. Hingegen kommt der Ehe als solcher, die das Grundgesetz als Einehe und als auf Dauer angelegte, frei eingegangene Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau versteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.10.1970 - 1 BvR 409/67 - BVerfGE 29, 166 [176]; Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323 [330]), zwar eine erhebliche das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG auslösende sozialethische und kulturelle Funktion in der Konstituierung und Entwicklung des Gemeinschaftslebens zu (vgl. etwa Badura, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Band 1, Art. 6 Rn. 2 [Stand August 2000]). Sie ist zudem durch eine die normative Grundausstattung sichernde Institutsgarantie vor Abschaffung und Wesensveränderungen durch den (einfachen) Gesetzgeber geschützt. Das Prinzip der Einehe gehört deshalb zweifellos zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und zu den Art. 6 Abs. 1 GG vorgegebenen Strukturprinzipien (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.08.2007 - 11 S 995/07 - NJW 2007, 3453; OVG Niedersachsen, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris Rn. 24). Dieses Prinzip wird in seinem (verfassungs-)rechtlichen Gehalt - anders als der Kläger meint - auch nicht durch die Zunahme von Ehescheidung, serielle Monogamie und außereheliche Partnerschaften in Frage gestellt.
44 
Einen unmittelbaren thematischen Bezug zur wehrhaften Demokratie des Grundgesetzes weist das Prinzip der Einehe aber nicht auf. Wer gegen das Verbot der Doppel- oder Mehrehe verstößt, ist - wie es das Verwaltungsgericht Regensburg (Urteil vom 27.05.2009 - RN 9 K 08.01658 - juris Rn. 24) ebenso plakativ wie treffend ausgedrückt hat - nicht schon deshalb ein „Verfassungsfeind“ (vgl. aber zu Zwangsheirat und Eheschließungsfreiheit: Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [223]; zur Einführung eines islamistischen Staats- und Gesellschaftssystems: Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 56). Der Bestand und die Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung werden bei einem Verstoß gegen das Prinzip der Einehe nicht gefährdet. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft den Kern dessen offenbart, was ihn zur Eingehung einer Zweitehe bewogen hat: Sein im Jahr 2006 gelebtes Verhältnis zu seiner Cousine war aufgeflogen; der Bruder seiner heutigen Zweitfrau hatte ihn auf diese Beziehung angesprochen. Er habe dann zum einen die Möglichkeit gehabt, in Deutschland zu bleiben und nicht nach Syrien zurückzukehren. Dann wäre seine Cousine als Frau verloren gewesen. In Syrien sei eine Frau „erledigt“, wenn sie ein Verhältnis gehabt habe und dabei erwischt worden sei. Eine Frau habe dann keine Rechte mehr. Er habe sich für den zweiten Weg entschieden und habe Frau M... gerettet. In Syrien heirate man, wenn eine Beziehung auffliege (dann „sind die Mäuler zu“). Der Islam, an den er glaube, gestatte die Mehrehe. Seine erste Ehefrau habe von dieser zweiten Ehe immer gewusst. Diese Ehe habe für ihn momentan als solche keine Bedeutung, sie werde nicht vollzogen und er schlafe nicht mit seiner „Zweitfrau“; aber Frau M... sei die Mutter seiner Tochter und deshalb bleibe er für immer mit ihr verbunden. In ihrer Begründung mag die vom Kläger eingegangene Zweitehe für hiesiges Verständnis ebenso fremd wie Anstoß erregend sein. Insbesondere die weitgehende Entrechtung der Frau im Falle der Nichtheirat als auch der Umstand, dass die Mehrehe ausschließlich Männern vorbehalten bleibt, konfligieren in Werteverständnis und Moral erheblich mit westeuropäischen Vorstellungen. Indes kann aus der vom Kläger eingegangenen Zweitehe unter Berücksichtigung der von ihm insoweit geschilderten Umstände nicht geschlossen werden, er sei auf eine Beseitigung der wertgebundenen Ordnung des Grundgesetzes aus (vgl. Gusy, AöR 105 [1980], 279 [284]).
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Auch die Reaktion des einfachen Rechts auf die im Ausland nach syrischem Recht in zulässiger Weise geschlossene Mehrehe bestätigt diesen Befund (vgl. zur Erheblichkeit des Kollisionsrechts für die Ermittlung des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 - BVerfGE 76, 1; Beschluss vom 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 - BVerfGE 31, 58 [77]) Nach herrschender Meinung verbietet es der ordre public zwar, dass eine nach anwendbarem ausländischem Recht zulässige Mehrehe vor einem deutschen Standesbeamten geschlossen wird und dass ein deutsches Gericht auf entsprechende Klage die Partner einer Mehrehe zur Herstellung der (polygamen) ehelichen Lebensgemeinschaft verurteilt (vgl. Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, Art. 13 Rn. 68; Hohloch, in: Erman, BGB, 14. Aufl., Art. 6 EGBGB Rn. 33; Cullmann, FamRZ 1976, 313 [314]; Hohloch, JuS 1977, 679; Jayme, FamRZ 1975, 340 [341]). Der starke Inlandsbezug und die notwendige Mitwirkung deutscher Behörden führen insoweit zum Durchschlagen deutscher Grundwerte im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Hingegen wird die im Ausland - wie hier in Syrien - rechtmäßig geschlossene Mehrehe auch im Inland als Ehe im Sinne des bürgerlichen Rechts anerkannt - einschließlich ihrer vermögens- und kindschaftsrechtlichen Wirkungen (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; BSG, Urteil vom 30.08.2000 - B 5 RJ 4/00 R - NZS 2001, 426; BFH, Urteil vom 06.12.1985 - VI R 56/82 - NJW 1986, 2209; OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1986 - 15 W 16/86 - StAZ 1986, 352; OLG München, Beschluss vom 03.07.2015 - 34 Wx 311/14 - NJW-RR 2015, 1349; KG, Beschluss vom 31.05.2016 - 1 VA 7/15 - juris Rn. 7; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.1974 - 2 K 763/72 - FamRZ 1975, 338 m. Anm. Jayme; vgl. zur Eintragung der zweiten Ehe in ein deutsches Personenstandsregister BGH, Beschluss vom 04.10.1990 - XII ZB 200/87 - NJW 1991, 3088 [3090]; KG, Beschluss vom 31.05.2016 - 1 VA 7/15 - juris Rn. 7). Insbesondere steht der ordre public nicht den Unterhaltsansprüchen der Ehefrauen gegen den gemeinsamen Ehemann entgegen. Die aus einer Mehrehe hervorgehenden Kinder werden als eheliche Kinder betrachtet (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.; von Coelln, in: Sachs, Grundgesetz, 6. Aufl., Art. 6 Rn. 8). Es wird auch nicht als sittenwidrig gewertet, wenn die Partner einer im Ausland wirksam eingegangenen Mehrehe ihr Zusammenleben im Inland freiwillig fortsetzen (BFH, Urteil vom 06.12.1985 - VI R 56/82 - NJW 1986, 2209; OLG Hamm, Beschluss vom 12.09.1986 - 15 W 16/86 - StAZ 1986, 352; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18.07.1974 - 2 K 763/72 - FamRZ 1975, 338 [340]), wenngleich eine Herstellungsklage im Sinne des § 1353 BGB überwiegend für nicht durchsetzbar gehalten wird (Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 69). Auch eine Strafbarkeit nach § 172 StGB ist bei der hier zur Beurteilung stehenden Mehrfacheheschließung nicht gegeben. Selbst in den Fällen, in denen der Ehemann - wie hier - bereits in monogamer Erstehe (mit einer Deutschen) verheiratet ist, beherrscht das monogame Statut der Erstfrau die Zweiteheschließung zwischen zwei Muslimen nicht, wenngleich der deutsche ordre public einer vollen Anerkennung der Zweitehe entgegen steht und die Zweitehe auf Antrag der deutschen „Erstfrau“ aufhebbar ist (§§ 1306, 1314 Abs. 1, 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB; Coester, in: Münchner Kommentar zum BGB, a.a.O., Rn. 69).
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Der Umstand, dass die nach ausländischem Recht im Ausland in rechtmäßiger Weise geschlossene Zweitehe in Deutschland als wirksam betrachtet, ein Verstoß gegen den ordre public mithin nicht angenommen wird, spricht somit ebenfalls gegen einen Verstoß der Mehrehe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Denn führt die Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm nach deutschem Verständnis nicht zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (vgl. Art. 6 Satz 1 EGBGB), ist - bei aller Unterschiedlichkeit der durch ordre public und freiheitliche demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) geschützten Rechtsgüter - der Schluss auf eine gleichwohl bestehende Gefährdung von Bestand und Sicherheit des Staates oder seine Grundordnung schwerlich möglich. Andernfalls ließe sich etwa die Verpflichtung der Standesämter zur Eintragung der Zweitehe in ein deutsches Personenstandsregister kaum begründen (vgl. hierzu KG, Beschluss vom 31.05.2016, a.a.O.).
47 
Jenseits der einfachrechtlichen Reaktion des internationalen Privatrechts auf eine Zweitehe kommt aus verfassungsrechtlicher Perspektive hinzu, dass die Frage des (nicht gegebenen) Schutzes der Zweitfrau durch Art. 6 Abs. 1 GG keineswegs als in jeder Hinsicht gesichert gelten kann (offen gelassen von BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O., S. 230; eine Eröffnung des Schutzbereichs erwägend Burgi, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Band 1, Art. 6 Rn. 19; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 - BVerfGE 76, 1 ). Die Kinder aus der Zweitehe - hier etwa die Tochter des Klägers H... - können sich als dessen Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG unzweifelhaft auf die grundrechtlichen Gewährleistungen berufen (BVerwG, Urteil vom 30.04.1985, a.a.O.; von Coelln, in: Sachs, Grundgesetz, a.a.O., Rn. 7).
48 
Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird ferner - mit Blick auf die allgemeinen und besonderen Gleichheitsrechte und Diskriminierungsverbote - nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Mehrehe in Syrien nur Männern, nicht aber Frauen offensteht. Das mag die Unvereinbarkeit des islamischen Eherechts mit dem deutschen (und europäischen) Verständnis von Gleichheit der Geschlechter sowie Mann und Frau nach sich ziehen. Hingegen ist in dem Eingehen der Ehe mit einer weiteren Frau kein grundsätzliches Bekenntnis des Klägers gegen die Gleichheit von Mann und Frau zu sehen (vgl. aber zur in Deutschland „gelebten“ Ungleichheit von Mann und Frau: Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [222]; s. auch Roth, in: Schenke/Graulich/Ruthig, a.a.O., §§ 3, 4 BVerfSchG Rn. 51). Der Kläger hat auf entsprechende Frage durch den Senat zwar ausgeführt, für ihn selbst komme es nicht in Betracht, (nur) einer von mehreren Ehemännern einer Frau zu sein. Er hat aber auch klargestellt, dass er daraus nur die Konsequenz ziehen würde, in einer solchermaßen verfassten Polygamie nicht leben zu wollen. Für einen prinzipiellen Zweifel an der Gleichheit von Mann und Frau in der Haltung des Klägers hat der Senat keinen Anhaltspunkt. Die vom Kläger eingegangene Zweitehe diente - so hat er glaubhaft ausgeführt - dem Schutz seiner Cousine vor der Reaktion der syrischen Gesellschaft auf die außereheliche Affäre einer jungen Frau. Die Gleichheit von Mann und Frau wird damit nicht in Frage gestellt. Auch ist nicht ersichtlich, dass die durch den Gleichheitssatz verpflichtete deutsche Staatsgewalt im Falle des Klägers gegen die Gewährleistungen des Gleichheitssatzes verstoßen haben könnte. Darauf, ob die Mehrehe als solche gegen Art. 3 Abs. 1 bis 3 GG verstoßen könnte (so VG Freiburg, Urteil vom 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; offen VG Karlsruhe, Urteil vom 08.05.2013 - 4 K 1419/11 - juris Rn. 29), kommt es bei der Frage, ob sich der Kläger inhaltlich überzeugt zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt, nicht an (vgl. zu entsprechenden Gesprächsleitfäden Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 [221]).
49 
Im Übrigen kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Kläger anhand der ihm für sein Bekenntnis vorgelegten Formblätter nicht nachvollziehen konnte, ob der Umstand seiner im Jahr 2008 geschlossenen zweiten Ehe ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausschließt. Die Klärung eines - selbst in der Rechtswissenschaft unklaren (vgl. nur Gusy, AöR 105 [1980], 279 [301ff.]) und vom Bundesverfassungsgericht jüngst korrigierten - weithin unbestimmten Rechtsbegriffs ist nicht Aufgabe des Einbürgerungsbewerbers (in diese Richtung auch Berlit, in GK-StAR, a.a.O., Rn. 145.1). Soweit der Gesetzgeber Einbürgerungsbewerber auf die Einhaltung bestimmter Prinzipien festlegen will, mag er die Erwartungen in hinreichend bestimmten, für den Normadressaten nachvollziehbaren Vorschriften konkretisieren oder die Glaubhaftigkeit des Bekenntnisses in einem Gespräch überprüfen (vgl. hierzu wiederum Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff.). Auch bestehen aus der Perspektive des Verfassungsrechts keine Einwände dagegen, den Rechtsbegriff der „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG) auch zur Grundlage von Einbürgerungen nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG zu machen. Soweit aber Inhalt und Gewährleistungsgehalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG für den Einbürgerungsbewerber nicht nachvollziehbar sind, muss er für etwaige „Subsumtionsfehler“ nicht einstehen.
50 
3. Da der Kläger am 21. Oktober 2010 einen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 StAG hatte, scheidet die Rücknahme der Einbürgerung mangels Kausalität des Verhaltens für das Ergebnis des Verwaltungsverfahrens aus.
III.
51 
Die Rücknahme der Einbürgerung könnte aber auch keinen Bestand haben, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 StAG gegeben wären. Davon ließe sich ausgehen, wenn man - entgegen Nr. 4.3.1.2 Buchstabe d) der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Integration zum Staatsangehörigkeitsgesetz (VwV StAG) vom 8. Juli 2013 - Az. 2-1010.1/1 - davon ausgehen wollte, die Zeiten einer Aufenthaltsbewilligung nach § 28 AuslG 1990 müssten im Hinblick auf § 10 Abs. 1 StAG außen vor bleiben (vgl. hierzu ausführlich: BVerwG, Urteil vom 26.04.2016 - 1 C 9.15 - BVerwGE 155, 47). Dann wäre die Einbürgerung des Klägers mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 StAG rechtwidrig. Hierfür ursächlich wäre - was insoweit unterstellt werden kann - das in § 35 Abs. 1 StAG beschriebene Verhalten des Klägers (UA S. 10 ff. im Urteil des Verwaltungsgerichts), und ein Einbürgerungsanspruch hätte im Zeitpunkt der Einbürgerung am 21. Oktober 2010 weder nach Maßgabe des § 8 StAG noch nach § 10 Abs. 1 StAG bestanden.
52 
Jedoch wäre innerhalb der Ausübung des Rücknahmeermessens gemäß § 35 StAG danach zu fragen, ob der Kläger im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung einen Einbürgerungsanspruch aus anderem Rechtsgrund gehabt hätte. So ist auch das Regierungspräsidium Karlsruhe in seinem Widerspruchsbescheid vom 7. März 2014 vorgegangen. Einem Rechtsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG hat es aber die - tragende - Ermessenserwägung entgegen gehalten (vgl. Widerspruchsbescheid S. 5 und 6), der Kläger könne „angesichts der tatsächlichen Situation kein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG und kein feierliches Bekenntnis nach § 16 StAG abgeben“. Mit dieser Ermessensausübung erweist sich die Rücknahme der Einbürgerung in der hier maßgeblichen Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) als ermessensfehlerhaft, denn sie beruht tragend auf der - wie gezeigt - unzutreffenden Annahme, der Umstand einer Zweitehe schließe für sich genommen ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes aus.
53 
Keiner Entscheidung aus Anlass dieses Verfahrens bedarf die Frage, ob aus Gründen vorrangigen Rechts (Art. 16 Abs. 1 GG) zu fordern ist, dass die Behörde ihr Ermessen gleichsam unter Kontrolle hält und ggf. bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ergänzt (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt auch Marx, in: GK-StAR, a.a.O., § 35 Rn. 199). Denn die Beklagte hat die Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe nicht ergänzt, obwohl die Frage des insoweit maßgeblichen Zeitpunkts Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Deshalb bedarf auch die Frage, ob die Reduzierung des Gewährleistungsgehalts der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch das Bundesverfassungsgericht im NPD-Verbotsfahren einen rechtlichen Umstand darstellen kann, der jedenfalls auf der „Ermessensseite“ eine Ergänzung der Ermessenserwägungen erfordern kann, keiner Klärung im hier zu entscheidenden Verfahren.
54 
Erweist sich die Rücknahme der Einbürgerung als rechtswidrig, kann die Herausgabe der Urkunden und Ausweisdokumente (Verfügung Nr. 3 im Bescheid vom 11. Dezember 2013) und die Festsetzung der Verwaltungsgebühr in Höhe von 200,-- EUR (ebenda Nr. 5) keinen Bestand haben.
55 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
56 
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
57 
Beschluss vom 25. April 2017
58 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird nach § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt (Nr. 42.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Fassung 2013).
59 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 25. Apr. 2017 - 12 S 2216/14

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(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

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(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. (2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gese

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(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er 1. handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich v

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 16


(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. (2) Ke

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1353 Eheliche Lebensgemeinschaft


(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung. (2) Ein Ehegatte ist nicht ver

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 16 Grundsatz des Aufenthalts zum Zweck der Ausbildung


Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deuts

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 12


(1) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist anzunehmen, wenn 1. das Recht des ausländische

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 11


Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, d

Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG | § 3 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden


(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitli

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 12a


(1) Bei der Einbürgerung bleiben außer Betracht: 1. die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz,2. Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und3. Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monat

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 35


(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzl

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1314 Aufhebungsgründe


(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie1.entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder2.entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen wor

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 9


(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebensp

Bundesbeamtengesetz - BBG 2009 | § 7 Voraussetzungen des Beamtenverhältnisses


(1) In das Beamtenverhältnis darf berufen werden, wer 1. Deutsche oder Deutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit a) eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oderb) eines anderen Vertra

Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG | § 4 Begriffsbestimmungen


(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Fr

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1306 Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft


Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

Personenstandsgesetz - PStG | § 27 Feststellung und Änderung des Personenstandes, sonstige Fortführung


(1) Wird die Vaterschaft nach der Beurkundung der Geburt des Kindes anerkannt oder gerichtlich festgestellt, so ist dies beim Geburtseintrag zu beurkunden. Über den Vater werden die in § 21 Abs. 1 Nr. 4 genannten Angaben eingetragen; auf die Beurkund

Staatsangehörigkeitsgesetz - RuStAG | § 16


Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz u

AZR-Gesetz - AZRG | § 12 Gruppenauskunft


(1) Die Übermittlung von Daten einer Mehrzahl von Ausländern, die in einem Übermittlungsersuchen nicht mit vollständigen Grundpersonalien bezeichnet sind und die auf Grund im Register gespeicherter und im Übermittlungsersuchen angegebener gemeinsamer

Strafgesetzbuch - StGB | § 172 Doppelehe; doppelte Lebenspartnerschaft


Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und 1. mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder2. gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber d

Personenstandsgesetz - PStG | § 44 Erklärungen zur Anerkennung der Vaterschaft und der Mutterschaft


(1) Die Erklärung, durch welche die Vaterschaft zu einem Kind anerkannt wird, sowie die Zustimmungserklärung der Mutter können auch von den Standesbeamten beurkundet werden. Gleiches gilt für die etwa erforderliche Zustimmung des Kindes, des gesetzli

Abgeordnetengesetz - AbgG | § 49 Interessenverknüpfung im Ausschuss


Ein Mitglied des Bundestages, das entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt ist, der in einem Ausschuss des Bundestages zur Beratung ansteht, hat als Mitglied dieses Ausschusses vor einer Wortmeldung eine Interessenverknüpfung offenzulegen. Ein Mi

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. April 2007 - 11 K 3637/06 - wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

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Tenor Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. September 2004 - 7 K 4359/03 - wird abgelehnt. Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert des Zu
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Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 21. März 2019 - RO 5 K 17.1402

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Kläger wendet sich gegen eine Mitt

Referenzen

Der Zugang von Ausländern zur Ausbildung dient der allgemeinen Bildung und der internationalen Verständigung ebenso wie der Sicherung des Bedarfs des deutschen Arbeitsmarktes an Fachkräften. Neben der Stärkung der wissenschaftlichen Beziehungen Deutschlands in der Welt trägt er auch zu internationaler Entwicklung bei. Die Ausgestaltung erfolgt so, dass die Interessen der öffentlichen Sicherheit beachtet werden.

(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist dem ausländischen

1.
Ehegatten eines Deutschen,
2.
minderjährigen ledigen Kind eines Deutschen,
3.
Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge
zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Sie ist abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 zu erteilen. Sie soll in der Regel abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 erteilt werden. Sie kann abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 dem nicht personensorgeberechtigten Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen erteilt werden, wenn die familiäre Gemeinschaft schon im Bundesgebiet gelebt wird. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2, Satz 3 und Abs. 2 Satz 1 ist in den Fällen des Satzes 1 Nr. 1 entsprechend anzuwenden.

(2) Dem Ausländer ist in der Regel eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. § 9 Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend. Im Übrigen wird die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft fortbesteht.

(3) Die §§ 31 und 34 finden mit der Maßgabe Anwendung, dass an die Stelle des Aufenthaltstitels des Ausländers der gewöhnliche Aufenthalt des Deutschen im Bundesgebiet tritt. Die einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilte Aufenthaltserlaubnis ist auch nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes zu verlängern, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und das Kind sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt.

(4) Auf sonstige Familienangehörige findet § 36 entsprechende Anwendung.

(5) (weggefallen)

(1) Wird die Vaterschaft nach der Beurkundung der Geburt des Kindes anerkannt oder gerichtlich festgestellt, so ist dies beim Geburtseintrag zu beurkunden. Über den Vater werden die in § 21 Abs. 1 Nr. 4 genannten Angaben eingetragen; auf die Beurkundung seiner Geburt wird hingewiesen.

(2) Die Anerkennung der Mutterschaft zu einem Kinde wird auf mündlichen oder schriftlichen Antrag der Mutter oder des Kindes beim Geburtseintrag beurkundet, wenn geltend gemacht wird, dass die Mutter oder der Mann, dessen Vaterschaft anerkannt oder rechtskräftig festgestellt ist oder von dem das Kind nach Angabe der Mutter stammt, eine fremde Staatsangehörigkeit besitzt und das Heimatrecht dieses Elternteils eine Anerkennung der Mutterschaft vorsieht.

(3) Außerdem sind Folgebeurkundungen zum Geburtseintrag aufzunehmen über

1.
jede sonstige Änderung des Personenstandes des Kindes; bei einer Annahme als Kind gilt § 21 Abs. 1 Nr. 4 entsprechend,
2.
die Änderung der Namensführung der Eltern oder eines Elternteils, wenn auch das Kind den geänderten Namen führt,
3.
die Feststellung des Namens des Kindes mit allgemein verbindlicher Wirkung,
4.
die nachträgliche Angabe oder die Änderung des Geschlechts des Kindes,
5.
die Berichtigung des Eintrags.

(4) Für die aus Anlass der Beurkundungen nach den Absätzen 1 und 3 aufzunehmenden Hinweise gilt § 21 Abs. 3 entsprechend. Im Übrigen wird hingewiesen

1.
auf die Ehe oder die Lebenspartnerschaft des Kindes,
2.
auf die Geburt eines Kindes,
3.
auf den Tod des Kindes oder eine das Kind betreffende Todeserklärung oder gerichtliche Feststellung der Todeszeit.

(1) Die Erklärung, durch welche die Vaterschaft zu einem Kind anerkannt wird, sowie die Zustimmungserklärung der Mutter können auch von den Standesbeamten beurkundet werden. Gleiches gilt für die etwa erforderliche Zustimmung des Kindes, des gesetzlichen Vertreters oder des Ehemannes der Mutter zu einer solchen Erklärung sowie für den Widerruf der Anerkennung.

(2) Die Erklärung, durch welche die Mutterschaft zu einem Kind anerkannt wird, und die etwa erforderliche Zustimmungserklärung des gesetzlichen Vertreters der Mutter können auch von den Standesbeamten beurkundet werden.

(3) Dem Standesamt, das den Geburtseintrag des Kindes führt, ist eine beglaubigte Abschrift der Erklärungen zu übersenden. Ist die Geburt des Kindes nicht im Inland beurkundet, so ist die beglaubigte Abschrift dem Standesamt I in Berlin zu übersenden.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."; § 10 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."; § 10 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist,
2.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
3.
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat,
4.
sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist.

(2) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 und 4 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist anzunehmen, wenn

1.
das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht,
2.
der ausländische Staat die Entlassung regelmäßig verweigert,
3.
der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat,
4.
der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde,
5.
dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen, oder
6.
der Ausländer einen Reiseausweis nach Artikel 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt.

(2) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird ferner abgesehen, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz besitzt.

(3) Weitere Ausnahmen von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 können nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge vorgesehen werden.

(1) Bei der Einbürgerung bleiben außer Betracht:

1.
die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz,
2.
Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und
3.
Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist.
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer wegen einer rechtswidrigen antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Tat im Sinne von § 46 Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheits-, Geld- oder Jugendstrafe verurteilt und ein solcher Beweggrund im Rahmen des Urteils festgestellt worden ist. Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen im Sinne des Satzes 1 Nr. 2 und 3 sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wird eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe. Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 3, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann. Ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 5 oder 6 des Strafgesetzbuches angeordnet worden, so wird im Einzelfall entschieden, ob die Maßregel der Besserung und Sicherung außer Betracht bleiben kann.

(2) Ausländische Verurteilungen zu Strafen sind zu berücksichtigen, wenn die Tat im Inland als strafbar anzusehen ist, die Verurteilung in einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgesprochen worden ist und das Strafmaß verhältnismäßig ist. Eine solche Verurteilung kann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach dem Bundeszentralregistergesetz zu tilgen wäre. Absatz 1 gilt entsprechend.

(3) Wird gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt, ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Falle der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils auszusetzen. Das Gleiche gilt, wenn die Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 des Jugendgerichtsgesetzes ausgesetzt ist.

(4) Im Ausland erfolgte Verurteilungen und im Ausland anhängige Ermittlungs- und Strafverfahren sind im Einbürgerungsantrag aufzuführen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. April 2007 - 11 K 3637/06 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der Kläger ist Staatsangehöriger von Sri Lanka und tamilischer Volkszugehöriger. Am 2.7.1972 wurde er in Jaffna geboren. Er reiste am 6.4.1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22.5.1997 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 28.4.1998 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, nachdem es mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.3.1998 - A 4 K 14020/97 - hierzu verpflichtet worden war. Das Gericht ging hierbei davon aus, dass der Kläger in seiner Heimat auf der Jaffna-Halbinsel zunächst von der LTTE („Liberation Tigers of Tamil Eelam“) und dann auch von der Armee bedrängt worden und deshalb nach Colombo gegangen sei, wo er unter LTTE-Verdacht verhaftet, verhört und misshandelt worden sei. Seit dem 18.5.1998 besitzt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Unter dem 7.9.2003 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Am 24.9.2003 gab er gegenüber der Beklagten eine Loyalitätserklärung zum Einbürgerungsantrag ab. Darin bekannte er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und erklärte, dass er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die u.a. gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet seien oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Laut Vermerk der zuständigen Sachbearbeiterin sei durch ein persönliches Gespräch festgestellt worden, dass der Kläger über Grundkenntnisse der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verfüge. Am 21.11.2003 absolvierte er bei der Volkshochschule Stuttgart einen Sprachtest, den er mit 72 Punkten bestand. Sein Führungszeugnis (Stand 3.8.2004) enthielt keine Eintragungen.
Mit Schreiben vom 9.6.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg mit, es stimme einer Einbürgerung des Klägers gegenwärtig nicht zu. Er sei dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der LTTE bekannt. Er habe zumindest 1999 als Schriftführer dem erweiterten Vorstand der „Kultur Vereinigung der Tamilen e.V.“, die der LTTE nahestehe, angehört und sei auch Gründungsmitglied. Dieser Verein trete zwar nach außen hin selbständig auf; seine Verknüpfung mit der LTTE erschließe sich jedoch daraus, dass bewährte LTTE-Kader oder LTTE-Mitglieder Führungsrollen übernähmen. Die Nähe dieses Vereins zur LTTE werde beispielsweise anhand eines Veranstaltungsplakats für eine Kulturveranstaltung am 17.6.2000 deutlich, das in Umrissen das geplante „Tamil Eelam“ sowie einen LTTE-Führer zeige. Bei einer Kulturveranstaltung des Vereins vom 20.1.2001 habe es sich in Wahrheit um eine Heldengedenkfeier zu Ehren eines damaligen LTTE-Funktionärs gehandelt. An der Veranstaltung hätten auch hochrangige LTTE-Kader wie z.B. der Regionalführer von Süddeutschland teilgenommen. Sie sei einerseits von kulturellen und folkloristischen Darbietungen geprägt gewesen, andererseits seien aber auch Revolutionslieder vorgetragen worden und der Vorsitzende einer Nebenorganisation der LTTE habe eine engagierte Rede gehalten, in der er für die Unterstützung des tamilischen Freiheitskampfes geworben habe. Im Veranstaltungsbereich seien an Informationsständen LTTE-Propagandaartikel verkauft worden. Eine Unterstützung der LTTE von deutschem Boden aus schließe Vorbereitungshandlungen ein, die auf die Anwendung von Gewalt gerichtet seien und deshalb auswärtige Belange der Bundesrepublik, nämlich die Beziehungen zu Sri Lanka und gegebenenfalls auch zu Indien, gefährdeten. Die regionalen Unterstützervereine nähmen an diesen Bestrebungen teil, auch wenn sie gleichzeitig dem bloßen geselligen Zusammensein der Mitglieder und Sympathisanten oder einer friedlichen, im Einklang mit der Verfassung stehenden Wahrnehmung von deren Belangen und Interessen dienten. Diese Vereine beteiligten sich zugleich auch an Aktionen, die von der LTTE gesteuert seien. Zudem unterstützten sie diese finanziell.
Unter dem 10.8.2005 nahm der Kläger wie folgt Stellung: In seiner Freizeit gehe er gern zu tamilischen Kulturveranstaltungen, um seine Freunde und Bekannte zu treffen. Dort habe er auch Herrn A. getroffen. Dieser habe ihm berichtet, die Anmietung einer Halle sei erheblich günstiger, wenn sie einen eigenen Kulturverein gründen würden. Dies könnten jedoch nur Personen, die einen unbefristeten Aufenthaltsstatus besäßen. Auf seine Bitte hin habe er - der Kläger - sich bereit erklärt zu helfen. Er habe Herrn A. darauf hingewiesen, dass er für irgendwelche Tätigkeiten keine Zeit habe, da er sehr viel arbeite. Dieser habe geantwortet, der Kläger solle ihm einfach eine Fotokopie seines Reisepasses geben, um alles weitere könne er sich kümmern. Am 28.11.1999 habe er dann eine Einladung für den 12.12.1999 bekommen. An diesem Tag habe er Herrn A. die Fotokopie seines Reisepasses übergeben und unterschrieben. Danach habe er gleich wieder zur Arbeit gehen müssen. Um seine Familie im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu holen, habe er Geld benötigt und deshalb zwei Arbeitsstellen gehabt. Seit seine Familie hier in Deutschland sei, kümmere er sich um seine Frau und seine Kinder, gehe zur Arbeit und habe keinen Kontakt zu den Tigern. In seiner knapp bemessenen Freizeit besuchten er und seine Familie manchmal tamilische Kulturveranstaltungen. Bei den vom Landesamt für Verfassungsschutz erwähnten Veranstaltungen sei er jedoch nicht zugegen gewesen. Mittlerweile habe er mit Schreiben vom 5.8.2004 seine Mitgliedschaft in dem tamilischen Kulturverein gekündigt. Er habe keinerlei Kontakte zur LTTE und mit dem Kulturverein nun nichts mehr zu tun.
Am 4.10.2006 erhob der Kläger Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Zur Begründung trug er vor, er habe nie den entsprechenden Kontakt zu dem tamilischen Kulturverein e.V. Stuttgart gehabt. Seine Mitgliedschaft habe auf reiner Gefälligkeit basiert. Mit Schreiben vom 5.8.2004 habe er die Mitgliedschaft gekündigt. Er habe mit Schreiben vom 10.8.2005 dargelegt, dass und warum er sich von diesem Verein in vollem Umfang distanziere. Er habe an keiner einzigen Veranstaltung dieses Vereins teilgenommen und insbesondere keinen Kontakt zur LTTE.
Mit Bescheid vom 15.12.2006 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Die Erkenntnisse bezüglich seiner Betätigung für die der LTTE nahestehende „Kulturvereinigung der Tamilen in Stuttgart e.V.“ belege, dass er von deutschem Boden aus die LTTE unterstützt habe. Eine Abwendung von diesen Bestrebungen könne nicht schon dem Umstand entnommen werden, dass er dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg letztmals 1999 mit einer Tätigkeit als Schriftführer bekannt geworden sei. Bestätigt werde dies durch seine Einlassung, wonach er seine Mitgliedschaft erst mit Schreiben vom 5.8.2004 gekündigt habe. Sein Vortrag, er sei ohne Absicht in die Schriftführerschaft des Vereins „hereingerutscht“, weil er einem Bekannten eine Kopie des Reisepasses geliehen habe, vermöge nicht zu überzeugen. Auch sonst fehle es seiner Darstellung an Schlüssigkeit und logischer Überzeugungskraft. Einerseits trage er vor, gerne zu tamilischen Kulturveranstaltungen zu gehen, um Freunde und Bekannte zu treffen. Diese Kontakte hätten jedoch durch die Bemühungen, eine ausreichende Lebensgrundlage für die Einreise der Familie zu schaffen, und erst recht seit seine Familie hier lebe, stark nachgelassen. Andererseits trage er vor, mit seiner Familie weiterhin manchmal tamilische Kulturveranstaltungen zu besuchen.
Unter dem 17.1.2007 und dem 1.3.2007 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg auf Anfrage des Verwaltungsgerichts ergänzend mit, der Kläger sei durch eine zuverlässige Quelle als Teilnehmer einer Veranstaltung am 22.1.2005 in Karlsruhe identifiziert worden. Bei dieser Veranstaltung sei die Fahne der LTTE gehisst worden und es seien Lobreden auf einen ehemaligen LTTE-Funktionär gehalten worden. Der Bezug zur LTTE ergebe sich auch aus dem Emblem und dem Schriftzug der Organisation auf der im Internet veröffentlichten Einladung zur Veranstaltung. Die Veranstaltung habe um 16.30 Uhr begonnen und etwa vier Stunden gedauert.
Der Kläger nahm hierzu wie folgt Stellung: Er bestreite, an einer Veranstaltung der LTTE am 22.1.2005 in Karlsruhe teilgenommen zu haben. In der Nacht vom 21. auf den 22.1.2005 habe er von 21.59 Uhr bis 6.01 Uhr morgens gearbeitet. Zwischen 7.30 Uhr und 9.00 Uhr habe er noch eine Nebentätigkeit bei einer Gebäudereinigungsfirma ausgeübt. Am 22.1.2005 seien er und seine Familie zu einem häuslichen Gedenktag aus Anlass des Todes der Mutter eines Freundes in Folge des Tsunami eingeladen gewesen. Sie seien zu Hause gegen 17.30 Uhr aufgebrochen, der Gedenktag habe etwa um 18.00 Uhr bei dem in der Nähe wohnenden Freund angefangen. Daher könne er nicht an diesem Tag in Karlsruhe gewesen sein.
10 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 26.4.2007 wurde der beim Landesamt für Verfassungsschutz beschäftigte Zeuge ... vernommen. Er gab an: Das Protokoll der Versammlung vom 19.10.1999 enthalte die Aussage, dass der Kläger als Schriftführer ohne Gegenstimme gewählt worden sei. Hieraus könne geschlossen werden, dass er als Schriftführer tätig gewesen sei. Welche Tätigkeiten er entfaltet habe, wisse er - der Zeuge - aber nicht. Er habe auch keine Erkenntnisse, dass der Kläger Tätigkeiten für die Kulturvereinigung der Tamilen entfaltet habe. Er wisse nur, dass er Teilnehmer an der Veranstaltung am 22.1.2005 gewesen sei. Aus einem Antrag, den der Kläger im Jahr 1998 gestellt habe, sei der Quelle des Landesamts für Verfassungsschutz das Lichtbild des Klägers kurz vor dem 8.3.2001 vorgelegt worden. Die Quelle sei bei der Veranstaltung am 22.1.2005 anwesend gewesen; sie habe den Kläger als Teilnehmer identifiziert. Sie habe dem V-Mann-Führer mündlich berichtet; dieser habe ein Protokoll gefertigt. Die Quelle sei nach Ansicht des Landesamts für Verfassungsschutz zuverlässig. Sie zähle zu den etwa 110 Mitgliedern der LTTE, von denen im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2005 die Rede sei. Der Kläger zähle nach Ansicht des Landesamts für Verfassungsschutz nicht zu diesen 110 Mitgliedern. Bei der Veranstaltung am 22.1.2005 seien etwa 300 Personen anwesend gewesen. Hierbei habe die zur Volksgruppe der Tamilen gehörende Quelle weniger als 30 Personen benannt. Die Kulturvereinigung der Tamilen gelte seit der Veranstaltung am 17.6.2000 als LTTE-nah. Mangels Erkenntnissen könne er nicht sagen, dass die Kulturvereinigung schon zuvor der LTTE nahegestanden habe. Ob die Kulturvereinigung auch Veranstaltungen, die nicht von der LTTE geprägt worden seien, veranstaltet habe, wisse er nicht. Dass die Veranstaltung am 22.1.2005 LTTE-nah gewesen sei, ergebe sich aus dem gesamten Inhalt dieser Veranstaltung.
11 
Ausweislich der Verhandlungsniederschrift befragte der Berichterstatter nach Abschluss der Beweisaufnahme den Kläger zum Inhalt der von ihm abgegebenen Loyalitätserklärung und zum Inhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Der Kläger erklärte, hierüber wisse er nichts. Auf weitere Frage des Berichterstatters zum Inhalt von Grundrechten erklärte - so die Niederschrift - der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dieser werde keine weiteren Aussagen machen. Sodann habe der Berichterstatter den rechtlichen Hinweis gegeben, dass auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu prüfen seien.
12 
Mit Urteil vom 26.4.2007 - 11 K 3637/06 - hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Ein Anspruch auf Einbürgerung bestehe gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Diese Anforderungen erfülle der Kläger nicht. Zwar habe er bei dem am 21.11.2003 durchgeführten „Deutschtest“ 72 Punkte erreicht. Dies sei jedoch allein ein Indiz für das Vorliegen ausreichender Deutschkenntnisse. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Befragung des Klägers sei das Gericht davon überzeugt, dass in seiner Person keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorlägen. Er sei in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, Fragen im erforderlichen Umfang verständlich zu beantworten. Das Gericht habe regelmäßig den Prozessbevollmächtigten des Klägers bitten müssen, erneut zu wiederholen, was der Kläger gesagt habe bzw. gesagt haben könne. Auch der Vertreter der Beklagten habe betont, es sei nicht oder nur sehr schwer möglich, den Kläger sprachlich zu verstehen. Weiter müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger das am 24.9.2003 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht verstanden habe. Auf die entsprechende Frage des Gerichts habe er geantwortet, hierüber wisse er nichts. Weitere Fragen zum Inhalt von Grundrechten habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers abgeblockt. Auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG komme nicht in Betracht. Sie scheide ebenfalls aus, weil sich der Kläger jedenfalls im Rahmen der Kontakte mit Behörden sprachlich nicht zurechtfinden könne. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde dem Kläger am 9.5.2007 zugestellt.
13 
Der Kläger hat am 15.5.2007 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er - rechtzeitig - wie folgt begründet: Es stelle sich die Frage, ob es nicht ausreichend sein müsse, wenn zur objektiven Überprüfung der Sprachkenntnisse eine Sprachprüfung durchgeführt und bestanden werde, ohne dass es auf subjektive Eindrücke eines Richters in der mündlichen Verhandlung ankomme. Das Gericht behaupte, er sei in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, auf Fragen im erforderlichen Umfang verständlich zu antworten. Dies werde damit begründet, dass das Gericht regelmäßig den Prozessbevollmächtigten des Klägers habe bitte müssen, erneut zu wiederholen, was er gesagt habe. Es sei erstaunlich, dass der Prozessbevollmächtigte seine Ausführungen in Deutsch in vollem Umfang habe wiederholen können, obwohl er seine Landessprache nicht kenne. Wenn ein Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung dies bestätige, widerspreche dies dem gesamten Akteninhalt und den Feststellungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren. Bei allen Vorsprachen im Verwaltungsverfahren sei er verstanden worden. Es sei geboten, allein die bestandene Deutschprüfung zur Grundlage des gesamten Verfahrens zu machen, denn nur so sei eine objektive Feststellung möglich. Zu beachten sei auch, dass er unvorbereitet und aufgeregt gewesen sei und manchmal vor Aufregung fast kein Wort herausgebracht habe. Erst nachdem man gemerkt habe, dass die Vernehmung des Zeugen vom Verfassungsschutz die Vorwürfe der Beklagten nicht habe bestätigen können, habe man offensichtlich andere Ablehnungsgründe gesucht.
14 
Er habe im Gerichtsverfahren dargelegt und unter Beweis gestellt, dass er an der Veranstaltung am 22.1.2005 nicht teilgenommen habe und nicht habe teilnehmen können. Der Zeuge ... sei schon deshalb nicht glaubwürdig, weil er noch in der mündlichen Verhandlung behauptet habe, der 22.1.2005 sei wohl ein Dienstag, dies stehe so in den Unterlagen, wohingegen dieser Tag ein Samstag sei. Der Zeuge habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, man habe im Jahr 2001 einem Informanten einmalig ein Bild des Klägers gezeigt, ohne ihm dieses Bild mitzugeben habe. Obwohl der Informant seit 2001 nur dieses Bild gesehen habe, wolle er ihn - den Kläger - vier Jahre später bei einer Veranstaltung von vier Stunden unter Hunderten von Personen erkannt haben. Dies sei schlicht unglaubwürdig. Es sei unverständlich, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen, der diesen Verein nach außen vertrete, dessen Ziele verfolge und die Veranstaltungen durchführe, mittlerweile als Deutscher eingebürgert worden sei. Auch aus anderen Verfahren sei bekannt, dass viele tamilische kulturelle Vereinigungen von der LTTE unterwandert worden seien, ohne dass der Verein oder seine Mitglieder dies erkannt hätten.
15 
Der Richter habe ihn nur nach der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht nach den einzelnen Prinzipien und Grundlagen des Staates befragt. Er sei z.B. nicht zu Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit befragt worden. Es sei unzulässig, wenn das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung plötzlich ohne Vorhersage anfange zu prüfen, ob ein Kläger das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.4.2007 - 11 K 3637/06 - abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einzubürgern sowie
18 
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
19 
Die Beklagte beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Die Beklagte ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht sei nicht zwingend an das Ergebnis des „Deutschtests“ gebunden. Es könne sich vielmehr selbst ein Bild davon machen, ob die aktuellen Sprachkenntnisse den Anforderungen des § 11 Nr. 1 StAG genügten. Der Kläger habe sich in der Verhandlung nicht so artikulieren können, dass seine Aussprache für einen Dritten, der den Umgang mit ihm nicht gewohnt sei, verständlich gewesen wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei - bedingt durch den persönlichen Kontakt und dem daraus resultierenden Umgang mit der Aussprache des Klägers - zwar in der Lage gewesen, den Kläger zu verstehen. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Worte des Klägers auch von einem Dritten zu verstehen gewesen seien. Es sei erforderlich, dass ein Einbürgerungsbewerber sich auch gegenüber Dritten verständlich machen könne und nicht bloß von Personen verstanden werde, die sich in seinen „Slang“ eingehört hätten. Überdies sei es möglich, dass sich die Sprachkenntnisse seit Absolvierung des Sprachtests verschlechtert hätten. Zum einen sei anzunehmen, dass sich der Kläger auf den Sprachtest vorbereitet habe; zum anderen sei es geläufig, dass Fremdsprachenkenntnisse im Laufe der Zeit verloren gingen, wenn sie nicht aufgefrischt würden. Weiter sei der Kläger im Verhandlungstermin nicht in der Lage gewesen, zu sagen, was er unter einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstehe. Sprachkenntnisse und das Verstehen des Sinngehalts des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung könnten durchaus im Laufe der Jahre verloren gehen. Daher sei es zulässig, dass sich das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild davon mache, wie es sich im maßgeblichen Entscheidungspunkt verhalte.
22 
In der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2008 hat der Senat den Kläger informatorisch angehört sowie die Herren ... und ... als Zeugen vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
23 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Einbürgerungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten 11 K 3637/06 des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung; hierauf und auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgelehnt, denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eingebürgert zu werden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
Allerdings spricht vieles dafür, dass der Versagungsgrund des § 11 Nr. 2 StAG nach derzeitigem Sachstand nicht gegeben ist, weil die Beklagte die Anknüpfungstatsachen für die angeblichen einbürgerungsschädlichen Aktivitäten des Klägers nicht nachgewiesen haben dürfte. Dies kann jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die derzeit vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse des Klägers noch für eine Einbürgerung ausreichend sind i.S.v. § 11 Nr. 1 StAG. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und an einer wirksamen sog. Loyalitätserklärung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
26 
Ein Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG würde voraussetzen, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
27 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen (vgl. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216, 220). Gleiches gilt für die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484).
28 
Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Denn wenn es sich hierbei nicht nur um formale Einbürgerungsvoraussetzungen in Form eines bloßen Lippenbekenntnisses handelt, müssen das Bekenntnis und die Erklärung von einem entsprechenden Bewusstsein des Einbürgerungsbewerbers getragen sein.
29 
Hieran fehlt es im Falle des Klägers. Auch wenn die Anforderungen an einen Einbürgerungsbewerber nicht überspannt werden dürfen, sind diese zumindest dann nicht erfüllt, wenn wie im Falle des Klägers noch nicht einmal rudimentäre Grundkenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung vorhanden sind und auch der Inhalt der sog. Loyalitätserklärung offenkundig nicht verstanden worden ist. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger auf Frage nach dem am 24.9.2003 abgegebenen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geantwortet, hierüber wisse er nichts; weitere Fragen des Gerichts zu beantworten hat er sich geweigert. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, den Inhalt und die Bedeutung der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung nicht verstanden zu haben. Er habe (lediglich) gewusst, dass er sich dem Land gegenüber respektvoll verhalten müsse, also loyal sein müsse gegenüber den Gesetzen, der Polizei und den Gerichten des Landes. Bei Abgabe der sog. Loyalitätserklärung habe die zuständige Beamtin ihn nicht nach deutschen Gesetzen und solchen Dingen gefragt; es habe keinen „Politiktest“ gegeben. Auch derzeit besitzt der Kläger keine entsprechenden Kenntnisse. Die Frage des Vorsitzenden, was in politischer Hinsicht der Unterschied zwischen Deutschland und Sri Lanka sei, konnte er nicht beantworten. Auf die weitere Frage, ob er Grundrechte oder Menschenrechte kenne, hat er darauf verwiesen, dass man machen müsse, was einem die Gerichte, das Gesetz oder die Polizei sagten. Damit hat er indes die Bedeutung der Grundrechte grundlegend missverstanden und sogar eher in ihr Gegenteil verkehrt. Lediglich soweit er weiter angegeben hat, Mann und Frau seien gleich, hat er ansatzweise den Inhalt eines Grundrechts wiedergegeben. Eine für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellt dies aber offenkundig nicht dar.
30 
Auch eine Einbürgerung im Ermessenswege nach § 8 StAG kommt nicht in Betracht. Nach Nr. 8.1.2.5 VwV-StAR - die über Art. 3 Abs. 1 GG das Ermessen der Behörde bindet - setzt die Ermessenseinbürgerung ebenfalls ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine entsprechende Erklärung voraus.
31 
Der von dem Kläger hilfsweise gestellte Beweisantrag ist nach alledem abzulehnen. Zum einen ist die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung des Klägers, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen eingebürgert worden sei, von der Beklagten nicht bestritten worden. Auch der Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz hat diese Tatsache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mittelbar dadurch eingeräumt, dass er angegeben hat, insoweit laufe ein Rücknahmeverfahren. Daher sieht der Senat keinen Anlass, an dieser Behauptung zu zweifeln und darüber Beweis zu erheben. Zum anderen ist für den Senat nicht ersichtlich, weshalb die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen andere Personen eingebürgert worden sind, für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sein könnte; auch der Kläger hat nicht aufgezeigt, weshalb dies der Fall sein sollte.
32 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss vom 20. Februar 2008
35 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
36 
10.000,-- EUR
37 
festgesetzt. In Anlehnung an Nr. 42.1 des „Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
38 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgelehnt, denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eingebürgert zu werden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
Allerdings spricht vieles dafür, dass der Versagungsgrund des § 11 Nr. 2 StAG nach derzeitigem Sachstand nicht gegeben ist, weil die Beklagte die Anknüpfungstatsachen für die angeblichen einbürgerungsschädlichen Aktivitäten des Klägers nicht nachgewiesen haben dürfte. Dies kann jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die derzeit vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse des Klägers noch für eine Einbürgerung ausreichend sind i.S.v. § 11 Nr. 1 StAG. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und an einer wirksamen sog. Loyalitätserklärung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
26 
Ein Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG würde voraussetzen, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
27 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen (vgl. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216, 220). Gleiches gilt für die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484).
28 
Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Denn wenn es sich hierbei nicht nur um formale Einbürgerungsvoraussetzungen in Form eines bloßen Lippenbekenntnisses handelt, müssen das Bekenntnis und die Erklärung von einem entsprechenden Bewusstsein des Einbürgerungsbewerbers getragen sein.
29 
Hieran fehlt es im Falle des Klägers. Auch wenn die Anforderungen an einen Einbürgerungsbewerber nicht überspannt werden dürfen, sind diese zumindest dann nicht erfüllt, wenn wie im Falle des Klägers noch nicht einmal rudimentäre Grundkenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung vorhanden sind und auch der Inhalt der sog. Loyalitätserklärung offenkundig nicht verstanden worden ist. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger auf Frage nach dem am 24.9.2003 abgegebenen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geantwortet, hierüber wisse er nichts; weitere Fragen des Gerichts zu beantworten hat er sich geweigert. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, den Inhalt und die Bedeutung der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung nicht verstanden zu haben. Er habe (lediglich) gewusst, dass er sich dem Land gegenüber respektvoll verhalten müsse, also loyal sein müsse gegenüber den Gesetzen, der Polizei und den Gerichten des Landes. Bei Abgabe der sog. Loyalitätserklärung habe die zuständige Beamtin ihn nicht nach deutschen Gesetzen und solchen Dingen gefragt; es habe keinen „Politiktest“ gegeben. Auch derzeit besitzt der Kläger keine entsprechenden Kenntnisse. Die Frage des Vorsitzenden, was in politischer Hinsicht der Unterschied zwischen Deutschland und Sri Lanka sei, konnte er nicht beantworten. Auf die weitere Frage, ob er Grundrechte oder Menschenrechte kenne, hat er darauf verwiesen, dass man machen müsse, was einem die Gerichte, das Gesetz oder die Polizei sagten. Damit hat er indes die Bedeutung der Grundrechte grundlegend missverstanden und sogar eher in ihr Gegenteil verkehrt. Lediglich soweit er weiter angegeben hat, Mann und Frau seien gleich, hat er ansatzweise den Inhalt eines Grundrechts wiedergegeben. Eine für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellt dies aber offenkundig nicht dar.
30 
Auch eine Einbürgerung im Ermessenswege nach § 8 StAG kommt nicht in Betracht. Nach Nr. 8.1.2.5 VwV-StAR - die über Art. 3 Abs. 1 GG das Ermessen der Behörde bindet - setzt die Ermessenseinbürgerung ebenfalls ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine entsprechende Erklärung voraus.
31 
Der von dem Kläger hilfsweise gestellte Beweisantrag ist nach alledem abzulehnen. Zum einen ist die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung des Klägers, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen eingebürgert worden sei, von der Beklagten nicht bestritten worden. Auch der Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz hat diese Tatsache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mittelbar dadurch eingeräumt, dass er angegeben hat, insoweit laufe ein Rücknahmeverfahren. Daher sieht der Senat keinen Anlass, an dieser Behauptung zu zweifeln und darüber Beweis zu erheben. Zum anderen ist für den Senat nicht ersichtlich, weshalb die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen andere Personen eingebürgert worden sind, für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sein könnte; auch der Kläger hat nicht aufgezeigt, weshalb dies der Fall sein sollte.
32 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss vom 20. Februar 2008
35 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
36 
10.000,-- EUR
37 
festgesetzt. In Anlehnung an Nr. 42.1 des „Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
38 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. September 2004 - 7 K 4359/03 - wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.); es kommt aber darauf auf an, ob ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass der Erfolg des Rechtsmittels ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - BvR 461/03 -, juris und vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Anders liegt es jedoch, wenn sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004, a.a.O.).
Gemessen hieran bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel. Der Beklagte hat keine erheblichen Gründe vorgebracht, die dafür sprechen, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.
Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 AuslG. Er erfülle insbesondere die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG. Diese Vorschrift setze nicht voraus, dass vom Einbürgerungsbewerber eine materiell-wahrheitsgemäße Loyalitätserklärung abgegeben werde. Verstünde man die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG in diesem Sinne, bedürfte es eines Einbürgerungsausschlusses nach § 86 Nr. 2 AuslG nicht mehr, da der Anspruch auf Einbürgerung bereits nicht entstanden wäre. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Loyalitätserklärung stellten vielmehr lediglich formelle Einbürgerungsvoraussetzungen dar, deren Wirksamkeit nicht davon abhängig sei, dass der Ausländer sich tatsächlich aus innerer Überzeugung und Kenntnis von deren Kerninhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekenne. Mit dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie der Erklärung zu etwaigen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Aktivitäten werde die innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland dokumentiert. Eine solche Erklärung habe der Kläger am 12.10.2001 jedoch beim Landratsamt Esslingen abgegeben und zugleich auch mündlich erklärt, dass er sich von seinen früheren politischen Bestrebungen total abgewandt habe und die ganze Sache bereue. Der Anspruch des Klägers auf Einbürgerung sei auch nicht nach § 86 Nr. 2 AuslG ausgeschlossen. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger in der Zeit von 1987 bis 1996 aktiv die politischen Ziele der TKP/ML, einer marxistisch-leninistischen-kommunistischen Organisation, unterstützt habe. Zweifelhaft sei insoweit jedoch bereits, ob die politischen Aktivitäten des Klägers überhaupt die in § 86 Nr. 2 AuslG normierten Ausschlusstatbestände verwirklicht hätten. Schließlich sei von Seiten des Beklagten nicht vorgetragen worden, welche konkrete Zielsetzung die vom Kläger unterstützte Organisation gehabt habe. Lediglich der Name einer Organisation könne die Annahme nicht rechtfertigen, dass sie verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG verfolge. Selbst wenn die politischen Aktivitäten des Klägers in der Zeit von 1987 bis 1996 unter die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86 Nr. 2 AuslG zu subsumieren wären, stünde dies der Einbürgerung des Klägers jedoch nicht entgegen. Denn er habe sich von seinen früheren politischen Bestrebungen abgewandt. Der Kläger sei nach seinen Angaben spätestens seit 1997 nicht mehr an Demonstrationen oder Seminaren der TKP/ML bzw. der MLKP beteiligt gewesen. Die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers, der seine Aktivitäten in früherer Zeit in keiner Weise geleugnet oder in ihrer Bedeutung herabgesetzt habe, halte das Gericht für glaubhaft, zumal dem Amt für Verfassungsschutz, das die Aktivitäten des Klägers zuvor im einzelnen habe benennen können, ein weiteres Tätigwerden in dieser Richtung nicht hätte verborgen bleiben können. Der Kläger sei somit seit annähernd acht Jahren nicht mehr für die genannten oder andere in ähnlicher Weise verdächtige Organisationen aktiv gewesen. Die Beendigung seiner aktiven politischen Zeit stehe im zeitlichen Zusammenhang mit der strafrechtlichen Ahndung der Straßen- und Schienenblockade, an der er sich damals beteiligt habe. Für das Gericht sei dies ein plausibler und nachvollziehbarer Grund, sich von den zuvor unterstützten Organisationen zu distanzieren. Dass der Kläger unter Umständen auch deshalb seine politische Arbeit eingestellt habe, weil er sein Einbürgerungsbestreben nicht habe gefährden wollen, mache sein Vorbringen nicht unglaubhaft. Er bringe damit nur zum Ausdruck, dass er die für eine Einbürgerung notwendige Staats- und Verfassungstreue zu leisten bereit sei. Aufgrund der untergeordneten Bedeutung des vom Kläger erbrachten Unterstützungsbeitrags werde seine Abwendung von seinen früheren politischen Aktivitäten durch die mehrjährige „Abstinenz“ und die in der mündlichen Verhandlung nochmals wiederholte Beteuerung, seine frühere politische Arbeit eingestellt zu haben, glaubhaft gemacht. Weitergehender Darlegung und Beweisangebote bedürfe es hiernach nicht.
Dem hält der Beklagte entgegen, das Verwaltungsgericht habe das Wesen und die Konsequenzen der Bekenntniserklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG (= § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verkannt. Eine solche Erklärung sei nicht nur eine formale Einbürgerungsvoraussetzung mit der Folge, dass es auf ihren Wahrheitsgehalt nicht ankomme. Vielmehr müsse die Erklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG mit dem Verhalten und der inneren Einstellung der sich bekennenden Person im Einklang stehen. An einer solchen Einstellung fehle es beim Kläger. Er sei unstreitig für die TKP/ML tätig geworden und habe sich auch für weitere kommunistische Organisationen eingesetzt. Dabei habe der Kläger gezeigt, dass es ihm beim Marxismus-Leninismus nicht bloß um ein abstraktes theoretisches, von der Lebenswirklichkeit losgelöstes Interesse für eine wissenschaftliche Lehre, sondern um deren Umsetzung in eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung gegangen sei. Die marxistisch-leninistische Ideologie sei aber mit dem Wertesystem der deutschen Verfassung nicht vereinbar. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich vom Marxismus/Leninismus und seinen Zielsetzungen abgewandt habe. Er habe insbesondere keine objektiven Tatsachen vorgebracht, aus denen auf eine Abwendung geschlossen werden könnte, und auch keine Umstände substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, die sonst eine Abwendung belegen könnten. Es fehle hiernach im Fall des Klägers an der Einbürgerungsvoraussetzung des Bekenntnisses im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG. Angesichts der Aktivitäten des Klägers für linksextremistische türkische Parteien lägen bei ihm zudem auch tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigten, dass er Bestrebungen unterstütze, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet seien. Hiernach stehe auch der Ausschlussgrund nach § 86 Nr. 2 AuslG (= § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) einer Einbürgerung des Klägers entgegen.
Dieses Vorbringen ist im Ergebnis nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des vom Beklagten angefochtenen Urteils zu begründen. Für den Einbürgerungsanspruch eines Klägers nach § 10 StAG ist Voraussetzung, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG). Im Zusammenhang damit regelt § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG nicht besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer die in §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat. Als tatbestandsmäßiges Unterstützen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist dabei jede Handlung anzusehen, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG objektiv vorteilhaft ist; dazu zählen etwa die öffentliche oder nicht öffentliche Befürwortung von in § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen durch Wort, Schrift und Bild, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der in § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Ziele (vgl. BayVGH, Urteil vom 27.5.2003 - 5 B 01.1805 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 -; Berlit in GK-StAR IV-2 § 11 RdNrn. 96 ff.).
Der Senat hat anders als das Verwaltungsgericht keine Zweifel daran, dass der Kläger in der Vergangenheit politische Aktivitäten im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG entfaltet hat. Denn er hat nach seinen eigenen Angaben im Asylverfahren die TKP/ML in der Zeit nach seiner Einreise in der Bundesrepublik Deutschland aktiv unterstützt und hat darüber hinaus bis Mitte 1996 auch an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen, die u.a. von der MLKP veranstaltet worden sind. Beide Organisationen haben jedoch sicherheitsgefährdende Bestrebungen in Deutschland verfolgt (vgl. VG Gießen, Urteil vom 18.10.2004 - 10 E 891/04 -, juris; Beschluss des Senats vom 13.12.2004 - 13 S 1276/04 -, InfAuslR 2005, 64).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch angenommen, dass der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG der Einbürgerung des Klägers nicht - mehr - entgegenstehe, da er glaubhaft gemacht habe, sich von seinen früheren Aktivitäten abgewandt zu haben. Diese Annahme des Verwaltungsgerichts wird durch die Ausführungen des Beklagten in der Berufungszulassungsbegründung, in der er die Voraussetzungen einer „Abwendung“ im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG bestreitet, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Subsumtion unter diesen Begriff an der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 11.7.2002 - 13 S 111/01 -, juris) und an der Literatur (vgl. Berlit, a.a.O., § 11 RdNrn 156 ff.) orientiert; insoweit werden durch den Beklagten auch keine grundsätzlichen Bedenken erhoben. Grundlage für die Annahme einer Abwendung des Klägers von seinen früher verfolgten Zielen und Aktivitäten für die TKP/ML und MLKP waren für das Verwaltungsgericht nicht nur die Erklärungen des Klägers im Verwaltungsverfahren, sondern auch seine Ausführungen im Gerichtsverfahren und der persönliche Eindruck, den sich das Gericht aufgrund seiner Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gebildet hat. Es ging dem Gericht insofern um eine Gesamtwürdigung des Klägers, in die mehrere Faktoren eingeflossen sind. Von entscheidender Bedeutung war hierbei für das Verwaltungsgericht offenbar, dass der Kläger immer nur ein politischer „Mitläufer“, d.h. eine bloße Randfigur von geringer Bedeutung, gewesen ist, dass er sämtliche - d.h. nicht nur die einbürgerungsschädlichen - politischen Aktivitäten bereits seit mehr als acht Jahren eingestellt hatte, sein früheres „Tun“, das er im übrigen niemals geleugnet oder bagatellisiert hat, nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck erkennbar bereut und letztlich der Sache nach durch eine Art „Schlüsselerlebnis“, nämlich die strafrechtliche Verurteilung durch das Amtsgericht Köln vom Jahre 1996 wegen gemeinschaftlich begangener Nötigung, dazu veranlasst worden ist, sich von den früher unterstützten, durch § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen abzuwenden. Richtig ist, dass der innere Sinneswandel, von dem das Verwaltungsgericht beim Kläger ausgegangen ist, in vergleichsweise geringem Maße durch äußere Handlungen nach außen erkennbar wird. Das Verwaltungsgericht hat sich in diesem Zusammenhang jedoch zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung innerer Lernprozesse herabgesetzt werden müssen, wenn die einbürgerungsschädlichen Aktivitäten schon mehrere Jahre zurückliegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - und Beschluss vom 13.12.2004, a.a.O.; Berlit, a.a.O., § 11 RdNr. 165) und auch nach Art und Häufigkeit nicht als besonders schwerwiegend eingestuft werden können. So liegt es, wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat, jedoch im Fall des Klägers. Auch bei Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten im Zulassungsverfahren sieht der Senat hiernach keinen Anlass, an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht zu zweifeln, dass der Kläger seine Abwendung von seinen früher vertretenen Zielen und Aktivitäten für die TKP/ML bzw. die MLKP glaubhaft gemacht habe und dass der Einbürgerungsausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG dem Kläger nicht mehr entgegengehalten werden könne.
Keinen Zweifeln begegnet - jedenfalls im Ergebnis - bei dieser Sachlage gleichfalls die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger auch die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erfülle.
10 
Dem Kläger kann zunächst entgegen der vom Beklagten vertretenen Ansicht nicht vorgehalten werden, dass er das von ihm entsprechend dem Erfordernis des § 10 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lediglich unter einem inneren Vorbehalt abgegeben hat und dieses Bekenntnis mithin nicht der Wahrheit entsprochen hat. Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht (vgl. Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, Nachtrag zur 7. Aufl. des Kommentars zum Ausländerrecht, § 85 RdNr. 23; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, § 85 RdNr. 29). Der Senat neigt insoweit allerdings anders als das Verwaltungsgericht zu der Ansicht, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht ausreicht; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss wohl auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (so Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 86 RdNr. 21; VG Karlsruhe, Urteil vom 26.2.2003 - 4 K 2234/01 -, juris; a.A. Berlit, a.a.O., § 10 StAG RdNrn. 126 ff.). § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt für die Einbürgerung andererseits auch nicht mehr als ein materiell vorliegendes „Bekenntnis“, also nicht darüber hinaus, dass der Einbürgerungsbewerber auch Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit - auch kämpferisch - für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt (vgl. Renner, a.a.O., § 85 AuslG, RdNr. 26; Berlit, a.a.O., § 10 StAG RdNr. 130). Es bedarf jedoch vorliegend keiner abschließenden Klärung dieser Frage. Denn es fehlt im Hinblick darauf, dass der Kläger seine Abwendung von seinen früheren einbürgerungsschädlichen politischen Aktivitäten glaubhaft machen konnte und seine Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland durch Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung dokumentiert hat, am Vorliegen objektiver Umstände, die einen Rückschluss auf eine vom äußeren Eindruck abweichende, nicht von einer inneren Überzeugung getragene Einstellung (im Sinn eines fehlenden Bekenntnisses) zuließen (vgl. Jakober/Welte, a.a.O., § 86 AuslG RdNr. 21).
11 
Es fehlt beim Kläger aber auch nicht an dem in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ebenfalls geregelten Erklärungserfordernis. Insoweit kann ebenfalls offen bleiben, ob die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung - wie das VG meint, wogegen jedoch vieles spricht - ebenfalls als rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung anzusehen ist, ob also zur Erfüllung dieses in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG geregelten Erfordernisses nicht notwendig ist, dass diese Erklärung materiell wahrheitsgemäß ist (so Berlit, a.a.O., § 10 RdNr. 129 ff.). Denn dem Kläger muss - wie bereits ausgeführt - abgenommen werden, dass er sich von seinen früheren einbürgerungsschädlichen Aktivitäten und Bestrebungen abgewandt hat und sich aus innerer Überzeugung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt. Hieraus folgt jedoch, dass von der inhaltlichen Richtigkeit seiner Loyalitätserklärung auszugehen ist. Am Vorliegen der Bekenntnis- und Erklärungserfordernisse des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG bestehen hiernach im Fall des Klägers keine ernstlichen Zweifel. Die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt hiernach nicht in Betracht.
12 
Die Rechtssache hat auch nicht die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die als grundsätzlich aufgeworfene Frage, ob die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG vorgeschriebenen Bekenntnis- und Loyalitätserklärungen der Wahrheit entsprechen müssen oder ob sie - wie das Verwaltungsgericht meint - nur formelle Einbürgerungsvoraussetzungen darstellen, würde sich dem Senat in einem Berufungsverfahren nicht stellen, da nach den gesamten Umständen davon auszugehen ist, dass die insoweit vom Kläger abgegebenen Erklärungen auch materiell wahrheitsgemäß sind. Dies bedeutet jedoch, dass der Senat in dem vom Beklagten erstrebten Berufungsverfahren über die von ihm aufgeworfene Frage nicht zu befinden hätte, da sie nicht entscheidungserheblich wäre. Die Rechtssache hat daher nicht die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.
13 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
14 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG n.F. (doppelter Auffangwert, vgl. Ziff. 42.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 7./8.7.2004).
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Er ist am … 1960 in ... (Türkei) geboren und kurdischer Volkszugehöriger. Er reiste zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 1988 und 1989 geborenen Töchtern im Juni 1990 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Familie stellte einen Asylantrag, zu dessen Begründung sich der Kläger darauf berief, er sei in der Türkei seit 1976 für die TKEP bzw. deren Vorgängerorganisation tätig gewesen und deswegen politisch verfolgt worden. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die beigezogene Asylverfahrensakte, insbesondere seine Anhörung im Rahmen der Vorprüfung verwiesen. Mit Bescheid vom 08.08.1990 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger, seine Ehefrau und die beiden Töchter als Asylberechtigte an. Seither war der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und eines internationalen Reiseausweises. Mit Schreiben vom 04.01.2007 teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Landratsamt Karlsruhe auf Nachfrage mit, dass hinsichtlich der Familie derzeit kein Widerrufsverfahren eingeleitet werde.
Im Jahre 1996 stellte der Kläger erstmals einen Einbürgerungsantrag. Unter dem 18.08.1998 teilte das Landesamt für Verfassungsschutz mit, es lägen keine nachteiligen Erkenntnisse vor. Am 03.09.1998 sagte das Landratsamt Karlsruhe die Einbürgerung zu, sofern bis zum 03.09.2000 der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit nachgewiesen wird. Nach einer Bestätigung des türkischen Generalkonsulates Karlsruhe vom 11.02.1999 wurde die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt. Am 06.07.2000 nahm der Kläger seinen Einbürgerungsantrag vom 25.11.1996 zurück und beantragte zugleich erneut seine Einbürgerung. In der Folgezeit bekannte er sich gegenüber der Einbürgerungsbehörde zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und gab eine Erklärung ab, wonach er u.a. keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes gerichtet seien.
Am 14.07.2001 unterzeichnete der Kläger die Selbsterklärung „auch ich bin ein PKK´ler“. Das darauf hin eingeleitete Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz stellte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 15.05.2002 gemäß § 153b Abs. 1 StPO ein. Der eigene Beitrag zur Unterstützung der PKK/ERNK erscheine von geringem Gewicht. Gemessen an den Verbotsgründen handele es sich um eine untergeordnete, wenngleich nicht völlig unerhebliche Förderung der Ziele der PKK/ERNK. Insgesamt erscheine das Verschulden gering. Vorstrafen, die eine andere Bewertung oder eine Bestrafung gebieten würden, seien nicht bekannt geworden.
Nach einem Bericht des Polizeireviers Ettlingen vom 30.08.2001 kam es am 10.08.2001 zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der Familien ... und ..., bei der verschiedene Beteiligte verletzt wurden. Ausweislich der Niederschrift des Polizeireviers Ettlingen über die Vernehmung von ... als Geschädigter vom 30.08.2001 gab dieser an, der Kläger sei nicht nur ein Anhänger der PKK, sondern aktives Mitglied und gebe alles Geld, das ihm übrigbleibe, der PKK. Der Kläger versuche immer wieder mit dem Versprechen, die ganzen Kosten würden bezahlt, die Hausbewohner und auch ihn zu überreden, zu Veranstaltungen der PKK mitzufahren, so zur damaligen Öcalan-Veranstaltung nach Zürich. Die ganze Straße wisse, dass der Kläger ein aktives PKK-Mitglied sei. Das gebe er selbst freimütig zu und mache ständig Werbung für die Organisation. Die ganze Wohnung sei mit Bildern und Flaggen der PKK bzw. Öcalans dekoriert. Die Staatsanwaltschaft stellte das im Hinblick auf den Vorfall vom 10.08.2001 eingeleitete Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 03.01.2002 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, denn der Beginn sowie der Ablauf der Auseinandersetzung werde von den verschiedenen Beteiligten unterschiedlich geschildert, wobei nicht festzustellen sei, welcher Version ein größerer Wahrheitsgehalt zukomme. Mit Urteil des Amtsgerichts Ettlingen vom 20.10.2004 - 1 C 39/04 - wurden ... und sein Vater verurteilt, dem Kläger und seiner Ehefrau Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 4.173,06 EUR zu zahlen.
Am 25.01.2006 führte das Landratsamt Karlsruhe eine Befragung des Klägers und seiner Ehefrau hinsichtlich des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch. Die Antworten ließen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass es an Grundkenntnissen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung fehlen könnte. Am 20.01.2007 gab der Kläger erneut das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab und unterzeichnete die Loyalitätserklärung.
Das Innenministerium Baden-Württemberg stimmte einer Einbürgerung des Klägers mit Schreiben vom 21.09.2005, 29.03.2007 und 20.07.2007 nicht zu. Der Kläger sei dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekannt geworden. Über ihn lägen folgende Erkenntnisse vor, die seine Einbindung in die Aktivitäten der PKK-Anhänger und damit auch seine ideologische Ausrichtung dokumentierten:
- 08.03.1998: Teilnahme an einer „PKK-Volksversammlung“ in ... Thema der Veranstaltung anlässlich des „Internationalen Frauentages“ sei insbesondere die Beteiligung von Frauen an der Revolution gewesen.
- 28.06.1998: Teilnahme an einer Veranstaltung der PKK zum Gedenken verschiedener „Märtyrerinnen“.
10 
- 06.03.1999: Teilnahme an der PKK-Demonstration in ..., die sich gegen die Festnahme Öcalans gerichtet habe. Von den Teilnehmern seien mehrere PKK-Fahnen sowie Abbildungen Öcalans mitgeführt worden.
11 
- 04.04.1999: Teilnahme an einer „Volksversammlung“ der PKK in ... In Redebeiträgen sei über die aktuelle politische Situation im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans referiert worden, wobei die Situation in der Bundesrepublik Deutschland mit der Zeit des Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht worden sei.
12 
- 24.10.1999: Teilnahme an der „Volksversammlung“ des PKK-Gebietes in ... Thema der Veranstaltung sei die aktuelle politische Situation im Hinblick auf den nach der Festnahme Öcalans eingeschlagenen Friedenskurs gewesen.
13 
- 15.02.2003: Teilnahme an einer europaweiten Demonstration von KADEK-Anhängern gegen die „Isolationshaft“ Öcalans. Es seien zahlreiche Bilder von Öcalan mitgeführt und der getöteten „Märtyrer“ dieser Organisation gedacht worden.
14 
- 14.02.2004: Teilnahme an einer Solidaritätsdemonstration von KONGRA-GEL-Anhängern in Straßburg anlässlich des 5. Jahrestages der Festnahme von Öcalan. Neben Fahnen der PKK seien Transparente mitgeführt worden, auf denen die Forderungen nach Freilassung Öcalans zu lesen gewesen seien. Wiederum sei den „Märtyrern“ von PKK/KADEK/ KONGRA-GEL gedacht worden.
15 
In einem persönlichen Schreiben vom 07.11.2005 erklärte der Kläger, er habe an diesen Veranstaltungen nicht teilgenommen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte mit Schreiben vom 30.05.2007 aus, die aufgeführten Sachverhalte seien reine Behauptungen und entbehrten jeder Grundlage. Der Kläger sei kurdischer Volkszugehörigkeit und demzufolge an einer friedlichen Lösung für die kurdische Frage interessiert. Wie aus dem Asylverfahren ersichtlich komme er aus einer völlig anderen politischen Tradition. Auch dem Innenministerium dürfte bekannt sein, dass die Organisationen, mit denen er sich noch in der Türkei politisch verbunden gefühlt habe, im Gegensatz zur PKK stünden und sich hier keine Gemeinsamkeiten ergäben. Er sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied, Unterstützer oder Sympathisant der PKK gewesen. Er habe mit dieser politischen Richtung nichts zu tun.
16 
Anlässlich einer persönlichen Anhörung beim Landratsamt Karlsruhe am 05.12.2007 äußerte sich der Kläger - ebenso wie bei einer persönlichen Vorsprache am 10.01.2007 - dahingehend, dass er die Unterschrift auf der PKK-Selbsterklärung geleistet habe, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. An den aufgelisteten Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er sei kein Sympathisant oder Mitglied der PKK. Er sei in der Türkei Sympathisant der TKEP gewesen. Hierzu verweise er auf das Anhörungsprotokoll des Bundesamtes. Aus politischen Auseinandersetzungen habe er sich zurückgezogen.
17 
Das Landratsamt Karlsruhe lehnte mit Bescheid vom 02.05.2008 den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Es fehle schon an der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG. Darüber hinaus lägen die Ausschlussgründe nach § 11 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StAG vor. Der Kläger habe im Jahre 2001 im Rahmen der PKK-„Identitätskampagne“ eine „Selbsterklärung“ bewusst unterzeichnet und damit erklärt, dieser Partei anzugehören. Er habe außerdem an den vom Landesamt für Verfassungsschutz im einzelnen mitgeteilten Veranstaltungen teilgenommen. Seine von ihm am 06.07.2000 abgegebene Loyalitätserklärung, in der er erklärt habe, keine der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Bestrebungen unterstützt oder verfolgt zu haben, habe nach alledem nicht der Wahrheit entsprochen. Da er seine Unterstützungshandlungen für die PKK auch nach Abgabe der Loyalitätserklärung fortgeführt habe und sie in seiner Anhörung vom 05.12.2007 im Beisein seiner Bevollmächtigten geleugnet habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung solcher Bestrebungen tatsächlich abgewandt habe.
18 
Gegen den am 05.05.2008 zugestellten Bescheid legte der Kläger am 05.06.2008 Widerspruch ein und trug vor, er habe an den vom Verfassungsschutz aufgelisteten Aktivitäten nicht teilgenommen. Wie sich aus dem Asylantrag ergebe, würden die Organisationen, mit der er in der Türkei zusammengearbeitet habe, im politischen Gegensatz zur PKK stehen. Kontakte zu der politischen Strömung der Türkisch-Kommunistischen Partei und der Kurdisch-Kommunistischen Partei bestünden in Deutschland seit mehr als 15 Jahren nicht mehr. Die PKK-Selbsterklärung, mit der für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage geworben worden sei, stehe einer Einbürgerung nicht entgegen.
19 
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2008 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück und führte ergänzend aus, dass eine Einbürgerung des Klägers auch nicht im Wege der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG in Betracht komme.
20 
Am 07.01.2009 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, zu deren Begründung er unter anderem vortrug: Grundlage seiner Anerkennung als Asylberechtigter sei die politische Verfolgungsgefahr in der Türkei aufgrund seiner Zusammenarbeit mit der TKEP gewesen. Seine politische Betätigung habe somit nicht für die PKK oder eine ihrer Strukturen stattgefunden. Er habe sich während seiner Zeit in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend von seinen früheren politischen Überzeugungen gelöst und sich hier integriert. Er sei mehrfach durch die Behörde und auch durch den Verfassungsschutz überprüft worden. Erkenntnisse hätten offensichtlich bis September 1998, zu diesem Zeitpunkt habe er eine Einbürgerungszusicherung erhalten, nicht vorgelegen. Er habe keinerlei politischen Bezugspunkte zur PKK und/oder einer mit ihr verbundenen Organisation. Die vom Landesamt für Verfassungsschutz behaupteten Teilnahmen an Veranstaltungen bzw. Demonstrationen, die von der PKK oder mit ihr verbundenen Organisationen und Vereinen organisiert worden seien, seien ohne jede tatsächliche Grundlage und unzutreffend. Offensichtlich sei es zu dieser Behauptung erst gekommen, nachdem er die „Selbstbezichtigungskampagne“ unterstützt habe. Wie auch viele andere Personen, ob nun türkischer oder kurdischer Herkunft, sei er der Überzeugung, dass eine friedliche Lösung für die kurdische Frage in der Türkei gefunden werden müsse. Deshalb unterstütze er auch entsprechende Forderungen. Bezüglich der sog. Selbstbezichtigungs- oder Identitätskampagne hätten zwei Unterschriftsentwürfe vorgelegen, einmal mit und einmal ohne die beanstandete Überschrift „auch ich bin ein PKK´ler“. Er habe jedoch nicht ernsthaft zum Ausdruck bringen wollen, wie auch eine Vielzahl der Unterzeichner, dass er Mitglied der PKK sei, sondern lediglich, dass die Auseinandersetzung in den kurdischen Gebieten der Türkei ihn auch selbst betreffe und dass eine Lösung des Problems nicht ohne Einbeziehung der PKK möglich sein werde.
21 
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
22 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19.11.2009 gab der Kläger an: Er und seine Familie seien zwischenzeitlich aus der Türkei ausgebürgert worden. Er habe an keiner der benannten Demonstrationen bzw. Veranstaltungen teilgenommen. Er wisse noch nicht einmal, was bei den Veranstaltungen, an denen er teilgenommen haben soll, thematisiert worden sei. Er sei gegen Krieg und hoffe, dass die Kurdenprobleme in der Türkei einer einvernehmlichen Lösung zugeführt würden. Er nehme an Newroz, den kurdischen Neujahrsfeierlichkeiten, teil, um den sozialen Kontakt mit den Kurden aus seiner Heimat aufrecht erhalten zu können. Politisch betätige er sich bei Newroz nicht. Die PKK und die TKEP, für die er sich in der Türkei politisch betätigt habe und aufgrund dessen er als Asylberechtigter anerkannt worden sei, hätten unterschiedliche Zielsetzungen gehabt. Die TKEP habe sich zwischenzeitlich aufgelöst. Seine politischen Betätigungen in der Türkei lägen Jahrzehnte zurück und er habe wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr, sich politisch zu engagieren. Er wolle dies auch nicht mehr. Er setze sich für die Rechte der Arbeitnehmer ein und besuche regelmäßig Veranstaltungen zum 1. Mai.
23 
Mit Urteil vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Karlsruhe unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts Karlsruhe vom 02.05.2008 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.12.2008 den Beklagten, den Kläger in die Bundesrepublik Deutschland einzubürgern. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG lägen vor. Dem Begehren des Klägers stünden auch die Ausschlussgründe nach § 11 StAG nicht entgegen. Die alleinige Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung rechtfertige nicht die Annahme, der Kläger habe eine Bestrebung im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger den Wortlaut übersteigende Ziele und Absichten habe erkennen können oder müssen bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK habe hegen müssen, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde. Seine schriftliche Erklärung vom 26.04.2005 verdeutliche, dass er nicht hinter den von der PKK durchgeführten terroristischen Aktionen gestanden habe und stehe. Die Erklärung des Klägers, er sei der Auffassung, die PKK führe einen friedlichen, demokratischen und gerechten Kampf, müsse vor dem Hintergrund der in jener Zeit von der PKK verkündeten Gewaltfreiheit ihres politischen Kampfes gesehen werden. Für den Kläger sei es genau so wenig wie für viele andere Kurden ersichtlich gewesen, dass die PKK trotz ihrer propagierten Gewaltfreiheit weiterhin zu Gewaltaktionen zur Durchsetzung ihrer Ziele greifen würde. Um dies erkennen zu können, hätte er zumindest Führungsmitglied der PKK (in Deutschland) sein müssen, wovon selbst der Beklagte nicht ausgehe. Nach dem von der Kammer in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck seien seine rechtfertigenden Erklärungen keine Lippenbekenntnisse, insbesondere um einer drohenden Strafverfolgung zu entgehen, sondern brächten seine innere Überzeugung zum Ausdruck. Auch die im Asylverfahren unterstellte politische Betätigung des Klägers in der Türkei für die TKEP vermöge die Selbsterklärung nicht in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Abgesehen vom Zeitablauf gebe es auch kein Bindeglied zwischen der politischen Betätigung des Klägers in der Türkei und der von ihm unterschriebenen Selbsterklärung. Nach Auffassung der Kammer habe der Kläger auch nicht an den von ihm zur Last gelegten Demonstrationen teilgenommen. Er habe durchgängig von Anfang an bestritten, an den ihm vorbehaltenen Demonstrationen teilgenommen zu haben, und habe dies auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal bekräftigt. Die vom Beklagten angebotene Einvernahme des Zeugen vom Hörensagen sei nicht erforderlich gewesen. Denn selbst wenn der Zeuge vom Hörensagen die Demonstrationsteilnahme des Klägers hätte bestätigen können, wäre es ihm nicht möglich gewesen, über die Gewinnung und den näheren Inhalt der Erkenntnisse bezüglich des Klägers Aussagen zu machen. Dies wäre aber für eine Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der strengen Vorgaben bei diesem Beweismittel für die Kammer erforderlich gewesen. Die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg habe anlässlich einer Informationsveranstaltung vorgetragen, Zeugen vom Hörensagen dürften keine näheren Angaben zur Gewinnung der von ihnen vorgetragenen Erkenntnisse machen. Beim Landesamt für Verfassungsschutz gebe es zudem nur einen zur Aussage bei Gericht berechtigten Beamten, der im Übrigen seine Informationen oftmals selbst nicht von den vom Verfassungsschutz eingesetzten V-Leuten bekomme, sondern seinerseits auf Angaben von Personen vom Hörensagen angewiesen sei. Aufgrund dessen scheide die Anhörung des vom Beklagten angebotenen Zeugen vom Hörensagen jedenfalls in diesem Verfahren zur Überzeugungsbildung der Kammer aus. Selbst wenn man im Übrigen eine bloße Teilnahme des Klägers an den vom Innenministerium benannten Veranstaltungen unterstellen würde, könnte dies seiner Einbürgerung nicht entgegenstehen. Wie dem Berichterstatter aus einer Vielzahl von Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit bekannt sei, hätten an den in der Regel angezeigten bzw. genehmigten Demonstrationen oder Veranstaltungen viele Kurden nur deswegen teilgenommen, um gemeinsam mit weiteren Volkszugehörigen zu feiern und in einer für sie oftmals fremden Umgebung Geborgenheit zu finden. Nicht selten nähmen an diesen Veranstaltungen mehrere tausend Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik teil. Auch wenn bei diesen Demonstrationen bzw. Veranstaltungen PKK-Fahnen und Bilder des PKK-Führers Öcalan öffentlich gezeigt würden, heiße das noch lange nicht, dass sich jeder der Teilnehmer uneingeschränkt und vorbehaltlos mit allen im Rahmen einer solchen Großveranstaltung öffentlich bekundeten Stellungnahmen und Meinungsäußerungen vollinhaltlich identifiziert habe. Zugegebenermaßen werde eine nicht geringe Anzahl von Teilnehmern tatsächlich die PKK-Ziele verinnerlicht haben, verallgemeinern lasse sich dies jedoch nicht. Dass der Kläger die PKK bei den aufgeführten Demonstrationen etwa durch das Schwingen der Fahne unterstützt habe, sei zu keiner Zeit vom Beklagten behauptet worden. Dies halte die Kammer auch für unwahrscheinlich, da ihm eine Verbindung zur PKK nie nachgewiesen worden und eine solche auch nicht aufgrund seiner in der Türkei gezeigten politischen Überzeugung und seinem Eintreten für die Ziele der TKEP erkennbar sei.
24 
Auf Antrag des Beklagte hat der Senat mit Beschluss vom 16.03.2010 die Berufung zugelassen, die am 13.04.2010 unter Stellung eines Antrags begründet worden ist. Der Beklagte führte zu den Veranstaltungen, an denen jeweils der Kläger und die „Quelle“ des Verfassungsschutzes teilgenommen hätten, ergänzend aus: An der am Nachmittag des 08.03.1998 in den Vereinsräumlichkeiten des „Kulturzentrums Kurdistan e.V.“ in der ... durchgeführten Veranstaltung hätten ca. 200 Personen teilgenommen. Thema der Veranstaltung sei in erster Linie der „Internationale Frauentag“ gewesen. Daneben sei auch den beiden kurdischen Märtyrerinnen Beriwan und Ronahi gedacht worden, die sich 1993 in Mannheim selbst verbrannt hätten. Nach einer Gedenkminute habe sich der Gebietsleiter an die Anwesenden gewandt und über die Bemühungen der PKK, für die Einhaltung der Menschenrechte in Kurdistan einzutreten, berichtet. Er habe die Anstrengungen der PKK mit der russischen Revolution, die eine neue Epoche für die unterdrückten Menschen in der ehemaligen Sowjetunion eingeleitet habe, verglichen. Die Gegner der PKK hießen heute Türkei, USA und Israel. Sie würden zusammenarbeiten, um die antiimperialistische Politik der PKK zu unterlaufen. Der Redner habe den Mut der Frauen gerühmt, die - wie Beriwan und Ronahi in Deutschland - in vielen Ländern ihr Leben für die PKK geopfert hätten. Europa, das heute Heimat von Millionen Kurden sei, biete Frauen eine große Chance, sich selbst zu verwirklichen. Im Feudalsystem der Türkei sei dies nicht im selben Ausmaß möglich. Abschließend habe der Gebietsleiter insbesondere die Frauen aufgerufen, sich am bevorstehenden Marsch zahlreich zu beteiligen. Eine unbekannte Funktionärin habe den Beginn einer fünftägigen Sitzdemonstration in Genf ab 16.03.1998 verkündet. An dieser Aktion sollten sich auch zahlreiche Frauen aus Süddeutschland beteiligen. Grund der Veranstaltung sei die Aufforderung des Führers der DPK Barsani an die Bewohner des nordirakischen Lagers Ninowa, dieses Camp zu verlassen. Sodann habe die Funktionärin zum „Internationalen Frauentag“ die Rolle der Frau in der PKK betont. Dank der PKK habe sich das Bild der Frau gewandelt und die moderne Frau gehe mit der Kalaschnikow ebenso selbstverständlich um, wie sie Auto fahre und in andere Domänen der Männer eingedrungen sei. Dennoch würden Frauen heute noch weltweit unterdrückt und als Sklavinnen missbraucht. In Kurdistan verfüge die Guerilla über zahlreiche weibliche Kommandanten, denen eine wichtige Rolle zukomme. Auch in Europa gäben zahlreiche Frauen ein gutes Vorbild ab. Aber in beiden Fällen sei die Anzahl jener Frauen noch immer nicht groß genug, die gleichberechtigt seien. Ihre Zahl müsse weiter wachsen. Beriwan und Ronahi seien große Heldinnen, denen man nacheifern müsse und die allen als Vorbild dienen sollten. Nur die Revolution könne die Frauen vom herrschenden System befreien. Gegen Ende der Veranstaltung habe der Gebietsleiter noch einmal auf den Fackelmarsch am 20.03.1998 in ... hingewiesen und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dort alle heute Anwesenden wieder zu sehen. An der Veranstaltung vom 28.06.1998 in der Zeit von 15.00 Uhr bis ca. 16.30 Uhr in den Vereinsräumlichkeiten des ... in ..., ..., hätten ca. 120 Teilnehmer teilgenommen. Die Gedenkveranstaltung zu Ehren der Märtyrerin Kinaci habe mit einer Gedenkminute für die verstorbenen Revolutionäre, insbesondere die Märtyrerinnen begonnen. Danach habe Ibrahim Cek einen Brief vorgelesen, der von Kinaci noch zu Lebzeiten geschrieben worden sein soll. Der Brief habe sinngemäß gelautet: Kurdistan werde schon seit vielen Jahren von seinen Feinden beherrscht. Trotz jahrelangen tapferen Widerstands habe sie der Feind erbarmungslos unterdrückt. Erst 1998 sei es dem kurdischen Volk gelungen, einen Neuanfang zu starten. Und auch seither hätten es die Gegner ohne Rücksicht bekämpft und angefeindet. Die PKK sei nicht tot, die PKK lebe. Im Gegensatz zu ihren imperialistischen Feinden achte sie das menschliche Leben hoch und versuche nicht, die Menschen zu unterdrücken, aber das Volk müsse auch auf das hören, was ihm die PKK sage und was ihm deren Führer mit auf den Weg gebe. Die PKK bedeute Freiheit, Freiheit für die Frauen, Freiheit für alle. Sie appelliere weltweit an alle Menschen zu hören, dass die Kurden keine Schuld an dem Krieg in Kurdistan trügen und bitte sie, die Kurden bei ihrem Kampf gegen die türkische Regierung zu unterstützen. Für sie gebe es kein Leben ohne die PKK. Die PKK sei nicht nur eine Revolution für die Kurden, sie bedeute eine Revolution für die Welt. Sie glaube, dass Kurdistan bald frei sein werde. Sie rufe alle kurdische Mädchen auf, sich der PKK anzuschließen. Sie würden frei und glücklich sein mit ihrem Führer Öcalan, der für alle Kurden eine Chance bedeute. Nach dem Verlesen des Briefs habe eine unbekannte Funktionärin eine Rede gehalten und ausgeführt, der Name und die Person Zilan (Deckname der PKK-Märtyrerin Zeynep Kinaci) habe für die kurdischen Frauen viel verändert. Sie und andere Heldinnen hätten bewiesen, dass es auch anders gehe. Sie hätten mit der Bombe gelebt und den kurdischen Frauen einen neuen Weg gewiesen. Zilan sei für die Frauen in der ganzen Welt ein Vorbild und weise ihnen den Weg in die Freiheit. Anschließend habe sich Ibrahim Cek erneut mit einer Rede an die Zuhörer gewandt. Er habe aufgeführt, Zilan sei nicht wie andere Frauen gewesen. An ihrer Person könnten sich alle ein Beispiel nehmen. Sie habe gegen den Feind unerschrocken für die Freiheit gekämpft. Gleiches gelte für die anderen Märtyrerinnen, die sich z.B. in Mannheim selbst verbrannt hätten, um den Kurden einen Weg in die Freiheit zu zeigen. Alle miteinander hätten sie bewiesen, dass die Frauen von den Männern unabhängig sein könnten. Gleichzeitig seien sie ein Ansporn und ein Vorbild für andere Frauen. Nicht jede könne so handeln wie Zilan, aber diese habe mit ihrer Tat bewiesen, dass sie eine Heldin und Kommandantin der PKK sei. Nach einer Pause hätten die Anwesenden Fragen an den Diwan, der von Ibrahim Cek und der unbekannten Funktionärin gebildet worden sei, richten können. Hierbei habe Cek die Zuhörer über das im September wieder alljährlich stattfindende PKK-Festival informiert und diese aufgefordert, sich terminlich darauf einzustellen. Am 06.03.1999 hätten in der Karlsruher Innenstadt ca. von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr etwa 800 PKK-Sympathisanten gegen die Festnahme von Abdullah Öcalan demonstriert. Der Demonstrationszug habe sich vom Kronenplatz über den Marktplatz zum Europaplatz bewegt. Zeitweilig sei dabei ein Teilnehmer mit gefesselten Händen und zugeklebtem Mund vor dem Demonstrationszug hergelaufen, um damit auf die Situation des inhaftierten PKK-Chefs aufmerksam zu machen. Im Demonstrationszug seien etliche PKK-Fahnen und Bilder von Öcalan mitgeführt worden. Darüber hinaus seien mehrfach Parolen für Öcalan und die PKK skandiert worden. Im Laufe der Demonstration seien drei Redner aufgetreten, die unter anderem die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei kritisiert, die dortigen Menschenrechtsverletzungen angeprangert sowie ein faires Gerichtsverfahren für Öcalan und dessen Freilassung gefordert hätten. Am 04.04.1999 hätten sich in ..., in der sog. ... etwa 150 Anhänger der PKK in der Zeit von ca. 13.30 Uhr bis 18.00 Uhr zu einer Volksversammlung versammelt. Gebietsleiter Ibrahim Cek habe ausführlich Stellung zur aktuellen politischen Lage bezogen und sich sinngemäß dahingehend geäußert, dass nach der Festnahme Öcalans, die auf ein terroristisches Komplott zurückzuführen sei, die Geduld des kurdischen Volkes zu Ende gehe. Die Kurden befänden sich in einer Welt, in der sie keine Freunde hätten. Sie seien deshalb darauf angewiesen, sich selbst zu helfen. Seit 20 Jahren behaupte die Türkei, die PKK im Kampf besiegt zu haben. Trotzdem werde die PKK immer stärker. Das internationale Komplott bedeute nicht das Ende der PKK. Zwar sei ihr Führer inhaftiert, aber der Kampf werde fortgesetzt. Obwohl die PKK mehrfach einen Waffenstillstand angeboten habe, hätte die Türkei hierauf nur mit der Verschärfung des Kampfes reagiert. Der sechste Parteikongress der PKK habe beschlossen, die Durchführung von Anschlägen in der Türkei zu intensivieren. Als Ziel kämen sowohl türkische Politiker, Militärs und Polizeistationen als auch Industrieanlagen, nicht aber türkische Zivilisten in Betracht. Zur Situation in Deutschland habe der Redner ausgeführt, hier würden täglich neue Gesetze gegen die PKK verabschiedet. Die Situation sei mit der Hitlerzeit vergleichbar. Zwischen deutschen und türkischen Politikern, Militärs und Polizisten bestehe kein grundsätzlicher Unterschied. Deutschland wolle das kurdische Volk in gute und schlechte Kurden einteilen. Es werde allerdings nicht gelingen, einen Keil in das kurdische Volk zu treiben. Nach einer Pause habe sich eine Funktionärin der Frauenorganisation an die Zuhörerschaft gewandt. Sie habe beanstandet, dass nur wenige Frauen bei der Versammlung anwesend seien und die Frontarbeiter und die Anhängerschaft aufgefordert, dies in Zukunft zu ändern. Sie sei nochmals auf die aktuelle Lage eingegangen und habe hierbei insbesondere die herausragende Rolle der PKK-Aktivistinnen bei der Durchführung von Anschlägen betont. Eine weitere Volksversammlung des PKK-Gebiets ... sei am 24.10.1999 in der Zeit von ca. 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr ebenfalls in der ... mit etwa 200 Personen durchgeführt worden. Der Versammlungsraum sei mit einem Bild von Öcalan sowie mit einer in den kurdischen Landesfarben gehaltenen Fahne geschmückt gewesen. Nach einer Gedenkminute für die Gefallenen der PKK habe Ibrahim Cek sich in seiner anschließenden Rede mit dem Schicksal Öcalans befasst. Öcalan sei nach wie vor die bestimmende Führungspersönlichkeit in den Reihen der PKK, der die Verhandlungen mit der türkischen Regierung führe und maßgeblich die Geschicke der Organisation bestimme. Zur laufenden Spendenkampagne habe sich Ibrahim Cek betont kurz geäußert, indem er die Anwesenden lediglich auf die Aktion hingewiesen und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen habe, dass die Sympathisanten die Organisation weiterhin, sowie dies in der Vergangenheit geschehen sei, unterstützen würden. Ein unbekannter „als Freund“ bezeichneter Funktionär habe dann teilweise die vorangegangenen Ausführungen von Ibrahim Cek wiederholt. Dieser habe betont, dass die PKK nach 15 Jahren der bewaffneten Auseinandersetzung nunmehr den Weg des Friedens mit der Türkei eingeschlagen habe. Die Sympathisanten müssten diesen Weg unterstützen. Bei einer abschließenden Diskussion habe sich herauskristallisiert, dass die Anwesenden mit dem aktuellen Friedenskurs der PKK einverstanden gewesen seien. Kritik an der neuen Politik sei nicht geäußert worden. Als sehr kritikwürdig sei hingegen die Einstellung der türkischen Linken angesehen worden, die kein Verständnis für den Friedenskurs der PKK aufzubringen vermögen. Bei den Demonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 15.02.2004 hätten sich bis zu 20.000 PKK-Sympathisanten versammelt. Die Demonstration im Jahre 2003 habe sich thematisch mit der Isolationshaft Öcalans befasst. Die Demonstration habe gegen 10.00 Uhr in der Nähe des Bahnhofs begonnen und ca. 1 ½ Stunden durch die Stadt geführt. Auf einem Platz in der Nähe des Stadions sei eine Bühne für die Abschlusskundgebung aufgebaut gewesen. Von den Demonstranten seien zahlreiche Bilder Öcalans in die Höhe gehalten und Transparente in französischer Sprache mitgeführt sowie Flugblätter verteilt worden, die ein „Leben in Freiheit und Würde, Freiheit für Öcalan“ gefordert hätten. Die Abschlusskundgebung habe mit einer Gedenkminute für die gefallenen Märtyrer der PKK begonnen. Ein Redner habe ausgeführt, dass sich an diesem Tag viele tausend Kurden in Straßburg versammelt hätten, um der Türkei und der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass sich die Kurden und Öcalan - entgegen der Absicht der Türkei - nicht auseinanderdividieren ließen. Auch in den türkischen Metropolen würden an diesem Tag Zehntausende für Gerechtigkeit demonstrieren. Bei der Demonstration im Jahre 2004 habe man sich wie im Vorjahr in der Nähe des Bahnhofes getroffen, von wo aus sich der Demonstrationszug in einem etwa halbstündigen Marsch zum Kundgebungsort bewegt habe. Dort seien - neben einem Podium - zahlreiche Stände mit Essen, Getränke, Bücher und Devotionalien aufgebaut gewesen. Ein Bild Öcalans sei auf eine große Leinwand projiziert worden. Die Demonstranten hätten zahlreiche Fahnen des KONGRA-GEL und der ERNK geschwenkt. Außerdem hätten sie Bilder von Öcalan in die Luft gehalten. Daneben seien Transparente vorwiegend mit französischer und türkischer Aufschrift mitgeführt worden, die Freiheit für Öcalan und weitergehende Rechte für die kurdische Bevölkerung forderten. Zu Beginn der Kundgebung hätten die Anwesenden der gefallenen Märtyrer der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen gedacht. Eine Funktionärin der Frauenorganisation habe in ihrer Rede ausgeführt, Abdullah Öcalan habe sich besonders um die Freiheit und die Gleichberechtigung der kurdischen Frauen verdient gemacht. Einer der Anwälte Öcalans habe sich zu dessen Gefangennahme geäußert, dessen Freilassung gefordert und die Haftbedingungen der Isolationspolitik der türkischen Regierung verurteilt. In einem weiteren Redebeitrag sei unter anderem ein Vertreter einer französischen Partei zu Worte gekommen. Ein Unbekannter, dem die Rolle eines Moderators zugefallen sei, habe die zwei Tage zuvor erfolgte Schließung des kurdischen Fernsehsenders Medya-TV kritisiert und verkündet, man könne noch vielen weiteren Sendern den Betrieb untersagen, das kurdische Volk werde jedoch nach jeder Schließung immer wieder einen neuen Sender ins Leben rufen. So werde bereits Anfang März der neue Sender Roj-TV auf Sendung gehen. Der Kläger sei bei den genannten Veranstaltungen weder als Veranstaltungsleiter aufgetreten noch habe er Reden gehalten. Vielmehr habe er zu den Veranstaltungen im Wesentlichen durch seine Anwesenheit beigetragen. Die Erkenntnisse des Landesamts für Verfassungsschutz über den Inhalt der Veranstaltungen stammten teilweise von mehreren Quellen. Der Kläger sei jedoch immer nur von einer Quelle identifiziert worden. Dies sei über ein Lichtbild erfolgt. Bei den Großveranstaltungen am 15.02.2003 und 14.02.2004 sei der Kläger von der Quelle nicht gleichsam zufällig aus der Masse der ca. 20.000 Teilnehmern herausgegriffen und identifiziert worden. Vielmehr sei seine Identifizierung aus einer kleineren, eng begrenzten Personenzahl heraus erfolgt. Soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt habe, dass die Teilnahme an PKK-Veranstaltungen bei Kurden üblich sei und diese an vielen Veranstaltungen nur deshalb teilnehmen würden, um gemeinsam mit weiteren Volkszugehörigen zu feiern und in einer für sie oftmals fremden Umgebung Geborgenheit zu finden, sei dies in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Vielmehr würden von den rund 500.000 Kurden, die in Deutschland lebten, nur etwa 11.500 als Anhänger der PKK eingestuft. Dies seien weniger als 3%. Zwar liege die Anzahl der Kurden, die bei wichtigen Anlässen mobilisiert werden könnten, höher. Auch gelinge es der PKK des öfteren, mit Picknick, Musikveranstaltungen und sportlichen Aktivitäten jüngere Menschen anzusprechen, die ansonsten kaum einen Bezug zur PKK hätten. Bei den genannten Märtyrergedenkveranstaltungen sei dies jedoch nur sehr selten der Fall. Völlig ausgeschlossen sei es bei den sogenannten Volksversammlungen. Deren Anziehungskraft beschränke sich auf den „harten Kern“ der PKK. Soweit die Teilnahme der Klägers an der PKK-Volksversammlung in ... am 08.03.1998 und an der PKK-Gedenkversammlung am 28.06.1998 nicht im Rahmen des ersten Einbürgerungsverfahrens in das Verfahren eingeführt worden sei, habe dies auf dem Quellenschutz beruht. Die Erkenntnisse seien zunächst als Verschlusssache eingestuft worden, da bei beiden Veranstaltungen nur eine überschaubare Anzahl von Personen zugegen gewesen sei. Erst nachdem eine gewisse Zeit verstrichen und der Gesichtspunkt des Quellenschutzes an Bedeutung eingebüßt gehabt habe, sei es möglich gewesen, sie im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 27.10.2000 - wenigstens teilweise - offen zu legen. Der Vortrag des Klägers, er könne schon deshalb nichts mit der PKK zu tun haben, weil er sich für die TKEP engagiert habe, könne so nicht nachvollzogen werden. Beide Organisationen seien linksextremistisch orientiert, wenngleich der „linke“ Aspekt der PKK im Laufe der Jahre gegenüber dem nationalen Anspruch auf einen eigenen Staat bzw. Autonomie in den Hintergrund getreten sei. Es sei zu berücksichtigen, dass linksextremistische türkische Organisationen in der Vergangenheit immer wieder bei Veranstaltungen/Demonstrationen von PKK-Anhängern gegen den von ihnen verhassten „faschistischen Staat“ Türkei mitgewirkt hätten. Da die TKEP in Deutschland bzw. Baden-Württemberg jedoch nie in vergleichbarem Maße wie andere linksextremistische türkische Organisationen oder die PKK aktiv gewesen sei, lägen auch keine eigenen Erkenntnisse über das Verhältnis der Parteien zueinander vor. Der Kläger sei ausweislich des Protokolls über die Mitgliederversammlung am 06.01.2003 zum Kassierer des „Kurdischen Elternvereins ...“ gewählt worden. Aus dem Vermerk des Bundeskriminalamts (Stand April 2010) sei ersichtlich, dass dieser Verein zur „Union der kurdischen Familie“ (YEK-MAL) gehöre. YEK-MAL sei - wie sich aus verschiedenen Organisationsbeschlüssen ergebe - strukturell an die PKK angebunden. Die PKK habe sich zum Ziel gesetzt, die gesamte ethnische Gruppierung der Kurden für die Ziele der Partei einzubinden, so auch den Bereich der kurdischen Familie, den sie durch die Einrichtung von YEK-MAL an ihre Organisation gebunden habe. Ziel der YEK-MAL sei es unter anderem, den Unterricht in kurdischer Sprache sowie die kurdische Kultur zu fördern. Auch sei in Bezug auf YEK-MAL vorgegeben worden, Aktivitäten hinsichtlich Kindergärten und Schulen zu beginnen sowie Möglichkeiten zu sichern, damit u.a. Kinder von Märtyrern und Inhaftierten eine Ausbildung erhielten.
25 
Der Beklagte beantragt,
26 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
27 
Der Kläger beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen.
29 
Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und führt insbesondere aus, das Gericht habe ihn ausführlich angehört und sei unter Bewertung seiner bisher im Einbürgerungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen sowie seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis gekommen, seine zum Ausdruck gebrachte Haltung im Hinblick auf eine gewaltfreie Lösung der kurdischen Frage sei glaubhaft und nachvollziehbar. Er habe nie eine Verbindung zur politischen Position der PKK gehabt. Die vom Beklagten hinsichtlich des Vorliegens eines Ausschlussgrundes erhobenen Vorwürfe, für die dieser beweispflichtig sei, seien ohne Grundlage.
30 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen ... und ... ... sowie durch uneidliche Vernehmung des Zeugen ... vom Landesamt für Verfassungsschutz. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll und dessen Anlage Bezug genommen.
31 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffende Ausländerakte und die Einbürgerungsakte einschließlich der Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie die Asylverfahrensakte vor.

Entscheidungsgründe

 
32 
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil er die Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG entgegensteht.
1.)
33 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.01.2005 - 13 S 2549/03 -VBlBW 2006, 70). Auf die im Juli 2000 beantragte Einbürgerung ist § 10 StAG in seiner vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit dieser günstigere Bestimmungen enthält (§ 40c StAG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I S. 1970). Die Frage der Günstigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung zu beantworten, die nicht nach beiden Gesetzesfassungen erfüllt ist. Es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 - 13 S 1487/06 - juris; Berlit, Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht durch das EU-Richtlinienumsetzungsgesetz, InfAuslR 2007, 457, 466).
34 
Der Kläger, der über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, bestreitet für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen den Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG); dies ist durch die Vorlage der Lohnabrechnungen der Monate Juni bis August 2010 für den Kläger und seine Ehefrau nochmals verdeutlicht worden. Er hat seit mehr als acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und hat - jedenfalls im Hinblick auf die insoweit günstigere Bestimmung nach der bis 28.08.2007 geltenden Rechtslage - ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Die übrigen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StAG sind ebenfalls gegeben. Das erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG), das die innerliche Hinwendung zu dieser einschließt, wird nicht durch etwaige Aktivitäten für die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder einer mit dieser verbundenen Organisation infrage gestellt; solche liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor (siehe nachfolgend 2.).
2.)
35 
Der Einbürgerung steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (bis 27.08.2007 wortgleich § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht entgegen. Unter Ausschöpfung aller von den Beteiligten aufgezeigten - und auch sonst ersichtlichen - Erkenntnisquellen kann der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung gewinnen, dass Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Kläger die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder eine mit ihr verbundene Organisation im Sinne dieser Bestimmung unterstützt hat.
36 
Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
37 
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen diejenigen Bewerber keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, bei denen zumindest der begründete Verdacht besteht, dass sie Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützen, die für den deutschen Staat, in den sie eingebürgert werden wollen, wesentlich sind. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind nur die in dieser Bestimmung genannten Schutzgüter von Bedeutung. Einerseits wird nicht bereits jedes unter Strafrechtsschutz stehende Rechtsgut von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erfasst, andererseits setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aber auch keine strafgerichtliche Verurteilung voraus. Ob die Verurteilung wegen einer Straftat dem Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht, beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 12a StAG. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG schließt einen Anspruch auf Einbürgerung nicht erst dann aus, wenn der Ausländer Handlungen unterstützt hat, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Für den Anspruchsausschluss nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genügt es vielmehr, wenn der Ausländer ungeachtet späterer möglicher tatsächlicher Beeinträchtigungen bereits vorgelagert Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet sind. Nach § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB sind im Sinne des Strafgesetzbuches Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist nicht erforderlich, dass die Bestrebungen auch objektiv geeignet sind, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Es genügt, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Bezogen auf solche Bestrebungen setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG jedenfalls voraus, dass sie der Ausländer unterstützt hat. Wenn das Gesetz von Bestrebungen im Plural spricht, bedeutet das nicht, dass nur das Unterstützen von mehr als einer solchen Bestrebung relevant wäre. Vielmehr steht der Plural nur für die Vielzahl möglicher Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140).
38 
Ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist jede Handlung des Ausländers, die für diese Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - juris; Berlit, GK-StAR § 11 Rn. 96), insbesondere jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 28.03 - BVerwGE 123, 114). Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Anspruch auf Einbürgerung bereits dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer solche Bestrebungen unterstützt hat. Zum Ausschluss eines Einbürgerungsanspruchs genügt also der begründete Verdacht einer solchen Unterstützung.
39 
Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. Eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns muss für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 26 und vom 22.2.2007 – 5 C 20.05 – BVerwGE 128, 140).
40 
Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 18 und Beschluss vom 27.01.2009 - 5 B 51.08 - juris).
41 
Bei der Beurteilung, ob die Anknüpfungstatsachen je für sich oder in ihrer Gesamtschau nach Inhalt, Art und Gewicht für die Annahme ausreichen, dass der Ausländer Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt oder unterstützt hat, steht der Einbürgerungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu. Das Vorliegen dieses Ausschlussgrundes, einschließlich der Frage der glaubhaften Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterliegt vielmehr in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 74 und 86).
42 
Für das Vorliegen der Anknüpfungstatsache ist die Einbürgerungsbehörde darlegungs- und notfalls beweispflichtig (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 76). Für die Tatsachenfeststellung bestrittener Tatsachen gilt insoweit das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO, selbst wenn sich die Einbürgerungsbehörde wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Erkenntnisquellen der Verfassungsschutzbehörden in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet (OVG RhPf., Beschluss vom 17.02.2009 - 7 A 11063/08 - juris; siehe auch Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 84, 95 ff.; zur materiellen Beweislast für die Richtigkeit von streitigen Tatsachenbehauptungen der Verfassungsschutzbehörde vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 - NVwZ 2008, 1371).
43 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung davon erlangt, dass die vom Zeugen ... anlässlich seiner Angaben beim Polizeirevier ... am 30.08.2001 aktenkundig gemachten Hinweise zutreffen, der Kläger sei nicht nur Anhänger, sondern sogar aktives Mitglied der PKK, der dies auch freimütig zugebe, für die PKK werbe und ihn selbst und andere zu überreden versuche, an Veranstaltungen der PKK teilzunehmen. Entsprechendes gilt für die - vom Kläger ebenfalls stets bestrittene - Tatsache der Teilnahme an den vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen. Insoweit fehlt es bereits an bewiesenen Anknüpfungstatsachen, die Grundlage für die Annahme sein könnten, der Kläger unterstütze durch die Teilnahme an deren Veranstaltungen die PKK. Soweit der Kläger unstreitig im Jahre 2001 die sog. „PKK-Selbsterklärung“ unterzeichnet hat und im Jahre 2003 als Kassenwart des Kurdischen Elternvereins Karlsruhe e.V. gewählt worden ist, liegt hierin keine Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
a.)
44 
Die Angaben des Zeugen ... sind sowohl was die behauptete innere Verbundenheit des Klägers mit der PKK als auch das äußere Eintreten für diese betrifft, nicht glaubwürdig. Die Schilderungen des eigentlichen Geschehens und auch die Ausführungen zu den Begleitumständen erweisen sich als wenig plausibel und widersprüchlich. Der Senat ist nach dem persönlichen Eindruck, den er vom Zeugen gewonnen hat, und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, in die die Angaben des Zeugen eingebettet sind, nicht davon überzeugt, dass die angegebenen Vorwürfe zutreffen.
45 
Der Zeuge gab in der Berufungsverhandlung an, der Kläger habe ihn dazu überreden wollen, an einer Großdemonstration der PKK teilzunehmen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er politisch desinteressierter Türkei sei, es sei aber darum gegangen, „je mehr Leute desto besser“. Mit dem Kläger, der mit seiner Familie im gleichen Haus wie seine frühere Freundin lebe, habe er sich vielleicht drei Monate gut verstanden, das habe dieser genutzt zu versuchen, „ihn zu sich zu ziehen“. Über sich selbst und seine politische Einstellung habe der Kläger angegeben, dass „er voll dabei sei“. Trotz mehrfacher Nachfragen des Senats konnte der Zeugen diese Angaben nicht weiter konkretisieren. Dies kann nicht damit erklärt werden kann, dass die von dem Zeugen behaupteten politischen Gespräche mit „Anwerbungsversuchen“ bereits etwa neun Jahre zurückliegen. Denn ungeachtet dieses lange zurückliegenden Zeitraums berichtete der Kläger an anderer Stelle der Vernehmung durchaus konkret, dass „es dann irgendwann mal, wo er mehr getrunken habe, dann zur Auseinandersetzung gekommen sei.“ Im weiteren Verlauf der Befragung äußerte sich der Zeuge sogar dahingehend, dass der Kläger nie gesagt habe, dass er zur PKK oder sonstigen vergleichbaren Veranstaltungen gegangen sei, dass „er ihn aber unbedingt mal dabei haben wollte“ und dass der Kläger dann „auf jeden Fall hinfährt“. Diese geschilderte Zurückhaltung des Klägers lässt sich aber kaum mit dem ansonsten vermittelten Bild des überzeugten und werbenden „PKK’lers“ in Einklang bringen. Auch das Vorbringen des Zeugen, der Kläger habe die ganze Wohnung mit Bildern und Flaggen der PKK dekoriert, erweist sich nicht als belastbar. Auf Frage des Senats, woher er diese Erkenntnis habe, gab der Zeuge verschiedene Versionen an. Zunächst erklärte er, er habe nie in die Wohnung des Klägers gedurft, weil da irgendwelche Bilder hingen. Dass Bilder von Öcalan dort hingen, habe der damals vier oder fünf Jahre alte Sohn des Klägers gesagt. Auf Nachfrage äußerte er sich dann dahingehend, der Sohn habe nur gesagt, „dass da von einem Mann Bilder hängen“. Auf weitere Nachfrage hieß es dann, „die Töchter hätten sich verplappert“, wobei er dann beiläufig eine der Töchter deswegen gefragt haben will. Im weiteren Verlauf der Vernehmung führte der Zeuge aus, er sei „nur einmal in der Küche gewesen, aber nicht im Wohnzimmer“. Allerdings „habe er den Eindruck gehabt, dass da irgendetwas nicht stimme“. Auf erneute Frage wollte er dann doch „einen Blick ins Wohnzimmer geworfen haben“. Auch soweit der Zeuge vortrug, er nehme an, die Bilder und Flaggen seien weggetragen worden, als die Polizei da gewesen sei, erscheint dies dem Senat nicht überzeugend. Denn es ist völlig lebensfremd, dass Bilder oder Flaggen, die für die PKK oder eine mit ihr verbundene Organisation stehen, im Beisein der Polizei in ein Auto hätten gebracht und weggefahren werden können, ohne dass dies von der Polizei bemerkt und festgehalten worden wäre. Aus den teilweise beigezogenen Akten der Polizei ergeben sich hierfür aber keine Hinweise. Für die Würdigung der Aussage des Zeugen ist auch von Bedeutung, dass das Verhältnis zwischen ihm und dem Kläger sowie dessen Ehefrau spätestens seit dem 10.08.2001 und der wechselseitigen Erstattung von Anzeigen hoch belastet ist. Zwar hat die Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 20.10.2004 wurde der Zeuge jedoch verurteilt, Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 2.373,06 EUR nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Mit gleichem Urteil sprach das Amtsgericht der Ehefrau des Klägers 1.800 EUR zuzüglich Zinsen zu, die als Schadensersatz- und Schmerzensgeld von dem Zeugen und seinem Vater gesamtschuldnerisch zu leisten sind. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Zeuge am 10.08.2001 in Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Streit nicht nur Reifen am Pkw des Klägers zerstochen hatte, sondern zumindest als Mittäter einen Stuhl nach dem Kläger geworfen und ihm hierdurch eine Unterarmfraktur zugefügt hatte. Des weiteren hatte er dem Urteil zufolge gemeinsam mit seinem Vater, dem Zeugen ..., am Abend des 10.08.2001 im Bereich der Hauseingangstür mit Stöcken auf die Ehefrau des Klägers eingeschlagen. Unter Berücksichtigung dessen und des auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei ihrer Begegnung gezeigten wechselseitig unterschwellig feindseligen Verhaltens sowohl des Zeugen als auch des Klägers hat der Senat den Eindruck, dass das Aussageverhalten des Zeugen nicht unvoreingenommen ist. Schließlich spricht einiges dafür, dass der Zeuge - sei es bewusst oder unbewusst - die kurdische Volkszugehörigkeit undifferenziert mit einem Engagement für die PKK gleichsetzt. Dies lässt sich insbesondere anhand seiner Einlassung erkennen, „der Kläger sei 100%-ig dabei; er habe sich schlau gemacht und in einem türkischen Internetcafé nachgefragt, und sogar die haben es bestätigt und die ganze Nachbarschaft, die kann es auch bestätigen, weil sie Kurden sind“.
46 
Insgesamt ist der Senat aufgrund der Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht der Überzeugung, dass die in der polizeilichen Niederschrift über seine Vernehmung als Geschädigter von ihm genannten Tatsachen, aus denen auf eine innerliche und äußerliche Hinwendung des Klägers zur PKK geschlossen werden könnte, zutreffen. Bei dieser Würdigung hat der Senat auch die Angaben des ebenfalls als Zeugen vernommenen Vaters beachtet. Der Zeuge ... gab in der mündlichen Verhandlung an, aus eigener Anschauung nichts über die politische Einstellung des Klägers zu wissen. Er erklärte lediglich, sein Sohn habe ihn nach der PKK gefragt, weil er „einen Nachbarn habe, der gesagt habe, da kannst du gut leben.“ Diese völlig allgemein gehaltene und lediglich an ein nicht näher substantiiertes Gespräch zwischen Vater und Sohn anknüpfenden Aussage gibt dem Senat keinen Anlass, die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen ... anders zu beurteilen. Im Übrigen ergeben sich aus der Zeugenaussage des Vaters weder direkt noch indirekt konkrete Tatsache, die auf eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hindeuten würden.
47 
Soweit in den Akten des Polizeireviers ... in verschiedenen Schriftstücken eine PKK-Anhängerschaft des Klägers erwähnt ist, geht dies letztlich auf die damaligen Angaben von ... zurück. Für den Senat besteht kein Anlass, der Frage der Berechtigung dieser im Jahr 2001 insoweit erhobenen Vorwürfe über die Vernehmung der beiden Zeugen hinaus weiter nachzugehen - zumal zusätzliche mögliche Erkenntnismittel, insbesondere Zeugen, die aus unmittelbarem Erleben etwas berichten könnten, von den Beteiligten nicht aufgezeigt worden sind und auch nicht ersichtlich sind.
b.)
48 
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger an den Veranstaltungen teilgenommen hat, die der Beklagte ihm als einbürgerungsschädliche Unterstützung der PKK entgegen hält. Zwar hat der in der Berufungsverhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz, an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, bekundet, der Kläger sei nach den Angaben einer zuverlässigen Quelle bei allen genannten Veranstaltungen anwesend gewesen. Gleichwohl hat sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass der Kläger - was von ihm stets bestritten worden ist - tatsächlich an den Großdemonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 14.02.2004, der Demonstration in ... am 06.03.1999 sowie den „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ bzw. „Volksversammlungen“ der PKK am 08.03.1998, 28.06.1998, 04.04.1999 und 24.10.1999 teilgenommen hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass diese vom Beklagten genannten Veranstaltungen tatsächlich stattgefunden haben. Zu Ort, Zeit und Inhalt der Veranstaltungen sind im Berufungsverfahren konkrete und substantiierte Angaben gemacht und weitere Unterlagen vorlegt worden, so ein Pressebericht vom 07.03.1999 zur Demonstration in ... vom 06.03.1999 und ein Flugblatt in französischer Sprache zur Demonstration vom 15.02.2003. Die inhaltlichen Berichte stützen sich mit Ausnahme der Veranstaltung vom 28.06.1998 auf verschiedene Quellen des Landesamts für Verfassungsschutz, die - wie der Zeugen ... in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegte - Überprüfungsmaßnahmen des Landesamts unterzogen worden sind. Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger selbst bei diesen ihm vom Beklagten vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend war.
49 
Die Bekundung des Zeugen ..., der Kläger sei bei den genannten „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“, „Volksversammlungen“ und Demonstrationen anwesend gewesen, beruht auf den Angaben einer einzigen Quelle, wobei der Zeuge nicht der unmittelbare Führer dieser Quelle ist. Aus Quellenschutzgründen wurde die Identität der Quelle nicht offen gelegt. Der unmittelbare Quellenführer stand als Zeuge nicht zur Verfügung. Auch wurden - trotz Aufforderung durch das Gericht - keine schriftliche Aufzeichnungen vorgelegt. Diese Praxis ist dem Senat aus vergleichbaren Verfahren bekannt. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die auf geheim gehaltenen Quellen beruhen und als Zeugenaussage vom Hörensagen in den Prozess eingeführt werden, können zwar grundsätzlich verwertet werden. Allerdings darf die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dann nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werden, wenn eine Behörde sich gegenüber dem Auskunftsbegehren eines Bürgers auf Geheimhaltungsgründe beruft und sich diese Gründe gerade auch auf die allein als Beweismittel in Betracht kommenden Verwaltungsvorgänge beziehen, in denen die für das Verwaltungsverfahren und sein Ergebnis relevanten Sachverhalte dokumentiert sind (vgl. grundlegend zu dieser Problematik BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 2 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106, 121 ff.). Soweit in einem derartigen Fall die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge abhängt, muss das Gericht grundsätzlich die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. Ist dies wie hier nicht möglich, muss das durch die Geheimhaltung entstehende Rechtsschutzdefizit im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeglichen werden (Hamb. OVG, Urteil vom 07.04.2006 - 3 Bf 442/03 - NordÖR 2006, 466). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Beweiswürdigung der Angaben eines sogenannten Zeugen vom Hörensagen besonderen Anforderungen unterliegt, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind. Danach ist der Beweiswert seiner Angaben besonders kritisch zu prüfen. Denn das Zeugnis vom Hörensagen ist nur begrenzt zuverlässig, weil sich die jedem Personenbeweis anhaftenden Fehlerquellen im Zuge der Vermittlung der Angaben verstärken und weil das Gericht die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson nicht selbst einschätzen kann. Das Gericht muss sich der Gefahren der beweisrechtlichen Lage, also vor allem der besonderen Richtigkeitsrisiken in Ansehung anonym gebliebener Personen, deren Wissen durch einen Zeugen vom Hörensagen eingeführt wird, sowie der sich daraus ergebenden Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst sein (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris Rn. 50 und Urteil vom 27.03.1998 - 13 S 1349/96 - juris Rn. 37). Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen wird regelmäßig einer Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechende Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (BVerwG, Beschluss vom 22.10.2009 - 10 B 20/09 - juris Rn. 4 und Beschluss vom 05.03.2002 - 1 B 194/01 - juris Rn. 4 mit ausdrücklichem Hinweis auf BVerfGE 57, 250, 292). Nach der zum Strafrecht entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen die Angaben des Gewährsmanns regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere, nach Überzeugung des Fachgerichts wichtige ihrerseits beweiskräftig festgestellte Gesichtspunkte bestätigt werden (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 292 ff.; BVerfG <2. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 - NJW 1996, 448; BVerfG <1. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 05.07.2006 - 2 BvR 1317/05 - NJW 2007, 204). Die strafgerichtliche Rechtsprechung und Literatur verlangt daher regelmäßig „zusätzliche Indizien von einigem Gewicht“ (vgl. näher BGH, Beschluss vom 08.05.2007 - 4 StR 591/06 - juris Rn. 2; Beschluss vom 19.06.1996 - 5 StR 220/96 - juris Rn. 3 ff; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2008, § 250 Rn. 13; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009, § 46 Rn. 33 f.; Detter, Der Zeuge vom Hörensagen - eine Bestandsaufnahme, NStZ 2003, 1, 4). Diese zum Strafrecht entwickelten Prinzipien können als Ausdruck des Rechts auf faires Verfahrens auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herangezogen werden (Sodan/Ziekow, a.a.O., § 96 Rn. 38; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die behauptete Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen in den Jahren 1998 und 1999 sowie 2003 und 2004 nicht nachgewiesen.
50 
Der in der Verhandlung vernommene Zeuge des Landesamts für Verfassungsschutz konnte, was die Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen betrifft, nur übermitteln, was die Quelle ihrem Quellenführer berichtet haben soll. Von der persönlichen Glaubwürdigkeit des im Dunkeln bleibenden Gewährsmannes konnte sich der Senat daher kein Bild machen. Die durch den Zeugen vom Hörensagen vermittelten Angaben sind auch deshalb von geringerem Beweiswert, weil die bei einer Nachrichtenkette allgemein bestehende und mit jedem Glied wachsende Gefahr, dass Angaben - und sei es auch unabsichtlich - entstellt oder unvollständig erfasst bzw. wiedergegeben werden, nicht ausgeblendet werden kann. Im vorliegenden Fall wurde nach den Bekundungen des Zeugen die Quelle nach der ersten Veranstaltung innerhalb von 14 Tagen danach persönlich vom unbekannt gebliebenen Quellenführer getroffen. Diese hat von der Veranstaltung mündlich berichtet, wobei der Quellenführer dies nicht auf Band aufgenommen, sondern erst später aufgeschrieben hat. Besondere Vorkehrungen, die im konkreten Fall die Gefahr von Übermittlungsfehler minimieren würden, sind insoweit nicht ersichtlich.
51 
Was die vorgetragene Anwesenheit des Klägers bei den Großdemonstrationen in Straßburg mit bis zu 20.000 Teilnehmern und bei der Demonstration in Karlsruhe am 06.03.1999 mit jedenfalls mehreren Hundert Teilnehmern (der Beklagte spricht in seinem Schriftsatz vom 18.05.2010 von 800, der beigefügte Zeitungsartikel von 1.800 Menschen) betrifft, ist schon nicht nachvollziehbar, wie der Kläger unter Berücksichtigung der Masse der Teilnehmer überhaupt sicher identifiziert worden sein könnte. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.08.2010 vorgetragen, „er sei aus einer kleineren eng begrenzten Personenzahl heraus und bestimmt nicht zufällig identifiziert worden“. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz erklärte, dass bei Großdemonstrationen üblicherweise die Identifizierung bei der An- oder Abfahrt mit dem Bus erfolgt; mehr könne aus Quellenschutzgründen nicht gesagt werden. Abgesehen davon, dass dies nicht erklärt, wie eine Identifizierung des Klägers bei der sozusagen „vor seiner Haustür“ stattgefundenen Demonstration in ..., bei der eine An- und Abfahrt mit dem Bus entfällt, erfolgt worden wäre, ist aufgrund der insoweit fehlenden eindeutigen Angaben für den vorliegenden Fall die Verlässlichkeit einer Identifizierung bei den angeführten Großveranstaltungen nicht gewährleistet.
52 
Hinzukommt, dass die vorgetragene generelle Identifizierung des Klägers durch die Quelle im Wege einer Wahllichtbildvorlage mit einem Mangel behaftet ist, der sich auf die Frage der Feststellung der Teilnahme des Klägers an allen ihm vorgehaltenen Veranstaltungen, also auch bzgl. der „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ und der „Volksversammlungen“, selbst wenn diese typischerweise nur bis zu etwa 200 Personen umfasst haben, auswirkt.
53 
Nach den Angaben des Zeugen ... sei der Kläger durch eine einzige Quelle identifiziert worden, die bei allen dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend gewesen sei. Die Quelle, die spätestens etwa 14 Tage nach der jeweiligen Veranstaltung getroffen worden sei, habe den unter türkischen Staatsangehörigen sehr häufigen Namen ... genannt, jedoch über den Namensträger nichts weiter als dessen Anwesenheit berichtet. Der Verfassungsschutz habe dann irgendwann über das in der Nähe eines nicht genannten Veranstaltungsorts geparkte Auto, das der Polizei aufgefallen sei, die Identität des Klägers ermitteln können. Im Jahre 2003 sei eine Wahllichtbildvorlage erfolgt. Im Regelfall würden der Quelle zehn Lichtbilder vorgelegt, im konkreten Fall seien es - so glaube er - acht Bilder gewesen, von denen die Quelle zwei identifiziert habe, darunter auch das Lichtbild des Klägers. Bei der Frage nach dem Beweiswert darf schon nicht unberücksichtigt bleiben, dass keine Details dazu mitgeteilt wurden, wie die Wahllichtbildvorlage im konkreten Fall ausgestaltet wurde; es ist auch nicht ersichtlich, dass der gesamte Vorgang im Einzelnen dokumentiert worden wäre. Auch wurde im Jahre 2003 ein damals etwa mindestens sechs oder sieben Jahre altes Lichtbild des Klägers verwendet. Der Senat konnte sich anhand des vom Zeugen ... in der Berufungsverhandlung vorgelegten Lichtbildes davon überzeugen, dass es sich hierbei um eine Vergrößerung des dem Einbürgerungsantrag vom November 1996 beigegebenen Passfotos gehandelt hatte. Das Erscheinungsbild des in der Verhandlung persönlich anwesenden Klägers hat sich jedoch gegenüber dem Lichtbild deutlich geändert. Die Haare des Klägers sind mittlerweile ergraut, er trägt Brille und ist nicht rasiert gewesen; außerdem wirkt er im Gesicht schlanker als auf dem Foto. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser seit etwa 13 Jahren eine Brille und sich auch schon in der Vergangenheit manchmal einen Bart stehen lassen. Zwar hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass jemand, der den Kläger schon zuvor seit Jahren näher kennt, diesen im Jahre 2003 anhand eines Fotos älteren Datums bestimmen kann. Der Zeuge hat jedoch aus Gründen des Quellenschutzes keine Angaben dazu gemacht, inwieweit die Quelle den Kläger bereits zuvor persönlich gekannt hat oder ob sie ihn primär anhand des Lichtbildes identifiziert haben will. Infolge dessen muss der Senat - als eine Art „worst-case-Betrachtung“- davon ausgehen, dass die Quelle den Kläger nicht näher gekannt hat, ihn bei den Veranstaltungen im Jahre 1998 und 1999 in einer Menge von immerhin 100 bis 200 Teilnehmern gesehen haben will und - mangels gegenteiliger Angaben - nach der Veranstaltung vom 24.10.1999 beide Personen mehrere Jahre nicht zusammengetroffen sind. Dieses begründet eine nicht ausräumbare Unsicherheit im Identifizierungsvorgang, weshalb die dem Kläger vorgehaltene Teilnahme an den Veranstaltungen nicht als bewiesen angesehen werden kann.
54 
Selbst wenn man im Übrigen im Rahmen der Beweiswürdigung den Unsicherheitsfaktor bei der Identifizierung nur mit minderer Bedeutung gewichten würde, weil die praktizierte Lichtbildvorlage ein typischer Weg des Verfassungsschutzes bei der Erkenntnisgewinnung darstellt und im Interesse des Quellenschutzes detaillierte Angaben, wie die Ermittlung eines Veranstaltungsteilnehmers erfolgt ist, regelmäßig nicht offengelegt werden können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die - in ihrem Beweiswert ohnehin schon herabgesetzten - Angaben der Gewährsperson können nicht durch andere gewichtige Gesichtspunkte - die etwa mit Blick auf die Einlassung des Betroffenen oder in Gestalt objektiver Gesichtspunkte gegeben sein können - gestützt oder bestätigt werden. Aus dem Komplex der ihm eigentlich vorgehaltenen Veranstaltungen heraus ergeben sich keine für die Richtigkeit der Angaben streitenden Tatsachen. Aber auch unter Berücksichtigung der gesamten anderweitig bestätigten Aktivitäten des Klägers und seiner persönlichen Äußerungen liegen keine Erkenntnisse vor, die einzeln oder im Wege einer Gesamtschau als Beleg für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen herangezogen werden könnten.
55 
Im Kontext der vom Landesamt aufgeführten Veranstaltungen sind beispielsweise zum Erscheinungsbild des Klägers, zu seinem Verhalten oder aus seinem persönlichen Lebensbereich keine besonderen oder gar originellen Details mitgeteilt worden, aus denen geschlossen werden könnte, die Quelle habe den Kläger tatsächlich dort gesehen. Ein gewichtiges Beweisanzeichen ergibt sich auch nicht daraus, dass die Quelle dem Zeugen ... zufolge überprüft worden sei und in der Zeit, in der die Veranstaltungen stattgefunden haben, zuverlässig berichtet habe. Denn insoweit fehlt es schon an der Mitteilung von Indizien, anhand derer diese Einschätzung ihrerseits bestätigt werden könnte. Dass der Kläger einmal sein Fahrzeug in der Nähe eines - nicht näher bezeichneten - Veranstaltungsortes geparkt hat, das von der Polizei beobachtet worden ist, ist aufgrund der mangels gegenteiliger Erkenntnisse anzunehmenden Neutralität des Parkvorgangs an sich kein Indiz, das für die Teilnahme des Klägers an den ihm vorgehaltenen Veranstaltungen sprechen könnte. Ein Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen folgt schließlich nicht daraus, dass der Zeuge ... angegeben hat, der Kläger sei Anhänger der PKK und werbe für deren Veranstaltungen. Denn seine Aussage ist insgesamt unglaubhaft, weshalb sie als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der vom Beklagten behaupteten Teilnahme des Klägers an den angeführten Veranstaltungen ungeeignet ist.
56 
Das frühere Eintreten für die TKEP ist ebenfalls kein Indiz dafür, dass die dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen zutreffen. Die vom Kläger in der Türkei damals vorgenommenen und im Übrigen schon sehr lange zurückliegenden politischen Tätigkeiten - Schreiben von Parolen an Wände, Verteilung von Flugblätter, Teilnahme an Seminaren und Veranstaltungen, Lesen von Parteipublikationen - sind nur mit Bezug und Wirkung auf sein Herkunftsland erfolgt. Nach den Angaben des Klägers ist mit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Juni 1990 sein Engagement für die TKEP beendet gewesen. Auch aus der Einlassung des Klägers zur Frage seiner politischen Betätigung im Übrigen kann keine Stützung des Hörensagenbeweises gewonnen werden. Der Kläger hat von Anfang an und widerspruchsfrei bestritten, an den Veranstaltungen teilgenommen bzw. überhaupt etwas mit der PKK zu tun zu haben. Zwar ist sein Hinweis, die TKEP habe eine völlig andere ideologische Ausrichtung und schon deswegen sei klar, dass er sich nicht für die PKK engagiere, nicht unbedingt zwingend. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es sich dem Grunde nach bei beiden um linksextremistische Organisationen handelt (vgl. zur PKK als marxistisch-leninistisch orientierter Kaderpartei Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 1992, S. 85), die für ein Selbstbestimmungsrecht der Kurden streiten. Auch können sich eigene politische Überzeugungen - zumal in einer anderen Umgebung und nach Auflösung der TEKP - ändern. Allerdings hat der Kläger auch im Einzeln dargelegt, wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr zu haben, sich in Deutschland politisch zu engagieren, und dies auch nicht mehr zu wollen. Dass der Kläger aufgrund seiner kulturellen Ausrichtung nach eigenen Angaben Newroz feiert und auch Veranstaltungen zum 1. Mai besucht, stellt dies nicht in Frage.
57 
Ferner ist auch die vom Kläger im Jahre 2001 unterzeichnete „PKK-Selbsterklärung“ entgegen der mit Schriftsatz vom 05.02.2010 geäußerten Auffassung des Beklagten kein „Beweisanzeichen“, das die Angaben des Gewährsmannes verlässlich stützt. Der Kläger hat sich im Verfahren dahin gehend geäußert, er habe die Erklärung unterschrieben, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Hiervon ausgehend rechtfertigt allein die Unterzeichnung dieser Erklärung nicht die Annahme, der Unterzeichner habe eine Bestrebung im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. unterstützt (näher BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 ff.; vgl. auch Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Wortlaut dieser Erklärung übersteigende Ziele und Absichten erkennen konnte oder musste bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK hegen musste, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde, sind aus den vom Kläger abgegebenen Äußerungen nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt, dass Sympathisanten der PKK - und als einen solchen sieht der Beklagte den Kläger an - regelmäßig über die Hintergründe und Ziele dieser Kampagne der PKK keinen Überblick. hatten. Dass es sich bei dem Kläger um einen Funktionär oder Aktivisten oder um eine sonstige Person „mit vertieften Kenntnissen“ handeln könnte, wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Die Unterzeichnung der Erklärung ist daher an sich eine einbürgerungsunschädliche Meinungsäußerung in einer speziellen historischen Konstellation. Sie ist kein Beleg für eine innere Verbundenheit mit den Zielen der PKK und der Organisation selbst und im Rahmen der Beweiswürdigung daher kein entscheidendes Indiz, das die dem Kläger entgegengehaltene Teilnahme an den PKK-Veranstaltungen stützen kann. Zwar kann die Unterzeichnung der „PKK-Selbsterklärung einbürgerungsrechtlich dann in einem anderen Licht zu werten sein, wenn durch den Unterzeichner weitergehende Aktivitäten für die verbotenen Organisationen der PKK hinzukommen (vgl. etwa Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6); solche können jedoch nicht in den dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen gesehen werden, um deren Beweis gerade gestritten wird.
58 
Schließlich lässt sich in der Wahl des Klägers zum Kassierer des Kurdischen Elternvereins ... kein Indiz zur Bestätigung der Angaben des Zeugen vom Hörensagen erblicken. Aus der vom Senat beigezogenen und den Beteiligten übermittelten Satzung ergeben sich keine Hinweise darauf, dass mit der Vereinstätigkeit (vgl. insbesondere die in § 3 genannten Ziele und Zwecke des Vereins) objektiv einbürgerungsschädliche Aktivitäten verfolgt werden könnten. Selbst wenn man aufgrund des vom Beklagten vorgelegten Vermerks des Bundeskriminalamtes vom April 2010 einen Anhaltspunkte dafür sehen würde, dass dieser Verein über YEK-MAL - Union der kurdischen Familie - strukturell an die PKK angebunden sein könnte, ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger in Kenntnis dessen im Verein engagiert hätte. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich hierfür keine Hinweise. Auch der Beklagte hat nichts dazu vorgebracht, dass der Kläger mit dieser Tätigkeit subjektiv Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt hätte.
c.)
59 
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, ist entgegen der im angefochtenen Bescheid vom 02.05.2008 geäußerten Auffassung auch der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG n.F. nicht erfüllt.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
61 
Beschluss vom 29. September 2010
62 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
32 
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil er die Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG entgegensteht.
1.)
33 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.01.2005 - 13 S 2549/03 -VBlBW 2006, 70). Auf die im Juli 2000 beantragte Einbürgerung ist § 10 StAG in seiner vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit dieser günstigere Bestimmungen enthält (§ 40c StAG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I S. 1970). Die Frage der Günstigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung zu beantworten, die nicht nach beiden Gesetzesfassungen erfüllt ist. Es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 - 13 S 1487/06 - juris; Berlit, Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht durch das EU-Richtlinienumsetzungsgesetz, InfAuslR 2007, 457, 466).
34 
Der Kläger, der über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, bestreitet für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen den Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG); dies ist durch die Vorlage der Lohnabrechnungen der Monate Juni bis August 2010 für den Kläger und seine Ehefrau nochmals verdeutlicht worden. Er hat seit mehr als acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und hat - jedenfalls im Hinblick auf die insoweit günstigere Bestimmung nach der bis 28.08.2007 geltenden Rechtslage - ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Die übrigen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StAG sind ebenfalls gegeben. Das erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG), das die innerliche Hinwendung zu dieser einschließt, wird nicht durch etwaige Aktivitäten für die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder einer mit dieser verbundenen Organisation infrage gestellt; solche liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor (siehe nachfolgend 2.).
2.)
35 
Der Einbürgerung steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (bis 27.08.2007 wortgleich § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht entgegen. Unter Ausschöpfung aller von den Beteiligten aufgezeigten - und auch sonst ersichtlichen - Erkenntnisquellen kann der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung gewinnen, dass Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Kläger die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder eine mit ihr verbundene Organisation im Sinne dieser Bestimmung unterstützt hat.
36 
Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
37 
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen diejenigen Bewerber keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, bei denen zumindest der begründete Verdacht besteht, dass sie Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützen, die für den deutschen Staat, in den sie eingebürgert werden wollen, wesentlich sind. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind nur die in dieser Bestimmung genannten Schutzgüter von Bedeutung. Einerseits wird nicht bereits jedes unter Strafrechtsschutz stehende Rechtsgut von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erfasst, andererseits setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aber auch keine strafgerichtliche Verurteilung voraus. Ob die Verurteilung wegen einer Straftat dem Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht, beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 12a StAG. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG schließt einen Anspruch auf Einbürgerung nicht erst dann aus, wenn der Ausländer Handlungen unterstützt hat, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Für den Anspruchsausschluss nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genügt es vielmehr, wenn der Ausländer ungeachtet späterer möglicher tatsächlicher Beeinträchtigungen bereits vorgelagert Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet sind. Nach § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB sind im Sinne des Strafgesetzbuches Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist nicht erforderlich, dass die Bestrebungen auch objektiv geeignet sind, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Es genügt, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Bezogen auf solche Bestrebungen setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG jedenfalls voraus, dass sie der Ausländer unterstützt hat. Wenn das Gesetz von Bestrebungen im Plural spricht, bedeutet das nicht, dass nur das Unterstützen von mehr als einer solchen Bestrebung relevant wäre. Vielmehr steht der Plural nur für die Vielzahl möglicher Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140).
38 
Ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist jede Handlung des Ausländers, die für diese Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - juris; Berlit, GK-StAR § 11 Rn. 96), insbesondere jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 28.03 - BVerwGE 123, 114). Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Anspruch auf Einbürgerung bereits dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer solche Bestrebungen unterstützt hat. Zum Ausschluss eines Einbürgerungsanspruchs genügt also der begründete Verdacht einer solchen Unterstützung.
39 
Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. Eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns muss für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 26 und vom 22.2.2007 – 5 C 20.05 – BVerwGE 128, 140).
40 
Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 18 und Beschluss vom 27.01.2009 - 5 B 51.08 - juris).
41 
Bei der Beurteilung, ob die Anknüpfungstatsachen je für sich oder in ihrer Gesamtschau nach Inhalt, Art und Gewicht für die Annahme ausreichen, dass der Ausländer Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt oder unterstützt hat, steht der Einbürgerungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu. Das Vorliegen dieses Ausschlussgrundes, einschließlich der Frage der glaubhaften Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterliegt vielmehr in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 74 und 86).
42 
Für das Vorliegen der Anknüpfungstatsache ist die Einbürgerungsbehörde darlegungs- und notfalls beweispflichtig (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 76). Für die Tatsachenfeststellung bestrittener Tatsachen gilt insoweit das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO, selbst wenn sich die Einbürgerungsbehörde wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Erkenntnisquellen der Verfassungsschutzbehörden in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet (OVG RhPf., Beschluss vom 17.02.2009 - 7 A 11063/08 - juris; siehe auch Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 84, 95 ff.; zur materiellen Beweislast für die Richtigkeit von streitigen Tatsachenbehauptungen der Verfassungsschutzbehörde vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 - NVwZ 2008, 1371).
43 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung davon erlangt, dass die vom Zeugen ... anlässlich seiner Angaben beim Polizeirevier ... am 30.08.2001 aktenkundig gemachten Hinweise zutreffen, der Kläger sei nicht nur Anhänger, sondern sogar aktives Mitglied der PKK, der dies auch freimütig zugebe, für die PKK werbe und ihn selbst und andere zu überreden versuche, an Veranstaltungen der PKK teilzunehmen. Entsprechendes gilt für die - vom Kläger ebenfalls stets bestrittene - Tatsache der Teilnahme an den vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen. Insoweit fehlt es bereits an bewiesenen Anknüpfungstatsachen, die Grundlage für die Annahme sein könnten, der Kläger unterstütze durch die Teilnahme an deren Veranstaltungen die PKK. Soweit der Kläger unstreitig im Jahre 2001 die sog. „PKK-Selbsterklärung“ unterzeichnet hat und im Jahre 2003 als Kassenwart des Kurdischen Elternvereins Karlsruhe e.V. gewählt worden ist, liegt hierin keine Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
a.)
44 
Die Angaben des Zeugen ... sind sowohl was die behauptete innere Verbundenheit des Klägers mit der PKK als auch das äußere Eintreten für diese betrifft, nicht glaubwürdig. Die Schilderungen des eigentlichen Geschehens und auch die Ausführungen zu den Begleitumständen erweisen sich als wenig plausibel und widersprüchlich. Der Senat ist nach dem persönlichen Eindruck, den er vom Zeugen gewonnen hat, und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, in die die Angaben des Zeugen eingebettet sind, nicht davon überzeugt, dass die angegebenen Vorwürfe zutreffen.
45 
Der Zeuge gab in der Berufungsverhandlung an, der Kläger habe ihn dazu überreden wollen, an einer Großdemonstration der PKK teilzunehmen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er politisch desinteressierter Türkei sei, es sei aber darum gegangen, „je mehr Leute desto besser“. Mit dem Kläger, der mit seiner Familie im gleichen Haus wie seine frühere Freundin lebe, habe er sich vielleicht drei Monate gut verstanden, das habe dieser genutzt zu versuchen, „ihn zu sich zu ziehen“. Über sich selbst und seine politische Einstellung habe der Kläger angegeben, dass „er voll dabei sei“. Trotz mehrfacher Nachfragen des Senats konnte der Zeugen diese Angaben nicht weiter konkretisieren. Dies kann nicht damit erklärt werden kann, dass die von dem Zeugen behaupteten politischen Gespräche mit „Anwerbungsversuchen“ bereits etwa neun Jahre zurückliegen. Denn ungeachtet dieses lange zurückliegenden Zeitraums berichtete der Kläger an anderer Stelle der Vernehmung durchaus konkret, dass „es dann irgendwann mal, wo er mehr getrunken habe, dann zur Auseinandersetzung gekommen sei.“ Im weiteren Verlauf der Befragung äußerte sich der Zeuge sogar dahingehend, dass der Kläger nie gesagt habe, dass er zur PKK oder sonstigen vergleichbaren Veranstaltungen gegangen sei, dass „er ihn aber unbedingt mal dabei haben wollte“ und dass der Kläger dann „auf jeden Fall hinfährt“. Diese geschilderte Zurückhaltung des Klägers lässt sich aber kaum mit dem ansonsten vermittelten Bild des überzeugten und werbenden „PKK’lers“ in Einklang bringen. Auch das Vorbringen des Zeugen, der Kläger habe die ganze Wohnung mit Bildern und Flaggen der PKK dekoriert, erweist sich nicht als belastbar. Auf Frage des Senats, woher er diese Erkenntnis habe, gab der Zeuge verschiedene Versionen an. Zunächst erklärte er, er habe nie in die Wohnung des Klägers gedurft, weil da irgendwelche Bilder hingen. Dass Bilder von Öcalan dort hingen, habe der damals vier oder fünf Jahre alte Sohn des Klägers gesagt. Auf Nachfrage äußerte er sich dann dahingehend, der Sohn habe nur gesagt, „dass da von einem Mann Bilder hängen“. Auf weitere Nachfrage hieß es dann, „die Töchter hätten sich verplappert“, wobei er dann beiläufig eine der Töchter deswegen gefragt haben will. Im weiteren Verlauf der Vernehmung führte der Zeuge aus, er sei „nur einmal in der Küche gewesen, aber nicht im Wohnzimmer“. Allerdings „habe er den Eindruck gehabt, dass da irgendetwas nicht stimme“. Auf erneute Frage wollte er dann doch „einen Blick ins Wohnzimmer geworfen haben“. Auch soweit der Zeuge vortrug, er nehme an, die Bilder und Flaggen seien weggetragen worden, als die Polizei da gewesen sei, erscheint dies dem Senat nicht überzeugend. Denn es ist völlig lebensfremd, dass Bilder oder Flaggen, die für die PKK oder eine mit ihr verbundene Organisation stehen, im Beisein der Polizei in ein Auto hätten gebracht und weggefahren werden können, ohne dass dies von der Polizei bemerkt und festgehalten worden wäre. Aus den teilweise beigezogenen Akten der Polizei ergeben sich hierfür aber keine Hinweise. Für die Würdigung der Aussage des Zeugen ist auch von Bedeutung, dass das Verhältnis zwischen ihm und dem Kläger sowie dessen Ehefrau spätestens seit dem 10.08.2001 und der wechselseitigen Erstattung von Anzeigen hoch belastet ist. Zwar hat die Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 20.10.2004 wurde der Zeuge jedoch verurteilt, Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 2.373,06 EUR nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Mit gleichem Urteil sprach das Amtsgericht der Ehefrau des Klägers 1.800 EUR zuzüglich Zinsen zu, die als Schadensersatz- und Schmerzensgeld von dem Zeugen und seinem Vater gesamtschuldnerisch zu leisten sind. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Zeuge am 10.08.2001 in Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Streit nicht nur Reifen am Pkw des Klägers zerstochen hatte, sondern zumindest als Mittäter einen Stuhl nach dem Kläger geworfen und ihm hierdurch eine Unterarmfraktur zugefügt hatte. Des weiteren hatte er dem Urteil zufolge gemeinsam mit seinem Vater, dem Zeugen ..., am Abend des 10.08.2001 im Bereich der Hauseingangstür mit Stöcken auf die Ehefrau des Klägers eingeschlagen. Unter Berücksichtigung dessen und des auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei ihrer Begegnung gezeigten wechselseitig unterschwellig feindseligen Verhaltens sowohl des Zeugen als auch des Klägers hat der Senat den Eindruck, dass das Aussageverhalten des Zeugen nicht unvoreingenommen ist. Schließlich spricht einiges dafür, dass der Zeuge - sei es bewusst oder unbewusst - die kurdische Volkszugehörigkeit undifferenziert mit einem Engagement für die PKK gleichsetzt. Dies lässt sich insbesondere anhand seiner Einlassung erkennen, „der Kläger sei 100%-ig dabei; er habe sich schlau gemacht und in einem türkischen Internetcafé nachgefragt, und sogar die haben es bestätigt und die ganze Nachbarschaft, die kann es auch bestätigen, weil sie Kurden sind“.
46 
Insgesamt ist der Senat aufgrund der Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht der Überzeugung, dass die in der polizeilichen Niederschrift über seine Vernehmung als Geschädigter von ihm genannten Tatsachen, aus denen auf eine innerliche und äußerliche Hinwendung des Klägers zur PKK geschlossen werden könnte, zutreffen. Bei dieser Würdigung hat der Senat auch die Angaben des ebenfalls als Zeugen vernommenen Vaters beachtet. Der Zeuge ... gab in der mündlichen Verhandlung an, aus eigener Anschauung nichts über die politische Einstellung des Klägers zu wissen. Er erklärte lediglich, sein Sohn habe ihn nach der PKK gefragt, weil er „einen Nachbarn habe, der gesagt habe, da kannst du gut leben.“ Diese völlig allgemein gehaltene und lediglich an ein nicht näher substantiiertes Gespräch zwischen Vater und Sohn anknüpfenden Aussage gibt dem Senat keinen Anlass, die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen ... anders zu beurteilen. Im Übrigen ergeben sich aus der Zeugenaussage des Vaters weder direkt noch indirekt konkrete Tatsache, die auf eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hindeuten würden.
47 
Soweit in den Akten des Polizeireviers ... in verschiedenen Schriftstücken eine PKK-Anhängerschaft des Klägers erwähnt ist, geht dies letztlich auf die damaligen Angaben von ... zurück. Für den Senat besteht kein Anlass, der Frage der Berechtigung dieser im Jahr 2001 insoweit erhobenen Vorwürfe über die Vernehmung der beiden Zeugen hinaus weiter nachzugehen - zumal zusätzliche mögliche Erkenntnismittel, insbesondere Zeugen, die aus unmittelbarem Erleben etwas berichten könnten, von den Beteiligten nicht aufgezeigt worden sind und auch nicht ersichtlich sind.
b.)
48 
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger an den Veranstaltungen teilgenommen hat, die der Beklagte ihm als einbürgerungsschädliche Unterstützung der PKK entgegen hält. Zwar hat der in der Berufungsverhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz, an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, bekundet, der Kläger sei nach den Angaben einer zuverlässigen Quelle bei allen genannten Veranstaltungen anwesend gewesen. Gleichwohl hat sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass der Kläger - was von ihm stets bestritten worden ist - tatsächlich an den Großdemonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 14.02.2004, der Demonstration in ... am 06.03.1999 sowie den „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ bzw. „Volksversammlungen“ der PKK am 08.03.1998, 28.06.1998, 04.04.1999 und 24.10.1999 teilgenommen hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass diese vom Beklagten genannten Veranstaltungen tatsächlich stattgefunden haben. Zu Ort, Zeit und Inhalt der Veranstaltungen sind im Berufungsverfahren konkrete und substantiierte Angaben gemacht und weitere Unterlagen vorlegt worden, so ein Pressebericht vom 07.03.1999 zur Demonstration in ... vom 06.03.1999 und ein Flugblatt in französischer Sprache zur Demonstration vom 15.02.2003. Die inhaltlichen Berichte stützen sich mit Ausnahme der Veranstaltung vom 28.06.1998 auf verschiedene Quellen des Landesamts für Verfassungsschutz, die - wie der Zeugen ... in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegte - Überprüfungsmaßnahmen des Landesamts unterzogen worden sind. Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger selbst bei diesen ihm vom Beklagten vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend war.
49 
Die Bekundung des Zeugen ..., der Kläger sei bei den genannten „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“, „Volksversammlungen“ und Demonstrationen anwesend gewesen, beruht auf den Angaben einer einzigen Quelle, wobei der Zeuge nicht der unmittelbare Führer dieser Quelle ist. Aus Quellenschutzgründen wurde die Identität der Quelle nicht offen gelegt. Der unmittelbare Quellenführer stand als Zeuge nicht zur Verfügung. Auch wurden - trotz Aufforderung durch das Gericht - keine schriftliche Aufzeichnungen vorgelegt. Diese Praxis ist dem Senat aus vergleichbaren Verfahren bekannt. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die auf geheim gehaltenen Quellen beruhen und als Zeugenaussage vom Hörensagen in den Prozess eingeführt werden, können zwar grundsätzlich verwertet werden. Allerdings darf die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dann nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werden, wenn eine Behörde sich gegenüber dem Auskunftsbegehren eines Bürgers auf Geheimhaltungsgründe beruft und sich diese Gründe gerade auch auf die allein als Beweismittel in Betracht kommenden Verwaltungsvorgänge beziehen, in denen die für das Verwaltungsverfahren und sein Ergebnis relevanten Sachverhalte dokumentiert sind (vgl. grundlegend zu dieser Problematik BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 2 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106, 121 ff.). Soweit in einem derartigen Fall die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge abhängt, muss das Gericht grundsätzlich die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. Ist dies wie hier nicht möglich, muss das durch die Geheimhaltung entstehende Rechtsschutzdefizit im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeglichen werden (Hamb. OVG, Urteil vom 07.04.2006 - 3 Bf 442/03 - NordÖR 2006, 466). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Beweiswürdigung der Angaben eines sogenannten Zeugen vom Hörensagen besonderen Anforderungen unterliegt, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind. Danach ist der Beweiswert seiner Angaben besonders kritisch zu prüfen. Denn das Zeugnis vom Hörensagen ist nur begrenzt zuverlässig, weil sich die jedem Personenbeweis anhaftenden Fehlerquellen im Zuge der Vermittlung der Angaben verstärken und weil das Gericht die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson nicht selbst einschätzen kann. Das Gericht muss sich der Gefahren der beweisrechtlichen Lage, also vor allem der besonderen Richtigkeitsrisiken in Ansehung anonym gebliebener Personen, deren Wissen durch einen Zeugen vom Hörensagen eingeführt wird, sowie der sich daraus ergebenden Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst sein (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris Rn. 50 und Urteil vom 27.03.1998 - 13 S 1349/96 - juris Rn. 37). Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen wird regelmäßig einer Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechende Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (BVerwG, Beschluss vom 22.10.2009 - 10 B 20/09 - juris Rn. 4 und Beschluss vom 05.03.2002 - 1 B 194/01 - juris Rn. 4 mit ausdrücklichem Hinweis auf BVerfGE 57, 250, 292). Nach der zum Strafrecht entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen die Angaben des Gewährsmanns regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere, nach Überzeugung des Fachgerichts wichtige ihrerseits beweiskräftig festgestellte Gesichtspunkte bestätigt werden (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 292 ff.; BVerfG <2. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 - NJW 1996, 448; BVerfG <1. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 05.07.2006 - 2 BvR 1317/05 - NJW 2007, 204). Die strafgerichtliche Rechtsprechung und Literatur verlangt daher regelmäßig „zusätzliche Indizien von einigem Gewicht“ (vgl. näher BGH, Beschluss vom 08.05.2007 - 4 StR 591/06 - juris Rn. 2; Beschluss vom 19.06.1996 - 5 StR 220/96 - juris Rn. 3 ff; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2008, § 250 Rn. 13; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009, § 46 Rn. 33 f.; Detter, Der Zeuge vom Hörensagen - eine Bestandsaufnahme, NStZ 2003, 1, 4). Diese zum Strafrecht entwickelten Prinzipien können als Ausdruck des Rechts auf faires Verfahrens auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herangezogen werden (Sodan/Ziekow, a.a.O., § 96 Rn. 38; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die behauptete Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen in den Jahren 1998 und 1999 sowie 2003 und 2004 nicht nachgewiesen.
50 
Der in der Verhandlung vernommene Zeuge des Landesamts für Verfassungsschutz konnte, was die Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen betrifft, nur übermitteln, was die Quelle ihrem Quellenführer berichtet haben soll. Von der persönlichen Glaubwürdigkeit des im Dunkeln bleibenden Gewährsmannes konnte sich der Senat daher kein Bild machen. Die durch den Zeugen vom Hörensagen vermittelten Angaben sind auch deshalb von geringerem Beweiswert, weil die bei einer Nachrichtenkette allgemein bestehende und mit jedem Glied wachsende Gefahr, dass Angaben - und sei es auch unabsichtlich - entstellt oder unvollständig erfasst bzw. wiedergegeben werden, nicht ausgeblendet werden kann. Im vorliegenden Fall wurde nach den Bekundungen des Zeugen die Quelle nach der ersten Veranstaltung innerhalb von 14 Tagen danach persönlich vom unbekannt gebliebenen Quellenführer getroffen. Diese hat von der Veranstaltung mündlich berichtet, wobei der Quellenführer dies nicht auf Band aufgenommen, sondern erst später aufgeschrieben hat. Besondere Vorkehrungen, die im konkreten Fall die Gefahr von Übermittlungsfehler minimieren würden, sind insoweit nicht ersichtlich.
51 
Was die vorgetragene Anwesenheit des Klägers bei den Großdemonstrationen in Straßburg mit bis zu 20.000 Teilnehmern und bei der Demonstration in Karlsruhe am 06.03.1999 mit jedenfalls mehreren Hundert Teilnehmern (der Beklagte spricht in seinem Schriftsatz vom 18.05.2010 von 800, der beigefügte Zeitungsartikel von 1.800 Menschen) betrifft, ist schon nicht nachvollziehbar, wie der Kläger unter Berücksichtigung der Masse der Teilnehmer überhaupt sicher identifiziert worden sein könnte. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.08.2010 vorgetragen, „er sei aus einer kleineren eng begrenzten Personenzahl heraus und bestimmt nicht zufällig identifiziert worden“. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz erklärte, dass bei Großdemonstrationen üblicherweise die Identifizierung bei der An- oder Abfahrt mit dem Bus erfolgt; mehr könne aus Quellenschutzgründen nicht gesagt werden. Abgesehen davon, dass dies nicht erklärt, wie eine Identifizierung des Klägers bei der sozusagen „vor seiner Haustür“ stattgefundenen Demonstration in ..., bei der eine An- und Abfahrt mit dem Bus entfällt, erfolgt worden wäre, ist aufgrund der insoweit fehlenden eindeutigen Angaben für den vorliegenden Fall die Verlässlichkeit einer Identifizierung bei den angeführten Großveranstaltungen nicht gewährleistet.
52 
Hinzukommt, dass die vorgetragene generelle Identifizierung des Klägers durch die Quelle im Wege einer Wahllichtbildvorlage mit einem Mangel behaftet ist, der sich auf die Frage der Feststellung der Teilnahme des Klägers an allen ihm vorgehaltenen Veranstaltungen, also auch bzgl. der „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ und der „Volksversammlungen“, selbst wenn diese typischerweise nur bis zu etwa 200 Personen umfasst haben, auswirkt.
53 
Nach den Angaben des Zeugen ... sei der Kläger durch eine einzige Quelle identifiziert worden, die bei allen dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend gewesen sei. Die Quelle, die spätestens etwa 14 Tage nach der jeweiligen Veranstaltung getroffen worden sei, habe den unter türkischen Staatsangehörigen sehr häufigen Namen ... genannt, jedoch über den Namensträger nichts weiter als dessen Anwesenheit berichtet. Der Verfassungsschutz habe dann irgendwann über das in der Nähe eines nicht genannten Veranstaltungsorts geparkte Auto, das der Polizei aufgefallen sei, die Identität des Klägers ermitteln können. Im Jahre 2003 sei eine Wahllichtbildvorlage erfolgt. Im Regelfall würden der Quelle zehn Lichtbilder vorgelegt, im konkreten Fall seien es - so glaube er - acht Bilder gewesen, von denen die Quelle zwei identifiziert habe, darunter auch das Lichtbild des Klägers. Bei der Frage nach dem Beweiswert darf schon nicht unberücksichtigt bleiben, dass keine Details dazu mitgeteilt wurden, wie die Wahllichtbildvorlage im konkreten Fall ausgestaltet wurde; es ist auch nicht ersichtlich, dass der gesamte Vorgang im Einzelnen dokumentiert worden wäre. Auch wurde im Jahre 2003 ein damals etwa mindestens sechs oder sieben Jahre altes Lichtbild des Klägers verwendet. Der Senat konnte sich anhand des vom Zeugen ... in der Berufungsverhandlung vorgelegten Lichtbildes davon überzeugen, dass es sich hierbei um eine Vergrößerung des dem Einbürgerungsantrag vom November 1996 beigegebenen Passfotos gehandelt hatte. Das Erscheinungsbild des in der Verhandlung persönlich anwesenden Klägers hat sich jedoch gegenüber dem Lichtbild deutlich geändert. Die Haare des Klägers sind mittlerweile ergraut, er trägt Brille und ist nicht rasiert gewesen; außerdem wirkt er im Gesicht schlanker als auf dem Foto. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser seit etwa 13 Jahren eine Brille und sich auch schon in der Vergangenheit manchmal einen Bart stehen lassen. Zwar hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass jemand, der den Kläger schon zuvor seit Jahren näher kennt, diesen im Jahre 2003 anhand eines Fotos älteren Datums bestimmen kann. Der Zeuge hat jedoch aus Gründen des Quellenschutzes keine Angaben dazu gemacht, inwieweit die Quelle den Kläger bereits zuvor persönlich gekannt hat oder ob sie ihn primär anhand des Lichtbildes identifiziert haben will. Infolge dessen muss der Senat - als eine Art „worst-case-Betrachtung“- davon ausgehen, dass die Quelle den Kläger nicht näher gekannt hat, ihn bei den Veranstaltungen im Jahre 1998 und 1999 in einer Menge von immerhin 100 bis 200 Teilnehmern gesehen haben will und - mangels gegenteiliger Angaben - nach der Veranstaltung vom 24.10.1999 beide Personen mehrere Jahre nicht zusammengetroffen sind. Dieses begründet eine nicht ausräumbare Unsicherheit im Identifizierungsvorgang, weshalb die dem Kläger vorgehaltene Teilnahme an den Veranstaltungen nicht als bewiesen angesehen werden kann.
54 
Selbst wenn man im Übrigen im Rahmen der Beweiswürdigung den Unsicherheitsfaktor bei der Identifizierung nur mit minderer Bedeutung gewichten würde, weil die praktizierte Lichtbildvorlage ein typischer Weg des Verfassungsschutzes bei der Erkenntnisgewinnung darstellt und im Interesse des Quellenschutzes detaillierte Angaben, wie die Ermittlung eines Veranstaltungsteilnehmers erfolgt ist, regelmäßig nicht offengelegt werden können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die - in ihrem Beweiswert ohnehin schon herabgesetzten - Angaben der Gewährsperson können nicht durch andere gewichtige Gesichtspunkte - die etwa mit Blick auf die Einlassung des Betroffenen oder in Gestalt objektiver Gesichtspunkte gegeben sein können - gestützt oder bestätigt werden. Aus dem Komplex der ihm eigentlich vorgehaltenen Veranstaltungen heraus ergeben sich keine für die Richtigkeit der Angaben streitenden Tatsachen. Aber auch unter Berücksichtigung der gesamten anderweitig bestätigten Aktivitäten des Klägers und seiner persönlichen Äußerungen liegen keine Erkenntnisse vor, die einzeln oder im Wege einer Gesamtschau als Beleg für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen herangezogen werden könnten.
55 
Im Kontext der vom Landesamt aufgeführten Veranstaltungen sind beispielsweise zum Erscheinungsbild des Klägers, zu seinem Verhalten oder aus seinem persönlichen Lebensbereich keine besonderen oder gar originellen Details mitgeteilt worden, aus denen geschlossen werden könnte, die Quelle habe den Kläger tatsächlich dort gesehen. Ein gewichtiges Beweisanzeichen ergibt sich auch nicht daraus, dass die Quelle dem Zeugen ... zufolge überprüft worden sei und in der Zeit, in der die Veranstaltungen stattgefunden haben, zuverlässig berichtet habe. Denn insoweit fehlt es schon an der Mitteilung von Indizien, anhand derer diese Einschätzung ihrerseits bestätigt werden könnte. Dass der Kläger einmal sein Fahrzeug in der Nähe eines - nicht näher bezeichneten - Veranstaltungsortes geparkt hat, das von der Polizei beobachtet worden ist, ist aufgrund der mangels gegenteiliger Erkenntnisse anzunehmenden Neutralität des Parkvorgangs an sich kein Indiz, das für die Teilnahme des Klägers an den ihm vorgehaltenen Veranstaltungen sprechen könnte. Ein Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen folgt schließlich nicht daraus, dass der Zeuge ... angegeben hat, der Kläger sei Anhänger der PKK und werbe für deren Veranstaltungen. Denn seine Aussage ist insgesamt unglaubhaft, weshalb sie als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der vom Beklagten behaupteten Teilnahme des Klägers an den angeführten Veranstaltungen ungeeignet ist.
56 
Das frühere Eintreten für die TKEP ist ebenfalls kein Indiz dafür, dass die dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen zutreffen. Die vom Kläger in der Türkei damals vorgenommenen und im Übrigen schon sehr lange zurückliegenden politischen Tätigkeiten - Schreiben von Parolen an Wände, Verteilung von Flugblätter, Teilnahme an Seminaren und Veranstaltungen, Lesen von Parteipublikationen - sind nur mit Bezug und Wirkung auf sein Herkunftsland erfolgt. Nach den Angaben des Klägers ist mit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Juni 1990 sein Engagement für die TKEP beendet gewesen. Auch aus der Einlassung des Klägers zur Frage seiner politischen Betätigung im Übrigen kann keine Stützung des Hörensagenbeweises gewonnen werden. Der Kläger hat von Anfang an und widerspruchsfrei bestritten, an den Veranstaltungen teilgenommen bzw. überhaupt etwas mit der PKK zu tun zu haben. Zwar ist sein Hinweis, die TKEP habe eine völlig andere ideologische Ausrichtung und schon deswegen sei klar, dass er sich nicht für die PKK engagiere, nicht unbedingt zwingend. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es sich dem Grunde nach bei beiden um linksextremistische Organisationen handelt (vgl. zur PKK als marxistisch-leninistisch orientierter Kaderpartei Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 1992, S. 85), die für ein Selbstbestimmungsrecht der Kurden streiten. Auch können sich eigene politische Überzeugungen - zumal in einer anderen Umgebung und nach Auflösung der TEKP - ändern. Allerdings hat der Kläger auch im Einzeln dargelegt, wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr zu haben, sich in Deutschland politisch zu engagieren, und dies auch nicht mehr zu wollen. Dass der Kläger aufgrund seiner kulturellen Ausrichtung nach eigenen Angaben Newroz feiert und auch Veranstaltungen zum 1. Mai besucht, stellt dies nicht in Frage.
57 
Ferner ist auch die vom Kläger im Jahre 2001 unterzeichnete „PKK-Selbsterklärung“ entgegen der mit Schriftsatz vom 05.02.2010 geäußerten Auffassung des Beklagten kein „Beweisanzeichen“, das die Angaben des Gewährsmannes verlässlich stützt. Der Kläger hat sich im Verfahren dahin gehend geäußert, er habe die Erklärung unterschrieben, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Hiervon ausgehend rechtfertigt allein die Unterzeichnung dieser Erklärung nicht die Annahme, der Unterzeichner habe eine Bestrebung im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. unterstützt (näher BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 ff.; vgl. auch Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Wortlaut dieser Erklärung übersteigende Ziele und Absichten erkennen konnte oder musste bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK hegen musste, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde, sind aus den vom Kläger abgegebenen Äußerungen nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt, dass Sympathisanten der PKK - und als einen solchen sieht der Beklagte den Kläger an - regelmäßig über die Hintergründe und Ziele dieser Kampagne der PKK keinen Überblick. hatten. Dass es sich bei dem Kläger um einen Funktionär oder Aktivisten oder um eine sonstige Person „mit vertieften Kenntnissen“ handeln könnte, wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Die Unterzeichnung der Erklärung ist daher an sich eine einbürgerungsunschädliche Meinungsäußerung in einer speziellen historischen Konstellation. Sie ist kein Beleg für eine innere Verbundenheit mit den Zielen der PKK und der Organisation selbst und im Rahmen der Beweiswürdigung daher kein entscheidendes Indiz, das die dem Kläger entgegengehaltene Teilnahme an den PKK-Veranstaltungen stützen kann. Zwar kann die Unterzeichnung der „PKK-Selbsterklärung einbürgerungsrechtlich dann in einem anderen Licht zu werten sein, wenn durch den Unterzeichner weitergehende Aktivitäten für die verbotenen Organisationen der PKK hinzukommen (vgl. etwa Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6); solche können jedoch nicht in den dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen gesehen werden, um deren Beweis gerade gestritten wird.
58 
Schließlich lässt sich in der Wahl des Klägers zum Kassierer des Kurdischen Elternvereins ... kein Indiz zur Bestätigung der Angaben des Zeugen vom Hörensagen erblicken. Aus der vom Senat beigezogenen und den Beteiligten übermittelten Satzung ergeben sich keine Hinweise darauf, dass mit der Vereinstätigkeit (vgl. insbesondere die in § 3 genannten Ziele und Zwecke des Vereins) objektiv einbürgerungsschädliche Aktivitäten verfolgt werden könnten. Selbst wenn man aufgrund des vom Beklagten vorgelegten Vermerks des Bundeskriminalamtes vom April 2010 einen Anhaltspunkte dafür sehen würde, dass dieser Verein über YEK-MAL - Union der kurdischen Familie - strukturell an die PKK angebunden sein könnte, ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger in Kenntnis dessen im Verein engagiert hätte. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich hierfür keine Hinweise. Auch der Beklagte hat nichts dazu vorgebracht, dass der Kläger mit dieser Tätigkeit subjektiv Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt hätte.
c.)
59 
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, ist entgegen der im angefochtenen Bescheid vom 02.05.2008 geäußerten Auffassung auch der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG n.F. nicht erfüllt.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
61 
Beschluss vom 29. September 2010
62 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Tenor

1. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Einstellung des Verfahrens wegen des Vorliegens unbehebbarer Verfahrenshindernisse, hilfsweise auf Aussetzung des Verfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, wird zurückgewiesen.

2. Die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.

3. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen wird abgelehnt.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gemäß Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG, § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG.

I.

2

1. Die Antragsgegnerin wurde am 28. November 1964 als Sammlungsbewegung nationaldemokratischer Kräfte gegründet. Schon im September 1965 verfügte sie über eine annähernd flächendeckende Parteiorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und zog zwischen 1966 und 1968 mit Wahlergebnissen zwischen 5,8 % und 9,8 % der abgegebenen gültigen Stimmen und insgesamt 61 Abgeordneten in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. 1969 scheiterte sie bei der Bundestagswahl mit einem Zweitstimmenanteil von 4,3 % an der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Danach konnte die Antragsgegnerin in einem Zeitraum von 35 Jahren bei Landtags- oder Bundestagswahlen kein Mandat mehr erringen.

3

Erst 2004 zog sie bei der Landtagswahl in Sachsen mit einem Wahlergebnis von 9,2 % der abgegebenen gültigen Stimmen wieder in einen Landtag ein. 2006 gelang ihr dies mit 7,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen auch in Mecklenburg-Vorpommern. In beide Landtage konnte sie trotz Stimmenverlusten bei der jeweils nachfolgenden Landtagswahl erneut einziehen (mit einem Wahlergebnis in Sachsen im Jahr 2009 von 5,6 % und in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2011 von 6,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen). Aufgrund des Wegfalls der Sperrklausel für die Wahl zum Europäischen Parlament zog die Antragsgegnerin 2014 mit einem Wahlergebnis von 1,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen mit dem Abgeordneten Udo Voigt in das Europäische Parlament ein.

4

Gegenwärtig ist die Antragsgegnerin in keinem Parlament auf Bundes- oder Landesebene vertreten. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte sie einen Zweitstimmenanteil von 1,3 %. In Sachsen verpasste sie bei der Landtagswahl 2014 mit 4,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen, in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl 2016 mit einem Zweitstimmenanteil von 3,0 % knapp den Wiedereinzug in den Landtag. Die Wahlergebnisse der Antragsgegnerin lagen bei der jeweils letzten Landtagswahl in den alten Bundesländern zwischen 0,2 % (Bremen) und 1,2 % (Saarland) und in den neuen Bundesländern zwischen 1,9 % (Sachsen-Anhalt) und 4,9 % (Sachsen).

5

Auf kommunaler Ebene verfügt die Antragsgegnerin nach unwidersprochenen Angaben des Antragstellers seit den Kommunalwahlen 2014 über 367 Mandate, vor allem in den neuen Ländern (vgl. zu den Wahlergebnissen Rn. 904 ff.).

6

2. Die Mitgliederzahl der Antragsgegnerin, die 1969 mit 28.000 ihren Höchststand erreicht hatte, sank in den folgenden Jahren zunächst stetig; 1996 verfügte sie nach eigenen Angaben nur noch über 3.240 Mitglieder. Mit der Wahl von Udo Voigt 1996 zum Parteivorsitzenden stieg die Mitgliederzahl wieder an und erreichte 2007 einen (neuen) Höchststand von 7.014 Mitgliedern. Danach fiel der Mitgliederbestand erneut auf 5.048 Mitglieder zum 31. Dezember 2013. Der Parteivorsitzende Frank Franz erklärte beim Bundesparteitag im November 2015 in Weinheim jedoch, dass erstmals seit Jahren wieder ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen sei. In der mündlichen Verhandlung konkretisierte er dies durch die Angabe einer Steigungsrate von 8 % im Vergleich zum Vorjahr.

7

3. Die Antragsgegnerin ist in (sechzehn) Landesverbände sowie Bezirks- und Kreisverbände gegliedert. Der Bundesparteitag ist nach § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Satzung (Stand: 21./22. November 2015) das "oberste Organ der NPD. Er bestimmt die politische Zielsetzung und tritt mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr zu einer ordentlichen Tagung zusammen." Die "politische und organisatorische Führung der NPD" obliegt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem Parteivorstand.

8

4. Mit den 1969 gegründeten "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die Antragsgegnerin über eine eigene Jugendorganisation, die im Jahr 2012 etwa 350 Mitglieder hatte. Bereits 1966 wurde der "Nationaldemokratische Hochschulbund e.V." (NHB) als Unterorganisation der Antragsgegnerin gegründet, der hochschulpolitisch mittlerweile aber nicht mehr in Erscheinung tritt. 2003 gründete sich die "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) als bundesweite Interessenvertretung der kommunalen Mandatsträger, 2006 der "Ring Nationaler Frauen" (RNF), der sich als "Sprachrohr und Ansprechpartner für alle nationalen Frauen, unabhängig von einer Parteimitgliedschaft" versteht und 2012 rund 100 Mitglieder hatte. Die (Bundes-)Vorsitzenden der Vereinigungen gehören nach § 7 Abs. 3 Satz 1 der NPD-Satzung (Stand: 21./22. November 2015) kraft Amtes dem Parteivorstand der NPD an, "soweit sie Mitglieder der NPD sind".

9

5. Der Rechenschaftsbericht für das Jahr 2013 weist 488.859,96 EUR (2014: 459.157,77 EUR) Mitgliedsbeiträge und knapp 804.000,- EUR (2014: 866.000,- EUR) Spenden aus; zusammen entspricht dies ungefähr 43,4 % (2014: 43,6 %) der Gesamteinnahmen der Partei (vgl. BTDrucks 18/4301, S. 109; BTDrucks 18/8475, S. 109).

10

6. Die von der Antragsgegnerin gegründete "Deutsche Stimme Verlags GmbH" verlegt die Parteizeitung "Deutsche Stimme". Deren Auflagenhöhe betrug Mitte 2012 nach Angaben der Antragsgegnerin 25.000 Exemplare. Mit DS-TV verfügt sie über einen Videokanal. Darüber hinaus ist die Antragsgegnerin für verschiedene regionale Publikationen verantwortlich und nutzt intensiv das Internet. Sie ist auf Facebook, Twitter und mit Videokanälen auf YouTube vertreten (vgl. auch Rn. 852 f.).

II.

11

Ein durch Anträge der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Antragstellers des vorliegenden Verfahrens im Jahr 2001 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der Antragsgegnerin wurde durch Beschluss des Zweiten Senats vom 18. März 2003 eingestellt (BVerfGE 107, 339).

III.

12

Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2013 hat der Antragsteller auf der Grundlage seines Beschlusses vom 14. Dezember 2012 (BRDrucks 770/12) die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin und die Auflösung ihrer Parteiorganisation jeweils einschließlich ihrer Teilorganisationen, das Verbot, Ersatzorganisationen zu schaffen oder fortzusetzen, sowie die Einziehung ihres Vermögens und das ihrer Teilorganisationen beantragt. Er hat diesen Antrag auf die erste Alternative des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG gestützt und hierzu im Wesentlichen vorgetragen:

13

1. Der Antrag sei zulässig. Verfahrenshindernisse lägen weder unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Quellenfreiheit des vorgelegten Materials noch hinsichtlich einer mangelnden Staatsfreiheit der Antragsgegnerin vor.

14

a) Die in das Verfahren eingeführten Belege entstammten allgemein zugänglichen Materialien. Es handele sich um eigene Publikationen der Antragsgegnerin, amtliche Entscheidungen sowie öffentlich zugängliche Filme und Berichte über das Verhalten von Funktionären und Mitgliedern der Partei. Nachrangig berücksichtigt würden auch Ergebnisse offener Ermittlungsmaßnahmen sowie Informationen aus dem Bereich der Strafverfolgung gegen Führungspersonen der Antragsgegnerin. Ergänzend werde auf Erkenntnisse aus der empirischen sozialwissenschaftlichen Forschung zurückgegriffen. Hierzu hat der Antragsteller zwei Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2013 vorgelegt, zum einen ein Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zur Wesensverwandtschaft von NPD und historischem Nationalsozialismus, zum anderen ein Gutachten von Prof. Dr. Dierk Borstel zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD.

15

b) Zwischen 2008 und 2013 habe der Anteil der durch Polizei und Nachrichtendienste im Bereich der Antragsgegnerin eingesetzten Quellen nie mehr als 2,5 % der Mitglieder und 6,6 % der Vorstandsmitglieder betragen. Spätestens ab dem 6. Dezember 2012, dem Datum der Beschlussfassung im Bundesrat über die Einleitung eines Verbotsverfahrens, sei die Antragsgegnerin auf ihren Führungsebenen im Bund und in den Ländern staatsfrei. Die zur Begründung des Antrags verwendeten und zitierten Quellen seien weder staatlich erzeugt noch beeinflusst.

16

c) Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags zur Staatsfreiheit der Antragsgegnerin hat der Antragsteller Testate des Bundesinnenministers sowie der Innenminister und -senatoren der Länder vorgelegt, wonach "spätestens seit dem 6. Dezember 2012 […] in den Vorständen der NPD und ihrer Teilorganisationen auf Bundes- und Landesebene weder vom Verfassungsschutz noch von der Polizei Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen eingesetzt werden".

17

d) Hinsichtlich der Quellenfreiheit der vorgelegten Belege differenziert der Antragsteller zwischen Belegen, die einer bestimmten (Einzel-)Person als Urheber inhaltlich zuzurechnen sind (Kategorie 1), und Belegen, bei denen ein Personenkreis verantwortlich zeichnet (Kategorie 2). In vorgelegten Testaten erklären der Bundesinnenminister sowie die Innenminister und -senatoren der Länder mit Blick auf die Personen, denen die Belege der Kategorie 1 zuzurechnen seien, dass keine dieser Personen nach dem 1. Januar 2003 eine Quelle der Sicherheitsbehörden im Zuständigkeitsbereich des jeweils Testierenden "im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen war oder ist". Bezüglich der Belege der Kategorie 2 wird testiert, dass "von Sicherheitsbehörden im jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu dem Zeitpunkt, als das jeweilige Beweismittel entstanden ist (Datum der Veröffentlichung oder bei Internet-Veröffentlichungen der Zeitpunkt des Abrufs durch die Sicherheitsbehörden), in dem hierfür verantwortlichen Personenkreis (z.B. Vorstand oder Redaktion) der Organisation (z.B. Orts-, Kreis-, Landes- oder Bundesverband der NPD, JN-Stützpunkt oder Verlagsgesellschaft), der das Beweismittel inhaltlich zuzuordnen ist, keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen eingesetzt wurden".

18

2. Der Antrag sei nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG auch begründet. Die Antragsgegnerin gehe sowohl nach ihren Zielen als auch nach dem ihr zurechenbaren Verhalten ihrer Anhänger darauf aus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und zu beseitigen.

19

a) An den Prüfungsmaßstab des Art. 21 Abs. 2 GG seien folgende Anforderungen zu stellen:

20

aa) Art. 21 Abs. 2 GG diene der Prävention vor politischen Gefahren. Eine sich aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes ergebende restriktive Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG sei nicht geboten. Zwar genügten bloße Überzeugungen den Anforderungen an ein Parteiverbot nicht, jedoch sei auch keine - auch nur marginale - konkrete Gefährdung der Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG erforderlich. Die Vorschrift bezwecke bereits die Verhinderung einer gefährlichen Lage und beinhalte damit im Unterschied zur polizeilichen Gefahrenabwehr eine "Vorverlagerung des Staatsschutzes".

21

Das Verfahren des Art. 21 Abs. 2 GG habe seine Funktion durch die Etablierung und Sicherung der grundgesetzlichen Demokratie nicht verloren. Weder die Autoren des Grundgesetzes noch die ihnen folgenden Akteure des bundesdeutschen Verfassungslebens hätten das Verfahren des Art. 21 Abs. 2 GG als bloß transitorisches Instrument verstanden. Das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG diene der internen Stabilisierung des immer wieder neu gefährdeten offenen politischen Prozesses in einer Demokratie.

22

bb) Die Zurechnung verfassungsfeindlichen Handelns zu einer politischen Partei ergebe sich aus einem Zusammenwirken von Normen des öffentlichen und des Privatrechts mit internen Regeln der Partei: Wenn ein Funktionsträger, etwa ein Vorstandsmitglied, für eine Partei spreche, bestünden keine Zweifel an der Zurechenbarkeit. Eine Partei als juristische Person oder nichtrechtsfähiger Verein handele durch ihre satzungsmäßig berufenen Organe. Darüber hinaus stelle Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Begriff des "Anhängers" klar, dass die Zurechnung verfassungsfeindlichen Verhaltens zu einer politischen Partei nicht durch ein Mitgliedschaftsverhältnis vermittelt sein müsse. Rechtswidrige Handlungen oder Straftaten seien einer Partei zurechenbar, wenn sie einen politischen Hintergrund hätten, der sich mit den legalen politischen Aktivitäten der Partei in einen Zusammenhang bringen lasse, das fragliche Verhalten sich nicht als völlig atypisch darstelle und wenn es Anzeichen dafür gebe, dass solche Regelbrüche von der Parteiorganisation geduldet würden.

23

cc) Das Schutzgut der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" beziehe sich nicht auf alle Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern nur auf dessen politischen Kern. Hierzu zähle zumindest eine normative Ordnung, die ausgehend von der unantastbaren Würde jedes Menschen die konstitutive Gleichheit aller politischen Subjekte und den Schutz ihrer Rechte in einem unabhängigen Verfahren garantiere. Dies seien in der Systematik des Grundgesetzes die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat auf der Grundlage der Garantie der Menschenwürde.

24

(1) Art. 21 Abs. 2 GG verbiete es politischen Parteien, ein gegen die Garantie der Menschenwürde verstoßendes politisches Programm zu verfolgen. Die Würde des Menschen sei ein allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Ethnie oder Staatsangehörigkeit zustehendes Menschenrecht. Sie sei zugleich der Ausgangspunkt nicht nur aller weiteren Grundrechte, sondern auch des Legitimationsanspruchs aller durch das Grundgesetz zu legitimierenden Herrschaft.

25

Bezeichnet werden könnten vier Gehalte der Menschenwürdegarantie: Zum Ersten garantiere sie jedem Menschen ein basales Minimum an Rechten. Damit sei, zum Zweiten, auch ein Gleichheitsgehalt im Sinne eines gleichen minimalen Rechtsstatus umfasst. Zum Dritten spreche die Menschenwürde allen Menschen ein Potential zu mehr Rechten als diesem Minimalstandard zu. Zum Vierten stelle die systematische Stellung der Menschenwürde zu Beginn des Grundgesetzes klar, dass jede Art von politischer Vergemeinschaftung sich aus der Berechtigung des Individuums herleiten müsse, und nicht umgekehrt individuelle Würde als bloß abgeleitetes Phänomen einer politischen Gemeinschaft verstanden werden dürfe.

26

Die Menschenwürdegarantie statuiere ein menschenrechtliches Exklusionsverbot. Zugleich verbiete sie, den Einzelnen zur bloßen Funktion eines bestimmten Politikverständnisses zu machen. Sie gebiete vielmehr einen normativen Individualismus.

27

(2) Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zwinge außerdem zur Bestimmung eines Kerns des Demokratieprinzips, der der Änderung entzogen sei und sich auf ein basales Verständnis von Demokratie als einer Herrschaft politischer Gleichheit beschränke.

28

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG schließe eine ethnische Konzeption des deutschen Volkes aus, die es dem Gesetzgeber verwehren würde, die Staatsangehörigkeit offen auszugestalten. Die Zugehörigkeit zum deutschen Volk werde vom Grundgesetz weder als etwas Naturwüchsiges noch als unvermeidliche Konsequenz einer historischen Entwicklung verstanden, sondern vielmehr als Ergebnis einer demokratischen Entscheidung. Jedwede Konzeption von "Volksherrschaft", die anstelle eines politischen Volksbegriffs einen anderen, namentlich einen ethnischen Volksbegriff zur Anwendung bringen wolle, sei damit ausgeschlossen. Es müssten alle Menschen eingebürgert werden und damit gleiche staatsbürgerliche Rechte erwerben können. Ein ethnischer Volksbegriff würde bereits eingebürgerte Deutsche zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradieren und ihr Recht auf demokratische Gleichheit verletzen.

29

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG stehe zudem der Einführung eines Regierungssystems entgegen, das nicht auf der Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition aufbaue. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes eröffne auf dem Gebiet der Staatsorganisation im engeren Sinne zwar eine große Gestaltungsfreiheit für den Verfassungs- und den Gesetzgeber. Diese finde jedoch ihre Grenze dort, wo durch die Rechtsordnung sichergestellt werde, dass die in einem demokratischen Akt unterlegene Minderheit die Möglichkeit behalte, sich in dem an die Wahl anschließenden politischen Prozess so zu profilieren, dass sie bei der nächsten Wahl ins Parlament oder sogar in die Regierung gelangen könne.

30

Schließlich verbiete Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG auch Bestrebungen, die Bedingungen demokratischer Beteiligung im Geltungsbereich des Grundgesetzes territorial zu beschränken, also Inseln zu schaffen, in denen ein offener politischer Prozess im Sinne des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht mehr stattfinden könne. Nur wenn sich die Angehörigen des Legitimationssubjekts in allen Teilen des Staates sicher fühlten, an der politischen Willensbildung frei und gleichberechtigt teilnehmen zu können, könne der Legitimationsprozess dem Standard demokratischer Gleichheit genügen.

31

(3) Auch das Rechtsstaatsprinzip gehöre zu den von Art. 21 Abs. 2 GG umfassten normativen Feldern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hierzu zähle insbesondere das Gewaltmonopol des Staates. Politische Parteien verfolgten auch dann verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG, wenn sie sich nicht eindeutig dazu bekennten, physische Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung auszuschließen.

32

(4) Besondere verfassungsrechtliche Bedeutung habe schließlich das Verbot der Relativierung des nationalsozialistischen Unrechts. Der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab im Parteiverbotsverfahren könne nicht ohne die Antwort des Grundgesetzes auf die Katastrophe der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entwickelt werden. Die Absage an den Nationalsozialismus gehöre zum Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland. Eine Relativierung der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus durch eine Partei setze diese in Widerspruch zur normativen "Identität der Bundesrepublik Deutschland" und damit zu den Prämissen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zugrunde lägen.

33

Bei der Auslegung des Verbotstatbestands des Art. 21 Abs. 2 GG könne in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Vereinsverboten herangezogen werden. Dieses lasse zur Erfüllung des Verbotstatbestands in ständiger Rechtsprechung genügen, dass die Vereinigung eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" aufweise.

34

dd) Das Tatbestandsmerkmal "Darauf Ausgehen" belege, dass politische Parteien, die die Abschaffung der Ordnung des Grundgesetzes anstrebten, allein wegen dieser politischen Orientierung nicht verboten werden dürften. Vielmehr verlange das Grundgesetz entsprechende nach außen tretende Handlungen. Bei der Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals ergebe sich aber eine systematische Spannung: Da aktives Handeln bereits im Begriff der politischen Partei enthalten sei (§ 2 Abs. 1 PartG), müsse vom Handeln einer Antragsbetroffenen im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG mehr verlangt werden als die bloße Eigenschaft einer politischen Partei.

35

Im Ergebnis sei daher eine Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG geboten, die einen Mittelweg zwischen einem zu weiten und einem zu engen Verständnis des Tatbestands wähle. Für ein Verbot sei damit weniger zu verlangen als ein durchgehendes rechtswidriges oder gar strafbares und gewalttätiges Verhalten, aber mehr als das bloß typische Verhalten einer politischen Partei, die sich der üblichen Mittel politischer Kommunikation bediene. In diesem Zusammenhang gestatte es Art. 21 Abs. 2 GG, auch legale politische Aktivitäten - wie das Antreten bei Wahlen und die politische Arbeit in demokratischen Repräsentationskörperschaften - als Anhaltspunkt für ein verfassungsgerichtliches Verbot zu berücksichtigen. Allerdings sei erforderlich, dass die Partei mit ihren politischen Aktivitäten nicht nur ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck bringe, sondern auch deren Abschaffung bezwecke. Rechtswidrige und insbesondere strafbare Handlungen seien hierfür zwar nicht notwendig, aber als ein wichtiges Indiz für die aktiv kämpferische, aggressive Haltung der Partei zu behandeln. Diese müssten allerdings einen formellen und materiellen Bezug zur politischen Arbeit der Partei haben, und ihre Rechtswidrigkeit dürfe sich nicht allein aus dem ideologischen Bestand der Partei ergeben.

36

ee) (1) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finde im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG keine Anwendung. Die politischen Parteien und damit auch das Parteiverbot seien im Grundgesetz als Elemente des demokratischen Systems bewusst nicht im Grundrechtsabschnitt, sondern im staatsorganisationsrechtlichen Teil geregelt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beziehe seine argumentative Logik jedoch aus der asymmetrischen Freiheitsverteilung zwischen Grundrechtsträgern und Staat. Der Verfassungsgeber habe selbst entschieden, dass das Parteiverbot "verhältnismäßig" sei, wenn die hohen tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt seien.

37

(2) Hilfsweise sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG jedenfalls sowohl mit Blick auf die Voraussetzungen als auch auf die Rechtsfolge zu modifizieren. Ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck liege unproblematisch vor, wenn der Antrag nicht als verdeckter Angriff auf einen politischen Wettbewerber verstanden werden müsse. Es erscheine auch kaum möglich, dass ein Antrag gegen eine ihren politischen Zielen nach verfassungsfeindliche Partei an der Geeignetheit scheitern könne. Eine verfassungsrechtlich übliche Erforderlichkeitsprüfung scheitere bereits daran, dass Art. 21 Abs. 2 GG kein Kontinuum von Rechtsfolgen mit unterschiedlichen Eingriffsintensitäten vorsehe. In einer erweiterten Erforderlichkeitsprüfung könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob der von der Verfassung alternativlos geforderte Eingriff des Parteiverbots in die Parteifreiheit durch andere Maßnahmen flankiert sein müsse, um seine Intensität zu rechtfertigen. Bei der Angemessenheit sei schließlich zu beachten, dass das Grundgesetz bereits dadurch eine Abwägung vorgenommen habe, dass es den Tatbestand der Vorschrift nicht allein an die verfassungsfeindliche Ideologie der in Frage stehenden Partei knüpfe, sondern auch an das weitere Erfordernis einer über die Meinungsbildung hinausgehenden aggressiven Haltung.

38

ff) Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sei kein unmittelbar anwendbarer Prüfungsmaßstab im vorliegenden Verfahren. Zu prüfen sei lediglich, ob beziehungsweise welche Rückwirkungen die Menschenrechtsverbürgung der EMRK für das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG habe.

39

Art. 17 EMRK komme dabei eine grundsätzliche Bedeutung dergestalt zu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Parteien, die rassistische, totalitäre und vor allem nationalsozialistische Inhalte verträten, regelmäßig die Berufung auf die EMRK versage. Im Übrigen falle die Entscheidung des EGMR über die Zulässigkeit eines Parteiverbots in nahezu allen Fällen bei der Frage, ob das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen sei. Der EGMR lege diese Anforderung eng aus: Nur überzeugende und zwingende Gründe könnten ein Verbot rechtfertigen. Diesen Maßstäben entsprechend prüfe der EGMR in der Regel zweistufig, ob für das Parteiverbot ein dringendes soziales Bedürfnis bestehe und ob das Verbot zum verfolgten Zweck verhältnismäßig sei. Soweit er dabei auf die verfolgten Ziele abstelle, komme den historischen und kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Landes besondere Bedeutung zu. Die Funktion des Grundgesetzes als Antwort auf die Katastrophe des Nationalsozialismus sei hier einzuordnen. Hinsichtlich der Wahl des Zeitpunkts für das Parteiverbot räume der EGMR dem Mitgliedstaat einen Beurteilungsspielraum ein und betone dessen präventiven Charakter.

40

Die Berücksichtigung der Anforderungen der EMRK bei der Entfaltung des grundgesetzlichen Prüfungsmaßstabs für ein Parteiverbot führe nicht zu dessen Änderung. Im Bereich der "wehrhaften Demokratie" verfolge die EMRK dasselbe Konzept wie das Grundgesetz.

41

b) Die Anwendung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstabs auf die Antragsgegnerin führe zum Resultat ihrer Verfassungswidrigkeit:

42

aa) Die "Ziele" der Antragsgegnerin, ihre Programmatik sowie das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Anhänger seien auf die Beeinträchtigung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG gerichtet.

43

Der ethnische Personenbegriff als Basis für die völkische Welt- und Rechtsanschauung der Antragsgegnerin stelle als Verstoß gegen die Menschenwürde (1) zugleich eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar. Gleiches gelte für die Ablehnung des auf dem Demokratieprinzip beruhenden parlamentarischen Regierungssystems (2), die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols (3) und die Relativierung des nationalsozialistischen Unrechts (4).

44

(1) Die Antragsgegnerin verfolge ein politisches Programm, das gegen die Garantie der Menschenwürde verstoße. Dreh- und Angelpunkt ihrer Ideologie sei ein ethnischer Volksbegriff, verdichtet und operationalisiert in Kategorien wie der "nationalen Identität" oder der "Volksgemeinschaft". Ziel ihrer Politik sei die Herstellung nationaler Identität durch ein ethnisch homogenes Volk. Dieser Zusammenhang werde im Parteiprogramm als "lebensrichtiges Menschenbild" umschrieben. Die "Rückführung" der in Deutschland lebenden Ausländer sei zentraler Programmpunkt: "Rückkehrpflicht statt Bleiberecht". Das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern werde als "Vorbürgerkrieg" bezeichnet, Integration als "Völkermord". Die Art der Gemeinschaft definiere die Bedeutung des Einzelnen, nicht umgekehrt. Das Menschenbild, die Position des Einzelnen in Staat und Gesellschaft, sei damit abgeleitet, nicht originär. Die Antragsgegnerin vertrete insoweit einen normativen Kollektivismus biologischer Provenienz.

45

Das ethnische Verständnis des Volksbegriffs führe zu einem kaum verschleierten Ausschluss einzelner Gruppen von der Grundrechtsberechtigung. Zwar werde im Parteiprogramm von der "Unantastbarkeit der Würde" der Menschen gesprochen, diese jedoch direkt im Anschluss ausdrücklich auf die "Volksgemeinschaft" bezogen. Individuelle Würde werde nur im Rahmen und aufgrund der Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" zugestanden. Den nicht der "Volksgemeinschaft" Zugehörigen werde nach der Programmatik der Antragsgegnerin generell und systematisch ein niedrigerer Rechtsstatus zugewiesen.

46

Der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin sei Ausdruck eines menschenverachtenden Rassismus. Gegen die multikulturelle Gesellschaft werde unter Rückgriff auf eine fremdenfeindliche Rhetorik vehement polemisiert. Einwanderer außereuropäischer Herkunft würden pauschal diffamiert und mit Negativeigenschaften belegt. Besonders kategorisch lehne die Antragsgegnerin den Aufenthalt von Muslimen in Deutschland ab. Dabei stünden nicht religiöse, sondern ethnisch-biologistische Aspekte im Vordergrund. Einwanderer außereuropäischer Herkunft seien aus Sicht der Antragsgegnerin, ungeachtet der Frage, ob sie formal die deutsche Staatsbürgerschaft besäßen oder nicht, ausnahmslos als Ausländer zu betrachten. Drastisch stelle die Antragsgegnerin die völlige Unvereinbarkeit zwischen einem dauerhaften Aufenthalt von Migranten ethnisch fremder Herkunft und der Idee der "Volksgemeinschaft" heraus.

47

(2) Die Antragsgegnerin lehne die parlamentarische Demokratie ab. Sie bestreite in ihrem Parteiprogramm die Legitimität des Grundgesetzes, "da das Volk darüber bis heute nicht abstimmen durfte". Das als Fremdwort denunzierte Substantiv "Demokratie" werde vermieden und ihm die auf der "Volksgemeinschaft" basierende Volksherrschaft gegenübergestellt: "Volksherrschaft setzt die 'Volksgemeinschaft' voraus." Die Ablehnung des parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes werde durch die häufige, pejorative Verwendung des Begriffs "System" sowie die massive Kritik an den politischen Parteien deutlich.

48

Publikationen und Äußerungen führender Parteivertreter ließen keine Zweifel an der Bekämpfung der parlamentarischen Demokratie als programmatischem Ziel. Die parlamentarische Demokratie werde verächtlich gemacht und als Zerrbild "wahrer" Demokratie charakterisiert. Mehrheitsprinzip, Existenz einer Opposition und pluralistische Demokratie würden abgelehnt. Der Versuch, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu delegitimieren, werde begleitet von der Behauptung, dass diese Grundordnung von "antideutschen" Kräften gesteuert werde und letztlich eine "Besatzung und Fremdherrschaft" darstelle. Die Mitarbeit in Parlamenten erfolge rein instrumentell. Die Antragsgegnerin verspreche sich dadurch Vorteile, ohne damit die parlamentarische Demokratie im Sinne des Grundgesetzes zu akzeptieren. Stattdessen halte sie an der "Reichsidee" fest und rufe zur "Selbsthilfe" und zum revolutionären Widerstand gegen das "System" auf.

49

(3) Nach ihren Zielen und ihrer Strategie negiere die Antragsgegnerin auch das staatliche Gewaltmonopol als Konkretion der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG.

50

Sie verhalte sich nach außen, bei oberflächlicher Betrachtung, ambivalent. Sprachlicher Militanz stünden ausdrückliche Distanzierungen von Gewalt gegenüber. Insbesondere das Parteiprogramm enthalte keine expliziten Äußerungen zum Einsatz von Gewalt als politischem Mittel. Die Partei bekenne sich aber in zahlreichen Äußerungen von Führungskräften zu einem - nicht nur verbal vorgetäuschten - "nationalrevolutionären", "systemüberwindenden" Anspruch. Dabei werde der Einsatz von Gewalt teilweise gefordert, zumindest jedoch gebilligt oder in Kauf genommen. Der gerichtlich bezeugte Gewalteinsatz zahlreicher Anhänger und Funktionäre der Antragsgegnerin spreche ebenfalls eine deutliche Sprache.

51

(4) Die Antragsgegnerin versuche, in ihrer Programmatik nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren oder zu rechtfertigen. Anhänger der Partei gingen bis zur Leugnung der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Der revisionistische Gesamtansatz der Antragsgegnerin umfasse zudem die Leugnung der deutschen Kriegsschuld, die Überzeichnung der Handlungen der Kriegsgegner und gebietsrevisionistische Postulate.

52

Auch wenn das Parteiprogramm offen antisemitische Äußerungen vermeide, könnten in den Äußerungen des Führungspersonals der Antragsgegnerin zahlreiche antisemitische Ausfälle aufgezeigt werden. Quantität und Qualität dieser Äußerungen bestätigten, dass Antisemitismus ein Strukturelement der Parteiideologie sei.

53

Die zur Erfüllung des Verbotstatbestands schon für sich hinreichende Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin zum Nationalsozialismus werde durch das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte belegt. Neben ideologischen und strukturellen Übereinstimmungen mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) - etwa bezogen auf das Konzept der "Volksgemeinschaft" - bedienten sich führende Mitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Jugendorganisation sowohl des Vokabulars als auch der Symbolik der NSDAP. Dies geschehe teilweise ausdrücklich - etwa durch die Verwendung von Originalzitaten sowie den Rückgriff auf NS-Gedichte oder entsprechendes Liedgut -, teilweise durch Anspielungen. Nationalsozialistische Symbole fänden auch bei Veranstaltungen oder Aktionen mit NPD-/JN-Beteiligung Verwendung. Die Identifikation mit dem historischen Nationalsozialismus werde besonders deutlich durch die Glorifizierung von Repräsentanten des "Dritten Reiches" und der NSDAP.

54

bb) Die Antragsgegnerin gehe auch auf die Beeinträchtigung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus.

55

(1) Die Antragsgegnerin sei die älteste und bedeutendste rechtsextremistische Partei in Deutschland: Sie nehme an Wahlen teil, informiere und schule ihre Mitglieder, sei mit dem nationalen und internationalen Rechtsextremismus intensiv verflochten, lege besonderen Wert auf ihre Jugendarbeit und wirke publizistisch und in sonstiger Weise in die Öffentlichkeit mit dem Ziel einer Verwirklichung ihrer politischen Absichten. Die aktiv kämpferische und aggressive Haltung, die über das Handeln "normaler" Parteien hinausgehe, zeige sich darin, dass die Antragsgegnerin das Schutzgut des Art. 21 Abs. 2 GG nicht nur ablehne, sondern sowohl in ihrer "offenen" Programmatik als auch in dem Bild, welches das Verhalten ihrer Anhänger biete, auf seine Abschaffung hinarbeite.

56

Die Ideologie der Antragsgegnerin bleibe keine Theorie, sondern werde vielfältig und aggressiv in die politische Praxis umgesetzt. Die Antragsgegnerin werde im Parlament, auf kommunaler Ebene und "auf der Straße", das heiße in politischen Aktionen - sei es durch Versammlungen, Aufmärsche, Kundgebungen oder in medialer Form - tätig. In diesem Zusammenhang sei auf die geringe Rechtstreue ihres Führungspersonals hinzuweisen, die sich in weit überdurchschnittlich häufigen gerichtlichen Verurteilungen auch jenseits von Propagandadelikten äußere, insbesondere wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität.

57

Zur Erreichung ihrer Ziele definiere die Antragsgegnerin seit Oktober 1997 für ihren politischen Kampf drei strategische Säulen (Kampf um die Köpfe, Kampf um die Straße und Kampf um die Wähler). Auf dem Bundesparteitag 2004 sei diese "Drei-Säulen-Strategie" durch den seinerzeitigen Bundesvorsitzenden Voigt um eine vierte "Säule" ergänzt worden, den "Kampf um den organisierten Willen". Darunter werde der "Versuch der Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte" verstanden.

58

Dieses "Volksfrontkonzept" der Antragsgegnerin ziele vor allem auf die Einbindung des parteiunabhängigen neonazistischen Spektrums und dadurch auf die Entstehung einer "umfassenden nationalen Oppositionsbewegung", die weit über die Teilnahme an Wahlen hinaus tätig werden solle. Die Zusammenarbeit zwischen Partei und sogenannten "Freien Nationalisten", die auf ideologischen Gemeinsamkeiten, übereinstimmenden politischen Zielen und persönlichen Kontakten basiere, ermögliche der Antragsgegnerin ein deutlich höheres Wirkungs- und Mobilisierungspotential. Dabei sei die Antragsgegnerin bestrebt, die "Freien Kameradschaften" auch organisatorisch in die Partei einzubinden und sie unter anderem durch die Vergabe von Parteiposten an sich zu binden. Die Verbindungen der Antragsgegnerin auch zu verbotenen neonazistischen Organisationen verdeutlichten die Verflechtung zwischen Partei und parteiunabhängigen Rechtsextremisten.

59

Die Antragsgegnerin verfüge damit über ein konkretes Konzept der politischen Agitation, um auf die Erreichung ihrer verfassungswidrigen Ziele hinzuarbeiten.

60

(2) Obgleich die Antragsgegnerin den Parlamentarismus ablehne, besitze der "Kampf um die Parlamente" einen hohen Stellenwert. Durch Wahlerfolge und Parlamentsarbeit wolle sie ihre Bekanntheit steigern und Finanzmittel akquirieren. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern werde mit beachtlichem materiellen Aufwand Wahlkampf betrieben. Die parlamentarischen Äußerungen belegten die Verachtung des demokratisch-parlamentarischen Systems, den Antisemitismus, die Verharmlosung beziehungsweise Verherrlichung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen sowie die Fremdenfeindlichkeit der Antragsgegnerin. Bemerkenswert sei die sehr hohe Anzahl an Ordnungsrufen und sonstigen parlamentarischen Maßnahmen gegen Redner und Abgeordnete der Antragsgegnerin. Insgesamt könne ein höchst aggressives, sprachverrohendes parlamentarisches Verhalten festgestellt werden, das nicht mit parlamentarischen Gepflogenheiten erklärt oder gar gerechtfertigt werden könne.

61

Die rassistischen Grundpositionen der Antragsgegnerin zeigten sich auch bei der Durchführung von Wahlkämpfen. So habe die NPD Berlin in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 Schreiben an Politiker mit Migrationshintergrund verschickt und diese aufgefordert, Deutschland umgehend zu verlassen. Besonders aggressiv hätten sich die Aktivitäten der Antragsgegnerin im Sommer/Herbst 2013 bei der Debatte um die Aufnahme von Asylbewerbern gestaltet: Die Antragsgegnerin habe auf verschiedenen kommunikativen Kanälen gegen den Zuzug von Asylbewerbern in einer Weise zu mobilisieren versucht, die die Herabwürdigung der Asylbewerber mit verfassungsfeindlichen Äußerungen verbunden habe.

62

(3) Auf kommunaler Ebene sei zwischen dem politischen Engagement durch kommunale Mandatsträger einerseits und der vermeintlich harmlosen "Graswurzelbewegung" als "Kümmerer vor Ort" in Vereinen, Nachbarschaften und ähnlichen sozialen Zusammenhängen andererseits zu unterscheiden. Von zentraler Bedeutung sei daneben die sogenannte "Wortergreifungsstrategie": Durch gezieltes Eingreifen geschulter Aktivisten würden politische Veranstaltungen der anderen Parteien zu eigenen Zwecken umfunktioniert. Der politische Gegner werde eingeschüchtert, bloßgestellt, lächerlich gemacht - bis hin zu tätlichen Angriffen.

63

Die "Graswurzelpolitik" der Antragsgegnerin strebe danach, in der "Mitte des Volkes" Fuß zu fassen und sich über die Präsenz auf lokaler Ebene, die Besetzung bürgernaher Themenfelder und die Anwendung geeigneter Aktionsformen den Weg zu Wahlerfolgen zu ebnen. Dadurch solle eine Gegenöffentlichkeit etabliert werden, um eine schleichende Infiltration der Gesellschaft durch eine vermeintliche Normalisierung zu erreichen. Zu den Organisationsformen zählten Kinderfeste, Infiltrationen der örtlichen Vereinsszenen, gezielte Übernahme öffentlicher Ämter und Aufgaben, aber auch die Bildung von Bürgerwehren und die Verteilung eigener kostenloser Zeitungen, wie etwa der ursprünglich aus der Kameradschaftsszene stammenden "Boten" in Mecklenburg-Vorpommern.

64

(4) Eine weitere Strategie der Antragsgegnerin stelle die sogenannte "rechtsextremistische Raumordnungsbewegung" dar, bei der durch den Aufkauf benachbarter Immobilien und den Zuzug von Personen aus dem rechtsextremistischen Milieu rechtsextremistische Enklaven gebildet würden. Dies sei für die Räume Lübtheen und Anklam sozialwissenschaftlich analysiert worden, finde allerdings in den alten Bundesländern keine Parallelen. Es gehe hierbei um die Erringung kultureller Hegemonie in abgegrenzten Sozialräumen als Basis für spätere politische Erfolge. Dies entspreche dem Konzept "national befreiter Zonen" aus der nationalrevolutionären Studentenszene der 1990er Jahre.

65

(a) In dem vorgelegten Gutachten zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern würden Situationen beschrieben, in denen Rechtsextremisten vorübergehend den öffentlichen Raum kontrollierten, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat relativiert und eine Atmosphäre der Angst für die Gegner der Antragsgegnerin und des Rechtsextremismus erzeugt werde. Erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns seien nachweisbar. Die Antragsgegnerin bilde dabei die organisierte Seite eines politischen Komplexes, in dem sich mitgliedschaftlich in ihr organisierte sowie unorganisierte Rechtsextremisten in der Verfolgung ihrer gemeinsamen politischen Ziele wechselseitig unterstützten und verstärkten. Die sozialräumlichen Machtgewinne der rechtsextremen Bewegung in Teilen Mecklenburgs und Vorpommerns seien dabei so weit vorangeschritten, dass eine Lösung der Probleme mit den örtlichen Ressourcen kaum mehr möglich erscheine.

66

(b) Die "Graswurzelpolitik" vor Ort (bei hinreichender Präsenz) und die Schaffung kontrollierter "national befreiter Zonen" führten im Einzelfall zu einem Klima der Angst und Unfreiheit, welches den demokratischen Prozess behindere. Ziel sei es auch, das staatliche Gewaltmonopol lächerlich zu machen und letztlich zu substituieren.

67

(5) Besondere Bedeutung bei dem Versuch der Gewinnung kultureller Hegemonie weise die Antragsgegnerin der Jugendarbeit zu. Sie setze jugendadäquates Material in ihrer Arbeit strategisch ein. Ihre junge Klientel werde mit gezielt positionierten Medien angesprochen (Verwendung von Jugendsprache, Comics, Schulhof-CDs mit rechtsextremistischer Musik, Kontakt zu Schülervertretungen etc.). Auch die professionell ausgebaute Internet-Arbeit der Partei ziele - wenn auch nicht nur - auf einen jungen Adressatenkreis.

68

Die Antragsgegnerin betreibe gezielt Schulungsarbeit. In Sachsen gebe es das 2005 gegründete "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V.", das durch die Veranstaltung von Seminaren und die Herausgabe von Zeitungen "Bildungsarbeit" leiste. Auch die Einrichtung einer politischen Stiftung rücke - weitere Wahlerfolge der Antragsgegnerin vorausgesetzt - in größere Nähe.

69

(6) Die Antragsgegnerin unterhalte zudem intensive Verbindungen zur Neonazi-Szene, was Teil ihrer Strategie als "rechte Volksfront" sei. Inhaltlich erfolgten etwa gegenseitige Unterstützungen bei Wahlkämpfen durch Aktionen und Unterschriftensammlungen sowie durch gemeinsame Demonstrationen, bei denen die Parteistrukturen der Antragsgegnerin für die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen sorgten, während die "Freien Kameradschaften" die Mobilisierung vor Ort organisierten.

70

Die Zusammenarbeit äußere sich in umfangreichen personellen Überschneidungen. Dabei würden die JN mit ihren Stützpunkten als Bindeglied zu Neonationalsozialisten eingesetzt. Dies zeige sich besonders deutlich an den personellen Überschneidungen zwischen der Antragsgegnerin und Mitgliedern ehemaliger, auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 3 VereinsG verbotener Vereine. Hierzu zählten insbesondere die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP), die "Heimattreue deutsche Jugend" (HDJ) und die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG). Der Antragsgegnerin sei es gelungen, zahlreiche Mitglieder dieser verbotenen Vereine zu rekrutieren, die nun teilweise in Führungsfunktionen bei ihr tätig seien.

71

(7) Die Antragsgegnerin und ihr Führungspersonal erwiesen sich in allen Bereichen der Rechtsordnung als wenig rechtstreu. So gebe es zahlreiche Entscheidungen der Verwaltungs- und Strafgerichte zu den von der Antragsgegnerin vertretenen Inhalten, den Mitteln ihres politischen Handelns und dem (rechtswidrigen) Verhalten ihrer Führungspersonen. Im Bereich des gesamten Rechtsextremismus, das heiße über die Antragsgegnerin hinausgreifend, habe sich die politisch motivierte Kriminalität bei Schwankungen auf hohem Niveau stabilisiert. Die Antragsgegnerin befinde sich hier in einem Gesamtmilieu, das überdurchschnittliche Kriminalitätswerte aufweise.

72

Über einzelne - vom Antragsteller aufgeführte - Verurteilungen führender Parteimitglieder hinaus habe eine anonymisierte statistische Untersuchung der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen bezogen auf rechtsextremistisch motivierte Delikte - unter Herausnahme allgemeinkrimineller Straftaten - ergeben, dass 25 % dieses Personenkreises rechtskräftig strafrechtlich verurteilt seien, wobei über 11 % mehrfach strafrechtlich belangt worden seien. Auch wenn man berücksichtige, dass ein Teil der aufgeführten Taten Propagandadelikte darstelle, bleibe immer noch ein beachtlicher Teil von Verurteilungen wegen Gewaltkriminalität, worin sich die Geringschätzung des staatlichen Gewaltmonopols manifestiere.

73

cc) Ein Verbot der Antragsgegnerin sei jedenfalls nicht "unverhältnismäßig". Es sei geeignet und erforderlich zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, da "mildere" Mittel schon von Verfassungs wegen aufgrund des Parteienprivilegs nicht zulässig seien. Das Verbot der Antragsgegnerin hielte auch einer erweiterten Erforderlichkeitsprüfung stand, da die den Antragsteller beschickenden Landesregierungen einschließlich der Kommunen - neben der Bundesregierung - ein umfangreiches Programm der Bekämpfung des Rechtsextremismus forcierten und damit den vorliegenden Antrag flankierten. Die bisher bestehende Legalität der Antragsgegnerin konterkariere diese Bemühungen jedoch in hohem Maße, da sie ihr legale öffentlichkeitswirksame Plattformen eröffne, um gegen diese Maßnahmen zu arbeiten. Daher sei ein Verbot der Antragsgegnerin auch angemessen.

74

dd) Ein solches Verbot erfülle die Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR. Insbesondere genüge es dem Merkmal der "Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft", da die Antragsgegnerin angesichts ihres systemüberwindenden, von ihr selbst als "revolutionär" eingestuften Kampfes Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung zumindest nicht ausschließe und aufgrund des ihrem gesamten Programm zugrunde liegenden ethnischen Personenbegriffs in demokratiewidriger Weise Grundrechtsexklusionen bei Menschen fordere, die ihrer Ansicht nach nicht zur "Volksgemeinschaft" gehörten. Zu berücksichtigen sei dabei die nationale Besonderheit, dass es sich um das Verbot einer Partei handele, die eindeutig und nachhaltig die nationalsozialistische Ideologie vertrete. Die Antragsgegnerin sei auch keineswegs als eine in ihrer politischen Bedeutung zu vernachlässigende Organisation anzusehen. Sie sei in einzelnen Teilen der Bundesrepublik ein politisch überaus präsenter Faktor, der unterhalb des Bundes auf allen Ebenen demokratischer Gebietskörperschaften das politische wie auch das gesellschaftliche Leben mitdefiniere. Bundesweit operiere die Antragsgegnerin als Anlauf- und Verbindungsstelle rechtsextremistischer Organisationen.

IV.

75

1. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2013 hat die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, den Präsidenten des Deutschen Bundestages zu Abschlagszahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung ohne Verrechnung gemäß § 31a Abs. 3 Satz 2 PartG mit einem gegen sie festgesetzten Zahlungsanspruch zu verpflichten, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis der Bundesgesetzgeber die anwaltlichen Vergütungsregelungen für das Parteiverbotsverfahren durch eine verfassungskonforme Regelung ersetzt habe.

76

Die Antragsgegnerin hat behauptet, dies sei erforderlich, weil sie nicht in der Lage sei, die Mittel zur Finanzierung eines Prozessbevollmächtigten aufzubringen. Eine dem Grundsatz des fairen Verfahrens entsprechende sachgerechte Rechtsverteidigung im Parteiverbotsverfahren sei damit ausgeschlossen.

77

2. Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 (BVerfGE 135, 234) hat der Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den Hilfsantrag auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt. Zur Begründung hat er auf den vorrangig zu beschreitenden Verwaltungsrechtsweg verwiesen. Ergänzend hat er festgestellt, dass eine sachgerechte Rechtsverteidigung auf einen entsprechenden Antrag hin im Wege der Prozesskostenhilfe oder durch eine analoge Anwendung der Regelungen über die notwendige Verteidigung im Strafprozess (§§ 140 ff. StPO) sichergestellt werden könne.

V.

78

Mit Schriftsatz vom 25. März 2014 hat die Antragsgegnerin auf die Antragsschrift erwidert und hat beantragt,

den Verbotsantrag des Antragstellers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise das Parteiverbotsverfahren wegen des Vorliegens unbehebbarer Verfahrenshindernisse einzustellen,

höchst hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat.

79

1. Zur Begründung ihrer Anträge führt die Antragsgegnerin in diesem und in weiteren Schriftsätzen aus, dass es bereits an einer wirksamen Vollmacht für die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers fehle.

80

Die vorgelegten Prozessvollmachten seien lediglich durch den Direktor des Antragstellers unterzeichnet, der in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren zu einer Bevollmächtigung nicht befugt sei. Erforderlich sei stattdessen eine Bevollmächtigung durch den Präsidenten des Antragstellers gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates (GOBR). Hilfsweise könne eine Bevollmächtigung durch die Vizepräsidenten des Antragstellers erfolgen, nicht hingegen durch den Direktor, welcher gemäß § 14 Abs. 2 GOBR lediglich das Sekretariat des Antragstellers leite und den Präsidenten bei der Führung seiner Amtsgeschäfte unterstütze.

81

2. Das Verfahren sei jedenfalls einzustellen, weil mindestens drei nicht behebbare Verfahrenshindernisse vorlägen. Es fehle an der Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragsgegnerin, weil davon auszugehen sei, dass sich auf diesen weiterhin V-Leute und/oder Verdeckte Ermittler befänden (a). Des Weiteren fehle es an der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials, da dieses von V-Leuten und/oder Verdeckten Ermittlern "kontaminiert" worden sei (b). Schließlich führe die nachrichtendienstliche Beobachtung der Antragsgegnerin und ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. zu einem Ausspähen ihrer Prozessstrategie, was eine effektive Verteidigung unmöglich mache (c).

82

a) Die "Abschaltung" sämtlicher in den Führungsgremien der Antragsgegnerin vorhandener Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agents und/oder V-Leute werde weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen. Der Antragsteller erkläre sich zudem nicht zur Frage der Rückziehung eingeschleuster V-Leute.

83

aa) Er trage bereits nicht schlüssig vor, wenn er einerseits behaupte, spätestens seit dem 6. Dezember 2012 seien sämtliche Verdeckten Ermittler, Under-Cover-Agents und V-Leute in den Vorständen der Antragsgegnerin und ihrer Unterorganisationen abgeschaltet worden, gleichzeitig aber ausführe, dass zwischen 2008 und 2013 der Anteil der Quellen der Polizei und der Nachrichtendienste auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt über 6,6 % der Vorstandsmitglieder gelegen habe. Daraus sei zu schließen, dass offenbar bis 2013 V-Leute in den Führungsgremien der Antragsgegnerin beziehungsweise ihrer Unterorganisationen anwesend gewesen seien.

84

bb) Der Beweiswert der vorgelegten "Testate" sei höchst fraglich. Angesichts der hoch sensiblen V-Mann-Materie könne es nicht ausreichen, dass Minister bloße schriftliche Erklärungen abgäben.

85

Zwar könne ein Parteiverbotsverfahren nicht bereits dann eingestellt werden, wenn nur rein hypothetische Zweifel am Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen bestünden. Dieser Fall liege hier jedoch nicht vor, weil die Erfahrungen aus dem vorangegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür begründeten, dass sie heute genauso wenig gegnerfrei sei wie damals. Die grundsätzliche Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Handelns staatlicher Stellen könne der Antragsteller aufgrund seines Vorverhaltens nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.

86

Aus diesem Grund sei es unumgänglich, dass der Antragsteller konkret offenlege, wie viele angeworbene oder eingeschleuste V-Leute im Einzelnen, in welchen Vorständen und in welchem Zeitraum tätig gewesen seien und an welchen Parteitagen sie als Delegierte teilgenommen hätten. Außerdem sei darzulegen, wie der Vorgang der "Abschaltung" einer Person konkret aussehe, wie der Antragsteller sicherstelle, dass keine "Nachsorge" erfolge, dass keine Informationen verwendet würden, die von abgeschalteten V-Leuten freiwillig übermittelt worden seien, und dass ein außerhalb der Führungsebene stationierter staatlicher V-Mann während des laufenden Verbotsverfahrens nicht in eine Führungsposition gewählt beziehungsweise wie in einem solchen Fall verfahren werde.

87

Zur Sicherstellung der tatsächlichen "Abschaltung" sowie der Kappung jeglichen fortwirkenden Informationsflusses zwischen diesen Personen und den staatlichen Behörden sei es unumgänglich, dass der Antragsteller vollständige Einsicht in alle die "abgeschalteten" V-Leute betreffenden Akten gewähre.

88

cc) Unschlüssig sei der Vortrag des Antragstellers auch insoweit, als der ehemalige Bundesinnenminister für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), den Bundesnachrichtendienst (BND) und das Zollkriminalamt testiert habe, da diese Behörden nicht dem Bundesministerium des Innern unterstünden, sondern dem Bundesministerium der Verteidigung, dem Kanzleramt und dem Bundesministerium der Finanzen. Untertestate der Präsidenten der betreffenden Behörden und der zuständigen Staatssekretäre seien unzureichend, da die Testate von dem politisch höchstrangigen Funktionsträger des jeweiligen Fachministeriums und nicht von einem weisungsgebundenen Beamten innerhalb der Behördenhierarchie abgegeben werden müssten.

89

dd) Unterstelle man die "Abschaltung" sämtlicher Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agents und V-Leute, so fehle immer noch jeglicher Vortrag des Antragstellers zur Rückziehung eingeschleuster V-Leute. Bei diesen sei es mehr als unwahrscheinlich, dass sie sich ausschließlich als Informationssammler und -übermittler betätigten. Vielmehr sei zu erwarten, dass sie als Spalter, Provokateure und Saboteure handelten. Bei Einleitung eines Verbotsverfahrens müssten daher die eingeschleusten V-Leute entfernt werden.

90

ee) Unklar bleibe auch, warum die Testate sich überhaupt mit Verdeckten Ermittlern und Under-Cover-Agents auseinandersetzten, wenn diese nach Auskunft des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin nie eingesetzt worden seien.Davon sei nicht auszugehen.

91

(1) Dass die Behauptung, die Sicherheitsbehörden hätten zu keinem Zeitpunkt Personen in die Antragsgegnerin eingeschleust, sondern stets nur dort bereits vorhandenes Personal angeworben, falsch sei, ergebe sich daraus, dass am Montag, den 4. August 2014, der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt zusammen mit Uwe Meenen in der Kanzlei zweier Berliner Rechtsanwälte auf A. getroffen sei. Letzterer habe erzählt, dass er im Laufe des Jahres mehrfach von Mitarbeitern des sächsischen Staatsschutzes darauf angesprochen worden sei, für sie zu arbeiten und Mitglied der Antragsgegnerin zu werden. Bei dem letzten Treffen sei ihm ein monatliches Salär von 4.000,- EUR angeboten worden, wenn er aktiv werde und in die Antragsgegnerin einträte. Dies beinhalte, sich in Vorstände wählen zu lassen, unter anderem bei der Gestaltung der Internetauftritte in Sachsen mitzuwirken und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig zu sein. Das Angebot stamme von dem Leiter der operativen Abteilung beim Staatsschutz, "einem Herrn Friebe o.ä.".

92

(2) Gegen die Behauptung des Antragstellers, es seien nie V-Leute beziehungsweise Verdeckte Ermittler in die Antragsgegnerin eingeschleust worden, spreche außerdem, dass das Nachrichtenportal n-tv unter dem 3. Dezember 2014 über die Vernehmung von S. alias "V-Mann Piatto" im "NSU-Prozess" vor dem Oberlandesgericht München berichtet und den Zeugen damit zitiert habe, dass er erst nach Rücksprache mit dem Amt und in dessen Auftrag Mitglied der NPD geworden sei - ausschließlich deshalb, um "Einblick in die Strukturen zu bekommen" und "Informationen zu gewinnen".

93

Der Zeuge habe somit seine Mitgliedschaft erst auf Initiative der Inlandsgeheimdienste beantragt und sei selbst zu einem Zeitpunkt, als er ideologisch nicht mehr hinter seinem Handeln gestanden habe, von Seiten des Verfassungsschutzes zu einer weiteren Agententätigkeit innerhalb der Antragsgegnerin - auch auf einer Führungsebene - angestachelt worden. Demgemäß trage der Antragsteller im hiesigen Verfahren vorsätzlich falsch vor, was die Glaubhaftigkeit seines gesamten Vortrags und insbesondere der von ihm vorgelegten "Testate" nachhaltig erschüttere.

94

ff) Schließlich fehle jegliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob in den Führungsgremien der Antragsgegnerin Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste als Verdeckte Ermittler, Under-Cover-Agents oder V-Leute tätig seien, die die von ihnen erlangten Informationen an deutsche Behörden weiterleiteten.

95

gg) Die Testate seien darüber hinaus in weiteren Punkten unvollständig:

96

Unklar sei, was genau mit "Führungsebene" gemeint sei und auf welche Vorstände sich die Testate konkret bezögen. So sei nicht erkennbar, ob auch die Bezirks-, Kreis- und Ortsvorstände mitumfasst seien, obwohl es sich insoweit auch um "Vorstände auf Landesebene" handele. Die gleiche Problematik stelle sich bei den Unterorganisationen der Antragsgegnerin bezogen auf nachgeordnete Gliederungsebenen.

97

Ebenso klärungsbedürftig erscheine die Frage, ob sich die Testate nur auf Vorstände oder auch auf Bundes- und Landesparteitage bezögen, da diese ebenfalls als Führungsgremien zu qualifizieren seien. Der Souverän der Partei sei nicht etwa der Bundesvorstand, sondern der Bundesparteitag, der vor allem für die Beschlussfassung über das Parteiprogramm sowie für die Besetzung des Bundesvorstands zuständig sei.

98

Schließlich verhielten sich die Testate nicht zu den beiden - zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden - Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin und ihren kommunalen Mandatsträgern. Gerade weil der Antragsgegnerin vorgeworfen werde, ihre Mandatsträger würden das parlamentarische System nicht anerkennen, dieses fortwährend verächtlich machen und den legislativen Betrieb stören, müsse sichergestellt sein, dass die Fraktionsapparate der Antragsgegnerin weder hinsichtlich der Abgeordneten noch hinsichtlich der Mitarbeiterstäbe von staatlichen Agenten infiltriert seien.

99

b) Ein weiteres Verfahrenshindernis bestehe hinsichtlich der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials. Es sei nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden, dass dieses Material Ergebnis einer authentischen Willensbildung der Antragsgegnerin und nicht Produkt staatlicher Einflussnahme sei.

100

aa) Auch hier könnten die Innenminister und -senatoren keine Aussagen darüber treffen, ob, wann und wo der MAD, der BND und das Zollkriminalamt Verdeckte Ermittler, Under-Cover-Agents oder V-Leute eingesetzt hätten. Hinzu komme in Bezug auf Beweismittel der Kategorie 1, dass allein der Umstand, dass der unmittelbare Urheber eines Beweismittels kein Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agent oder V-Mann gewesen sei, noch keine "Kompromittierung" dieses Beweismittels ausschließe. Es sei nämlich ohne weiteres möglich, dass dieser durch einen solchen angestiftet, aufgehetzt und zur Schaffung eines entsprechenden Beweismittels animiert worden sei. Zur Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei es unabdingbar, dass das vorgelegte Beweismaterial tatsächlich und vollumfänglich staatsfrei sei, sowohl unmittelbar als auch mittelbar.

101

bb) Aufgrund der vielfältigen denkbaren Wirkungsmechanismen und Kausalzusammenhänge, die aus der Anwesenheit und der Tätigkeit einer Vielzahl von staatlichen Agenten herrührten, ergäben sich Rückwirkungen auf das Beweismaterial. Wirklich staatsfreies Tatsachenmaterial könne daher erst nach "Abschaltung" aller staatlichen Agenten bei der Antragsgegnerin und einer anschließenden Konsolidierungsphase von zwei bis drei Jahren gewonnen werden.

102

c) Ein drittes Verfahrenshindernis liege darin, dass derzeit eine vertrauliche Kommunikation zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1., aber auch zwischen Vorstandsmitgliedern der Antragsgegnerin untereinander nicht gewährleistet sei, weil die konkrete Gefahr bestehe, dass sowohl der Verfahrensbevollmächtigte als auch Vorstandsmitglieder auf Bundes- und/oder Landesebene von in- und/oder ausländischen Geheimdiensten nachrichtendienstlich überwacht würden und damit die Prozessstrategie der Antragsgegnerin ausgespäht werde. Solange die Antragsgegnerin damit rechnen müsse, dass Willensbildungsprozesse und vertrauliche Gespräche zwischen Vorstandsmitgliedern und dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. dem antragstellenden Staat zur Kenntnis gelangten, könne keine Rechtsverteidigung auf Augenhöhe durchgeführt werden.

103

aa) Dass diese rechtsstaatlichen Mindestanforderungen gegenwärtig nicht gewährleistet seien, weil zu besorgen sei, dass der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich überwacht werde, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass er als Funktionär des Landesverbands der Antragsgegnerin im Saarland seit dem Jahr 2003 aktentechnisch erfasst sei. Als mittlerweile stellvertretender Landesvorsitzender sei davon auszugehen, dass die gegen ihn gerichtete Beobachtung ausgeweitet worden sei. Auf seine schriftliche Anfrage habe das Landesamt für Verfassungsschutz des Saarlandes mit Schreiben vom 25. Februar 2014 mitgeteilt, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung seiner Person nicht erfolge und auch in der Vergangenheit nicht erfolgt sei. Gleiches habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 29. April 2014 versichert. Solche unsubstantiierten Behauptungen reichten indes nicht aus. Vielmehr sei es notwendig, dass die Verfassungsschutzämter die den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. betreffenden Akten offenlegten.

104

In diesem Zusammenhang sei auf einen Vorfall am 30. November 2012 hinzuweisen, als ein im Eigentum der Mutter des Verfahrensbevollmächtigen zu 1. stehendes Kraftfahrzeug, welches regelmäßig von ihm selbst benutzt werde, auf einem öffentlichen Parkplatz in Saarbrücken-Dudweiler von einem zivilen Dienstfahrzeug des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes gerammt worden sei. Zwar sei der Verfahrensbevollmächtigte nicht persönlich anwesend gewesen, es sei aber bemerkenswert, dass der saarländische Verfassungsschutz behaupte, es finde keine Überwachung des familiären Umfelds des Verfahrensbevollmächtigten statt, und eine solche habe auch nie stattgefunden.

105

bb) Hinsichtlich der Mitglieder des Bundesvorstands und der Landesvorstände der Antragsgegnerin sowie ihrer Unterorganisationen bestehe ebenfalls der dringende Verdacht, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung erfolge. Es liege nahe, dass das mit der "Abschaltung" der V-Leute einhergehende Informationsdefizit durch erweiterte Überwachung der Telekommunikation, durch akustische Wohnraumüberwachung oder durch Online-Durchsuchungen kompensiert werde.

106

cc) Schließlich bestehe der konkrete Verdacht, dass die Sitzungen des Parteivorstands der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich abgehört würden. So sei der ehemalige Bundesschatzmeister der Antragsgegnerin K. bei polizeilichen Vernehmungen im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens mit wörtlichen Aussagen konfrontiert worden, die er während Parteivorstandssitzungen getätigt habe.

107

dd) Außerdem müsse der NSA-Überwachungsskandal berücksichtigt werden. Es stelle sich die Frage, inwiefern Funktionäre der Antragsgegnerin beziehungsweise ihr Verfahrensbevollmächtigter zu 1. Ziel von Abhörmaßnahmen ausländischer Geheimdienste seien, deren Ergebnisse auf dem "kurzen Dienstweg" an deutsche Behörden zurückflössen und dort verwertet würden. Es werde daher beantragt, hierzu Edward Snowden als Zeugen zu vernehmen.

108

3. Höchst hilfsweise sei das Verbotsverfahren auszusetzen, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt habe. Da die Antragstellerseite gerade hinsichtlich der Aktivitäten des BND kein verwertbares Testat vorgelegt habe, sei es jedenfalls geboten, diesen Bericht abzuwarten, der wesentliche Erkenntnisse über Art und Umfang von Abhörmaßnahmen ausländischer Geheimdienste und die Weitergabe dabei erlangter Kenntnisse an deutsche Sicherheitsbehörden bezogen auf die Beteiligten des hiesigen Verfahrens erbringen dürfte, bevor eine Entscheidung über die Durchführung des Hauptverfahrens gemäß § 45 BVerfGG getroffen werden könne.

VI.

109

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 beantragt, die von der Antragsgegnerin gestellten Anträge zurückzuweisen, und hat in diesem und weiteren Schriftsätzen dazu ausgeführt:

110

1. Die vorgelegten Verfahrensvollmachten genügten den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 BVerfGG. Die aus § 14 Abs. 2 GOBR folgende rechtliche Handlungsmacht des Direktors des Antragstellers umfasse auch dessen Vertretung im Außenverhältnis, die nach § 6 Abs. 1 GOBR grundsätzlich der Präsident wahrnehme. Andernfalls wäre das Bundesorgan Bundesrat weitgehend in seiner Funktion eingeschränkt.

111

Der Direktor sei auch zur Vertretung des Präsidenten des Antragstellers in "parlamentarischen Angelegenheiten" mit Außenwirkung befugt. Dies belegten die Regelungen in § 36 Abs. 1, § 45a Abs. 1 und § 45d Abs. 4 GOBR sowie Entscheidungen, die der Direktor für den Präsidenten treffe, ohne dass dies ausdrücklich in der Geschäftsordnung geregelt sei (§ 37 Abs. 1 GOBR, § 61 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und in Routinefällen § 3 Abs. 2 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes).

112

Vorliegend habe der Präsident des Antragstellers auf Vorschlag der Innenministerkonferenz nach Zustimmung des Ständigen Beirats den Direktor beauftragt, die Verfahrensbevollmächtigten zur Vertretung des Antragstellers im Verbotsverfahren zu bestellen. Die materielle Entscheidung über die bevollmächtigten Personen sei somit vom Präsidenten des Antragstellers lange vor der Ausstellung der Vollmachten getroffen worden. Die büromäßige Erteilung der Vollmachten habe lediglich den Vollzug dieser Entscheidung dargestellt.

113

Das Vorgehen entspreche der bisherigen Staatspraxis. Seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichtes sei jede Prozessvollmacht für den Antragsteller durch seinen Direktor erteilt worden.

114

2. Es werde daran festgehalten, dass die Führungsgremien der Antragsgegnerin staatsfrei und die vorgelegten Belege quellenfrei seien. Ein Abhören und ein damit verbundenes Ausspähen der Prozessstrategie der Antragsgegnerin fänden nicht statt.

115

a) Die Antragsgegnerin habe keine konkreten Hinweise dafür vorgelegt, dass der durch die Testate belegte Sachvortrag zur Staatsfreiheit unzutreffend sei. Das Scheitern des ersten Verbotsverfahrens führe nicht zu einer Verschärfung der Darlegungslast des Antragstellers.

116

aa) (1) Zunächst sei festzustellen, dass nur Verdeckte Ermittler zurückgezogen werden könnten, weil sie als Bedienstete staatlicher Behörden weiterhin Weisungen unterworfen seien. V-Leute unterlägen nach der "Abschaltung" hingegen keinen Weisungen mehr, eine Rückziehung scheide daher aus. Die Erwähnung von Verdeckten Ermittlern wie auch von Under-Cover-Agents in den Testaten habe lediglich deren sachliche Lückenlosigkeit gewährleisten sollen. Eingesetzt worden seien solche nicht. Daher habe es auch keiner Erklärung zu ihrer Rückziehung bedurft.

117

(2) Es habe auch keinen Versuch sächsischer Sicherheitsbehörden gegeben, A. für eine Tätigkeit als V-Person, Informant oder Ähnliches zu gewinnen.

118

Der Freistaat Sachsen habe zur Überprüfung der Behauptungen der Antragsgegnerin sämtliche sächsischen Polizeidienststellen um Stellungnahme gebeten, ob es einen Anwerbeversuch gegenüber A. gegeben habe. Dies sei von allen Dienststellen verneint worden. Auch seien alle im sächsischen Polizeivollzugsdienst mit dem Nachnamen "Friebe" tätigen Polizeivollzugsbeamten gesondert befragt worden. Alle hätten ausgesagt, A. nicht zu kennen beziehungsweise keinen Kontakt mit ihm gehabt zu haben. Im Landesamt für Verfassungsschutz seien die für Werbung und Beschaffung zuständigen Bediensteten befragt worden, ob es Versuche gegeben habe, A. anzuwerben oder mit ihm in Kontakt zu treten. Beides sei ausgeschlossen worden. Zusätzlich sei in allen Polizeidienststellen geprüft worden, in welchen Verfahren A. im Zeitraum 2013/14 in Erscheinung getreten sei und welche Beamten dabei mit ihm Kontakt gehabt hätten. Diese Beamten seien befragt worden, ob es einen "Anwerbeversuch" oder Äußerungen gegeben habe, die möglicherweise als Anwerbeversuch hätten missverstanden werden können. Diese Fragen seien ausnahmslos verneint worden.

119

(3) Auch die von der Antragsgegnerin aufgestellten Behauptungen über die Quelle "Piatto" berührten die Staatsfreiheit im vorliegenden Verfahren nicht. S. habe sich niemals in einem Beschäftigungsverhältnis zu Sicherheitsbehörden von Bund oder Ländern befunden. Er habe aus der Untersuchungshaft heraus 1994 aus eigenem Antrieb den Kontakt zu den Sicherheitsbehörden initiiert. Seitdem habe er als V-Person Erkenntnisse über die rechtsextremistische Szene in Brandenburg weitergegeben. Im Verlauf des Jahres 2000 sei er als Quelle abgeschaltet und der Kontakt zu ihm beendet worden.

120

S. sei daher kein "Verdeckter Ermittler" gewesen. Er sei als V-Person nicht unter einer anderen Identität in eine Organisation "eingeschleust" worden, sondern bereits vor der Kontaktaufnahme mit den Sicherheitsbehörden in der "Szene" aktiv gewesen und habe sich dann aus eigenem Antrieb zu einer Weitergabe von Informationen an die Sicherheitsbehörden entschlossen.

121

bb) Bei den V-Leuten habe auch nicht bloß eine "Abschaltung" stattgefunden, sondern es sei zudem keine "Nachsorge" betrieben worden. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern seien die Sicherheitsbehörden angewiesen worden, jeden Kontaktversuch einer abgeschalteten Quelle zurückzuweisen und die Zurückweisung zu dokumentieren. Für den Fall, dass eine nicht abgeschaltete V-Person in einen Vorstand der Antragsgegnerin oder ihrer Untergliederungen gewählt werden sollte, würde umgehend ihre "Abschaltung" vorgenommen. Seit dem 6. Dezember 2012 habe auch tatsächlich keine Kommunikation mit "abgeschalteten" V-Leuten mehr stattgefunden. Vereinzelte Kontaktaufnahmeversuche ehemaliger V-Leute seien abgelehnt und dokumentiert worden.

122

cc) Mit Blick auf die angegebene Statistik von 2008 bis 2013 sei das Jahr 2013 einbezogen worden, um dem Gericht möglichst aktuelle Daten vorlegen zu können. Die Feststellung, dass spätestens seit Dezember 2012 keine V-Leute mehr in der Führungsebene der Antragsgegnerin vorhanden seien, sei spezieller als die den Zeitraum 2008 bis 2013 umfassende Statistik. Der entsprechende Quellenanteil für das Jahr 2013 habe bei 0,0 % gelegen.

123

dd) Die Antragsgegnerin habe keine einzige konkrete Tatsache vorgetragen, die die Richtigkeit der Testate in Zweifel zu ziehen geeignet wäre. Die Sicherheitsbehörden seien aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Quellenschutzes und zur Sicherung ihrer künftigen Aufgabenerfüllung rechtlich nicht in der Lage, den ehemaligen wie aktuellen Bestand von V-Leuten offenzulegen. Deswegen wäre es an der Antragsgegnerin gewesen, zumindest glaubhafte Anhaltspunkte für einen fehlerhaften Vortrag darzulegen.

124

Das Risiko der fehlenden Erweislichkeit eines Verfahrenshindernisses trage die Antragsgegnerin. Zwar bestehe im Verfassungsrecht keine subjektive Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast, jedoch griffen die Regeln der "objektiven Beweislast". Demgemäß sei das Risiko der fehlenden Erweislichkeit danach verteilt, wer aus der betreffenden Tatsache eine günstige Rechtsfolge herleite, sowie danach, was "Regel" und was "Ausnahme" sei. Nach diesen Grundsätzen trage die Antragsgegnerin die objektive Beweislast, soweit sie sich auf ein Verfahrenshindernis berufe.

125

ee) Das Testat des Bundesinnenministers werde von den jeweils zuständigen Ressorts der Bundesregierung mitgetragen und durch entsprechende - nunmehr vorgelegte - Untertestate der Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamts, des Bundespolizeipräsidiums und des Bundesnachrichtendienstes bestätigt. Der Bundesinnenminister habe die Testate lediglich gesammelt, um dem Gericht gegenüber eine Gesamtaussage machen zu können. Darüber hinaus hätten die Staatssekretäre im Bundesministerium der Verteidigung und im Bundesministerium der Finanzen entsprechende - ebenfalls vorgelegte - Erklärungen für die Geschäftsbereiche ihrer Ministerien abgegeben.

126

ff) Unter "Führungsebene" verstünden Bund und Länder den Bundesvorstand, die Landesvorstände sowie die entsprechenden Vorstände der drei vom Antrag mitumfassten Teilorganisationen der Antragsgegnerin.

127

b) Auch hinsichtlich der Quellenfreiheit des Beweismaterials habe die Antragsgegnerin keine Umstände vorgetragen, die ein Verfahrenshindernis zu begründen geeignet seien. Die angebliche mittelbare Beeinflussung des im Antrag verwendeten Tatsachenmaterials werde durch die Antragsgegnerin lediglich pauschal behauptet und durch keinerlei Tatsachen plausibilisiert. Problematisch seien nur Äußerungen, die von Parteimitgliedern stammten, die direkte nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhielten oder unterhalten hätten. Dass es daran fehle, werde durch die vorgelegten Testate bestätigt.

128

c) Die Unterstellung der Antragsgegnerin, dass die Kommunikation mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. überwacht werde, werde zurückgewiesen. Bereits mit Weisung vom 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder verfügt, keinerlei Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin von Quellen entgegenzunehmen. Überdies hätten sich die Behörden von Bund und Ländern am 17. März 2014 anlässlich der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin auf die Weisung geeinigt, dass nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der NPD auch dann nicht entgegengenommen werden dürften, wenn sie aus dem Umfeld des Verfahrensbevollmächtigten oder seiner Kanzlei kämen. Zudem sei auf dessen privilegierte Stellung und in diesem Zusammenhang insbesondere auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO sowie auf ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 zum Einsatz von G 10-Maßnahmen hingewiesen worden. Daraus folge, dass auch Gespräche, die der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. mit Mitgliedern des Parteivorstands der Antragsgegnerin führe, nicht überwacht würden.

129

Das von der Antragsgegnerin geschilderte Unfallereignis stehe in keinem Zusammenhang mit vermeintlichen Überwachungsmaßnahmen gegen ihren Verfahrensbevollmächtigten zu 1., der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Verfahrensbevollmächtigter der Antragsgegnerin gewesen sei. Vielmehr hätten Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes am Unfalltag ein Postfach leeren sollen. Zu diesem Zweck habe man den Dienst-Pkw auf einem öffentlichen Parkplatz parken wollen und dabei einen Unfall mit dem Pkw der Mutter des Verfahrensbevollmächtigten verursacht. Der dienstliche Auftrag habe weder Bezug zur Antragsgegnerin gehabt noch in einem Zusammenhang mit dem Verfahrensbevollmächtigten oder dessen Umfeld gestanden. Hierzu werde ein Bestätigungsschreiben des Staatssekretärs des Saarländischen Ministeriums für Inneres und Sport vorgelegt und eine Zeugenvernehmung des entsprechenden Mitarbeiters angeboten.

130

3. Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Aussetzungsantrags vertritt der Antragsteller die Ansicht, Art. 44 Abs. 4 Satz 2 GG lege fest, dass die Würdigung der Beweise und die rechtliche Beurteilung der Tatsachen durch Gerichte unabhängig von den Feststellungen eines Untersuchungsausschusses, also "frei" erfolgten. Außerdem entstamme keiner der in der Antragsschrift verwendeten Belege den Erkenntnissen ausländischer Nachrichtendienste. Auch zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin lägen ihm von ausländischen Nachrichtendiensten keine Informationen vor.

VII.

131

1. Mit Beschluss vom 19. März 2015 (BVerfGE 138, 397) hat der Senat dem Antragsteller folgende Hinweise erteilt:

III. 1. Der Antragsteller hat als Anlage 1 zum Schriftsatz vom 14. Mai 2014 den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 22. März 2012 vorgelegt. Ziffer 3 des Beschlusses lautet: "Mit Beginn der Materialsammlung am 2. April 2012 werden die Quellen auf Führungsebene abgeschaltet. Für die Erstellung der Materialsammlung wird ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten veranschlagt."

Der Antragsteller möge den Vollzug dieses Beschlusses im Bund und in den einzelnen Ländern - insbesondere hinsichtlich der Zahl und des Ablaufs der "Abschaltungen" - darstellen und in geeigneter Weise belegen.

2. Der Antragsteller hat in diesem Schriftsatz ausgeführt, dass Quellen auf Vorstandsebene der Antragsgegnerin nicht nur "abgeschaltet" worden seien, sondern dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 auch keine "Nachsorge" betrieben werde. Dabei hat er Bezug genommen auf eine "Vereinbarung zwischen Bund und Ländern". Diese Vereinbarung möge er vorlegen.

Soweit in den Ländern Anweisungen zur Umsetzung dieser Vereinbarung (vergleichbar den beiden vorgelegten Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern vom 14. Dezember 2012) ergangen sind, möge der Antragsteller diese ebenfalls vorlegen.

Darüber hinaus möge er den Vollzug des Verzichts auf eine Nachsorge bei "abgeschalteten Quellen" im Bund und in den einzelnen Ländern darstellen und in geeigneter Weise belegen.

3. Der Antragsteller möge schließlich in geeigneter Weise belegen, auf welche Weise - wie im Schriftsatz vom 14. Mai 2014 vorgetragen - sichergestellt ist, dass keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen werden und der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten insbesondere im Hinblick auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO Rechnung getragen wird. Er möge ferner in geeigneter Weise belegen, auf welche Weise sichergestellt ist, dass - falls dennoch diesbezügliche Informationen erlangt werden - diese von der Verwertung ausgeschlossen werden. Soweit er angeboten hat, die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder vorzulegen, möge er dies tun.

4. Der Antragsteller differenziert in der Antragsschrift die verwendeten Belege hinsichtlich der Quellenfreiheit nach zwei Kategorien. Allerdings werden weder das Parteiprogramm der Antragsgegnerin ("Arbeit, Familie, Vaterland". Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands [NPD]. Beschlossen auf dem Bundesparteitag am 4./5. Juni 2010 in Bamberg) noch der Beleg 112 (NPD-Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" vom 9. Oktober 1997) einer dieser beiden Kategorien zugeordnet. Der Antragsteller möge sich hierzu erklären und insbesondere zur Frage der Quellenfreiheit des Parteiprogramms Stellung nehmen.

132

2. Mit Berichterstatterschreiben vom selben Tag wurde der Antragsteller außerdem darauf hingewiesen, dass sein Sachvortrag zur vorübergehenden Kontrolle des öffentlichen Raums durch die Antragsgegnerin mit der Folge, dass eine "Atmosphäre der Angst" erzeugt werde und hierdurch erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns nachweisbar seien, möglicherweise nicht hinreichend durch konkrete Beispiele unterlegt sei. Ferner werde der Vortrag, die Antragsgegnerin habe ihre Aktivitäten im Sommer/Herbst 2013 bei der Debatte um die Aufnahme von Asylbewerbern besonders aggressiv gestaltet und zahlreiche Proteste gegen Asylbewerber organisiert, bislang nur mit dem Hinweis auf einen Aufruf zu einem "Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch" und drei Belegen unterlegt. Weitere Belege und Darstellungen des Verlaufs konkreter Aktivitäten fehlten.

VIII.

133

Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2015 und weiteren Schriftsätzen nahm der Antragsteller zum Hinweisbeschluss des Senats Stellung und legte interne Vermerke, Erlasse, Abschalterklärungen, Gesprächsprotokolle, E-Mails und andere Inhalte von Akten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder vor, die bisher der Geheimhaltung unterlegen hätten. Er hat vorgetragen, dass damit interne Arbeitsabläufe der Sicherheitsbehörden dargestellt und die Anzahl der abgeschalteten V-Leute in Bund und Ländern genannt würden. Die Klarnamen der Quellen und Teile der Dokumente, aus denen Rückschlüsse auf die Identität der Quellen gezogen werden könnten, sowie die Namen von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden von der Ebene der Referatsleiter abwärts seien zum Schutz der Betroffenen geschwärzt worden. Nach Auffassung des Antragstellers seien die Sicherheitsbehörden damit "an die Grenze des rechtlich Zulässigen" gegangen.

134

1. Zu Ziffer III.1. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller vorgetragen, dass der Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) vom 22. März 2012 zur "Abschaltung" aller Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin von Bund und Ländern teilweise in der Folgezeit, teilweise aber auch schon im Vorgriff umgesetzt worden sei. Alle Quellen auf Führungsebene der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen seien abgeschaltet worden, so dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 die Informationsbeziehungen zu sämtlichen Quellen auf der Führungsebene beendet gewesen seien.

135

a) Bereits am 30. November 2011 sei eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens beschlossen worden, die am 14. März 2012 einen Bericht vorgelegt habe. Der 4. Teil dieses Berichts mit dem Titel "Konsensuale Punkte des Kriterienkatalogs" stelle die in Ziffer III.2. des Hinweisbeschlusses angesprochene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern dar, die nunmehr vorgelegt werde. Im Detail sei vereinbart worden, dass rechtzeitig vor Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht alle Quellen in den Vorständen der Partei von Bund und Ländern abgeschaltet sein müssten und auch keine "Nachsorge" betrieben werden dürfe. Zudem sei vereinbart worden, dass auch Quellen, die gegebenenfalls während eines laufenden Verfahrens in den Vorstand aufrückten, unverzüglich abgeschaltet würden. Kontaktversuche von abgeschalteten Quellen und Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin seien zurückzuweisen. Basierend auf diesen Vereinbarungen habe die IMK am 22. März 2012 ihren Beschluss gefasst.

136

b) In allen Ländern und in der Bundesverwaltung seien die sich aus dem Beschluss ergebenden Anforderungen an und in die Sicherheitsbehörden hinein kommuniziert worden. Dies sei teils im Wege des schriftlichen Erlasses, teils durch E-Mail-Kommunikation, teils in Besprechungen geschehen. Als Stichtag für die Abfrage von Quellen auf Führungsebenen sei der 1. Dezember 2011 gewählt worden, also der Tag nach der Konstituierung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Zu diesem Zeitpunkt hätten der Bund und die Länder insgesamt elf V-Leute in der Führungsebene (Bundes- und Landesvorstände) der Antragsgegnerin und/oder ihrer Teilorganisationen eingesetzt. Die vom Antragsteller näher aufgeschlüsselte Verteilung werde durch die Erklärungen der jeweiligen Innenministerien beziehungsweise der Leiter der Verfassungsschutzbehörden bestätigt und durch die Vorlage interner Verfügungen, Weisungen, Abschaltvermerke sowie -erklärungen belegt.

137

Soweit am Stichtag Quellen auf Führungsebenen der Antragsgegnerin vorhanden gewesen seien, hätten die Abschaltvorgänge in einem Treffen mit der Quelle bestanden, bei der dieser die Gründe der sofortigen "Abschaltung" erklärt und eine Abschaltprämie ausgezahlt oder versprochen worden sei. Daraufhin sei der Quelle eine "Abschalterklärung" zur Unterzeichnung vorgelegt worden. Der Quelle sei zudem verdeutlicht worden, dass keine "Nachsorge" stattfinden könne, ein Kontakt zwischen der Sicherheitsbehörde und der Quelle also nicht mehr möglich sei. In den meisten Fällen sei dies das letzte Treffen mit der Quelle gewesen, in manchen Fällen sei es noch zu wenigen Nachbetreuungstreffen gekommen, die nicht mit einem Informationsaustausch verbunden gewesen seien. Spätestens ab dem 6. Dezember 2012 seien alle Informationsbeziehungen zu sämtlichen Quellen auf Führungsebene der Antragsgegnerin vollständig beendet gewesen. Nur in einem Land sei eine V-Person nicht bereit gewesen, die formelle Abschalterklärung zu unterschreiben. Sie sei daraufhin entsprechend mündlich belehrt worden. Seit dem 1. Dezember 2011 sei es nicht vorgekommen, dass V-Leute unterhalb der Führungsebene in die Vorstände aufgerückt seien. Seit diesem Tag seien außerdem keine Quellen unter den Mitgliedern der Fraktionen der Antragsgegnerin in den Landtagen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns gewesen. Dies werde durch Vorlage der entsprechenden Dokumente und Testate belegt.

138

2. Anlässlich des Beschlusses des Antragstellers zur Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens am 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder weitere koordinierte Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass weiterhin keine "Nachsorge" im oben genannten Sinne erfolge. Hierfür sei im Dezember 2012 ein "Musterschreiben" entworfen worden, mit dem die jeweiligen Sicherheitsbehörden angewiesen worden seien, jeden Kontaktversuch abgeschalteter Quellen zurückzuweisen und dies zu dokumentieren. Auf Bundesebene seien in der Folge die Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern vom 14. Dezember 2012 erstellt worden. In den Ländern seien alle Sicherheitsbehörden im Sinne des Musterschreibens durch die jeweils zuständigen Stellen entsprechend angewiesen worden. Bei einer Länderumfrage seitens des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sei "ausnahmslos bestätigt" worden, dass sowohl der Verfassungsschutz als auch die Polizeibehörden entsprechend dem übermittelten Musterschreiben veranlasst worden seien, die Vorkehrungen zur Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verbotsverfahrens zu treffen.

139

Durch diese Erlass- beziehungsweise Weisungslage werde auch weiterhin garantiert, dass keine "Nachsorge" erfolge. Soweit ehemalige Quellen Kontaktversuche unternommen hätten, seien diese zurückgewiesen und die Zurückweisungen entsprechend dokumentiert worden (Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern). Auch zufällige Kontakte seien dokumentiert worden (Nordrhein-Westfalen). Darüber hinaus habe in Baden-Württemberg bei einer ehemaligen Quelle am 30. März 2012 einmalig ein Betreuungstelefonat stattgefunden, weil eine psychische Ausnahmesituation befürchtet worden sei.

140

Auch dieser Vortrag werde durch Vorlage der entsprechenden Musterschreiben, Weisungen, E-Mails und - teilweise geschwärzten - Aktenauszüge belegt.

141

3. a) Zu Ziffer III.3. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller vorgetragen, dass die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens schon weit vor dem Beschluss zur Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens die oberste Priorität für Bund und Länder gewesen sei. Im 4. Teil des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe heiße es, dass keine zielgerichtete Beschaffung von Informationen über die Prozessstrategie durch nachrichtendienstliche Beobachtung erfolgen dürfe.

142

b) Anlässlich des Bundesratsbeschlusses zur Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens vom 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder zudem koordinierte Maßnahmen zur Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit des Verbotsverfahrens unternommen, wie sich aus dem bereits erwähnten, an die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern weitergeleiteten Musterschreiben ergebe. Danach sei durch entsprechende Weisungen sicherzustellen gewesen, dass keine Entgegennahme nachrichtendienstlich erlangter Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin erfolge, auch im Rahmen von Aussteigerprogrammen keine Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen werden dürften sowie entsprechende Versuche zurückzuweisen und zu dokumentieren seien.

143

Diese Vorgaben seien im weiteren Verlauf verschiedentlich präzisiert worden. So sei mit vorgelegtem Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 an alle Länder sowie an alle Sicherheitsbehörden des Bundes auf die Notwendigkeit strikter Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung der Antragsgegnerin vor dem Bundesverfassungsgericht hingewiesen und gebeten worden, von Maßnahmen nach dem G 10-Gesetz gegen Mitglieder des Bundes- oder eines Landesvorstands der Antragsgegnerin nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Sollten sich die G 10-Maßnahmen gleichwohl als notwendig erweisen, müsse sichergestellt werden, dass im Zuge dieser Maßnahmen keinerlei Informationen zur Prozessstrategie erfasst würden. Hierzu seien nachweisbar geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit - entsprechend der Handhabung beim Kernbereichsschutz - bereits in der Vorauswertung keinerlei Informationen über das Verbotsverfahren aufgenommen werden könnten.

144

Der Antragsteller hat sodann ausgeführt, dass es seit dem Schreiben vom 29. Mai 2013 auf Bundesebene eine G 10-Maßnahme gegeben habe, die auch Personen aus der Führungsebene der Antragsgegnerin und/oder ihrer Teilorganisationen betroffen habe. Hintergrund sei der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 129a StGB gewesen. Die Maßnahme habe sich nicht unmittelbar und zielgerichtet gegen die Antragsgegnerin gerichtet. Bereits bei der Vorauswertung seien keine Informationen über das NPD-Verbotsverfahren aufgenommen worden; damit sei das Risiko einer Prozessausspähung ausgeschlossen worden.

145

In den Ländern habe es nur in Sachsen und in Brandenburg jeweils eine G 10-Maßnahme gegeben. In Sachsen sei Hintergrund der Verdacht der Fortführung einer verbotenen Vereinigung (§ 85 StGB) gewesen, in Brandenburg der Verdacht, dass der Betroffene an exponierter Stelle versuche, die verschiedenen Gruppierungen der Freien Kräfte in Brandenburg zu vernetzen, sowie die Verhinderung beziehungsweise Aufklärung von Straftaten (insbesondere § 130 StGB). In Sachsen seien keine Informationen zum Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin und deren Prozessstrategie angefallen, in Brandenburg sei trotz entgegenstehender Weisung Anfang Dezember 2013 ein Protokoll gefertigt worden, das auch eine Randerkenntnis zum bevorstehenden Verbotsverfahren zum Inhalt gehabt habe und an die Landesbehörden für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt, Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen versandt worden sei. In der Verfassungsschutzbehörde Brandenburg und in den beteiligten Ländern seien die Unterlagen nicht verwertet und zeitnah vernichtet worden, in Sachsen sei das Protokoll für die Facharbeit gesperrt. Zudem sei die Maßnahme selbst nicht fortgeführt und am 31. Dezember 2013 beendet worden.

146

Anlässlich der Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht am 3. Dezember 2013 habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 alle Landesverfassungsschutzämter "sicherheitshalber" noch einmal auf die strikte Berücksichtigung der Vorkehrungen zum Schutz eines rechtsstaatlichen Verbotsverfahrens hingewiesen. Zum Sachverhalt Verbotsverfahren sollten, auch wenn nur allgemeine, öffentlich bekannte oder prozesstaktisch völlig irrelevante Aspekte betroffen seien, keinerlei Informationen auf nachrichtendienstlichem Wege entgegengenommen werden. In den Ländern sei dies zum Anlass genommen worden, die zuständigen Stellen und Mitarbeiter abermals für die Problematik zu sensibilisieren.

147

Der Antragsteller hat seinen Vortrag durch Vorlage der entsprechenden Weisungen, Anschreiben, Vermerke und weiterer Dokumente belegt. Daneben testieren auch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, dass ihnen, abgesehen von den für jedermann zugänglichen, öffentlichen Äußerungen des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin, keine Informationen zur deren Prozessstrategie vorlägen.

148

c) Angesichts dieser Maßnahmen sei schon vor Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin sichergestellt gewesen, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern keine Informationen über die Kommunikation zwischen der Antragsgegnerin und einem potentiellen Verfahrensbevollmächtigten zur Prozessstrategie auf nachrichtendienstlichem Wege erlangen würden. Gleichzeitig sei durch diese Maßnahmen auch gewährleistet gewesen, dass Zufallsfunde von der Verwertung ausgeschlossen seien. Dennoch seien nach Bekanntwerden der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin weitere Maßnahmen ergriffen worden, um dessen privilegierte Stellung zu garantieren. Hierzu hätten sich die Behörden von Bund und Ländern am 17. März 2014 auf die bereits erwähnte Musterweisung zur Beachtung dieser Stellung geeinigt. Diese Weisung sei an alle Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ergangen, die sie umgesetzt hätten.

149

In der Folgezeit seien "weitere Verschärfungen" des Schutzes des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin erfolgt, die über die Anforderungen des § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO noch hinausgingen: Am 16. Juni 2014 sei veranlasst worden, dass auch keine Personenakten über ihn weitergeführt werden dürften. Erkenntnisse dürften nur gespeichert werden, soweit diese aus öffentlichen Quellen stammten und nach einem sachbezogenen, nicht personenbezogenen Suchraster ermittelt worden seien. Nach diesen Kriterien unzulässige Speicherungen seit dem 7. Januar 2014 seien rückwirkend zu löschen gewesen. Zum Beleg dieses Vortrags werde die entsprechende E-Mail des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den dazugehörigen Weisungen vorgelegt.

150

Im August und im September 2015 seien in vier Fällen Dokumente an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie an die Verfassungsschutzbehörden in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein übergeben worden, in denen der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin aufgeführt beziehungsweise zu einer Informationsveranstaltung über das Verfahren eingeladen worden sei. Als dies erkannt worden sei, seien die Unterlagen vernichtet beziehungsweise mit einer funktionsäquivalenten Datenschutzsperre belegt worden.

151

4. a) Zu Ziffer III.4. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller zunächst darauf verwiesen, dass das Programm der Antragsgegnerin einen Sonderfall darstelle, da dieses nur der Partei im Ganzen, aber keiner natürlichen Person zugerechnet werden könne und sich deswegen einer Kategorisierung im Sinne der Antragsschrift entziehe. Weder liege eine namentliche Urheberschaft des Programms vor, weshalb Kategorie 1 ausscheide, noch werde die Anwesenheit einzelner Verfassungsschutzquellen unter den Parteitagsdelegierten - neun von 187 - bestritten, weshalb Kategorie 2 nicht in Betracht komme. Die Staatsfreiheit der Antragsgegnerin sei gleichwohl nicht betroffen, da Parteitagsdelegierte nicht der Führungsebene einer Partei im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angehörten.

152

Auch bei strengerer Betrachtung ergebe sich eine staatsfreie Entstehung des Programms, da die mitwirkenden Personen in der Programmkommission sowie in der Programmdebatte nach dem 1. Januar 2003 zu keinem Zeitpunkt Quelle des Verfassungsschutzes oder der Polizei gewesen seien. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass in den für die Programmentwicklung bedeutsamen Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen in der gesamten Phase der Programmerneuerung keine Quellen auf Landesvorstandsebene eingesetzt worden seien. Außerdem sei das Programm auf dem Parteitag mit überwältigenden Mehrheiten angenommen worden, so dass die anwesenden neun Quellen nicht ins Gewicht fielen.

153

Führende Vertreter der Antragsgegnerin, die seit dem 1. Januar 2003 zu keinem Zeitpunkt Quellen von Polizei und Verfassungsschutz gewesen seien, hätten sich das Programm in der Folgezeit zudem ausdrücklich zu eigen gemacht. Auf der Homepage des Bundeswahlleiters sei das Parteiprogramm der Antragsgegnerin in seiner Fassung von Juni 2010 weiterhin als aktuelles Programm ausgewiesen.

154

b) Das Positionspapier der Antragsgegnerin von 1997 habe lediglich der Explikation der Entwicklung der "Drei-" beziehungsweise "Vier-Säulen-Strategie" gedient. Es selbst liege außerhalb des definierten Kategorisierungszeitraums. Jedoch sei die "Vier-Säulen-Strategie" in der Folgezeit von etlichen Führungsfunktionären bis hin zum heutigen Parteivorsitzenden Franz immer wieder bekräftigt worden. Im Übrigen habe der damalige Parteivorsitzende Voigt eigenen Angaben zufolge das Strategiepapier selbst erarbeitet. Dieser sei von den Testaten zur Quellenfreiheit erfasst.

IX.

155

Die Antragsgegnerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 31. August 2015 geantwortet.

156

1. Nach ihrer Auffassung erweise sich der Vortrag des Antragstellers trotz der vorgelegten umfangreichen Anlagen als ungeeignet, die Staatsfreiheit der Führungsebene der Antragsgegnerin in einer verfahrenshindernisausschließenden Weise zu belegen.

157

Die vorgelegten Anlagenkonvolute bestünden überwiegend aus behördeninterner Kommunikation von Polizei und Verfassungsschutz und bewiesen lediglich, dass die vorgesetzten Dienststellen Weisungen erteilt hätten, nicht hingegen die Ausführung und die Kontrolle der Einhaltung dieser Weisungen. Der Nachweis der Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragsgegnerin sei durch die vorgelegten Abschalterklärungen und -vermerke schon deshalb nicht geführt, weil diese in weiten Teilen geschwärzt seien, inhaltlich daher nicht mehr nachvollzogen und abschließend bewertet werden könnten. Die übermäßige Schwärzung habe wohl der "inhaltlichen Frisierung" der Abschaltvermerke gedient, was sich beispielhaft an einem dem Anlagenkonvolut Nordrhein-Westfalens beigefügten Abschaltvermerk zeige, der von "formellen Abschalterklärungen" spreche, obwohl er sich angeblich nur auf eine einzige Quelle beziehe. Es sei denkbar, dass der Aussagegehalt der lesbaren Textstellen im geschwärzten Teil vollständig konterkariert werde.

158

Selbst wenn man die Abschalterklärungen nebst Begleitvermerken für beweiskräftig halten wollte, könnten diese allenfalls die "Abschaltung" derjenigen Quellen beweisen, deren Existenz der Antragsteller einräume. Sie bewiesen hingegen nicht, dass es außer den zugestandenen elf Quellen nicht noch weitere gegeben habe oder weiterhin gebe. Vollkommen unverständlich sei es in diesem Zusammenhang, dass es in den beiden über Landtagsfraktionen verfügenden Verbänden in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen - und damit gleichsam den "Machtzentren" der Partei - angeblich keine abzuschaltenden V-Leute gegeben haben solle. Die diesbezügliche Erklärung des Innenministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Anschreiben vom 11. Mai 2015 lasse im Übrigen die Fraktionsmitarbeiter außen vor. Auffällig und aufklärungsbedürftig seien insbesondere die "dubiosen und regelrecht fluchtartigen Abgänge" der ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden Apfel - im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Verbotsantrag - und Szymanski, gegen den der Verdacht einer Spitzel-Tätigkeit im Raum stehe.

159

2. Der Vortrag des Antragstellers sei auch nicht zum Beweis der Behauptung geeignet, dass zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. eine vertrauliche Kommunikation gewährleistet sei. So sei bereits der aus dem Verkehrsunfallgeschehen am 30. November 2012 resultierende Verdacht nachrichtendienstlicher Überwachung nicht entkräftet.

160

Hinzu komme, dass die vorgelegten Weisungen nicht beweiskräftig seien. Jedenfalls sei deren Beschränkung ausschließlich auf G 10-Maßnahmen völlig unzureichend. Die Prozessstrategie könne ebenso durch Überwachungsmaßnahmen in Form von akustischer Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchungen ausgespäht werden.

161

Ausdrücklich gegen die Nichtausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin spreche darüber hinaus ein Dokument im Anlagenkonvolut des Freistaates Bayern. Danach habe ein Mitarbeiter des dortigen Landesamts für Verfassungsschutz bis Ende Februar 2014 über das soziale Netzwerk "Facebook" mit dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin in Kontakt gestanden und diesen erst nach einer Weisung durch den Präsidenten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz am 26. Februar 2014 beendet. Angesichts der erst zwei Monate nach Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten erfolgten Beendigung des Kontakts könne es sich nur um eine beabsichtigte Informationsgewinnung über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin gehandelt haben.

162

3. Der Vortrag des Antragstellers bestätige ferner den Verdacht, dass der Staat am aktuellen Parteiprogramm der Antragsgegnerin sowie an dem Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" selbst mitgeschrieben habe.

163

a) Hinsichtlich des Parteiprogramms werde durch die vom Antragsteller zugestandene Anwesenheit von neun staatlichen Quellen auf dem Programmparteitag der Grundsatz der Staatsfreiheit verletzt, da es sich bei diesem um eine "führende Organisationseinheit" der Antragsgegnerin handele. Der Antragsteller müsse zumindest zu dem Wirken dieser V-Leute auf dem Parteitag Stellung nehmen, da eine Beeinflussung der Abstimmungsergebnisse durch diese nicht auszuschließen sei. Die Darlegung der Staatsfreiheit des Parteiprogramms der Antragsgegnerin könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass man auf dessen angebliche "Bestätigung" durch führende Funktionäre der Partei verweise.

164

b) Nicht anders verhalte es sich hinsichtlich des Positionspapiers "Das strategische Konzept der NPD". Auch insoweit könne sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die genaue Urheberschaft irrelevant sei, weil Udo Voigt und Frank Franz sich den Inhalt dieses Papiers zu eigen gemacht hätten.

X.

165

Mit Schriftsatz vom 27. August 2015 hat der Antragsteller auf das Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 geantwortet.

166

Die Antragsgegnerin setze ihre verfassungsfeindliche Ideologie aggressiv-kämpferisch ins Werk und bewirke damit schon jetzt nachweisbare Konsequenzen zulasten gesellschaftlicher Minderheiten, politisch Andersdenkender sowie demokratischer Prozesse. Sie gehe über die Grenzen politischer Kommunikation hinaus, indem sie unter anderem durch physische Präsenz und psychischen Druck eine bedrohliche Wirkung entfalte. Einschüchterungen politischer Gegner, Bedrohungsgefühle bei Minderheiten, der Verzicht auf die Wahrnehmung demokratischer Rechte aus Furcht vor Ausgrenzung oder Gewalt und die Hinnahme eines minderheitenfeindlichen Klimas durch Teile der Bevölkerung seien Teil der Strategie der Antragsgegnerin und führten vor allem in den neuen Ländern zu Beeinträchtigungen des politischen Lebens und der "Freiheit der geistigen Auseinandersetzung".

167

Ihrer angeblichen "Krise" zum Trotz habe die Antragsgegnerin die Anzahl ihrer kommunalen Mandate bundesweit von rund 330 Sitzen im Jahr 2010 auf 367 Sitze nach den Kommunalwahlen 2014 ausbauen können. Sie fungiere als organisatorische Basis für andere rechtsextremistische Gruppen und sei weiterhin in der Lage, Dominanzansprüche zu äußern und im öffentlichen Raum dementsprechend aufzutreten.

168

1. Hinsichtlich der im Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 angesprochenen Frage einer "Atmosphäre der Angst" sei festzustellen:

169

a) Der ideologische Hintergrund der Antragsgegnerin sei nicht nur theoretischer Überbau, sondern unmittelbare Handlungsmaxime, die auf direktem Weg zu Einschüchterungen und Einschränkungen demokratischen Handelns führe. Dabei komme dem Konzept der "Volksgemeinschaft" sowohl im Denken als auch im Handeln der Antragsgegnerin zentrale Bedeutung zu.

170

b) Das schon jetzt wirkende Bedrohungs- und Einschüchterungspotential der Ideologie der Antragsgegnerin zeige sich in ihrer Strategie und Mittelwahl.

171

aa) Der Weg zu ihren Zielen führe aus Sicht der Antragsgegnerin insbesondere über "nationalrevolutionäre Graswurzelarbeit". Die Antragsgegnerin strebe die Entwicklung von "Dominanzzonen" an, in denen die Rechtsextremisten "im Alltag bestimmend, kümmernd und meinungsbildend wirken" könnten. "Kümmerer-Image" und aggressive Einschüchterungen widersprächen sich nicht, sondern bedingten einander.

172

bb) (1) Einschüchterungen und Bedrohungen erfolgten in vielen Fällen unmittelbar durch die Antragsgegnerin beziehungsweise durch ihr zurechenbare Funktionäre und Mitglieder. Es gehöre jedoch auch zu ihrer Strategie, Aktionen von rechtsextremistischen Gruppierungen außerhalb der Partei durchführen zu lassen. Dies hindere die Zurechnung jedoch nicht, da einer Partei zum einen das Verhalten von "Anhängern" zugerechnet werden könne, zum anderen die Antragsgegnerin als ideologische und organisatorische Basis eines rechtsextremistischen Netzwerks agiere und - zumindest im Sinne einer Beihilfe - Akte, die von anderen rechtsextremistischen Gruppierungen stammten, fördere.

173

(2) Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern seien die Verbindungen zwischen der Antragsgegnerin und der Neonazi-Szene stark. Die Landtagsfraktion habe sich dabei zu einem bedeutenden Kraftzentrum entwickelt. Neben der finanziellen Ausstattung seien insbesondere die Möglichkeit, Rechtsextremisten als Fraktions- oder Wahlkreismitarbeiter zu beschäftigen, sowie die Nutzung als Schulungsplattform für die Gesamtpartei von großem Wert. Über ihre Bürgerbüros, die sich teilweise in rechtsextremistischen Szeneobjekten befänden, wirkten die Abgeordneten zudem in die Fläche hinein. Auf diese Weise habe die Antragsgegnerin großen Einfluss auf örtliche Strukturen der Neonazi-Szene. Besonders augenfällig sei, dass Landtagsabgeordnete der Partei größtenteils entweder selbst mittlerweile verbotenen rechtsextremistischen Vereinen angehört hätten oder sich zumindest offen zur Zusammenarbeit mit neonationalsozialistischen freien Kräften bekennten.

174

Das Zusammenwirken manifestiere sich unter anderem im Bereich von Publikationen, Treffpunkten und Aktivitäten. So habe die Antragsgegnerin das ursprünglich aus dem parteiunabhängigen Rechtsextremismus stammende Projekt der "Regionalboten" übernommen. Das "nationale Begegnungszentrum" in Anklam diene als Treffpunkt von Neonazis und Funktionären der Antragsgegnerin. Die Stadtvertreterin der Antragsgegnerin Z. trete als Anmelderin für neonazistische Veranstaltungen auf und werde umgekehrt von heimischen Neonazis in Stadtvertreterversammlungen unterstützt.

175

c) Die praktische Umsetzung der aggressiven politischen Strategie der Antragsgegnerin erfolge durch die Verwirklichung eines räumlichen Dominanzanspruchs, der in Teilen Ostdeutschlands konkrete Einschränkungen demokratischen Handelns bewirke.

176

aa) Die Partei agiere bestimmender, sichtbarer und provokativer in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, wo sie über strukturstarke, kommunal verwurzelte Landesverbände verfüge. Abhängig hiervon sei auch der Grad der Verwirklichung ihrer Strategie: Vollständig "national befreite Zonen" im Sinne der Ideologie der Antragsgegnerin gebe es in Deutschland nicht. Die Verwirklichung des räumlichen Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin erfolge vielmehr graduell unterschiedlich.

177

(1) Innerhalb dieser Skala stelle der mecklenburgische Kleinstort Jamel einen Extremfall dar. Das Dorf werde gesellschaftlich fast vollständig - sechs von zehn Anschriften - von Rechtsextremisten beherrscht. Zentrale Figur sei K., der von 2009 bis 2011 für die Antragsgegnerin im Kreistag Nordwestmecklenburg und von November 2010 bis Januar 2011 als Beisitzer im Landesvorstand vertreten gewesen sei. Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des K. seien 72 Fotos prominenter Politiker und Personen jüdischen Glaubens aufgefunden worden, die als Zielscheibe gefertigt gewesen seien und teilweise Einschusslöcher von Luftdruckwaffen aufgewiesen hätten.

178

Die Majorisierung des Ortes Jamel durch Rechtsextremisten finde deutlichen Ausdruck im Dorfbild. Markant sei zum einen ein Holzwegweiser, der unter anderem Richtung und Entfernung nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, angebe und der die Stadt Wien mit der von den Nationalsozialisten für Österreich verwendeten Benennung "Ostmark" konnotiere. Dominant sei zum anderen ein Wandgemälde mit dem Schriftzug "Dorfgemeinschaft Jamel frei-sozial-national". Die Dominanz der Rechtsextremisten rufe bei den wenigen sonstigen Bewohnern ein hohes Bedrohungsgefühl hervor.

179

Ein Ehepaar, das sich als einzige Personen im Ort offen gegen Rechtsextremismus ausspreche und engagiere, sei zahlreichen Einschüchterungsversuchen und Verunglimpfungen ausgesetzt. Bei einem von diesem Ehepaar veranstalteten Musikfestival sei es 2010 zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, als ein Mitarbeiter der von K. betriebenen Firma mit den Worten "Ich bin ein Nazi" einem Festivalteilnehmer mehrere Faustschläge versetzt habe. Von einem Gemeindevertreter der Antragsgegnerin sei das Ehepaar mit den Worten bedroht worden: "Sie sollten an mich verkaufen, solange Sie noch können." Die unmittelbar neben dem Wohnhaus des Ehepaars befindliche Scheune sei in der Nacht vom 12. auf den 13. August 2015 in Brand gesetzt worden.

180

(2) Die Antragsgegnerin erhebe auch in anderen Gebieten Ostdeutschlands Dominanzansprüche und unternehme Schritte zu ihrer Realisierung:

181

(a) Der Ort Anklam werde als "national befreite Zone" beansprucht. Ihren Dominanzanspruch manifestiere die Antragsgegnerin nicht nur durch Präsenz und ein nationales Begegnungszentrum, sondern auch durch ihr Handeln: So seien im Zusammenhang mit einer Kundgebung der Antragsgegnerin am 31. Juli 2010 von der Stadt aufgestellte Schilder mit dem Text "Kein Ort für Neonazis" über Nacht entfernt, rund zweihundert Plakate abgehängt, sechs Großaufsteller an den Zufahrtsstraßen zerstört und ein Transparent am Stadttor mit Farbbeuteln beworfen worden. In der Stadt habe sich niemand gefunden, der Anzeige erstattet hätte. Viele Geschäftsleute hätten zuvor Angst gehabt, die Plakate gegen Rechtsextremisten in ihre Schaufenster zu hängen.

182

(b) Ähnliche Dominanzansprüche erhebe die Antragsgegnerin für die Stadt Lübtheen und für deren näheren Umkreis, wobei sie diesen unter anderem durch Immobilienerwerb und den gezielten Zuzug mehrerer führender Funktionäre durchzusetzen suche. Zur Manifestation des Dominanzanspruchs zeige die Antragsgegnerin Präsenz bei örtlichen Veranstaltungen, auch wenn diese gegen Rechtsextremismus gerichtet seien. Im Stadtzentrum werde eine prominente Immobilie von der Antragsgegnerin genutzt, in der sie unter anderem ein Bürgerbüro sowie die Bundesgeschäftsstelle der JN eingerichtet habe. Zudem unternähmen Mitglieder und Anhänger der Antragsgegnerin umfangreiche Anstrengungen zur Verankerung der Partei in der Mitte der Gesellschaft, etwa durch die Beteiligung an der Gründung eines Sportvereins "Sportfreunde Griese Gegend e.V." und die Veranstaltung von Vorträgen und sogenannten Nervendruckseminaren.

183

Der Dominanzanspruch zeige sich gegenüber politischen Gegnern durch aggressive Einschüchterungsversuche. Dazu gehörten das Verfolgen und Fotografieren von Personen, Beschimpfungen und gezielte Kampagnen auf Flugblättern sowie unterschwellige Drohungen. Voll realisieren könne die Antragsgegnerin ihren Dominanzanspruch nicht - auch wegen umfangreicher Aktivitäten einer von der Bürgermeisterin initiierten Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus. Dennoch sei die Antragsgegnerin in Lübtheen nach Einschätzung der Bürgermeisterin "durch ständige Präsenz ein Stück Normalität" geworden. Dies führe zu Ängsten in der Bevölkerung, die demokratisches Handeln beeinträchtigten.

184

(3) Die Realisierung des Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin erfolge auch durch reale oder angekündigte physische Präsenz, die gegen Minderheiten und Andersdenkende gerichtet sei. Beispiele hierfür seien Aufrufe zur Bildung von Bürgerwehren sowie der "NPD-Ordnungsdienst":

185

(a) Der "Bürgerwehr"-Gedanke kombiniere mehrere Aspekte, die zur Einschüchterung von Minderheiten und Gegnern beitrügen: Die Antragsgegnerin gebe vor, die Interessen der Mehrheit des Volkes zu wahren und diese zu vertreten; gleichzeitig stelle sie bestimmte Minderheiten pauschal als Sicherheitsrisiko dar und unternehme konkrete Schritte, um diese einzuschüchtern. Darüber hinaus diffamiere die Antragsgegnerin den Staat, der angeblich seinem Schutzauftrag nicht nachkomme. Dies münde schließlich in die Forderung, die Ordnung des Grundgesetzes revolutionär zu überwinden.

186

In mehreren - vom Antragsteller im Einzelnen aufgeführten Fällen - hätten führende Vertreter der Antragsgegnerin, teilweise verbunden mit fremdenfeindlicher Agitation, zur Gründung von Bürgerwehren aufgerufen, bestehende Bürgerwehren unterstützt und als einschüchternd empfundene "Bürgerstreifen" und "Patrouillen" durchgeführt.

187

(b) Die Antragsgegnerin verfüge über einen "Ordnungsdienst", bei dem eine dominante physische Präsenz der Partei im öffentlichen Raum zusammentreffe mit einschüchterndem Vorgehen gegen politische Gegner. Der Ordnungsdienst werde mit mehreren Übergriffen auf Gegendemonstranten - etwa in Lingen und in Aschaffenburg im Jahr 2013 - in Verbindung gebracht.

188

(4) Die Jugendorganisation der Antragsgegnerin (JN) verbalisiere den territorialen Dominanzanspruch besonders provokativ und offensiv und verlasse dabei den Bereich des rein geistigen Meinungskampfes. Eine Demonstration 2014 in Erfurt habe unter der Losung gestanden "Hol dir deine Stadt zurück! In Erfurt sicher leben!" und sei mit der Forderung beworben worden, "Bandenbildung, Ausbreitung von Modedrogen und spürbare Überfremdung" zu bekämpfen. Der sächsische JN-Landesverband habe im Sommer 2014 unter dem Motto "Weg mit dem Drogendreck" eine auf Jugendliche zugeschnittene Kampagne mit einem "Platzhirsch" als Maskottchen durchgeführt. Dabei hätten die JN den Schulunterricht gestört und Propagandamaterial verteilt. Begleitend zu dieser Kampagne hätten sie eine Publikation mit einer Auflage von 10.000 Stück unter dem Titel "Platzhirsch - Der Schülersprecher"an Jugendliche verteilt und im Internet zum Download angeboten. Darin sei vor massiver Überfremdung durch Masseneinwanderung, dem besonders invasorischen Islam und einem falschen Schuldkomplex gewarnt worden.

189

bb) Über das allgemeine Dominanzstreben hinaus sei die Antragsgegnerin für konkrete Einschüchterungen von politischen Verantwortungsträgern verantwortlich: Das Spektrum der Aktivitäten reiche von persönlichen Bedrohungen politischer Gegner und Störungen von deren Aktivitäten bis hin zu tätlichen Angriffen. Dabei wolle die Antragsgegnerin durch im Privaten spürbaren physischen und vor allem psychischen Druck politische Gegner von der Ausübung öffentlicher Aktivitäten abhalten oder diese jedenfalls sanktionieren. Eine Liste solcher Einschüchterungsversuche durch die Antragsgegnerin und andere rechtsextremistische Gruppierungen habe die Psychologin Anette Hiemisch zusammengestellt.

190

(1) In der Bandbreite der Einschüchterungsmaßnahmen stellten Angriffe auf Wahlkreisbüros noch die "relativ schwächste" Form dar; auch lasse sich hier eine unmittelbare Täterschaft der Antragsgegnerin schlechter nachweisen als in anderen Beispielen. Jedoch sei belegbar, dass die Antragsgegnerin solche Anschläge gutheiße und dazu motiviere.

191

So sei 2010 auf der rechtsextremistischen Internetseite "mupinfo" ein Artikel unter der Überschrift "Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt" veröffentlicht worden, der Bezug auf vorausgegangene "Anschläge auf Bürgerbüros der SPD" genommen habe. Daran anknüpfend sei dazu aufgerufen worden, bei den örtlichen Bürgerbüros vorbeizuschauen und "brutalstmögliche Hilfestellung bei der Aufklärung der Fälle zu leisten". Abschließend habe der Artikel eine Auflistung sämtlicher Bürgerbüros der CDU-, FDP- und SPD-Fraktionen sowie der Partei DIE LINKE mit den Namen der Abgeordneten und den vollständigen Büroanschriften enthalten. Auffallend sei eine damit zeitlich zusammenfallende, enorme Häufung von Angriffen auf Wahlkreisbüros in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2010 und 2011. Regelmäßig sei über einen längeren Zeitraum auf "mupinfo" wohlwollend über Angriffe auf Bürgerbüros berichtet worden.

192

(2) Am 5. Dezember 2010 habe sich eine Gruppe von zwölf Aktivisten um den Landtagsabgeordneten David Petereit vor dem Haus des ehrenamtlichen Bürgermeisters von Lalendorf (Mecklenburg-Vorpommern) versammelt, nachdem sich dieser geweigert gehabt habe, einer rechtsextremistischen Familie die Patenurkunde des Bundespräsidenten zur Geburt des siebten Kindes zu überreichen. Mehrere Beteiligte hätten das Grundstück ohne Einverständnis des Hausrechtsinhabers betreten. Die Rechtsextremisten hätten Flugblätter mit dem Inhalt verteilt, dass der Bürgermeister mit einem "Stalinorden für Demokratieerhalt" durch das "Ministerium für Gemeindesicherheit Lalendorf" zu belohnen sei. Fünf der in Lalendorf beteiligten Rechtsextremisten, darunter das frühere NPD-Kreistagsmitglied S., hätten wegen Verdachts des Hausfriedensbruchs vor Gericht gestanden. Die Ehefrau des Lalendorfer Bürgermeisters habe sich während und nach der Aktion erheblich bedroht gefühlt.

193

(3) Die Bedrängung und Einschüchterung von Lokalpolitikern sowie die Behinderung ihrer Aktivitäten seien sowohl erklärtes Ziel als auch tatsächlicher Inhalt der Kampagne "Den Feind erkennen - den Feind benennen", die der NPD-Kreisverband Berlin-Pankow am 21. Januar 2015 ausgerufen habe. Erstes konkretes Ziel dieser Kampagne sei der Pankower Bezirksbürgermeister K. gewesen. Parallel zu einer seiner Sprechstunden hätten zunächst circa zehn Rechtsextremisten eine vom Pankower NPD-Kreisvorsitzenden S. angemeldete Kundgebung durchgeführt, bevor sich zwei Teilnehmer Zugang zur Sprechstunde verschafft hätten. Die eigene Darstellung der Ereignisse durch den Kreisverband Berlin-Pankow dokumentiere die Einschüchterung des Bürgermeisters.

194

(4) In Schneeberg (Sachsen) seien am 12. Oktober 2013 nach einer Kundgebung gegen die geplante Unterbringung von Asylbewerbern, auf der der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin H. (Erzgebirgskreis) gesprochen habe, 30 bis 50 Veranstaltungsteilnehmer vor das Privathaus des damaligen Bürgermeisters gezogen. Dieser habe die Situation als unangenehm und bedrohlich empfunden. Auch die zu dieser Zeit anwesenden Nachbarn seien entsetzt und verängstigt gewesen.

195

(5) In Schöneiche bei Berlin (Brandenburg) hätten Anhänger der Antragsgegnerin in den Jahren 2007 bis 2009 das Sukkot-Fest, das Chanukka-Fest und wiederum das Sukkot-Fest in der Kulturgießerei von Schöneiche gestört. Dabei sei unter anderem sinngemäß der Ausspruch getätigt worden: "Da sitzen also alle, die beim Vergasen vergessen wurden."

196

Wenige Tage nach der letzten Störung sei es zu einer Bedrohung des Bürgermeisters J. durch drei vermummte Personen auf seinem privaten Grundstück gekommen, die gegen 23:40 Uhr bei ihm zu Hause geklingelt und ihn unter anderem mit den Worten beschimpft hätten: "Da ist ja der Volksfeind!" und "Dir werden wir es zeigen!".

197

Beim Heimatfest von Schöneiche am 14. Juni 2009 seien schließlich zwei Männer aus einer Gruppe um den Ortsverbandsvorsitzenden der Antragsgegnerin S. bedrohlich gegenüber dem Bürgermeister aufgetreten und hätten aggressiv auf diesen eingeredet. Erst eine Polizeistreife habe die Situation beendet und die Personen zur Wache mitgenommen.

198

(6) Im Landtagswahlkampf 2009 habe die Antragsgegnerin eine rassistische und bedrohlich wirkende Kampagne gegen S., einen in der CDU engagierten Lokalpolitiker in Thüringen, geführt, der auf einem Wahlplakat der CDU zu sehen gewesen sei. Er sei wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft aus Angola als "CDU-Quotenneger" bezeichnet worden und verbalen Angriffen der Antragsgegnerin ausgesetzt gewesen, die den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt hätten. In einem Internetbeitrag der NPD Thüringen sei angekündigt worden, S. persönlich aufsuchen und dazu animieren zu wollen, in seiner Heimat Angola mit den hier eingezahlten Sozialversicherungsbeiträgen ein neues Leben zu beginnen.

199

(7) Eine fortlaufende Bedrohungslage habe sich seit 2013 für eine Stadtvertreterin und gleichzeitiges Kreistagsmitglied der Partei DIE LINKE in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) entwickelt, die Leiterin einer soziokulturellen Begegnungsstätte sei und sich engagiert gegen Rechtsextremismus einsetze.

200

Aussagekräftig für die Einschüchterungstaktik sei ein Vorfall, bei dem sie mit Reportern des Magazins "Stern" in einem Lokal in Güstrow gesprochen und der Funktionär der Antragsgegnerin M. sie von außen entdeckt habe. Nachdem sie M. und dessen - offenbar herbeigerufene - Gruppe weggeschickt hatte, habe ihre 15-jährige Tochter angerufen und von Nazis vor dem Haus der Familie berichtet. Als die Polizei gekommen sei, sei die Tür zu dem Mehrfamilienhaus aufgebrochen gewesen, die Täter seien geflüchtet und auf den Briefkästen hätten Nazi-Aufkleber geklebt. Weiterhin berichte die Stadtvertreterin von regelmäßigen Sachbeschädigungen, Drohbriefen, persönlichen Ansprachen, Verleumdungskampagnen und Verfolgung - vor allem auch im Internet - sowie Präsenz von Rechtsextremisten vor ihrer Wohnung. Auf der rechtsextremistischen Internetseite "Der Staatsstreich" werde sie als "Güstrower Asyl-Mutti" bezeichnet. Auch auf der Facebook-Seite der rechtsextremistischen Initiative "Güstrow wehrt sich gegen Asylmissbrauch" sei herablassend über sie berichtet worden. Die örtliche Polizei habe aufgrund der Bedrohungslage eine Schutzmaßnahme angeordnet.

201

(8) Neben Drohungen gehöre auch Gewalt gegen politische Gegner zu den Mitteln der Antragsgegnerin: Am 3. Mai 2012 sei G., der dem NPD-Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern angehört habe und als Geschäftsführer der NPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sei, vom Landgericht Rostock wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten mit Bewährung verurteilt worden. G. habe in Pölchow Personen, die in einem Zug auf dem Weg zu einer Gegendemonstration gegen eine Veranstaltung der Antragsgegnerin in Rostock gewesen seien, aber auch Unbeteiligte angegriffen.

202

(9) Die persönlichen Aktionen gegen politische Gegner umfassten schließlich auch Angriffe auf Menschen mit anderer politischer Gesinnung, ohne dass diese dazu konkreten Anlass gegeben hätten:

203

In der Nacht zum 15. August 2013 hätten Bewohner eines alternativen Wohnprojekts in Greifswald über Notruf gemeldet, eine Gruppe von fünfzehn bis zwanzig schwarz gekleideten und vermummten Personen stehe - mit Stöcken bewaffnet - vor der Eingangstür und rufe "Kommt raus, kommt raus!". Zwei Scheiben der Tür seien zerstört worden, danach habe sich die Gruppe mit Fahrzeugen in unbekannte Richtungen entfernt. Zu den Tätern habe unter anderem der damalige Usedomer Stadtvertreter der Antragsgegnerin O. gehört, den das Amtsgericht Greifswald aufgrund dieses Vorfalls wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung verurteilt habe.

204

(10) Teil der Strategie der Antragsgegnerin sei es schließlich, durch offensiv-aggressives Auftreten, Störungen oder sogar tätliche Angriffe bei Veranstaltungen des politischen Gegners mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Dabei werde auch die Begehung von Straftaten in Kauf genommen.

205

Beispiel für ein solches Vorgehen sei ein Angriff von JN-Funktionären auf eine DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar. Dort hätten rund vierzig Rechtsextremisten - darunter etliche Aktivisten der sächsischen JN - zunächst versucht, die Veranstaltung mittels einer provokativen "Wortergreifung" agitatorisch zu vereinnahmen. Sodann hätten sich die Rechtsextremisten rasch und gezielt auf das Rednerpult zubewegt und dem Redner, dem Bundestagabgeordneten Carsten Schneider (SPD), das Mikrofon entrissen. Einem weiteren Politiker solle ein Holzstiel in den Magen gestoßen und mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden sein. Eintreffende Polizeibeamte hätten 27 Störer vorläufig festgenommen, darunter die JN-Funktionäre G., H. und R. Der Bundespressesprecher der Antragsgegnerin Klaus Beier. habe den Vorfall in Weimar banalisiert und ihn als "legitime Protestaktion gegen den globalen Kapitalismus" dargestellt. Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter habe unter der Überschrift "Solidarität ist eine Waffe!" klargestellt, "geschlossen hinter den JN-Aktivisten" zu stehen, "welche in Weimar für ihr Recht auf die Straße gegangen sind".

206

(11) Bei einer Informationsveranstaltung über die anstehende Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach nahe Aschaffenburg am 6. Juli 2015 sei es zu massiven Störungen durch die örtliche NPD gekommen. Die NPD-Vertreter hätten von Beginn an mit Zwischenrufen, dem Entrollen eines Banners mit der Aufschrift "Schluß mit der 'Flüchtlings‛-Lüge. Goldbach sagt Nein!" und dem Werfen von Flyern mit dem Slogan "Asylbetrug macht uns arm!" gestört. Als die übrigen Versammlungsteilnehmer die Aktivisten der Antragsgegnerin zum Verlassen des Saals hätten bewegen wollen, habe der Vorsitzende des Kreisverbands Aschaffenburg der Antragsgegnerin S. einen ihn hinausdrängenden Teilnehmer unvermittelt mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

207

(12) Am 5. März 2015 habe der ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz sein Amt mit der Begründung aufgegeben, ein genehmigter Demonstrationszug zu seinem Privathaus sei als Bedrohung für seine von behördlicher Seite nicht ausreichend geschützte Familie zu sehen.

208

Der Antragsgegnerin sei es zuvor in Tröglitz gelungen, den sich seit Anfang 2015 formierenden Widerstand gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu forcieren. Im Zeitraum vom 4. Januar bis 15. März 2015 hätten wöchentlich Kundgebungen gegen die geplante Asylbewerberunterkunft mit 70 bis 200 Teilnehmern stattgefunden, die jeweils durch den Funktionär der Antragsgegnerin T. angemeldet worden seien. Unter den Anwesenden hätten sich bei diesen sogenannten "Abendspaziergängen" auch Angehörige der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene befunden.

209

Der Rücktritt des Ortsbürgermeisters sei von der Antragsgegnerin in Sachsen-Anhalt zunächst uneingeschränkt als Erfolg bewertet worden. In den darauf folgenden öffentlichen Stellungnahmen habe die Antragsgegnerin den Rücktritt zusehends vorsichtiger kommentiert. Der Bundesvorsitzende Franz habe in Bezug auf die Medienschlagzeile "NPD jagt CDU-Bürgermeister aus dem Amt - weil er sich für Flüchtlinge engagierte" geäußert: "Die Presse verdreht zwar die Tatsachen total, aber solche Titel könnte es öfter geben."

210

cc) Einschüchterungen und Drohungen durch die Antragsgegnerin erfolgten auch gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten. Die bedrohlichen Aktivitäten der Antragsgegnerin richteten sich zum einen gegen ethnische Minderheiten - insbesondere gegen Asylbewerber. Zum anderen führe die Ethnisierung religiöser Fragen dazu, dass die Antragsgegnerin einzelnen Glaubensgemeinschaften in toto eine Existenzberechtigung in Deutschland abspreche.

211

(1) Dass die Vertreter der Antragsgegnerin ihre Drohungen auch unmittelbar gegenüber Einzelpersonen aussprächen, belege ein ZDF-Interview des späteren stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk, in dem dieser der in Deutschland geborenen Moderatorin, einer deutschen Staatsangehörigen, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft das Bleiberecht in Deutschland abgesprochen habe. Gleiches gelte für das Verhalten des Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin G., der eine aus Kenia stammende Frau als "Nigger", "Negerschlampe" und "Unrat" bezeichnet habe und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden sei.

212

(2) Ihren Antisemitismus bringe die Antragsgegnerin teilweise subtiler zum Ausdruck als ihren Hass gegenüber anderen Minderheiten. Dieser münde aber ebenfalls in konkrete Aktionen, die einschüchternd oder bedrohend wirkten. Neben den Vorgängen in Schöneiche und provokanten Aktionen vor jüdischen Einrichtungen könnten beispielhaft Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern genannt werden, die von Anhängern der Antragsgegnerin begangen beziehungsweise von dieser gutgeheißen worden seien: In Demmin hätten am 19. August 2010 vier Personen die Stelle besprüht, an der in der darauf folgenden Woche "Stolpersteine" zur Erinnerung an die hier einst wohnenden jüdischen Mitbürger hätten verlegt werden sollen. An eine Gebäudewand seien in roter Farbe ein Judenstern und die Worte "Hess statt Davidsstern und jedem das seine" gesprüht worden. Fünf Personen seien vorläufig festgenommen, die Tatmittel und Plakate sichergestellt worden. Ein Tatverdächtiger habe in seiner Vernehmung angegeben, seit 2006 Mitglied der Antragsgegnerin zu sein. Bei den Durchsuchungen seien unter anderem die NPD-Schulhof-CD von 2006 sowie verschiedene NPD-Flugblätter und das Mitteilungsblatt der NPD-Landtagsfraktion "Der Ordnungsruf" aufgefunden worden.

213

Am 20. August 2010 hätten unbekannte Täter in der Innenstadt von Ueckermünde vier "Stolpersteine" mit schwarzer Farbe beschmiert, weiterhin seien circa 100 Plakate mit dem Inhalt geklebt worden: "Rudolf Hess - Im Alter von 93 Jahren in Berlin ermordet. Trotz § 130 Mord bleibt Mord! freies-pommern.de - Pommern im Herzen - Deutschland im Sinn!".

214

Die JN hätten den Gaza-Krieg im Sommer 2014 zum Vorwand genommen, um im Stil des nationalsozialistischen "Judenboykotts" auf Facebook einen Boykottaufruf für israelische Waren zu veröffentlichen.

215

(3) Die Antragsgegnerin fordere den vollständigen Rückzug des Islam beziehungsweise hier lebender Muslime aus Europa. Exklusion und Aufrufe zu entsprechendem Tätigwerden fänden sich bundesweit bei sämtlichen Parteigliederungen. In besonders aggressiver Weise werde auf der Facebook-Seite des bayerischen Landesverbands zur Bekämpfung des Islam aufgerufen, auf der von einem "Kampf für euer Leben" und einem "neuen Kreuzzug" die Rede sei.

216

Kampfaufrufe blieben nicht auf der rhetorischen Ebene, sondern mündeten in konkrete Aktionen. Beispielhaft sei ein Aufruf zu einer Demonstration am 17. August 2013 unter dem Motto "Maria statt Scharia! Islamisierung und Überfremdung stoppen" gegen die Moschee in Leipzig-Gohlis zu nennen. Die Demonstration habe vor der Moschee stattgefunden, so dass die unmittelbare physische Präsenz für die Betroffenen wahrnehmbar gewesen sei. Ähnlich aggressiv sei eine Aktion von Mitgliedern der Antragsgegnerin und der JN am 20. August 2014 auf dem Baugrundstück der Moschee in Leipzig im Rahmen einer nicht angemeldeten öffentlichen Versammlung gewesen.

217

(4) In den Jahren 2013 und 2014 habe die Antragsgegnerin bei Wahlkämpfen auf Europa-, Bundes- und Landesebene ein Plakat mit dem antiziganistischen Motto "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" eingesetzt. Für das Parteiverbotsverfahren bedeutsam seien nicht die Strafbarkeit der Aussage, sondern die Ängste, die nach Auskunft des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma solche diffamierenden Äußerungen durch die Antragsgegnerin bei Sinti- und Roma-Familien hervorriefen.

218

dd) Durch die dargestellten Einschüchterungen, Bedrohungen und Angriffe entstünden Ängste und Hemmungen, sich öffentlich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Die dauerhafte kommunale Präsenz und das "Kümmerer-Image" der Antragsgegnerin bewirkten eine gesteigerte Akzeptanz rechtsextremistischer, demokratiefeindlicher Ansichten in der Gesellschaft und die Furcht vor einer sozialen Stigmatisierung als "Nestbeschmutzer" im Falle kritischer Auseinandersetzung mit diesen Ansichten. Diejenigen, die sich dennoch politisch engagierten, müssten nicht selten negative Folgen in ihrem Privatbereich in Kauf nehmen. Dies führe in Einzelfällen sogar zur Beendigung des politischen und sozialen Engagements.

219

(1) Strategie und Aktivitäten der Antragsgegnerin führten dazu, dass die gesellschaftliche Präsenz verfassungsfeindlicher rechtsextremistischer Ansichten in einigen Gegenden Ostdeutschlands als Normalität angesehen werde.

220

Insbesondere dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern gelinge "seit Jahren eine bürgerliche Verankerung in weiten Räumen des Landes". Die Antragsgegnerin habe sich dort "im vorpolitischen Raum festgebissen". Sozialwissenschaftliche Mikrostudien hätten dies für einzelne Regionen belegt. Die örtliche Verankerung der Antragsgegnerin in der Gesellschaft zeigten auch Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014. Trotz eines landesweiten Rückgangs im Vergleich zu 2011 habe die Antragsgegnerin - bezogen auf die Kreistagswahlen - in mehreren Gegenden erneut hohe, teilweise zweistellige Wahlergebnisse erreicht. Gleiches gelte für die Sächsische Schweiz.

221

(2) Die Akzeptanz der Antragsgegnerin in der Mitte der Gesellschaft verbinde sich insbesondere in ländlichen Gebieten mit den "Früchten" des "Kümmerer-Images" und erzeuge so bei Bürgern Hemmungen, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren. In der Gemeinde Bargischow sei ein Kandidat im Kommunalwahlkampf 2009 gegen Rechtsextremismus eingetreten, woraufhin er Schmähschriften erhalten, aber keine Solidarisierung erfahren habe.

222

(3) Noch gravierender seien Beeinträchtigungen demokratischer Prozesse durch die Furcht vor Gewalt, Drohungen oder sonstigen Nachteilen, die beispielhaft für Regionen in Mecklenburg-Vorpommern belegt werden könnten. Weite Teile der Gesellschaft seien durch die Aktivitäten der Antragsgegnerin und anderer rechtsextremistischer Gruppierungen eingeschüchtert. Solche Ängste bezögen sich zumindest auch auf das Handeln der Antragsgegnerin. Ihre Aktivitäten trügen jedenfalls entscheidend dazu bei, das beschriebene Klima hervorzurufen.

223

(4) Wenn politisches oder soziales Handeln Bedrohungsgefühle sowie Ängste um die eigene Sicherheit zur Folge habe, sei dies schon für sich eine Beeinträchtigung des demokratischen Prozesses und damit eine Gefahr für die Demokratie. Denn Demokratie sei nicht erst dann beeinträchtigt, wenn demokratische Akteure vollkommen davon absähen, ihre Rechte wahrzunehmen. Es genüge bereits, wenn Engagierten durch ihre politische Tätigkeit Nachteile für ihre Lebensführung durch Mittel drohten, die nicht zum geistigen Meinungskampf gehörten und diesem fremd seien. Solche Einflüsse schädigten den in einer Demokratie notwendigen freien Diskurs.

224

Die sozialen Mechanismen wirkten in besonderem Maße zulasten von ethnischen und religiösen Minderheiten. Für diese werde ein Klima der Angst ausgelöst durch das Zusammenwirken der aggressiven Rhetorik mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der Antragsgegnerin in Teilen Ostdeutschlands und mit der durch Erfahrung begründeten Kenntnis innerhalb dieser Minderheiten, dass die Antragsgegnerin sowohl selbst zu aggressiven Aktionen, Bedrohungen und sogar Angriffen bereit sei, als auch über ein Netzwerk verfüge, zu dem gewaltbereite Personen gehörten. Konkrete Ängste würden von den Betroffenen selbst bestätigt. Diese Ängste seien der Antragsgegnerin zuzurechnen.

225

2. Hinsichtlich der im Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 angesprochenen Frage aggressiven Vorgehens gegen Asylbewerber und Flüchtlinge hat der Antragsteller ausgeführt, dass dieses seit Mitte 2013 sowohl inhaltlich als auch quantitativ ein Schwerpunkt der Tätigkeiten der Antragsgegnerin gewesen sei.

226

a) Das Maß an Aggressivität der Antragsgegnerin gegen Asylbewerber lasse sich allerdings schwerlich in Zahlen fassen. Es erschließe sich vollständig nur bei Betrachtung der menschenverachtenden Ideologie und der darauf basierenden diffamierenden und hetzerischen Rhetorik, die bestimmten Personen die Menschenwürde abspreche. Auch lasse sich die Aggressivität nicht alleine an der Anzahl der Demonstrationen erkennen, weil diese nur einen Ausschnitt der Agitation gegen Asylbewerber darstellten. Hinzu kämen neben parteiinternen Veranstaltungen auch in die Öffentlichkeit wirkende Agitationsformen, wie etwa "Kontrollbesuche" von Asylunterkünften.

227

Seit 2013 ließen sich konstant hohe Zahlen von Demonstrationsveranstaltungen nachweisen, die auf das Thema Asyl Bezug nähmen und von der Antragsgegnerin angemeldet worden seien. Allein im Jahr 2014 habe bei fast der Hälfte der bundesweit von der Antragsgegnerin angemeldeten 123 Kundgebungen und Demonstrationen der thematische Schwerpunkt im Bereich "Asyl" gelegen. Nicht berücksichtigt sei dabei eine Vielzahl von Kundgebungen mit einer Teilnehmerzahl von weniger als 20 Personen.

228

Die von der Antragsgegnerin organisierten Demonstrationen reichten thematisch von der schlichten Ablehnung von Asylbewerberunterkünften bis zu Warnungen vor einer vermeintlichen völkischen und kulturellen Überfremdung durch Asylbewerber, welche den Fortbestand des deutschen Volkes und seiner Kultur bedrohe. Bereits in vielen Veranstaltungseinladungen komme die diffamierende Haltung der Antragsgegnerin gegenüber Flüchtlingen zum Ausdruck, die pauschal als "Scheinasylanten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" verunglimpft würden. Oftmals knüpften die Veranstaltungen auch an angeblich steigende Kriminalitätsraten - insbesondere im Bereich der Gewalt- und Drogendelikte - im Umfeld von Asylunterkünften an.

229

b) Die Agitation gegen Asylbewerber habe für die Antragsgegnerin zwei Funktionen: Zum einen wolle sie auf diese Weise Schritte zur Verwirklichung der rassistisch definierten "Volksgemeinschaft" gehen. Zum anderen wolle sie an angebliche oder tatsächlich vorhandene Alltagssorgen anknüpfen und sich dadurch in der gesellschaftlichen Mitte etablieren. Die Antragsgegnerin versuche vorsichtig, aber zugleich zielstrebig, bürgerliche Proteste mit ihrem rassistischen Denken zu infiltrieren. Innerhalb der Partei und gegenüber eigenen Anhängern würden hingegen die eigentliche Motivation, das wahre Ziel (die rassistisch definierte "Volksgemeinschaft") und der Wille, dieses revolutionär zu verwirklichen, deutlich artikuliert.

230

Der exkludierende Inhalt, die große Anzahl der Veranstaltungen und die Aggressivität der Veranstaltungsformen führten bei den betroffenen Asylbewerbern zwangsläufig zu einem Gefühl des Bedrohtseins. Dies sei von der Antragsgegnerin auch bezweckt, da sie ein gesellschaftliches Klima herstellen wolle, in dem ethnischen Minderheiten ihre demokratischen Rechte abgesprochen würden. Seit Beginn der aggressiven Aktivitäten gegen Asylbewerber habe sich die Anzahl der Übergriffe gegen Asylbewerberunterkünfte vervielfacht.

231

c) Obwohl sich die Antragsgegnerin in der Öffentlichkeit eine strategische Zurückhaltung auferlegt habe, kämen die ideologische Motivation und die Ziele der Agitation gegen Asylbewerber in einer Vielzahl von (überwiegend an eigene Anhänger gerichteten) Äußerungen zum Ausdruck.

232

aa) Die rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit zeige sich, wenn in Bezug auf Asylbewerber Begriffe wie "entartete Menschen", "Negerbande", "lautstarke und alkoholisierte Asyl-Neger", "Scheinasylanten", "Asyl-Betrüger", "Moslem-Extremisten" oder "kriminelle Ausländer"verwendet würden. Die rassistische, ehrverletzende und menschenverachtende Ideologie drücke die Antragsgegnerin auch auf Facebook-Profilen ihrer jeweiligen Organisationseinheiten aus. So habe die bayerische NPD in einem Facebook-Eintrag vom 10. Mai 2015 deutsche Frauen vor einer Beziehung mit farbigen Migranten gewarnt und dabei an nationalsozialistische Terminologien angeknüpft. Auch habe sie pauschal behauptet, von Flüchtlingen gehe ein Gesundheitsrisiko für Deutsche aus.

233

bb) Die Antragsgegnerin mache auch deutlich, welches politische Ziel aus dieser menschenverachtenden Ideologie resultiere: die Exklusion ethnischer Minderheiten, die gegebenenfalls auch zwangsweise durch Gewalt umgesetzt werden solle. Dies reiche bis zu einer Gutheißung der Tötung von Flüchtlingen. Dabei überschneide sich die Agitation gegen Asylbewerber und Muslime häufig.

234

Ziel der Antragsgegnerin sei es, Asylbewerbern ihre angeblich fehlende Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" deutlich zu machen und sie dadurch einzuschüchtern. So rufe etwa die NPD Bayern dazu auf, den pauschal als "Sozialschmarotzer"verunglimpften Asylbewerbern eindringlich zu verdeutlichen, in Deutschland nicht willkommen zu sein. Zudem solle Druck auf Politiker ausgeübt werden: So habe der Kreisverband Unna/Hamm in einem Facebook-Eintrag nicht nur jede Verpflichtung Deutschlands zur Aufnahme von Flüchtlingen drastisch zurückgewiesen, sondern politischen Verantwortungsträgern, die sich in diesem Sinne engagierten, nach einem Machtwechsel drastische Strafen angedroht.

235

d) Das aggressive Vorgehen der Antragsgegnerin zeige sich anhand beispielhafter Aktivitäten in Sachsen:

236

aa) Eine Demonstration der Antragsgegnerin in Dresden am 24. Juli 2015 unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße" habe sich gegen ein vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) und Technischen Hilfswerk (THW) aufgebautes Zeltlager in einem Dresdner Gewerbegebiet gerichtet. Die Antragsgegnerin habe aufgrund ihrer regional starken Stellung und guter Organisation 200 Anhänger mobilisieren können. Die Veranstaltung habe nicht nur den örtlichen Protest gegen Migranten erheblich angefacht, sondern auch eine Atmosphäre der Bedrohung bis hin zur Anwendung von Gewalt gefördert: So sei es im Nachgang zur Demonstration zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, in deren Folge drei Gegendemonstranten verletzt worden seien. Nach Polizeiangaben seien die Gewalttaten von Teilnehmern der Kundgebung ausgegangen.

237

Die Auseinandersetzungen um die Zeltunterkunft in Dresden-Friedrichstadt hätten sich in den Folgetagen fortgesetzt und zu einer Attacke von rund 20 Rechtsextremisten auf 15 Asylbefürworter geführt. Beim Aufbau der Zeltstadt sei es zudem zu Angriffen auf Mitarbeiter des DRK durch Asylgegner gekommen.

238

bb) In Schneeberg habe der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin eine Protestbewegung gegen die Einrichtung einer Asylbewerberunterkunft initiiert, die in der Folgezeit eine beträchtliche, weit über das rechtsextremistische Spektrum hinausreichende Resonanz gefunden habe. Unter dem Label "Schneeberg wehrt sich" habe er Anhänger gesammelt und von Oktober 2013 bis Januar 2014 vier sogenannte "Lichtelläufe" in Form von Fackelumzügen organisiert. Durch die Vermeidung eines offenen Parteibezugs und den volkstümlichen Anstrich der Veranstaltung sei ein hoher Mobilisierungserfolg erzielt worden. An den Veranstaltungen hätten sich bis zu 1.800 Personen beteiligt. Bereits vor dem ersten "Lichtellauf" sei es im Nachgang einer Kundgebung zu dem beschriebenen Vorfall gegenüber dem dortigen Bürgermeister gekommen.

239

cc) In Leipzig hätten sich 2013 die fremdenfeindlichen Proteste der Antragsgegnerin auf die Agitation gegen einen Moscheeneubau im Stadtteil Gohlis und gegen die Einrichtung einer Asylunterkunft im Stadtteil Schönefeld konzentriert. Den Protest gegen diese Asylunterkunft habe die Antragsgegnerin zu instrumentalisieren und organisatorisch an sich zu ziehen versucht.

240

In den Orten Rötha und Borna ließen sich ebenfalls starke NPD-Bezüge von zwei Bürgerinitiativen nachweisen, die gegen die Aufnahme von Asylbewerbern gerichtet seien. An der Demonstration der Bürgerinitiative "Rötha wehrt sich" am 14. November 2013 hätten Funktionäre der Antragsgegnerin nicht nur teilgenommen, sondern seien auch als Redner aufgetreten.

241

dd) In Bautzen habe die Nutzung des dortigen Spreehotels als Flüchtlingsheim im Fokus der Anti-Asyl-Agitation der Antragsgegnerin gestanden. Dabei sei deutlich geworden, dass die Antragsgegnerin versuche, von ihr organisierte Proteste zur Einschüchterung von politischen Akteuren und Privatpersonen zu nutzen. Die Einrichtung sei durch eine Delegation besucht, mehrere Mahnwachen vor der Unterkunft durchgeführt und aggressiv wirkende Aufmärsche organisiert worden, für die bis zu 700 Teilnehmer hätten mobilisiert werden können.

242

ee) (1) Im Raum Sächsische Schweiz wende die Antragsgegnerin die von der Parteiführung geforderte taktisch-strategische Variabilität in besonderem Maße an. Sie habe seit Ende 2014/Anfang 2015 in mehreren Städten des Landkreises Demonstrationen gegen Asylbewerberunterkünfte organisiert. Dabei sei sie offen als NPD in Erscheinung getreten, habe als "Initiative Nein zum Heim" agiert oder mit einer weiteren Initiative namens "Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz" (DASS) kooperiert. Angehörige der Antragsgegnerin seien als Anmelder und Redner bei eigenen und von Dritten organisierten Demonstrationen aufgetreten.

243

(2) Am 21. August 2015 sei es in Heidenau zu Vorfällen gekommen, die für die Inkaufnahme von Gewalt, Einschüchterungen von Minderheiten sowie für die Nutzung von im politischen Diskurs unzulässigen Mitteln beispielhaft seien. Der Stadtrat der Antragsgegnerin R. habe gegen Pläne, einen leerstehenden Baumarkt als Asylunterkunft zu nutzen, Kundgebungen organisiert. Zu einer zentralen Protestveranstaltung am 21. August 2015 seien rund 1.100 Teilnehmer erschienen, die teilweise dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen gewesen seien. Der Demonstrationszug sei auch am Wohnhaus des Bürgermeisters vorbeigezogen, wo eine Zwischenkundgebung stattgefunden habe und dieser als "Volksverräter" beschimpft worden sei. Innerhalb des von R.geleiteten Aufzugs seien schließlich Zettel mit der Information verteilt worden, sich eine halbe Stunde nach Versammlungsende in Kleingruppen in Richtung Erstaufnahmeeinrichtung zu begeben, um eine Blockade durchzuführen.

244

Tatsächlich seien nach Ende des Aufzugs bereits rund 600 Demonstrationsteilnehmer in die Nähe des ehemaligen Baumarkts gelangt, wobei 30 Personen versucht hätten, die Durchfahrt zur Asylbewerberunterkunft zu blockieren. Im weiteren Verlauf sei es zu Angriffen auf Polizeieinsatzkräfte durch das Werfen von Steinen, Pyrotechnik und Flaschen gekommen. Infolgedessen seien insgesamt 31 Polizeibeamte verletzt worden, darunter einer schwer. Die Busse, die die Asylbewerber zur Unterkunft bringen sollten, hätten aufgrund der Sicherheitslage teilweise zu anderen Erstaufnahmeeinrichtungen umgeleitet werden müssen. Auch am Folgetag beziehungsweise in der Folgenacht sei es zu gewaltsamen Protesten von Rechtsextremisten gegen die Asylunterkunft und Angriffen auf die Polizei gekommen.

245

e) In Mecklenburg-Vorpommern dominiere der Landesverband der Antragsgegnerin das gegen Asylbewerber gerichtete rechtsextremistische Veranstaltungsgeschehen.

246

aa) In Güstrow hätten bei Demonstrationen, Fackelmärschen und Mahnwachen bekannte Funktionäre, Mitglieder und Anhänger der Antragsgegnerin entweder als Organisatoren oder als Teilnehmer mitgewirkt. Eine Demonstration am 23. März 2013 gegen eine geplante Asylunterkunft habe unter dem Motto "Einmal Deutschland und zurück - Schluß mit der volksfeindlichen Willkommenskultur" gestanden. Die Teilnehmerzahl habe bei 250 bis 300 Teilnehmern gelegen. Bei der Kundgebung seien Transparente mit fremdenfeindlichen Aufschriften mitgeführt worden und Sprechchöre wie "Wir wollen keine Asylantenheime", "Deutschland den Deutschen, Asylbetrüger raus" und "Kriminelle Ausländer raus - und der Rest - auch!" zu hören gewesen. Die Aktivitäten seien 2014 und 2015 fortgeführt worden und hätten zudem zur Gründung einer "Bürgerwehr" geführt.

247

bb) Unter dem Motto "Touristen willkommen - Asylbetrüger raus" habe der Landesverband ab dem 22. Juli 2013 eine "Infotour durch Mecklenburg und Pommern" durchgeführt. Ziel sei gewesen, Orte zu besuchen, an denen beabsichtigt sei, "Asylschnorrer" direkt in Wohngebieten unterzubringen.

248

cc) Kundgebungstouren der Landtagsfraktion 2014 und 2015 hätten unter anderem das Motto "Ausländer kosten uns Millionen - Recht auf Asyl abschaffen" und "Konsequent für deutsche Interessen" gehabt. Sie hätten gezielt regionale Proteste gegen geplante oder bereits vorhandene Asylbewerber- oder Flüchtlingsheime aufgreifen oder initiieren sollen, um diese anschließend in die eigene Richtung zu lenken.

249

dd) Zusätzlich zur Organisation von Demonstrationen habe der Landesverband durch Publikationen auf die Schaffung einer asylbewerberfeindlichen Stimmung abgezielt. So habe der NPD-nahe "Uecker-Randow Bote" auf seiner Facebook-Seite regelmäßig Meldungen über angeblich "besorgniserregende Zustände" rund um Asylunterkünfte veröffentlicht. Darüber hinaus seien stetig Lichtbilder von ankommenden Bussen mit weiteren als "Fremdländer", "Bittsteller" oder "Steuergeldverschwender" bezeichneten Personen veröffentlicht worden, die die ansässigen deutschen Familien verdrängten. Verknüpft worden seien diese Bilder mit der Botschaft, sich gegen die Zustände zu wehren und "zu rebellieren".

250

f) Das persönliche Aufsuchen von Flüchtlingsunterkünften durch Funktionäre der Antragsgegnerin sei eine besonders aggressive Form der Umsetzung der ideologischen und strategischen Postulate der Antragsgegnerin. Es ziele darauf ab, den Dominanzanspruch der Antragsgegnerin zum Ausdruck zu bringen, indem sie in den Privatbereich der Asylbewerber eindringe.

251

g) Das Verhältnis der Antragsgegnerin zur "GIDA-Bewegung" ("gegen die Islamisierung des Abendlandes"), die seit Herbst 2014 Veranstaltungen zur Asyl- und Einwanderungspolitik mit zeitweilig hohen Teilnehmerzahlen organisiere, sowie ihre Rolle bei deren Demonstrationen ließen sich nicht pauschal charakterisieren.

252

aa) Als Partei sei es der Antragsgegnerin verwehrt gewesen, an Veranstaltungen der sich als "überparteilich" bezeichnenden PEGIDA-Bewegung teilzunehmen, doch habe eine Reihe von Führungspersonen der Antragsgegnerin regelmäßig Präsenz bei deren Kundgebungen gezeigt und darüber ausführlich in den sozialen Netzwerken berichtet. Zugleich sei die Antragsgegnerin bestrebt, die Möglichkeiten auszuloten, Berührungsängste durch ein seriöses Auftreten geduldig abzubauen und die Einflussnahme der jeweiligen Konstellation vor Ort anzupassen. Sie sehe sich als Teil derselben "patriotischen Sammlungsbewegung" und habe deshalb etwa zur Unterstützung der PEGIDA-Kandidatin für die Dresdner Oberbürgermeisterwahl am 7. Juni 2015 aufgerufen. Zugleich versuche sie, die Bürgerbewegung für sich zu vereinnahmen.

253

bb) Die PEGIDA-Proteste hätten bundesweit in einer Vielzahl von Städten Nachahmer gefunden. Beteiligungs- und Partizipationsvoraussetzungen seien für die Antragsgegnerin - abhängig von der Lage vor Ort - durchaus unterschiedlich. Durchgehend habe sie aber angestrebt, als relevanter Teil des Protests wahrgenommen zu werden und diesen weiter zu forcieren. Sie habe zur Teilnahme an GIDA-Kundgebungen aufgerufen und ihre Unterstützung der Proteste angeboten.

254

cc) In Mecklenburg-Vorpommern hätten von Januar bis April 2015 17 MVGIDA-Demonstrationen stattgefunden. Von Anfang an sei eine starke Beeinflussung der MVGIDA durch den Landesverband der Antragsgegnerin erkennbar gewesen. Im weiteren Verlauf der MVGIDA-Veranstaltungen sei die Dominanz der Antragsgegnerin bei der Organisation immer deutlicher hervorgetreten, während die Teilnehmerzahlen von zunächst circa 600 auf 120 gesunken seien.

255

dd) In Thüringen gingen die Aktivitäten unter dem GIDA-Label inzwischen maßgeblich von dem Greizer NPD-Funktionär K. aus. Auf seine Initiative seien mittlerweile elf Veranstaltungen zurückzuführen. Die Teilnehmerzahlen hätten sich zwischen 110 und 290 Personen bewegt. Teilnehmer und Redner seien mehrheitlich dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen gewesen. Die Reden des K. und anderer bei diesen Veranstaltungen spiegelten nicht nur die Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes wider, sondern auch Verfassungsfeindlichkeit und Antisemitismus.

XI.

256

1. Der Senat hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2015 gemäß § 45 BVerfGG die Durchführung der mündlichen Verhandlung angeordnet (BVerfGE 140, 316) und mit gesondertem Schreiben darauf hingewiesen, dass die mit der Antragsschrift vorgelegte "Übersicht und Statistik über strafrechtliche Verurteilungen von Bundes- und Landesvorstandsmitgliedern der NPD" in anonymisierter Form nicht verwertbar sei. Daraufhin hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016 eine Übersicht in deanonymisierter Form vorgelegt und dem eine Fortschreibung der Stellungnahme des Instituts für Zeitgeschichte zur Frage der Wesensverwandtschaft von NPD und historischem Nationalsozialismus sowie ein Gutachten "Rechtsfragen eines Verbots der NPD am Maßstab der EMRK" der Professoren Dr. Grabenwarter und Dr. Walter vom 5. Februar 2016 hinzugefügt. Außerdem hat er weitere Belege eingereicht, die insbesondere Äußerungen zu Asylbewerberunterkünften, zum Umgang mit straffälligen Asylbewerbern sowie ein anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers durch den Hamburger Landesvorsitzenden der Antragsgegnerin gepostetes Gedicht betreffen. Schließlich hat der Antragsteller die Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten zu 3. mitgeteilt.

257

Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2016 hat der Antragsteller seinen Sachvortrag ergänzt: Bezüglich der Demonstration am 24. Juli 2015 in Dresden seien vier Personen ermittelt worden, die sowohl an den Gewalttätigkeiten beteiligt gewesen seien, als auch an der Demonstration teilgenommen hätten. Der Vorsitzende der Ortsgruppe der Antragsgegnerin Heidenau sei innerhalb der Gruppe gewaltbereiter Personen identifiziert worden.

258

2. Bereits mit Schriftsatz vom 26. Januar 2016 hatte der Verfahrensbevollmächtigte zu 2. der Antragsgegnerin seine Bestellung mitgeteilt.

XII.

259

In der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin einen Schriftsatz vom 2. März 2016 vorgelegt, mit dem sie im Wesentlichen auf die Antragsbegründung und den Schriftsatz des Antragstellers vom 27. August 2015 erwidert.

260

1. Der Verbotsantrag sei nicht nur mangels ordnungsgemäßer Prozessvollmacht unzulässig, sondern auch, weil keine gesetzliche Grundlage für ein Parteiverbot existiere.

261

a) Art. 21 Abs. 2 GG ziele prozessual ausschließlich auf eine Feststellung ab. Die Norm sei nicht als Verbotsvorschrift formuliert, wie dies etwa beim Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG der Fall sei. Ein Verbot werde erst durch § 46 Abs. 3 BVerfGG auf einfachgesetzlicher Grundlage normiert. Der einfache Gesetzgeber habe damit seinen Ausgestaltungsspielraum jedoch überschritten. Art. 21 Abs. 2 GG sei auf eine Feststellungsentscheidung hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit einer Partei beschränkt und überlasse es dem "mündigen Bürger", eine entsprechende verfassungsgerichtliche Erkenntnis durch Nichtwahl einer förmlich als verfassungswidrig erkannten Partei zu "vollstrecken".

262

b) Art. 21 Abs. 2 GG sei auch deshalb keine taugliche Grundlage für ein Parteiverbot, weil das in der Vorschrift enthaltene Tatbestandsmerkmal des "Beeinträchtigens" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, auf welches sich die Antragsschrift ausschließlich stütze, kein gültiges Verfassungsrecht darstelle, da es sich insoweit um ein Redaktionsversehen des Grundgesetzgebers handele.

263

c) Die Unzulässigkeit des Antrags ergebe sich außerdem aus der unzulänglichen Regelung der Antragsberechtigung für ein Verbotsverfahren. § 43 BVerfGG sei aufgrund seines Numerus clausus der Antragsberechtigten verfassungswidrig, da die Regelung der Chancengleichheit der Parteien als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung nicht hinreichend Rechnung trage. Sie sei nur gegeben, wenn eine Partei, die sich - wie die Antragsgegnerin - nicht hinter einem der antragsberechtigten Staatsorgane "verstecken" könne, auch einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Parteien stellen könne. Dementsprechend sei das vorliegende Verfahren bis zur Schließung dieser Gesetzeslücke auszusetzen.

264

2. Der Antrag sei zudem unbegründet.

265

a) Die bisherige Parteiverbotskonzeption sei grundlegend überholungsbedürftig.

266

aa) Die aufgrund Art. 21 Abs. 2 GG bisher ausgesprochenen Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) seien vor dem Erlass der erst 1968 in das Grundgesetz aufgenommenen sogenannten Notstandsverfassung ergangen, also zu einer Zeit, als die wirkliche Notstandskompetenz noch bei den westlichen Besatzungsmächten gelegen habe und das Bundesverfassungsgericht auf die Ausübung der "Diktatur der Besiegten" beschränkt gewesen sei. Schon dieser politische Kontext führe dazu, dass jene Urteile keine Orientierungsfunktion mehr erfüllen könnten.

267

bb) Die Erklärung der Verfassungswidrigkeit könne verfassungsgemäß nur in einer Weise erfolgen, in der keine anderen Grundgesetzbestimmungen verletzt würden. Insbesondere dürften nicht die verfassungsrechtlichen Bestimmungen verletzt werden, welche durch Art. 79 Abs. 3 GG einen besonderen Rang besäßen. Nach Art. 20 Abs. 1 GG sei die Bundesrepublik Deutschland aber keine "wehrhafte Demokratie", sondern ein "demokratischer [...] Bundesstaat", in dem nach Absatz 2 dieses Artikels alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Demgemäß stehe das Demokratieprinzip in untrennbarer Wechselwirkung mit dem Prinzip der Volkssouveränität, wobei letztere wörtlich zu nehmen sei: In der Demokratie sei das Volk der Souverän, von ihm leite sich alle staatliche Macht ab und ihm allein komme die Befugnis der Verfassungsgebung zu. Dies lasse sich auf die Formel bringen: "Das Volk hat immer Recht." Dieses Prinzip der Volkssouveränität pervertiere der Antragsteller ins Gegenteil. Eine selbsternannte Verbotselite, die sich aus den als Bundesrat in Erscheinung tretenden etablierten politischen Parteien rekrutiere, maße sich die Befugnis an, dem Souverän mittels Parteiverbot vorzuschreiben, welche politischen Programme, Ideen und Ideologien zulässigerweise vertreten werden dürften.

268

Der Verbotsantrag verstoße gegen das Demokratieprinzip, weil er gegen eine gesamte politische Strömung gerichtet sei, deren Ausschaltung bis hin zum Wahlverbot für das gesamte Wahlvolk letztlich das Mehrparteienprinzip beseitige. Die drohende Ausschaltung einer kompletten politischen Richtung führe zum Verlust politischer Pluralität und zu einem virtuellen Einparteiensystem der nicht verbotenen "Demokraten". Das verstoße gegen die mit dem Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" verbundene Maßgabe, dass der Demokratieschutz nicht auf die Errichtung "volksdemokratischer" Verhältnisse gerichtet sein dürfe.

269

cc) Das Merkmal der "aggressiv-kämpferischen Haltung" sei ein untaugliches Kriterium für die Beschreibung einer mit dem Parteiverbot abzuwehrenden Gefahr, weil damit fast alle bei "ideologisch guten" Parteien für normal gehaltenen Aktivitäten wie Wahlkampfführung und soziales Engagement in Vereinen bei entsprechender "falscher" Ideologie als "aggressiv-kämpferisch" eingestuft werden könnten, so dass es letztlich doch ausschließlich auf die falschen politischen Auffassungen als Verbotsgrund ankomme.

270

In Art. 21 Abs. 1 GG werde der politischen Partei die Verpflichtung zu einer demokratischen Binnenstruktur und zu Transparenz bei ihrer Finanzierung auferlegt. Dem liege die verfassungsrechtliche Vermutung zugrunde, dass sich eine parteipolitische Organisation, die eine demokratische Binnenstruktur aufweise, auch im externen Bereich des Staates demokratisch verhalte und demokratisch denke. Der Maßstab der demokratischen Binnenstruktur ergebe somit ein operables, da nachprüfbares Kriterium für die Demokratiekompatibilität einer politischen Partei, während die Vorgabe eines demokratischen Bekenntnisses dazu zwinge, von der juristischen Logik weitgehend abzugehen und sich auf die Ebene wissenschaftstheoretisch zweifelhafter Methodik wie derjenigen der politologischen Sprachpolizei und Ideologiebewertung begeben zu müssen.

271

Das Rechtsstaatsprinzip erfordere, auch im Parteiverbotsverfahren den Rechtsgedanken von Art. 137 Abs. 1 WRV, der gemäß Art. 140 GG weiterhin gelte, zu beachten. Demgemäß müsse ausgeschlossen werden, dass ein Parteiverbot auf eine "unzulässige" Ideologie gestützt werde. Vielmehr gelte ein staatliches Ideologiebewertungsverbot, was die Antragsbegründung weitgehend bedeutungslos mache. Grundrechtlich geschützte Handlungen und Äußerungen seien per se ungeeignet, ein Parteiverbot zu begründen. Dieses sei auf die Bekämpfung illegalen Handelns beschränkt. Der rechtsstaatliche Grundsatz, wonach der Staat dem Bürger nur rechtswidriges Handeln zum Vorwurf machen dürfe, gelte auch im Parteiverbotsverfahren.

272

Da der Verbotsantrag darauf gerichtet sei, die Antragsgegnerin zu verbieten, weil sie insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung des Charakters der Bundesrepublik Deutschland und zu zivilreligiösen Fragen (Anerkennung der Kriegsschuld, Schweigegebot über an Deutschen begangene Verbrechen, Bewältigungsbedürftigkeit der Deutschenvertreibung) andere Auffassungen als die dem Bundesrat angehörenden Parteien vertrete, stelle sich der Antrag als gegen die Meinungsfreiheit gerichtet dar. Dementsprechend sei der Verbotsantrag offensichtlich verfassungswidrig.

273

dd) Zu einem angemessenen Verbotsverständnis gelange man, wenn man das Parteiverbot als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Notstandsrechts begreife. Dies bedeute, dass die Voraussetzungen eines Parteiverbots rechtlich eindeutig sein und die Folgen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend beschränkt werden müssten. Interpretiere man Art. 21 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit Art. 91 und Art. 87a Abs. 4 GG, gelange man automatisch zur Befristung bei den Verbotsfolgen und zu einer operablen Bestimmung der Verbotsvoraussetzungen. Die Analyse der zum Verständnis von Art. 21 Abs. 2 GG heranzuziehenden Grundgesetzbestimmungen führe zu dem Ergebnis, dass Gewaltbereitschaft oder eine auf den Verfassungsumsturz ausgerichtete politisch motivierte Illegalität eine für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG erforderliche Voraussetzung darstelle. Das Schutzgut dieser Vorschrift, die freiheitliche demokratische Grundordnung, sei nicht als Ansammlung von Verfassungsprinzipien zu verstehen, sondern habe das rechtmäßige Funktionieren der Verfassungseinrichtungen zum Gegenstand. Nur dieses Funktionieren könne im Falle des Notstands durch besonderen Polizei- und Militäreinsatz gesichert werden.

274

Als verfassungswidrig erkannt (und möglicherweise verboten) werden könne danach nur eine als Partei organisierte Umsturzbewegung, etwa eine Partei, die als parlamentarischer Arm einer Terrororganisation anzusehen sei. Sie müsse dabei den Straftatbestand des Hochverrats noch nicht verwirklichen, aber dazu Bereitschaft zeigen, etwa durch das Anlegen von Waffenlagern oder militärisches Training ihrer Anhänger. Ein Parteiverbot könne nur legitim sein, wenn eine Partei gerade den Einfluss der Wähler ausschalten wolle, indem sie jenseits eines Wählervotums gewaltsam die Macht anstrebe.

275

ee) Verfassungsrechtlich unzulässig seien auch die gemäß § 46 Abs. 3 BVerfGG angeordneten Rechtsfolgen der Auflösung der Partei und der Vermögenskonfiskation. Denkbar sei, dass eine als verfassungswidrig erkannte Partei als Verein fortbestehe, sofern dieser dann nicht auch nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten werden könne. Insofern könne durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG allenfalls das Spezifikum "verwirkt" werden, welches eine Partei von einer sonstigen (politischen) Vereinigung unterscheide.

276

b) Auch die Rechtsprechung des EGMR stehe dem Verbotsantrag entgegen. Insbesondere fehle es an dem nach dieser Rechtsprechung für ein Parteiverbot erforderlichen "dringenden sozialen Bedürfnis". Die vom EGMR als Auslegungshilfe herangezogenen "Guidelines on prohibition and dissolution of political parties" der Venedig-Kommission des Europarates postulierten ausdrücklich das Gewaltkriterium als notwendige Bedingung für den Ausspruch eines Parteiverbots.

277

c) Entsprechend der EGMR-Rechtsprechung müsse bei einem Parteiverbot der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Ein Parteiverbot sei aber regelmäßig unverhältnismäßig, weil es schon kein geeignetes Mittel darstelle, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen. Das Gedankengut der verbotenen Partei ebenso wie die daraus folgenden Handlungen bestünden fort. Auch sei ein Verbot nicht erforderlich, weil mildere, gleich geeignete Mittel zur Verfügung stünden, so zum Beispiel bereits erfolgreich eingesetzte staatliche und zivilgesellschaftliche "Anti-Rechts-Programme", das Verbot von "freien Kameradschaften" nach Vereinsrecht und Grundrechtsverwirkungsverfahren gegen führende Funktionäre. Letztlich wäre ein Verbot der Antragsgegnerin auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, weil ihr "Gefährlichkeitsgrad" in Anbetracht der äußerst geringen Realisierungschance ihrer programmatischen Zielsetzungen in einem groben Missverhältnis zu der Schwere des mit einem Parteiverbot verbundenen Eingriffs in die Menschenrechte der Art. 10, 11 EMRK stehe.

278

d) Art. 21 Abs. 2 GG sei schließlich unanwendbar, weil er gegen Unionsrecht verstoße.

279

Art. 2 EUV, Art. 22 AEUV sowie Art. 12, 39, 40 GRCh seien in Parteiverbotsverfahren jedenfalls dann unmittelbarer Prüfungsmaßstab, wenn die zu verbietende Partei - wie hier - im Europäischen Parlament durch einen eigenen Abgeordneten vertreten und zudem als nationale Partei Mitglied einer politischen Partei auf europäischer Ebene im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 sei.

280

Nach den genannten Vorschriften bestünden aus unionsrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken gegen eine nationale Parteiverbotskonzeption, welche das Verbot im Europäischen Parlament vertretener nationaler politischer Parteien allein aufgrund ihrer Programmatik und daher auf der Basis reinen Gesinnungsstrafrechts erlaube. Zwar würden auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Rechtsinstitut des Parteiverbots kennen; in keinem anderen Mitgliedstaat hänge die Verbotsschwelle jedoch so niedrig wie in Deutschland. Insoweit sei die deutsche Rechtslage im Hinblick auf die unionale Rechtslage einem erhöhten Rechtfertigungszwang ausgesetzt.

281

Aus dem Beschluss des Senats vom 22. November 2001 (BVerfGE 104, 214), mit dem dieser die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens abgelehnt habe, ergebe sich nichts anderes. Die damals tragenden Erwägungen seien durch die zwischenzeitlich vorangeschrittene stärkere europäische Integration auch und gerade im Recht der politischen Parteien überholt. Zwar seien Regelung und Durchführung der Wahl zum Europäischen Parlament nach Art. 7 Abs. 2 Direktwahlakt (DWA) Sache der Mitgliedstaaten. Bei der Entscheidung, welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürften, seien aber die wertsetzende Bedeutung der in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte ebenso zu beachten wie die Werte der Union. Die Herausnahme einer im Europäischen Parlament vertretenen nationalen politischen Partei im Wege eines Verbots zeitige durch die damit verbundene Aberkennung der Mandate dieser Partei im Europäischen Parlament (§ 22 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland) unmittelbare Auswirkungen auf ein Unionsorgan, weshalb die Voraussetzungen des Art. 51 Abs. 1 GRCh vorlägen.

282

Ein Parteiverbot gerate jedenfalls dann in einen Konflikt mit dem Unionsrecht, wenn das Verbot der nationalen Partei automatisch zu einem faktischen Verbot einer gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 anerkannten politischen Partei auf europäischer Ebene (hier: der Alliance for Peace and Freedom) führe. Würde die Antragsgegnerin verboten, verlöre ihr Abgeordneter Voigt gemäß § 22 Abs. 4 EuWG seinen Sitz im Europäischen Parlament. Dies hätte zur Folge, dass die APF nicht mehr in einer ausreichenden Zahl von Mitgliedstaaten durch Mitglieder des Europäischen Parlaments oder nationaler Parlamente vertreten wäre. Sie ginge ihres Status als politische Partei auf europäischer Ebene verlustig und wäre von der europäischen Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das Verbot der nationalen politischen Partei NPD zöge somit automatisch das faktische Verbot der politischen Partei APF auf europäischer Ebene nach sich.

283

Da die rechtliche Frage der Vereinbarkeit des Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Unionsrecht mithin entscheidungserheblich sei, habe das Bundesverfassungsgericht zur Wahrung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung anzurufen. Es werde daher beantragt,

das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), Artikel 22 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Artikel 11, 12, 39, 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, nach der eine nationale politische Partei allein auf Grund ihrer programmatischen Zielsetzung verboten werden kann, entgegenstehen, wenn die zu verbietende nationale politische Partei mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist?

2. Falls die erste Frage verneint wird: Sind Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), Artikel 22 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Artikel 11, 12, 39, 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, nach der eine nationale politische Partei allein auf Grund ihrer programmatischen Zielsetzung verboten werden kann, jedenfalls dann entgegenstehen, wenn die zu verbietende nationale politische Partei nicht nur mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist, sondern sie selbst sowie der von ihr entsandte Europaabgeordnete Mitglied einer politischen Partei auf Europäischer Ebene sind und der mit dem nationalen Parteiverbot verbundene Mandatsverlust dazu führen würde, dass die politische Partei auf Europäischer Ebene wegen Unterschreitens des Mindestquorums des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b Alternative 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung ihre Anerkennung als politische Partei auf Europäischer Ebene verlieren würde?

284

e) Für eine verfassungskonforme Parteiverbotskonzeption sei die Frage von entscheidender Bedeutung, welches Verhalten sich die zu verbietende Partei überhaupt zurechnen lassen müsse.

285

aa) Zuzurechnen sei einer Partei grundsätzlich das Handeln von Funktionären und - mit Einschränkungen - von einfachen Parteimitgliedern. Der vorliegende Verbotsantrag stütze sich aber in zentralen Teilen - gerade im Kontext der angeblichen Schaffung einer "Atmosphäre der Angst" - auf Handlungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der Antragsgegnerin. Der Anhängerbegriff sei jedoch uferlos und verstoße daher gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Allein der Umstand, dass sich eine Person zu einer von der Partei organisierten Demonstration hinzugeselle, dort eine selbst mitgebrachte Parteifahne schwenke und anschließend verfassungsfeindliche Parolen gröle oder gar Straftaten begehe, könne der Partei nicht zugerechnet werden. Erst recht könnten anonyme Kommentare auf Internetseiten keine Zurechnung bewirken.

286

Letztlich dürfe Verhalten nur zugerechnet werden, wenn dieses auch für den von der Zurechnung Betroffenen beherrschbar sei. Die Antragsgegnerin könne Verhalten von bloßen Anhängern, anders als von Mitgliedern, jedoch nicht ahnden und damit auch nicht beherrschen. Eine Distanzierung zu fordern, werfe nur noch mehr Fragen - der Zuständigkeit, der Form, des Adressaten und der Wahrnehmung - auf. Die vom Antragsteller konstruierte "Distanzierungsobliegenheit" sei in der Praxis nicht darstellbar.

287

Wolle man Anhängerverhalten dennoch zurechnen, stelle sich ein besonderes Problem im Hinblick auf die Gewährleistung der Quellenfreiheit. Es ergebe sich in jedem Fall, in dem es um die Zurechnung von anonymem Anhängerverhalten gehe.

288

bb) Dem Antragsteller sei auch zu widersprechen, soweit er den Grundsatz der Indemnität der Parlamentsabgeordneten nicht beachte und deren im Parlament getätigte Äußerungen für den Verbotsantrag verwende. Abgeordnete dürften zu keiner Zeit wegen einer Abstimmung oder wegen einer Äußerung im Parlament oder in einem seiner Ausschüsse gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst zur Verantwortung gezogen werden. Diese Vorschrift sei weit zu verstehen und erfasse nicht nur eine gerichtliche Verfolgung, sondern auch ein sonstiges Zur-Verantwortung-Ziehen außerhalb des Parlaments. Dies gelte auch in einem Parteiverbotsverfahren. Es mache keinen Unterschied, ob der Abgeordnete deshalb zur Selbstzensur genötigt werde, weil er eine strafrechtliche Verurteilung fürchte, oder weil er damit rechnen müsse, dass seine Aussagen über ein damit begründetes Parteiverbot zur Aberkennung seines Parlamentsmandats führten.

289

f) Die Antragsgegnerin sei nicht verfassungswidrig. Selbst wenn man sämtliche tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers als wahr unterstelle und diese unter den von der Antragsgegnerin vertretenen Prüfungsmaßstab subsumiere, erweise sich der Verbotsantrag als unschlüssig. Der Antragsteller behaupte nicht einmal, dass die Antragsgegnerin in der politischen Auseinandersetzung Gewalt anwende oder sich überhaupt rechtswidriger Mittel bediene. Ihr werde lediglich ein - verfassungsrechtlich irrelevanter, weil grundrechtlich geschützter - Verbalradikalismus zum Vorwurf gemacht, der weit davon entfernt sei, den demokratischen Rechtsstaat in irgendeiner Form zu gefährden.

290

Grundlage der verfassungsgerichtlichen Prüfung könne nur das dem Bundeswahlleiter vorgelegte Programm und nicht ein vom Antragsteller pseudowissenschaftlich ermitteltes "Geheimprogramm" sein. Der Antragsgegnerin könne auch keine "Verschleierungstaktik" unterstellt werden, die ihre wahre, "verfassungswidrige" Gesinnung mit prima facie harmlos daherkommenden Aussagen verberge. Das als primäres Erkenntnismittel zu verwertende Parteiprogramm könne nicht durch Entgleisungen Einzelner in Frage gestellt werden, weil diesen nicht die Befugnis zustehe, vom Bundesparteitag beschlossene programmatische Leitlinien durch individuelles Handeln zu derogieren.

291

Auch der Vorwurf des Antragstellers, die Antragsgegnerin betreibe ein "Spiel mit Doppeldeutigkeiten", greife nicht durch. Es gälten dieselben Grundsätze wie im Strafrecht, wonach eine objektiv mehrdeutige Aussage in allen Auslegungsalternativen strafbar sein müsse, und nicht die zivilrechtliche Rechtsprechung zum Schutz vor unwahren Tatsachenbehauptungen, denn es gehe nicht um die Unterbindung zukünftiger Äußerungen, sondern um die Verhängung der "Todesstrafe" für eine Partei.

292

aa) Die Antragsgegnerin strebe weder die Beseitigung noch eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an, noch arbeite sie faktisch auf ein derartiges Ziel hin.

293

(1) Die Hauptstoßrichtung des Verbotsantrags gehe dahin, die Antragsgegnerin ausgehend von ihrem Volksbegriff mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Menschenwürde von Ausländern und Minderheiten zu überziehen. Sie stehe mit ihrem Volksbegriff jedoch auf dem Boden des Grundgesetzes. Demgegenüber erweise sich der vom Antragsteller propagierte, auf beliebiger Austauschbarkeit der zum Staatsvolk gehörenden Personen beruhende Volksbegriff als verfassungswidrig. Auch jenseits des ethnischen Volksbegriffs greife die Antragsgegnerin weder die Menschenwürde von Ausländern noch von sonstigen Minderheiten an.

294

Entschieden zu widersprechen sei der These des Antragstellers, dass aus der Menschenwürde ein Recht resultiere, jede beliebige Staatsangehörigkeit annehmen zu können. Dem liege offenbar die bereits im Ansatz verfehlte Vorstellung zugrunde, jeder Mensch müsse theoretisch Träger jedes denkbaren Rechts sein können. Die Menschenwürde umfasse aber lediglich das Recht, überhaupt Staatsangehöriger irgendeines Staates sein zu können. Die von der Antragsgegnerin erhobene Forderung nach einer Rückkehr zum alten, auf dem ius sanguinis beruhenden Abstammungsrecht sei mithin kein Verstoß gegen die Menschenwürde.

295

Der ethnische Volksbegriff sei tradiertes Leitprinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. In diesem Zusammenhang könne auf Art. 116 Abs. 1 GG verwiesen werden, die Präambel der Weimarer Reichsverfassung sowie die Formulierungen über den Amtseid von Bundeskanzler, Bundespräsident und Bundesministern. Auch das Bundesverfassungsgericht lege seinem "Teso"-Beschluss diesen Volksbegriff zugrunde und postuliere eine Pflicht des Gesetzgebers, die Identität des deutschen Staatsvolks zu erhalten (unter Hinweis auf BVerfGE 77, 137 <150>). Dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) habe daher wie selbstverständlich das Abstammungsprinzip als prägendes Wesensmerkmal zugrunde gelegen. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Geburt sei der Regelfall, die Ermessenseinbürgerung nach § 8 RuStAG die Ausnahme. Daher verletze das neue StAG das Identitätswahrungsgebot des Bundesverfassungsgerichtes, indem es die Identität des deutschen Staatsvolkes radikal verändern wolle.

296

Ausgehend von diesen Maßstäben sei nicht ersichtlich, inwiefern der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Allgemeinen oder gegen die Menschenwürdegarantie im Besonderen verstoßen könne. Die Antragsgegnerin verstehe unter dem Begriff "Volk" eine menschliche Gruppe beziehungsweise Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Sprache, Kultur und Geschichte. Der an Herder angelehnte Volksbegriff der Antragsgegnerin werde nicht rassisch konstruiert. Die Antragsgegnerin gehe von der Vielgestaltigkeit der Menschen und Völker aus. Deshalb habe nach ihrer Ansicht auch jedes Volk ein Recht auf Selbstbestimmung und Wahrung seiner kulturellen und nationalen Identität.

297

Die Antragsgegnerin vertrete im Ergebnis eine auf dem ius sanguinis beruhende Staatsangehörigkeitskonzeption. Indem sie die Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung ausdrücklich anerkenne, sei eine Verletzung der Menschenwürdegarantie in jedem Fall ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin habe zu keinem Zeitpunkt gefordert, denjenigen Menschen, die auf der Basis eines aus ihrer Sicht verfehlten Staatsangehörigkeitsrechts eingebürgert worden seien, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen.

298

Die Programmatik der Antragsgegnerin beruhe auf einem "lebensrichtigen Menschenbild". Alle Völker und Menschen seien danach gleichwertig. Gemeinschaft und Individuum würden sich gegenseitig bedingen. Die übertriebene Vertretung von Einzel- oder Gruppeninteressen solle verhindert werden; es dürfe keinen Kampf aller gegen alle geben. Die Rechte des Einzelnen würden durch die "Volksgemeinschaft" daher nicht bedroht, sondern gerade garantiert.

299

Der Antragsteller sei der Auffassung, das von der Antragsgegnerin vertretene Konzept der "Volksgemeinschaft" führe zu einem Ausschluss Nicht-Staatsangehöriger von der Grundrechtsberechtigung und verstoße dadurch gegen das Prinzip der Menschenwürde. Dieser Vorwurf sei zurückzuweisen; die Antragsgegnerin beabsichtige in keiner Weise, Nicht-Deutsche von jeglicher Grundrechtsberechtigung auszuschließen, sondern setze sich lediglich für eine konsequente Unterscheidung von Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen ein. Insbesondere spreche die Antragsgegnerin Asylbewerbern und Migranten nicht die Menschenwürde ab. Grundsätzliche Kritik an der Einwanderungspolitik der regierenden Parteien müsse jedoch zulässig sein. So bezeichne die Antragsgegnerin keineswegs alle Asylbewerber als Betrüger, sondern wolle lediglich auf den tagtäglich stattfindenden Asylbetrug hinweisen.

300

Die vom Antragsteller aufgestellte Behauptung, der Fraktionsvorsitzende im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Pastörs habe Asylbewerber als "entartete Menschen" bezeichnet, beruhe auf einer perfiden Entstellung einer Landtagsrede. Inwiefern die Termini "Scheinasylanten", "Asylbetrüger", "Moslem-Extremisten" oder "kriminelle Ausländer" einen Angriff auf die Menschenwürde darstellten, erschließe sich nicht, da es all dies in Deutschland zuhauf gebe. Es sei von der Antragsgegnerin auch nicht behauptet worden, dass von Flüchtlingen per se eine Gesundheitsgefahr ausgehe, sondern nur auf Zeitungsinformationen über vermehrte Infektionen mit Krätze in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen worden.

301

Ebenso wenig spreche die Antragsgegnerin Juden, Muslimen oder Sinti und Roma die Menschenwürde ab und schüchtere diese ein. Legitime Kritik am Staat Israel sowie an prominenten jüdischen Funktionären könne schwerlich als "Einschüchterung" gewertet werden. Der Vorwurf des Antisemitismus sei schlicht falsch. Die Antragsgegnerin setze sich differenziert mit dem Judentum sowie der schwierigen deutsch-jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert auseinander. Ihre mangelnde Semitophilie könne ihr jedenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zum Islam stelle die Antragsgegnerin ausdrücklich fest, dass dieser dort, wo er historisch beheimatet sei, selbstverständlich ein Existenzrecht habe. Die Position der Antragsgegnerin sei ethnopluralistisch, das heiße dem Ziel einer multipolaren Weltordnung verpflichtet, in der die Völker in ihrer Vielfalt friedlich zusammenlebten. Dass sich durch die Politik der Antragsgegnerin jemand bedroht fühlen müsse, werde ausdrücklich bestritten.

302

(2) Der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin verstoße auch nicht gegen das Demokratieprinzip.

303

(a) Bereits die Ausgangsprämisse des Antragstellers, das Staatsangehörigkeitsrecht müsse vom einfachen Gesetzgeber völlig offen und frei ausgestaltet werden können, sei verfehlt. Das Grundgesetz gewähre dem einfachen Gesetzgeber bei der Verteilung deutscher Pässe keine Narrenfreiheit, sondern verpflichte ihn, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten. Ihm seien schon von Verfassungs wegen Grenzen bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts gesetzt, wobei diese Grenzen im Abstammungsgedanken zu sehen seien.

304

Kritik an den von den etablierten Parteien zu verantwortenden "Masseneinbürgerungen" bedeute nicht, dass die Antragsgegnerin nicht anerkennen würde, dass die eingebürgerten Personen deutsche Staatsangehörige seien. Ihre Auffassung sei lediglich eine Meinung auf dem Markt politischer Meinungen, in die der Verbotsantrag eingreife, indem er eine Änderung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Kanon zulässiger politischer Forderungen ausschließen wolle.

305

(b) Dass sich die Antragsgegnerin als nationalistische Partei sehe, könne ihr ebenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden, da ein aufgeklärter Nationalismus, wie ihn die Antragsgegnerin vertrete, in keinerlei Widerspruch zum Grundgesetz stehe. Für die Antragsgegnerin stehe die eigene Nation als gewachsener Schicksalsverband mit starken Zusammengehörigkeitsgefühlen, emotionaler Bindekraft und Loyalitätsempfindungen im Mittelpunkt. Die eigene Nation, die moralisch nicht über anderen Nationen stehe, aber gegen diese ihre kulturelle Identität zu bewahren und ihre Lebensinteressen zu behaupten habe, sei einer der höchsten ethischen Werte. Ziel des deutschen Nationalismus sei ein freies und identitätsstarkes deutsches Volk unter anderen freien und identitätsstarken Völkern. Die Antragsgegnerin erhebe das deutsche Volk aber nicht über andere Völker und werfe diesen keine "Minderwertigkeit" vor.

306

(c) Eine grundlegende Fehleinschätzung der Antragsschrift bestehe darin, dass die von der Antragsgegnerin artikulierte Kritik an der herrschenden politischen Klasse in Deutschland als Kritik an der Demokratie als solcher fehlinterpretiert werde. Die Antragsgegnerin bekenne sich zur Volkssouveränität, fordere die Einführung von Volksentscheiden und die Direktwahl des Staatsoberhaupts. Ihre demokratie- und staatspolitische Grundposition bestehe darin, eine Demokratisierung des Staates durch den Ausbau konkreter Mitbestimmungsrechte der Staatsbürger und der Volksgesetzgebung zu fordern sowie der massiven Beschneidung des politischen Pluralismus im Zuge des sogenannten "Kampfes gegen Rechts" entgegenzutreten.

307

Die zahlreichen parlamentarischen Initiativen der Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin, in denen ausdrücklich ein Mehr an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingefordert werde, zeigten, dass die Antragsgegnerin weit davon entfernt sei, die Demokratie als solche zu bekämpfen. Die Berücksichtigung dieser Initiativen sei auch deshalb bedeutsam, weil die Antragsschrift den Eindruck erwecke, die Antragsgegnerin würde durch ihre Abgeordneten in den Landesparlamenten nur gegen die parlamentarische Ordnung verstoßen. Die Zahl von Ordnungsrufen und die angebliche Sprachverrohung seien - abgesehen von ihrer Unverwertbarkeit aufgrund der bestehenden Indemnität - kein tauglicher Beleg für eine "Verachtung des parlamentarischen Systems". Die Abgeordneten der Antragsgegnerin überschritten die Grenzen des parlamentarisch Üblichen nicht. Dass sie sich das Recht herausnähmen, den politischen Gegner mit scharfen Worten anzugreifen, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die auf Abgeordnete der Antragsgegnerin überproportional häufig entfallenden Ordnungsrufe seien kein Beleg für ihre "Aggressivität", sondern für die höchst parteiische Sitzungsführung der Parlamentspräsidenten in Dresden und Schwerin.

308

(3) Die Antragsgegnerin bekämpfe auch den Rechtsstaat nicht.

309

Gerade weil sie fortwährend politisch motivierten Diskriminierungen vielfältigster Art ausgesetzt sei und in extrem hohem Ausmaß Opfer physischer Gewalt durch linksextremistische Elemente werde, bekenne sie sich vorbehaltslos zur Herrschaft des Rechts im demokratischen Rechtsstaat, zum Gewaltmonopol des Staates und zur Unabhängigkeit der Justiz. Sie lehne Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung kategorisch ab. Dass die Antragsgegnerin einen "nationalrevolutionären" beziehungsweise "systemüberwindenden" Anspruch erhebe, habe nichts mit Gewalt zu tun, sondern beziehe sich einzig und allein auf eine beabsichtigte Änderung des geltenden Rechts auf demokratischem Wege.

310

Bei ihren Demonstrationen verhalte die Antragsgegnerin sich friedlich und leiste den Anordnungen der Polizei Folge. Selbstverteidigungskurse dienten lediglich der Abwehr linker Gewalt. Bürgerwehren würden gegründet, weil die Bürger aufgrund der äußerst prekären Sicherheitslage das Vertrauen in die staatlichen Sicherheitsbehörden verloren hätten. Die Initiative zur Gründung von Bürgerwehren gehe zudem von den Betroffenen aus, die lediglich von der Antragsgegnerin unterstützt würden. Es sei selbstverständlich, dass derartige Bürgerwehren keinen Ersatz für das staatliche Gewaltmonopol darstellten und an die Rechtsordnung gebunden seien. Der Ordnungsdienst der Antragsgegnerin rechtfertige sich bereits aufgrund des Ordnererfordernisses bei öffentlichen Versammlungen. Angriffe auf Gegendemonstranten seien von diesem nicht ausgegangen.

311

(4) Die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus sei kein Tatbestandsmerkmal des Art. 21 Abs. 2 GG. Darauf komme es aber auch nicht an, weil die Antragsgegnerin mit dem Nationalsozialismus nicht wesensverwandt sei.

312

Die Antragsgegnerin sei nicht nach dem "Führerprinzip" aufgebaut. Ihre Programmatik beruhe auf vollständig anderen Grundsätzen als diejenige des historischen Nationalsozialismus. Eugenik und Sozialdarwinismus lehne sie ab. Kommunikationsformen des historischen Nationalsozialismus verwende sie nicht. Daher unterscheide die Antragsgegnerin sich fundamental von der NSDAP. Demgegenüber seien einzelne Aussagen selbst führender Persönlichkeiten der Antragsgegnerin für die Frage der Wesensverwandtschaft irrelevant. Dies gelte erst recht für Aussagen von Personen, die nicht einmal Mitglied der Antragsgegnerin seien.

313

Aus den anonym verfassten Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte ergebe sich die behauptete Wesensverwandtschaft nicht. Die Gutachten wiesen durchgreifende wissenschaftlich-methodische Fehler auf, da die zitierten Belege nicht vorgelegt würden, und seien daher unverwertbar. Mit Wortvergleichen und einer Zusammenschau aufgrund sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse könne eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus nicht bewiesen werden.

314

bb) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des "Darauf Ausgehens" gelte: Selbst wenn man dieses nicht als Verbot des gewaltsamen Verfassungsumsturzes begreife und nicht einmal strafbares und auch kein rechtswidriges Verhalten zu fordern wäre, gäben die vom Antragsteller vorgelegten "Belege" für eine Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals nichts Substantielles her.

315

Der Antragsteller werfe der Antragsgegnerin vor, was gemäß Art. 21 Abs. 1 GG ihre Aufgabe sei: Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung durch Teilnahme an Wahlen, strategische Konzepte, bürgernahes Agieren, Anwendung der Wortergreifungsstrategie, Schulung kommunaler Mandatsträger und jugendorientierte Initiativen. Soweit der Antragsteller sich dabei auf das Gutachten von Prof. Borstel beziehe, werde dessen Verwertung widersprochen. Viele Belege seien anonym und für eine Beweisführung daher ungeeignet.

316

(1) Es werde bestritten, dass die Antragsgegnerin eine Taktik der "kulturellen Subversion und gezielter Siedlung an ausgesuchten Orten" betreibe, um in einzelnen Regionen "Dominanzzonen" und eine "Kultur der Angst" zu erzeugen.

317

(a) Insbesondere sei die Besiedlungsstruktur des Dorfes Jamel nicht auf Initiativen der Antragsgegnerin zurückzuführen. Dass die dort beheimateten rechtsorientierten Bürger und insbesondere der vom Antragsteller benannte K. bei den anderen Bürgern ein Bedrohungsgefühl hervorriefen, werde bestritten. Die tätliche Auseinandersetzung im Rahmen des Musikfestivals und der Brand der Scheune könnten der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden.

318

(b) Ein wie auch immer geartetes "Dominanzstreben" der Antragsgegnerin könne auch in Anklam nicht festgestellt werden. Es werde bestritten, dass in der Stadt ein von der Antragsgegnerin erzeugtes "Klima der Angst" herrsche, das eine offensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus lähme, Menschen von Aussagen gegenüber der Polizei abhalte und demokratische Prozesse beinträchtige. Die Antragsgegnerin stelle in der Stadtvertretung Anklams nur zwei von 25 Mitgliedern. In den Ausschüssen sei sie jeweils mit nur einem Sitz vertreten.

319

Eine Lähmung des "Kampfes gegen Rechts" sei nicht feststellbar. Neben einem "Demokratieladen", der von den Landeszentralen für politische Bildung des Bundes und des Landes seit 2011 gefördert werde, gebe es noch einen vom Stadtjugendring Greifswald betriebenen "Demokratiebahnhof" sowie ein Büro des "Regionalzentrums für demokratische Kultur". Tätig sei zudem ein Präventionsrat der Stadt. Dass im Jahr 2007 Geschäftsleute der Stadt sich aus Furcht vor der Antragsgegnerin geweigert hätten, eine gegen sie gerichtete öffentliche Erklärung in ihren Ladengeschäften aufzuhängen, werde bestritten. Ebenso werde bestritten, dass in Anklam begangene Straftaten mit der Antragsgegnerin in Verbindung stünden. Dass diese sich nicht von jedem einzelnen Vorfall distanziere, sei aufgrund der grundsätzlichen Ablehnung von Gewalt unerheblich.

320

(2) Selbst Prof. Borstel habe in seinem Gutachten festgestellt, dass von einer "Atmosphäre der Angst" keine Rede sein könne. Die von der Antragsgegnerin praktizierte "Wortergreifungsstrategie" könne ihr ebenfalls nicht vorgeworfen werden. Dass sie mittels "geschulter Aktivisten" "politische Veranstaltungen der anderen Parteien zu eigenen Zwecken umfunktioniert", sei ein in der Demokratie völlig normaler Vorgang. Dass der politische Gegner hierbei "eingeschüchtert, bloßgestellt, lächerlich gemacht" werde, werde bestritten. Mit Angriffen auf Wahlkreisbüros habe die Antragsgegnerin nichts zu tun und dazu auch nicht aufgerufen. Die zitierten Artikel des Internet-Portals "mupinfo" könnten nicht als Aufruf zur oder Billigung von Gewalt angesehen werden.

321

(a) Es werde bestritten, dass die Antragsgegnerin gegenüber dem ehrenamtlichen Bürgermeister von Lalendorf in bedrohlicher Weise aufgetreten sei, um diesen in der Wahrnehmung seiner Grundrechte einzuschränken. Alle in dieser Sache Angeklagten seien vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs rechtskräftig freigesprochen worden. Auch habe die Antragsgegnerin weder zum Betreten des Grundstücks aufgefordert noch dieses toleriert. Im Übrigen sei der Vorgang nicht als einseitiger Akt der "Bedrängung und Einschüchterung" zu werten, sondern als politischer Schlagabtausch.

322

(b) Bestritten werde auch die Bedrohung von Lokalpolitikern in Berlin-Pankow. Die Kundgebung mit fünf Teilnehmern habe nicht direkt vor dem Bürgerhaus, sondern laut polizeilicher Auflage 50 Meter daneben auf einer Grünfläche stattgefunden. Den Teilnehmern der Kundgebung sei rechtswidrig untersagt worden, an der Bürgersprechstunde teilzunehmen; von "Zugang verschaffen" könne keine Rede sein. Eine Bedrohungslage gegenüber dem Bezirksbürgermeister habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

323

(c) Auch eine Bedrohung des Bürgermeisters von Schneeberg durch die Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden. Die genannte Demonstration sei keine der Antragsgegnerin gewesen. Dass die Versammlung sich in Richtung des Hauses des Bürgermeisters in Bewegung gesetzt habe, habe der lediglich teilnehmende Funktionär der Antragsgegnerin nicht veranlasst. Ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sei eingestellt worden.

324

(d) Ebenso werde eine Bedrohung des Bürgermeisters von Schöneiche bestritten. Eine Störung der jüdischen Feste in der Kulturgießerei sei bei keinem der drei genannten Besuche entstanden, der Funktionär S. sei nie in der Kulturgießerei gewesen. Dass der Bürgermeister auf seinem Privatgrundstück beschimpft und bedroht worden sei, werde mit Nichtwissen bestritten. Jedenfalls könne dies der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Auch eine Bedrohung des Bürgermeisters auf dem Heimatfest habe nicht stattgefunden.

325

(e) Durch die "Kampagne" gegen den Lokalpolitiker S. habe lediglich legitime Kritik an der überbordenden Einbürgerungspolitik der Bundesregierung geübt werden sollen. Die Antragsgegnerin habe mit dieser Aktion nur zum Ausdruck gebracht, dass Herr S. nach ihrer Auffassung nicht hätte eingebürgert werden dürfen.

326

(f) Auch die Bedrohung einer Aktivistin in Güstrow werde bestritten. Diese begebe sich selbst offensiv in die Nähe der von ihr angeblich so gefürchteten Antragsgegnerin. Ein bedrohlicher Charakter sei dem geschilderten Vorfall - der Beobachtung durch Mitglieder der Antragsgegnerin - nicht zu entnehmen. Um wen genau es sich bei den Personen gehandelt habe, die sich anschließend vor ihrem Haus versammelt haben sollen, gehe aus dem Bericht nicht hervor. Eine Zurechnung zur Antragsgegnerin sei nicht möglich.

327

(g) Die vom Antragsteller als "Gewalt gegen politische Gegner" gewerteten Ereignisse von Pölchow belegten genau das Gegenteil. G. und seine Begleiter seien auf dem Weg zu einer angemeldeten Demonstration gewesen, als gewaltbereite Linksextremisten sie daran hätten hindern wollen. Dass G. bei seiner Reaktion auf diesen Übergriff nach Ansicht des Landgerichts Rostock sein Notwehrrecht überschritten und sein Agieren den Charakter eines Gegenangriffs angenommen habe, ändere - unabhängig davon, dass diese Darstellung bestritten werde - nichts an der Tatsache, dass hier von einem Versuch, systematisch Dominanz über politische Gegner zu erringen und Furcht zu verbreiten, keine Rede sein könne.

328

(h) Soweit der Antragsteller versuche, anhand eines einzigen Vorfalls in Greifswald die Stadt als Angstzone für politische Gegner der Antragsgegnerin darzustellen, sei dies zurückzuweisen. Lediglich das NPD-Mitglied O. sei aufgrund eines Vorfalls verurteilt worden. Die Stadt sei als eine von Linksextremen dominierte Angstzone anzusehen.

329

(i) Auch ein "Angriff" auf die DGB-Kundgebung in Weimar habe nicht stattgefunden. Es habe sich um eine öffentliche, für jeden Bürger zugängliche Veranstaltung gehandelt. Die JN-Aktivisten hätten Transparente entrollt und Flugblätter verteilt. Ein Teilnehmer habe das Motto der Veranstaltung "Besucher fragen - Politiker antworten" ernst genommen und das freie Mikrofon ergriffen. Daraufhin seien die Teilnehmer der Kundgebung gegenüber den Aktivisten aggressiv geworden.

330

(j) Ebenso sei es nicht zu einer "gewaltsamen Störung" einer Informationsveranstaltung in Goldbach seitens der Antragsgegnerin gekommen. Richtig sei, dass Herr S. an der Bürgerversammlung teilgenommen und ein Transparent mit der Aufschrift "Asylflut ist kein Menschenrecht" mitgebracht habe. Als Herr S. die Veranstaltung habe verlassen wollen, habe man versucht, ihm sein Transparent zu entreißen und ihn zu schubsen. Erst im Rahmen einer Abwehrreaktion habe er dann zugeschlagen. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Versammlungsstörung sei eingestellt und Strafanzeige wegen Körperverletzung nicht erstattet worden.

331

(k) Eine Bedrohung des Bürgermeisters von Tröglitz werde bestritten. Der Kreisrat der Antragsgegnerin habe lediglich gegen die geplante Aufnahme von "Asylanten" insgesamt zehn "Lichterspaziergänge" durchgeführt. Zwischenfälle habe es bei keiner Veranstaltung gegeben. Die Route des zehnten Spaziergangs habe am Haus des Bürgermeisters vorbeigeführt, da dieser bis dahin nicht auf die Proteste reagiert gehabt habe. Eine Bedrohungslage habe nicht bestanden. Die Antragsgegnerin sei für den Rücktritt des Bürgermeisters nicht verantwortlich.

332

(3) Die These von der seitens der Antragsgegnerin angeblich zu verantwortenden "Beeinträchtigung des demokratischen Handelns vor Ort" erweise sich damit insgesamt als haltlos. Soweit der Antragsteller darüber hinaus moniere, dass "verfassungsfeindliche rechtsextremistische Ansichten" in der Gesellschaft verbreitet Akzeptanz fänden, spreche dies bei richtiger Betrachtung lediglich für die Verankerung der Antragsgegnerin in der Gesellschaft.

333

Die Behauptung des Antragstellers, in bestimmten Regionen würden Bürger durch das politische Wirken der Antragsgegnerin davon abgehalten, offen gegen Rechtsextremismus Position zu beziehen und von ihren demokratischen Rechten Gebrauch zu machen, werde bestritten. Dass in Lübtheen niemand etwas Negatives über Herrn Pastörs sage, liege an seiner Beliebtheit. Auch die Weigerung von Geschäftsleuten in Anklam, eine vom Rat verabschiedete Erklärung gegen den Immobilienkauf von NPD-Mitgliedern aufzuhängen, sei allenfalls auf gesunden Menschenverstand zurückzuführen. Die Behauptung, es gebe in Mecklenburg-Vorpommern Städte und Regionen, in denen sich gegen Rechtsextremismus Engagierte und Minderheiten kaum angstfrei bewegen könnten, sei unzutreffend.

334

(4) Aggressives Verhalten gegenüber Asylbewerbern gebe es nicht. Die Antragsgegnerin betreibe keine "diffamierende und hetzerische Rhetorik", sondern übe Kritik am ausufernden Asylmissbrauch. Auch die Durchführung von Demonstrationen stelle nichts weiter als ein legitimes Gebrauchmachen vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) dar. Der Hinweis auf die angeblich steigende Zahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte trage nicht, weil die Antragsgegnerin hierfür nicht verantwortlich sei und sich ausdrücklich von solchen Taten distanziere. Die Proteste der Antragsgegnerin seien nicht ursächlich für die genannten Gewaltattacken und diese könnten ihr nicht zugerechnet werden. Zu den einzelnen Vorwürfen sei wie folgt zu erwidern:

335

(a) Die Versammlung unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße!" in Dresden sei als Eilversammlung angezeigt worden. Die Kundgebung selbst sei ruhig geblieben. Die Behauptung des Antragstellers, in der Nacht zum 28. Juli 2015 hätten rund 20 Rechtsextremisten in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft 15 Asylbefürworter attackiert, werde mit Nichtwissen bestritten. Gleiches gelte für die Behauptung, beim Aufbau der Zeltstadt sei es zu Angriffen auf Mitarbeiter des DRK gekommen. Die Antragsgegnerin distanziere sich von diesen Vorfällen.

336

(b) Unklar bleibe, was an den "Schneeberger Lichtelläufen" verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Dass ein Funktionär der Antragsgegnerin mit einem Bürgermeister ins Gespräch kommen wolle und diesem daher ein entsprechendes Angebot unterbreite, sei ein völlig normaler Vorgang.

337

(c) Ebenso wenig erschließe sich, worin eine "Bedrängung" der Leipziger Stadtspitze liegen solle, wenn dem Bürgermeister Unterschriften besorgter Bürger gegen den Bau einer Moschee und die Unterbringung von Asylbewerbern übergeben würden. Die veranstalteten Demonstrationen seien durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG geschützt; gewalttätige Aktionen würden nicht behauptet.

338

(d) Die Proteste in Bautzen gegen eine Asylbewerberunterkunft seien legitim, die Aufforderung gegenüber dem Vermieter des Hauses zum Nachdenken das gute Recht der Antragsgegnerin. Es sei ausdrücklich von friedlich-legalen Protestformen gesprochen worden; ein Drohpotential sei mithin nicht erkennbar.

339

(e) Die Beteiligung der Antragsgegnerin an Bürgerprotesten in der Sächsischen Schweiz stelle legitimen Protest dar.

340

(f) Die angebliche Gewalteskalation in Heidenau sei der Antragsgegnerin nicht zurechenbar, sondern habe sich erst einige Stunden nach Ende der von ihr durchgeführten Kundgebung ereignet. Die Antragsgegnerin habe auch keine Zettel verteilt, um sich nach Versammlungsende für eine Blockade zu treffen. Im Übrigen sei von der Sitzblockade keine Gewalt ausgegangen, sondern von der Polizeihundertschaft, die diese mit brachialer Gewalt aufgelöst habe.

341

(g) Das Aufsuchen von Asylunterkünften durch gewählte Abgeordnete der Antragsgegnerin geschehe in Wahrnehmung des ihnen zustehenden parlamentarischen Kontrollrechts. Es handele sich hierbei um eine seit Jahren bei sämtlichen Fraktionen anzutreffende, gängige Praxis, so dass nicht erkennbar sei, wieso ein von den Mandatsträgern der Antragsgegnerin durchgeführter Besuch einer entsprechenden Unterkunft irgendjemanden "einschüchtern" oder ein Zeichen von "Dominanz" sein solle.

342

(5) Soweit die Gegenseite behaupte, ein Großteil der Funktionäre der Antragsgegnerin sei vorbestraft und offenbare dadurch mangelnde Rechtstreue, sei dem entschieden zu widersprechen. Richtig sei, dass es vereinzelt zu Verurteilungen von Funktionären gekommen sei, wobei es sich in der allergrößten Zahl der Fälle um reine Meinungs- und Propagandadelikte handele (§§ 86a, 130 StGB). Die Behauptung des Antragstellers, 25 % der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin seien rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und über 11 % der Vorstandsmitglieder seien schon mehrfach verurteilt worden, werde bestritten. Die Verurteilung des Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs wegen Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung beruhe auf willkürlicher Rechtsanwendung. Weitere - von der Antragsgegnerin im Einzelnen aufgeführte - Verurteilungen seien rechtlich fehlerhaft, ohne politischen Bezug oder der Antragsgegnerin nicht zurechenbar.

343

(6) Auch werde bestritten, dass die Antragsgegnerin - insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern - zusammen mit Kameradschaften, die auf Gewalt und Einschüchterung abzielten, ein Netzwerk oder gar eine "Volksfront von Rechts" bilde. Erst recht könnten deren Taten nicht der Antragsgegnerin zugerechnet werden.

344

Es sei auch befremdlich, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin die Resozialisierung von vorbestraften Jugendlichen und Heranwachsenden vorwerfe. Die Antragsgegnerin nehme ihre Aufgabe ernst, auch Personen und Tendenzen in den demokratischen Prozess zu integrieren, die sich radikalisieren könnten. Zu diesem Integrationsprozess gehöre, dass bestimmten Aussagen nicht sofort disziplinarisch entgegengetreten werde. Tatsächlich erweise sich die Antragsgegnerin als entscheidender gesellschaftspolitischer Ordnungsfaktor in der "Neonazi-Szene". Von den wirklich radikalen Kräften der "Freien Szene" werde die Antragsgegnerin als "weichgespült" kritisiert und politisch bekämpft.

345

(7) Letztlich komme es auf die vorgenannten Punkte aber nicht an, weil die Antragsgegnerin gegenwärtig weit davon entfernt sei, ihre Programmatik in absehbarer Zeit verwirklichen zu können. Sie sei nicht im Deutschen Bundestag vertreten und es sei auch nicht absehbar, dass sie demnächst dort einziehen werde. Selbst wenn dies anders wäre, würde keine der etablierten Parteien mit der Antragsgegnerin koalieren.

346

Soweit der Antragsteller auf die über 300 kommunalen Mandate der Antragsgegnerin in ganz Deutschland hinweise, relativiere sich diese Zahl ganz erheblich, wenn man sich vergegenwärtige, dass die Antragsgegnerin in den meisten Räten nur mit ein oder zwei fraktionslosen Abgeordneten vertreten sei, die in der Regel nicht einmal über ein eigenes Antragsrecht verfügten.

347

Vergegenwärtige man sich zudem die - gerichtsbekannten - eminenten finanziellen Probleme, an denen die Antragsgegnerin seit Jahren leide, werde auch eine verbleibende "Rest-Gefahr" durch den Mangel an Liquidität und die damit verbundene Einschränkung der politischen Kampagnenfähigkeit erheblich relativiert.

348

g) Hilfsweise hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass selbst dann, wenn ihr eine unter normalen Umständen als aggressiv-kämpferisch zu qualifizierende Haltung nachgewiesen werden könnte, diese Haltung aufgrund ihrer besonderen Situation gerechtfertigt wäre. Diese Situation bestehe in der seit ihrem Bestehen massiven Diskriminierung der Antragsgegnerin durch die Parteien, welche vorliegend als Antragsteller in Erscheinung träten. In dieser Situation könnten Aussagen, insbesondere die Wortwahl, die man als bedenklich einstufen möge, nicht als "aggressiv-kämpferisch", sondern nur als "defensiv-kämpferisch" eingestuft werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass Mitglieder der Antragsgegnerin beinahe täglich zum Opfer gewalttätiger körperlicher Angriffe aus der linksradikalen Szene würden.

XIII.

349

1. Unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 1. März 2016 mehrere Anträge wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt und die Besetzung des Senats gerügt. Zur Begründung hat sie auf Äußerungen einzelner Mitglieder des Senats vor ihrer Ernennung zu Richtern des Bundesverfassungsgerichtes, auf § 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG sowie ein (angeblich) gegen Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßendes Berufungsverfahren verwiesen. Am selben Tag sind sämtliche Anträge zurückgewiesen oder verworfen worden, und auf die entsprechenden Rügen hat der Senat seine ordnungsgemäße Besetzung festgestellt. Die schriftliche Begründung ist mit vier im Mai 2016 veröffentlichten Beschlüssen erfolgt (jeweils mit dem Aktenzeichen 2 BvB 1/13).

350

2. In der mündlichen Verhandlung vom 1., 2. und 3. März 2016 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt. Gemäß § 27a BVerfGG sind Prof. Dr. Dierk Borstel, Prof. em. Dr. Eckhard Jesse, PD Dr. habil. Steffen Kailitz, Andrea Röpke sowie die Funktionsträger der Antragsgegnerin Jürgen Gansel und Udo Voigt und deren ehemaliger Vorsitzender Holger Apfel gehört worden. Die Präsidentin des Landtages und der Minister für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie der Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr des Freistaates Bayern haben Stellung genommen.

351

3. a) Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung einen weiteren auf den 1. März 2016 datierten Schriftsatz vorgelegt, in dem sie mitgeteilt hat, gegen zwei ihrer Landesvorstandsmitglieder des Landesverbands Nordrhein-Westfalen seien laut Benachrichtigungen des Polizeipräsidiums Wuppertal in der Zeit vom 10. Juli 2015 bis zum 9. August 2015 durch die nordrhein-westfälische Polizei Maßnahmen gemäß § 16a Abs. 1 und § 17 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW durchgeführt worden. Der Anlass für die Überwachungsmaßnahmen sei nicht bekannt. Offenbar hätten die Maßnahmen sich primär gegen "eine bestimmte Person" gerichtet, wobei die beiden Betroffenen als Begleit- und Kontaktpersonen ebenfalls überwacht worden seien. Dies lege die Vermutung nahe, dass primäres Überwachungsobjekt eine weitere Person aus dem Landesvorstand gewesen sei.

352

Es stehe damit fest, dass entgegen der Zusicherung des Antragstellers Mitglieder eines Landesvorstands - also der Führungsebene der Antragsgegnerin - während des laufenden Verbotsverfahrens mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht worden seien. Darüber hinaus habe auch der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin mit einer der beiden Betroffenen in den letzten Monaten in vermehrtem Kontakt gestanden, weshalb vermutlich auch von ihm Daten erfasst worden seien.

353

b) Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung erwidert, dass der von der Antragsgegnerin geschilderte Vorgang nicht von den Testaten umfasst sei und keine Verfahrenshindernisse im hier verhandelten Sinne betreffe.

354

Zum konkreten Sachverhalt ist Landeskriminaldirektor S. vom Nordrhein-Westfälischen Innenministerium mündlich angehört worden: Er hat erklärt, dass Gegenstand der Maßnahme, auf die sich die Benachrichtigung über eine Datenerhebung durch die Polizei bezogen habe, ein Verfahren zur Gefahrenabwehr gewesen sei, das das Polizeipräsidium Wuppertal betrieben habe. Adressat der Maßnahmen sei ein in Nordrhein-Westfalen als sogenannter Gefährder eingestufter Straftäter gewesen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Strafhaft befunden habe. Anlässlich seiner Haftentlassung am 14. Juli 2015 habe das Polizeipräsidium Wuppertal die Anordnung getroffen, ihn mit dem Ziel der Ermittlung des weiteren Aufenthalts und der Wohnsitznahme unter Einsatz technischer Mittel zu observieren. Daraufhin hätten Einsatzkräfte der Polizei am 14. Juli 2015 festgestellt, dass der Betroffene bei seiner Entlassung von drei Personen abgeholt worden sei. Zwei dieser Personen seien die Adressaten der Benachrichtigung über die Datenerhebung durch die Polizei gewesen. Nach erfolgreicher Feststellung des Wohnsitzes seien die Maßnahmen eingestellt worden.

355

4. Die Antragsgegnerin hat außerdem zwei eidesstattliche Versicherungen von A. und Uwe Meenen vorgelegt, die den bereits schriftsätzlich vorgetragenen Anwerbeversuch von Herrn A. (vgl. Rn. 91) belegen sollen. In der Erklärung von Herrn A. wird der angebliche Anwerber des Staatschutzes als "Herr Fink" bezeichnet.

XIV.

356

1. Mit Schriftsatz vom 22. März 2016 hat der Antragsteller die von ihm aus den beiden Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zitierten Belege vorgelegt.

357

2. Mit Schriftsatz vom 11. April 2016 hat die Antragsgegnerin zur mündlichen Verhandlung Stellung genommen.

358

a) Sie wendet sich zunächst gegen Behauptungen der Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung und macht geltend, dass diese durch eine Belastungstendenz zum Nachteil der Antragsgegnerin geprägt seien, was durch von ihr geschilderte Vorfälle belegt werde. Außerdem bestreitet sie von der sachkundigen Dritten Andrea Röpke in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptungen, vor allem zu einem angeblichen Angriff eines Mitglieds der Antragsgegnerin auf einen Gewerkschaftsvertreter.

359

b) Die Antragsgegnerin führt ferner sechs Fälle der Bezugnahme auf den Nationalsozialismus durch eigene Mitglieder auf, gegen die sie mit parteirechtlichen Ordnungsmitteln vorgegangen sei. Außerdem verweist sie auf einen Parteivorstandsbeschluss vom 5./6. April 2014, wonach die vom Antragsteller als Belege vorgelegten, vom Parteivorstand nicht genehmigten Leitfäden der JN nicht weiter zu verbreiten und zu vernichten seien. Gleiches gelte auch für die Broschüre des Parteivorstands "Leitfaden für Kandidaten" ("Argumente für Mandats- und Funktionsträger").

360

c) Darüber hinaus nimmt die Antragsgegnerin hinsichtlich der Behauptung, sie verbreite ein "Klima der Angst", Bezug auf eine Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung sowie der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel "Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?". In dieser würden aktuelle Erkenntnisse zu den vom Antragsteller aufgeführten Fällen einer angeblichen Einschüchterung verarbeitet und die Antragsgegnerin umfassend entlastet.

361

So heiße es zum Rücktritt des Ortsbürgermeisters von Tröglitz, dass dieser weniger durch das Verhalten der Antragsgegnerin, als durch den Unwillen und die Unfähigkeit der zuständigen Versammlungsbehörde begründet sei, einen Ausgleich zwischen den Grundrechten der Familie des Bürgermeisters und dem Versammlungsrecht zu finden. Zu den Vorgängen in Dresden am 24. Juli 2015 werde festgestellt, dass die Mitglieder der Antragsgegnerin an der Gewalt im Anschluss an die Kundgebung nicht beteiligt gewesen seien, auch wenn sie diese nicht unterbunden hätten. Die Taten seien jedenfalls nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von der Antragsgegnerin geplant oder gesteuert worden. Zum Fall Heidenau weise die Broschüre darauf hin, dass die Partei zwar eine aggressive, rassistische Stimmung befördert, der verantwortliche Funktionär R. die Antragsgegnerin aber mittlerweile verlassen habe. Formal habe sich die Partei von der Gewalt in direkter zeitlicher Nähe distanziert. Auch die Ausführenden seien keine NPD-Mitglieder gewesen, für eine Lenkung durch die Antragsgegnerin bestünden keine Anhaltspunkte.

362

3. Mit Schriftsatz vom 27. April 2016 hat der Antragsteller auf die Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 2. März und 11. April 2016 geantwortet.

363

Die Schriftsätze seien selbst von den verfassungswidrigen Zielen der Antragsgegnerin geprägt. Sie enthielten Falschbehauptungen, verzerrende Interpretationen von Aussagen der Antragsgegnerin und ihrer Mitglieder, unrichtige Darstellungen des Vortrags des Antragstellers sowie Behauptungen ins Blaue hinein.

364

a) Mit dem Grundgesetz - insbesondere mit den Grundsätzen des Art. 79 Abs. 3 GG - sei das Demokratieverständnis der Antragsgegnerin nicht zu vereinbaren. Es baue auf der Möglichkeit einer Diktatur der Mehrheit auf, die an keine rechtlichen Regeln gebunden sei. In dieser Konstruktion lösten sich nicht nur die änderungsfesten Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern bereits der einfache Vorrang der Verfassung auf. Zudem sei die von der Antragsgegnerin beschriebene Mehrheit keine Mehrheit innerhalb einer demokratischen Allgemeinheit, sondern eine völkisch selektierte Mehrheit. Bringe man diese Sicht der Volkssouveränität mit dem Volksbegriff der Antragsgegnerin in Verbindung, so ergebe sich daraus das Ideal einer politischen Ordnung, in der eine rassisch homogene "Volksgemeinschaft" sich dazu ermächtigt sehe, prozedural und materiell unbegrenzt politische Entscheidungen zu treffen. Dass die Universalität der Menschenwürde auch die demokratische Mehrheit begrenze, lasse die Antragsgegnerin völlig außer Betracht.

365

b) Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wende.

366

aa) Sie vertrete - entgegen ihrem Vorbringen - einen rassisch definierten, ethnischen Volksbegriff. Der Deutschenbegriff des Parteiprogramms knüpfe nicht an der Staatszugehörigkeit, sondern an einer ethnisch definierten Volkszugehörigkeit an. Die gesetzlich ausgestaltete Staatsangehörigkeit führe ein politisch und rechtlich irrelevantes Nebendasein. Die Antragsgegnerin stelle ethnisch Fremde mit deutscher Staatsbürgerschaft rechtlos und wolle diese des Landes verweisen. Wenn sie behaupte, dass sie "keine Ausbürgerungen" plane, sei dies für ihre verfassungsfeindlichen Ziele irrelevant. Die Staatsbürgerschaft habe letztlich für das Bleiberecht keine Bedeutung, da dieses ausschließlich rassisch-ethnisch definiert werde.

367

Zwar sei eine Rückkehr zu einem allein auf Abstammung basierenden Staatsangehörigkeitsrecht auf gesetzlichem Weg möglich. Der Antragsteller trete jedoch der Auffassung der Antragsgegnerin entgegen, wonach der Gesetzgeber gar nicht konstitutiv entscheiden könne, wer zum "deutschen Volk" gehöre, da sich dies aus ethnisch-rassischen Kriterien ergebe. Art. 116 Abs. 1 Var. 1 GG bestätige gerade, dass die "Volkszugehörigkeit" allein nicht darüber bestimmen dürfe, wer zum Staatsvolk gehöre, sondern dass dies bewusst dem Gesetzgeber im Rahmen des Staatsangehörigkeitsrechts überlassen werde.

368

bb) Die Antragsgegnerin versuche, die Verfassungswidrigkeit ihrer Ideologie durch Verfälschungen zu überdecken. Sie betreibe eine verharmlosende Auslegung von Äußerungen (1), eine bewusste Dekontextualisierung und Unterschlagung von nationalsozialistischen Bezügen (2) sowie den Versuch der Distanzierung von grundlegenden Parteidokumenten (3) und einzelnen Belegen und Personen (4).

369

(1) Die Antragsgegnerin richte ihre Äußerungen bewusst am Adressatenkreis aus. Dies stehe der von ihr behaupteten "objektiven Mehrdeutigkeit" ihrer Äußerungen entgegen. Sie banalisiere insbesondere den die Menschenwürde verachtenden Charakter des Antisemitismus. Vereinzelte Zitate, die das Fehlen von Antisemitismus in der Partei belegen sollten, stünden einer Vielzahl antisemitischer Äußerungen gegenüber.

370

(2) Bewusst dekontextualisiert und damit entgegen den verfassungsrechtlichen Maßstäben ausgelegt würden insbesondere Aussagen, die die Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin zum Nationalsozialismus belegten. Auch weitere beispielhaft aufgeführte Äußerungen würden durch die Außerachtlassung des kommunikativen Kontextes bewusst verfälscht. Irreführend sei die Behauptung, beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in München hätten sich Bewohner mit einem Funktionär der Antragsgegnerin fotografieren lassen. In Wahrheit hätten drei der abgebildeten Asylbewerber Strafantrag gestellt mit der Folge, dass das Amtsgericht München einen Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz erlassen habe. Verharmlosend dargestellt werde auch die Kampagne gegen S., deretwegen der Funktionär Frank Schwerdt zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt worden sei. Hinsichtlich der Bedrängung von Kommunalpolitikern in Berlin-Pankow blende die Antragsgegnerin aus, dass das Motto der Aktion gelautet habe: "Den Feind erkennen - den Feind benennen." Bezogen auf die Störung der DGB-Kundgebung in Weimar habe die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Verstoßes gegen § 21 VersG erhoben. Hauptbeteiligte der Ausschreitungen am 24. Juli 2015 in Dresden seien der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau und ein weiterer Anhänger der Antragsgegnerin sowie drei weitere Teilnehmer der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstration gewesen.

371

(3) Die Antragsgegnerin versuche vergeblich, sich nachträglich von grundlegenden Parteidokumenten, insbesondere der Schrift "Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger" sowie den Leitfäden der JN zu distanzieren. Der vorgelegte Beschluss des Parteivorstands vom 5./6. April 2014 sei Teil eines taktischen Vorgehens im Hinblick auf das Parteiverbotsverfahren. Die betroffenen Texte behandelten Kernpositionen der Antragsgegnerin, die diese nicht nur über einen langen Zeitraum vertreten habe, sondern auch weiterhin vertrete. Dies werde durch zahlreiche Äußerungen führender Parteifunktionäre belegt.

372

Der für die Leitfäden verantwortliche JN-Schulungsleiter D. sei ein halbes Jahr nach diesem Beschluss zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der JN aufgestiegen. Dieses Amt übe er weiterhin aus. In einem Interview vom 27. April 2014 habe er die fortwährende Gültigkeit der Leitfäden bestätigt.

373

Die Argumentationsbroschüre für Mandats- und Funktionsträger besitze ihrerseits eine große Relevanz innerhalb der Antragsgegnerin und eine hohe Reichweite. Sie entstamme der "Schriftenreihe des Parteivorstands der NPD" und enthalte ein Vorwort des damaligen Parteivorsitzenden, wonach es sich um eine der "drei Grundlagenschriften nationaldemokratischen Politikverständnisses" handele. Der Verfasser Jürgen Gansel sei führender und die Ideologie prägender Funktionär der Antragsgegnerin. Die 2012 in zweiter Auflage erschienene Broschüre sei seit mindestens zehn Jahren ideologische Grundlage der Parteiarbeit. Die fortgesetzte Gültigkeit der Broschüre zeige sich schließlich daran, dass zentrale Thesen der Schrift noch heute im Wortlaut auf der Homepage der Partei abgerufen werden könnten.

374

(4) Auch die Distanzierung von einzelnen Belegen und Personen sei vergeblich. Wenn eine verharmlosende Auslegung einer Äußerung nicht mehr möglich sei, werde versucht, diese als Entgleisung eines Einzelnen darzustellen oder deren Zurechenbarkeit zu bestreiten. Dies sei nicht hinnehmbar, da an der Zurechenbarkeit im Einzelfall keine Zweifel bestünden und die aufgeführten Äußerungen den Grundtendenzen der Partei entsprächen.

375

Die Schilderung eines Vorgehens gegen rechts- und satzungswidriges Verhalten von Mitgliedern in sechs Einzelfällen sei kaum repräsentativ und betreffe keine prägenden Mitglieder. Sie seien für das Gesamtbild der Partei ohne Belang. Vielmehr sei ein bekennender Nationalsozialist wie Thomas Wulff Anfang 2014 auf einem Parteitag in Hamburg zum Landesvorsitzenden gewählt worden und gehöre dem Bundesvorstand der Antragsgegnerin an.

376

cc) Bezeichnend sei schließlich, dass die Antragsgegnerin in ihren Schriftsätzen die zahlreichen Belege zum Antiparlamentarismus und zur Systemüberwindung nicht inhaltlich kommentiere. Der systemüberwindende Anspruch sei noch einmal in den Äußerungen von Udo Voigt in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden. Von dieser handlungsleitenden Zielsetzung könne auch der Verweis auf die parlamentarische Arbeit nicht ablenken, da diese nur Mittel auf dem Weg zur Abschaffung des parlamentarischen Systems sei. Ziel der Antragsgegnerin sei die Herrschaft einer rassischen Elite. Dies sei keine andere Form von Demokratie, sondern eine menschenrechtsverletzende Willkürherrschaft.

377

c) Die Antragsgegnerin gehe auch weiterhin auf eine Beeinträchtigung beziehungsweise Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus.

378

aa) (1) Zwar könne ein Parteiverbot nicht allein auf eine verfassungswidrige Gesinnung gestützt werden. Das Verfahren erfülle jedoch eine eigenständige Funktion. Daher könnten Strafbarkeit oder Rechtswidrigkeit nicht Voraussetzung eines verbotswidrigen Verhaltens sein. Dem Parlamentarischen Rat sei es bei Verabschiedung des Grundgesetzes nicht darum gegangen, über die verfassungswidrigen Ziele hinaus weitere Voraussetzungen für ein Parteiverbot aufzustellen. Das Kriterium "Verhalten der Anhänger" sei nur hinzugefügt worden, damit eine Partei sich nicht hinter dem "Lippenbekenntnis" eines harmlosen Programms verstecken könne. Der Verbotstatbestand setze keine - auch nicht eine marginale - konkrete Gefahr für eines der beiden Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG voraus, zumal eine verlässliche Prognose über die Realisierungschance einer solchen Gefahr nicht getroffen werden könne.

379

Die jeweilige prozentuale Entwicklung der Wahlergebnisse könne daher kein Maßstab für den "richtigen Zeitpunkt" eines Parteiverbots sein. Die Wahl des Zeitpunkts der Einleitung eines Verbotsverfahrens liege im politischen Ermessen der zugelassenen Antragsteller, die allesamt Verfassungsorgane seien. Dieses Ermessen sei vom Bundesverfassungsgericht allenfalls auf Missbrauch hin überprüfbar.

380

Eine dem Zweck des Verfahrens angemessene Prävention erlaube ein Verbot jedenfalls dann, wenn der Partei Äußerungen oder Aktivitäten zuzurechnen seien, die typischerweise Gefährdungen für den Verfassungsstaat oder die Menschenwürde darstellten, und es unvorhersehbar sei, wie und wann sie sich realisierten. Derartige typische Gefährdungen seien namentlich mit Handlungen und Äußerungen unmittelbar gegenüber dem politischen Gegner oder einer angegriffenen Minderheit verbunden. Selbst wenn Aktivitäten in der Form einer Äußerung erfolgten - etwa eine Aufforderung zur Ausreise -, könne darin nicht nur eine Mitteilung von Inhalten gesehen werden. Die Äußerungstelle - etwa aufgrund des bedrohlichen oder einschüchternden Charakters - gleichzeitig eine die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gefährdende Handlung dar. Gefährlich könnten auch Äußerungen gegenüber eigenen Anhängern sein, wenn diese handlungsleitend seien.

381

(2) Auch das Kriterium der "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" knüpfe nicht nur an eine Gesinnung oder eine Überzeugung an. Es sei - als ein Indiz für ein "Darauf Ausgehen" - vielmehr auch anwendbar, wenn man deutlich mehr als eine verfassungswidrige Überzeugung verlange, da es auf der Erkenntnis basiere, dass eine dem Nationalsozialismus verwandte Partei typischerweise Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung verursache.

382

bb) (1) Der gestiegene Umfang der Aktivitäten der Antragsgegnerin sei ein Indiz für die aggressiv-kämpferische Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele. Nach einer Schwächephase von 2012 bis 2014 sei in den vergangenen eineinhalb Jahren - auch bedingt durch die Flüchtlingsproblematik - eine Stärkung der Antragsgegnerin zu beobachten. Dies betreffe insbesondere die Zahl und die Reichweite der Aktivitäten, wie etwa das zunehmende Demonstrationsgeschehen zeige. Die selektive Betrachtung von Verfassungsschutzberichten aus einzelnen Jahren sei nicht repräsentativ. Vielmehr sei die Entwicklung der Partei insgesamt in den Blick zu nehmen.

383

Die Reichweite der Aktivitäten der Antragsgegnerin könne nicht nur an traditionellen Indikatoren, wie etwa Mitgliederzahlen, festgemacht werden. Die Antragsgegnerin benutze umfangreich und professionell die neuen Medien und erreiche dadurch - mit relativ kleinem Aufwand - eine große Zahl von Adressaten. Entscheidend für die Beurteilung ihrer Stärke sei darüber hinaus ihr Selbstverständnis als Weltanschauungspartei. Dieses habe zur Folge, dass ihre Mitglieder eine - im Vergleich zu den Mitgliedern anderer Parteien - überdurchschnittlich hohe Aktivitätsquote hätten.

384

Die Kampagnenfähigkeit und das Mobilisierungspotential der Antragsgegnerin ließen sich insbesondere an den umfangreichen Demonstrationsaktivitäten im Jahr 2015 ablesen. Betrachte man nur die Veranstaltungen ab 20 Personen, seien 192 unmittelbar der Antragsgegnerin zurechenbare Veranstaltungen mit insgesamt circa 23.000 Teilnehmern im Jahr 2015 zu verzeichnen. Hinzu kämen 95 von der Antragsgegnerin beeinflusste oder gesteuerte Veranstaltungen (THÜGIDA, MVGIDA, "Saarländer gegen Salafisten" etc.) mit einer Gesamtteilnehmerzahl von über 20.000.

385

Die Antragsgegnerin sei ein Hauptakteur der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation. Von rechtsextremistischen Parteien organisierte Aktionen und Straftaten gegen Asylunterkünfte hätten im Jahr 2015 mit 1.031 Straftaten (davon 177 Gewaltdelikte) ihren Höchststand erreicht. Der völkischen Ideologie der Antragsgegnerin könne dabei nach Einschätzung des Bundeskriminalamts eine katalysierende Wirkung zukommen.

386

Ein weiterer Faktor bei der Beurteilung der Stärke der Antragsgegnerin sei ihre Rolle als Arbeitgeberin. Insgesamt seien den Verfassungsschutzbehörden 87 Personen bekannt, die seit 2004 als Mitarbeiter beziehungsweise Praktikanten der Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, der einzelnen Landtagsabgeordneten der Partei sowie des Europaabgeordneten Udo Voigt tätig gewesen seien. Bei 37 dieser Personen könne eine vorherige oder gleichzeitige Verbindung zu neonazistischen Personenzusammenschlüssen aus offen verwertbaren Informationen bestätigt werden. Ihre Rolle als Arbeitgeberin stärke die personelle Basis der Antragsgegnerin und ihre Netzwerkfunktion im rechtsextremistischen Spektrum.

387

(2) In den vergangenen Wochen und Monaten sei es zudem zu weiteren Ereignissen gekommen, die zeigten, dass die Antragsgegnerin durch Einschüchterungen und Bedrohungen bis hin zur Gewaltanwendung demokratisches Handeln vor Ort einschränke.

388

In Nauen sei der Funktionär S. wegen des dringenden Tatverdachts der Brandstiftung mit Blick auf eine als Notunterkunft für Asylbewerber geplante Turnhalle verhaftet worden. In Löcknitz habe eine Gruppe um einen Gemeindevertreter der Antragsgegnerin eine Versammlung gestört und sei wegen Äußerungen wie "keine Volksdeutschen", "alles Parasiten" und "polnischer Pöbel" angezeigt worden.

389

Am 11. Januar 2016 sei es im Leipziger Stadtteil Connewitz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, die der Kreisverband der Antragsgegnerin Leipzig in den sozialen Medien positiv kommentiert und dadurch die Situation angeheizt habe. Der überwiegende Teil der Täter habe einen rechtsextremen Hintergrund gehabt.

390

Schließlich habe die Antragsgegnerin in scheinlegaler Weise zum Umsturz aufgerufen, als sie im Februar 2016 Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes sowie Soldaten dazu aufgefordert habe, von ihrem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG Gebrauch zu machen. Eine derart gezielte Verleitung zum Ungehorsam gegenüber dem Staat beinhalte ein aktives Untergraben der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

391

4. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2016 hat die Antragsgegnerin zu den mit Schriftsatz vom 22. März 2016 vorgelegten Belegen des Instituts für Zeitgeschichte mitgeteilt, dass ihr die Belege hinsichtlich P. und H. nicht zurechenbar seien, da keine der beiden Personen Mitglied der Antragsgegnerin sei.

392

5. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 hat die Antragsgegnerin auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 27. April 2016 erwidert und geltend gemacht, dass sie die Bindung des Gesetzgebers an das Menschenwürdeprinzip ausdrücklich anerkenne. Auch die Behauptung des Antragstellers, sie negiere die Geltung der (Jedermann-)Grundrechte für Ausländer, gehe fehl. Sie strebe auch keine Ausbürgerung an, sondern fordere eine Einschränkung der überbordenden Einbürgerungspraxis durch eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes ex nunc.

393

Zu den neu erhobenen tatsächlichen Vorwürfen sei Folgendes auszuführen: S. stehe in Nauen lediglich unter Brandstiftungsverdacht, gerichtliche Feststellungen seien bislang nicht getroffen worden. Jedenfalls könne die Tat der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden, da sie diese weder billige, noch dazu angestiftet habe. Im Fall Löcknitz habe ihr Gemeindevertreter weder beleidigende Äußerungen getätigt noch Gewalt ausgeübt.

394

Zu den Verlautbarungen des Kreisverbands Leipzig sei festzustellen, dass die Antragsgegnerin den hierfür verantwortlichen Kreisvorsitzenden B. unverzüglich seines Amts enthoben habe. Der Betroffene habe die Partei sodann freiwillig verlassen. Mehr könne von der Antragsgegnerin nicht verlangt werden.

395

6. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2016 hat die Antragsgegnerin die ordnungsgemäße Besetzung des Senats im Hinblick auf die Mitwirkung des Richters Landau gerügt. Dessen Amtszeit sei abgelaufen. Gleichwohl versuche der Antragsteller durch die vorsätzliche Nichtwahl eines Nachfolgers die Erfolgsaussichten seines Verbotsantrags zu verbessern.

XV.

396

Hinsichtlich der 57 vom Antragsteller in der Antragsschrift und der deanonymisierten Übersicht aufgeführten strafrechtlichen Verurteilungen hat der Senat in 54 Fällen die entsprechenden Verfahrensakten beiziehen können.

B.

397

Die Anträge sind zulässig.

398

Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung des Senats bestehen nicht (I.). Auch stehen der Durchführung des Verfahrens keine unbehebbaren Verfahrenshindernisse entgegen (II.). Der hilfsweise gestellte Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung des Verfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, ist zurückzuweisen (III.). Die von der Antragsgegnerin im Übrigen geltend gemachten Zulässigkeitsmängel liegen nicht vor. Weder fehlt es an einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers (IV.1.), noch ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags aus einer verfassungswidrigen Ausgestaltung der Antragsbefugnis im Parteiverbotsverfahren durch § 43 BVerfGG (IV.2.). Auch die Auffassung, für das beantragte Parteiverbot stelle Art. 21 Abs. 2 GG keine geeignete Rechtsgrundlage dar, steht der Zulässigkeit des Verbotsverfahrens nicht entgegen (IV.3.).

I.

399

Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt. Hinsichtlich der bereits in der mündlichen Verhandlung beschiedenen Besetzungsrügen wird auf die gesondert ergangenen Beschlüsse verwiesen (vgl. Rn. 349). Die Besetzungsrüge der Antragsgegnerin betreffend den Richter Landau geht ins Leere. Die Amtszeit des Richters ist abgelaufen und er ist mit der Ernennung seiner Nachfolgerin gemäß § 4 Abs. 1 und 4 BVerfGG aus dem Senat ausgeschieden. Demgemäß hat er an der Entscheidung nicht mitgewirkt.

II.

400

Für eine Einstellung des Verfahrens wegen unbehebbarer Verfahrenshindernisse ist kein Raum.

401

1. Ein zur Verfahrenseinstellung führendes Hindernis kommt lediglich als ultima ratio möglicher Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen in Betracht (a). Im Parteiverbotsverfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG setzt dies einen Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht voraus (b). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn gegen das aus Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot freier und selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht verstoßen wird (c). Mit dem rechtsstaatlichen Gebot strikter Staatsfreiheit ist der Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens grundsätzlich nicht zu vereinbaren (d). Gleiches gilt, soweit ein Verbotsantrag im Wesentlichen auf Materialien und Sachverhalte gestützt wird, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde (e). Daneben kommt dem Grundsatz des fairen Verfahrens besondere Bedeutung zu. Der daraus folgende Anspruch einer Prozesspartei, im Rahmen einer von ihr ausgewählten Strategie effektiv Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können, steht einem Ausspähen der Prozessstrategie mit nachrichtendienstlichen Mitteln entgegen (f). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, kommt eine Fortsetzung des Parteiverbotsverfahrens grundsätzlich nicht in Betracht. Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn angesichts der von einer Partei ausgehenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Präventionszweck des Parteiverbotsverfahrens die Beeinträchtigung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Parteiverbotsverfahren eindeutig überwiegt (g).

402

a) Weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthalten spezielle Normen zu den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Durchführung eines Verfahrens gemäß Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG sowie zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen solche Anforderungen. Insbesondere fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung der Verfahrenseinstellung wegen nicht behebbarer Verfahrenshindernisse (vgl. BVerfGE 107, 339 <363>).

403

Allerdings hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes in seiner Entscheidung vom 18. März 2003 (BVerfGE 107, 339) hierzu - insoweit im Ansatz übereinstimmend zwischen damaliger Senatsmehrheit und -minderheit - ausgeführt: Kein staatliches Verfahren darf einseitig nur nach Maßgabe des jeweils rechtlich bestimmten Verfahrenszwecks ohne Rücksicht auf mögliche gegenläufige Verfassungsgebote und auf mögliche übermäßige rechtsstaatliche Kosten einseitiger Zielverfolgung durchgeführt werden. Die Durchsetzung jedes staatlichen Verfahrensinteresses muss im Konflikt mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Rechten, Grundsätzen und Geboten als vorzugswürdig nach Maßgabe der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein (BVerfGE 107, 339 <364>). Weiterhin hat der Senat darauf hingewiesen, dass dem Bundesverfassungsgericht aufgrund seiner alleinigen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei eine Garantenstellung für die Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen im Verbotsverfahren zukommt. Es hat daher von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob das staatliche Interesse an der weiteren Durchführung des Verfahrens überwiegt, oder ob die Fortsetzung des Verfahrens den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit und dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Antragsgegnerin widerspräche (vgl. BVerfGE 107, 339 <364 f.>). Ein zur Verfahrenseinstellung zwingendes Verfahrenshindernis wird dabei allerdings nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden können, wenn die materiellen Ziele des Verfahrens tatsächlich nicht mehr oder nur bei Inkaufnahme unverhältnismäßiger Rechtsverletzungen zu verwirklichen sind (BVerfGE 107, 339 <380> nicht entscheidungstragende Senatsmehrheit). Die Annahme eines zur Verfahrenseinstellung führenden Verfahrenshindernisses kommt nur als ultima ratio möglicher Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen in Betracht (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> entscheidungstragende Senatsminderheit).

404

b) Voraussetzung für die Annahme eines unüberwindlichen Verfahrenshindernisses ist demgemäß ein Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht (vgl. BVerfGE 107, 339 <365>). Bei weniger schwerwiegenden oder auf andere Weise ausgleichbaren Verfahrensmängeln verbietet sich hingegen eine Verfahrenseinstellung. Sie können durch Rechtsfolgen ausgeglichen werden, die nicht das gesamte Verfahren mit sofortiger Wirkung beenden, wie etwa erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung oder Beweisverwertungsverbote (vgl. BVerfGE 107, 339 <379> Senatsmehrheit unter Verweis auf BVerfGE 44, 353 <383>; 57, 250 <292 f.>; 101, 106 <126>).

405

c) Für die Frage, ob ein gewichtiger Verfassungsverstoß gegeben ist, sind vor allem die sich spezifisch aus dem Wesen des Parteiverbotsverfahrens gemäß Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden rechtsstaatlichen Anforderungen zu beachten: Das verfassungsgerichtliche Parteiverbot stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar. Im Parteiverbotsverfahren ist daher ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit geboten (vgl. BVerfGE 107, 339 <369> Senatsminderheit). Die betroffene Partei erhält vor dem Bundesverfassungsgericht - gegebenenfalls letztmalig - die Chance, dem Vorbringen des oder der Antragsteller, die ein Parteiverbot für erforderlich halten, das Bild einer loyalen verfassungsrechtlichen Institution entgegenzusetzen, deren weitere Teilnahme am Prozess der Volks- und Staatswillensbildung gerade im Interesse einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung notwendig und legitim ist. Staatsfreiheit und Selbstbestimmung gewinnen in dieser Situation eine besonders herausragende Bedeutung (vgl. BVerfGE 107, 339 <368> Senatsminderheit). Es muss gewährleistet sein, dass die Partei ihre Position frei, unbeobachtet und selbstbestimmt darstellen kann. Neben den Geboten der Verlässlichkeit und Transparenz ist die Anforderung strikter Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung vor dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 107, 339 <369> Senatsminderheit) unverzichtbar.

406

d) Die Tätigkeit von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines gegen diese laufenden Verbotsverfahrens ist mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht vereinbar:

407

aa) Erfolgt die Beobachtung einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei durch V-Leute oder Verdeckte Ermittler, die im Bundesvorstand oder einem Landesvorstand dieser Partei oder in den Vorständen ihrer Teilorganisationen tätig sind, ist deren freie und selbstbestimmte Willensbildung und Selbstdarstellung nicht gewährleistet. V-Leute wirken notwendig als Medien staatlicher Einflussnahme. Ihre Tätigkeit ist durch widersprüchliche Loyalitätsansprüche als Parteimitglieder einerseits und als - in der Regel entgeltlich tätige - Informanten für staatliche Behörden andererseits geprägt, dessen Aufgabe es sein kann, Material für ein mögliches Parteiverbotsverfahren zu beschaffen (vgl. BVerfGE 107, 339 <367> Senatsminderheit). Staatliche Präsenz auf den Führungsebenen der Partei macht Einflussnahmen auf deren Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar (vgl. BVerfGE 107, 339 <366> Senatsminderheit). Ob und inwieweit der Einzelne tatsächlich Einfluss genommen hat, ist regelmäßig nicht nachvollziehbar und daher nicht ausschlaggebend.

408

bb) Staatliche Stellen müssen rechtzeitig vor dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht - spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, einen derartigen Antrag zu stellen - ihre Quellen (V-Leute) in den Vorständen einer politischen Partei abgeschaltet haben und dürfen auch keine die "Abschaltung" umgehende "Nachsorge" betreiben; eingeschleuste Personen (Verdeckte Ermittler) sind zurückzuziehen (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>). Dabei ist die Pflicht zur "Abschaltung" von V-Leuten und Zurückziehung von Verdeckten Ermittlern auf den Bundesvorstand und die Landesvorstände der Partei sowie ihre Teilorganisationen begrenzt, da es sich hierbei um diejenigen Gremien handelt, die auf die Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens entscheidenden Einfluss haben. Parteitagsdelegierten, Abgeordneten oder Fraktionsmitarbeitern kommt demgegenüber ein vergleichbarer Einfluss nicht zu.

409

cc) Die "Abschaltung" von V-Leuten und die Zurückziehung Verdeckter Ermittler aus den Führungsebenen der Partei nach Bekanntmachung der Absicht, ein Verbotsverfahren einzuleiten, stehen der Forderung, die Handlungsfähigkeit der Organe präventiven Verfassungsschutzes zu erhalten, nicht entgegen (vgl. auch Rn. 418). Ein auf die Dauer des Verbotsverfahrens begrenztes Abschalten der V-Leute in den Führungsgremien der Partei setzt die zuständigen Behörden nicht außerstande, unter Einsatz der verbleibenden nachrichtendienstlichen Mittel (einschließlich des Einsatzes von V-Leuten unterhalb der Ebene der Führungsgremien) im rechtlich zulässigen Rahmen verfassungsfeindliche Bestrebungen in gebotenem Umfang aufzuklären. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Beobachtung einer Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln einen schweren Eingriff in das aus der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG folgende Selbstbestimmungsrecht darstellt, der in jedem Einzelfall neben einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage einer besonderen Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf (vgl. BVerfGE 107, 339 <366>; siehe auch BVerfGE 134, 141 <179 f., Rn. 112 ff.>).

410

e) Ebenfalls mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht zu vereinbaren ist es, wenn die Begründung eines Verbotsantrags auf Beweismaterialien gestützt wird, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <370> Senatsminderheit; Gebot der Quellenfreiheit).

411

aa) Manifestationen der Parteiziele und Verhaltensweisen der Parteianhänger können nur dann der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG zugrunde gelegt werden, wenn sie der Partei als Gegenstand eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung zuzurechnen sind. Dies ist bei Sachverhalten, die von staatlicher Stelle provoziert oder beeinflusst wurden, regelmäßig nicht der Fall (vgl. BVerfGE 107, 339 <382> Senatsmehrheit). Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, können aufgrund der mit der V-Mann-Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden. Eine Verwertung derartigen Materials zulasten der von einem Verbotsverfahren betroffenen Partei hat zu unterbleiben.

412

Demgegenüber sind Äußerungen oder Verhaltensweisen vor oder nach Beendigung der V-Mann-Tätigkeit zumindest nicht uneingeschränkt als unverwertbar anzusehen. Jedenfalls im Falle eines ausreichenden zeitlichen Abstands zur V-Mann-Tätigkeit, der gewährleistet, dass Loyalitätskonflikte das Verhalten nicht beeinflusst haben, bestehen regelmäßig keine Bedenken gegen eine Zurechnung dieses Verhaltens zu der betroffenen Partei.

413

bb) Die Quellenfreiheit des zur Begründung eines Verbotsantrags vorgelegten Beweismaterials hat der jeweilige Antragsteller darzulegen (vgl. BVerfGE 107, 339 <370> Senatsminderheit). Verbleiben nach Ausschöpfung der Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlung Zweifel, ob vorgelegtes Beweismaterial quellenfrei ist, darf dieses der Partei nicht zugerechnet und nicht zu Beweiszwecken verwendet werden.

414

cc) Ein solches, auf das infizierte Beweismaterial beschränktes Verwertungsverbot bedeutet allerdings nicht, dass damit stets ein nicht ausgleichbarer Verfahrensmangel begründet ist. Ist lediglich ein Teil des Beweismaterials betroffen, verbietet sich eine Verfahrenseinstellung als prozessuale Rechtsfolge jedenfalls dann, wenn die restliche Tatsachengrundlage die Durchführung des Verfahrens zulässt (vgl. BVerfGE 107, 339 <379> Senatsmehrheit).

415

f) Im Parteiverbotsverfahren hat - nicht zuletzt angesichts der Rechtsfolge der Auflösung der betroffenen Partei - zudem der Grundsatz des fairen Verfahrens besondere Bedeutung. Er garantiert Schutz vor Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen der Partei und ihrem Verfahrensbevollmächtigten behindern, und steht einer Verwendung von Informationen über die Prozessstrategie der Partei, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, entgegen.

416

Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) den Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren abgeleitet (vgl. BVerfGE 107, 339 <383> Senatsmehrheit).

417

aa) Dieser Anspruch umfasst insbesondere das Recht einer Prozesspartei, zur Wahrung ihrer Rechte im Rahmen einer von ihr ausgewählten Strategie Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 63, 380 <390 f.>; 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>; 107, 339 <383 f.> Senatsmehrheit), und ist auch im Parteiverbotsverfahren zu beachten (vgl. BVerfGE 104, 42 <50>; 107, 339 <367, 383>). Eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens liegt im Fall des Art. 21 Abs. 2 GG insbesondere vor, wenn die Verhandlungskonzeption der von einem Verbotsverfahren betroffenen Partei gezielt in einer Weise ausgeforscht wird, die eine sachangemessene Rechtsverteidigung unmöglich macht (vgl. BVerfGE 107, 339 <384> Senatsmehrheit) oder wesentlich erschwert. Gleiches kommt in Betracht, wenn während eines laufenden Verbotsverfahrens unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht allgemein zugängliche Informationen über die Prozessstrategie der betroffenen Partei zufällig erlangt und in einer die Effektivität ihrer Verteidigung beeinträchtigenden Weise verwertet werden.

418

bb) Allerdings führt auch der Anspruch auf ein faires Verfahren nicht zu einem Verbot der Beobachtung einer Partei und ihrer Mandatsträger mit nachrichtendienstlichen Mitteln während eines laufenden Verbotsverfahrens (vgl. bereits Rn. 409). Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der "streitbaren" oder "wehrhaften Demokratie", das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören (vgl. BVerfGE 2, 1 <11 ff.>; 5, 85 <138 f.>; 28, 36 <48>; 30, 1 <18 f.>; 40, 287 <292>; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>). Eine Beobachtung - auch unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz - ist daher in einem laufenden Verbotsverfahren grundsätzlich zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> Senatsminderheit; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>; BVerwGE 110, 126 <130 ff.>) sowie die rechtsstaatlichen Gebote der Staatsfreiheit und des fairen Verfahrens nicht außer Acht lässt.

419

Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet daher, dass, soweit die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens fortgesetzt wird, dies nicht der Ausspähung ihrer Prozessstrategie dient und dass im Rahmen der Beobachtung erlangte Informationen über die Prozessstrategie im Verfahren nicht zulasten der Partei verwendet werden. Nur auf diesem Weg kann sichergestellt werden, dass die Aufgabe präventiven Verfassungsschutzes weiter wahrgenommen werden kann, ohne das verfassungsmäßige Recht der betroffenen Partei auf ein faires Verfahren zu verletzen.

420

cc) Bei fortgesetzter Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln sind staatlicherseits hinreichende Vorkehrungen zu treffen, die eine Beachtung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gewährleisten. Dabei ist vor allem der besonderen Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Parteiverbotsverfahren Rechnung zu tragen.

421

Das Bundesverfassungsgericht hat für den ähnlich gelagerten Fall der Überwachung der Verteidigerkommunikation im Strafverfahren mehrfach festgestellt, dass Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Strafverteidiger nicht von vornherein und in jedem Fall unstatthaft sind, aber bei Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seiner Verteidigung behindern, das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren berührt ist (vgl. BVerfGE 30, 1 <32>; 49, 24 <55>; BVerfGK 11, 33 <43 ff.>; 19, 326 <332 f.>; vgl. auch BVerfGE 109, 279 <323, 329 ff.>; 110, 226 <251 ff.>; 113, 29 <49>). Die Überwachung des Telefonanschlusses eines Strafverteidigers ist demzufolge von Verfassungs wegen unstatthaft, wenn sie auf die Überwachung der Kommunikation mit seinem Mandanten abzielt (vgl. BVerfGK 11, 33 <43>).

422

Für das Parteiverbotsverfahren kann nichts anderes gelten. Auch hier sind das Vertrauensverhältnis zwischen der betroffenen Partei und ihren Verfahrensbevollmächtigten und das Recht auf effektive Verteidigung verfassungsrechtlich in grundsätzlich gleicher Weise geschützt. Dem ist durch geeignete Maßnahmen, die den freien und unbeobachteten Kontakt zwischen der Antragsgegnerin und ihren Verfahrensbevollmächtigten gewährleisten, Rechnung zu tragen.

423

dd) Es ist Sache des Antragstellers im Parteiverbotsverfahren darzulegen, welche Vorkehrungen er zur Verhinderung einer Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin oder einer Verwertung zufällig erlangter Kenntnisse zu ihren Lasten getroffen hat. Hat er dies in glaubhafter und nachvollziehbarer Weise getan, genügt die abstrakte Gefahr einer Ausforschung nicht, um von einer Verletzung des rechtsstaatlich verbürgten Anspruchs auf ein faires Verfahren ausgehen zu können (vgl. BVerfGE 107, 339 <384> Senatsmehrheit).

424

g) Die Verletzung des Gebots der strikten Staatsfreiheit und des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die gemäß Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebotene Rechtsstaatlichkeit des Parteiverbotsverfahrens. Der Einsatz von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens, die Begründung des Verbotsantrags in seinen wesentlichen Teilen unter Rückgriff auf von staatlichen Quellen infiziertes Beweismaterial oder die Ausnutzung von unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erworbener Kenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin stellen erhebliche Verfassungsverstöße dar. Deren Gewicht wird noch dadurch verstärkt, dass ein Parteiverbotsverfahren nicht nur mit der Rechtsfolge der Auflösung der betroffenen Partei verbunden sein kann, sondern dass bereits die mit Beantragung eines Verbots zum Ausdruck kommende Einschätzung ihrer Verfassungswidrigkeit einen schwerwiegenden Eingriff in das sich aus der Parteienfreiheit ergebende Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb darstellt.

425

Bei der Beantwortung der Frage, ob dies zu einer Beendigung des Verfahrens ohne Sachentscheidung führt, ist allerdings neben der in Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Parteienfreiheit auch die Entscheidung des Grundgesetzes für eine "streitbare Demokratie" zu beachten. Die Normentrias der Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG gehört zu den Kernbestandteilen präventiven Verfassungsschutzes (vgl. BVerfGE 107, 339 <386> Senatsmehrheit). Das Grundanliegen einer Verfassung, die sich nicht durch den Missbrauch der von ihr gewährleisteten Freiheitsrechte zur Disposition stellen lassen will, würde verfehlt, wenn sie nicht über wirksame Instrumente zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfügte (vgl. BVerfGE 107, 339 <387> Senatsmehrheit). Daher ist bei der Entscheidung über das Vorliegen eines zur Verfahrenseinstellung führenden unbehebbaren Verfahrenshindernisses im Parteiverbotsverfahren neben den rechtsstaatlichen Anforderungen an seine Durchführung immer auch dessen Präventionszweck in den Blick zu nehmen und beides gegeneinander abzuwägen.

426

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Erfordernisse der Verfahrensgestaltung im Parteiverbotsverfahren ausnahmslos nach sich zieht, dass eine Fortsetzung des Verfahrens von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <371> Senatsminderheit). Zwar wird im Falle einer Verletzung der rechtsstaatlichen Gebote strikter Staatsfreiheit und des fairen Verfahrens regelmäßig ein nicht behebbarer rechtsstaatlicher Mangel gegeben sein mit der Folge, dass grundsätzlich vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses auszugehen und das Verfahren einzustellen sein wird. Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn dem Eingriff in die rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Präventionszwecks des Verbotsverfahrens gegenübersteht. Auch wenn ein Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht vorliegt, ist Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens, dass seine Fortsetzung auch bei einer Abwägung mit den staatlichen Interessen am wirksamen Schutz gegen die von einer möglicherweise verfassungswidrig tätigen Partei ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> Senatsminderheit; <380> Senatsmehrheit). Im Fall des eindeutigen Überwiegens des Präventionszwecks des Parteiverbotsverfahrens kann dessen Fortführung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein (vgl. BVerfGE 107, 339 <385> Senatsmehrheit). Im Parteiverbotsverfahren bedarf es daher zur Feststellung des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einer Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen einerseits und dem Präventionszweck dieses Verfahrens andererseits.

427

2. Nach diesen Maßgaben ist ein zur Einstellung des Verbotsverfahrens führendes Verfahrenshindernis vorliegend nicht gegeben. Da aufgrund der vom Antragsteller vorgelegten Testate und Belege davon auszugehen ist, dass es auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine Verdeckten Ermittler oder V-Leute mehr gibt (a), das relevante Beweismaterial in seinen wesentlichen Teilen nicht auf Äußerungen und Verhaltensweisen von Parteimitgliedern mit Kontakten zu staatlichen Behörden gestützt ist (b), der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin Rechnung getragen worden ist und Kenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht erlangt wurden (c), fehlt es bereits an einem erheblichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien (erste Prüfungsstufe). Einer Abwägung mit dem Präventionszweck des Verbotsverfahrens (zweite Prüfungsstufe) bedarf es daher nicht.

428

a) Eine Verletzung des rechtsstaatlichen Gebots strikter Staatsfreiheit im Sinne freier und unbeobachteter Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht durch Einsatz staatlicher Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin während des streitgegenständlichen Verbotsverfahrens liegt nicht vor. Der Antragsteller hat glaubhaft - und ohne dass dies von der Antragsgegnerin in aufklärungsbedürftiger Weise erschüttert werden konnte - dargetan, dass rechtzeitig alle V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin abgeschaltet (aa) und nicht in informationsgewinnender Weise nachbetreut wurden (bb), sowie dass gegen die Antragsgegnerin keine Verdeckten Ermittler eingesetzt wurden oder werden (cc).

429

aa) Die "Abschaltung" aller V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin hat der Antragsteller durch die vorgelegten Testate und sonstigen Dokumente hinreichend belegt (1). Der Vortrag der Antragsgegnerin begründet keine ernsthaften Zweifel daran (2), so dass es weiterer Beweiserhebungen nicht bedurfte (3).

430

(1) (a) Der Antragsteller hat zum Nachweis der "Abschaltung" der V-Leute in den Führungsgremien der Antragsgegnerin Testate des Bundesinnenministers sowie der Innenminister und -senatoren aller Länder vorgelegt, in denen diese gleichlautend erklären, dass spätestens seit der Bekanntmachung der Absicht am 6. Dezember 2012, einen Verbotsantrag zu stellen, in den Vorständen der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen (JN, KPV und RNF) keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder V-Leuten eingesetzt werden. Darüber hinaus hat er inhaltlich übereinstimmende Erklärungen der Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes, des Bundeskriminalamts und des Bundespolizeipräsidiums sowie der Staatssekretäre im Bundesministerium der Finanzen und im Bundesministerium der Verteidigung vorgelegt. Diese nehmen zwar auf das Datum vom 6. Dezember 2012 nicht ausdrücklich Bezug, datieren aber alle vor diesem Zeitpunkt.

431

Diese Testate sind im Rahmen der Prüfung der Staatsfreiheit der Antragsgegnerin zu beachten, da im Verfassungsprozess als Beweismittel alle Erkenntnisquellen in Betracht kommen, die geeignet sind, dem Gericht die Überzeugung von der Wahrheit des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu verschaffen. Einen Numerus clausus der Beweismittel kennt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht (vgl. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 26 Rn. 10 ; Haberzettl, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 26 Rn. 20; Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 26 Rn. 8).

432

Beweisrechtlich handelt es sich bei den Testaten um schriftliche Erklärungen von Zeugen. Hinsichtlich ihres Beweiswertes ist zu berücksichtigen, dass diese Erklärungen von den Testierenden in ihrer jeweiligen amtlichen Eigenschaft abgegeben wurden. Selbst wenn den Innenministern und -senatoren ein Interesse am Ausgang des Verfahrens unterstellt würde, sind sie doch selbst nicht Antragsteller. Dies gilt erst recht für die übrigen Testierenden, so dass die Bedeutung der Testate über die Qualität eines bloßen Parteivortrags hinausreicht. Außerdem wären ein falsches Testat und die damit verbundene Verantwortung für ein mögliches Scheitern des Verbotsverfahrens für den jeweiligen Testierenden mit einem erheblichen persönlichen und politischen Risiko verbunden. Dies spricht dafür, dass die vorgelegten Testate nicht leichtfertig abgegeben wurden. Sie sind als Beweismittel für eine "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin grundsätzlich geeignet, es sei denn, dass ihre Glaubhaftigkeit durch den beweis- oder indiziengestützten Tatsachenvortrag der Antragsgegnerin oder in anderer Weise erschüttert wird.

433

(b) Der Antragsteller hat außerdem auf die Aufforderung in Ziffer III.1. des Hinweisbeschlusses vom 19. März 2015 (vgl. Rn. 131) den Vollzug der "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin dargestellt und belegt. Er hat dadurch die Glaubhaftigkeit der vorgelegten Testate untermauert:

434

Die Anzahl der Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin hat er zum Stichtag 1. Dezember 2011 mit insgesamt elf V-Leuten beziffert, die zwischen dem 29. Dezember 2011 und dem 10. April 2012 ausnahmslos abgeschaltet worden seien. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass es sich bei den eingesetzten Quellen ausschließlich um V-Leute gehandelt habe, da Verdeckte Ermittler nicht eingesetzt worden seien. Dabei führt der Antragsteller aus, er sei vom Quellenbestand zum Stichtag 1. Dezember 2011 - und nicht erst zum Zeitpunkt des Beginns der Materialsammlung am 2. April 2012 - ausgegangen, um auch "Abschaltungen", die gleichsam im Vorgriff auf das Verbotsverfahren erfolgt seien, zu dokumentieren. Zudem hat der Antragsteller vorgetragen, es sei seit dem 1. Dezember 2011 nicht vorgekommen, dass V-Leute unterhalb der Führungsebene in diese aufgerückt seien.

435

Zum Beleg der Anzahl an V-Leuten zum Stichtag hat der Antragsteller die Anschreiben der Innenministerien aller Länder und des Bundesministeriums des Innern an die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vorgelegt, in denen - jeweils unter Vorlage weiterer Anlagen und Belege (etwa der Leiter der Verfassungsschutzbehörden) - der jeweilige Quellenbestand dargelegt wird. Außerdem schildert der Antragsteller detailliert den "Regelfall" einer "Abschaltung" - in Form eines "Abschalttreffens" und der Unterzeichnung einer "Abschalterklärung" - und benennt (Einzel-)Fälle sogenannter "Nachbetreuungstreffen" zur Abwicklung der "Abschaltung" (insbesondere Auszahlung der "Abschaltprämie"), die - nach seinem Vortrag - jeweils vor dem 6. Dezember 2012 stattfanden und ausnahmslos nicht mit einem Informationsaustausch verbunden waren. Zum Nachweis der einzelnen Abschaltvorgänge werden die entsprechenden Abschaltvermerke und Abschalterklärungen vorgelegt.

436

(2) Die Antragsgegnerin hat demgegenüber keine Umstände vorgetragen, noch sind solche in sonstiger Weise ersichtlich, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der abgegebenen Erklärungen und vorgelegten Belege zur "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu begründen geeignet sind.

437

(a) Bezogen auf die Testate selbst wendet die Antragsgegnerin ein, diese seien unvollständig, da sich die Erklärungen zur "Abschaltung" von V-Leuten nicht auf alle zu berücksichtigenden Gremien der Antragsgegnerin bezögen und für MAD, BND und Zollkriminalamt keine ausreichenden Erklärungen abgegeben worden seien. Diese Einwendungen gehen fehl.

438

(aa) Die vorgelegten Testate beziehen sich auf die Vorstände der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen (JN, KPV und RNF) auf Bundes- und Landesebene. Mit dieser Bezugnahme auf Bundes- und Landesvorstände orientiert sich der Antragsteller an den Vorgaben der Senatsminderheit im vorangegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>) und wird dem hier anzuwendenden Maßstab gerecht.

439

Der Begriff der Führungsebene ist mit Blick auf das Gebot unbeeinflusster Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei im Parteiverbotsverfahren zu bestimmen. Damit umfasst er - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - weder die Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände, kommunalen Mandatsträger, Mitglieder der Landtagsfraktionen und deren Mitarbeiterstäbe noch die Delegierten von Bundes- und Landesparteitagen:

440

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die genannten Personen und Gremien innerhalb der Parteiorganisation der Antragsgegnerin überhaupt Führungsfunktionen wahrnehmen. So sind Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände nachgeordnete Organisationseinheiten innerhalb der Parteihierarchie. Bei Landtagsfraktionen handelt es sich bereits nicht um (Unter-)Gliederungen der Partei. Auch wenn die Arbeit der (Landtags-)Fraktionen eng mit der Parteiarbeit verknüpft sein wird, ergibt sich daraus noch nicht, dass Mitgliedern oder gar Mitarbeitern der Landtagsfraktionen Führungsverantwortung innerhalb der Partei zukommt. Ebenso wenig handelt es sich bei den Delegierten der Bundes- und Landesparteitage per se um Mitglieder der Führungsebene der Partei. Zwar ist der Parteitag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 ParteiG das oberste Organ des jeweiligen Gebietsverbands, jedoch bestimmt er durch die Wahl des Parteivorstands gemäß § 9 Abs. 4 ParteiG erst die führende Organisationseinheit der Partei innerhalb seiner Gebietszuständigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Antragsgegnerin obliegt die politische und organisatorische Führung der Partei dem Parteivorstand. Das den Parteitagsdelegierten zustehende Vorstandswahlrecht macht diese daher nicht selbst zu Mitgliedern der Parteiführung. Unabhängig davon ist unter dem Gesichtspunkt strikter Staatsfreiheit allein entscheidend, wer während des laufenden Verbotsverfahrens auf die Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht Einfluss nehmen kann. Dies sind in erster Linie der Bundesvorstand und allenfalls noch die Landesvorstände und die entsprechenden Gremien der Teilorganisationen der Antragsgegnerin. Eine darüber hinausgehende Bestimmung des Begriffs der "Führungsebene" kommt jedenfalls für das Parteiverbotsverfahren nicht in Betracht.

441

(bb) Soweit die Antragsgegnerin hinsichtlich der "Abschaltung" von V-Leuten aus dem Bereich des MAD, des BND und des Zollkriminalamts rügt, dass das Testat des Bundesministers des Inneren unzureichend sei und die Untertestate der Staatssekretäre in den Bundesministerien der Finanzen und der Verteidigung und der Präsidenten der jeweiligen Bundesbehörden nicht genügten, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Dabei kann dahinstehen, welcher Beweiswert der Erklärung des Bundesministers des Inneren bezogen auf die "Abschaltung" von V-Leuten von Behörden außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs zukommt. Jedenfalls ist der Beweiswert der - nachträglich vorgelegten - Testate der Staatssekretäre in den Bundesministerien der Finanzen und der Verteidigung sowie des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ausreichend, um von der Richtigkeit der Behauptung, dass im jeweiligen Zuständigkeitsbereich seit Dezember 2012 keine V-Leute eingesetzt werden, ausgehen zu können. Diese Personen sind Amtsträger in hervorgehobener Position, deren Erklärungen aufgrund ihrer Verantwortung, des von ihnen geleisteten Diensteides (vgl. § 64 Abs. 1 BBG) sowie der möglichen dienstrechtlichen Konsequenzen im Falle eines falschen Testats ein hohes Maß an Glaubhaftigkeit zukommt.

442

Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten unterschiedlichen Maß an demokratischer Legitimation zukommen soll, ist nicht nachvollziehbar. Die Glaubhaftigkeit der abgegebenen Erklärungen wird dadurch nicht tangiert. Daher liegt die Behauptung der Antragsgegnerin, dass nur der jeweilige Fachminister wirksame Testate abgeben könne, neben der Sache.

443

(b) Auch die sonstigen von der Antragsgegnerin erhobenen Einwendungen vermögen die Vermutung der Richtigkeit der zur "Abschaltung" der V-Leute vorgelegten Testate nicht zu erschüttern.

444

(aa) Unschlüssig ist die Behauptung der Antragsgegnerin, dass sich aus den statistischen Angaben des Antragstellers bereits ergebe, dass im Jahr 2013 in ihren Führungsgremien noch V-Leute tätig gewesen seien. Zwar hat der Antragsteller den Anteil der V-Leute, die im Zeitraum von 2008 bis 2013 in den Führungsgremien der Antragsgegnerin tätig gewesen seien, mit höchstens 6,6 % der Vorstandsmitglieder angegeben und dabei auch das Jahr 2013 in die Betrachtung einbezogen. Daraus folgt jedoch nicht, dass auch im Jahr 2013 noch V-Leute auf der Ebene des Bundesvorstands oder der Landesvorstände der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen tätig waren. Vielmehr handelt es sich um die Angabe eines Maximalwertes für den angesprochenen Zeitraum. Dies schließt nicht aus, dass dieser Wert je nach Zeitpunkt deutlich unterschritten wurde und im Jahr 2013 - wie vom Antragsteller vorgetragen - überhaupt kein Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin mehr erfolgte.

445

(bb) Ebenso wenig steht die Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller könne aufgrund des Vorverhaltens im vorangegangenen Verbotsverfahren eine grundsätzliche Vermutung rechtmäßigen Handelns staatlicher Stellen nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, einer Verwertung der Testate entgegen. Die Antragsgegnerin lässt insbesondere außer Betracht, dass entsprechende Erklärungen im vorangegangenen Verbotsverfahren nicht abgegeben wurden.

446

(cc) Auch das Vorbringen der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe nicht dargelegt, wie im Fall der Wahl einer V-Person in ein Amt auf der Führungsebene der Antragsgegnerin während des laufenden Verbotsverfahrens vorgegangen würde, trägt nicht. Der Antragsteller hat durch die vorgelegten Testate hinreichend belegt, dass - unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Wahl - spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin eingesetzt werden. Er hat außerdem Dokumente des Bundes und der Länder vorgelegt, die ausdrücklich anordnen, dass Quellen, die während des laufenden Verfahrens in den Vorstand aufrücken, unverzüglich und ohne "Nachsorge" abgeschaltet werden. Solche Fälle hat es nach seiner Darstellung seit Einleitung des Verbotsverfahrens nicht gegeben. Diesen Vortrag hat die Antragsgegnerin nicht substantiiert in Frage gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Darstellung unrichtig sein könnte, sind nicht ersichtlich. Daher hat es keiner weiteren Darlegungen bedurft, wie in einem solchen Fall verfahren worden wäre.

447

(dd) Die Behauptung der Antragsgegnerin, der sächsische Staatsschutz habe im Jahr 2014 versucht, den von ihr benannten A. anzuwerben und einzuschleusen, steht der Richtigkeit der vorgelegten Testate ebenfalls nicht entgegen. Es wurde nicht dargelegt, dass der als Zeuge Benannte überhaupt auf der Ebene des Bundes- oder eines Landesvorstands der Antragsgegnerin oder ihrer Teilorganisationen tätig wurde oder auch nur werden sollte. Die Antragsgegnerin trägt nur undifferenziert vor, A. sei aufgefordert worden, sich in "Vorstände" wählen zu lassen und Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen. Inwieweit dies den Rückschluss auf einen Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin im laufenden Verbotsverfahren erlauben soll, erschließt sich nicht. Hinzu kommen Ungereimtheiten im Vortrag der Antragsgegnerin. So behauptet sie schriftsätzlich, als Anwerber für den sächsischen Staatsschutz sei ein Herr "Friebe" aufgetreten, während in der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des A. von einem Herrn "Fink" die Rede ist. Das Ansinnen, Aufgaben auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu übernehmen, kann der eidesstattlichen Versicherung nicht entnommen werden. Schließlich ist die Antragsgegnerin dem Vortrag des Antragstellers nicht entgegengetreten, dass die Befragung aller für einen Anwerbeversuch in Betracht kommenden Dienststellen zu einem negativen Ergebnis geführt habe. Demgemäß bestehen erhebliche Zweifel, ob der von der Antragsgegnerin behauptete Anwerbeversuch überhaupt stattgefunden hat. Jedenfalls kann hieraus nicht auf den Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin während des laufenden Verbotsverfahrens geschlossen werden.

448

(ee) Soweit die Antragsgegnerin der Verwertung der vorgelegten Dokumente wegen der darin vorgenommenen Schwärzungen widerspricht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsgegnerin lässt außer Betracht, dass diese durch den Hinweis auf staatliche Fürsorgepflichten für Leib und Leben der betroffenen Personen und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden nachvollziehbar begründet worden sind. Dass die Schwärzungen das erforderliche Maß übersteigen, ist nicht erkennbar. Die Verständlichkeit der vorgelegten Erklärungen wird dadurch nicht entscheidend vermindert.

449

Die Behauptung der Antragsgegnerin, der Inhalt der geschwärzten Passagen führe möglicherweise zu einer Verkehrung des Bedeutungsgehalts der vorgelegten Erklärungen in ihr Gegenteil, stellt sich als eine durch keinerlei tatsächliche Umstände unterlegte Spekulation dar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Antragsgegnerin, in einem Abschaltvermerk aus Nordrhein-Westfalen, der nur eine Quelle betreffe, sei der Plural verwendet worden. Für die - vom vorgelegten Parallelvermerk abweichende - Formulierung kann es vielfältige Gründe gegeben haben. Jedenfalls erschließt sich nicht, weshalb aus der Verwendung des Plurals in dem vorgelegten Abschaltvermerk folgen soll, dass es in Nordrhein-Westfalen mehr als die zwei angegebenen Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin gegeben habe und daher insgesamt von der Unrichtigkeit der vorgelegten Dokumente ausgegangen werden müsse.

450

(ff) Soweit die Antragsgegnerin behauptet, die vorgelegten Weisungen zur "Abschaltung" der V-Leute seien nicht geeignet, deren Vollzug zu belegen, ignoriert sie die vorgelegten Abschalterklärungen und -protokolle sowie die weiteren hierzu vorgelegten Dokumente aus den Akten der Sicherheitsbehörden, die den Vollzug der entsprechenden Weisungen dokumentieren.

451

(gg) Auch die Auffassung, die vorgelegten Unterlagen seien bereits deshalb unglaubhaft, weil es danach auf den Führungsebenen der besonders starken Landesverbände der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen keine Quellen gegeben habe, trägt nicht. Das Fehlen von Quellen auf den Führungsebenen dieser Landesverbände kann unterschiedliche Ursachen haben und etwa Ergebnis besonders erfolgreicher Abschottung gegenüber Anwerbeversuchen der jeweiligen Sicherheitsbehörden sein.

452

(hh) Soweit die Antragsgegnerin schließlich das angeblich plötzliche Ausscheiden der beiden ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden Apfel und Szymanski als "verdächtig" bewertet und daraus ableitet, die Erklärung des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen zum Nichteinsatz staatlicher Quellen in der ehemaligen sächsischen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin seit Dezember 2011 sei nicht glaubhaft, erschließt sich die Bedeutung dieses Vorbringens für den vorliegend relevanten Sachzusammenhang nicht:

453

Die Antragsgegnerin stellt eine V-Mann-Tätigkeit der beiden ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden in den Raum. Bezüglich des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Apfel wird dies lediglich damit begründet, er habe während des laufenden Verbotsverfahrens die Bundesrepublik Deutschland "fluchtartig" verlassen. Dieser Vortrag stellt sich als in keiner Weise tatsachengestützte Vermutung der Antragsgegnerin dar. Bezüglich des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Szymanski bezieht sie sich auf einen Eintrag im Internetblog "gamma", der sich lediglich mit einer bereits im Jahr 2000 beendeten angeblichen V-Mann-Tätigkeit und einem Anwerbeversuch im Jahr 2004 befasst. Bereits aufgrund der zeitlichen Abläufe hat dieser Sachverhalt keine Relevanz für das vorliegende Verfahren. Die Glaubhaftigkeit der Erklärung des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen wird durch dieses Vorbringen der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Im Übrigen bezieht sich dessen Erklärung lediglich auf den Einsatz staatlicher Quellen in der ehemaligen sächsischen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin und damit auf eine Ebene, die hinsichtlich der Beachtung des Gebots der Staatsfreiheit im Parteiverbotsverfahren ohne Belang ist (vgl. Rn. 439 f.).

454

(3) Im Ergebnis ist die "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin aufgrund der durch zahlreiche Dokumente ergänzten Testate hinreichend belegt. Da die Antragsgegnerin nichts vorgetragen hat, was geeignet wäre, die Darlegungen des Antragstellers in Frage zu stellen, bestand keine Veranlassung, ihrer Beweisanregung zu folgen und eine Beschlagnahme und Inaugenscheinnahme sämtlicher sie betreffenden Akten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder vorzunehmen.

455

bb) (1) Hinsichtlich des Verzichts auf eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei den abgeschalteten V-Leuten hat der Antragsteller - entsprechend Ziffer III.2. des Hinweisbeschlusses vom 19. März 2015 - die in Bezug genommene "Vereinbarung zwischen Bund und Ländern" in Form des 4. Teils des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens ("Konsensuale Punkte des Kriterienkatalogs") vorgelegt und deren Umsetzung auch auf Länderebene erläutert. Insoweit verweist er auf ein zeitlich nachfolgendes "Musterschreiben" vom Dezember 2012, in dem die Sicherheitsbehörden angewiesen werden, jeden Kontaktversuch abgeschalteter Quellen zurückzuweisen und dies zu dokumentieren. Die Weiterleitung dieses Schreibens an alle betroffenen Behörden wird für den Bund aus zwei Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern und für die Länder aus dem dies bestätigenden Ergebnis einer Länderumfrage des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum NPD-Verbotsverfahren abgeleitet.

456

Im Hinblick auf den Vollzug des angewiesenen Verzichts auf eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei "abgeschalteten Quellen" im Bund und in den Ländern und die Zurückweisung etwaiger Kontaktversuche im Einzelfall sowie deren Dokumentation werden in den vorgelegten Anlagenkonvoluten sowohl Fälle zurückgewiesener Kontaktversuche (Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern) und zufälliger Kontakte (Nordrhein-Westfalen) als auch ein Fall eines "Betreuungstelefonates" wegen einer befürchteten psychischen Ausnahmesituation (Baden-Württemberg) dargestellt und belegt.

457

(2) Damit hat der Antragsteller bewiesen, dass eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei den abgeschalteten V-Leuten grundsätzlich unterblieben ist. Soweit er einräumt, dass eine Ausnahme von dem angeordneten Kontaktverbot für Maßnahmen gemacht worden ist, die dem unmittelbaren Schutz von Leib und Leben der Quellen dienten, erscheint dies gerechtfertigt. Die Fälle nachträglicher Kontakte und Kontaktversuche hat der Antragsteller dokumentiert. Umstände, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit seiner Darlegungen zu begründen geeignet wären, sind nicht ersichtlich. Weiterer Beweiserhebungen bedurfte es insoweit nicht.

458

cc) (1) Soweit die Antragsgegnerin rügt, die Testate verhielten sich nicht zur "Rückziehung" eingeschleuster V-Leute und Verdeckter Ermittler, weist der Antragsteller darauf hin, dass eine Rückziehung nur bei Verdeckten Ermittlern in Betracht komme, da nur diese als staatliche Bedienstete weisungsabhängig seien. Sodann legt er durch Vorlage von Aktenauszügen der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder glaubhaft dar, dass gegenüber der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt Verdeckte Ermittler eingesetzt worden sind.

459

(2) (a) Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Antragsgegnerin zur "Rückziehung eingeschleuster V-Leute" betreffen nicht staatlich bedienstete Verdeckte Ermittler, sondern Personen, die der Antragsgegnerin oder ihren Teilorganisationen auf Anregung oder Anweisung der Sicherheitsbehörden beigetreten sein sollen, um anschließend als Informanten tätig zu sein. Auch hinsichtlich dieser Personen genügt nach Auffassung der Antragsgegnerin eine "Abschaltung" nicht; sie seien vielmehr ebenfalls (aktiv) zurückzuziehen. Der Antragsteller bestreitet, dass Sicherheitsbehörden V-Leute in die Antragsgegnerin "eingeschleust" hätten.

460

(b) Ob es in derartigen Fällen tatsächlich einer Rückziehung bedarf, kann dahinstehen, da die Antragsgegnerin keine Umstände dargelegt hat, aus denen sich die Tätigkeit "eingeschleuster" V-Leute auf ihren Führungsebenen seit der Bekanntmachung der Absicht des Antragstellers, ein Verbotsverfahren einzuleiten, ergibt und derartige Umstände auch in sonstiger Weise nicht ersichtlich sind.

461

(aa) Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang erneut auf den angeblichen Anwerbe- und Einschleusungsversuch des von ihr als Zeugen benannten A. durch den sächsischen Staatsschutz rekurriert, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen (vgl. Rn. 447).

462

(bb) Nichts anderes gilt für die Behauptung der Antragsgegnerin, der ehemalige "V-Mann Piatto", S., sei auf Veranlassung des Verfassungsschutzes Brandenburg in die Antragsgegnerin "eingeschleust" worden, dort als "Geheimagent" auf der Führungsebene der Antragsgegnerin tätig gewesen und selbst zu einem Zeitpunkt, als er ideologisch nicht mehr hinter seinem Handeln gestanden habe, vom Verfassungsschutz zu einer weiteren Tätigkeit innerhalb der Antragsgegnerin angestachelt worden.

463

Auch mit diesem Vortrag lässt sich eine Einschleusung von V-Leuten in die Führungsebenen der Antragsgegnerin, die nicht spätestens am 6. Dezember 2012 zurückgezogen wurden, nicht belegen. S. wurde als V-Mann bereits im Jahr 2000 enttarnt. Welche Relevanz für das vorliegende Verfahren dem auf S. bezogenen Vorbringen angesichts dieser Zeitabläufe zukommen soll, ist nicht ersichtlich. Für die von der Antragsgegnerin begehrte Beiziehung der Akten des Oberlandesgerichts München zum "NSU-Prozess" besteht daher kein Anlass.

464

(cc) Deshalb ist davon auszugehen, dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine Verdeckten Ermittler auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin eingesetzt werden. Auch für einen Einsatz "eingeschleuster V-Leute" bestehen keine Anhaltspunkte, so dass es seitens des Antragstellers keiner Erklärung zu deren "Rückziehung" bedurfte.

465

b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass einer Fortführung des Verfahrens die fehlende Quellenfreiheit wesentlicher Teile des zulasten der Antragsgegnerin vorgelegten Beweismaterials entgegensteht.

466

aa) Der Antragsteller hat zum Beleg der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials weitere Testate des identischen Personenkreises vorgelegt, der auch die "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin testiert hat. Der Beweiswert dieser Testate zur Quellenfreiheit des Beweismaterials entspricht demjenigen der Testate zur "Abschaltung" der V-Leute und Verdeckten Ermittler (vgl. Rn. 432). Sie sind hinsichtlich der in Bezug genommenen Belege geeignet, Beweis für die Tatsache fehlender staatlicher Einflussnahme zu erbringen.

467

(1) In der Kategorie 1 bezieht der Antragsteller sich auf Beweismittel, die einer Person inhaltlich zugeordnet werden können (z.B. Aufsätze, Reden). Mit den Testaten wird bestätigt, dass keine der in dieser Kategorie aufgeführten Personen nach dem 1. Januar 2003 als V-Mann oder Verdeckter Ermittler tätig gewesen sei (vgl. Rn. 17). Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit dieser Erklärung sind nicht ersichtlich.

468

(2) Hinsichtlich der Belege der Kategorie 2 wird durch die vorgelegten Testate bestätigt, dass zum Zeitpunkt, zu dem die Beweismittel entstanden sind, in dem dafür verantwortlichen Personenkreis (z.B. Vorstand oder Redaktion) der Organisation, der das Beweismittel inhaltlich zuzuordnen ist, keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder V-Leuten zur Ausforschung der Antragsgegnerin eingesetzt worden seien (vgl. zum genauen Wortlaut der Testate Rn. 17). Auch insoweit fehlt es an Anhaltspunkten für eine Unrichtigkeit dieser Behauptung.

469

(3) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein zur Durchführung des Verbotsverfahrens ausreichender Teil des vorgelegten Beweismaterials quellenfrei ist:

470

(a) Der allergrößte Teil der vom Antragsteller vorgelegten Belege der Kategorie 1 datiert deutlich nach dem Jahr 2003. Lediglich bei drei Belegen, die dem Nachweis einer früheren Mitgliedschaft einzelner Angehöriger des Parteipräsidiums in neonazistischen Vereinigungen dienen, ist dies nicht der Fall. Ein weiterer Beleg, der die Ansprache des damaligen Vorsitzenden der Antragsgegnerin Voigt auf dem Bundesparteitag 2004 zum Gegenstand hat (Nr. 111), entstammt dem zeitlichen Umfeld des vom Antragsteller gewählten Stichtags. Bei allen übrigen Belegen der Kategorie 1 besteht ein hinreichender zeitlicher Abstand zu dem vom Antragsteller gewählten Bezugsjahr. Sie sind aufgrund der vorgelegten Testate als quellenfrei anzusehen.

471

(b) Demgegenüber führt der Hinweis der Antragsgegnerin auf die Möglichkeit "mittelbarer Beeinflussung" des vorgelegten Beweismaterials durch staatliche Quellen nicht zur Unverwertbarkeit. Die Antragsgegnerin hat keinerlei tatsächliche Umstände dargelegt, aus denen darauf geschlossen werden könnte, dass die das Beweismaterial bildenden Äußerungen und Verhaltensweisen nicht Gegenstand eigenständiger Willensbildung oder Überzeugung der jeweiligen Funktionäre, Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin waren, sondern durch Dritte provoziert wurden. Insbesondere für das Führungspersonal der Antragsgegnerin erscheint eine derartige "Fremdsteuerung" fernliegend.

472

(c) Nichts anderes gilt hinsichtlich der Belege der Kategorie 2. Auch insoweit ist auf der Grundlage der abgegebenen Testate davon auszugehen, dass deren Inhalt nicht staatlich beeinflusst ist.

473

bb) Dass der Antragsteller weder Beleg Nr. 112 (Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" vom 9. Oktober 1997) noch das vorgelegte Parteiprogramm der Antragsgegnerin einer der beiden Beweismittelkategorien zugeordnet hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn für diese Belege eine fehlende Quellenfreiheit und damit ihre Unverwertbarkeit (zum Parteiprogramm vgl. insoweit nachfolgend Rn. 647 ff.) anzunehmen wäre, verbliebe mit den von den Testaten erfassten, mehr als 650 Belegen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Durchführung des Verbotsverfahrens. Ein Verfahrenshindernis wegen staatlicher Beeinflussung wesentlicher Teile des Beweismaterials kommt ungeachtet der Frage der Verwertbarkeit dieser Einzelbelege nicht in Betracht.

474

c) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt nicht vor, da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Prozessstrategie der Antragsgegnerin nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht wurde, der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. Rechnung getragen worden ist, und auch keine zufällig mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangten Erkenntnisse über die Prozessstrategie im laufenden Verbotsverfahren zum Nachteil der Antragsgegnerin verwandt wurden.

475

aa) Der Antragsteller nimmt zum Beweis der Nichtausspähung der Antragsgegnerin Bezug auf den 4. Teil des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und das "Musterschreiben" vom Dezember 2012 mit der Weisung, nachrichtendienstlich erlangte Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin nicht entgegenzunehmen. Weiterhin bezieht er sich auf eine Weisung vom 17. März 2014 vor dem Hintergrund der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin, wonach Informationen zu deren Prozessstrategie auch nicht entgegengenommen werden dürften, wenn sie aus dem Umfeld ihres Verfahrensbevollmächtigten oder seiner Kanzlei stammten. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin selbst ein Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 29. April 2014 und des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes vom 24. Februar 2014 vorgelegt, in denen die jeweiligen Behörden mitteilen, dass der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich nicht beobachtet werde.

476

bb) Unter Bezugnahme auf Ziffer III.3. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 19. März 2015 hat der Antragsteller seinen Vortrag zum Verzicht auf eine Ausspähung der Prozessstrategie (1) und zur Sicherstellung der privilegierten Stellung des (damals allein bestellten) Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin (2) ergänzt und die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder vorgelegt.

477

(1) Hinsichtlich des Ausspähens der Prozessstrategie der Antragsgegnerin hat der Antragsteller dargelegt, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder anlässlich des Bundesratsbeschlusses vom 14. Dezember 2012 zur Durchführung des Verbotsverfahrens angewiesen wurden, keine diesbezüglichen Informationen zu beschaffen oder entgegenzunehmen und jeden Versuch einer entsprechenden Erkenntniszuführung zurückzuweisen sowie die Zurückweisung zu dokumentieren. Neben den diesbezüglichen Weisungen hat er ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 an alle Länder und alle Sicherheitsbehörden des Bundes zur Präzisierung dieser Vorgaben insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen nach dem G 10-Gesetz vorgelegt. Die jeweilige Umsetzung auf Ebene der Länder und des Bundes belegt der Antragsteller durch Vorlage der entsprechenden Weisungen und Erlasse. Außerdem werden Ausführungen zu jeweils einer G 10-Maßnahme des Bundes sowie der Länder Brandenburg und Sachsen gemacht. Sonstige G 10-Maßnahmen, in denen sich Bezüge zum NPD-Verbotsverfahren ergeben hätten, gebe es nicht.

478

Der Antragsteller legt zudem ein Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 10. Dezember 2013 an alle Landesverfassungsschutzämter vor, mit welchem anlässlich der Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht "sicherheitshalber" noch einmal auf den "völligen und ausnahmslos zu berücksichtigenden Verzicht" auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse in Bezug auf das Verbotsverfahren hingewiesen wird. Darüber hinaus haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erklärt, dass ihnen - abgesehen von allgemein zugänglichen, öffentlichen Äußerungen - keine Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin vorlägen.

479

(2) Im Hinblick auf die Sicherstellung der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin trägt der Antragsteller vor, dass nach Bekanntwerden seiner Bestellung zusätzliche Maßnahmen ergriffen worden seien, um dessen privilegierte Stellung - unter ausdrücklichem Hinweis auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO und explizit auch darüber hinaus - zu garantieren. Im Einzelnen verweist er auf die Musterweisung des Bundes und der Länder vom 17. März 2014 sowie die vorgelegte E-Mail des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 16. Juni 2014 an alle Länder und den Bund betreffend den Verzicht auf die Führung von Personenakten und die rückwirkende Löschung unzulässiger Speicherungen über den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin sowie die Beschränkung auf Erkenntnisse aus öffentlichen Quellen.

480

Die Umsetzung der Musterweisung und der per E-Mail eingeforderten Verhaltensweisen auf Ebene des Bundes und der Länder wird durch Vorlage entsprechender Weisungen und Erlasse dokumentiert. Ergänzend erklärt der Antragsteller, dass vier im Einzelnen bezeichnete Dokumente aus dem Jahr 2015, in denen der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin aufgeführt beziehungsweise zu einer Informationsveranstaltung über das Verbotsverfahren eingeladen worden sei, nach Bekanntwerden teilweise vernichtet und im Übrigen mit einer funktionsadäquaten Datenschutzsperre belegt worden seien.

481

(3) Die vorgelegten Unterlagen reichen aus, die Überzeugung des Senats zu begründen, dass auf eine Entgegennahme nachrichtendienstlicher Erkenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin verzichtet wurde. Der Antragsteller hat die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder lückenlos dokumentiert. Er hat über durchgeführte G 10-Maßnahmen berichtet und dargelegt, dass auch insoweit Informationen über das Verbotsverfahren nicht erlangt wurden beziehungsweise deren Verwertung unterbunden wurde. Umstände, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieses Vortrags begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

482

cc) Hieran vermag der Vortrag der Antragsgegnerin nichts zu ändern. Weder ist sie in der Lage, Umstände darzulegen, die auf einen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zur Ausspähung der Prozessstrategie gegenüber ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. schließen lassen (1), noch ist dies gegenüber Angehörigen der Führungsebenen der Antragsgegnerin der Fall (2).

483

(1) Sowohl die Schilderung des Verkehrsunfallgeschehens vom 30. November 2012 als auch die sonstigen Ausführungen der Antragsgegnerin sind nicht geeignet, die Vermutung einer Ausspähung der Prozessstrategie durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin zu begründen.

484

(a) Einer näheren Aufklärung des Verkehrsunfallgeschehens vom 30. November 2012 bedarf es nicht, da dieses bereits aufgrund des Zeitpunkts nicht im Zusammenhang mit dem Versuch einer Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin gestanden haben kann und eine mögliche frühere nachrichtendienstliche Beobachtung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. im vorliegenden Verfahren ohne Belang ist.

485

(aa) Der Unfall zwischen dem im Eigentum der Mutter des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin stehenden Kraftfahrzeug und einem Dienstfahrzeug des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes ereignete sich am 30. November 2012. Zu diesem Zeitpunkt war die Absicht der Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die Antragsgegnerin noch nicht öffentlich bekannt gemacht. Auch war weder der entsprechende Beschluss des Antragstellers gefasst, noch lag der vorbereitende Beschluss der Regierungschefinnen und der Regierungschefs der Länder vom 6. Dezember 2012 vor. Vor allem war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht absehbar, dass die Antragsgegnerin einen Vertretungsauftrag an ihren nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten zu 1. erteilen würde. Vor diesem Hintergrund ist ausgeschlossen, dass zum Unfallzeitpunkt eine etwaige nachrichtendienstliche Beobachtung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Ausspähung der Prozessstrategie für das vorliegende Verbotsverfahren dienen sollte.

486

(bb) Dahinstehen kann daher, ob - wie die Antragsgegnerin behauptet - das Verkehrsunfallgeschehen vom 30. November 2012 eine Überwachung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu diesem Zeitpunkt belegt. Dem steht entgegen, dass der Antragsteller ein Schreiben des Staatssekretärs des saarländischen Ministeriums des Innern vorgelegt hat, in dem dieser eine Überwachung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin verneint und erklärt, dass die das Unfallfahrzeug benutzenden Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz unterwegs gewesen seien, um eine konspirative Wohnung anzumieten und ein Postfach zu leeren. Der Direktor des Landesamts für Verfassungsschutz im Saarland hat diese Darstellung in der mündlichen Verhandlung detailliert und widerspruchsfrei bestätigt.

487

Im vorliegenden Zusammenhang ist ungeachtet dessen von entscheidender Bedeutung, dass der Antragsteller umfänglich dargelegt hat, welche spezifischen Maßnahmen er ergriffen hat, um der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. und der Möglichkeit vertraulicher Kommunikation Rechnung zu tragen. Diese Darlegungen werden durch ein zeitlich weit davorliegendes Verkehrsunfallereignis unter Beteiligung eines Fahrzeuges des saarländischen Verfassungsschutzes nicht in Frage gestellt.

488

(b) Welche Bedeutung hinsichtlich einer Ausspähung der Prozessstrategie dem Hinweis der Antragsgegnerin zukommen soll, ein Mitarbeiter des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz habe am 26. Februar 2014 auf Weisung des Präsidenten der Behörde einen bestehenden Facebook-Kontakt mit dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. abgebrochen, erschließt sich nicht. Weder hat die Antragsgegnerin vorgetragen noch entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verfahrensbevollmächtigte Prozessstrategien über Facebook verbreiten.

489

(c) Schließlich wird die Glaubhaftigkeit der Darlegungen des Antragstellers zum Unterbleiben einer Ausspähung der Prozessstrategie auch durch die Behauptung der Antragsgegnerin nicht erschüttert, es sei nach "Abschaltung" der V-Leute grundsätzlich von einer diese "Abschaltung" kompensierenden Überwachung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. und der Mitglieder des Parteivorstands der Antragsgegnerin mit sonstigen nachrichtendienstlichen Mitteln auszugehen, was dadurch bestätigt werde, dass die vorgelegten Weisungen sich ausschließlich auf G 10-Maßnahmen beschränkten.

490

Insoweit trifft schon nicht zu, dass die vom Antragsteller vorgelegten Weisungen und sonstigen Belege ausschließlich G 10-Maßnahmen zum Gegenstand haben. Vielmehr hat er umfänglich ausgeführt und belegt, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder angewiesen waren, nicht nur bei G 10-Maßnahmen bereits in die Vorauswahl keine Informationen über das Verbotsverfahren aufzunehmen, sondern auch keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegenzunehmen, jeden Versuch einer entsprechenden Erkenntniszuführung zurückzuweisen und zu dokumentieren sowie keine Akten über den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin zu führen und unzulässige Speicherungen zu löschen. Vor diesem Hintergrund genügt die bloße Vermutung, bei einer "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen und einem Verzicht auf G 10-Maßnahmen sei davon auszugehen, dass akustische Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen verstärkt eingesetzt würden, nicht, um die Annahme des Einsatzes dieser nachrichtendienstlichen Mittel gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. zu begründen.

491

(2) Auch soweit die Antragsgegnerin die Überwachung von Mitgliedern des Parteivorstands mit nachrichtendienstlichen Mitteln behauptet, zeigt sie keine Umstände auf, die Zweifel daran begründen, dass der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. Rechnung getragen worden und weder die Prozessstrategie der Antragsgegnerin mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht noch zufällig mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangte Erkenntnisse darüber im laufenden Verbotsverfahren zum Nachteil der Antragsgegnerin verwandt wurden.

492

(a) Soweit die Antragsgegnerin zum Beweis dieser Behauptung die Vernehmung ihres ehemaligen Bundesschatzmeisters begehrt, ist dem im Ergebnis nicht zu folgen. Es kann dahinstehen, ob der benannte Zeuge bei einer polizeilichen Vernehmung im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens mit wörtlichen Aussagen konfrontiert wurde, die er während einer Parteivorstandssitzung getätigt haben soll. Selbst wenn dies der Fall wäre, bedeutet das nicht, dass die Kenntnis von diesen Aussagen auf der nachrichtendienstlichen Überwachung des Bundesvorstands der Antragsgegnerin beruhte. Erst recht ergibt sich hieraus nichts für die Behauptung, dass Gegenstand dieser Überwachung die Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin im laufenden Verbotsverfahren gewesen sei, oder dafür, dass insoweit relevante Erkenntnisse erlangt worden seien, zumal die Antragsgegnerin jede zeitliche Einordnung der Äußerungen des benannten Zeugen, der nicht mehr Mitglied des Bundesvorstands ist, unterlässt.

493

(b) Nicht angezeigt ist zudem eine von der Antragsgegnerin angeregte Vernehmung des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes Edward Snowden. Der Vortrag der Antragsgegnerin bleibt rein spekulativ. Es erscheint bereits fernliegend, dass der benannte Zeuge bestätigen kann, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung der Vorstandsmitglieder oder des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin durch ausländische Geheimdienste stattgefunden hat und die dabei gesammelten Informationen an die nationalen Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland weitergegeben wurden. Noch ferner liegt die Annahme, dass der benannte Zeuge sich darüber hinausgehend auch noch dazu äußern kann, ob dieser Informationsaustausch die Verteidigungsstrategie oder den Kontakt der Antragsgegnerin mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. im laufenden Parteiverbotsverfahren betraf.

494

(c) Schließlich ist auch der in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Sachverhalt, dass zwei Landesvorstandsmitglieder des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2015 bis zum 9. August 2015 Gegenstand einer polizeilichen Überwachung und Datenerhebung waren, nicht geeignet, die Richtigkeit des Vortrags des Antragstellers, eine Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin finde nicht statt, zu erschüttern.

495

Nach der glaubhaften und von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Auskunft des Landeskriminaldirektors S. in der mündlichen Verhandlung waren nicht die beiden Mitglieder des Landesvorstands Ziel der Überwachungsmaßnahme, sondern ein sogenannter Gefährder aus der rechtsextremen Szene, dessen Haftentlassung bevorstand und dessen Wohnsitznahme festgestellt werden sollte. Die Landesvorstandsmitglieder seien nur deshalb mittelbar von der Maßnahme erfasst worden, weil sie den Betroffenen bei seiner Haftentlassung abgeholt hätten. Nach dessen Wohnsitznahme sei die Maßnahme sofort eingestellt worden. Ziel der Maßnahme war also keineswegs, wie die Antragsgegnerin "ins Blaue" hinein vermutet, die Ausspähung eines weiteren Landesvorstandsmitglieds. Die Maßnahme war auch weder auf die Erlangung von Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin gerichtet, noch fielen in diesem Rahmen derartige Erkenntnisse an.

496

dd) Im Ergebnis ist demnach davon auszugehen, dass von staatlichen Stellen keine nachrichtendienstlich erlangten Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin ermittelt oder entgegengenommen wurden und der privilegierten Stellung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. - insbesondere im Hinblick auf die in § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO normierten Einschränkungen für entsprechende Ermittlungsmaßnahmen im Fall zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger - Rechnung getragen wurde. Auch unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens liegt daher ein Verfahrenshindernis nicht vor.

III.

497

Der mit Schriftsatz vom 25. März 2014 (höchst hilfsweise) gestellte Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung des Verbotsverfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren. Selbst wenn die Antragsgegnerin von Abhörmaßnahmen ausländischer Dienste betroffen gewesen wäre, könnte eine Verfahrensrelevanz allenfalls gegeben sein, wenn bei den Maßnahmen Erkenntnisse über die Prozessstrategie angefallen, diese an deutsche Behörden weitergeleitet und dort - entgegen den vorliegenden Weisungen - entgegengenommen und zum Nachteil der Antragsgegnerin verwertet worden wären. Die Antragsgegnerin benennt keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte hierfür. Sie trägt auch insoweit ausschließlich "ins Blaue" hinein vor.

498

Außerdem ist nicht ersichtlich, warum das hiesige Verfahren bis zur Vorlage des Abschlussberichts des NSA-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ausgesetzt werden sollte, da weder der Einsatz von V-Leuten noch das Ausspähen der Prozessstrategie der Antragsgegnerin Gegenstand des Bundestagsuntersuchungsausschusses ist. Ein - wie auch immer gearteter - Erkenntnisfortschritt für das Vorliegen von Verfahrenshindernissen im hiesigen Parteiverbotsverfahren durch die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages ist nicht erwartbar.

IV.

499

Der Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin steht weder das Erfordernis ordnungsgemäßer Vertretung des Antragstellers entgegen (1.), noch ergibt sich seine Unzulässigkeit aus einer verfassungswidrigen Ausgestaltung der Antragsbefugnis im Parteiverbotsverfahren gemäß § 43 BVerfGG (2.) oder dem Fehlen einer Rechtsgrundlage für das beantragte Verbot aufgrund der Unanwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals "Beeinträchtigen" in Art. 21 Abs. 2 GG (3.).

500

1. Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers sind wirksam bevollmächtigt.

501

a) Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bedarf die Prozessvollmacht, die durch einen Vertretungsberechtigten erteilt werden muss, zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen einer solchen Vollmacht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerfGE 1, 115 <116>; 1, 433 <436>; 62, 194 <200>).

502

b) Die vom Antragsteller vorgelegten Vollmachten genügen diesen Anforderungen, da der Direktor des Bundesrates zu ihrer Unterzeichnung befugt gewesen ist. Dies ergibt sich bereits aus der Aufgabenzuweisung an den Direktor des Bundesrates gemäß § 14 Abs. 2 GOBR (aa). Hinzu kommt, dass der Präsident des Bundesrates den Direktor vorliegend ausdrücklich beauftragt hat, die Prozessvollmachten zu unterzeichnen (bb).

503

aa) Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 GOBR vertritt der Präsident des Bundesrates die Bundesrepublik Deutschland in allen Angelegenheiten des Bundesrates. Im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Beendigung seines Amts vertreten ihn gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 GOBR die Vizepräsidenten nach Maßgabe ihrer Reihenfolge.

504

Der Direktor des Bundesrates leitet gemäß § 14 Abs. 2 GOBR das Sekretariat des Bundesrates im Auftrag des Präsidenten und unterstützt diesen bei der Führung seiner Amtsgeschäfte. Da der Präsident und die Mitglieder des Bundesrates nicht ständig anwesend sind, kommt dem Sekretariat mit dem Direktor an seiner Spitze wesentliche Bedeutung für die Kontinuität der Arbeit des Bundesrates zu (vgl. Posser, Der Bundesrat und seine Bedeutung, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24 Rn. 77). Dies zeigt sich in den zahlreichen Aufgaben des Direktors, die über die Leitung der Verwaltung hinausgehen, vor allem in der dem Direktor obliegenden ständigen Kontaktpflege zu den übrigen Verfassungsorganen und den Landesregierungen sowie seinen Pflichten bei der Vorbereitung von Sitzungen und der Zuweisung von Vorlagen an die Ausschüsse (vgl. Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 235 f.; Posser, a.a.O., § 24 Rn. 77).

505

Teil seiner Leitungsaufgaben, insbesondere bei Abwesenheit des Präsidenten, ist die Außenvertretung des Bundesrates im Auftrag des Präsidenten. Dies schließt die Erteilung von Prozessvollmachten an die durch den Präsidenten des Bundesrates bestimmten Verfahrensbevollmächtigten ein. Dass § 14 Abs. 2 GOBR die Befugnis des Direktors des Bundesrates zur Unterzeichnung der Prozessvollmacht gemäß § 22 BVerfGG beinhaltet, entspricht der bisherigen Staatspraxis, die bei der Auslegung der Geschäftsordnung als Ausfluss des Selbstorganisationsrechts des Bundesrates zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 1, 144 <148 f.>).

506

bb) Darüber hinaus hat der Präsident des Bundesrates den Direktor vorliegend ausdrücklich mit der Erteilung der Vollmachten beauftragt: Der Bundesrat hat durch Plenarbeschluss vom 14. Dezember 2012 (BRDrucks 770/12) beschlossen, den Verbotsantrag zu stellen, und den Präsidenten gebeten, einen Verfahrensbevollmächtigten mit der Antragstellung, der Begründung und der Prozessführung zu betrauen. Der Präsident hat sodann nach der durch die Antragsgegnerin nicht bestrittenen Darstellung des Antragstellers nach Zustimmung des ständigen Beirates des Bundesrates (vgl. § 9 GOBR) den Direktor ersucht, Prof. Dr. Möllers und Prof. Dr. Waldhoff zu Verfahrensbevollmächtigten des Bundesrates zu bestellen. Damit hat er den Direktor jedenfalls ausdrücklich bevollmächtigt, die Prozessvollmacht gemäß § 22 Abs. 2 BVerfGG zu erteilen. Einer Unterzeichnung der Vollmacht durch den Präsidenten des Bundesrates bedurfte es nicht.

507

2. Eine Unzulässigkeit des Antrags ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht aus dem Numerus clausus der Antragsberechtigten im Verbotsverfahren gemäß § 43 BVerfGG. Soweit die Antragsgegnerin meint, § 43 BVerfGG sei verfassungswidrig, weil er unter Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG keine Antragsbefugnis für politische Parteien im Parteiverbotsverfahren vorsehe, vermag dies jedenfalls ein Fehlen der Antragsbefugnis des Antragstellers im vorliegenden Verfahren nicht zu begründen.

508

Es kann dahinstehen, ob eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 GG überhaupt in Betracht kommt, wenn der Gesetzgeber in Wahrnehmung des ihm nach Art. 21 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags sämtliche Parteien gleichermaßen von der Möglichkeit der Beantragung eines Parteiverbots ausschließt. Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäbe sich daraus allenfalls ein Erfordernis, den Kreis der Antragsberechtigten gemäß § 43 BVerfGG de lege ferenda zu erweitern. Eine Infragestellung der Antragsberechtigung des Antragstellers ist damit nicht verbunden.

509

3. Die Unzulässigkeit des Verbotsantrags folgt schließlich nicht aus der Auffassung der Antragsgegnerin, für das beantragte Parteiverbot fehle es an einer Rechtsgrundlage. Ob es sich, wie die Antragsgegnerin meint, bei dem Tatbestandsmerkmal der "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Art. 21 Abs. 2 GG um ein Redaktionsversehen handelt, kann mit Blick auf die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags dahinstehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass - entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin - der Antragsteller nicht nur geltend macht, die Antragsgegnerin strebe eine "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an, sondern seinen Antrag ausdrücklich auch auf das Ziel einer "Beseitigung" dieser Ordnung durch die Antragsgegnerin stützt. Im Übrigen richtet sich der Einwand der Antragsgegnerin auf eine dem Wortlaut widersprechende Verengung des Geltungsbereichs von Art. 21 Abs. 2 GG, worauf im Rahmen der Begründetheitsprüfung näher einzugehen ist (vgl. Rn. 548 ff.). Die Zulässigkeit des Verbotsantrags berührt dieser Vortrag der Antragsgegnerin nicht. Dies gilt auch, soweit sie geltend macht, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erlaube nur die Feststellung der Verfassungswidrigkeit, hingegen nicht das Verbot einer Partei (vgl. Rn. 527).

C.

510

Der Maßstab für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG hat sowohl dem fortbestehenden Geltungsanspruch als auch dem Ausnahmecharakter der Norm Rechnung zu tragen (I.). Eine beidem entsprechende Bestimmung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Parteiverbots (II.) ist mit den Vorgaben der EMRK nach der Parteiverbotsrechtsprechung des EGMR kompatibel (III.). Recht der Europäischen Union ist für die Voraussetzungen, unter denen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat verboten werden kann, nicht maßgeblich (IV.).

I.

511

Das Parteiverbot ist Teil der Konstitutionalisierung der politischen Parteien in Art. 21 GG (1.) und steht mit demokratischen Grundprinzipien nicht in Widerspruch (2.). Art. 21 Abs. 2 GG ist nicht im Hinblick auf die Möglichkeit einer originären Verfassungsneuschöpfung im Rahmen von Art. 146 GG unanwendbar (3.). Ebenso wenig hat er unter den Bedingungen gefestigter demokratischer Strukturen seinen Geltungsanspruch verloren (4.). Schließlich ist er auch nicht als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Notstandsrechts zu interpretieren (5.). Allerdings ist der Tatsache, dass ein Parteiverbot einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der politischen Willensbildung in ihrer Ausprägung als Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG darstellt, bei der Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen (6.).

512

1. a) Mit Art. 21 GG wurde den politischen Parteien erstmals ein eigener verfassungsrechtlicher Status zuerkannt. Im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung, die sich einer verfassungsrechtlichen Qualifizierung der politischen Parteien enthielt, weist das Grundgesetz ihnen eine besondere - im Vergleich zu Vereinigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG hervorgehobene (vgl. BVerfGE 107, 339 <358>) - Stellung zu. Sie werden durch Art. 21 GG in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben (vgl. BVerfGE 1, 208 <225>; 2, 1 <73>; 20, 56 <100>; 73, 40 <85>; 107, 339 <358>) und als notwendige "Faktoren des Verfassungslebens" (BVerfGE 1, 208 <227>) anerkannt. Die Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen verfassungsrechtlichen Aufgabe der Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes setzt die in Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Freiheit ihrer Gründung und Betätigung voraus.

513

b) Teil des Prozesses der Konstitutionalisierung der politischen Parteien war die Festschreibung der Möglichkeit des Parteiverbots. So sah bereits Art. 47 Abs. 4 des auf Herrenchiemsee ausgearbeiteten Entwurfs eines Grundgesetzes (HerrenChE) die Möglichkeit eines Verbots politischer Parteien, "die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben", durch das Bundesverfassungsgericht vor (vgl. Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, S. 68). Auch im Parlamentarischen Rat stand die verfassungsrechtliche Verankerung des Parteiverbots dem Grunde nach außer Streit, so dass lediglich Einzelfragen der Ausgestaltung des entsprechenden Tatbestands erörtert wurden (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F., Bd. 1, 1951, S. 208 ff.; Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, 1993, S. 151 ff.).

514

c) Die Etablierung des Parteiverbots in Art. 21 Abs. 2 GG war Ausdruck des Bestrebens des Verfassungsgebers, strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, um eine Wiederholung der Katastrophe des Nationalsozialismus und eine Entwicklung des Parteiwesens wie in der Endphase der Weimarer Republik zu verhindern (vgl. BVerfGE 107, 339 <362>). Art. 21 Abs. 2 GG ist darauf gerichtet, Risiken zu begegnen, die von der Existenz einer Partei mit verfassungsfeindlicher Grundtendenz und ihren typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten ausgehen (vgl. BVerfGE 25, 44 <56>). Einer solchen Partei soll - entsprechend der Forderung "keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" (vgl. BVerfGE 5, 85 <138>) - nicht die Möglichkeit eröffnet werden, die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu missbrauchen.

515

2. Dieses Konzept des Schutzes der Freiheit durch eine Beschränkung der Freiheit steht zu der Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 2 GG für einen Prozess der staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 107, 339 <361>) nicht in Widerspruch. Um eine freiheitliche demokratische Ordnung dauerhaft zu etablieren, will das Grundgesetz nicht auch die Freiheit gewährleisten, die Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen und die gewährte Freiheit zur Abschaffung dieser Ordnung zu missbrauchen. Art. 21 Abs. 2 GG zielt daher auf den Schutz der grundlegenden Werte, die für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar sind.

516

Das Grundgesetz nimmt vor diesem Hintergrund aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen. Ziel ist eine Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung. Demgemäß ist Art. 21 Abs. 2 GG Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung, Niederschlag der Erfahrungen eines Verfassungsgebers, der in einer bestimmten historischen Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte, Bekenntnis zu einer - in diesem Sinne - streitbaren Demokratie (vgl. zum Ganzen BVerfGE 5, 85 <139>).

517

Der Einwand der Antragsgegnerin, ein Parteiverbot, das zur Ausschaltung einer kompletten politischen Richtung führe, verstoße gegen das demokratische Prinzip der Volkssouveränität ("Das Volk hat immer Recht"), geht deshalb fehl. Sie lässt außer Betracht, dass Demokratie und Volkssouveränität sich nur in einem freiheitlichen Rahmen entfalten können. Die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung als Kern demokratischen Handelns setzt den Bestand einer freiheitlichen Ordnung voraus. Strebt eine politische Partei eine Beseitigung dieser Ordnung an, zielt ihr Verbot nicht auf eine Einschränkung, sondern auf die Gewährleistung von Demokratie und Volkssouveränität. Die Unzulässigkeit der Änderung zentraler Bestimmungen der Verfassung und die Begrenzung demokratischer Mitwirkungsrechte, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, sind daher nicht nur als von außen gesetzte Schranken zu verstehen, sondern vielmehr auch als Ausdruck einer dem Demokratieprinzip eigenen Selbstbeschränkung, indem sie eine dauerhafte Demokratie gewährleisten sollen. Herrschaft auf Zeit als Wesensgehalt von Demokratie erfordert, dass die jeweilige Mehrheit in (steter) Konkurrenz zur Minderheit steht und diese die Chance hat, selbst zur Mehrheit zu werden. Die vorübergehende Mehrheit darf daher nicht die offene Tür, durch die sie eingetreten ist, hinter sich zuschlagen (vgl. Dreier, JZ 1994, S. 741 <751>; Thiel, in: ders., Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 20, 23; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 54). Soweit ein Parteiverbot dazu führt, dass bestimmte politische Auffassungen tatsächlich aus dem Prozess der politischen Willensbildung ausgeschlossen werden, entspricht dies gerade der Grundentscheidung der Verfassung für eine "streitbare Demokratie", die ihre grundlegenden, für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbaren Werte nicht zur Disposition stellt. Das Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG verstößt daher nicht gegen die Prinzipien der Demokratie und Volkssouveränität im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, sondern gestaltet diese aus (vgl. bereits BVerfGE 5, 85 <139>: "Art. 21 Abs. 2 GG steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung in Widerspruch; …").

518

3. Die durch Art. 146 GG eröffnete Möglichkeit einer originären Verfassungsneuschöpfung steht einer Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG nicht entgegen. Unabhängig von der Frage, ob Art. 146 GG lediglich in Fällen einer Verfassungsnovation unter Beachtung der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG oder auch bei einer Totalrevision des Grundgesetzes anwendbar ist (vgl. zum Streitstand: Roellecke, in: Depenheuer/Grabenwarter, Verfassungstheorie, 2010, § 13 Rn. 48 ff.; v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 146 Rn. 7 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 146 Rn. 39 ff. ; Michael, in: Bonner Kommentar, Bd. 19, Art. 146 Rn. 637 ff. ; Dreier, Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, 2014, S. 433 ff. <452 f.>), bleibt das Grundgesetz bis zum Inkrafttreten einer in freier Entscheidung des deutschen Volkes beschlossenen neuen Verfassung in vollem Umfang in Kraft (vgl. BVerfGE 5, 85 <128>). Auch wenn Art. 146 GG dem Verfassungsgeber die Möglichkeit einer völligen Neuschöpfung der Verfassung eröffnen sollte, wird dadurch für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes ein auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes aktives Handeln einer politischen Partei nicht legitimiert. Diese kann sich auf die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG nur berufen, soweit ihr Handeln nicht gegen den unantastbaren Kernbestand einer freiheitlichen Demokratie gerichtet ist.

519

4. Eine Unanwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG kann auch nicht damit begründet werden, dass der Vorschrift lediglich ein transitorischer Charakter zur Gestaltung des Übergangs vom Nationalsozialismus zur freiheitlichen Demokratie zukomme, so dass die Norm mittlerweile ihren Geltungsanspruch verloren habe (vgl. Hofmann, Recht - Politik - Verfassung, 1986, S. 258; Groh, ZRP 2000, S. 500; Kugelmann, EuGRZ 2003, S. 533 <542>; Volkmann, DÖV 2007, S. 577 <584>). Dabei kann dahinstehen, ob die bloße Nichtanwendung einer Norm über einen längeren Zeitraum zu ihrem Geltungsverlust führen kann (bejahend wohl: Bryde, Verfassungsentwicklung - Stabilität und Dynamik im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1982, S. 454 f.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 79 Abs. 1 Rn. 42), denn es ist nicht nur in den Verbotsverfahren gegen die SRP (BVerfGE 2, 1) und die KPD (BVerfGE 5, 85), sondern auch in den Verfahren gegen die "Nationale Liste (NL)" (BVerfGE 91, 262) und die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)" (BVerfGE 91, 276) sowie im vorausgegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin (BVerfGE 107, 339) auf Art. 21 Abs. 2 GG zurückgegriffen worden.

520

Ein Verlust des Geltungsanspruchs der Norm käme allenfalls bei einer Ausgestaltung als bloßer Übergangsregelung in Betracht. Hierfür ergeben sich bereits aus dem Wortlaut der Norm keinerlei Anhaltspunkte. Außerdem ist der Schutzzweck von Art. 21 Abs. 2 GG, der darauf abzielt, Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung aufgrund des Erstarkens antidemokratischer Parteien durch deren Verbot abzuwehren, nicht auf die Phase der Konstituierung der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes beschränkt. Die Sicherung der Stabilität der demokratischen Strukturen im Geltungsbereich des Grundgesetzes bleibt eine Daueraufgabe. Ungeachtet der Frage, ob unter den gegenwärtigen demokratischen Bedingungen der Rückgriff auf das Parteiverbot im Vergleich zu einer Bekämpfung antidemokratischer Positionen im Wege der öffentlichen politischen Auseinandersetzung vorzugswürdig erscheint, führt die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seit Inkrafttreten des Grundgesetzes jedenfalls nicht zu einer grundsätzlichen Unanwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG.

521

5. Unzutreffend ist schließlich auch die Auffassung der Antragsgegnerin, Art. 21 Abs. 2 GG sei im Lichte der verfassungsrechtlichen Notstandsregelungen in Art. 91 GG und Art. 87a Abs. 4 GG zu interpretieren mit der Folge, dass Schutzgut der Vorschrift nicht eine abstrakte Ansammlung von Verfassungsprinzipien, sondern das Funktionieren staatlicher Einrichtungen sei und ein Parteiverbot nur als legitim angesehen werden könne, wenn die Partei sich an gewaltsamen Umsturzbewegungen beteilige.

522

Einem Rückgriff auf die Regelungen des verfassungsrechtlichen Notstandes gemäß Art. 87a Abs. 4, Art. 91 GG zur Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG stehen bereits die unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen entgegen: Während Art. 87a Abs. 4 GG und Art. 91 GG eine "drohende Gefahr" für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes voraussetzen, ist dies bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht der Fall. Ausreichend für ein Parteiverbot ist der Umstand, dass eine Partei "darauf ausgeht", die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Entsprechend handelt es sich bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht um eine Regelung zur Abwehr konkreter Gefahren. Vielmehr soll im Wege präventiven Verfassungsschutzes (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>; 107, 339 <386>; zu Art. 9 Abs. 2 GG: BVerfGE 80, 244<253>; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 515 ) die Entstehung konkreter Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung bereits weit im Vorfeld verhindert werden. Eine an den verfassungsrechtlichen Notstandsregelungen orientierte Neubestimmung der Parteiverbotskonzeption des Art. 21 Abs. 2 GG scheidet daher aus. Vielmehr ist dessen Regelungsgehalt eigenständig unter Berücksichtigung seines Präventionscharakters zu bestimmen.

523

6. Bei der Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG ist den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für die Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung, die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) und dem sich daraus ergebenden Ausnahmecharakter der Norm Rechnung zu tragen.

524

a) Das Grundgesetz geht davon aus, dass nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen und damit auch den sie vertretenden Parteien der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist (vgl. BVerfGE 5, 85 <135>). Es vertraut auf die Kraft dieser Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Dabei erkennt es in Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien als notwendigen Instrumenten für die politische Willensbildung des Volkes eine besondere Rolle zu (vgl. BVerfGE 107, 339 <361>). Ein Parteiverbot stellt demgemäß einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der politischen Willensbildung und die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG dar, der nur unter besonderen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann. Art. 21 Abs. 2 GG ist als "demokratieverkürzende Ausnahmenorm" zurückhaltend anzuwenden (vgl. Meier, a.a.O., S. 263). Aus diesem Grund bedarf es einer restriktiven Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Norm, die dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG und dem Parteiverbot des Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung trägt. Zugleich ist für die Annahme von ungeschriebenen, den Anwendungsbereich der Norm erweiternden Tatbestandsmerkmalen kein Raum (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 513 ).

525

b) Die restriktive Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG trägt des Weiteren dem Umstand Rechnung, dass zwingende Rechtsfolge eines Parteiverbots die mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit verbundene Auflösung der Partei ist.

526

Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ist ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin ausgeschlossen, mag diese sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>). Die Partei darf zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein (vgl. BVerfGE 12, 296 <305 ff.>; 39, 334 <357>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>). Das Grundgesetz nimmt in seiner gegenwärtigen Form die Gefahr, die in der Tätigkeit einer Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit liegt, um der politischen Freiheit willen in Kauf (vgl. BVerfGE 12, 296 <306>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>).

527

Ergibt hingegen die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG, ist die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und die Auflösung der Partei zwingend vorgegeben. Die Auffassung der Antragsgegnerin, Art. 21 Abs. 2 GG ermögliche lediglich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei und überlasse es dem "mündigen Bürger", eine entsprechende verfassungsrechtliche Erkenntnis durch Nichtwahl einer als verfassungswidrig erkannten Partei zu "vollstrecken", so dass die in § 46 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG vorgesehene Auflösung einer Partei die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreite, geht fehl. Sie entspricht nicht dem Regelungskonzept des Art. 21 GG. Die Vorschrift ist darauf gerichtet, die Mitwirkung einer Partei an der politischen Willensbildung des Volkes durch einen staatlichen Eingriff zu unterbinden. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht soll die Teilnahme der Partei an der politischen Willensbildung dauerhaft beenden. Nur so kann sich der angestrebte präventive Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfalten. Findet aber eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung nicht (mehr) statt, entfällt ein unverzichtbares Element des Parteibegriffs (vgl. § 2 PartG). Die mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit verbundene Beendigung der Beteiligung an der politischen Willensbildung führt notwendig zum Verlust des Status einer politischen Partei. Daher hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 46 Abs. 3 BVerfGG, wonach mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Auflösung der Partei zu verbinden ist, den ihm durch Art. 21 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich übertragenen Gestaltungsauftrag nicht überschritten (vgl. auch BVerfGE 5, 85 <391>). Gleiches gilt für das Verbot der Schaffung von Ersatzorganisationen und die fakultative Einziehung des Parteivermögens gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 und 2 BVerfGG. Einer Vollziehung der Feststellungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes durch eine Nichtwahl seitens der Bürgerinnen und Bürger scheidet daher aus. Auch für ein Weiterbestehen der Partei als Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG ist kein Raum. Auch scheidet eine lediglich befristete Aberkennung des Parteistatus nach dem derzeitigen Regelungskonzept des Art. 21 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 46 Abs. 3 BVerfGG aus. Eine Modifizierung dieses Regelungskonzepts, etwa hinsichtlich der Schaffung von Möglichkeiten gesonderter Sanktionierung im Fall der Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG unterhalb der Schwelle des Parteiverbots, ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten. Umso notwendiger ist es, die Voraussetzungen eines Parteiverbots so eng zu fassen, dass sie dem Gewicht des Eingriffs in die Parteienfreiheit Rechnung tragen.

II.

528

Der Verbotsantrag des Antragstellers betrifft das Schutzgut der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" (1.), auf deren "Beeinträchtigung oder Beseitigung" (2.) eine Partei "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger" (3.) "ausgehen" muss (4.). Weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmale für ein Parteiverbot bestehen nicht (5.).

529

1. Der Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert worden (a). Sein Regelungsgehalt kann nicht durch einen pauschalen Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt werden, sondern beschränkt sich auf die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze (b). Dabei steht das Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) im Vordergrund (c), das durch die Grundsätze der Demokratie (d) und der Rechtsstaatlichkeit (e) näher ausgestaltet wird.

530

a) aa) Im SRP-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass eine Partei nur aus dem politischen Leben ausgeschaltet werden darf, wenn sie die obersten Grundsätze der freiheitlichen Demokratie ablehnt (vgl. BVerfGE 2, 1 <14>). Diese obersten Grundsätze bilden die freiheitliche demokratische Grundordnung, der nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde liegt, dass der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und dass Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die freiheitliche demokratische Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt (vgl. BVerfGE 2, 1 <12>).

531

Freiheitliche demokratische Grundordnung und verfassungsmäßige Ordnung sind mithin zu unterscheiden. Die freiheitliche demokratische Grundordnung beschränkt sich auf diejenigen Prinzipien, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit gewährleisten (vgl. BVerfGE 2, 1 <12 f.>). Davon ausgehend hat das Bundesverfassungsgericht dieser Ordnung aus einer Gesamtinterpretation des Grundgesetzes und seiner Einordnung in die moderne Verfassungsgeschichte (vgl. BVerfGE 5, 85 <112>) zunächst folgende acht Elemente zugeordnet: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (BVerfGE 2, 1 <13>).

532

bb) Im KPD-Urteil hat das Gericht ferner als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Vereinigungsfreiheit (vgl. BVerfGE 5, 85 <199>) sowie insbesondere den aus dem Mehrparteienprinzip fließenden Parlamentarismus (vgl. BVerfGE 5, 85 <230, 236>) bezeichnet. Daneben wird auf das Erfordernis freier Wahlen mit regelmäßiger Wiederholung in relativ kurzen Zeitabständen und die Anerkennung von Grundrechten (vgl. BVerfGE 5, 85 <199 f.>) verwiesen, wobei das Gericht die Menschenwürde als obersten und unantastbaren Wert in der freiheitlichen Demokratie besonders herausgestellt hat (vgl. BVerfGE 5, 85 <204>; vgl. auch BVerfGE 6, 32 <41>).

533

cc) In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung bestätigt (BVerfGE 44, 125 <145>) und den Katalog der Elemente, die die freiheitliche demokratische Grundordnung bilden, um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>), den freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <139>; siehe auch BVerfGE 20, 56 <97>; 107, 339 <360>), die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit (zusammenfassend BVerfGE 77, 65 <74> m.w.N.), das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität (vgl. BVerfGE 27, 195 <201>) und die Religionsfreiheit (vgl. BVerfGE 137, 273 <303 Rn. 83>) ergänzt. Auch in diesem Zusammenhang hat es immer wieder auf die elementare Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG hingewiesen (vgl. BVerfGE 12, 45 <53>; 27, 1 <6>; 35, 202 <225>; 45, 187 <229>; 49, 286 <298>; 87, 209 <228>).

534

dd) Die mit der Beschreibung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbundene katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute wird im Schrifttum unter den Gesichtspunkten der Unvollständigkeit, Beliebigkeit, Unbestimmtheit, Missbrauchsanfälligkeit und fehlender Systematik teilweise kritisiert (vgl. Ridder, Aktuelle Rechtsfragen des KPD-Verbots, 1966, S. 28; Ruland, Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 16; Stollberg, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Parteiverbots, 1976, S. 33; Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, S. 37; Gusy, AöR 105 <1980>, S. 279 <285 ff.>; Meier, a.a.O., S. 291 ff.; Schaefer, Grundlegung einer ordoliberalen Verfassungstheorie, 2007, S. 572; Kalla/Zillmann, BRJ 2012, S. 176; Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 61; differenziert Morlok, NJW 2001, S. 2931 <2940>; ders., Jura 2013, S. 317 <321>; ders., in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 148; zustimmend hingegen Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, 1969, S. 204; Thiel, in: ders., Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 173 <198 f.>; Voscherau, Parteiverbote in der Bundesrepublik Deutschland und im Königreich Spanien, 2009, S. 93; Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 62 ). Dabei wird verkannt, dass zwischen den Kernelementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den sich daraus ergebenden (fallbezogenen) Ableitungen zu unterscheiden ist.

535

b) aa) Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ein derartiger reduzierter Ansatz erscheint nicht zuletzt durch den Ausnahmecharakter des Parteiverbots geboten. Die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung hat zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot ausgelöst werden kann. Ein Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung kommt erst in Betracht, wenn dasjenige in Frage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss.

536

bb) Eine solche Fokussierung auf die zentralen, für die Demokratie unentbehrlichen Grundprinzipien kann nicht durch Rückgriff auf den in Art. 79 Abs. 3 GG bestimmten änderungsfesten Kern der Verfassung erreicht werden. Anders als Art. 108 HerrenChE - der Vorläufer von Art. 79 Abs. 3 GG - verbietet Art. 79 Abs. 3 GG in der vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Fassung nicht nur Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde (vgl. Denninger, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 35 f.; Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 57 ff.).

537

Der Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG geht über den für einen freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbaren Mindestgehalt hinaus. Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen insbesondere nicht die von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Prinzipien der Republik und des Bundesstaats, da auch konstitutionelle Monarchien und Zentralstaaten dem Leitbild einer freiheitlichen Demokratie entsprechen können (vgl. Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1978, S. 180; Meier, a.a.O., S. 317; Papier/Durner, AöR 128 <2003>, S. 340 <357>). Eine Partei, die sich für ein derartiges Verfassungsmodell einsetzt, begibt sich nicht in einen Widerspruch zu Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie, der einen Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung rechtfertigen könnte. Daher ist der Regelungsgehalt des Schutzguts "freiheitliche demokratische Grundordnung" in Art. 21 Abs. 2 GG - ungeachtet inhaltlicher Überschneidungen - eigenständig und unabhängig vom Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG zu bestimmen.

538

c) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes als der oberste Wert des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 5, 85 <204>; 12, 45 <53>; 27, 1 <6>; 35, 202 <225>; 45, 187 <227>; 87, 209 <228>; 96, 375 <399>) anerkannt. Die Menschenwürde ist unverfügbar. Die Staatsgewalt hat sie in allen ihren Erscheinungsformen zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>). Damit wird dem Staat und seiner Rechtsordnung jede Absolutheit und jeder "natürliche" Vorrang genommen.

539

aa) Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 60 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 1 Rn. 19). Dem liegt eine Vorstellung vom Menschen zugrunde, die diesen als Person begreift, die in Freiheit über sich selbst bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 49, 286 <298>). Mit der Subjektqualität des Menschen ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum "bloßen Objekt" staatlichen Handelns zu degradieren (vgl. BVerfGE 122, 248 <271>).

540

Auch wenn diese "Objektformel" in ihrer Leistungskraft begrenzt sein mag (vgl. BVerfGE 109, 279 <312>; kritisch Dreier, a.a.O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 55; Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 15, jeweils m.w.N.), ist sie zur Identifizierung von Menschenwürdeverletzungen jedenfalls überall dort geeignet, wo die Subjektqualität des Menschen und der daraus folgende Achtungsanspruch grundsätzlich in Frage gestellt werden (so im Ergebnis auch Dreier, a.a.O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 60 ff.). Dies ist insbesondere bei jeder Vorstellung eines ursprünglichen und daher unbedingten Vorrangs eines Kollektivs gegenüber dem einzelnen Menschen der Fall. Die Würde des Menschen bleibt nur unangetastet, wenn der Einzelne als grundsätzlich frei, wenngleich stets sozialgebunden, und nicht umgekehrt als grundsätzlich unfrei und einer übergeordneten Instanz unterworfen behandelt wird. Die unbedingte Unterordnung einer Person unter ein Kollektiv, eine Ideologie oder eine Religion stellt eine Missachtung des Wertes dar, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins (BVerfGE 115, 118 <153>) zukommt. Sie verletzt seine Subjektqualität und stellt einen Eingriff in die Garantie der Menschenwürde dar, der fundamental gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt.

541

bb) Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht (vgl. Isensee, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. IV, 2011, § 87 Rn. 168). Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 120 ). Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar (vgl. Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 35). Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich - ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte (vgl. hierzu BVerfGE 107, 275 <284>) - jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

542

d) Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Demokratie ist die Herrschaftsform der Freien und Gleichen. Sie beruht auf der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger (vgl. BVerfGE 44, 125 <142>). Das Grundgesetz geht insoweit vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus und verbürgt im Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, zugleich den menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>; 129, 124 <169>; 135, 317 <386 Rn. 125>; BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13 u.a. -, juris, Rn. 124; Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 61 ff.; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 252 ff.).

543

aa) Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wie diesen Anforderungen entsprochen wird, ist für die Frage der Vereinbarkeit eines politischen Konzepts mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entscheidend. So vermag die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, den Vorwurf der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu begründen. Anders verhält es sich jedoch im Fall eines Verächtlichmachens des Parlaments mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren.

544

In der Demokratie erfolgt die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>; 69, 315 <346>; 107, 339 <361>). Die demokratischen Postulate der Freiheit und Gleichheit erfordern gleichberechtigte Mitwirkungsmöglichkeiten aller Bürger. Nur dann ist dem Erfordernis der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung genügt. Damit sind Konzepte des dauerhaften oder vorübergehenden willkürlichen Ausschlusses Einzelner aus diesem Prozess nicht vereinbar. Die Instrumente zur Sicherung der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung (Mehrparteiensystem, Chancengleichheit der Parteien, Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition) sind demgegenüber nachrangig.

545

bb) Der Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) erfordert daneben, dass sich alle Akte der Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes zurückführen lassen (vgl. BVerfGE 38, 258 <271>; 47, 253 <272>; 77, 1 <40>; 83, 60 <71>; 93, 37 <66>; 107, 59 <87>). Soweit das Volk die Staatsgewalt nicht selbst durch Wahlen oder Abstimmungen ausübt, sondern dies besonderen Organen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) übertragen ist, bedarf es eines hinreichend engen Legitimationszusammenhangs, der sicherstellt, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 89, 155 <182>; 93, 37 <66>). Erforderlich ist eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern (vgl. BVerfGE 47, 253 <275>; 52, 95 <130>; 77, 1 <40>; 93, 37 <66>; 107, 59 <87>). Auch insoweit kommt es im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG vorrangig nicht auf die einzelnen Instrumente zur Sicherstellung des hinreichenden Legitimationszusammenhangs (Parlamentarismus, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzes- und Weisungsgebundenheit der Verwaltung), sondern auf die grundsätzliche Beachtung des Prinzips der Volkssouveränität an.

546

cc) Das Grundgesetz hat sich für das Modell der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 83, 60 <72>). Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann.

547

e) Schließlich ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbarer Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Er zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 38) und ist durch eine Vielzahl einzelner Elemente geprägt, die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nur teilweise normativ verankert sind (vgl. Sachs, in: ders., GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 77; Schulze-Fielitz, a.a.O., Art. 20 Rn. 40). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind dabei die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert der Schutz der Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist. Das Gewaltmonopol des Staates (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 11, 71; Isensee, in: ders./Kirchhof, a.a.O., § 15 Rn. 86 ff.; E. Klein, in: Depenheuer/ Grabenwarter, Verfassungstheorie, 2010, § 19 Rn. 14) ist deshalb ebenfalls als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG anzusehen.

548

2. Zweite Voraussetzung für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist, dass diese eine "Beseitigung" oder "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im oben beschriebenen Sinne anstrebt.

549

a) Das Bundesverfassungsgericht hat bisher auf eine strikte Unterscheidung der Begriffe des "Beseitigens" und "Beeinträchtigens" verzichtet und als definitorische Annäherungen auf die Schwächung, Untergrabung beziehungsweise Zersetzung sowie die planmäßige Hetze, Verächtlichmachung und Verhöhnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zurückgegriffen (BVerfGE 2, 1 <21>; 5, 85 ; vgl. auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 461).

550

b) Bei differenzierter Betrachtung bezeichnet der Begriff des "Beseitigens" die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem (vgl. Sichert, DÖV 2001, S. 671 <675>; Gelberg, Das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG am Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens, 2009, S. 202; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 531 ; Ipsen, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 21 Rn. 164; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 153).

551

c) Dem Begriff des "Beeinträchtigens" kommt im Vergleich zu dem des "Beseitigens" ein eigenständiger, den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erweiternder Regelungsgehalt zu.

552

aa) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist das Tatbestandsmerkmal des "Beeinträchtigens" nicht als ein bloßes Redaktionsversehen des Verfassungsgebers ohne Bedeutung.

553

(1) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dies tatsächlich der Fall ist, da aufgrund der vorliegenden Dokumente über die Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht zweifelsfrei feststellbar ist, worauf die Einfügung des Merkmals "Beeinträchtigen" in den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG zurückzuführen ist. Zwar ersetzte der Allgemeine Redaktionsausschuss in seiner Sitzung vom 16. November 1948 die im Entwurf des Organisationsausschusses vorgesehene Anknüpfung des Verbotstatbestands an die verfassungswidrige Zielsetzung einer Partei durch das Tätigkeitsmerkmal "Darauf Ausgehen" und ergänzte den Begriff des "Beseitigens" durch den Begriff des "Beeinträchtigens" (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 209; Meier, a.a.O., S. 154). Diesen Vorschlag übernahm der Hauptausschuss einen Tag später, am 17. November 1948, in erster Lesung, jedoch mit der Maßgabe, dass die Worte "zu beeinträchtigen" gestrichen werden (vgl. v. Doemming/ Füsslein/Matz, a.a.O., S. 209; Meier, a.a.O., S. 155; Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Bd. 14, Teilbd. 1, Hauptausschuss, 2009, S. 120). Nach nochmaliger Befassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses legte der Hauptausschuss am 15. Dezember 1948 eine Fassung vor, die die Tatmodalität des "Beeinträchtigens" wieder aufwies (vgl. Meier, a.a.O., S. 157). Worauf die Wiederaufnahme dieser Tatmodalität beruhte und ob es sich dabei um ein schlichtes Versehen handelte, ist den verfügbaren Beratungsprotokollen nicht zu entnehmen (vgl. Meier, a.a.O., S. 158). Am 5. Mai 1949 nahm der Hauptausschuss diese Formulierung unter Streichung des Wortes "oder" zwischen den Adjektiven vor "Grundordnung" endgültig an (vgl. v Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 210). In dieser Fassung wurde die Vorschrift - nunmehr als Art. 21 Abs. 2 - vom Plenum des Parlamentarischen Rates am 6. und 8. Mai 1949 ohne Diskussion verabschiedet (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 210; Meier, a.a.O., S. 161; Feldkamp, a.a.O., Bd. 14, Teilbd. 2, Hauptausschuss, 2009, S. 1793 f.).

554

Fest steht daher nur, dass sowohl der Hauptausschuss als auch das Plenum des Parlamentarischen Rates Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG unter Einschluss der Tatbestandsalternative des "Beeinträchtigens" beschlossen haben. Dafür, dass hierbei der Wortlaut der Vorschrift nicht zur Kenntnis genommen und das Tatbestandsmerkmal des Beeinträchtigens nur versehentlich beschlossen wurde, gibt es keine Anhaltspunkte.

555

(2) Dessen ungeachtet geht das Bundesverfassungsgericht von jeher davon aus, dass es für die Auslegung einer Norm auf den in dieser zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 10, 234 <244>; 35, 263 <278>; 105, 135 <157>; 133, 168 <205 Rn. 66>). Der Entstehungsgeschichte kommt für die Auslegung regelmäßig nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die ansonsten nicht ausgeräumt werden können (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 59, 128 <153>; 119, 96 <179>; 122, 248 <283 f., 286 ff.>). Die in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen können nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 62, 1 <45>). Für die Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers sind vielmehr alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, die sich gegenseitig ergänzen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 133, 168 <205 Rn. 66>) und nicht in einem Rangverhältnis zueinander stehen (vgl. BVerfGE 105, 135 <157>; 133, 168 <205 Rn. 66>).

556

bb) Auf dieser Grundlage ist von einem "Beeinträchtigen" auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt. Ein "Beeinträchtigen" liegt daher bereits vor, wenn eine Partei, selbst wenn sie noch nicht erkennen lässt, welche Verfassungsordnung an die Stelle der bestehenden treten soll, qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt. Ausreichend ist, dass sie sich gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet, da diese miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen (vgl. Stollberg, a.a.O., S. 51; Sichert, DÖV 2001, S. 671 <675>; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 21 Rn. 228; Georg, Politik durch Recht - Recht durch Politik: Das Parteiverbot als Instrument der streitbaren Demokratie in seiner praktischen Bewährung, 2013, S. 91; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 163). Eine politische Partei, die einen der zentralen Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt und bekämpft, kann ein Parteiverbot nicht dadurch vermeiden, dass sie sich zu den jeweils anderen Prinzipien bekennt (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 228; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 531 ; Georg, a.a.O., S. 91; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 163). Allerdings ist nicht jede verfassungswidrige Forderung für sich genommen ausreichend, um das Ziel einer Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung annehmen zu können. Entscheidend ist vielmehr, dass eine Partei sich gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind, da allein so sichergestellt ist, dass ein Parteiverbotsverfahren nur zu Zwecken des präventiven Verfassungsschutzes und nicht auch zur Ausschaltung unliebsamer politischer Konkurrenz eingesetzt werden kann.

557

3. Dass eine Partei die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich nach dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG aus den "Zielen" oder dem "Verhalten ihrer Anhänger" ergeben. Die "Ziele" und das "Verhalten der Anhänger" sind dementsprechend die einzigen Erkenntnisquellen für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei.

558

a) Die Ziele einer Partei sind der Inbegriff dessen, was eine Partei politisch anstrebt, unabhängig davon, ob es sich um Zwischen- oder Endziele, Nah- oder Fernziele, Haupt- oder Nebenziele handelt (vgl. BVerfGE 5, 85 <143 ff.>; a.A. Meier, a.a.O., S. 275 ff.). Sie ergeben sich in der Regel aus dem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften (vgl. BVerfGE 5, 85 <144>).

559

Entscheidend sind die wirklichen Ziele der Partei, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht erforderlich, dass eine Partei sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt (vgl. BVerfGE 2, 1 <20>; 5, 85 <144>; zustimmend Seifert, DÖV 1961, S. 81 <83>; Henke, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 21 Rn. 357 ; Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 234; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 536 ; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 21 Rn. 76; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 156; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1075>). Eine Beschränkung der Feststellung der von einer Partei verfolgten Ziele auf das Programm oder offizielle Erklärungen der Partei ist daher nicht geboten (kritisch Meier, a.a.O., S. 104 ff., 275 ff.), auch wenn das Programm regelmäßig ein wesentliches Erkenntnismittel zur Feststellung der Zielsetzung einer Partei darstellen wird.

560

b) Neben ihrer Programmatik können sich die Absichten der Partei im Verhalten ihrer Anhänger spiegeln (vgl. BVerfGE 2, 1 <22>). Anhänger sind dabei alle Personen, die sich für eine Partei einsetzen und sich zu ihr bekennen, auch wenn sie nicht Mitglied der Partei sind (vgl. BVerfGE 2, 1 <22>; siehe auch BVerfGE 47, 130 <139>). Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber meint, der Begriff des "Anhängers" verstoße wegen seiner Uferlosigkeit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, ist dies nicht nachvollziehbar. Aufgrund der vorstehenden Definition ist eine Unterscheidung zwischen Anhängern und Nichtanhängern einer Partei ohne weiteres möglich.

561

Allerdings kann nicht jegliches Verhalten von Anhängern einer Partei zugerechnet werden. Eine Zurechnung ist insbesondere problematisch, wenn die Partei keinerlei Möglichkeit hat, das Verhalten zu beeinflussen. Entscheidend ist daher, dass in dem Verhalten des jeweiligen Anhängers der politische Wille der betroffenen Partei erkennbar zum Ausdruck kommt. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn das Verhalten eine in der Partei vorhandene Grundtendenz widerspiegelt oder die Partei sich das Verhalten ausdrücklich zu eigen macht. Folglich ist eine differenzierte Betrachtung geboten.

562

aa) Zuzurechnen ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 237; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 152 ). Auch die Tätigkeit von Publikationsorganen der Partei und das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen können ihr ohne weiteres zugerechnet werden.

563

bb) Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt. Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 237; Kunig, a.a.O., Art. 21 Rn. 77 f.; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 152 ).

564

cc) Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine - wie auch immer geartete - Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit. Regelmäßig sind eigene, das Verhalten der Anhänger beeinflussende oder rechtfertigende Aktivitäten der Partei erforderlich. Ein genereller Ausschluss der Zurechnung des Verhaltens einzelner Anhänger widerspricht dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG und kommt auch deshalb nicht in Betracht, da es der Partei die Möglichkeit eröffnen würde, sich vom Verhalten derjenigen, die sie maßgeblich beeinflusst hat, mit dem formalen Hinweis darauf zu entlasten, es handele sich nicht um ihre Mitglieder. Allerdings müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die es rechtfertigen, das Anhängerverhalten als Ausdruck des Parteiwillens anzusehen. Eine bloß nachträgliche Gutheißung wird für eine Zurechnung des Anhängerverhaltens nur ausreichen, wenn die Partei sich dieses damit erkennbar als Teil ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu eigen macht.

565

dd) Begehen Parteianhänger Straftaten, ist dies im Parteiverbotsverfahren nur relevant, soweit diese im Zusammenhang mit den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG stehen. Nur eine Straftat, die einen politischen Hintergrund hat, kann die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Partei belegen. Außerdem können Einzeltaten oder die Taten weniger einer Partei nicht zugerechnet werden, wenn sie nicht als Ausdruck des Parteiwillens angesehen werden können. Straftaten einfacher Mitglieder oder sonstiger Anhänger können der Partei nach diesem Maßstab nur zugerechnet werden, wenn diese erkennbar von der Partei beeinflusst sind und die Partei sich davon trotz Kenntnisnahme nicht distanziert beziehungsweise die Straftaten sogar gutheißt.

566

ee) Die pauschale Zurechnung von Straf- und Gewalttaten ohne konkreten Zurechnungszusammenhang scheidet aus. Insbesondere erlaubt - entgegen der vom Antragsteller vertretenen Auffassung - die Schaffung oder Unterstützung eines bestimmten politischen Klimas allein nicht die Zurechnung strafbarer Handlungen, die in diesem politischen Klima begangen werden. Es bedarf vielmehr der konkreten Feststellung, ob das strafbare Handeln als Teil der verfassungswidrigen Bestrebungen der Partei anzusehen ist. Eine Zurechnung von Straftaten Dritter im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG kommt zum Beispiel in Betracht, wenn die Partei sachliche oder organisatorische Hilfe geleistet hat, personelle Verknüpfungen zwischen der Partei und der handelnden Gruppierung bestehen oder Parteimitglieder an der jeweiligen Tat beteiligt waren.

567

ff) Parlamentarische Äußerungen können einer Partei im Verbotsverfahren zugerechnet werden. Der Grundsatz der Indemnität (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG; zur inhaltsgleichen Regelung auf Landesebene: Art. 24 Abs. 1 Satz 1 LV Mecklenburg-Vorpommern, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 LV Sachsen) führt im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin hier zu keiner anderen Beurteilung.

568

Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG darf ein Abgeordneter wegen einer parlamentarischen Äußerung weder gerichtlich oder dienstlich verfolgt noch sonst zur Verantwortung gezogen werden. Der Indemnitätsschutz verbietet demgemäß jede beeinträchtigende Maßnahme außerhalb des Parlaments als Folge innerparlamentarischen Verhaltens eines Abgeordneten (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 46 Rn. 45 ; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 46 Rn. 18). Nach seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu sichern und den Abgeordneten zu schützen (vgl. BVerfGE 104, 310 <332>), ist Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG weit zu verstehen. Daher kommt es für seine Anwendbarkeit nicht darauf an, ob eine staatliche Sanktion sich als unmittelbare Folge des parlamentarischen Handelns darstellt (vgl. BVerfGE 134, 141 <183 f. Rn. 124>). Aus diesem Grund schließt der Umstand, dass ein Mandatsverlust im Falle eines auf parlamentarische Äußerungen gestützten Parteiverbots eine nur mittelbar eintretende Folge des parlamentarischen Handelns darstellt, die Anwendbarkeit von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG nicht grundsätzlich aus.

569

Allerdings stehen sich Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG gleichrangig gegenüber. Daher ist bei der Auslegung von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG die Grundentscheidung der Verfassung für die "streitbare Demokratie" in Rechnung zu stellen (vgl. insoweit zu Art. 10 GG: BVerfGE 30, 1<19>) und zwischen dem Indemnitätsschutz gemäß Art. 46 GG und dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ein Ausgleich nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz herzustellen. Es bedarf somit bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG der Außerachtlassung der parlamentarischen Äußerungen ihrer Abgeordneten nicht, zumal diese regelmäßig in besonderer Weise geeignet sind, die von einer Partei verfolgten Ziele und Konzepte nachzuvollziehen. Dem Indemnitätsschutz kann vielmehr bei der Entscheidung über den Mandatsverlust als Folge eines Parteiverbots Rechnung getragen werden. Zwar mag nicht auszuschließen sein, dass bei einem Abgeordneten ein Mandatsverlust ausnahmsweise auch als Folge des Parteiverbots eintreten kann, wenn sich die von der verbotenen Partei verfolgten verfassungswidrigen Ziele allein oder maßgeblich aufgrund seiner parlamentarischen Äußerungen ergeben. Einer Verwertung der Äußerungen im Parteiverbotsverfahren steht dies aber nicht entgegen.

570

4. Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots gemäß Art. 21 Abs. 2 GG nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung "ausgeht". Ein solches "Ausgehen" setzt bereits begrifflich ein aktives Handeln voraus. Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot (a). Notwendig ist vielmehr ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung (b) setzt dies ein planvolles Handeln voraus, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist (c). Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich (d). Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen (e).

571

a) Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Darauf Ausgehens" ist den Wertentscheidungen der Verfassung für die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG), die politische Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen. Der mit einem Parteiverbot verbundene Eingriff in diese Verfassungsgüter ist nur zulässig, soweit der Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG dies gebietet. Daher ist erforderlich, dass eine Partei sich durch aktives Handeln für ihre Ziele einsetzt und damit auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland hinwirkt.

572

Anders als die Antragsgegnerin meint, besteht aber keine verfassungsrechtliche Vermutung, dass sich eine parteipolitische Organisation, die eine demokratische Binnenstruktur aufweist, auch im externen Bereich demokratisch verhält. Auch wenn die innere Ordnung einer Partei der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG entspricht, ist nicht ausgeschlossen, dass die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht.

573

Art. 21 Abs. 2 GG sanktioniert nicht Ideen oder Überzeugungen. Die Vorschrift beinhaltet kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot, sondern ein Organisationsverbot (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 488 ). Erst wenn eine Partei mit ihren verfassungsfeindlichen Zielen nach außen tritt und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates agiert, kommt ein Einschreiten nach Art. 21 Abs. 2 GG in Betracht. Die Partei muss also über das "Bekennen" ihrer eigenen (verfassungsfeindlichen) Ziele hinaus die Grenze zum "Bekämpfen" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Staates überschreiten (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 526 ). Nur ein Verständnis des "Darauf Ausgehens", das der Voraussetzung des Überschreitens dieser Grenze Rechnung trägt, entspricht dem Gebot restriktiver Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG.

574

b) Zur Bestimmung der Grenze zwischen dem bloßen Bekenntnis der eigenen Überzeugung und der Bekämpfung der Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht im KPD-Urteil ausgeführt, dass eine Partei nicht schon dann verfassungswidrig sei, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkenne, sie ablehne oder ihnen andere entgegensetze. Hinzukommen müsse eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 <141>). Weiterhin wird im Urteil darauf verwiesen, dass die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung so weit in Handlungen (dies seien unter Umständen auch programmatische Reden verantwortlicher Persönlichkeiten) zum Ausdruck kommen müsse, dass sie als planvoll verfolgtes politisches Vorgehen der Partei erkennbar werde. Versuchs- oder Vorbereitungshandlungen im strafrechtlichen Sinne seien hierfür nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>). Eine Partei könne auch dann verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf bestehe, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können.

575

c) Das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" setzt ein planvolles Handeln im Sinne qualifizierter Vorbereitung einer Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder einer Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland voraus.

576

aa) Für ein planvolles Vorgehen der Partei ist erforderlich, dass kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechendes politisches Konzept hingearbeitet wird. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die einzelne Handlung Ausdruck einer der Partei zuzurechnenden Grundtendenz ist (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>). Bestrebungen einzelner Parteianhänger bei sonst loyaler Haltung der Partei zu den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG können nicht zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>). Verfassungswidrige Einzelaktionen berechtigen grundsätzlich nur zu polizei- oder strafrechtlichen Reaktionen. Ein Parteiverbot kommt erst in Betracht, wenn das verfassungsfeindliche Agieren von Parteianhängern sich nicht nur in Einzelfällen zeigt, sondern einer zugrunde liegenden Haltung entspricht, die der Partei in ihrer Gesamtheit zugerechnet werden kann.

577

bb) Das planvolle Handeln der Partei muss sich darüber hinaus als qualifizierte Vorbereitung im Hinblick auf die Erreichung ihrer gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichteten Ziele darstellen. Erforderlich ist insoweit ein zielorientierter Zusammenhang zwischen eigenen Handlungen und der Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

578

Ein strafrechtlich relevantes Handeln erfordert Art. 21 Abs. 2 GG dagegen nicht. Dies wäre mit dem präventiven Charakter der Norm nicht vereinbar. Das Strafrecht knüpft an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten von Einzelpersonen an. Art. 21 Abs. 2 GG dient demgegenüber der Abwehr künftig möglicher Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates. Dem Verfassungsgeber genügte ein repressiver Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch strafrechtliche Bestimmungen gerade nicht. Vielmehr wollte er dem wehrhaften Verfassungsstaat die Möglichkeit eröffnen, frühzeitig - und ohne strafbares Handeln abwarten zu müssen - tätig zu werden. Die Auffassung, dass ein "Darauf Ausgehen" strafrechtlich relevante Vorbereitungshandlungen im Bereich der Staatsschutzdelikte (vgl. Meier, a.a.O., S. 271 ff.; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 150) oder den Einsatz physischen oder psychischen Terrors (vgl. Maurer, AöR 96 <1971>, S. 203 <216>) erfordere, geht daher zu weit. Ebenso wenig ist es erforderlich, dass sich das der Partei zurechenbare Handeln - unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung - als gesetzeswidrig darstellt. Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt. Das Parteiverbot stellt gerade auch eine Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der "legalen Revolution" dar, die die Machterlangung mit erlaubten Mitteln auf legalem Weg anstrebte. Auch in diesem Fall soll der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch ein Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG frühzeitig möglich sein (vgl. Alter, AöR 140 <2015>, S. 571 <577 f.>).

579

Daher kann auch die Inanspruchnahme grundrechtlich geschützter Freiheiten verbotsrelevant sein. Die "streitbare Demokratie" will gerade den Missbrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten zur Abschaffung der Freiheit verhindern. Es kommt im Parteiverbotsverfahren also nicht darauf an, ob eine - unbenommene - Betätigung grundrechtlicher Freiheiten vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, ob diese sich als qualifizierte Vorbereitung einer Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Ist dies feststellbar, ist ein entsprechendes Verhalten im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG zu berücksichtigen.

580

Setzt ein Parteiverbot demgemäß die Anwendung illegaler oder strafrechtlich relevanter Mittel oder Methoden nicht voraus, können sich daraus dennoch gewichtige Anhaltspunkte sowohl für den Verstoß der Ziele dieser Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als auch dafür ergeben, dass die Partei auf die Verwirklichung dieser Ziele im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG ausgeht. Lässt sich etwa feststellen, dass Anhänger einer Partei in einer ihr zurechenbaren Weise Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele anwenden, spricht dies dafür, dass die Partei das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennt und insoweit auf eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt. Zugleich wäre eine der Partei zurechenbare Anwendung oder Billigung von Gewalt ausreichend, um davon ausgehen zu können, dass das Handeln der Partei hinreichend qualifiziert eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorbereitet (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 533 f. ).

581

d) Dass das Handeln der Partei bereits zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG führt, ist nicht erforderlich. Dagegen sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vorschrift.

582

aa) Nach dem Wortlaut der Norm ist das Tatbestandsmerkmal "Gefährden" ausschließlich auf das Schutzgut "Bestand der Bundesrepublik Deutschland" bezogen. Dass es demgegenüber für die erste Tatbestandsalternative der Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Eintritts einer konkreten Gefahr nicht bedarf, bestätigen die ebenfalls dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienenden Art. 11 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1 und Art. 91 GG. Diese haben für die Anordnung der dort im Einzelnen vorgesehenen Maßnahmen ausdrücklich das Vorliegen einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes zur Voraussetzung. Dies ist bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht der Fall.

583

bb) Der Verzicht auf das Erfordernis einer konkreten Gefahr in Art. 21 Abs. 2 GG ist Konsequenz des Umstands, dass die Vorschrift sich als Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus und die (vermeintliche) Wehrlosigkeit der Weimarer Reichsverfassung gegenüber den Feinden der Demokratie darstellt (vgl. Rn. 548 ff.). Sie beruht auf der historischen Erfahrung, dass radikale Bestrebungen umso schwieriger zu bekämpfen sind, je mehr sie an Boden gewinnen (vgl. Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 171). Außerdem lässt sich der Zeitpunkt, ab dem eine konkrete Gefahr vorliegt, das heißt, ab dem bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder einer Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden muss, regelmäßig nicht genau bestimmen. Müsste der Eintritt einer konkreten Gefahr abgewartet werden, könnte ein Parteiverbot möglicherweise erst zu einem Zeitpunkt in Betracht kommen, zu dem die betroffene Partei bereits eine so starke Stellung erlangt hat, dass das Verbot nicht mehr durchgesetzt werden kann (vgl. Michael, in: Festschrift für Dimitris Th. Tsatsos, 2003, S. 383 <402>).

584

cc) Daher zielt Art. 21 Abs. 2 GG darauf ab, nach der Maxime "Wehret den Anfängen" frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Parteien zu eröffnen (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>). Das Parteiverbotsverfahren hat seiner Natur nach den Charakter einer Präventivmaßnahme (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>; 107, 339 <386>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 515 ). Es zielt nicht auf die Abwehr bereits entstandener, sondern auf die Verhinderung des Entstehens künftig möglicherweise eintretender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung.

585

e) Entsprechend dem Ausnahmecharakter des Parteiverbots als präventives Organisations- und nicht als bloßes Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot kann ein "Darauf Ausgehen" allerdings nur angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität).

586

Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot als schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>) nicht. Ein Parteiverbot kommt vielmehr nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einem "Darauf Ausgehen" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG. An der hiervon abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>), hält der Senat nicht fest.

587

Ob ein ausreichendes Maß an Potentialität hinsichtlich der Erreichung der von einer Partei verfolgten Ziele besteht, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung festzustellen. Dabei sind die Situation der Partei (Mitgliederbestand und -entwicklung, Organisationsstruktur, Mobilisierungsgrad, Kampagnenfähigkeit, finanzielle Lage), ihre Wirkkraft in die Gesellschaft (Wahlergebnisse, Publikationen, Bündnisse, Unterstützerstrukturen), ihre Vertretung in Ämtern und Mandaten, die von ihr eingesetzten Mittel, Strategien und Maßnahmen sowie alle sonstigen Umstände zu berücksichtigen, die Aufschluss darüber zu geben vermögen, ob eine Umsetzung der von der Partei verfolgten Ziele möglich erscheint. Erforderlich ist, dass sich ein hinreichendes Maß an konkreten und gewichtigen Anhaltspunkten ergibt, die den Rückschluss auf die Möglichkeit erfolgreichen Agierens der Partei gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG rechtfertigen. Dabei sind sowohl die Erfolgsaussichten einer bloßen Beteiligung der Partei am politischen Meinungskampf als auch die Möglichkeit einer Durchsetzung der politischen Ziele der Partei mit sonstigen Mitteln in Rechnung zu stellen.

588

Versucht eine Partei ihre verfassungswidrigen Ziele durch den Einsatz von Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen, ist die Anforderung des "Darauf Ausgehens" regelmäßig erfüllt. Die Anwendung von Gewalt beinhaltet neben der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols einen schwerwiegenden Eingriff in das Prinzip freier und gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung. Sie indiziert auch eine gewisse Potentialität hinsichtlich der Erreichung der von der Partei verfolgten Ziele. Die Anwendung von Gewalt ist daher bereits für sich genommen hinreichend gewichtig, um die Annahme der Möglichkeit erfolgreichen Agierens gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Gleiches gilt, wenn eine Partei unterhalb der Ebene strafrechtlich relevanten Verhaltens in einer die Freiheit des politischen Willensbildungsprozesses einschränkenden Weise handelt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Partei eine "Atmosphäre der Angst" oder der Bedrohung herbeiführt, die geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Beteiligung aller am Prozess der politischen Willensbildung nachhaltig zu beeinträchtigen. Ausreichend ist es dabei, wenn derartige Beeinträchtigungen in regional begrenzten Räumen herbeigeführt werden. Erforderlich ist allerdings, dass das Agieren der Partei objektiv geeignet ist, die Freiheit der politischen Willensbildung zu beschränken. Rein subjektive Bedrohungsempfindungen reichen insoweit nicht.

589

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist für ein "Darauf Ausgehen" nicht ausreichend, dass die Äußerungen einer Partei darauf angelegt sind, politisch verwirklicht zu werden, und ihnen insoweit eine handlungsleitende Qualität zukommt; dies ist bei den Äußerungen einer politischen Partei ausnahmslos der Fall. Erforderlich ist vielmehr, dass konkrete Anhaltspunkte von Gewicht bestehen, die einen Erfolg der mit der Verbreitung des verfassungswidrigen Gedankenguts der Partei verbundenen Handlungsaufforderung möglich erscheinen lassen.

590

5. Neben den dargestellten Voraussetzungen eines Parteiverbots ist im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG für die Annahme weiterer (ungeschriebener) Tatbestandsmerkmale kein Raum. Weder kommt der Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus eine die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG ersetzende Funktion zu (a), noch findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Parteiverbotsverfahren Anwendung (b).

591

a) Ist die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus feststellbar (aa), rechtfertigt dies für sich genommen die Anordnung eines Parteiverbots nicht (bb). Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Vereinsverboten (cc) oder der gegenbildlich identitätsprägenden Bedeutung des Nationalsozialismus für das Grundgesetz (dd). Allerdings kommt der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus erhebliche indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher, auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteter Ziele einer Partei zu (ee).

592

aa) Ob eine Partei eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist, ist unter Rückgriff auf deren politisches Programm, die inneren Organisationsstrukturen und das Auftreten der Partei und ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit zu bestimmen (vgl. BVerfGE 2, 1 <40 ff.>; BVerwGE 134, 275 <292 f.>; BVerwG, Urteil vom 30. August 1995 - 1 A 14.92 - NVwZ 1997, S. 66 <67>; Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <871>; Beschluss vom 21. Mai 2014 - 6 B 24.14 -, juris, Rn. 20). Entscheidend kommt es dabei darauf an, ob eine Partei sich der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus verbunden fühlt. Diese Verbundenheit kann insbesondere in der Verwendung nationalsozialistischer Symbole, der positiven historischen Bewertung des Nationalsozialismus und seiner führenden Repräsentanten oder der Leugnung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen Ausdruck finden.

593

bb) Die bloße Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vermag jedoch die Anordnung eines Parteiverbots ohne Prüfung des Vorliegens der einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen. Der Ausnahmecharakter der Norm und das Gebot restriktiver Auslegung (vgl. Rn. 523 ff.) schließen aus, die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus als ungeschriebenes, den Anwendungsbereich der Norm erweiterndes Tatbestandsmerkmal anzusehen.

594

cc) Dem steht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 9 Abs. 2 GG nicht entgegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob den einschlägigen Entscheidungen entnommen werden kann, dass die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus ausreicht, um eine Vereinigung zu verbieten. Zwar stellt das Bundesverwaltungsgericht einerseits fest, dass es für eine dem Nationalsozialismus wesensverwandte Vereinigung kennzeichnend sei, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung untergraben wolle (vgl. BVerwGE 134, 275 <292 f.>; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <871>). Andererseits führt es im Anschluss daran aber stets eine gesonderte Prüfung des Vorliegens einer "kämpferisch-aggressiven Haltung" der jeweiligen Vereinigung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung durch (vgl. BVerwGE 134, 275 <304 ff.>; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <874>).

595

Außerdem stehen einer Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 9 Abs. 2 GG auf Parteiverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG die Unterschiede in der tatbestandlichen Ausgestaltung beider Normen entgegen: Während es nach dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 GG ausreicht, dass die Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, setzt Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG voraus, dass eine Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Vor allem aber ist Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG lex specialis zu Art. 9 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 2, 1 <13 f.>; siehe auch BVerfGE 12, 296 <304>; 13, 174 <177>; 17, 155 <166>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 511 ; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 143). Vereinigungen und politische Parteien unterscheiden sich dadurch voneinander, dass Vereinigungen ausschließlich Grundrechtsträger sind, während den Parteien durch Art. 21 Abs. 1 GG zusätzlich ein eigener verfassungsrechtlicher Status zuerkannt und ihnen die Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung zugewiesen ist. Dies schließt eine Übertragung der für Verbote gemäß Art. 9 Abs. 2 GG entwickelten Maßstäbe auf Parteiverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG aus.

596

dd) Etwas anderes folgt auch nicht aus der gegenbildlich identitätsprägenden Bedeutung des Nationalsozialismus für das Grundgesetz (vgl. BVerfGE 124, 300 <327 f.>). Zwar ist davon auszugehen, dass die menschenverachtende Gewalt- und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus für die Ausgestaltung der Verfassungsordnung von wesentlicher Bedeutung war, so dass das Grundgesetz geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes angesehen werden kann (vgl. BVerfGE 124, 300 <328>). Allerdings resultiert aus diesem Umstand kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip (vgl. BVerfGE 124, 300 <330>; siehe hierzu: Lepsius, Jura 2010, S. 527 <533>; Degenhart, JZ 2010, S. 306 <310>; Höfling/Augsberg, JZ 2010, S. 1088 <1095>; Masing, JZ 2012, S. 585 <589 f.>). Folglich reicht die Identifikation mit oder die Nähe zum Nationalsozialismus nicht, um ungeachtet des Wortlauts der einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes Grundrechte oder sonstige verfassungsrechtliche Gewährleistungen einzuschränken.

597

Es kann deshalb dahinstehen, ob der Verfassungsgeber bei der Verabschiedung von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ausschließlich das Ziel einer Verhinderung des Wiedererstarkens nationalsozialistischer Kräfte vor Augen hatte oder ob vor dem Hintergrund der damaligen politischen Entwicklung eine generell antitotalitäre Motivation handlungsleitend war (vgl. Schaefer, DÖV 2010, S. 379 <386>; Handschell, BayVBl 2011, S. 745 <749>). Auch falls Art. 21 Abs. 2 GG ausschließlich eine verfassungsunmittelbare Antwort auf die historische Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes sein sollte, hat der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die Norm spezifisch antinationalsozialistisch auszugestalten. Vielmehr beinhaltet sie im Interesse bestmöglichen Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Absage an totalitäre Bestrebungen jeglicher Art (vgl. Höfling/ Augsberg, JZ 2010, S. 1088 <1094>). Folglich gelten für alle Parteien die gleichen, in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG festgeschriebenen Voraussetzungen für die Anordnung eines Verbots. Der Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus kann damit keine tatbestandsersetzende Bedeutung im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG zukommen.

598

ee) Allerdings ist bei der Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus zu berücksichtigen. So können sich aus der Glorifizierung der NSDAP oder der Verharmlosung der durch die Nationalsozialisten begangenen Verbrechen Rückschlüsse auf die von einer Partei verfolgten - und aus ihrer Programmatik möglicherweise nur unvollkommen ablesbaren - wirklichen Ziele ergeben. Auch verstoßen die zentralen Prinzipien des Nationalsozialismus (Führerprinzip, ethnischer Volksbegriff, Rassismus, Antisemitismus) gegen die Menschenwürde und verletzen zugleich das Gebot gleichberechtigter Teilhabe aller Bürger am politischen Willensbildungsprozess sowie - aufgrund des Führerprinzips - den Grundsatz der Volkssouveränität. Daher stellt die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus ein Indiz dafür dar, dass diese Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt. Eine vergleichbare Bedeutung kann der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus hingegen mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" nicht zuerkannt werden. Dieses ist handlungsbezogen. Hierfür vermag eine Verbundenheit mit nationalsozialistischem Gedankengut grundsätzlich keine Hinweise zu geben.

599

b) Einer gesonderten Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Parteiverbotsverfahren bedarf es nicht. Zwar schließt der Grundsatz restriktiver Auslegung des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG einen Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus, da dieser allenfalls zu einer Verengung des Anwendungsbereichs der Vorschrift führen würde. Auch führt der Hinweis des Antragstellers, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz finde im Staatsorganisationsrecht keine Anwendung (vgl. dazu für den Bereich der Kompetenzabgrenzung: BVerfGE 79, 311 <341>; 81, 310 <338>; 84, 25 <31>; siehe auch: Sachs, in: ders., GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 147; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 188), im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter, weil die Parteien nicht der Sphäre organisierter Staatlichkeit zuzuordnen sind. Vielmehr handelt es sich dabei um "frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen", die dazu berufen sind, "bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken und in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinzuwirken", ohne diesem Bereich jedoch selbst anzugehören (vgl. BVerfGE 20, 56 <100 f.>; 121, 30 <53>).

600

Der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Parteiverbotsverfahren steht aber entgegen, dass der Verfassungsgeber in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG eine abschließende Regelung getroffen hat, die für eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung keinen Raum lässt. Der Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt nur in Betracht, soweit das handelnde Staatsorgan überhaupt über Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt. Ist hingegen eine zu treffende Maßnahme rechtlich bindend vorgegeben und fehlt es sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch hinsichtlich des "Wie" an alternativen Entscheidungsmöglichkeiten, ist die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeschlossen (vgl. Sachs, a.a.O., Art. 20 Rn. 148). Der Verfassungsgeber hat in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG normiert, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend die Verfassungswidrigkeit der Partei festzustellen ist. Entscheidungsspielräume, die die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ermöglichen würden, bestehen nicht (vgl. auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 470 f.; Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 163 ff.; Koch, DVBl 2002, S. 1388 <1389 f.>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 513 f. , 558 ; Kunig, a.a.O., Art. 21 Rn. 72).

601

aa) Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 558 ; a.A. Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1080 ff.>). Bei den Beratungen der Vorschrift im Parlamentarischen Rat war zwar erwogen worden, die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei in das Ermessen des Bundesverfassungsgerichtes zu stellen, da man dem Gericht nicht vorschreiben solle, wie es zu urteilen habe, und es geboten sein könne, auf ein Verbot zu verzichten, da eine nicht verbotene Partei leichter zu kontrollieren sein könnte (vgl. Parlamentarischer Rat, Organisationsausschuss, Wortprotokolle 6. bis 9. Sitzung, Teil 1, Bd. 9b, 6. Sitzung, S. 32). Letztlich setzte sich aber die Auffassung durch, dass verfassungswidrige Parteien nicht zu dulden seien (vgl. Parlamentarischer Rat, a.a.O., S. 31, 39) und daher eine Formulierung vorzuziehen sei, die das Bundesverfassungsgericht binde, damit es Verstöße aller Parteien gleichmäßig ahnde (vgl. Parlamentarischer Rat, a.a.O., S. 37).

602

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Senat bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Norm die Freiheitsgarantien und Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen und mit dem Schutzzweck der Norm "ins Verhältnis zu setzen" hat, um Widersprüche zu vermeiden und die größtmögliche Konkordanz der betroffenen Rechtsgüter herbeizuführen. Dies ist aber Teil der Normauslegung und von einer eigenständigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu unterscheiden.

603

cc) Die für eine gesonderte Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Verhängung eines Parteiverbots vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

604

(1) Soweit geltend gemacht wird, die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei auch sonst keine Frage des Vorliegens der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen, vielmehr sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung die Art und Schwere der Sanktionen nach dem konkreten Gefahrenpotential zu bestimmen (so Schliesky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 38), ist dem entgegenzuhalten, dass im Fall des Parteiverbots die tatbestandlichen Voraussetzungen für den staatlichen Eingriff nicht einfachgesetzlich, sondern verfassungsrechtlich normiert sind und Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG bei deren Vorliegen die anzuordnende Rechtsfolge verbindlich vorgibt. Dies ist mit der Anwendung einfachen Gesetzesrechts, bei der der Behörde Ermessen auf der Rechtsfolgenseite eröffnet ist (vgl. BVerfGE 113, 63 <80>), nicht vergleichbar.

605

(2) Soweit die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vertreten wird, um damit die Forderung nach dem Vorliegen einer - teilweise unter Rückgriff auf polizeirechtliche Kategorien spezifizierten - Gefahr zu begründen (Groh, ZRP 2000, S. 500 <505>; Emek/Meier, RuP 2013, S. 74 <77 ff.>), steht dem der Präventionscharakter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG entgegen (vgl. Rn. 581 ff.). Dies gilt auch für die aus dem Umweltrecht entliehene Vorstellung einer "nachhaltigen" Gefahr (Michael, a.a.O., S. 383 <403 ff.>). Die Forderung nach dem Vorliegen einer (konkreten oder nachhaltigen) Gefahr vermag eine verfassungsrechtlich fundierte Begründung für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Parteiverbotsverfahren entgegen dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu ersetzen.

606

(3) Soweit die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes postuliert wird, um daraus die Forderung nach vorrangiger Bekämpfung verfassungswidriger Parteien mit sonstigen politischen oder administrativen Mitteln (Beobachtung, öffentliche Aufklärung, politische Auseinandersetzung, Infragestellung der staatlichen Parteienfinanzierung) abzuleiten (vgl. Pforr, ThürVBl 2002, S. 149 <153>; Kumpf, DVBl 2012, S. 1344 <1346 f.>; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1082>), handelt es sich um Fragen der politischen Opportunität der Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens. Für die Entscheidung über einen bereits gestellten Parteiverbotsantrag durch das Bundesverfassungsgericht sind diese jedoch ohne Belang.

III.

607

Die aus den dargelegten Maßstäben sich ergebenden Anforderungen an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei sind mit den Vorgaben, die der EGMR in seiner Rechtsprechung zu Parteiverboten aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleitet hat (1.) und die das Bundesverfassungsgericht als Auslegungshilfe berücksichtigt (vgl. BVerfGE 128, 326 <366 ff.>), ohne weiteres vereinbar (2.).

608

1. Da es in der EMRK an einer speziellen Regelung der Rechte politischer Parteien fehlt, ist Maßstab für die Konventionskonformität von Parteiverboten vor allem Art. 11 EMRK (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, §§ 24 ff.; EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, § 29; EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., §§ 30 ff.; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 28 ff.). In seine Prüfung bezieht der EGMR auf der Rechtfertigungsebene ergänzend die Frage einer Unanwendbarkeit der Konventionsrechte aufgrund Art. 17 EMRK ein (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, § 60; EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, §§ 29 und 53; EGMR , Freedom and Democracy Party <ÖZDEP> v. Turkey, Urteil vom 8. Dezember 1999, Nr. 23885/94, § 47).

609

a) Dabei erkennt der EGMR ausdrücklich die Möglichkeit eines Parteiverbots zum Schutz der Demokratie an. Allerdings müsse dieses den Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK genügen, das heißt, gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 103; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 82).

610

b) Die Notwendigkeit eines Parteiverbots in einer demokratischen Gesellschaft erfordere zunächst, dass dieses einem legitimen Zweck diene. Die insoweit in Betracht kommenden Zwecke seien in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK abschließend aufgeführt (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, §§ 40 f.; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 67; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 64; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 44; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, § 54).

611

c) Darüber hinaus müsse ein "dringendes soziales Bedürfnis" für ein Parteiverbot bestehen (vgl. EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, § 49; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 104).

612

aa) Ob ein solches vorliege, sei eine Frage des Einzelfalls. Angesichts des tiefgreifenden Eingriffs, der mit einem Verbot für die Partei und die Demokratie als solche verbunden sei, komme ein Verbot aber nur in Betracht, wenn entweder die Partei Ziele verfolge, die mit den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes nicht vereinbar seien, oder wenn die Mittel, die die Partei einsetze, nicht rechtmäßig und demokratisch seien, insbesondere wenn sie zur Gewalt aufrufe oder deren Einsatz billige (vgl. Theuerkauf, Parteiverbote und die Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 260 ff. m.w.N.). Eine Partei dürfe zwar für eine Änderung der gesetzlichen oder sogar der verfassungsrechtlichen Strukturen des Staates eintreten. Sie müsse dabei aber rechtmäßige und demokratische Mittel einsetzen und die vorgeschlagenen Änderungen müssten ihrerseits mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien vereinbar sein (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 49; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 98; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, § 46; EGMR, Parti Socialiste de Turquie et autres c. Turquie, Urteil vom 12. November 2003, Nr. 26482/95, § 38; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 79; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 61).

613

bb) Hinsichtlich des Zeitpunkts für die Anordnung eines Parteiverbots erkennt der EGMR die Zulässigkeit eines präventiven Vorgehens ausdrücklich an. Man könne von einem Staat nicht verlangen, erst dann gegen eine politische Partei vorzugehen, wenn sie an die Macht gekommen sei und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung ihrer demokratiewidrigen Politik ergreife, obwohl die Gefahr dieser Politik hinreichend nachgewiesen und unmittelbar sei. Ein Staat müsse vernünftigerweise in der Lage sein, die Verwirklichung eines mit der Konvention unvereinbaren politischen Programms zu verhindern (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 102 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., §§ 81 f.). Damit wird den Vertragsstaaten zumindest ein gewisser Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für ein Parteiverbot eingeräumt (Pabel, ZaöRV 63 <2003>, S. 921 <932>).

614

cc) Ob ein Parteiverbot einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht, stellt der EGMR auf Grundlage einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls fest (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 104 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 83). Zu berücksichtigen seien dabei auch die historischen Erfahrungen und Entwicklungen in dem betreffenden Konventionsstaat (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 124; EGMR, Partidul Comunistilor and Ungureanu v. Romania, Urteil vom 3. Februar 2005, Nr. 46626/99, § 58; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, §§ 69 ff.; EGMR, Republican Party of Russia v. Russia, Urteil vom 12. April 2011, Nr. 12976/07, § 127).

615

d) Schließlich müsse ein Parteiverbot in einem angemessenen Verhältnis zu den mit dem Verbot verfolgten Zielen stehen. Dabei beschränkt der Gerichtshof allerdings die Prüfung der "Angemessenheit" auf die Rechtsfolgenseite und stellt fest, ob die sich aus dem nationalen Recht ergebenden Folgen des Parteiverbots nicht außer Verhältnis zur Schwere der unter dem Punkt dringendes soziales Bedürfnis festgestellten Bedrohung für die Demokratie stehen. In der Regel folgert er aus dem Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses auch die Angemessenheit des Verbots (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 133 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 93; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, § 81).

616

Lediglich in zwei Fällen punktueller Befürwortung von Gewalt durch einzelne Parteimitglieder kam der Gerichtshof - unabhängig vom Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses - zu dem Ergebnis, dass ein auf dieses Verhalten gegründetes Parteiverbot unangemessen sei (vgl. EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 61 ff. u. 64 ff.; EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.). Dabei verweist er im Fall der türkischen DTP ausdrücklich darauf, dass im Gegensatz zu den vereinzelten Äußerungen ihrer Mitglieder die Partei als Ganzes sich zu friedlichen und demokratischen Lösungen bekannt habe und dass nicht von einem Einfluss der einzelnen Äußerungen auf die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung ausgegangen werden könne (vgl. EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 85 ff., § 98).

617

2. Hinter diesen durch den EGMR aus Art. 11 Abs. 2 EMRK abgeleiteten Vorgaben für ein Parteiverbot bleibt der dargelegte Maßstab zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG nicht zurück.

618

a) Dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung trägt Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ohne weiteres Rechnung. Auch stellen der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Bestandes des Staates legitime Zwecke im Sinne des Art. 11 Abs. 2 EMRK dar. Dabei gehen EGMR und Bundesverfassungsgericht übereinstimmend davon aus, dass eine Partei sich nicht nur gegen einzelne Verfassungsbestimmungen, sondern gegen die fundamentalen Prinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaates wenden muss.

619

b) Bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist auch vom Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot auszugehen. Handelt eine Partei planmäßig im Sinne qualifizierter Vorbereitung einer Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ergibt sich aus konkreten und gewichtigen Anhaltspunkten die Möglichkeit eines Erfolgs dieses Handelns, genügt dies den Anforderungen des EGMR an die Notwendigkeit eines Parteiverbots zum Schutz der demokratischen Gesellschaft gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des EGMR auf das Erfordernis einer hinreichend nachgewiesenen und unmittelbaren Gefahr (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 102). Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung (vgl. Emek/Meier, RuP 2013, S. 74 <77>; Morlok, Jura 2013, S. 317 <323 f.>; Bröhmer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, 2. Aufl. 2013, Kap. 19 Rn. 103 ff.; wohl auch Grimm, in: Meier, Das Verbot der NPD - ein deutsches Staatstheater in zwei Akten, 2015, S. 367 <368>) kann dem nicht entnommen werden, dass ein Parteiverbot aus Sicht des EGMR nur konventionskonform ist, wenn bereits eine konkrete Gefahr für die freiheitliche demokratische Ordnung eingetreten ist und ein Erfolg der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei unmittelbar bevorsteht.

620

Einer solchen Annahme steht bereits entgegen, dass der EGMR in einzelnen Fällen die Billigung terroristischer Akte als ausreichend für ein Parteiverbot angesehen hat, ohne dabei auf die Größe oder die Bedeutung der verbotenen Regionalparteien und die von diesen ausgehenden Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung abzustellen (vgl. EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., §§ 85 ff.; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, §§ 67 ff.). Darüber hinaus bekennt sich der EGMR ausdrücklich zum präventiven Charakter des Parteiverbots und räumt den Staaten hinsichtlich der Bestimmung des Zeitpunkts des Verbots einen Ermessensspielraum ein. Im Zusammenhang mit der Feststellung der Konventionswidrigkeit ausgesprochener Parteiverbote hat er außerdem (ergänzend) darauf hingewiesen, dass die jeweils betroffene Partei keine reale Chance zur Herbeiführung politischer Veränderungen gehabt habe (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 58; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, § 55; EGMR, The United Macedonian Organisation Ilinden-Pirin and Others v. Bulgaria, Urteil vom 20. Oktober 2005, Nr. 59489/00, § 61). Demgemäß ist nicht davon auszugehen, dass aus der Sicht des EGMR das Vorliegen einer konkreten Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat notwendige Voraussetzung für ein Parteiverbot ist (so auch Klein, ZRP 2001, S. 397 <401>; Koch, DVBl 2002, S. 1388 <1392 f.>; Pabel, ZaöRV 63 <2003>, S. 921 <932>; Sarx, Das Parteiverbotsverfahren der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht im Lichte der Rechtsprechung des EGMR, in: Esser/Harich/Lohse/Sinn, Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung, 2004, S. 177 <188 f.>; Kumpf, DVBl 2012, S. 1344 <1345 f.>; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 23 Rn. 95; siehe auch Theuerkauf, a.a.O., S. 257 ff.; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1082 f.>).

621

Vielmehr ist - wie der EGMR ausdrücklich darlegt - das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot auf der Basis einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Besonderheiten festzustellen (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, § 59; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 124; EGMR, Partidul Comunistilor and Ungureanu v. Romania, Urteil vom 3. Februar 2005, Nr. 46626/99, § 58; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, §§ 69 ff.; EGMR, Republican Party of Russia v. Russia, Urteil vom 12. April 2011, Nr. 12976/07, § 127). Daher ist bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG in Rechnung zu stellen, dass der Norm vor allem die historische Erfahrung des Aufstiegs der NSDAP in der Weimarer Republik und das Bemühen zugrunde liegen, eine Wiederholung derartiger Ereignisse durch ein frühzeitiges Einschreiten gegen totalitäre Parteien zu verhindern. Damit ist aber die Vorstellung nicht vereinbar, dass ein Parteiverbot erst in Betracht kommt, wenn eine Partei bereits so weit erstarkt ist, dass bei ungehindertem Geschehensablauf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht nur möglich erscheint, sondern wahrscheinlich ist. Insoweit ist die Bestimmung eines frühen, den Eintritt konkreter Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht abwartenden Zeitpunkts für ein Parteiverbot in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG Ausfluss der spezifischen historischen Erfahrung der Etablierung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Vor diesem Hintergrund genügt die Erfüllung der für Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG geltenden Anforderungen - im Sinne konkreter und gewichtiger Anhaltspunkte, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Handelns der Partei zumindest möglich erscheinen lassen -, um die Annahme eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot nach der Rechtsprechung des EGMR zu tragen.

622

c) Bedenken gegen die Konventionskonformität des für Art. 21 Abs. 2 GG geltenden Maßstabs ergeben sich auch nicht aus den Erwägungen des Gerichtshofs zum Erfordernis der "Angemessenheit" des Verbots einer politischen Partei.

623

aa) Aus der Sicht des EGMR reicht das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses grundsätzlich aus, um die Angemessenheit eines Parteiverbots bejahen zu können (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 133). Soweit der Gerichtshof ausnahmsweise dennoch das Fehlen der Angemessenheit eines Parteiverbots festgestellt hat, handelt es sich um zwei Fälle punktueller Billigung von Gewaltakten durch einzelne Funktionäre der betroffenen Partei (vgl. EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 61 ff. u. 64 ff.; EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.). In einer solchen Konstellation wäre auch im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei kein Raum. Es würde bereits an einer der Partei zurechenbaren Grundtendenz der Billigung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung fehlen (vgl. Rn. 576). Im Übrigen dürfte bei bloßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Äußerungen einzelner Parteimitglieder die im Rahmen des "Darauf Ausgehens" geforderte Potentialität zur Erreichung der angestrebten verfassungswidrigen Ziele nicht gegeben sein. Demgemäß führt der Rückgriff des EGMR auf das Erfordernis der Angemessenheit nicht zu einer Verschärfung im Vergleich zu den im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachtenden Anforderungen an ein Parteiverbot.

624

bb) Soweit der EGMR in seiner Entscheidung zum Verbot der DTP unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit auf die nach türkischem Recht gegebene Möglichkeit verweist, statt eines Parteiverbots die Kürzung der staatlichen Zahlungen anzuordnen (vgl. EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.), stellt dies ebenfalls die Konventionskonformität von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Frage. Es ist Sache des jeweiligen nationalen Rechts, unter Berücksichtigung der Anforderungen der EMRK zu regeln, ob und inwieweit gegenüber Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, Sanktionen ergriffen werden dürfen. Dabei bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, völlig auf eine Sanktionierung zu verzichten, gestufte Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen oder sich auf die Sanktion des Parteiverbots zu beschränken.

625

Konventionskonform ist daher auch das auf differenzierte Sanktionsmöglichkeiten verzichtende Regelungskonzept des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Dieser sieht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ausschließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Rechtsfolge vor. Unterhalb der Ebene des Parteiverbots liegende Sanktionen - etwa die Kürzung oder Streichung staatlicher Finanzmittel - sind nach der geltenden Verfassungslage ausgeschlossen. Daher ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - solange der verfassungsändernde Gesetzgeber keine abweichenden Regelungen trifft - für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum (vgl. Rn. 599 ff.). Konventionsrechtlich ist dies unbedenklich, solange die Anordnung eines Parteiverbots den sich aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK ergebenden Anforderungen an die Angemessenheit eines Verbots entspricht. Dies ist bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG der Fall.

626

d) Soweit die Antragsgegnerin aus den "Guidelines on Prohibition and Dissolution of Political Parties and Analogous Measures" der Venedig-Kommission des Europarats vom 10./11. Dezember 1999 (CDL-INF<2000>001; vgl. European Commission for Democracy through Law , Compilation of Venice Commission Opinions and Reports concerning Political Parties, CDL<2013>045, S. 38) ableitet, dass konventionsrechtliche Voraussetzung für ein Parteiverbot die Verfolgung politischer Ziele mit Gewalt sei und dem im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden müsse, verkennt sie, dass es sich bei den Guidelines der Venedig-Kommission um unverbindliche Empfehlungen handelt, die der EGMR sich hinsichtlich der Voraussetzungen eines Parteiverbots nicht zu eigen gemacht hat. Vielmehr beurteilt er das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Verbot sowohl anhand der von einer Partei eingesetzten Mittel als auch nach den von ihr verfolgten Zielen (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 51 ff.; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 98; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 79; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 61). Die Anwendung oder Billigung von Gewalt mag daher eine - nach den Maßstäben des EGMR - hinreichende Bedingung für ein Parteiverbot sein. Unverzichtbare Voraussetzung eines den Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK entsprechenden Parteiverbots ist sie hingegen nicht.

IV.

627

Die Anregung der Antragsgegnerin, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a AEUV die von ihr in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, entbehrt einer sachlichen Grundlage.

628

1. Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, Art. 2 EUV, Art. 22 AEUV, Art. 11, 12, 39, 40 GRCh sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung seien bei der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens anwendbar. Die genannten Vorschriften führten zur Unzulässigkeit des Verbots einer nationalen Partei, wenn diese mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sei - jedenfalls dann, wenn ihr Verbot aufgrund des damit verbundenen Mandatsverlusts dazu führen würde, dass eine politische Partei auf europäischer Ebene wegen Unterschreitens des Mindestquorums des Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Alt. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 ihre Anerkennung verlöre (vgl. Rn. 283).

629

2. a) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes hat indes bereits in seinem Beschluss vom 22. November 2001 (BVerfGE 104, 214) festgestellt, dass der Europäischen Union nach dem seinerzeit geltenden Vertragsrecht keine Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der politischen Parteien zukommt. Zwar hatte Art. 191 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) die Funktion politischer Parteien auf europäischer Ebene im Prozess der europäischen Integration anerkannt und war insoweit Grundlage für die Bildung gemeinsamer Fraktionen im Europäischen Parlament. Eine Aussage dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verboten werden kann, enthielt das Unionsrecht damit aber nicht. Auch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz begründen keine vorlagefähige Frage (vgl. BVerfGE 104, 214 <218 f.>).

630

b) Daran ist auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon festzuhalten. Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber darauf verweist, dass diese Erwägungen durch die zwischenzeitlich erfolgte stärkere europäische Integration auch und gerade im Recht der politischen Parteien überholt seien, steht dem entgegen, dass das europäische Primärrecht hinsichtlich des Rechts der politischen Parteien seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. November 2001 keine relevanten Änderungen erfahren hat: Zwar ist Art. 10 Abs. 4 EUV an die Stelle von Art. 191 EGV getreten. Er geht in seinem Regelungsgehalt über diesen aber nicht hinaus. Wie dieser beschränkt er sich auf die Feststellung, dass "politische Parteien auf europäischer Ebene […] zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union" beitragen. Auch die Durchführung der Wahl zum Europäischen Parlament erfolgt unverändert nach nationalem Recht und wirft insoweit keine unionsrechtlichen Fragen auf (vgl. BVerfGE 104, 214 <218>; 129, 300 <317>; 135, 259 <282 f. Rn. 38 ff.>). Die Antragsgegnerin nimmt daher zu Unrecht an, dass wegen der möglichen Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments Art. 11, 12, 39, 40 GRCh auf ein Parteiverbot anzuwenden seien. Eine Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union setzt gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh die Durchführung des Rechts der Europäischen Union voraus. Daran fehlt es im Falle eines Verbots politischer Parteien, das ungeachtet reflexhafter Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ausschließlich nach nationalem Recht erfolgt.

631

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung. Diese wurde aufgrund Art. 191 EGV erlassen und begründet keine über dessen Regelungsgehalt hinausgehenden Zuständigkeiten der Europäischen Union. Ziel der Verordnung ist gemäß Ziffer 2 der Erwägungsgründe die Schaffung eines Regelwerks für politische Parteien auf europäischer Ebene insbesondere hinsichtlich ihrer Finanzierung. Einen Regelungsanspruch mit Blick auf nationale Parteien erhebt die Verordnung nicht; vielmehr geht sie von einer Trennung zwischen nationalen und europäischen politischen Parteien aus. Dies bestätigt insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Verordnung, der lautet:

Die Mittel, die politische Parteien auf europäischer Ebene aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union oder aus anderen Quellen erhalten, dürfen nicht der unmittelbaren oder mittelbaren Finanzierung anderer politischer Parteien und insbesondere nicht von nationalen politischen Parteien oder Kandidaten dienen. Auf diese nationalen politischen Parteien und Kandidaten finden weiterhin die nationalen Regelungen Anwendung.

632

Das Verbot nationaler Parteien ist somit unverändert ausschließlich eine Angelegenheit des nationalen Rechts. Verliert infolge eines solchen Verbots und des damit verbundenen Verlusts europäischer Mandate ein europäischer Zusammenschluss nationaler Parteien den Status einer "politischen Partei auf europäischer Ebene", weil die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 nicht mehr vorliegen, handelt es sich lediglich um mittelbare Auswirkungen einer nach nationalem Recht getroffenen Maßnahme. Für Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GRCh ist insoweit kein Raum.

D.

633

Nach diesen Maßstäben ist der Verbotsantrag unbegründet. Die Antragsgegnerin strebt zwar nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an (I.). Da aber konkrete Anhaltspunkte von Gewicht fehlen, die ein Erreichen der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele zumindest möglich erscheinen lassen, fehlt es an einem "Darauf Ausgehen" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG (II.).

I.

634

Die Antragsgegnerin missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde (1.) und den Kern des Demokratieprinzips (2.) und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf (3.). Die Programmatik der Antragsgegnerin ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet (4.).

635

1. Das politische Konzept der Antragsgegnerin ist mit der Garantie der Menschenwürde im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Sie akzeptiert die Würde des Menschen als obersten und zentralen Wert der Verfassung nicht, sondern bekennt sich zum Vorrang einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft". Der von ihr vertretene Volksbegriff negiert den sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruch der Person und führt zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnischen "Volksgemeinschaft" angehören. Ihr Politikkonzept ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerichtet. Dabei mögen einzelne Äußerungen für sich genommen die Grenze der Missachtung der Menschenwürde durch die Antragsgegnerin nicht überschreiten. Die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentieren in der Gesamtschau aber, dass es sich nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine charakteristische Grundtendenz handelt.

636

Dieses auf eine Missachtung der Menschenwürde zielende politische Konzept der Antragsgegnerin lässt sich bereits ihrem Parteiprogramm entnehmen (a) und wird durch weitere Publikationen und Äußerungen führender Parteifunktionäre bestätigt (b). Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Antragsgegnerin vermögen diesen Befund nicht in Frage zu stellen (c). Folge dieses Konzepts sind menschenverachtende rassistische Positionierungen der Antragsgegnerin gegenüber gesellschaftlichen Gruppen (d).

637

a) Das Parteiprogramm der Antragsgegnerin ist auf eine Verletzung des Wert- und Achtungsanspruchs angelegt, der sich aus dem Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen ergibt (aa). Dieses Programm muss die Antragsgegnerin sich zurechnen lassen (bb).

638

aa) Das unter dem Titel "Arbeit. Familie. Vaterland." am 4./5. Juni 2010 in Bamberg verabschiedete Parteiprogramm missachtet die durch die Garantie der Menschenwürde geschützte Subjektqualität des Einzelnen und verletzt den Anspruch auf elementare Rechtsgleichheit.

639

(1) Die dem Programm vorangestellten "Grundgedanken" lauten zwar: "Gleich sind die Menschen dagegen vor dem Gesetz und in der Unantastbarkeit ihrer Würde". Zugleich wird dieses Bekenntnis zur Menschenwürde aber eingeschränkt, wenn es heißt: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland. - Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands , 2010, S. 5 und 6). Ihrem Verständnis des Vorrangs der "Volksgemeinschaft" entsprechend fordert die Antragsgegnerin als oberstes Ziel deutscher Politik die Erhaltung des durch Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägten deutschen Volkes. Anzustreben sei die "Einheit von Volk und Staat" und die Verhinderung einer "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Deutschland müsse das Land der Deutschen bleiben und dort, wo dies nicht mehr der Fall sei, wieder werden. Grundsätzlich dürfe es für Fremde in Deutschland kein Bleiberecht, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat geben (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5).

640

(2) Auf dieser Grundlage wird von der Antragsgegnerin ein politisches Konzept entwickelt, das vor allem auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet ist. Zwar enthält sich das Parteiprogramm einer ausdrücklichen Aussage dazu, inwieweit die den rechtlichen Status abwertenden Forderungen auch auf eingebürgerte Deutsche mit Migrationshintergrund Anwendung finden sollen. Dafür sprechen allerdings die Behauptungen, dass sich in "überfremdeten Wohnvierteln" Deutsche und Angehörige "fremder Völker" zunehmend feindselig gegenüberstünden, Angehörige anderer "Völker" in Deutschland einen Arbeitsplatz nur auf Zeit innehaben könnten, Ziel eines grundlegenden politischen Wandels die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz sei und eine "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" strikt abgelehnt werde (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6, 12, 13).

641

(a) Die Geltung der Grundrechte wird ausdrücklich auf alle Deutschen bezogen und die Anwendung des Solidaritätsprinzips auf die Gemeinschaft aller Deutschen beschränkt (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 10). Demgemäß hätten familienunterstützende Maßnahmen des Staates ausschließlich deutsche Familien zu fördern. Eigentum an deutschem Grund und Boden könne nur von Deutschen erworben werden (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7, 9). Im 7. Kapitel "Sozialpolitik als nationale Solidarität" wird gefordert, Ausländer aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. Auch an der zu schaffenden einheitlichen Rentenkasse ("Volksrente") sollen Ausländer nicht teilhaben (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 11 f.).

642

(b) Im 10. Kapitel ihres Parteiprogramms unter dem Titel "Deutschland den Deutschen" legt die Antragsgegnerin dar, dass durch massenhafte Einbürgerungen das deutsche Staatsbürgerrecht aufgeweicht und das Existenzrecht des deutschen Volkes in Frage gestellt würden. Um dem entgegenzuwirken, sei das ursprüngliche, auf dem Abstammungsprinzip fußende Staatsbürgerrecht wieder einzuführen. Die multikulturelle Gesellschaft habe zur Entstehung von Ausländerghettos und oftmals rechtsfreien Räumen geführt, in denen das Leben für viele Deutsche unerträglich sei. Die Antragsgegnerin fordert daher eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der hier lebenden Ausländer ("Rückkehrpflicht statt Bleiberecht"). Integration sei Völkermord. Fremdreligiöse Bauten seien zu stoppen; das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG sei ersatzlos zu streichen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 12 f.).

643

(c) Im 16. Kapitel "Bildung und Kultur" spricht die Antragsgegnerin sich gegen die gemeinsame Unterrichtung deutscher und ausländischer Schüler aus, weil Ausländerkinder mit ihren meist nur mangelhaften Deutschkenntnissen das Unterrichtsniveau absenkten und die Sprach- und Lesefähigkeit auch der deutschen Schüler beeinträchtigten. Die Abgrenzung der Schüler verläuft dabei nicht entlang der Sprachkompetenz, sondern entlang der Volkszugehörigkeit. Ziel ist nach der Formulierung des Programms die Trennung deutscher und ausländischer Kinder und nicht eine bildungspolitisch motivierte Einteilung nach Leistungsstufen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 16 f.).

644

(d) Im 17. Kapitel "Reform des Rechtssystems" fordert die Antragsgegnerin einen Volksentscheid über die Wiedereinführung der Todesstrafe und den vollständigen Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafen. Der Abschiebung krimineller Ausländer dürften strengere Strafen im Heimatland nicht entgegenstehen. Außerdem sei - so die Forderung im 18. Kapitel "Innere Sicherheit" - die Polizeiliche Kriminalstatistik um eine weitere Rubrik für "eingebürgerte Ausländer" neben der bisherigen Ausländer-Kriminalstatistik zu ergänzen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 18 f.). Auch befürwortet die Antragsgegnerin die Einführung einer deutschlandweiten, öffentlich einsehbaren Sexualstraftäter-Datei sowie die gesetzliche Möglichkeit der Kastration von Pädophilen (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 19).

645

(3) Bereits diese im Parteiprogramm der Antragsgegnerin festgeschriebenen Ziele sind mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar. Forderungen nach "Kastration von Pädophilen" oder der Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen ohne die Möglichkeit, die Freiheit wiederzuerlangen, verkennen den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen (vgl. dazu BVerfGE 45, 187 <245>; 64, 261 <272>).

646

Vor allem aber zielt das Parteiprogramm auf einen rechtlich abgewerteten, nahezu rechtlosen Status aller, die der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" im Sinne der Antragsgegnerin nicht angehören. Grundlage ist der Ausschluss der Nichtdeutschen aus dem Geltungsbereich der Grundrechte (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 18). Soweit die Antragsgegnerin dies mit dem Hinweis bestreitet, die fragliche Textstelle des Programms setze sich lediglich kritisch mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland auseinander, steht dem bereits entgegen, dass, obwohl es sich nicht um ein Deutschengrundrecht handelt, die Meinungsfreiheit dennoch auf Deutsche begrenzt wird und für eine abweichende Behandlung anderer Grundrechte nichts ersichtlich ist. Außerdem steht im Zentrum des politischen Konzepts die Versagung jeglichen dauerhaften Aufenthaltsrechts für alle Personen, die nicht der "deutschen Volksgemeinschaft" angehören. Auch dadurch werden grundrechtliche Gewährleistungen für die von der Rückkehrpflicht Betroffenen faktisch gegenstandslos. Verbunden mit den - das Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Abstammung oder der Rasse im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG berührenden - dargelegten Einzelforderungen ergibt sich eine demütigende Ungleichbehandlung von Nichtdeutschen, die diese zum bloßen Objekt staatlichen Handelns macht und ihnen die Anerkennung als grundsätzlich gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft verweigert.

647

bb) Dieses Programm muss die Antragsgegnerin gegen sich gelten lassen. Soweit sie behauptet, einer Verwertung des Programms stehe dessen mangelnde Quellenfreiheit aufgrund der - vom Antragsteller zugestandenen - Anwesenheit von neun V-Leuten auf dem Programmparteitag am 4./5. Juni 2010 entgegen, ist dem nicht zu folgen.

648

(1) Zwar trifft die Auffassung des Antragstellers, das Parteiprogramm entziehe sich einer Kategorisierung im Sinne der Antragsschrift, da es sich bei der Antragsgegnerin um eine juristische Person handele, der nicht wie einer natürlichen Person bestimmte Quellen zugerechnet werden könnten, nicht zu. Dies steht bereits im Widerspruch zu dem übrigen Vortrag des Antragstellers, in dem Beweismittel nicht nur natürlichen Personen, sondern auch Landesverbänden, Kreisverbänden oder sonstigen Teilorganisationen der Antragsgegnerin zugerechnet werden. Ebenso wenig kann der Antragsteller darauf verweisen, dass Parteitagsdelegierte nicht den Führungsebenen der Antragsgegnerin zuzurechnen seien, da es im vorliegenden Zusammenhang nicht auf die Frage der Staatsfreiheit (der Führungsebenen), sondern auf die Quellenfreiheit und damit Verwertbarkeit eines Beweismittels ankommt.

649

(2) Entscheidend ist vielmehr, dass das Parteiprogramm als Ausdruck eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung der Antragsgegnerin anzusehen ist. Dem steht die vom Antragsteller zugestandene Anwesenheit von neun V-Leuten auf dem Programmparteitag der Antragsgegnerin am 4./5. Juni 2010 im Ergebnis nicht entgegen.

650

(a) Dafür spricht bereits, dass nach dem glaubhaften, durch Testate belegten Vortrag des Antragstellers der vorbereitenden Programmkommission und den Vorständen der das Programm besonders prägenden Landesverbände Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern im entscheidungserheblichen Zeitraum keine V-Leute angehört haben und ein prägender Einfluss einzelner Parteitagsdelegierter auf den Programminhalt weder ersichtlich noch von der Antragsgegnerin vorgetragen ist.

651

(b) Die Zurechenbarkeit und Verwertbarkeit des Parteiprogramms ergibt sich aber jedenfalls aus dessen inhaltlicher Bestätigung durch die maßgeblichen Führungspersonen der Antragsgegnerin. Das Parteiprogramm sowie dessen Änderungen sind gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 PartG dem Bundeswahlleiter mitzuteilen. Dieser weist auf seiner Homepage das von der Antragsgegnerin am 4./5. Juni 2010 in Bamberg beschlossene Programm als derzeit gültiges Parteiprogramm der Antragsgegnerin aus (Stand: 17. Juni 2016). Dieses Programm war demgemäß Grundlage der Arbeit der Antragsgegnerin in den vergangenen Jahren. Auch im vorliegenden Verfahren hat sie sich in ihrem schriftsätzlichen Vortrag immer wieder auf dieses Programm berufen und an keiner Stelle davon distanziert. In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende Franz die Gültigkeit des Programms und seine Übereinstimmung mit den Überzeugungen der Antragsgegnerin ausdrücklich bestätigt. Die Frage, ob es Bestrebungen gebe, das Programm zu ändern, hat er verneint.

652

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin sich das auf dem Programmparteitag in Bamberg beschlossene Parteiprogramm jedenfalls in der Folgezeit zu eigen gemacht hat und dieses Ausdruck ihrer selbstbestimmten Willensbildung und tatsächlichen Überzeugung ist.

653

b) Die Unvereinbarkeit der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG wird auch durch ihr zurechenbare Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre bestätigt. Dabei wird deutlich, dass die Formulierungen des Parteiprogramms die von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele nur zurückhaltend beschreiben beziehungsweise kaschieren. Das von ihr vertretene Konzept ethnischer Definition der "Volksgemeinschaft" (aa) hat das Bekenntnis zum Vorrang dieser Gemeinschaft als obersten Wert und die rassistische Ausgrenzung aller ethnisch Nichtdeutschen zur Folge (bb). Gleichzeitig beinhaltet die Programmatik der Antragsgegnerin auch das Ziel einer Rückführung eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund in ihre Herkunftsländer (cc).

654

aa) (1) Der von der Antragsgegnerin vertretene ethnische Volksbegriff wird in der vom Parteivorstand im April 2012 in 2. Auflage herausgegebenen Broschüre "Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger" in den Kapiteln 1.10 und 1.11 ("Wer ist für die NPD ein Deutscher? Was versteht die NPD unter Volk?" und "Für welches Staatsbürgerschaftsrecht tritt die NPD ein?") wie folgt beschrieben:

Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnischkulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. [...] Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind. [...] Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung eines Passes ja nicht zu Deutschen. […]

Deutscher ist, wer deutsche Eltern hat, also wer deutscher Abstammung ist. Deutsch ist eine ethnische Herkunftsbezeichnung und keine Bezeichnung des zufälligen Geburtsortes, momentanen Wohnortes oder des Passes. […] Deutscher ist man von Geburt - oder eben nicht; aber man wird es nicht durch Annahme der Staatsbürgerschaft. […] [D]ie Staatsbürgerschaft muß an die Volkszugehörigkeit gebunden sein. Wie sagt auch der Volksmund: Blut ist dicker als Tinte. [...]

Heute haben fast neun Millionen Nichtdeutsche die deutsche Staatsbürgerschaft und können so wirkungsvoll ihre Interessen gegen die Deutschen durchsetzen. […] "Deutsche afrikanischer Herkunft" oder "Afro-Deutsche" kann es sowenig geben wie schwangere Jungfrauen. Staatsangehörigkeit muß an Volkszugehörigkeit gebunden sein - für Europäer kann es Ausnahmen geben. (S. 18 ff.)

655

Demzufolge kann nach Auffassung der Antragsgegnerin ein Ausländer auch durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft grundsätzlich nicht zum Mitglied der "deutschen Volksgemeinschaft" werden, "Deutscher ist man durch Herkunft, aber man wird es nicht durch Paßverleihung" (S. 45 der Broschüre "Wortgewandt"). Konsequenterweise werden eingebürgerte Deutsche als "Nichtdeutsche" (S. 20 der Broschüre "Wortgewandt") oder "Passdeutsche" bezeichnet.

656

(2) Die Antragsgegnerin muss sich diese Publikation des Parteivorstands zurechnen lassen. Sie ist von dem ehemaligen Parteivorstandsmitglied und sächsischen Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel verfasst und mit einem Vorwort des damaligen Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin versehen. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 11. April 2016 einen Parteivorstandsbeschluss mit Datum vom 5./6. April 2014 vorgelegt hat, wonach die Verbreitung der Broschüre gestoppt und deren inhaltliche Prüfung angeordnet worden sein soll. Bereits das Datum der angeblichen Beschlussfassung des Parteivorstands vier Monate nach Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht deutet darauf hin, dass es sich bei dem angeblichen Beschluss um eine prozesstaktisch motivierte Reaktion auf den Verbotsantrag des Antragstellers handelt. Auch erschließt sich nicht, warum die Antragsgegnerin diesen Vorstandsbeschluss erst zwei Jahre nach seiner Fassung und nach Ende der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Außerdem hat sie weder die Umsetzung des Beschlusses belegt noch erläutert, aus welchen Gründen die Verbreitung der Broschüre gestoppt wurde beziehungsweise welche Aussagen als fragwürdig oder mit der Haltung des jetzigen Parteivorstands möglicherweise unvereinbar angesehen wurden. Sie hat jedenfalls die vorstehend zitierte Passage auch nach dem angeblichen Vorstandsbeschluss auf ihrer Homepage weiter verbreitet. In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin weder die Richtigkeit des Zitats bestritten, noch eine inhaltliche Distanzierung durch Verweis auf den vorgenannten Vorstandsbeschluss oder in sonstiger Weise erkennen lassen.

657

(3) Dass die ethnische Definition der "deutschen Volksgemeinschaft" und der damit verbundene dauerhafte Ausschluss "ethnisch Nichtdeutscher" aus dieser Gemeinschaft eine Grundüberzeugung der Antragsgegnerin darstellt, wird durch weitere, ihr zurechenbare Aussagen bestätigt.

658

(a) So formuliert der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin:

Die NPD will eine Ordnung, in der das Recht auf Identität kraft Abstammung und Schicksal garantiert wird und jeder Deutsche mit seiner Persönlichkeit als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des deutschen Volkes mitwirkt.
(NPD-Landesverband Berlin: "Wir sagen, was Sie denken! Landesaktionsprogramm für ein deutsches Berlin", 2011)

659

(b) Der Landesverband Bayern kommentiert die Ankunft afrikanischer Flüchtlinge im Februar 2015 auf Facebook wie folgt:

Deutsch sein heißt zum deutschen Volk zu gehören und zwar nicht durch Einbürgerungsurkunde, sondern durch Geburt und Abstammung. Deutscher ist man durch sein Blut und durch nichts anderes!

Seid also dankbar und stolz, deutsche Frauen und deutsche Männer, daß ihr die Gnade der deutschen Geburt in die Wiege gelegt bekamt. Diese "Neudeutschen" können sich noch so anstrengen, niemals werden Deutsche aus ihnen werden können! Und das sieht man auch ganz deutlich!

660

bb) Die Überordnung der "Volksgemeinschaft" über den Einzelnen und deren rassenbezogene Fundierung sowie ihr exkludierender Charakter wird in Äußerungen der JN besonders deutlich (1) und durch weitere Einlassungen und Dokumente bestätigt (2).

661

(1) (a) So formuliert der Bundesschulungsleiter der JN D. in einem Artikel auf der Homepage der JN (www.aktion-widerstand.de) am 13. Januar 2011:

Die Gemeinschaft steht hier an oberster Stelle. […] Unsere Weltanschauung stellt das Volk in den Mittelpunkt allen Seins. Dieses Volk wird durch den Nationalstaat geschützt und begründet seine Kraft durch das Zusammenleben der darin lebenden Persönlichkeiten. […] Das Volk dagegen ist eine Schicksalsgemeinschaft, da wir schicksalhaft in dieses hineingeboren werden. Wir haben jedoch soweit Entscheidungsmacht über unser Schicksal, daß wir wählen können, ob wir Dienst an unserer Schicksalsgemeinschaft tun oder nicht.

662

(b) Im April 2013 veröffentlichten die JN auf ihrer Internetseite außerdem den Text "Gewissen und Gemeinschaft", in dem es unter anderem heißt:

"Allein gestellt sind wir nichts - in der Gemeinschaft jedoch ist jeder alles." Gemeinschaftsgebunden sind wir bereits durch die Geburt. Wir kommen aus der Gemeinschaft der Familie und fühlen uns durch die Nation unser Leben lang der Gemeinschaft - der Volksgemeinschaft - verbunden. Dieses Verbundenheitsgefühl wird umso stärker sein wenn die Nation nur ein Volk umschließt, denn die Gebundenheit zur eigenen Art ist stärker als die zur Nation - sie ist naturgesetzlich. […]

Das Gewissen sagt uns, dass wir Glied einer Gemeinschaft sind. Strebt der Einzelne nun Ziele an, die ihn selbst gegenüber der Gemeinschaft bevorzugen - und zwar auf Kosten anderer Glieder der Gemeinschaft - so vergeht er sich auf unnatürliche Weise an seinem Gewissen.

663

(c) In einem "Leitfaden - Politische Grundbegriffe", der in zwei Teilen von der Bundesführung der JN im Januar 2013 herausgegeben wurde, wird dargelegt:

Freiheit ist, den Sinn des Lebens zu verfolgen. Dies ist die Arterhaltung. Ist diese gefährdet, ist die Freiheit in Gefahr. […] Mit der Treue zu einem Volk, Reich, Land oder Herrscher fühlen wir uns frei. […] Merksatz: Freiheit bedeutet nicht, dass man tun und lassen kann, was man will, sondern dass man werden kann, was man soll. Sie bedeutet, dass jeder Einzelne seine Persönlichkeit im Sinne der Gemeinschaft entfalten kann. (Teil 2, S. 40)

664

Weiter wird in diesem Leitfaden grundlegend zum Konzept der "Volksgemeinschaft" ausgeführt:

Bei einem Volk handelt es sich in erster Linie um eine Großgruppe von Menschen, die organisch, d.h. natürlich gewachsen ist. [...] Völker unterscheiden sich jedoch nicht nur, wie oftmals fälschlich verbreitet, durch äußere Merkmale, sondern vor allem auf geistiger Ebene. […] Merksatz: Ein Volk ist eine organisch gewachsene Gemeinschaft gleichen Blutes, gleicher Geschichte, mit gleichem Lebensraum und gleicher Kultur. (Teil 1, S. 4 ff.)

665

Es folgt eine pejorative Klassifizierung verschiedener Rassen, wobei "Mischvölker" als Ursache für Dekadenz und Fettleibigkeit beschrieben werden:

Sie [die Zivilisation] ist mehr Erlerntes, nicht Form gewordenes Inneres wie Kultur. Zum Beispiel kann ein Affe zwar erlernen, einen Lichtschalter zu betätigen, doch wird er nie verstehen, warum das Licht an und aus geht. [...] Genauso können sich afrikanische oder asiatische Völker dem europäischen anpassen, indem sie Verhaltensweisen und Kleidung übernehmen. Dennoch werden sie nie zu Europäern, weil sie eben keine sind. [...] Zum Beispiel werden die USA als eine der führenden Zivilisationen bezeichnet. Diese haben über Jahrhunderte zwar Wissenschaft und Technik erschaffen, doch gehen unmittelbar ihrem eigenen Untergang entgegen. Hier haben sich von Anbeginn verschiedene Kulturen und Völker vermischt, die langfristig gesehen keine Überlebenschancen hatten, da sie alle ihre Kultur aufgegeben haben. [...]. Aus der Kulturvielfalt ist nun ein Einheitsbrei geworden. [...] So zeichnet sich jeder dritte Amerikaner durch Dekadenz und Fettleibigkeit aus. (Teil 2, S. 13 f.)

666

Die Vermischung von Völkern führe zum Verlust der "besten und edelsten Tugenden" und zum Untergang des jeweiligen Volkes:

Zum einen können wir beobachten, dass die Vermischung mit andersrassigen Völkern immer mit dem Niedergang einherging. Die Vermischung verschiedener Kulturen hat nie zu einer, heute so oft postulierten multikulturellen Gesellschaft geführt. Immer entstand ein Einheitsbrei, der im Untergang endete. Mit zunehmender Vermischung mit anderen Kulturen verloren die nordisch geprägten Völker (siehe Griechen und Römer) ihre besten und edelsten Tugenden. (Teil 2, S. 17)

667

Der Leitfaden betont daher die Bedeutung "genetischer und kultureller Identität" in Europa:

Merksatz: Europa ist der rechtmäßige Lebensraum und Ursprung aller europäisch-germanischen Völker. [...] Zwar unterscheiden sich die Mentalitäten der einzelnen europäischen Völker voneinander, doch sind sich diese untereinander wiederum ähnlicher als das identitäre Bewusstsein der negroiden (afrikanischstämmigen) oder mongoliden (asiatischen) Menschen im Vergleich zum europäischen Menschenschlag. [...] So stellen wir fest, dass Identität das entscheidende Merkmal unseres gesamten Lebens im Sinne der völkischen Gemeinschaft ist. Wir sind gekennzeichnet durch eine genetische als auch eine kulturelle Identität. (Teil 2, S. 23 ff.)

668

Die Ausführungen kulminieren in einer Auseinandersetzung mit dem Rassebegriff, der von den JN als "Naturgesetz" und elementarer Bestandteil ihres Weltbildes angesehen wird:

Nun wollen wir uns dem reizvollsten Begriff dieser Arbeit widmen und zugleich die Missverständnisse ausräumen, die mit diesem einhergehen. Das Wort "Rasse" ist heute in Deutschland, wenn auch nicht in unseren europäischen Nachbarvölkern verpönt und wird stetig als unwissenschaftlich verteufelt. Dennoch handelt es sich dabei um einen elementaren Begriff unserer Weltanschauung. Die Naturgesetze verlangen, dass wir uns mit den Menschenrassen beschäftigen. [...] Die europide Menschengruppe lässt sich wiederum in sechs Unterkategorien differenzieren: nordische, fälische, dinarische, westische (mediterrane), ostische (alpine), osteuropide (ostbaltische). Das deutsche Volk enthält im Vergleich zu anderen europäischen Völkern noch einen hohen Anteil des nordischen Menschen, der sich einst in den heutigen skandinavischen Ländern in einem Isolat entwickelte, welches von Gletscher- und Eismassen umrandet war. [...] Die Großrassen müssen in ihrem Bestehen gefördert werden. Die Vernichtung dieser wäre eine Absage an das Leben und der Natur. (Teil 2, S. 31 ff.)

669

(d) Diese Aussagen der JN sind der Antragsgegnerin zuzurechnen. Sie sind Ausdruck der bei der Antragsgegnerin vorhandenen Grundüberzeugung, dass der "deutschen Volksgemeinschaft" ein abstammungsbezogener exklusiver Charakter zukommt, diese vor einer Vermischung mit "andersrassigen Völkern" zu schützen ist und ihr gegenüber dem Einzelnen eine höherrangige Wertigkeit zukommt.

670

Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich weder darauf berufen, dass in dem mit Schriftsatz vom 11. April 2016 vorgelegten Beschluss des Parteivorstands vom 5./6. April 2014 angeordnet worden sei, den vorstehend zitierten Leitfaden der JN zu vernichten, noch, dass es sich bei den Aussagen des D. um Äußerungen eines für die Antragsgegnerin nicht repräsentativen "Hardliners" handele.

671

(aa) Hinsichtlich des angeblichen Beschlusses des Bundesvorstands der Antragsgegnerin vom 5./6. April 2014 sprechen gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens - wie bereits hinsichtlich der Broschüre "Wortgewandt" dargelegt (vgl. Rn. 656) - das Datum der Beschlussfassung vier Monate nach Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht sowie seine Vorlage erst nach Ende der mündlichen Verhandlung. Auch hat die Antragsgegnerin weder Belege für die Umsetzung ihres Vorstandsbeschlusses vorgelegt noch näher erläutert, aus welchen Gründen der Parteivorstand erst mehr als ein Jahr nach Veröffentlichung des Leitfadens die behauptete Maßnahme eingeleitet haben will. Es fehlt darüber hinaus eine Darlegung der Gründe oder eine Bezeichnung und inhaltliche Auseinandersetzung mit den fragwürdigen Passagen des Leitfadens, die den Parteivorstand zu dessen angeblicher Rückziehung veranlasst haben sollen. Schließlich hat D. in einem Interview mit dem Nachrichtenportal FSN-TV am 27. April 2014 - also nach dem behaupteten Vorstandsbeschluss - die fortwährende Gültigkeit des Leitfadens ausdrücklich bestätigt.

672

(bb) Auch für eine die Zurechnung ausschließende Distanzierung der Antragsgegnerin von den Aussagen des D. fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten. Die bloße Qualifizierung des D. als "Hardliner" genügt wegen dessen langandauernder und führender Tätigkeit innerhalb der JN und seines Aufstiegs zu deren stellvertretendem Bundesvorsitzenden nicht. Solange die Antragsgegnerin sich von Äußerungen ihrer Funktionäre oder der Führungskräfte ihrer Teilorganisationen nicht in einem zeitlich engen Zusammenhang ausdrücklich distanziert oder Ordnungsmaßnahmen ergriffen hat, wofür nichts vorgetragen ist, muss sie sich diese zurechnen lassen.

673

(2) Darüber hinaus belegen weitere Dokumente die Vorstellung der Antragsgegnerin von einer abstammungsbezogenen Begrenzung der "deutschen Volksgemeinschaft" und der Notwendigkeit, diese vor einer Vermischung mit anderen Rassen zu schützen.

674

(a) Karl Richter (Stadtverordneter der Antragsgegnerin, ehemals stellvertretender Bundesvorsitzender, Landesvorsitzender in Bayern und Chefredakteur der "Deutschen Stimme") und Eckart Bräuniger (ehemaliger Landesvorsitzender und Bezirksverordneter, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied und Stadtverordneter der Antragsgegnerin) greifen 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2011, S. 22) zur Beschreibung der Idee der "Volksgemeinschaft" auf den Nationalsozialismus zurück:

Gerade auch der Blick auf den selbst öffentlich nicht länger wegzuleugnenden, sich stärker und schneller vollziehenden Austausch unseres angestammten Volkes gegen Angehörige fremder Kulturen und Religionen auf deutschem Territorium beweist, wie sehr die Souveränität eines Reichskörpers als Bollwerk und Schild von Nöten wäre. [...] Es blieb dem 20. Jahrhundert und der "Volksgemeinschaft" der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten, sozialpolitisch zu vollenden, wofür Bismarck den Weg gebahnt hatte.

675

(b) Der damalige Bundesvorsitzende der Antragsgegnerin und heutige Abgeordnete im Europäischen Parlament Udo Voigt beschreibt 2009 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 9/2009, S. 2) das völkische Denken der Antragsgegnerin wie folgt:

Wir wollen, daß jeder Deutsche in seiner Heimat Arbeit findet und diese Arbeit als etwas Wichtiges und Höheres begreift, welches den Fortbestand und die Weiterentwicklung seiner Familie, seines Volkes und seiner Nation durch seinen persönlichen Einsatz in einer Volksgemeinschaft garantiert. Solidarprinzip, soziale Gerechtigkeit, gemeinsame ethnische und kulturelle Entwicklung und eine raumorientierte Volkswirtschaft sind untrennbar mit den Vorstellungen einer Volksgemeinschaft verbunden.

676

(c) Jürgen Gansel erklärt 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 4/2011, S. 8), dass der "potentiell nationalrevolutionären Mehrheit im Volk" klar werden müsse, dass die "Volksgemeinschaft in der Globalisierungsära die einzig denkbare Schutz- und Solidargemeinschaft" sei. In der mündlichen Verhandlung hat er bestätigt, dass aus seiner Sicht ein Afrikaner, auch wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit erwerbe, nicht Angehöriger des deutschen Volkes werden könne.

677

(d) In einer Rede des Kreisrats P. am 15. März 2015 in Tröglitz, die wegen eines Redeverbots aufgrund dessen früherer Verurteilung wegen Volksverhetzung verlesen wurde, heißt es:

Es gibt kein Land oder keine Stadt auf der Welt, wo Multi-Kulti und Rassenmischung irgendwie gut gegangen wäre. Im Gegenteil ist Südafrika zielsicher auf dem Weg ins Chaos seit Aufhebung der Rassentrennung. Und es wird weitergeh[e]n bis zur Vernichtung Europas!

678

Einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin steht nicht entgegen, dass P. kein Mitglied der Antragsgegnerin ist, da er 2013 auf der Liste der Antragsgegnerin zum Bundestag kandidiert hat und als ihr Kandidat in den Kreistag und im Januar 2015 in den Vorstand der KPV gewählt wurde. Holger Apfel hat in der mündlichen Verhandlung dazu ausgesagt, dass es ihm gegen die radikaleren Kräfte in der Partei nicht gelungen sei, eine Kandidatur des P. zu verhindern. P. ist damit als Funktionär der Antragsgegnerin anzusehen. Seine Aussagen bestätigen die rassistische Orientierung des Konzepts der "Volksgemeinschaft".

679

(e) Weiterhin erklärte der damalige Vorsitzende der Fraktion der Antragsgegnerin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und spätere Bundesvorsitzende Pastörs auf dem NPD-Schwabentag 2011 in Günzburg:

Das Menschenrecht besteht aber auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und wenn wir selbstbestimmt sagen, Europa ist das Land der weißen Rasse und es soll es auch bleiben, dann haben wir auch ein Recht darauf, das notfalls mit militärischer Gewalt sicherzustellen. Das ist meine Überzeugung.

680

(f) Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße bestätigte ein Versammlungsverbot gegen einen Kreisverband der Antragsgegnerin wegen zu erwartender Volksverhetzung aufgrund des Veranstaltungsmottos "Weiß ist nicht nur eine Trikotfarbe - für eine echte deutsche Nationalmannschaft". Das Versammlungsmotto könne - nach Wortlaut, sprachlichem Kontext und den konkreten Begleitumständen - hier nur so verstanden werden, dass der Begriff "weiß" für Angehörige einer "weißen Rasse" stehe und somit Deutsche anderer Hautfarbe beziehungsweise mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation gehörend ausgrenzen wolle (VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 25. März 2011 - 5 L 266/11.NW -, juris, Rn. 3, 7).

681

cc) Konsequenz der ethnischen Definition und des exkludierenden Charakters der "deutschen Volksgemeinschaft" ist die Abwertung des rechtlichen Status aller, die dieser Gemeinschaft nicht angehören. Dass dies auch für Eingebürgerte mit Migrationshintergrund gilt und diesen insbesondere kein dauerhaftes Bleiberecht zugestanden wird, belegen weitere der Antragsgegnerin zurechenbare Äußerungen und Aktivitäten.

682

(1) Der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin verschickte im Bundestagswahlkampf 2009 ein als "nichtamtliche Bekanntmachung" deklariertes Schreiben an 22 Politiker mit Migrationshintergrund. Unter der Überschrift "Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter informiert" wurden die Adressaten unter Hinweis auf "den Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" der Antragsgegnerin angehalten, Vorkehrungen für ihre jeweilige "Heimreise" zu treffen:

Liebe ausländische Mitbürger,

gemäß dem Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung bin ich als Ausländerrückführungsbeauftragter der NPD angehalten, Sie mit den Einzelheiten Ihrer Heimreise vertraut zu machen.

1. Personen mit Migrationshintergrund, die straffällig geworden sind, kehren fristlos in ihre Heimat zurück.

2. Personen ohne Sonderaufenthaltserlaubnis und Personen ohne Arbeitserlaubnis oder den Nachweis eines Arbeitsplatzes verlassen Deutschland nach längstens drei Monaten.

3. Die übrigen Ausländer werden schrittweise in ihre Heimatländer zurückgeführt.

4. Ausländer werden aus dem deutschen Sozialversicherungssystem ausgegliedert [...].

Bitte kümmern Sie sich schon jetzt um Unterkunftsmöglichkeiten und Arbeit in Ihren Heimatländern. [...] Wir danken Ihnen für Ihre geleistete Arbeit und die kulturelle Bereicherung und wünschen Ihnen eine gute Heimreise. Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter.

683

Im Bundestagswahlkampf 2013 versandte der Landesverband Berlin erneut ein ähnliches Rundschreiben an Kandidaten mit Migrationshintergrund, in dem diese aufgefordert wurden, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen, um einen Rücktransport in einer "Sie persönlich benachteiligenden Form" zu vermeiden. Die Behauptung der Antragsgegnerin, bei diesem Schreiben handele es sich lediglich um eine satirische Anregung zum Nachdenken über die Einwanderungspolitik, ändert nichts an der Tatsache, dass das an deutsche Staatsangehörige gerichtete und diese zum Verlassen des Landes auffordernde Schreiben als Bestätigung der Auffassung der Antragsgegnerin zu werten ist, wonach die Zugehörigkeit zur "deutschen Volksgemeinschaft" und der damit verbundene Rechtsstatus einschließlich eines dauerhaften Bleiberechts auch durch den "Erwerb bedruckten Papiers" nicht erreicht werden können.

684

(2) Dies bestätigt auch ein Fernsehinterview einer deutschen Journalistin mit Migrationshintergrund mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk. Auf die Frage, was er mit Menschen wie ihr, die eine andere Hautfarbe hätten, tun würde, antwortete er, dass sie einen Ausweisungsbescheid bekämen und Deutschland verlassen müssten. Mobile Güter könnten sie mitnehmen, der Rest würde ihnen ausbezahlt.

685

Die Antragsgegnerin verweist insoweit darauf, dass Zasowk sachlich argumentiert habe und nicht etwa aggressiv aufgetreten sei. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass ihr stellvertretender Bundesvorsitzender die Ausbürgerung eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund propagiert. Hierauf angesprochen, hat der Parteivorsitzende Franz in der mündlichen Verhandlung eine Distanzierung von dieser Aussage vermieden und lediglich auf die Möglichkeit direkter Befragung Zasowks verwiesen.

686

(3) Im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 erklärte der damalige Landesgeschäftsführer der Antragsgegnerin W. zur Kandidatur des farbigen Kommunalpolitikers S.:

Thüringen muss deutsch bleiben. Wir danken S. für seine Hilfe als Gastarbeiter in Thüringen. Heute wird er jedoch nicht mehr benötigt, weshalb wir ihn direkt dazu animieren wollen, in seiner Heimat Angola mit den hier eingezahlten Sozialversicherungsbeiträgen ein neues Leben zu beginnen. Angola braucht S. und hier gibt es mehr als 100.000 Thüringer, die S. Arbeitsplatz gut gebrauchen könnten.

687

Auch in diesem Fall wird die Rückkehrforderung ohne jegliche Differenzierung zwischen Ausländern und eingebürgerten Deutschen erhoben.

688

c) Die Antragsgegnerin vertritt also das Konzept einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft und eines rechtlich abgewerteten und mit der Menschenwürdegarantie unvereinbaren Status aller, die dieser Gemeinschaft abstammungsmäßig nicht angehören. Dem steht auch nicht der Einwand der Antragsgegnerin entgegen, dass sie mit ihrem Volksbegriff auf dem Boden des Grundgesetzes stehe und lediglich die Rückkehr zu dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz propagiere.

689

aa) Das Konzept weitgehender Rechtlosstellung und entwürdigender Ungleichbehandlung dieser Personengruppe wird durch die Einlassungen der Antragsgegnerin zum Volksbegriff und zum Staatsangehörigkeitsrecht nicht tangiert. Die Antragsgegnerin macht zwar geltend, sie unterscheide lediglich konsequent zwischen Staatsangehörigen und Nichtstaatsangehörigen. Dem steht jedoch bereits entgegen, dass die von ihr vertretenen Ausgrenzungen und Rechtsverweigerungen, etwa bezogen auf die Rückführung ohne Rücksicht auf die Situation im Heimatland, das Recht auf Eigentumserwerb oder die Trennung von Ausländern und Deutschen im Schulunterricht, über die durch die Staatsangehörigkeit veranlassten Differenzierungen hinausgehen und keineswegs nur Bürgerrechte betreffen.

690

bb) (1) Der von der Antragsgegnerin vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, "von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen" (BVerfGE 83, 37<51>) gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 116 Abs. 1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Er kann insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 83, 37 <51 f.>). Die Auffassung der Antragsgegnerin, der Gesetzgeber sei bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts streng an den Abstammungsgrundsatz gebunden, findet demgegenüber im Grundgesetz keine Stütze.

691

Demgemäß kommt bei der Bestimmung des "Volkes" im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe steht in deutlichem Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin, nach deren Überzeugung der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führt, dass der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird.

692

Soweit der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung, zum Volksbegriff befragt, sich eingelassen hat, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, gehöre auch dem deutschen Volk an, gibt dies das Konzept der Antragsgegnerin erkennbar nicht zutreffend wieder. Die Aussage steht im Widerspruch zu allen diesbezüglichen schriftlichen Publikationen und Äußerungen führender Vertreter der Antragsgegnerin einschließlich der Einlassungen Jürgen Gansels in der mündlichen Verhandlung.

693

(2) Die Antragsgegnerin kann sich zur Begründung der Behauptung, einen verfassungsgemäßen Volksbegriff zu vertreten, auch nicht auf Art. 116 GG und den dazu ergangenen "Teso"-Beschluss des Zweiten Senats (BVerfGE 77, 137) berufen. Zwar erweitert Art. 116 GG als Ausdruck der Pflicht, die Einheit des deutschen Volkes als Träger des Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zu bewahren (vgl. BVerfGE 77, 137 <151>), die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten "Statusdeutschen" (vgl. BVerfGE 83, 37 <51>). Dies führt aber nicht dazu, dass der Volksbegriff des Grundgesetzes sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt. Vielmehr erhält Art. 116 GG als Kriegsfolgenrecht erst dadurch Sinn, dass der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist (vgl. BVerfGE 83, 37 <51>). Im "Teso"-Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht darüber zu befinden, ob der Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik durch eine Person, die von einem italienischen Vater abstammte, zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes zur Folge hatte. Dass das Bundesverfassungsgericht dies - unabhängig von der ethnischen Zuordnung - bejahte (vgl. BVerfGE 77, 137 <150 ff.>), dokumentiert die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunft für die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.

694

cc) Schließlich widerspricht die Behauptung der Antragsgegnerin, sie strebe lediglich eine Rückkehr zu dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht einschließlich der Eröffnung der Möglichkeit zur Ermessenseinbürgerung und der dauerhaften rechtlichen Gleichstellung von "Passdeutschen" und "Biodeutschen" an, den von ihr tatsächlich verfolgten Zielen. Zwar sieht das Parteiprogramm vor, dass das "ursprüngliche, auf dem Abstammungsprinzip fußende Staatsbürgerschaftsrecht wieder eingeführt" wird (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 12). Das politische Konzept der Antragsgegnerin geht aber weit über eine Rückkehr zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung hinaus.

695

(1) Die Berufung auf die Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung lässt bereits außer Acht, dass für derartige Einbürgerungen, wie sie in § 8 RuStAG vorgesehen waren, nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin regelmäßig kein Raum sein soll. Ziel der Antragsgegnerin ist die "Einheit von Volk und Staat". Eine "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" lehnt sie strikt ab (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Um eine Vermischung des deutschen Volkes mit andersrassigen Völkern zu vermeiden, gilt für die Antragsgegnerin: "Staatsangehörigkeit muß an Volkszugehörigkeit gebunden sein - für Europäer kann es Ausnahmen geben." (vgl. Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger, S. 20).

696

(2) Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin Ausbürgerungen ausschließt. Zwar ist eine derartige Forderung im Parteiprogramm nicht enthalten und ausdrücklich, soweit ersichtlich, bisher von Vertretern der Antragsgegnerin nicht erhoben worden. Sie liegt aber in der Konsequenz der strikten Ablehnung einer "Überfremdung" Deutschlands "mit oder ohne Einbürgerung". Können "Afrikaner, Asiate[n] oder Orientale[n]" auch durch Einbürgerung nicht zu Deutschen werden und sind aus Sicht der Antragsgegnerin fast neun Millionen Eingebürgerte als "Nichtdeutsche" anzusehen (vgl. Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger, S. 19 f.), ist das Ziel einer Einheit von Volk und Staat ohne aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegenüber eingebürgerten Menschen mit Migrationshintergrund nicht erreichbar. Dem entspricht es, dass die Forderung einer Rückkehrpflicht in die Heimatländer von der Antragsgegnerin nicht nur auf Ausländer, sondern auf alle "Fremde[n]" bezogen wird (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5). Die hierzu bereits dargestellten Äußerungen und Aktivitäten der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 681 ff.) belegen, dass sie auch Eingebürgerten mit Migrationshintergrund eine umfassende rechtliche Gleichstellung und vor allem ein dauerhaftes Bleiberecht nicht zugesteht.

697

(3) Vor diesem Hintergrund ist die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Schlussfolgerung des Sachverständigen Prof. Kailitz, die Antragsgegnerin trete auf der Basis ihres Weltbildes für eine millionenfache Vertreibung von Menschen aus Deutschland ein, nachvollziehbar. Jedenfalls spricht sie den - in ihrem Sinne - "Nichtdeutschen" das Bleiberecht in Deutschland ab und betont deren Rückkehrpflicht. Entsprechend hat der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin im Bundestagswahlkampf 2009 dem an deutsche Politiker mit Migrationshintergrund versandten Schreiben einen "Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" beigefügt, in dem gefordert wird, "die menschenfeindliche Integrationspolitik [zu] beenden", und gesetzliche Lösungen zur Rückführung der "Ausländer" in ihre Heimatländer angekündigt worden sind.

698

d) Die aus der Vorstellung einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" sich ableitende Missachtung der Menschenwürde wird durch zahlreiche, der Antragsgegnerin zurechenbare Positionierungen gegenüber Ausländern (aa), Migranten (bb) und Minderheiten (cc) belegt.

699

aa) Neben der in dem Leitfaden "Politische Grundbegriffe" der JN enthaltenen Feststellung, dass sich jeder dritte Amerikaner durch Dekadenz und Fettleibigkeit auszeichne (Teil 2, S. 14; vgl. auch Rn. 665), belegen weitere Einlassungen die rassistische, durch völkisches Denken geprägte Grundhaltung der Antragsgegnerin.

700

(1) So erklärte der damalige Fraktionsvorsitzende der Antragsgegnerin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und spätere Bundesvorsitzende Udo Pastörs auf dem NPD-Schwabentag am 19. März 2011:

Die Türme [des World Trade Centers] brannten noch, da zogen Tausende aus, um zu plündern und zu rauben in unserem Vorbildlande Vereinigte Staaten von Nordamerika. Da konnte man so richtig mal beobachten, das Ergebnis dieser multikulturellen Jauche an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Nordamerika. [...] In New York, da braucht nur einmal das Licht des Nachts für drei Stunden auszufallen und wie die multikulturellen Ratten, fällt dann dieses sog. amerikanische Volk über sich selbst her.

701

(2) Jürgen Rieger unterstellte als stellvertretender Bundesvorsitzender der Antragsgegnerin in einer Rede in Altenburg am 13. September 2008 dunkelhäutigen Menschen pauschal eine niedrigere Intelligenz:

Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegt vom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeutschen.

702

(3) Der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin warnt in einem Facebook-Eintrag im Mai 2015 deutsche Frauen vor einer Beziehung mit farbigen Männern:

Ist es nicht mehr als gerechtfertigt, von einer gezielten Invasion zu sprechen? In den Großstädten ist die Situation bereits so, daß man auf den Straßen auf Schritt und Tritt Schwarzafrikanern (Negern) begegnet. Nicht etwa arbeitend mit einem Besen in der Hand; nein sie gehen spazierengehen oder "shopping" oder "girls watching"!

Sie wurden geholt, um unser Volk, unsere Ethnie, endgültig zu zerstören! Deutsche Frauen und Mädchen, laßt euch nicht mit Negern ein! Ihr vergeht euch sonst auf das Schwerste an eurem Volk!

703

Soweit die Antragsgegnerin hiergegen einwendet, der Verfasser des Beitrags habe lediglich auf die explodierende Zahl von Asylbewerbern aufmerksam machen wollen, widerspricht dies dem objektiven Erklärungsinhalt der Aussage und lässt die bewusste Parallelität der Wortwahl zu nationalsozialistischen Parolen hinsichtlich des Umgangs mit Juden während der Zeit des Nationalsozialismus außer Acht.

704

(4) Des Weiteren verwendete die Antragsgegnerin bei der Bundestagswahl 2009 ein Plakat, auf dem im oberen Drittel auf rotem Hintergrund und weiß unterlegt drei schwarze Vögel mit weit geöffneten Augen zu sehen waren. Zwei der Vögel ragten mit ihren Schnäbeln über ein Bündel Euro-Geldscheine. Einer von ihnen pickte mit seinem Schnabel nach dem Geldbündel, der andere hielt seinen geöffneten Schnabel, dessen oberer Teil überdimensioniert und leicht gekrümmt war, über das Geldbündel. Aufgedruckt sind die Worte: "Polen - Invasion stoppen!".

705

Die zuständige Behörde ließ die Plakate abnehmen und untersagte der Antragsgegnerin die weitere Verwendung. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Entscheidung der Behörde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes letztinstanzlich mit der Begründung, dass das Plakat die Menschenwürde der in Deutschland lebenden polnischen Staatsangehörigen verletze, weil diese mit schwarzen Vögeln gleichgesetzt würden, die sich in der Art von Krähen oder vergleichbaren Vögeln über Geld hermachten. Der betroffene Personenkreis werde dadurch als raffgierig und sich ohne eigene Leistung bereichernd dargestellt. Insbesondere die auf einen objektiven Betrachter abstoßend wirkende Darstellung der Vögel habe zum Ziel, diese Bevölkerungsgruppe als minderwertig und verachtenswert zu charakterisieren. Ihnen werde das Menschsein abgesprochen und sie würden als unterwertig dargestellt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. September 2009 - 3 M 155/09 -, juris, Rn. 19, 24).

706

(5) Im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 versah die Antragsgegnerin ein Wahlplakat mit einem Foto des CDU-Politikers S. mit dem Untertitel "falscher Thüringer" und stellte dieses Foto einem mit "echte Thüringer" untertitelten Bild einer Bratwurst gegenüber. Für das Wahlplakat wurde der damalige Landesvorsitzende Schwerdt wegen Beleidigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

707

bb) Insbesondere Asylbewerber und Migranten stehen im Zentrum menschenverachtender Äußerungen, die der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Sie sind vielfach durch pauschale Verdächtigungen und Herabwürdigungen geprägt.

708

(1) Belege hierfür ergeben sich bereits aus den parlamentarischen Aktivitäten der Antragsgegnerin.

709

(a) (aa) Im Sächsischen Landtag stellte die damalige Fraktion der Antragsgegnerin am 6. Dezember 2010 den Antrag "Strategiewechsel in der sächsischen Flüchtlings- und Asylpolitik - Rückkehrpflicht statt Aufenthaltsrecht", der auf eine Abschaffung des Asylrechts abzielt (LTDrucks 5/4279). Hierzu erklärte der ehemalige Fraktionsvorsitzende Apfel in der Debatte im Sächsischen Landtag:

Machen Sie endlich deutlich, dass Schluss mit der Liberalisierungswelle in der Ausländerpolitik ist. Stimmen Sie zu, schließen Sie die Einfallstore für muslimische Bombenleger, kriminelle Zigeunerbanden und Sozialschmarotzer aus aller Welt.
(Plenarprotokoll 5/27 vom 17. Dezember 2010, S. 2657)

710

(bb) Eine kleine Anfrage des Abgeordneten Apfel vom 4. Februar 2013 (LTDrucks 5/11244) an die Sächsische Staatsregierung enthielt die Frage, in welchem Umfang in von Migranten geschlossenen Verwandtenehen im Zeitraum von 2002 bis 2012 in Sachsen Kinder mit Behinderungen geboren wurden.

711

(cc) Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verwendete Udo Pastörs in Bezug auf Asylbewerber den Begriff "entartete Menschen" (Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 98 f.). Zuvor hatte der Abgeordnete Tino Müller in derselben Debatte von einer "neunköpfigen Negerbande" (Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 97) gesprochen.

712

(b) Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, der ehemalige Fraktionsvorsitzende Pastörs habe seine Äußerung "entartete Menschen" nicht auf Asylbewerber bezogen, sondern nur auf Menschen, die Polizisten anspuckten, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr äußerte Pastörs in der Landtagsdebatte wörtlich: "Das ist für uns so anachronistisch, so etwas von krank, dass die Polizei genötigt wird, in die Unterkünfte zu gehen, um da eventuell interkulturell beglückt zu werden, dadurch dass die Fremden, dass die, ja, entarteten Menschen […] die entarteten Menschen […]". Nachdem er an dieser Stelle von der Landtagsvizepräsidentin unterbrochen worden war, äußerte er anschließend zwar: "Wenn ich Polizisten bespucke, ist das eine Entartung, ganz klar." Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die ursprüngliche Äußerung auf die in den "Unterkünften" befindlichen "Fremden" und nicht auf Menschen, die Polizisten anspucken, bezogen war.

713

(2) Auch außerhalb des parlamentarischen Handelns werden Asylbewerber und Migranten von der Antragsgegnerin regelmäßig diffamiert, pauschal als Kriminelle verdächtigt und zum Objekt von die Menschenwürde missachtenden Vorschlägen gemacht.

714

(a) (aa) So warb Jürgen Gansel auf seiner Facebook-Seite am 21. April 2015 für die schnelle Ausweisung von "Asylbetrügern, Moslem-Extremisten und kriminellen Ausländern" und sprach ganz allgemein von einer "Flut an Scheinasylanten". In einem weiteren Facebook-Eintrag vom 21. Mai 2015 äußerte er sich wie folgt:

Um diese Zeit begegnet man auf der Riesaer Goethestraße nicht mehr allzu vielen Leuten - eine Ausnahme bildete eben eine sechsköpfige Gruppe von lautstarken und alkoholisierten Asyl-Negern. Genau davor bin ich vor 14 Jahren aus Westdeutschland nach Riesa geflohen, um mir ein Stück deutsches Deutschland zu bewahren, und nun trollt sich dieses ... fast vor der eigenen Haustür. Ich kann gar nicht soviel fressen wie ich kotzen will!

715

(bb) In einer Rede des P., die am 15. März 2015 in Tröglitz von einem Dritten verlesen wurde, hieß es:

Ihr verteidigt euer Dorf, eure Heimat - gegen Überfremdung und Verlust der Gemeinschaft. [...] Sie werfen Rentner aus Altenheimen, Lehrlinge aus Wohnheimen, Schüler und Sportler aus Turnhallen, um weitere Hunderttausende Fremde nach Deutschland zu holen. Der jüngste Vorschlag war gar, den armen, notgeilen Asylanten sogar noch eine Flatrate im Bordell zu bezahlen. Sozusagen ein Puff-Vormittag, wenn dort eh nicht viel los ist. Weil sie natürlich Angst haben, daß vor allem unsre Frauen und Mädchen die Leidtragenden sind. So wie es überall auf der Welt mit Rassenvielfalt passiert.

716

(cc) Der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin warnt in einem Facebook-Eintrag vom 21. Mai 2015:"Vorsicht! Kommt den 'Flüchtlingen' nicht zu nahe! Ihr gefährdet eure Gesundheit! [...] Wobei Krätze, eine Hautinfektion mit Parasiten, noch das harmloseste ist, was man sich bei denen holen kann!"

717

(dd) Die Landesvorsitzende des RNF Berlin, Maria Frank, bezeichnete als Rednerin bei einer Demonstration der Antragsgegnerin im Juli 2013 Muslime und Schwarzafrikaner generell als Vergewaltiger, Drogenhändler und dreckig:

Die Muslime in unserem Land empfinde ich als noch größere Heuchler als unsere lügende Regierung. [...] Doch sind es nicht nur die Muslime. Schwarzafrikaner stehen an den Ecken und verkaufen verbotene Substanzen, vergewaltigen ebenfalls deutsche Frauen und verdrecken unsere schönen Städte. Die Kriminalität der hier lebenden Ausländer nimmt rasant zu. Die Geburtenrate wirklich deutscher Kinder sinkt und die Geburtenrate von weiteren Schmarotzern und vermischten Kindern steigt stetig. [...] Die ach so hilfebedürftigen Menschen lachen sich in ihre dreckigen Hände, wie blöd der Deutsche doch ist.

718

(ee) Zum Versuch afrikanischer Flüchtlinge, die spanische Enklave Melilla in Nordafrika zu erreichen, schrieb am 18. Februar 2014 der Kreisvorsitzende V. auf der Facebook-Seite des Kreisverbands Unna der Antragsgegnerin:

Mir stellt sich die Frage, wieso die Guardia civil mit Gummigeschossen schießt, wenn Fremde gewaltsam in das eigene Land eindringen wollen? Hatte sie keine scharfe Munition? Ich bin sicher nach zwei oder drei Attacken, die so abgewehrt worden wären, würden unsere Maximalpigmentierten es aufgeben.

719

Am 10. Juni 2014 heißt es dann auf der Facebook-Seite dieses Kreisverbands:"Die richtige Reihenfolge: Warnschuss und zum Abdrehen auffordern, wenn keine Reaktion erfolgt: Scharfer Schuss und das Schiff versenken, im Meer schwimmende Überlebende ab nach Afrika. Große Dinge sind oft recht einfach."

720

(ff) Der Kreisrat (Bautzen) der Antragsgegnerin K. wurde im August 2015 von Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befragt, wie mit straffälligen Asylbewerbern umzugehen sei. Darauf antwortete er: "Nee, Gleis 17, Waggon 1, rein und ab." Auf Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald befindet sich ein Mahnmal, das an die Deportation von Juden in Konzentrationslager erinnert. Zudem sprach er sich gegen eine "Umvolkung" aus und äußerte sich wie folgt: "Ich sage jetzt bewusst: Die deutsche Rasse soll durch solche Dinge aufgemischt werden."

721

(b) (aa) Sämtliche Äußerungen sind darauf gerichtet, Asylbewerbern und Migranten ihre Menschenwürde abzusprechen. Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber geltend macht, da es Asyl-Betrüger, Moslem-Extremisten und kriminelle Ausländer gebe, sei es legitim, dies auch zu kritisieren, ignoriert sie die Pauschalität der Äußerungen, die sich gegen Asylbewerber und Migranten in ihrer Gesamtheit richten. Die Äußerungen überschreiten entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch die Grenze einer grundsätzlichen Kritik an der Einwanderungspolitik, da sie unmittelbar an die Migranten adressiert sind und diese verächtlich machen. Die Behauptung, es solle lediglich auf den täglich stattfindenden Asylbetrug hingewiesen werden, geht angesichts des eindeutigen Wortlauts der vorstehenden Erklärungen ins Leere.

722

(bb) Jede dieser Äußerungen ist der Antragsgegnerin zurechenbar und inhaltlich unmissverständlich.

723

(α) An der Tatsache, dass der Facebook-Eintrag des bayerischen Landesverbands der Antragsgegnerin von Flüchtlingen ausgehende Gesundheitsgefahren suggeriert, wobei Krätze noch das Harmloseste sei, ändert der Vortrag der Antragsgegnerin, man habe lediglich auf einen Zeitungsartikel verweisen wollen, nichts. Der Vortrag steht im Widerspruch zum Wortlaut des Eintrags. Soweit der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht hat, man sei gegen diesen Beitrag nicht vorgegangen, weil er nicht bekannt gewesen sei, steht dies einer Zurechnung nicht entgegen, da diese Kenntnis spätestens mit Zugang des Schriftsatzes vom 27. August 2015 bestand.

724

(β) Soweit die Antragsgegnerin sich von dem Facebook-Eintrag des Kreisverbands Unna mit Schriftsatz vom 2. März 2016 distanziert hat, bleibt sie eine Erklärung für die Tatsache schuldig, dass diese Einträge über einen Zeitraum von zwei Jahren unbeanstandet geblieben sind.

725

(γ) Nicht gefolgt werden kann der Behauptung der Antragsgegnerin, der Hinweis von K., straffällige Asylbewerber über "Gleis 17" auf die Heimreise zu schicken, enthalte lediglich die Aufforderung, geltendes Recht umzusetzen und kriminelle Asylbewerber ohne Bleiberecht abzuschieben. Eine Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen im Sinne einer Deportation lasse sich auch nicht aus dem Hinweis auf "Gleis 17" und "dort stehende Denkmäler" konstruieren. Es ist abwegig, dass der in der Region agierende Funktionär rein zufällig als Abschiebeort von Asylbewerbern das Gleis nennt, an dem ein Mahnmal an die Deportation von Juden in Konzentrationslager erinnert.

726

cc) Neben Asylbewerbern und Migranten richtet die Antragsgegnerin sich in vergleichbarer Weise gegen religiöse und gesellschaftliche Minderheiten und wendet sich dadurch gegen die Menschenwürde.

727

(1) Besondere Bedeutung misst sie dem Kampf gegen den Islam zu. Die Antragsgegnerin geht davon aus, die Auseinandersetzung mit dem Islam zu einer Popularisierung ihrer Forderung nach Ausländerrückführung instrumentalisieren zu können. Muslime werden dabei verächtlich gemacht; zugleich wird ihnen das Recht auf Religionsausübung und Aufenthalt abgesprochen.

728

(a) (aa) Jürgen Gansel formulierte 2009 in dem auf der Homepage der Antragsgegnerin abrufbaren "NPD - Dossier Minarettverbot" die Haltung der Partei zum Islam wie folgt:

Wir lehnen jede Form der Überfremdung durch kultur- und rassefremde Menschen entschieden ab. Deshalb beziehen wir auch eine klare Position gegen die Herausbildung orientalischer Parallelgesellschaften und die Islamisierung Deutschlands. […] Dort, wo der Islam historisch beheimatet ist und die Lebenstradition der Menschen prägt, hat er selbstverständlich sein Existenzrecht […]. In Mitteleuropa aber ist der Islam eine fremdkörperhafte Aggressionsreligion, die von einem Millionenheer fremdrassiger Menschen eingeschleppt wird. Die Siege über die Türken vor Wien 1529 und 1683 dürfen doch nicht umsonst gewesen sein! DIES IST UNSER LAND!

729

Dabei sieht Gansel in der Deutschen Stimme (Ausgabe 12/2010, S. 9) den Kampf gegen den Islam als strategisch besonders günstige Option für die Antragsgegnerin an:

Die NPD ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. […] Salopp formuliert: Man hat propagandistisch die Moslems zu schlagen, um noch ganz andere Ausländergruppen politisch zu treffen.

730

(bb) Noch deutlicher formuliert der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin am 30. August 2014 auf seiner Facebook-Seite:

Das zentrale Thema dieses beginnenden 21. Jahrhunderts heißt: Kampf gegen den Islam! Unsere Heimat muß endlich von allen Feinden befreit werden, damit das deutsche Volk wieder in Frieden und Freiheit harmonisch leben kann, und die Güter der gemeinsamen Arbeit auch gerecht verteilt werden können. Dazu muß der Islam und ähnliche Ideologien aber aus ganz Europa vertrieben werden! Es läuft vielleicht auf einen neuen Kreuzzug hinaus, wenn die Angriffe der Moslems weiter zunehmen!

Kämpft für euer Leben und eure Freiheit und das Leben eurer Nachkommen. Nichts wird uns geschenkt werden! Aber kämpft!

Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land!

731

Dies kommentierte ein User am selben Tag mit den Worten: "niemals die kinderficker werden bei uns bis aufs blut bekämpft", was der Betreiber des Profils wiederum am gleichen Tag mit "Bravo!" beantwortete.

732

(cc) Der NPD-Landesverband Berlin forderte in seinem 2011 von seiner Homepage abgerufenen Landesaktionsprogramm den uneingeschränkten "Abriß aller Minarette".

733

(dd) Holger Apfel erklärte in einem Interview mit "ZUERST Deutsches Nachrichtenmagazin" im Oktober 2011:

Natürlich ist der Islam heute die deutlichste Erscheinungsform der Überfremdung, deshalb wenden wir uns auch entschieden gegen den Bau von Moscheen. Aber wir wollen die Muslime nicht missionieren. Auch wenn sich die Türken morgen taufen lassen, bleiben sie Türken und bleiben hier ethnisch-kulturelle Fremdkörper.

734

(ee) Udo Pastörs formulierte auf dem NPD-Schwabentag am 19. März 2011 in Günzburg:

Wichtig ist, dass wir einen Glauben haben, etwas Metaphysisches, denn daraus ziehen z.B. die Muselmanen unglaubliche Kraft. Sie sind so irrational, so irrational vergeistigt, dass sie mit Freuden in den Tod gehen, weil sie glauben, sie tun ganz genau das Richtige und deswegen sind sie auch ohne moderne Waffen so gefährlich. Am gefährlichsten und jetzt muss ich aufpassen, weil ich da schon einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten bin und verurteilt bin, sie sind deswegen so gefährlich, wenn sie ohne Waffen kommen. Ihre Waffe ist ihre Fruchtbarkeit und die tragen sie uns wie damals die feindliche Infanterie mitten ins Herz unseres Volkes hinein. Und dann springt die Geburtsmaschine an und dann werden wir übervölkert von innen heraus und können uns nicht zur Wehr setzen.

735

In seiner Aschermittwochsrede 2009 im Saarland bezeichnete Pastörs türkischstämmige Bürger als "Samenkanonen" und wurde deshalb wegen Volksverhetzung vom Landgericht Saarbrücken am 22. Februar 2013 (10 Ns 128/11) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die von Pastörs eingelegte Revision wurde durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 13. März 2014 (Ss 50/2013) als offensichtlich unbegründet verworfen. Die insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde wurde von der 3. Kammer des Ersten Senats am 28. April 2016 (1 BvR 1966/11) mangels Rechtswegerschöpfung bezüglich der erhobenen Gehörsrüge nicht zur Entscheidung angenommen.

736

(b) Die damit zum Ausdruck kommende Missachtung der Menschen islamischen Glaubens entfällt nicht durch den Hinweis der Antragsgegnerin, dass das Existenzrecht des Islam nicht generell bestritten, sondern dort, wo der Islam beheimatet sei, ausdrücklich bejaht werde. Dies rechtfertigt die gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßende Diskriminierung ebenso wenig wie die Instrumentalisierung der Muslime als Projektionsfläche für die gegen alle Ausländer gerichteten Rückführungsvorstellungen der Antragsgegnerin oder deren Verächtlichmachung als "Bombenleger" oder "Samenkanonen".

737

(2) Weiterhin belegen Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre eine antisemitische Grundhaltung der Antragsgegnerin.

738

(a) (aa) Im Jahr 2008 wurde der Versandkatalog der "Deutsche Stimme Verlags GmbH" wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus und des Krieges durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht Köln (VG Köln, Urteil vom 12. Januar 2011 - 22 K 3151/08 -) bestätigt. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde zurückgewiesen (OVG Münster, Beschluss vom 28. September 2012 - 19 A 359/11 -).

739

In dem Katalog wurde unter der Rubrik "Gesinnungsknöpfe" ein Button "Keine Macht den Nasen" angeboten, auf dem eine Comic-Figur mit großer Nase abgebildet ist. Die Abbildung spielt auf die Darstellung jüdischer Mitmenschen im Nationalsozialismus an, die durch Hässlichkeit und als besonderes körperliches Merkmal durch eine große Nase geprägt war. Dies gilt in gleichem Maße für den angebotenen Aufnäher "Vorsicht bei Gesprächen! Feind hört mit!" mit dem Kopfbild eines hässlichen, geifernden, dunkelhaarigen Mannes mit großer Nase, welches das im Nationalsozialismus propagierte Feindbild des "Juden" schürt. Die Ausgrenzung und Missachtung jüdischer Mitbürger tritt auch in dem T-Shirt-Aufdruck "100 % unkosher" zutage.

740

(bb) Auch hochrangige Funktionäre der Antragsgegnerin haben sich in öffentlichen Äußerungen antisemitisch positioniert.

741

(α) So formuliert etwa Jürgen Gansel:

Seit 1930 war Adorno Assistent am Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen Gründung 1923 der jüdische Millionärssohn Felix Weil finanziert hatte. Zusammen mit Max Horkheimer, Herbert Marcuse und Friedrich Pollock, allesamt Söhne reicher Juden, machte Adorno das Institut schon zu Weimarer Zeiten zu einer neomarxistischen und neofreudianischen Denkschule. Deren "Kritische Theorie" verband in ihrer Gesellschaftstheorie sozioökonomische Auffassungen des Juden Karl Marx mit der Psychoanalyse des Juden Sigmund Freud. Mit scheinhumanitären Forderungen nach Demokratisierung, Emanzipation und Aufklärung rührten diese Köche eine ganz und gar nicht koschere Speise an: einen Giftfraß, der die inneren Organe und das Gehirn der deutschen Volksgemeinschaft anfressen sollte. […] Durch die Heranzüchtung des "demokratischen Menschen", der sich vom "falschen Bewußtsein" freimacht, sollte der Nährboden von Faschismus und Antisemitismus ausgetrocknet werden. Für Deutschland hieß das, einen totalen Bruch mit der nationalen Vergangenheit und die Diffamierung des deutschen Wesens ins Werk zu setzen, denn der demokratische Mensch sollte auch ein antinationaler Neurotiker sein. […] Mit diesem akademisch aufpolierten Neurotisierungsprogramm musste Adorno zum Säulenheiligen der Umerziehungsrepublik werden. Der giftspritzende Theoretiker starb vor 40 Jahren, sein Gift wirkt aber noch heute.

742

In der mündlichen Verhandlung auf diese Aussagen angesprochen, hat Gansel zwar erklärt, in der Formulierung "über das Ziel hinausgeschossen zu sein". Inhaltlich hat er sich aber von der Behauptung, jüdische Intellektuelle wollten das deutsche Gemeinwesen zersetzen, nicht distanziert.

743

(β) Karl Richter erklärte am 8. Januar 2015:

Ständig bemühen sich bestimmte Kreise mit ganz bestimmten Absichten, uns etwas vom "christlich-jüdischen Abendland" weiszumachen. Aber das ist eine historische Lüge:

Juden gab es im Abendland mindestens 1500 Jahre lang nur als Händler, Wucherer, Christusmörder und im Ghetto. 1500 Jahre lang hatten Juden im Abendland so gut wie nichts zu sagen.

Kurz und gut: MEIN Abendland ist christlich und zu mindestens gleichen Teilen germanisch. Das "jüdisch" brauche ich nicht in meinem Abendland, und - ich bin so frei - ich lege auch keinen Wert darauf.

744

(γ) Holger Apfel führte zum Antrag der Antragsgegnerin "Keine Zusammenarbeit mit 'Schurkenstaaten' - Sächsisch-israelische Partnerschaft beenden" im Sächsischen Landtag (Plenarprotokoll 5/18 vom 17. Juni 2010, S. 1519 ff.) aus:

Fakt ist: Mit dem aktuellen Überfall auf einen Hilfskonvoi hat sich Israel endgültig als Schurkenstaat entlarvt. […] Für die NPD ist der aktuelle Überfall kein Ausrutscher; Gewalt ist vielmehr eine historische Konstante des Zionistenstaates. [...]

Mit ihren Terrororganisationen wie der Irgun und der Hagana zieht sich die Blutspur des Zionismus wie ein roter Faden durch die Geschichte Palästinas. Doch bis zum heutigen Tage werden die blutigen Ursprünge verleugnet. Kein Wunder, gebärdet man sich doch seit über 3.000 Jahren als Opfer der Weltgeschichte, während die eigene Rolle als Tätervolk verschwiegen wird, […].

745

Ebenfalls im Sächsischen Landtag erklärte Apfel:

Mit diesem miesen Spiel der jüdischen und islamischen Lobby in diesem Land muss endlich Schluss sein. Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, nicht länger vor den Karren reaktionärer ewig gestriger Zentralräte spannen! Hängen Sie nicht länger am Rockzipfel der jüdischen und islamischen Lobby!
(Plenarprotokoll 5/65 vom 18. Oktober 2012, S. 6565)

Solche Aussagen […] sind natürlich ganz im Sinne von Leuten, wie dem jüdischen Politoffizier der Bundeswehrhochschule in München, Prof. Michael Wolffsohn, der es gern sieht, dass deutsche Soldaten für Israel am Hindukusch die Kastanien aus dem Feuer holen […]. Schämen Sie sich, meine Damen und Herren, dafür, dass Sie längst nicht mehr deutsche Interessen im Auge haben, sondern nur noch willfährige Büttel des Zentralrates der Juden sind!
(Plenarprotokoll 5/14 vom 29. April 2010, S. 1089)

746

(δ) Der heutige Vorsitzende des Landesverbands Berlin der Antragsgegnerin, Sebastian Schmidtke, erklärte am 18. Februar 2011 bei einer Mahnwache unter dem Motto "Kriminelle Ausländer raus!":

Nicht der kleine eingeführte Ausländer ist der Hauptschuldige. Nein, die Schuld tragen die Wucherkapitalisten, die Globalisierer, die Hochfinanz, ihre Köpfe aus dem vorderasiatischen Raum und all ihre Marionetten, die den freien Völkern der Welt den Untergang bringen, indem sie die Völker zu hirnlosen, heimatlosen, identitätslosen Arbeitsmaschinen umfunktionieren.

747

Bereits zuvor war Schmidtke wegen des Tragens eines schwarzen T-Shirts mit der Aufschrift "All Jews are Bastards" wegen Beleidigung verurteilt worden (AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14. Mai 2008 - <274 Cs> 81 Js 1937/07 <343/07> -).

748

(ε) Der ehemalige Pressesprecher des Landesverbands Sachsen-Anhalt der Antragsgegnerin, G., äußerte sich am 30. Januar 2013 auf der Homepage des Landesverbands zur Forderung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein neues Verbotsverfahren anzustrengen, wie folgt:

Einmal mehr erweist sich Dieter Graumann, seines Zeichens Vorsitzender des "Zentralrats der Juden in Deutschland", als ein echter Vertreter seiner Art: "Steuergelder dürfen nicht mehr missbraucht werden, um braunes Gift zu finanzieren. Genug ist genug", fordert der freche Chefhebräer am 30. Januar 2013 in der Zeitung "Die Welt" und ist sich dabei nicht zu schade zu verheimlichen, wofür er denn die - wohl mehrheitlich von Deutschen ohne jüdischen Glauben - erbrachten Beiträge zum deutschen Staatshaushalt stattdessen viel lieber verwenden möchte. Vielleicht für die weitere Finanzierung (s)eines nahöstlichen Schurkenstaates, so wie in den vergangenen 65 Jahren und - wenn möglich - bis zum Sankt Nimmerleinstag? Oder für die Alimentierung raffgieriger Religionskörperschaften, wie beispielsweise der Magdeburger Synagogengemeinde?

749

(ζ) In der Deutschen Stimme (Ausgabe 9/2014, S. 23) forderte das Mitglied des Landesvorstands Sachsen der Antragsgegnerin, R., Juden nicht mehr durch deutsche Sicherheitsbehörden gegen islamistische Angriffe zu schützen:

Nicht deutsche Polizisten sollen daher mit ihrer Haut jüdische Einrichtungen schützen und sich bei Demonstrationen von Arabern mit Messern und Steinen traktieren lassen, das können jüdische Sicherheitsfirmen und Personenschützer besser. Und die Kosten dafür sollte auch der Jüdische Weltkongreß bezahlen und nicht der deutsche Steuerzahler.

750

(b) Dem in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommenden Antisemitismus stehen die Einlassungen der Antragsgegnerin nicht entgegen. Soweit sie darauf verweist, dass legitime Kritik am Staat Israel zulässig sein müsse, verkennt sie, dass die dargestellten Äußerungen sich überhaupt nicht oder zumindest nicht vorrangig gegen den Staat Israel, sondern gegen Menschen jüdischen Glaubens richten, denen anknüpfend an nationalsozialistische Feindbilder negative Charaktereigenschaften in diffamierender Weise zugeschrieben werden. Ob diese Äußerungen von den Angehörigen der jüdischen Gemeinden obendrein als einschüchternd empfunden werden, ist dabei im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang.

751

Die Antragsgegnerin muss sich auch das Verhalten des Vorsitzenden des Landesverbands Berlin zurechnen lassen. Auch wenn er zum Zeitpunkt der zur Verurteilung wegen Beleidigung führenden Tat noch nicht Mitglied der Antragsgegnerin gewesen war, handelt es sich doch um einen Anhänger, der zwischenzeitlich mit einer Spitzenfunktion betraut wurde und dessen Verhalten gemeinsam mit den übrigen Äußerungen das Vorliegen einer antisemitischen Grundhaltung bei der Antragsgegnerin bestätigt. Dem widerspricht auch nicht, dass die Antragsgegnerin anhand weniger Beispiele einen differenzierten Umgang mit dem Judentum und der deutsch-jüdischen Geschichte darzulegen versucht. Dies vermag die aus den dargelegten Äußerungen sich ergebende antisemitische Grundtendenz bei der Antragsgegnerin nicht zu relativieren.

752

(3) Die Missachtung der Menschenwürde durch die Antragsgegnerin ist nicht auf die bereits benannten Gruppen beschränkt. Stellungnahmen gegenüber weiteren Gruppierungen lassen erkennen, dass sie den aus der Menschenwürde folgenden Achtungsanspruch der Person auch insoweit nicht respektiert.

753

(a) (aa) So erklärte Jürgen Gansel im Sächsischen Landtag:

Sexualität ist Privatsache, und in der Abgeschiedenheit ihrer vier Wände können auch Schwule und Lesben tun und lassen, was sie wollen - auch wenn es unappetitlich sein mag. In der Öffentlichkeit aber haben sie das Anstandsgefühl der übergroßen heterosexuellen Bevölkerungsmehrheit zu akzeptieren und eine Zurschaustellung ihrer sexuellen Neigungen zu unterlassen, wie sie etwa auf Schwulenparaden zelebriert werden.
(Plenarprotokoll 5/37 vom 26. Mai 2011, S. 3595)

754

(bb) Die Volksgruppen der Sinti und Roma beschrieb das damalige Landesvorstandsmitglied in Thüringen, K., in einer Zeitung der NPD-Erfurt aus dem Jahr 2011 (Bürgerstimme!, Jahrgang 3, Ausgabe 15, S. 3), wie folgt:

"Sinti und Roma", "mobile ethnische Minderheit" oder "Angehörige reisender Familien": [...] Doch wie immer man diese Gruppe auch nennen möge: Deren Angehörige eint oftmals der Hang zur Kriminalität, Verwahrlosung und Prostitution. [...] Doch mittlerweile überschwemmt die 2010 benannte "Kulturhauptstadt Europas" nicht das Wasser der Ruhr, sondern eine Zigeunerflut, gepaart mit dem ungezügelten Zuzug von Ausländern aus Anatolien und Afrika.

755

In den Jahren 2013 und 2014 setzte die Antragsgegnerin bei Wahlkämpfen auf Europa-, Bundes- und Landesebene ein Plakat mit dem Motto "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" ein.

756

Der Bundesschatzmeister der Antragsgegnerin Andreas Storr erklärte im Sächsischen Landtag:

[…] als wäre es nicht schon genug des nur uns Deutschen aufgezwungenen Sprachterrorismus, dass wir Zigeuner nicht mehr beim Namen nennen dürfen […]. Das ist […] eine Einladung an die Zigeuner, es sich hier ein paar Monate auf Kosten der Deutschen gutgehen zu lassen […]. Denn die im Hotel "Zum Kronprinzen" untergebrachten Sozialschmarotzer werden ihren Leuten die Netzseite ab-in-den-Urlaub.de zumailen, wo das herrliche Plüschzimmer des Hotels "Zum Kronprinzen" angepriesen wird, wahrlich eines Königs der Zigeuner würdig.
(Plenarprotokoll 5/69 vom 30. Januar 2013, S. 7194 f.)

757

(b) Der Versuch der Antragsgegnerin, die Aussage des K. als legitime Kritik an den Zuständen in Duisburg-Marxloh darzustellen, geht fehl, da Sinti und Roma pauschal ein Hang zur Kriminalität, Verwahrlosung und Prostitution unterstellt wird, die herabsetzende Bezeichnung Zigeuner mehrfach verwendet und von einem "Überschwemmen durch eine Zigeunerflut" gesprochen wird. Ebenso ist der Hinweis der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht Kassel habe das Wahlplakat "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" nicht beanstandet, im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang. Auch wenn das Plakat für sich genommen die Grenze der Strafbarkeit oder der Rechtswidrigkeit nicht überschreitet, offenbart es eine durchgängig geringschätzige Haltung gegenüber den Volksgruppen der Sinti und Roma, die in einer Gesamtschau mit den übrigen Äußerungen die Missachtung des Wert- und Achtungsanspruchs der Angehörigen dieser Gruppen erkennen lässt.

758

2. Die Antragsgegnerin missachtet die freiheitliche demokratische Grundordnung auch mit Blick auf das Demokratieprinzip. Zwar kann diese Haltung dem Parteiprogramm nicht in der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden (a). Die Ablehnung der grundgesetzlichen Ausgestaltung freiheitlicher Demokratie ergibt sich aber unter Berücksichtigung sonstiger der Antragsgegnerin zurechenbarer Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre (b). Aus ihnen ergibt sich, dass das politische Konzept der Antragsgegnerin dem aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG folgenden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung widerspricht. Außerdem missachtet die Antragsgegnerin den Grundsatz der Volkssouveränität, da sie die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am Prinzip der "Volksgemeinschaft" orientierten Nationalstaat fordert, ohne darzulegen, wie in diesem der notwendige Legitimationszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft gewährleistet werden soll.

759

a) In ihrem Parteiprogramm bezeichnet die Antragsgegnerin sich einerseits als (national-) "demokratische" Partei und beruft sich auf die Prinzipien der "Volksherrschaft" und der "Ablösung der Regierung durch demokratische Entscheidungen" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7). Außerdem spricht sie sich für die Direktwahl des Bundespräsidenten und die Stärkung plebiszitärer Elemente aus (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 8). Andererseits lässt sich dem Programm ein Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, zum Grundsatz der Opposition oder zum Mehrparteiensystem nicht entnehmen. Stattdessen wird die Legitimität des Grundgesetzes bezweifelt und der nicht näher beschriebene "Nationalstaat" als notwendiger politischer Rahmen der Volksherrschaft bezeichnet (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5). Erforderlich sei die "Einheit von Volk und Staat" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). "Volksherrschaft" setze "Volksgemeinschaft" voraus (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7).

760

Demgemäß kann dem Parteiprogramm eine klare Positionierung zu den durch die freiheitliche demokratische Grundordnung geschützten Kernbestandteilen des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht entnommen werden. Inwieweit das Konzept des "Nationalstaates" dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsbürger an der politischen Willensbildung Rechnung trägt, ist aus den Formulierungen des Parteiprogramms nicht erkennbar. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Programm, inwieweit die Forderung nach der Einheit von Volk und Staat zu einer Beschränkung politischer Partizipationsmöglichkeiten von Eingebürgerten führen kann. Außerdem erschließt sich aus dem Parteiprogramm nicht, wie die demokratisch notwendige durchgängige Rückbindung der Staatsgewalt an das Volk stattfinden und welche Bedeutung dabei der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie zukommen soll.

761

b) Demgegenüber ergeben sich unter Berücksichtigung der sonstigen, insbesondere aus dem Konzept der "Volksgemeinschaft" folgenden Positionen der Antragsgegnerin eindeutige Befunde für deren Missachtung des Demokratieprinzips. Weder respektiert sie den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung (aa), noch bekennt sie sich zum Prinzip der parlamentarischen Demokratie. Vielmehr tritt sie für dessen Abschaffung und Ersetzung durch einen Deutsches Reich genannten autoritären Nationalstaat ein (bb).

762

aa) Das politische Konzept der Antragsgegnerin ist mit dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung unvereinbar.

763

(1) (a) Wenn "Volksherrschaft" die "Volksgemeinschaft" voraussetzt, wie die Antragsgegnerin dies in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich vertritt (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7), und die "Volksgemeinschaft" ethnisch definiert ist, hat dies zwingend den Ausschluss derjenigen, die der "Volksgemeinschaft" aus ethnischen Gründen nicht angehören, aus dem demokratischen Prozess zur Folge. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat im Sinne der Antragsgegnerin ist für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - grundsätzlich kein Raum. Vielmehr führt der exkludierende Charakter der "Volksgemeinschaft" zu einer mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung.

764

(b) Dieses Ergebnis hat der hierzu befragte Jürgen Gansel in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Er hat ausdrücklich zwischen Volksherrschaft und Bevölkerungsherrschaft unterschieden und ausgeführt, dass die Volksherrschaft an das ethnische Staatsvolk gebunden sei und daher in der Bundesrepublik Deutschland nur eingeschränkt bestehe. Auch wenn er die anschließende Frage, wie echte Volksherrschaft in Deutschland hergestellt werden könne, unbeantwortet ließ, dokumentiert dies, dass nach Auffassung der Antragsgegnerin der Anspruch auf demokratische Partizipation auf die Angehörigen der ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" beschränkt ist.

765

Einen eingeschränkten Demokratiebegriff propagiert auch Udo Pastörs, der ausweislich der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern am 13. März 2010 auf der Veranstaltung "Freiheit statt BRD" erklärte:

Wir fordern eine Demokratie im besten Sinne, in der alles am Prinzip Volkserhalt ausgerichtet ist.

766

(2) (a) Die Begrenzung politischer Partizipation auf die Angehörigen der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" widerspricht dem im menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips wurzelnden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Das von der Antragsgegnerin verfolgte politische Konzept schließt bereits Eingebürgerte wegen ihrer fehlenden Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" aus dem Kreis der zur "Volksherrschaft" Berufenen aus. Eine derartige Differenzierung nach ethnischen Kriterien verstößt gegen Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, der das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung allen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft garantiert (vgl. bereits Rn. 690 ff.).

767

(b) Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich auch im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf berufen, dass sie die Möglichkeit der Ermessenseinbürgerung akzeptiere und Eingebürgerten die staatsbürgerlichen Rechte uneingeschränkt zuerkenne. Insoweit handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung. Ermessenseinbürgerungen sollen nach dem Konzept der Antragsgegnerin allenfalls bei Europäern in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen (vgl. Rn. 694 f.). Vor allem aber ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin bereit ist, bereits Eingebürgerten sämtliche mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte dauerhaft zuzuerkennen. Da es sich aus ihrer Sicht um grundsätzlich Rückkehrpflichtige handelt, die weder zur "Volksgemeinschaft" gehören, noch zur Volksherrschaft berufen sind, ist für die beständige Einräumung des Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung kein Raum.

768

bb) Daneben ergibt sich die Demokratiefeindlichkeit der Antragsgegnerin aus ihrer Negation des Prinzips der parlamentarischen Demokratie. Die Antragsgegnerin lehnt das bestehende parlamentarisch-repräsentative System ab und macht dieses verächtlich (1). Sie geht davon aus, dass die parlamentarische Demokratie der Verfolgung der Interessen der "Volksgemeinschaft" nachgeordnet ist (2). Vor diesem Hintergrund fordert sie die Ersetzung des bestehenden Systems durch einen an das Deutsche Reich anknüpfenden Nationalstaat (3). Damit will sie in den durch die freiheitliche demokratische Grundordnung geschützten Kernbestand der grundgesetzlichen Demokratie eingreifen (4).

769

(1) (a) Die grundsätzliche Ablehnung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems durch die Antragsgegnerin wird in einem Interview Holger Apfels mit der Deutschen Stimme deutlich (Ausgabe 12/2008, S. 3):

Das ist das bereits erwähnte Spiel der "parlamentarischen Demokratie": Alle paar Jahre wird gewählt, dann bilden sich Mehrheiten, und so wird dann die ganze Wahlperiode über abgestimmt, egal, welche Qualität die Initiativen der Opposition besitzen. [...] Das Parlament ist längst zu einer billigen Karikatur einer wirklichen Volksherrschaft verkommen.

770

(b) In vergleichbarer Weise äußerte sich der ehemalige Landesvorsitzende Sachsen-Anhalts, Matthias Heyder, auf dem Bamberger Programmparteitag 2010:

Das da draußen ist ein kaltes, zubetoniertes, volksfeindliches, asoziales System, das gehört nicht verändert, das gehört abgeschafft.

771

(c) Der damalige Beisitzer im Bundesvorstand der Antragsgegnerin, Thomas Wulff, beschreibt im Mai 2009 auf www.netzwerknord.com das politische System der Bundesrepublik Deutschland wie folgt:

Ein krankes System zittert in seinen morschen Knochen! Die Symptome der Fäulnis haben das Gefüge der Kriegsgewinnler von 1945 und ihrer deutschen Handlanger erfasst. [...] Ehrlose, korrupte Politiker und ihre Speichellecker in den Medien haben sich zusammengeschlossen mit antideutschen, volksfeindlichen Kräften. Sie üben gegenüber uns und unserem Volk eine "Diktatur der Unfreien" aus. Sie sind nichts weiter als Handlanger der Besatzungsmächte von 1945. Sie tun alles, um die Besatzung und Fremdherrschaft weiterhin als Befreiung zu kaschieren und bis heute zu sichern.

772

(d) Ähnlich abfällig äußert sich Jürgen Gansel 2009 in einem Internetbeitrag auf der Homepage der Antragsgegnerin mit dem Titel "Das Endstadium des Parlamentarismus", in dem er den "Persönlichkeits- und Charakterlosen" als bestimmenden Politikertypus beschreibt, die Bundesrepublik Deutschland als "politische[n] Swinger-Club" bezeichnet und eine "Herrschaft der Minderwertigen" behauptet. In einem weiteren Artikel aus dem Jahr 2010 unter der Überschrift "Die Systemkrise beginnt im kommunalen Unterbau" formuliert er:

Das alles ist systemimmanenter Volksbetrug! Hier hilft kein bloßer Politikerwechsel, weil durch den Austausch eines Volksbetrügers durch einen anderen nichts gewonnen ist, sondern nur ein radikaler, also an die Wurzel des Übels gehender Politikwechsel.

773

(e) Auch die nachfolgenden Äußerungen einzelner ehemaliger Abgeordneter in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern dokumentieren das Ziel, das bestehende parlamentarische System verächtlich zu machen:

Bonzokraten und Palaverbude.
(Udo Pastörs, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/54 vom 23. Oktober 2008, S. 58)

Datenschutzbeauftragter als Pausenclown […] Orgelparteien.
(Michael Andrejewski, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/60 vom 28. Januar 2009, S. 82)

In der mitteleuropäischen Bundesrepublik, zur Zeit noch Deutschland genannt, regieren Tanten und Tunten.
(Raimund Borrmann, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/81 vom 18. November 2009, S. 97)

Stimmvieh auf Befehl der EU-Kommissare.
(Udo Pastörs, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/96 vom 9. Juni 2010, S. 39)

Mieser Asozialenstaat.
(Michael Andrejewski, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/109 vom 19. November 2010, S. 34)

[…] die Deutschen heutzutage von Abschaum regiert werden.
(Jürgen Gansel, Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/52 vom 8. März 2012, S. 5144, bezugnehmend auf den Rücktritt und Ehrensold des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff)

774

(2) Zugleich stellt die Antragsgegnerin die Idee der "Volksgemeinschaft" dem Demokratieprinzip gegenüber und relativiert dabei dessen Geltungsanspruch.

775

(a) Deutlich wird dies, wenn der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Bayern, W., schreibt:

Es ist mehr Volksherrschaft verwirklicht, wenn ein Volk auf allen Gebieten des Lebens von seinen fähigsten und tüchtigsten Angehörigen geleitet wird, als es von einer bloßen Majorität oder von gekauften Parlamentariern verwalten zu lassen.
(W., in "Volk in Bewegung - Der Reichsbote", Ausgabe 5/2011, S. 11)

776

(b) In vergleichbarer Weise fasst der in Jamel ansässige Lokalpolitiker der Antragsgegnerin, K., seine politische Zielvorstellung wie folgt zusammen:

Darum ist mein Ziel nicht die Demokratie der Kapitalisten und Halsabschneider, sondern die Volksgemeinschaft der Deutschen!
(K., in "De Meckelbörger Bote", Ausgabe 1/2011, S. 2)

777

(c) D. wendet sich in der Zeitschrift "Der Aktivist" (Ausgabe 2/2012, S. 20 f.) grundsätzlich gegen den Geltungsanspruch der Demokratie und des Mehrheitsprinzips:

Die Demokratie scheint zu einer Art Religion für die derzeitig Herrschenden geworden zu sein. So wie man noch in vorkopernikanischen Zeiten für die richtige Behauptung, die Erde sei rund, auf dem Scheiterhaufen endete, landet man heute im Kerker des Systems, wenn man sich gegen die "beste Herrschaftsform aller Zeiten" ausspricht. Alleine die stetige, gebetsmühlenartig sich wiederholende Behauptung, es handle sich hierbei tatsächlich um die "beste Gesellschaftsform", ist einfach nicht haltbar. Gerade wir als Nationalisten wissen, dass die Menschen unterschiedlich sind. Einem System, das sich auf Mehrheitsentscheidungen stützt, kann demnach auch keine Ewigkeitsgarantie ausgesprochen werden. […] Es gibt keine Formel für das perfekte Staatswesen, es gibt nur den inneren Einklang eines Volkes mit diesem.

778

(d) Udo Pastörs betonte 2011 auf dem NPD-Schwabentag in Günzburg:

Das, was vor uns liegt, ist die Reststrecke eines korrupten Systems, was beseitigt gehört, weil es den Volkserhalt gefährdet, liebe Freunde.

779

(3) Vor diesem Hintergrund erhebt die Antragsgegnerin einen fundamentaloppositionellen, revolutionären Anspruch (a), der auf die Abschaffung des bestehenden parlamentarischen Systems einschließlich der Bestrafung der hierfür Verantwortlichen (b) und der Ersetzung durch einen Deutsches Reich genannten autoritären Nationalstaat gerichtet ist (c).

780

(a) (aa) Die Antragsgegnerin hat ein sozialrevolutionäres Selbstverständnis. Sie beschränkt sich nicht auf die Kritik aus ihrer Sicht bestehender Missstände des parlamentarischen Systems, sondern fordert dessen Überwindung.

781

In einem Flugblatt des Landesverbands Sachsen aus dem Jahr 2009 dringt der damalige Spitzenkandidat Holger Apfel auf die Abschaffung des geltenden Systems und erklärt:

Ja, die NPD versteht sich als grundsätzliche Alternative zu den Versagerparteien und ihrem System, das das Volk politisch entmündigt und wirtschaftlich verarmen lässt.

782

Ebenso heißt es in der Informationsbroschüre "Heimat bewahren - Freiheit erkämpfen" des Landesverbands Sachsen, für die ebenfalls Holger Apfel presserechtlich verantwortlich zeichnete:

Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozialen, demokratischen und nationalen Volksstaat schaffen und stellt dieses Ideal der etablierten "Demokratie-Karikatur" namens BRD entgegen. (S. 15)

783

Auch der Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Antragsgegnerin Claus Cremer betont 2010 in einem Artikel mit dem Titel "Dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht werden" auf der Homepage seines Landesverbands den revolutionären Anspruch der Antragsgegnerin:

Die NPD, als parlamentarischer Arm des Widerstandes, hat nun weiterhin Taten folgen zu lassen, um dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht zu werden.

784

(bb) Demzufolge wird die Beteiligung am parlamentarischen System von der Antragsgegnerin lediglich als zusätzliches Instrument zur Verfolgung der eigenen systemüberwindenden Ziele angesehen.

785

(α) Entsprechend erklärte der ehemalige Landesvorsitzende Sachsen-Anhalts, Matthias Heyder, auf dem Bamberger Programmparteitag 2010:

Wir haben ja nicht vor, in den Landtag einzuziehen, um Teil des Systems zu werden, um auch nur einen Millimeter von unseren Positionen abzurücken.

786

(β) Ähnlich äußerten sich die JN am 28. März 2011 auf der Internetseite ihres Bundesvorstands (www.jn-buvo.de):

Wahlen sind immer nur Mittel zum Zweck, niemals Selbstzweck. Parteipolitik und Wahlbeteiligungen müssen stets Instrument des Willens zur Veränderung sein und dürfen sich nicht auf bloße Teilhabe am parlamentarischen Zirkus beschränken.

787

(γ) Ebenso zur Instrumentalisierung des Parlamentarismus schrieb Karl Richter in "hier & jetzt" (Ausgabe 14, November 2009, S. 4 ff., insbes. S. 8):

Nota bene: in einem bundesdeutschen Länderparlament mitzuspielen und sich im Papierausstoß mit den Fraktionen der etablierten Parteien zu messen, ist für sich genommen kein Ruhmesblatt; und auch die konkreten politischen Gestaltungsmöglichkeiten halten sich in Grenzen, solange man nicht jenseits der 51 Prozent ist. Aber als Übungsgelände ist eine Parlamentsfraktion von unschätzbarem Wert.

788

(b) An der Notwendigkeit der Beseitigung des bestehenden parlamentarischen Systems (aa) und der Bestrafung der hierfür Verantwortlichen (bb) bestehen für die Antragsgegnerin keine Zweifel.

789

(aa) (α) Unmissverständlich erklärte der Vorsitzende des Landesverbands Hessen der Antragsgegnerin, Daniel Knebel, bei der Maikundgebung 2010:

Wir sind keine Schwätzer und wir sind auch keine Reformatoren, wir sind ausschließlich, und das mit voller Überzeugung, Revolutionäre. Wir wollen diesen Staat nicht ändern, wir wollen ihn abschaffen, wir wollen die Revolution, bringt dieses System endlich zu Fall, danke schön.

790

(β) Auch der Kreisverband Berlin-Pankow der Antragsgegnerin formuliert auf seiner Homepage am 24. Februar 2009:

Wir sind revolutionär, weil wir das ferngesteuerte System der BRD nicht reformieren, sondern überwinden wollen.

791

(γ) Ebenso bekennt sich der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern auf seiner Internetseite zum Ziel der Abschaffung des bestehenden politischen Systems:

Wir erheben demgegenüber den Anspruch, weder dieses absterbende System beerben zu wollen, sondern einen Volksstaat zu schaffen, in dem jeder Deutscher als Teil der Gemeinschaft mitarbeitet und gebraucht wird. Bündeln wir unsere Kraft, um diese morsche BRDDDR endlich zu überwinden!
(Beitrag "Bundesrepublikanischer Alltag: Ex-Stasispitzel weiterhin in Behörden tätig" vom 8. Juli 2009)

Stehen wir gemeinsam auf, gegen ein überlebtes, menschenfeindliches System. Kämpfen wir zusammen für unser Recht auf Arbeit und eine Zukunft für unser Volk. Die Losung lautet: Freiheit statt BRD!
(Beitrag "Heraus zum Tag der deutschen Arbeit" vom 12. März 2010)

792

(bb) Für den Fall der erfolgreichen Umsetzung ihres revolutionären Anspruchs sollen die bisherigen Entscheidungsträger zur Verantwortung gezogen werden. Dies geschieht teilweise in menschenverachtenden Formulierungen.

793

(α) So schreibt Udo Voigt in einem Beitrag mit dem Titel "Die Etablierten: Ein Leben mit der Angst im Nacken" auf der Homepage der Antragsgegnerin am 17. Juli 2008:

Wenn wir dereinst die Regierung stellen, werden wir natürlich Minister, Abgeordnete wie auch Beamte daraufhin überprüfen lassen, ob sie im Rahmen ihres Amtseides zum Wohl des deutschen Volkes gehandelt haben. Die Angst erwischt und eines schönen Tages vielleicht sogar bestraft zu werden ist also begründet und sollte uns schon bald Millionen neue Wähler zutreiben, die mit denen da oben noch eine Rechnung offen haben.

794

(β) Bei einer Demonstration der Antragsgegnerin "Gegen kinderfeindliche Bonzen" am 31. Juli 2010 in Anklam sagte Udo Pastörs:

Die Demokratur der BRD und ihre Apologeten, ihre Führungsschicht, sind nicht ideologisch verblendet und deswegen verdient diese Nomenklatura am Tag der Abrechnung auch keine Gnade, liebe Freunde.

795

Am 16. Juni 2007 äußerte sich Pastörs auf einer Demonstration in Rathenow gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm:

Und wenn wir zur Macht gelangen, dann besteht darin auch die Verpflichtung, jene einer gerechten Strafe zuzuführen, die für diese Ausplünderungspolitik unseres deutschen Volkes Verantwortung tragen und heute noch uns frech ins Gesicht grinsen. Also, liebe herrschende Klasse, seht euch vor, denn wer Wind sät, wird Sturm ernten. Lasst uns Sturm sein!

796

(γ) Der ehemalige sächsische Landtagsabgeordnete Andreas Storr wurde am 28. April 2010 auf der Homepage seiner Fraktion wie folgt zitiert:

Unser Volk wird die historische Schuld, die sich die politische Klasse in diesem Land aufgeladen hat, einmal erkennen und sich ihrer dann auch entledigen - ganz demokratisch! Die Stunde der Wahrheit wird die Stunde der Abrechnung sein.

797

(δ) Karl Richter schreibt in "hier & jetzt" (Ausgabe 15/2010, S. 4 ff. <7>) unter dem Titel "Wie meinten Sie das, Herr Homer? Ithaka in Bottrop - warum die 'Odyssee' eigentlich verboten gehört":

Wer mit der Fremdherrschaft ins Bett stieg, gehört weg, ohne viel Federlesens, Kroppzeug, das man ausmisten muß, will man verhindern, daß es wieder hoch kommt - weiß der Mythos.

798

(c) An die Stelle des bestehenden politischen Systems soll ausweislich des Parteiprogramms der Antragsgegnerin der "Nationalstaat" als "[d]ie politische Organisationsform eines Volkes" treten (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Dabei soll nach Auskunft ihres ehemaligen Parteivorsitzenden und Europaabgeordneten Voigt in der mündlichen Verhandlung auf den Begriff des Deutschen Reiches zurückgegriffen werden. Dem entsprechen weitere der Antragsgegnerin zurechenbare Aussagen.

799

(aa) Anknüpfend an Udo Voigt formuliert Claus Cremer in einem Internetbeitrag auf der Homepage des Landesverbands Nordrhein-Westfalen im Juni 2011:

Das Reich ist unser Ziel, die NPD unser Weg.

800

(bb) Vergleichbar forderten Karl Richter und Eckart Bräuniger 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2011, S. 22) nicht bloß einen "Nationalstaat" zu schaffen, sondern beide wollen offenbar ein Deutsches Reich (wieder-)beleben:

Integrieren wir die Reichsidee in die gegenwärtigen Themen und Herausforderungen, um den Fortbestand unseres verbliebenen Volkskörpers in kultureller Identität, sozialer Sicherheit und nationaler Souveränität zu sichern. Ja zu Deutschland - ja zum Reich!

801

(cc) Nicht nur die Neugründung des Deutschen Reiches, sondern die Wiederinkraftsetzung der am 23. Mai 1945 geltenden Verfassung und Gesetze des Deutschen Reiches, verbunden mit dem Verlust des Aufenthaltsrechts für alle Ausländer, auch solche mit deutschem Pass, und deren Rückführung unter Strafandrohung forderte der frühere niedersächsische Kommunalmandatsträger H. in der Zeitschrift "Volk in Bewegung - Der Reichsbote" (Ausgabe 1/2011, S. 18):

Unser Ziel muß die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches als unser völkerrechtlicher Nationalstaat sein. [...] Eine "Ordnende Reichsversammlung" aus den bewährten Kräften, wesentlich zusammengesetzt aus den Führungskräften des Netzwerkes, wird allgemeine Wahlen vorbereiten. [...] Als Sofortmaßnahmen stellt sie die Verfassung und die Gesetze des Deutschen Reiches mit Stand vom 23. Mai 1945 wieder her, [...], macht den Ausländern einschließlich solcher mit bundesdeutschem Paß klar, dass sie im Deutschen Reich kein Aufenthaltsrecht haben, womit sich jede Sozialversorgung selbsttätig erledigt, kündigt sämtliche Arbeitsverträge mit Ausländern und sorgt für deren Rückführung samt Sippen unter Strafandrohung binnen längstens eines Jahres, berichtigt das Geschichtsbild und stellt jene Leute vor Gericht, die sich vorsätzlich an deutschen Lebensanliegen und am Völkerrecht vergangen haben.

802

Einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin steht dessen fehlende Mitgliedschaft nicht entgegen, da H. 2006 und 2011 als ihr Kandidat in den Verdener Stadtrat und den Kreistag des Landkreises Verden einzog und dort bis Anfang 2012 tätig war.

803

(4) In der Gesamtschau wird durch die vorstehenden Aussagen eine bei der Antragsgegnerin vorhandene Grundtendenz hinreichend belegt, die bestehende parlamentarische Demokratie abzuschaffen und durch einen am Primat der ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" orientierten "Nationalstaat" zu ersetzen. Insoweit kann dahinstehen, ob sich die Negation des Parlamentarismus auch - wie vom Antragsteller vorgetragen - in Zahl und Gegenstand der gegen die Mitglieder der Antragsgegnerin ergangenen parlamentarischen Ordnungsrufe dokumentiert.

804

Jedenfalls reicht die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie durch die Antragsgegnerin entgegen ihrer Auffassung über eine bloße Kritik an der "herrschenden politischen Klasse" hinaus. Die Antragsgegnerin richtet sich gegen das parlamentarische System als solches und macht dieses verächtlich. Sie zielt nicht nur auf den Austausch handelnder Personen, sondern stellt die Systemfrage, ohne zugleich offenzulegen, auf welchem Weg der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft in dem von ihr angestrebten "Nationalstaat" sichergestellt werden soll. Der bloße Hinweis auf den Ausbau der Volksgesetzgebung und die Direktwahl des Staatsoberhaupts genügt nicht, um das durch eine Abschaffung des parlamentarisch-repräsentativen Systems entstehende Demokratiedefizit zu kompensieren. Hinzu kommt, dass der Geltungsanspruch des Demokratieprinzips grundsätzlich relativiert wird und diesem die (vorrangigen) Interessen der "Volksgemeinschaft" gegenübergestellt werden. Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich auch nicht auf die von ihr geschilderten parlamentarischen Initiativen ihrer ehemaligen Landtagsfraktionen berufen, da diese - wie dargelegt - instrumentell angelegt sind (vgl. Rn. 784 ff.) und dem Anspruch auf Überwindung der parlamentarischen Demokratie nicht entgegenstehen.

805

3. Bei der Antragsgegnerin liegt eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vor. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen (a). Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Antragsgegnerin mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren (b). Ungeachtet struktureller Unterschiede zwischen der Antragsgegnerin und der NSDAP ergibt sich hieraus eine Bestätigung der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Antragsgegnerin (c).

806

a) aa) Der Begriff und das Verständnis der "Volksgemeinschaft" stellen eine zentrale Gemeinsamkeit der politischen Konzepte der Antragsgegnerin und der NSDAP dar. Auch für den Nationalsozialismus stand die ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" im Zentrum der Politik. Das "Volk" war Ausgangspunkt aller Argumentationslinien (vgl. Weckenbrock, in: Pfahl-Traughber, Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2011/2012, Bd. I, 2012, S. 180 <197>). Punkt 4 des 25-Punkte-Programms der NSDAP lautete: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein". Abgesehen von der besonderen Hervorhebung der Exklusion jüdischer Menschen entspricht diese Definition der "Volksgemeinschaft" genau den Vorstellungen der Antragsgegnerin.

807

Die Parallelität der Konzepte der "Volksgemeinschaft" einschließlich signifikanter sprachlicher Übereinstimmungen spiegelt sich im Vergleich von Äußerungen Adolf Hitlers mit solchen der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 654, 662, 666) wider:

Es ist aber ein kaum faßlicher Denkfehler, zu glauben, daß, sagen wir, aus einem Neger oder einem Chinesen ein Germane wird, weil er Deutsch lernt und bereit ist, künftighin die deutsche Sprache zu sprechen und etwa einer deutschen politischen Partei seine Stimme zu geben. (vgl. Hitler, Mein Kampf, Zwei Bände in einem Band, 1938, S. 428)

Im Blute allein liegt sowohl die Kraft als auch die Schwäche des Menschen begründet. [...] Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in allen ihren Äußerungen. (vgl. Hitler, Mein Kampf, Zwei Bände in einem Band, 1938, S. 372)

Der einzelne ist nichts, die Gesamtheit alles. Menschen kommen und vergehen, aber wichtig ist, daß das Volk gesund erhalten bleibt. (vgl. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. IV/2, in: Hartmann , 1996, S. 180)

808

bb) Offensichtlich ist auch eine gemeinsame antisemitische Grundhaltung der Antragsgegnerin und der NSDAP. Dass die Antragsgegnerin dabei auf von den Nationalsozialisten verwandte Stereotype zurückgreift, wurde bereits dargelegt (vgl. Rn. 738 ff.). Auch insoweit sind sprachliche Überschneidungen evident, etwa wenn Hitler Juden als "Meister der internationalen Giftmischerei" bezeichnet (vgl. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. II A, in: Weinberg/Hartmann/Lankheit , 1995, S. 23) und Jürgen Gansel in seinem "Nachruf" zum 40. Todestag von Theodor W. Adorno von dem "Giftfraß" spricht, den die jüdischen Mitglieder der Frankfurter Schule zur Zerstörung des deutschen Volkes angerührt hätten (vgl. Rn. 741).

809

cc) Schließlich stellt die Ablehnung und Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der Antragsgegnerin und dem Nationalsozialismus dar. Dabei findet sich das instrumentelle Verhältnis zum Parlamentarismus bereits bei der NSDAP wieder:

Wir sind doch eine antiparlamentarische Partei, lehnen aus guten Gründen die Weimarer Verfassung und die von ihr eingeführten republikanischen Institutionen ab, sind Gegner einer verfälschten Demokratie […]. Was also wollen wir im Reichstag? Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. (vgl. Joseph Goebbels, Was wollen wir im Reichstag?, 30. April 1928, abgedruckt in: ders., Der Angriff - Aufsätze aus der Kampfzeit, 1935, S. 71)

810

b) Die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus erfährt auch im Handeln der Antragsgegnerin in unterschiedlicher Weise Ausdruck:

811

aa) Dazu zählen zunächst glorifizierende Bezugnahmen auf Protagonisten des NS-Regimes durch führende Vertreter der Antragsgegnerin:

812

(1) So formulierte der damalige stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Hamburg Thomas Wulff in einer Stellungnahme auf der Internetseite www.altermedia-deutschland.info am 20. April 2013, dem Geburtstag Hitlers:

Möge dieser Parteitag am Wochenende des 20. April dem einen oder anderen Delegierten blitzartig ins Gedächtnis rufen, wozu der größte Sohn unseres Volkes - auch ohne Anfangs große Mittel zur Verfügung gehabt zu haben - in der Lage war. Es gelang ihm, weil er, unter Einsatz seiner ganzen Person, vollkommen selbstlos handelnd, unbestechlich und zu jedem persönlichen Opfer bereit, die Verkörperung der Hoffnung von Millionen selbst wurde! - und diese nie verraten hat.

813

Zwei Jahre später - ebenfalls am 20. April - postete er auf Facebook:

Es ragt dein Werk, so wie die Dome ragen!
Gebaut für eine deutsche Ewigkeit.
Wird es die Kunde dieser hohen Zeit
bis zu den Enkeln unsrer Enkel tragen.

In Qual Geknechtete hast du befreit;
Aus starrem Fels den klaren Quell geschlagen.
Schon raunt es über Grenzen wie von Sagen,
Und wie Legende, die dich benedeit.

Uns aber, die du aus der Dumpfheit pochtest,
Bis Herz um Herz nach deinem Willen schwang -
Uns scheint als schönster Kranz, den du dir flochtest,
Dass dir des freien Reiches Bau gelang.

814

Der Einwand der Antragsgegnerin, dem Gedicht komme kein objektiver Erklärungswert zu und es stelle keine Leugnung, Billigung oder Verharmlosung des Holocaust dar, vermag an der bewundernden Bezugnahme auf die Person Adolf Hitler nichts zu ändern. Ursprünglich wurde das Gedicht Heinrich Anackers unter dem Titel "Dem Führer" zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers veröffentlicht (in: Die deutsche Glocke, Volksbuch der deutschen Heimat, Bd. 1, Bayreuth 1939, S. 7).

815

(2) Der damalige Landtagsabgeordnete Tino Müller kommentierte einen Fackelmarsch in der Nacht zum 17. August 2008, dem 21. Todestag von Rudolf Heß, auf der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern der Antragsgegnerin wie folgt:

Obwohl mit aller Härte versucht wird, Gedenkveranstaltungen für Rudolf Heß zu unterbinden, ist es nationalen Aktivisten vielerorts gelungen, an den rätselhaften Tod des stellvertretenden Reichskanzlers und Friedensfliegers zu erinnern.

816

(3) Bei der am 1. Mai 2013 stattfindenden NPD-Demonstration unter dem Motto "Genug gezahlt - Wir sind keine Melkkuh Europas" zitierte die RNF-Vorsitzende, Maria Frank, Joseph Goebbels:

Ich möchte meine Rede mit einem Zitat einer weiteren ehrenvollen Person beenden: "Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! Bekränzt eure Häuser und die Straßen der Städte und Dörfer mit frischem Grün. Deutsche aller Stände, Stämme und Berufe, reicht euch die Hände! Geschlossen marschieren wir in die neue Zeit hinein.

817

(4) H., Kreisvorsitzender und Mitglied des Landesvorstands Baden-Württemberg der Antragsgegnerin, erklärte am 20. Oktober 2012 bei einer Kundgebung in Kirchardt:

Wir brauchen keine Schwätzer oder Stammtischproleten. Wir brauchen wieder Männer wie Albert Leo Schlageter, wir brauchen Revolutionäre.

818

bb) Die Anknüpfung an die nationalsozialistische Vergangenheit zeigt sich zudem im Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus.

819

(1) Exemplarisch hierfür steht der Artikel "Brandenburg - eine heroische Geschichte" von D. in der JN-Publikation "Der Aktivist" (Ausgabe 3/2012, S. 4 <5>), in dem der Autor auf den Fackelmarsch der Nationalsozialisten durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1933 Bezug nimmt:

Das Brandenburger Tor steht für die Standhaftigkeit und den Glauben eines Volkes, einst auch wieder eine Nation zu werden. Auf dem Boden Brandenburgs wurde eine Geschichte geschrieben, die vorbildhaft für das gesamte Reich stehen darf. […] Die JN in Brandenburg muss sich dessen bewusst sein, dass ihr große Fußstapfen hinterlassen wurden, die es nur schwer auszufüllen gelingen wird. Es wäre auch eine Anmaßung, sich mit jenen gleich zu stellen, die so einzigartig in der grausamen und immer mehr vereinheitlichten Welt sich hervorgetan haben. Dennoch leidet das Volk unter der Knechtschaft des Zinses und einer Politikerkaste, die es in den sicheren Tod regiert. Wir leben im Hier und Jetzt und müssen uns bewusst werden, dass wir die einzige Generation sind, die noch einmal für sich beanspruchen kann im Stande zu sein, das Unheil von unserem Volk abzuwenden. Wir als JN Brandenburg wollen von den Taten großer Männer und Frauen zehren, den Kameraden aus anderen Gauen die Hände reichen und einst auch wieder das Schicksal mit einem Fackelmarsch durch das geliebte Brandenburger Tor besiegeln. Hier wird sich auch einst entscheiden müssen, wer bleiben und wer gehen darf. So soll das Brandenburger Tor wieder einmal Symbol für ein Volk sein, das sich nach jahrzehntelanger Unterdrückung aus den Fesseln der Knechtschaft befreit hat.

820

(2) Jürgen Gansel betitelte seinen Facebook-Eintrag vom 12. Januar 2015 mit "Volk steh auf", eine Formulierung, die Goebbels in seiner sogenannten Sportpalastrede am 18. Februar 1943 verwendet hatte. Auch die JN Brandenburg bedienten sich in ihrem Facebook-Eintrag vom 28. November 2014 der sich ursprünglich in dem Gedicht von Theodor Körner "Männer und Buben" findenden Formulierung "Das Volk steht auf, der Sturm bricht los".

821

(3) In einem Beitrag auf der Internetseite des Kreisverbands Weimar/ Weimarer Land der Antragsgegnerin gab der Kreisvorsitzende M. am 31. Dezember 2012 folgendes Zitat des früheren NSDAP-Funktionärs und Reichsjugendführers Baldur von Schirach unter entsprechender Kenntlichmachung wieder:

Und würden wider uns verbünden
sich Himmel, Hölle und die Welt:
Wir blieben aufrecht stehn und stünden,
bis auch der letzte niederfällt!

822

Der Einwand der Antragsgegnerin, das Gedicht enthalte keine ideologische Aussage, steht der Feststellung nicht entgegen, dass die gezielte Verwendung des Zitats Ausdruck der Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus ist.

823

(4) Ebenso hat Udo Pastörs am 11. Dezember 2014 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit der Verwendung des Begriffs "entartete Menschen" auf nationalsozialistisches Vokabular zurückgegriffen (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 98 f.).

824

(5) Zu den wichtigsten nationalsozialistischen "Kernliedern", denen die Funktion eines politischen Führungsmittels zugewiesen wurde, gehörte "Ein junges Volk steht auf", das 1935 von dem Hitlerjugend (HJ)-Funktionär Werner Altendorf verfasst worden war. Dessen Verwendung stand im Mittelpunkt eines vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht bestätigten Verbots einer Versammlung der JN (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. April 2012 - 11 ME 113/12 -, juris).

825

(6) Den Kreisvorsitzenden Erlangen-Höchstadt P. verurteilte das Amtsgericht Forchheim mit Urteil vom 31. Oktober 2007 aufgrund des Tragens eines T-Shirts unter anderem mit der Aufschrift "die Fahnen hoch" wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08 -, juris, Rn. 5). Hintergrund war die Ähnlichkeit der Aufschrift mit dem Beginn des gleichnamigen von Horst Wessel verfassten Liedes, das nach seinem Tod zur offiziellen Parteihymne der NSDAP wurde.

826

(7) Auch der am 23. April 2013 anlässlich der Neuwahl des Parteivorstands auf Facebook veröffentlichte Text der nordrhein-westfälischen JN bedient sich einer von den Nationalsozialisten geprägten Formulierung. Der Eintrag lautet:

Auch die Jungen Nationaldemokraten werden ihre Mutterpartei NPD nach Kräften unterstützen, denn wie heißt es doch so schön:

Mit unseren Fahnen ist der Sieg!

827

Von dieser Parole wurde während der Zeit des Nationalsozialismus etwa auf Propagandapostkarten Gebrauch gemacht.

828

(8) Der JN-Stützpunkt Muldental (Sachsen) stellte am 9. Dezember 2012 auf seiner Facebook-Seite ein von der NSDAP herausgegebenes Gedicht mit dem Titel "Weihnachten in der Familie" ein. Am 12. Mai 2013 wurde auf dessen Facebook-Profil das Bild einer Frau mit zwei Kindern veröffentlicht, das im Original aus dem Buch "Ewiges Deutschland. Ein deutsches Hausbuch", herausgegeben vom Winterhilfswerk des Deutschen Volkes im Jahr 1939, stammt und überschrieben ist mit einem Zitat von Adolf Hitler: "Die Arbeit ehrt die Frau wie den Mann / das Kind aber adelt die Mutter". Die Argumentation der Antragsgegnerin, dies sei im Verbotsverfahren solange irrelevant, wie die geposteten Inhalte nicht ihrerseits spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut wiedergäben, verkennt, dass der Rückgriff auf von den Nationalsozialisten benutzte Texte und Symbole die Identifikation mit deren Ideologie indiziert.

829

(9) Bei H., Kreisvorsitzender und Vorstandsmitglied im Landesverband Baden-Württemberg der Antragsgegnerin, wurden im Oktober 2012 - von der Antragsgegnerin unbestritten - neben diversen Waffen verschiedene NS-Devotionalien, wie die Reichskriegsflagge, Bildnisse von Adolf Hitler, Rudolf Heß und Horst Wessel sowie zahlreiche Symbole und Embleme (unter anderem Hakenkreuze und SS-Runen), sichergestellt. Dass es sich - wie die Antragsgegnerin behauptet - bei den vorgefundenen Waffen um Deko-Waffen beziehungsweise eine nicht mehr funktionsfähige Mauser 1918 gehandelt haben soll, ändert nichts an der Tatsache, dass eine glorifizierende Bezugnahme auf den Nationalsozialismus vorliegt.

830

(10) Karl Richter wurde durch rechtskräftiges (Berufungs-)Urteil des Landgerichts München I vom 2. Juli 2009 (18 Ns 112 Js 10817/08) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Vorgenannte am 2. Mai 2008 bei der konstituierenden Sitzung des Münchener Stadtrates bei seiner Vereidigung die Erinnerung an den "Hitler-Gruß" wachrief. Der Vortrag der Antragsgegnerin, Richter habe den "Hitler-Gruß" nicht gezeigt, es habe sich vielmehr um eine Falschwahrnehmung des Belastungszeugen gehandelt, vermag die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts München I sowie des Amtsgerichts München (Urteil vom 21. August 2008 - 844 Ds 112 Js 10817/08 -) als Vorinstanz, die sich entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidungsfindung nicht nur auf einen, sondern auf drei Zeugen stützen konnten, nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen.

831

cc) Außerdem ist das Bestreben führender Vertreter der Antragsgegnerin feststellbar, den Nationalsozialismus zu verklären und seine Verbrechen zu relativieren.

832

(1) Entsprechend formulierte P. in seinem unter dem 26. September 2012 auf der Seite www.xxx.de veröffentlichten Artikel "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden …":

Die historischen Wahrheiten werden verfolgt, als Revisionismus diskreditiert oder als Holocaustleugnung und Relativierung von Nazi-Verbrechen mit Kerker bestraft. Ist es deshalb, weil wir unsre Staatsdoktrin gegründet haben als Gegenentwurf zu Auschwitz, dem Vergasen in Deutschland, Katyn, Wannseeprotokoll, Erzählungen eines Eli Wiesel oder dem Tagebuch der Anne Frank? Wird deshalb nicht über die schon 2002 nachgewiesene 4-Millionen-Lüge von Auschwitz gesprochen, weil Fischer und Schröder sie zur Begründung des Krieges gegen Jugoslawien haben aufleben lassen? […] Warum hat ein Pastor Martin Niemöller erbärmlichst gelogen mit der Behauptung, in Dachau wären über 200.000 Juden vergast worden? […] Ein Blinder mit Krückstock kann die offensichtlichen Fälschungen oder Manipulationen im Wannsee-Protokoll oder im Anne-Frank-Tagebuch erkennen.

833

(2) Jürgen Gansel schreibt in einem Internetbeitrag "Alle deutschen Schüler ins Konzentrationslager?" vom 1. Juli 2008 auf der Homepage der Antragsgegnerin:

Wird für die, die nicht die bundesrepublikanische Staatsmode von Büßerhemd und Narrenkappe tragen wollen, wieder eine Baracke in Buchenwald oder Auschwitz aufgeschlossen? Vielleicht mit jungen "Migranten" als Aufsehern, die dann als Hövelmanns willige Vollstrecker jungen Deutschen ihre angebliche Erbschuld mit der Auschwitz-Keule einprügeln? In der Canossa-Republik ist jedenfalls vieles vorstellbar. Schließlich kommt ja auch die neue Studie zu dem Ergebnis, daß die NS-Vergangenheit für junge Menschen noch immer eine große Rolle spielt - im Positiven wie im Negativen. Will heißen: Die geschichtspornographisch eingefärbte Trauer- und Bewältigungsarbeit entscheidet über das Maß an andressiertem nationalen Selbsthaß, den in- und ausländische Mächte zur Durchsetzung ihrer deutschenfeindlichen Interessen ja unbedingt brauchen.

834

(3) Der derzeitige Kreisvorsitzende des Kreisverbands Böblingen-Calw N. bezeichnete auf der Homepage der NPD Region Stuttgart unter dem 28. Mai 2010 KZ-Häftlinge als "Kriegsgefangene" und führt aus:

Die "Holocaustindustrie" läßt grüßen! […] Zuletzt bleibt zu erwähnen, daß die in Hailfingen/Tailfingen untergebrachten Juden selbstverständlich auch genauso als "Kriegsgefangene" bezeichnet werden können, ebenso wie Hunderttausende deutsche Soldaten und Zivilisten, wie im Falle eines meiner Urgroßväter.

835

(4) In einer Presseerklärung der Antragsgegnerin vom 18. Januar 2010 erklärte Karl Richter, die nationale Opposition werde auch den bevorstehenden 65. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nicht als "rituelle Dauerstigmatisierung der Deutschen zum 'Tätervolk' hinnehmen":

Denn: der Holocaust hat viele Facetten und schließt die Verbrannten und Ermordeten von Dresden und Hiroshima, die Opfer des ukrainischen Hunger-Holocaust der dreißiger Jahre und die Vertreibungsopfer nach 1945 ebenfalls ein. Israel hat keine Exklusivrechte am Holocaust-Gedenken!

836

(5) Auch Äußerungen im parlamentarischen Raum belegen diese verklärende und relativierende Haltung der Antragsgegnerin. Jürgen Gansel diagnostizierte im Sächsischen Landtag "Geschichtspornografie in Gestalt von Holocaust-Gedenkritualen und anderen Formen des Nationalmasochismus" (vgl. Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/76 vom 15. Mai 2013, S. 7886). Udo Pastörs sprach im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern von "einseitigem Schuldkult" und "Auschwitzprojektionen" (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/88 vom 28. Januar 2010, S. 75). Dort bekundete auch Tino Müller:

Sie belügen unsere Jugend, weil Sie verschweigen, dass nicht das Deutsche Reich Großbritannien und Frankreich den Krieg erklärte, sondern die Engländer und Franzosen uns. Die Wahrheit tut manchmal weh, meine Damen und Herren von den Blockparteien, besonders wenn man die Lüge pflegt. (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/93 vom 28. April 2010, S. 11)

837

Holger Apfel erklärte im Sächsischen Landtag:

66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges muss endlich Schluss sein, dass unser Volk durch die Auschwitzkeule in die Knechtschaft getrieben wird. 66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist es an der Zeit, das Büßerhemd und die Narrenkappe endlich auszuziehen. Der Fahrkartenschalter nach Canossa, meine Damen und Herren, sollte ein für allemal geschlossen sein. (vgl. Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/28 vom 19. Januar 2011, S. 2753)

838

Einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern am 30. Januar 2013 blieben die damaligen Mitglieder der Landtagsfraktion der Antragsgegnerin demonstrativ fern.

839

c) Die vorstehenden Belege sind der Antragsgegnerin zurechenbar. Es handelt sich überwiegend um Erklärungen und Handlungen von Teilorganisationen oder führenden Parteifunktionären der Antragsgegnerin. Sie dokumentieren - ohne dass es des Rückgriffs auf das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte bedarf - in ausreichendem Maß die inhaltliche Verbundenheit relevanter Teile der Antragsgegnerin mit dem historischen Nationalsozialismus.

840

Auch der ehemalige Bundesvorsitzende der Antragsgegnerin Holger Apfel hat dies in der mündlichen Verhandlung bestätigt und darauf verwiesen, dass "zumindest Teile der Partei sich noch in vielen Punkten in der politischen Gedankenwelt des Dritten Reiches befinden". Der ehemalige Hamburger Landesvorsitzende Wulff bekenne sich öffentlich dazu, Nationalsozialist zu sein. Ein gegen ihn vor diesem Hintergrund eingeleitetes Parteiausschlussverfahren sei gescheitert.

841

Nach alledem ist vom Bestehen einer Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin mit dem Nationalsozialismus auszugehen. Dem steht auch der Hinweis der Antragsgegnerin nicht entgegen, sie sei nicht nach dem Führerprinzip aufgebaut und lehne einzelne von den Nationalsozialisten vertretene Prinzipien ab. Die Ablehnung einzelner inhaltlicher Grundsätze oder die fehlende Übernahme wesentlicher Organisationsprinzipien schließt die positive Anknüpfung an das Wirken einer Partei und die von ihr vertretene Ideologie in ihrer Gesamtheit nicht aus. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus bei der Antragsgegnerin einhellig geteilt wird. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer entsprechenden Grundtendenz bei der Antragsgegnerin, so dass die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus nicht als "Entgleisung" Einzelner angesehen werden kann.

842

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Antragsgegnerin auf sechs Fälle angestrebter Ordnungsmaßnahmen gegen einfache Parteimitglieder, die angeblich wegen befürwortender Stellungnahmen zum Nationalsozialismus ergriffen werden sollten. Abgesehen davon, dass einer dieser Fälle keinen Bezug zum Nationalsozialismus hat, ein weiterer Fall den Ausschluss von Parteimitgliedern wegen ihrer Kritik an der Arbeit und einzelnen Personen des Landesvorstands Nordrhein-Westfalen betraf und in den vier übrigen Fällen keine Ordnungsmaßnahmen angeordnet wurden, weil die Betroffenen aus der Antragsgegnerin ausgetreten sind, ändern die geschilderten Fälle nichts daran, dass die vorstehend dargestellten Beispiele positiver Bezugnahme auf den Nationalsozialismus durch Führungskräfte oder Teilorganisationen der Antragsgegnerin zuzurechnen sind und nicht als Entgleisungen einzelner Mitglieder angesehen werden können. Demgemäß belegen die inhaltlichen Übereinstimmungen, die Glorifizierung einzelner Repräsentanten, die Relativierung der Verbrechen sowie der Rückgriff auf Texte und Symbole des Nationalsozialismus die Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin mit diesem.

843

Damit bestätigt sich zugleich die Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Antragsgegnerin. Das nationalsozialistische Gewalt- und Terrorregime war geprägt durch Menschenverachtung und totalitäre Demokratiefeindlichkeit. Demgemäß zieht die bei der Antragsgegnerin feststellbare Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus deren Anerkennung der Menschenwürde und des Demokratieprinzips in Zweifel. Auch wenn dies für die Annahme, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt, allein nicht ausreicht, führt die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus zumindest zu einer Bestätigung des aus dem "Volksgemeinschafts- und Nationalstaatskonzepts" der Antragsgegnerin folgenden Befundes, dass sie politische Ziele verfolgt, die mit der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht vereinbar sind.

844

4. Nach alledem zielt die Antragsgegnerin auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären "Nationalstaat". Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen "Volksgemeinschaft" nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar. Damit strebt die Antragsgegnerin nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nicht nur eine Beeinträchtigung, sondern eine Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung an.

II.

845

Einem Verbot der Antragsgegnerin steht aber entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt ist. Die Antragsgegnerin bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll und mit hinreichender Intensität auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt (1.). Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln der Antragsgegnerin zum Erfolg führt (2.).

846

1. Die Antragsgegnerin arbeitet im Rahmen ihrer organisatorischen Möglichkeiten (a) und auf der Grundlage eines strategischen Konzepts (b) planmäßig auf die Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hin (c).

847

a) aa) Die Antragsgegnerin ist bundesweit organisiert. Sie verfügt neben regionalen Untergliederungen mit den JN über eine eigene Jugendorganisation (ca. 350 Mitglieder). Hinzu kommen als weitere Teilorganisationen seit 2003 die KPV und seit 2006 der RNF (ca. 100 Mitglieder).

848

Ausweislich des Rechenschaftsberichts für das Jahr 2013 hatte die Antragsgegnerin am 31. Dezember 2013 5.048 Mitglieder, am 31. Dezember 2014 waren es ausweislich des Rechenschaftsberichts für jenes Jahr 5.066 Mitglieder (vgl. BTDrucks 18/4301 und BTDrucks 18/8475, jeweils S. 120). In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende Franz erklärt, dass im Jahr 2015 vor dem Hintergrund der Asylpolitik der Bundesregierung erstmals seit Jahren ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen gewesen sei. Die Steigerungsrate habe etwa 8 % betragen. Hinsichtlich der regionalen Verteilung der Mitgliedschaft besteht eine überproportionale Konzentration in den neuen Bundesländern, in denen rund jedes dritte Mitglied der Antragsgegnerin wohnhaft ist.

849

Durch Schulungen und vergleichbare Maßnahmen versucht die Antragsgegnerin, ihre Anhänger für die politische Auseinandersetzung vorzubereiten. Der Antragsteller hat eine Reihe von Schulungsaktivitäten für Parteimitglieder dokumentiert, die teilweise weltanschaulich-inhaltlich ausgerichtet sind und teilweise Selbstverteidigungs- und Kampfsporttechniken zum Gegenstand haben. Dabei kommt dem 2005 gegründeten "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." besondere Bedeutung zu, dessen Vorsitzender der ehemalige Pressesprecher der Fraktion der Antragsgegnerin im Sächsischen Landtag, T., ist. Dieser beschreibt im Gespräch mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 7/2012, S. 3) das Bildungswerk als eine den Nationaldemokraten nahestehende politische Bildungsvereinigung.

850

bb) Die Antragsgegnerin ist im Europäischen Parlament mit einem Abgeordneten vertreten. Über Mandate auf Bundes- oder Landesebene verfügt sie nicht. Auf kommunaler Ebene gehören rund 350 Mandatsträger in 14 Ländern der Antragsgegnerin an. Der weit überwiegende Teil dieser Mandate entfällt dabei auf die neuen Länder.

851

cc) Die Öffentlichkeitsarbeit der Antragsgegnerin nutzt das gesamte Spektrum medialer Möglichkeiten. Zentrales Instrument ihrer Pressearbeit ist die "Deutsche Stimme Verlags GmbH", die die Parteizeitung "Deutsche Stimme" mit einer Auflagenhöhe von circa 25.000 Exemplaren herausgibt. Darüber hinaus verantwortet die Antragsgegnerin zahlreiche regionale Publikationen. Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern werden von ihr die ursprünglich aus dem neonazistischen Kameradschaftsspektrum stammenden "Boten" verteilt. Herausgegeben werden "De Meckelbörger Bote" von T. (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 2), "Der Anklamer Bote" von Michael Andrejewski (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 4) und W. (vgl. Ausgabe 1/2014, S. 4), "Der Insel Bote" von H. (vgl. Ausgabe 1/2012, S. 4) und "Der Uecker-Randow-Bote" von Tino Müller (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 6).

852

Neben konventionellen Druckerzeugnissen nutzt die Antragsgegnerin intensiv das von ihr als "Weltnetz" bezeichnete Internet. Zur Bedeutung des Internets für die Arbeit der Antragsgegnerin schrieb A. 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 10-11/2011, S. 17), dass der Weltnetz-Aktivismus nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Die Information des Bürgers werde ebenso wie die Vernetzung von politisch Gleichdenkenden erleichtert. Gerade Jugendliche könnten auf diese Weise besser erreicht werden. Auch sei es im Weltnetz möglich, Anonymität zu wahren.

853

Mit "DS-TV" betreibt die Antragsgegnerin - auch unter dem Namen "offensiv.TV" - seit März 2009 einen professionellen Videokanal auf YouTube, der bisher rund 1.280.000 Mal aufgerufen wurde und 4.758 Abonnenten aufweist (Stand Oktober 2016). Die NPD Mecklenburg-Vorpommern ist seit Oktober 2010 mit "weiterdenken.tv" auf YouTube präsent. Dieser Kanal wurde bislang rund 779.000 Mal aufgerufen und hat 1.312 Abonnenten (Stand Oktober 2016).

854

dd) Die Antragsgegnerin behauptet, dass ihre politische Kampagnenfähigkeit durch erhebliche finanzielle Probleme eingeschränkt sei. Belege hierzu hat sie allerdings nicht vorgelegt. Der Rechenschaftsbericht für das Jahr 2013 weist 488.859,96 EUR (2014: 459.157,77 EUR) Mitgliedsbeiträge und knapp 804.000,- EUR (2014: 866.000,- EUR) Spenden aus, die zusammen rund 43,5 % (2014: 43,6 %) der Einnahmen der Gesamtpartei ausmachten (vgl. BTDrucks 18/4301, S. 109, BTDrucks 18/8475, S. 109).

855

b) Grundlage der politischen Arbeit der Antragsgegnerin ist ein geschlossenes strategisches Konzept, das sie als "Vier-Säulen-Strategie" bezeichnet und das der damalige Bundesvorsitzende Voigt auf dem Bundesparteitag der Antragsgegnerin am 30./31. Oktober 2004 in Leinefelde in seiner auf der Parteihomepage eingestellten Ansprache wie folgt beschrieb:

Der Kampf um die Köpfe

Der gerade erläuterte "Kampf um die Köpfe" wirkt sich in letzter Konsequenz auf jeder Ebene aus. Er führt beispielsweise dazu, daß Personen, denen die NPD bisher egal ist, eine gewisse Sympathie für die Ziele der NPD empfinden, wenn sie erst mit diesen vertraut gemacht werden. Wir haben in den letzten beiden Jahren bewußt verstärkt eine Personalisierung der Partei betrieben. Die Erkenntnis, daß Bürger keine drei Buchstaben oder bloße Programme wählen, sondern wissen wollen, wer dahinter steht, hat uns verstärkt mit eigenen "Köpfen" auf Plakaten werben lassen. Dies versetzt Personen, welche die NPD wählen und unterstützen in die Lage, in ihrem Umfeld mit "Köpfen", d.h. Repräsentanten besser Werbung für die Ziele der NPD zu machen. Daß dieser Weg richtig ist, beweisen die Diffamierungskampagnen der Medien nach den jüngsten Wahlerfolgen, die darauf abzielen, die von uns präsentierten "Köpfe" negativ darzustellen. […]

Der Kampf um die Straße

Der Kampf um die Straße führt u.a. gerade bei Jugendlichen dazu, sich wegen ihrer öffentlichen Aktivitäten an die NPD zu binden, sorgt aber auch im Rahmen des Kampfes um die Köpfe dafür, unsere Positionen zu verbreiten und vielfach die "Schweigespirale" zu durchbrechen! Er wird sicher auch weiterhin richtig und notwendig sein. Allerdings sollten wir hierbei auf Minidemonstrationen weitestgehend verzichten, bei denen der Gegner seine Überzahl allzu deutlich demonstrieren kann. Es ist sicherlich gut in einer kleinen Gemeinde oder Kleinstadt zu einem aktuellen Thema (Montagsdemo, Betriebsschließung, Kindermord usw.) eine Demonstration mit 100-250 Teilnehmern durchzuführen, doch wirkt diese Teilnehmerzahl in einer deutschen Großstadt eher lächerlich. […]

Der Kampf um die Parlamente

Im Kampf um die Parlamente geht es schließlich darum, so viele Menschen wie möglich zu bewegen, die NPD zu wählen, wobei mit entsprechender Wahlkampfführung wiederum alle Ebenen einbezogen werden. Unsere bisherigen Möglichkeiten erlaubten jedoch nur einen Erfolg bei Konzentration der Kräfte auf kommunaler Ebene, welche zudem durch bekannte Personen vor Ort verstärkt werden. Das Wahlergebnis zur Europawahl versetzte uns erstmalig in die Lage, die notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen, um unsere Wahlkampferfahrungen und Erkenntnisse auf Landesebene wirksam einsetzen zu können. Jetzt werden wir gemeinsam mit dem Bündnispartner DVU die Landtage erobern um dann 2006 gemeinsam in den Reichstag einzuziehen. Der erfolgreich eingeschlagene Weg wird unter meiner Führung fortgesetzt werden.

Der Kampf um den organisierten Willen

Der "Kampf um den organisierten Willen" gipfelt in der Erkenntnis, daß organisierter Wille Macht bedeutet. Mit dem "Leipziger Appell" begannen wir bereits kurz nach dem Ende des Verbotsverfahrens den Versuch der Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte. Das gute Abschneiden zur Europawahl ermöglichte, daß die Kontakte mit dem Vorsitzenden der Deutschen Volksunion, Dr. Gerhard Frey, intensiviert wurden. Das Ergebnis war dann die Wahlabsprache der NPD mit der DVU zugunsten der DVU in Brandenburg und zugunsten der NPD in Sachsen. Eine zwölfköpfige NPD-Fraktion in Sachsen und eine sechsköpfige DVU-Fraktion in Brandenburg sind hoffentlich nur der Anfang! Erfreulicherweise erfährt der "Kampf um den organisierten Willen" bereits nachhaltige Unterstützung aus den Reihen der Deutschen Partei, der Freien und ehemaliger Mitglieder der Republikaner. Wir hoffen, daß die Republikaner nach ihrem Bundesparteitag im November unsere ausgestreckte Hand nicht länger zurückschlagen werden. Schließlich geht es um mehr als Geld und Posten. Es geht um Volk und Vaterland.

856

c) Diese strategischen Vorgaben versucht die Antragsgegnerin planmäßig umzusetzen und dadurch auf die Verwirklichung ihres Konzepts einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und eines darauf gründenden "Nationalstaats" hinzuarbeiten.

857

aa) (1) Im Rahmen der ersten Säule dieser Strategie ("Kampf um die Köpfe") strebt sie an, durch "nationalrevolutionäre Graswurzelarbeit" und ein "Kümmerer-Image" ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu steigern. Dabei steht zunächst nicht die politische Botschaft im Vordergrund. Vielmehr soll Zustimmung zur Antragsgegnerin dadurch geschaffen werden, dass sie vor Ort als "Helfer" und "Kümmerer" auftritt und dabei vor allem die Interessen derjenigen vertritt, die (angeblich) vom Staat und den "etablierten Parteien" vergessen werden. Dies belegt ein mit Holger Apfel zu dessen Amtsantritt in der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2012, S. 3 f.) geführtes Interview, in dem er erklärte:

Es geht um eine zukunftsorientierte und volksnahe Ausrichtung der NPD. Es geht um die Profilierung als Kümmererpartei, um die Verständlichkeit unserer Botschaften und die Vermittlung von Identifikation. Wir dürfen keine Partei von Sektierern und keine Bürgerschrecktruppe sein, dürfen nicht durch Kleidung und Auftreten Selbstausgrenzung betreiben. Wir stehen für einen radikalen, an die Problemwurzel gehenden Politikwechsel, wir wollen volksnah und gegenwartsbezogen - dabei durchaus unkonventionell und frech - sein, dem medialen Zerrbild begegnen und so die Herzen unserer Landsleute gewinnen.

858

Ähnlich schreibt Jürgen Gansel in der Deutschen Stimme (Ausgabe 11/2012, S. 17):

Deshalb sind alle vernünftig auftretenden Nationalisten aufgefordert, sich in Sportvereinen, Elternvertretungen, Mietervereinen und Feuerwehren zu engagieren und sich darüberhinaus in Kneipen, Diskotheken und auf Stadtfesten zu zeigen.

859

Elemente dieser auf die Herstellung emotionaler Bindungen und gesellschaftlicher Verankerung angelegten Arbeit sind die Bereitschaft zur Übernahme kommunaler Ehrenämter, die Durchführung von Hartz-IV-Beratungen, die Veranstaltung von Kinderfesten und das Engagement auf Vereinsebene. Beispielhaft hierfür steht die Beteiligung der Antragsgegnerin an der Gründung des Sportvereins "Sportfreunde Griese Gegend e.V." in Lübtheen. Teil der Graswurzelarbeit ist die Einrichtung von Bürgerbüros, die als Ansprechpartner vor Ort und Anlaufstelle für alle national denkenden Menschen fungieren sollen.

860

(2) Nach Darstellung des Antragstellers verfolgt die Antragsgegnerin auf der Grundlage ihrer "Graswurzelpolitik" das Ziel der Herstellung kultureller Hegemonie in abgegrenzten Sozialräumen bis hin zur Schaffung sogenannter "national befreiter Zonen". Dazu erklärt das Mitglied des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern H. in einem Interview mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2008):

National befreite Zonen und Gebiete müssen daher in ihrer bereits bestehenden Infrastruktur fortwährend ausgebaut, gestärkt und gefestigt werden.

861

bb) Ziel des "Kampfes um die Straße" ist die Verbreitung und Durchsetzung der Ideologie der Antragsgegnerin. Dazu nutzt sie ihre medialen Möglichkeiten, die in Wahlkämpfen geführten Kampagnen und - soweit vorhanden - ihre parlamentarische Präsenz. Darüber hinaus versucht die Antragsgegnerin mit weiteren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten auf die politische Meinungsbildung einzuwirken und Zustimmung zu den von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Zielen zu gewinnen. Dabei richtet sie sich insbesondere an Jugendliche (1). Inhaltlicher Schwerpunkt sind die Asylproblematik (2) sowie sonstige gegen Migranten und Minderheiten gerichtete Aktivitäten (3). Im Rahmen der "Wortergreifungsstrategie" sucht die Antragsgegnerin die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner (4).

862

(1) Die Antragsgegnerin ist bestrebt, durch den Einsatz spezifisch jugend-orientierten Materials potentielle Wähler und Sympathisanten frühzeitig anzusprechen und mit ihren verfassungsfeindlichen Positionen vertraut zu machen.

863

Beispielsweise verteilte der Landesverband Berlin im Wahlkampf zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses 2011 auf Schulhöfen eine bewusst dafür gestaltete CD mit rechtsextremer Musik. Im Booklet der Schulhof-CD Berlin heißt es, dass sie vornehmlich an "Schülerinnen, Schüler und Erstwähler" gerichtet sei. Die CD wurde von der BPjM mit Beschluss vom 1. März 2012 (Entscheidung Nr. 5889, Bundesanzeiger Nr. 52) indiziert. Grund waren Textpassagen wie die Folgenden:

Die Knechtschaft hat ein Ende erst, wenn Stadt und Land befreit sind, Deutschland wieder deutsch ist, alles wieder Eins ist, vereint unter einem, dem Einen - es gibt keinen Zweiten wie ihn, für den in Reihe wir ziehen bis in die tiefsten Feindesgebiete.

Fast täglich werden in deutschen Haushalten Kinder von ihren Eltern vergewaltigt und missbraucht. Niemanden interessiert es. Nachbarn sehen weg, Jugendämter schalten sich erst ein, wenn alles zu spät ist. Weist die Pädophilen in ihre Schranken und das in allen Ländern. Todesstrafe für Kinderschänder.

Jetzt erkennst du das Problem: deine Haut ist viel zu hell, deine Augen blau, die Haare blond, bist intellektuell. Nach deinen Sätzen kommt kein "Alter", redest nicht im Türkenslang, schwörst nicht auf Allah, hast um dein' Hals kein Türkenkettchen hängen und deshalb hassen sie dich […]. Früher hat man so was [Schussgeräusch]! Jetzt toben sie sich bei uns aus, kriegen Zaster reingeschoben […], stechen junge Deutsche ab, während die Bullen danebenstehen und aus purer Angst so tun, als hätten sie nichts gesehen!

Dann wird sie schwanger, sagt der Kleine wär von dir, doch als das Baby dann zur Welt kommt, bist du etwas verwirrt. Schwarze Haare, braune Haut, dunkle Augen und erstaunt denkst du, der Kleine will dir jetzt schon auf die Fresse hauen. Das ist nicht dein Kind, das ist nur ein [Brechgeräusch], sie wird älter, kriminell und mit dem Messer in der Tasche geht sie dann auf Deutschenjagd. Aber hier und heute sag ich für jeden toten Deutschen [Schussgeräusch]!

864

Ähnliche Texte finden sich auf der ebenfalls von der BPjM indizierten Sampler-CD "Freiheit statt BRD" (Entscheidung Nr. VA 2/10 vom 8. September 2010, Bundesanzeiger Nr. 138), die seit dem 4. September 2010 vom Landesverband der Antragsgegnerin Mecklenburg-Vorpommern über das Internet und nach Angaben der Antragsgegnerin in einer ersten Auflage von 25.000 Stück kostenlos vor Schulhöfen verteilt worden ist.

865

Auch der Landesverband der JN Thüringen verteilte entsprechende Schulhof-CDs, wozu er am 18. August 2009 auf seiner Homepage mitteilte:

Die Musik ist der Zugang zur nationalen Jugendkultur, in welcher viele Jugendliche später politisiert werden und endlich beginnen, sich für ihr Land einzusetzen. Wir wollen die Thüringer Jugend mit unserer Jungwählerkampagne nicht nur dazu animieren, am 30. August national und damit Zukunft zu wählen, sondern aktiv ins Geschehen einzugreifen, hier zu bleiben und für Deutschland anzupacken.

866

Im Rahmen der - von Jürgen Gansel ausdrücklich unterstützten (vgl. Homepage des Landesverbands Sachsen, Beitrag vom 4. Juli 2014) - "Platzhirsch-Kampagne" des sächsischen JN-Landesverbands im Sommer 2014 besuchten JN-Mitglieder Schulen und verteilten dort Werbematerial. Parallel dazu wurde eine Publikation mit einer Auflage von 10.000 Stück unter dem Titel "Platzhirsch - Der Schülersprecher"an Jugendliche verteilt und im Internet zum Download angeboten. Im Zusammenhang mit dieser Publikation wurde der Staatsregierung und den "Antideutschen" ein auch über Facebook bekanntgemachtes "Zeugnis" ausgestellt, das für "Ausländerrückführung", "Sicherheit und Recht" sowie "Zukunftshoffnung" die Note 6 und unter anderem für "Schuldkult", "Falsche Toleranz", "Volkstod" und "Polizeiwillkür" die Note 1 vergibt.

867

(2) Schwerpunkt der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Antragsgegnerin ist die Asylthematik. Vertreter der Antragsgegnerin treten als Anmelder oder Organisatoren von Protestkundgebungen auf, die sich vor allem gegen Standortentscheidungen für Flüchtlingsunterkünfte richten (a). Hinzu kommen sonstige Aktionen, mit denen die Antragsgegnerin auf ihre Forderungen nach ersatzloser Streichung des Asylrechts, den Verzicht auf Integration und die Rückführung aller ethnisch Nichtdeutschen hinzuweisen sucht (b).

868

(a) (aa) Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragstellers wurden von der Antragsgegnerin im Jahr 2015 insgesamt 192 ihr unmittelbar zuzurechnende Veranstaltungen mit mehr als 20 Teilnehmern pro Veranstaltung und einer Gesamtzahl von 23.000 Teilnehmern durchgeführt. Hinzuzurechnen sind aus Sicht des Antragstellers weitere 95 Veranstaltungen mit einer Gesamtteilnehmerzahl von 20.000 Personen, da insbesondere Kundgebungen der MVGIDA und der THÜGIDA stark durch die Antragsgegnerin beeinflusst seien.

869

(bb) Die Aktivitäten der Antragsgegnerin sind vor allem auf Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern konzentriert. Beispielhaft für die gezielte Organisation von Protesten gegen die Standorte von Asylbewerberunterkünften in Sachsen stehen die durch das Kreistags- und Stadtratsmitglied der Antragsgegnerin T. angemeldeten "Abendspaziergänge" in Tröglitz, die durch den örtlichen Kreisvorsitzenden H. von Oktober 2013 bis Januar 2014 organisierten "Schneeberger Lichtelläufe" und die am 24. Juli 2015 in Dresden unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße" durchgeführte Kundgebung, in deren Nachgang es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Des Weiteren organisierte der Heidenauer Stadtrat R. die "Initiative Nein zum Heim", die an unterschiedlichen Orten in Sachsen Protestkundgebungen durchführte. Dazu zählte auch eine Demonstration am 21. August 2015 in Heidenau, bei der es anschließend zur Blockade einer Bundesstraße und gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, in deren Verlauf 31 Polizeibeamte verletzt wurden. Bei Demonstrationen in Rötha und Borna traten die Funktionsträger der Antragsgegnerin S., R. und T. als Redner auf. In Bautzen wandte die Antragsgegnerin sich mit Mahnwachen und Aufmärschen gegen die Nutzung eines Hotels als Flüchtlingsheim. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden von ihr mehrere Anti-Asyl-Veranstaltungen durchgeführt. Dazu zählen Demonstrationen, Fackelmärsche und Mahnwachen in Güstrow, die von den Funktionsträger der Antragsgegnerin M. und K. gesteuert wurden.

870

(b) Neben Protestkundgebungen gehören Besuche von Asyleinrichtungen durch Landtagsabgeordnete und Stadträte der Antragsgegnerin sowie die in Mecklenburg-Vorpommern in der Zeit von 2013 bis 2015 jährlich durch die ehemalige Landtagsfraktion der Antragsgegnerin veranstalteten Kundgebungstouren zur Asylpolitik zu denjenigen Maßnahmen, mit denen die Antragsgegnerin versucht, das Thema Asyl für ihre Zwecke zu nutzen.

871

(3) Ergänzt wird die asylfeindliche Agitation der Antragsgegnerin durch weitere gegen Migranten und Minderheiten gerichtete Aktivitäten. Hierzu gehören die bereits geschilderten Rückkehraufforderungen an Politiker mit Migrationshintergrund in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 sowie im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 (vgl. Rn. 682 ff.), die Plakatkampagne "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma", das Aufstellen eines - Udo Voigt auf einem Motorrad abbildenden - Wahlplakats mit dem Slogan "Gas geben" unter anderem vor dem jüdischen Museum in Berlin und der Protest gegen die Errichtung einer Moschee in Leipzig-Gohlis unter dem Motto "Maria statt Scharia - Islamisierung und Überfremdung stoppen".

872

(4) Der Versuch der Verbreitung der politischen Ideologie der Antragsgegnerin findet auf der Basis der sogenannten "Wortergreifungsstrategie" (vgl. Rn. 62 und 320) auch in der direkten Konfrontation mit politischen Wettbewerbern statt. So entrollten bei einer DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar Angehörige der JN trotz eines Platzverweises Transparente, verteilten Flugblätter und bemächtigten sich des Mikrofons, was zu tätlichen Auseinandersetzungen führte. Letzteres war auch der Fall am 6. Juli 2015, als unter der Führung des Kreisverbandsvorsitzenden Aschaffenburg S. bei einer Informationsveranstaltung über die anstehende Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach dazwischen gerufen, ein Banner mit der Aufschrift "Schluss mit der Flüchtlingslüge" entrollt und versucht wurde, Flyer mit der Aufschrift "Asylbetrug macht uns arm" zu verteilen. Weiterhin verteilten bei dem von einer Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus am 18. September 2010 in Lübtheen veranstalteten "Lindenfest" die Funktionäre Pastörs, T. (Stadtratsmitglied und früherer stellvertretender Leiter des Bundesordnungsdienstes der Antragsgegnerin) und K. (Landesgeschäftsführer der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern) Flugblätter und ließen NPD-Ballons aufsteigen. In Berlin-Schöneiche traten Anhänger der Antragsgegnerin in den Jahren 2007 bis 2009 bei dort stattfindenden jüdischen Festen auf. Zum "Besuch" des Laubhüttenfests am 5. Oktober 2007 erklärte die NPD Barnim auf ihrer Homepage:

Wir Nationaldemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt, die deutsche Kultur zu fördern. Deshalb werden wir zukünftig bei solchen Veranstaltungen Gesicht und NPD-T-Hemd zeigen, um eine Diskussion mit den Teilnehmern über deutsche Kultur zu fördern. An diesem Beispiel sehen Sie, wo falsch verstandene Toleranz hinführt. Toleranz heißt Duldsamkeit. Heute erdulden wir das Laubhüttenfest und morgen gibt es gar keine deutschen Feste mehr.

873

cc) Auch den "Kampf um die Parlamente" nutzt die Antragsgegnerin, um mit Wahlkampagnen und parlamentarischer Arbeit für ihre verfassungsfeindlichen Ziele einzutreten und auf deren Verwirklichung hinzuarbeiten. Sie ist im Hinblick auf ihr instrumentelles Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie um ein möglichst hohes Maß an Präsenz in Parlamenten bemüht und nimmt daher regelmäßig an Wahlen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen teil. Lediglich bei Kommunalwahlen ist dies - insbesondere in den alten Bundesländern - nicht flächendeckend der Fall.

874

Soweit es der Antragsgegnerin gelingt, parlamentarische Mandate zu erringen, nutzt sie diese (vgl. bereits Rn. 773), um ihren verfassungswidrigen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Dabei greift sie auch auf symbolische Handlungen zurück. So blieben die Mitglieder der ehemaligen NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus am 30. Januar 2013 im Landtag fern und verließen den Plenarsaal, als der Landtag im Dezember 2012 der Mordopfer der NSU-Terrorzelle gedenken wollte. Dass die Antragsgegnerin die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen als rechtlich bedeutungslos qualifiziert, ändert nichts daran, dass dieses Verhalten ihre Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus und ihre Missachtung der Opfer rechtsterroristischer Gewaltakte zutage treten lässt. Auch die vorgelegte Auflistung verfassungskonformer Beschlussanträge steht der Nutzung parlamentarischer Handlungsmöglichkeiten zur Verbreitung des politischen Konzepts der Antragsgegnerin nicht entgegen, da sie ein Abrücken von deren verfassungsfeindlichen Zielen nicht erkennen lässt.

875

Vertreter der Antragsgegnerin waren häufig von parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen betroffen. Im 4. Sächsischen Landtag wurden gegen die Fraktion der Antragsgegnerin 58 der insgesamt 64 sitzungsleitenden Maßnahmen verhängt. Nach unbestrittener Auskunft der Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung betrafen in der 5. Wahlperiode (2006 bis 2011) 708 von 849 Ordnungsmaßnahmen Mitglieder der Fraktion der Antragsgegnerin. In der 6. Wahlperiode seien bis zum Termin der mündlichen Verhandlung 432 Ordnungsmaßnahmen verhängt worden, 382 davon hätten Mitglieder der Fraktion der Antragsgegnerin betroffen. Abgeordnete der Antragsgegnerin hätten insgesamt in 50 Fällen Einspruch erhoben. Alle Einsprüche seien vom Plenum abgewiesen worden. Nur in elf Fällen habe die Fraktion der Antragsgegnerin ein Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht angestrengt. Lediglich in vier Fällen sei die Ordnungsmaßnahme als Verstoß gegen das Rederecht des Abgeordneten gewertet worden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin übersteigt daher die Anzahl der gegen ihre Abgeordneten ergangenen Ordnungsmaßnahmen das ansonsten übliche parlamentarische Maß und belegt jedenfalls die Bereitschaft, die parlamentarische Auseinandersetzung in aggressiver Weise zu führen.

876

Schließlich nutzt die Antragsgegnerin die mit der parlamentarischen Präsenz verbundenen finanziellen Ressourcen zur Intensivierung ihrer Verbindungen in das nicht parteigebundene rechtsextreme Spektrum. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragstellers wurden seit 2004 zumindest 87 Personen als Mitarbeiter beziehungsweise Praktikanten der ehemaligen Landtagsfraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, der einzelnen ehemaligen Landtagsabgeordneten der Partei sowie des Europaabgeordneten Udo Voigt beschäftigt. Bei insgesamt 37 dieser Personen liegt eine vorherige oder gleichzeitige Verbindung zu neonazistischen Organisationen vor.

877

dd) Im Rahmen des "Kampfes um den organisierten Willen" strebt die Antragsgegnerin ausgehend von bereits bestehenden personellen Verflechtungen (1) die Bildung einer "umfassenden nationalen Oppositionsbewegung" unter ihrer Führung an (2). Dem dienen regional unterschiedlich ausgeprägte Kooperationen mit der parteiungebundenen rechtsextremen Szene und die Bereitschaft zur Integration eintrittswilliger Mitglieder dieser Szene in die Antragsgegnerin (3). Zugleich bemüht sie sich um Kooperation und Einflussnahme auf die gegen eine angebliche "Islamisierung des Abendlandes" gerichteten Bewegungen (4).

878

(1) Auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin sind in erheblichem Umfang Personen vertreten, die verbotenen rechtsextremen Organisationen angehörten. Dies gilt bereits für vier Angehörige des siebenköpfigen Parteipräsidiums, denen eine frühere Mitgliedschaft in neonazistischen Vereinigungen nachgewiesen werden kann: der am 22. Oktober 2016 verstorbene Frank Schwerdt ("Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." ), Stefan Köster ("Heimattreue deutsche Jugend e.V." und HNG), Klaus Beier ("Deutsche Alternative" ) und Sebastian Schmidtke (HNG). Frank Schwerdt und Andreas Storr waren außerdem führende Mitglieder des Vereins "Die Nationalen e.V.". Von den weiteren zehn gewählten Parteivorstandsmitgliedern war jedenfalls Jens Pühse ("Nationalistische Front" ) Mitglied in einer neonazistischen Vereinigung. Im 2010 gewählten Bundesvorstand galt dies für fünf Personen: Klaus Beier (DA), Jens Pühse (NF), Manfred Börm in der "Wiking-Jugend", Thomas Wulff (FAP, NL, HNG) und Thorsten Heise (FAP).

879

Der 1995 verbotenen FAP gehörten neben den bereits Genannten die Funktionäre der Antragsgegnerin B. und B. an. Mitglied der 2009 verbotenen HDJ waren außer Stefan Köster und Manfred Börm auch die Funktionsträger H., B., F., B., G., K., P., T. und P. Der 2011 verbotenen HNG gehörten außer den bereits Genannten H., David Petereit, S., R., D., J., Uwe Meenen, Safet Babic, H., L., P., S., C., D., K., W., W., B., M. und W. an.

880

Auch die früheren Landtagsabgeordneten der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern sind eng mit der neonazistischen Szene verbunden. Der ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Tino Müller war Mitglied der verbotenen HDJ und hat Führungsfunktionen im rechtsextremistischen "Kulturkreis Pommern" sowie im Kameradschaftsnetzwerk "Soziales und Nationales Bündnis Pommern" übernommen. Das ehemalige Fraktionsmitglied David Petereit gehörte nicht nur der HDJ und der HNG an, sondern betreibt den Szene-Versandhandel "Levensboom" und verantwortete - bis zu dessen Einstellung - den rechtsextremistischen Internetauftritt www.mupinfo.de.

881

(2) Hiervon ausgehend verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel einer "Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte".

882

Zu diesem "Volksfrontkonzept" der Antragsgegnerin äußerte sich der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Claus Cremer im Dezember 2010 auf der Homepage seines Landesverbands:

Doch nicht nur der Zusammenschluss mit der DVU oder die kommenden Wahlen werden zeigen, wie der Weg des nationalen Widerstandes in Zukunft weiter geht. Dies wäre zu kurzfristig gedacht und ausschließlich auf den parlamentarischen Flügel ausgerichtet, was einer umfassenden nationalen Oppositionsbewegung nicht gerecht wird. Ebenso wichtig wie der Weg hin zur nationalen Einheitspartei ist auch die weitere Zusammenarbeit mit den parteiungebundenen Kräften und die Stärkung der diversen Vorfeldorganisationen, denn nur gemeinsam werden wir dazu in der Lage sein, in den verschiedenen Lebensbereichen auch Akzente zu setzen.

883

Udo Pastörs sagte in seiner auf der Homepage der Antragsgegnerin eingestellten Ansprache auf dem Bundesparteitag 2008 in Bamberg:

Die NPD steht weiterhin zum Schulterschluß mit allen parteiunabhängigen Nationalisten, die ihrerseits zu einer konstruktiv-partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der NPD bereit sind. Viele gemeinsam gestaltete Aktionen mit parteifreien Kräften, aber auch übernommene Führungsverantwortung durch ehemals parteifreie Aktivisten innerhalb der NPD zeigen, daß es der NPD ernst ist mit der Einbindung und der Zusammenarbeit mit freien Nationalisten.

884

Die Bedeutung der Einbindung "Freier Kameradschaften" - auch durch die Vergabe von Parteiämtern - stellte Pastörs in einem am 14. November 2011 auf der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern eingestellten Gespräch erneut heraus:

Für mich sind die freien Kameradschaften unabdingbarer Teil des gesamten nationalen Widerstandes. Es ist wichtig für die neue Parteiführung, den freien Strukturen klare Parteipositionen aufzuzeigen, die als Grundlage einer zukünftigen Zusammenarbeit gelten sollen. Das ist wichtig, damit die freien Strukturen wissen, woran sie sind. Freie Strukturen sind auch deshalb so wichtig, weil sie viel schneller und kreativer auf politische Ereignisse reagieren können, als ein doch viel schwerfälligerer Parteiapparat.

885

(3) Auf dieser Grundlage bemüht sich die Antragsgegnerin um eine Intensivierung ihrer Kontakte und der Zusammenarbeit mit dem parteiungebundenen rechten Spektrum.

886

(a) In Sachsen kommt dabei den JN besondere Bedeutung zu. Diese haben im Landkreis Nordsachsen und im Landkreis Leipzig im Jahr 2009 gezielt vier Stützpunkte errichtet, die nach einer Mitteilung auf der Internetseite der NPD-Nordsachsen (Abruf am 24. November 2009) eine Bindegliedfunktion zur Neonazi-Szene einnehmen sollen:

Die vier Stützpunktleiter bündeln nun nationale Kräfte, die bisher als Kameradschaften oder Einzelpersonen eher nebeneinander als miteinander politisch gearbeitet haben, und formen sie zu einer jugendlichen Gesinnungs- und Tatgemeinschaft unter dem Dach der NPD.

887

Die Vernetzung der JN Sachsen mit der neonazistischen Szene manifestierte sich in dem Parteieintritt der Führungskraft der "Freien Kräfte Dresden" M. und seiner Anhänger in den JN-Landesverband. Element der Zusammenarbeit sind gemeinsame Konzertveranstaltungen, wie zum Beispiel beim "JN-Sachsentag" im Juni 2010. Auf dieser JN-Veranstaltung mit etwa 400 Teilnehmern traten - wie sich aus einem Bericht auf der Homepage des JN-Bundesvorstands ergibt - zum einen Redner der Antragsgegnerin, der JN sowie der "Freien Kräfte" auf, zum anderen spielten rechtsextreme Musikgruppen wie "Last Pride", "Barbaren", "Conflict", "Brutal Attack" und "Frontalkraft". Weiteres Beispiel ist die Demonstration von "freien Kräften" mit dem Thema "Recht auf Zukunft" am 17. Oktober 2009 in Leipzig, deren "Demoaufruf" vom Landesverband Sachsen auf seiner Homepage am 6. Oktober 2009 mit dem Kommentar abgedruckt wurde, dass er diese Demonstration unterstütze. In dem Aufruf wird "völkisches Leben" und ein "Volksrecht" gefordert sowie zum Kampf für die neue Ordnung aufgerufen. Der Aufruf endet mit den Worten "Nationaler Sozialismus jetzt!". Auch der Bundesvorstand der JN unterstützte die Kampagne und schrieb anschließend auf seiner Homepage (Abruf am 21. Oktober 2009):

Im Vorfeld der Demonstration stand eine groß angelegte Mobilisierungskampagne mit nur einem Ziel, nämlich alle Strömungen des Nationalen Widerstandes zu vereinen. Bei uns zählten nicht Bezeichnungen wie Junge Nationaldemokraten, Freie Kräfte, völkische Deutsche oder Autonome Nationalisten, unser Ziel war es so viel wie möglich Nationale Sozialisten zu bündeln und das gelang uns definitiv.

888

Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, die Aufnahme vorbestrafter Jugendlicher aus der rechtsextremen Szene diene deren Resozialisierung und ihrer Integration in den demokratischen Prozess, steht dem entgegen, dass die Antragsgegnerin die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will und daher von der behaupteten "Entradikalisierung der in die Partei integrierten Neonazis" nicht ausgegangen werden kann. Der Feststellung, dass die Antragsgegnerin bemüht ist, rechtsextreme Netzwerke unter ihrer Führung im Sinne des "Kampfes um den organisierten Willen" zu bilden, steht diese Einlassung im Übrigen nicht entgegen.

889

(b) (aa) Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern beurteilt die Antragsgegnerin ihre Zusammenarbeit mit parteiungebundenen Kräften der rechtsextremen Szene als erfolgreich. So erklärte Udo Pastörs auf der Homepage des Landesverbands (eingestellt am 14. November 2014):

Ja, es ist richtig. Bei uns hier in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert das Ganze geräuschlos nach Innen und mit großer Propagandawirkung, nicht nur bei Wahlkämpfen, auch nach Außen.

890

Auch Stefan Köster bekannte sich als Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern im Gespräch mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2008, S. 3) zur Zusammenarbeit mit anderen "nationalen Aktivisten":

Die Kameraden in Mecklenburg und Pommern haben etwas vollzogen, was Vorbildfunktion hat. Alle wesentlichen und zuverlässigen nationalen Aktivisten haben unseren Wahlkampf getragen. Unsere Landesliste war (und ist) das beste Beispiel für ein gutes Miteinander Volkstreuer.

891

(bb) Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Antragsgegnerin und rechtsextremen Gruppen findet im Raum Waren (Müritz) statt. Die Stadtvertreterin der Antragsgegnerin Z. führte mehrere Veranstaltungen mit den "Nationalen Sozialisten Müritz" durch. So trat sie bei einer "Mahnwache gegen Kinderschänder" - laut behördlichem und unbestritten gebliebenem Informationsschreiben vom 3. Oktober 2014 - mit vier Personen der rechtsextremen Szene auf.

892

(cc) Zu einem "Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch" im November 2012 in Wolgast riefen die Antragsgegnerin, die JN und die "Nationalen Sozialisten Mecklenburg und Pommern" gemeinsam auf, wie ein Plakat auf www.mupinfo.de (Abruf am 1. November 2012) belegt. Die "Nationalen Sozialisten Rostock" äußerten sich mit Blick auf Demonstrationen im Jahr 2011 auf www.info-rostock.org am 6. Oktober 2011 wie folgt:

Hat man jedoch einen Partner wie die NPD-MV an seiner Seite, die das komplette Demo-Know-How, von Lautsprecherwagen, Ordnerdienst bis zum Informationsmaterial mitbringt, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. [...] Während die Parteistrukturen also für landesweite Mobilisierung und das nötige drumherum am Demotag sorgten, konnten wir für ständige Präsenz in unserer Heimatstadt sorgen. Im gesamten Stadtgebiet wurden Plakate verklebt, Flugblattverteilungen fanden an belebten Orten statt und die flächendeckende Verteilung von Infomaterial wurde gewährleistet.

893

(c) Weitere Beispiele des Kooperationsstrebens der Antragsgegnerin mit rechtsextremen Organisationen sind die Vergabe des "Widerstandspreises" der Deutschen Stimme am 1./2. Juli 2011 an drei Initiativen des "parteiungebundenen nationalen Lagers" und die vom bayerischen Staatsminister des Innern in der mündlichen Verhandlung geschilderte Veranstaltung unter dem Motto "Schluss mit dem Asylwahnsinn. Wir sind das Volk", die im September 2015 am Hauptbahnhof in München stattfand. Die Unterstützung der Antragsgegnerin durch parteiungebundene Kräfte im Kommunalwahlkampf 2009 in Sachsen-Anhalt dokumentiert die Äußerung des dortigen Landesvorsitzenden Matthias Heyder auf der Internetseite www.npd-ins-rathaus.de (Abruf am 16. April 2009):

In gelebter Kameradschaft zwischen NPD-Mitgliedern, freien Nationalisten und den äußerst engagierten Mitgliedern der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), gelang es der nationalen Bewegung in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Wochen mehr als 3.000 Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zu den bevorstehenden Kommunalwahlen zu sammeln.

894

(4) Die Antragsgegnerin strebt außerdem an, als relevanter Teil der Proteste gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes" wahrgenommen zu werden, da es sich nach ihrer Auffassung um eine ihr ideologisch nahestehende Bewegung handelt. So formuliert Holger Szymanski in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2015, S. 11):

Während sich die Spitzen von PEGIDA noch nicht trauen, Kontakte mit der NPD zu pflegen, sieht das andernorts schon ganz anders aus. […] Immer wieder erleben wir das Phänomen, dass die Bürger Positionen vertreten, die mit denen der NPD übereinstimmen, diese Menschen aber bisher gar keine Kenntnis davon haben, was die NPD eigentlich vertritt.

895

Entsprechend hat die Antragsgegnerin regelmäßig zur Teilnahme an Kundgebungen der sogenannten "GIDA-Bewegung" aufgerufen, ihre Unterstützung der Proteste angeboten und Präsenz zu zeigen versucht. In Dresden unterstützte sie darüber hinaus die Kandidatur der PEGIDA-Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl am 7. Juni 2015. Die in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführten Demonstrationen der MVGIDA waren stark durch den Landesverband der Antragsgegnerin beeinflusst. Ebenso kam dem Mitglied des Landesvorstands des Landesverbands Thüringen der Antragsgegnerin K. bei den Veranstaltungen der THÜGIDA eine maßgebliche Rolle zu.

896

2. Auch wenn die Antragsgegnerin sich nach alledem zu ihren verfassungsfeindlichen Zielen bekennt und planmäßig auf deren Verwirklichung hinarbeitet, erreicht ihr Handeln nicht die Qualität einer Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des "Darauf Ausgehens" (Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG). Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen. Weder steht eine erfolgreiche Durchsetzung dieser Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht (a), noch ist der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der Antragsgegnerin zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar (b).

897

a) Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen. Im parlamentarischen Bereich verfügt die Antragsgegnerin weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen (aa). Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln außerhalb des parlamentarischen Handelns besteht in absehbarer Zeit für die Antragsgegnerin keine Möglichkeit erfolgreicher Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele (bb).

898

aa) Parlamentarische Mehrheiten zur Durchsetzung ihres politischen Konzepts sind für die Antragsgegnerin gegenwärtig weder durch Wahlen noch im Wege der Koalitionsbildung erreichbar.

899

(1) Auf überregionaler Ebene ist sie gegenwärtig lediglich mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Soweit sie in der Vergangenheit in den Landesparlamenten mehrerer alter Länder, Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns vertreten war, ist ihr eine Verstetigung ihrer parlamentarischen Präsenz nicht gelungen (vgl. bereits Rn. 2 ff.).

900

Die Wahlergebnisse bei Europa- und Bundestagswahlen stagnieren auf sehr niedrigem Niveau. Bei der letzten Bundestagswahl 2013 erzielte die Antragsgegnerin nach 1,6 % bei der Bundestagswahl 2005 und 1,5 % bei der Bundestagswahl 2009 ein Ergebnis von 1,3 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen. Die Antragsgegnerin war nie im Bundestag vertreten, vor den drei genannten Bundestagswahlen lag ihr Zweitstimmenanteil mehr als 30 Jahre lang bei deutlich unter 1 %. Bei der Europawahl 2014 erreichte sie ein Wahlergebnis von 1 % der abgegebenen gültigen Stimmen und ist damit erstmals mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten.

901

In den alten Ländern schwankten die Wahlergebnisse der Antragsgegnerin bei der jeweils letzten Landtagswahl zwischen 1,2 % (Saarland) und 0,2 % (Bremen) der abgegebenen gültigen Stimmen. Trotz des bereits niedrigen Niveaus musste sie bei den Landtagswahlen des Jahres 2016 weitere Stimmenverluste hinnehmen, die in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg durch Verluste von jeweils 0,6 Prozentpunkten zu einer Reduzierung ihres Stimmenanteils um mehr als die Hälfte führten. Auch bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin erzielte die Antragsgegnerin 2016 nur noch 0,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen und verlor damit im Vergleich zur Wahl von 2011 (2,1 % der abgegebenen gültigen Stimmen) 1,5 Prozentpunkte.

902

In den neuen Ländern ist ebenfalls - ausgehend von einem höheren Niveau - ein Rückgang der Ergebnisse der Antragsgegnerin bei Landtagswahlen festzustellen. In Sachsen reduzierte sich das Wahlergebnis der Antragsgegnerin von 9,2 % bei der Landtagswahl 2004 über 5,6 % bei der Landtagswahl 2009 auf 4,9 % bei der Landtagswahl 2014. In Sachsen-Anhalt verlor die Antragsgegnerin mit einem Wahlergebnis von 1,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen bei der Landtagswahl 2016 im Vergleich zur Landtagswahl 2011 (4,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen) mehr als die Hälfte ihrer Wähler. In Mecklenburg-Vorpommern erzielte die Antragsgegnerin bei der Landtagswahl 2006 ein Ergebnis von 7,3 %, bei der Landtagswahl 2011 von 6,0 % und bei der Landtagswahl 2016 von nur noch 3,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen.

903

Die Antragsgegnerin hat es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein. Anhaltspunkte für eine künftige Veränderung dieser Entwicklung liegen nicht vor. Hinzu kommt, dass die sonstigen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene vertretenen Parteien zu Koalitionen oder auch nur punktuellen Kooperationen mit der Antragsgegnerin bisher nicht bereit sind. Parlamentarische Mehrheiten für die Antragsgegnerin sind daher auf der Ebene des Europäischen Parlaments, des Bundestages und der Landtage auf absehbare Zeit ausgeschlossen.

904

(2) Etwas anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht für die kommunale Ebene. Selbst wenn die Antragsgegnerin bundesweit über etwa 350 kommunale Mandate verfügt und die Schwankungsbreite ihrer Kommunalwahlergebnisse im Vergleich zu überregionalen Wahlen deutlich höher ausfällt, ist sie von relevanten politischen Gestaltungsmöglichkeiten sehr weit entfernt. Dafür spricht bereits der Umstand, dass sich angesichts einer geschätzten Gesamtzahl von mehr als 200.000 Kommunalmandaten der Anteil der Antragsgegnerin bundesweit lediglich im Promillebereich bewegt.

905

Auch eine einzelfallbezogene Betrachtung führt nicht zu einer abweichenden Bewertung: Besonders schwach stellt sich die Vertretung der Antragsgegnerin auf kommunaler Ebene in den alten Ländern dar, auf die lediglich rund ein Fünftel der von ihr gehaltenen Kommunalmandate entfällt. Die geringe Präsenz der Antragsgegnerin wurde in der mündlichen Verhandlung durch den Hinweis des bayerischen Staatsministers des Innern bestätigt, dass die Antragsgegnerin bei den letzten bayerischen Kommunalwahlen lediglich in zwei bayerischen Städten mit jeweils einer Tarnliste angetreten sei. Anhaltspunkte für eine Veränderung dieser Situation sind nicht erkennbar. Zwar erzielte die Antragsgegnerin bei der hessischen Kommunalwahl am 6. März 2016 in einzelnen hessischen Gemeinden (möglicherweise begünstigt durch das jeweilige Nichtantreten der Partei "Alternative für Deutschland" ) zweistellige Wahlergebnisse (Leun 11,2 %, Büdingen 10,2 %, Altenstadt 10,0 %). Insgesamt ging der Stimmenanteil der Antragsgegnerin aber im Vergleich zur hessischen Kommunalwahl 2011 von 0,4 % auf 0,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen zurück. Bei der Kommunalwahl 2016 in Niedersachsen lag der Stimmenanteil bei 0,1 %. Soweit die Antragsgegnerin überhaupt in Kommunalparlamenten vertreten ist, stellt sie regelmäßig lediglich einen oder zwei Abgeordnete. Eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten sind insoweit nicht gegeben. Auch über Kooperations- oder Koalitionsoptionen verfügt sie in den Kommunalparlamenten der alten Länder nicht.

906

In den neuen Ländern ist ein bestimmender Einfluss der Antragsgegnerin auf die politische Willensbildung in den kommunalen Vertretungskörperschaften ebenfalls weder gegeben noch zukünftig zu erwarten. Dies gilt selbst mit Blick auf die vom Antragsteller besonders hervorgehobenen Kommunen, in denen die Antragsgegnerin bei den Kommunalwahlen 2014 in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern deutlich überproportionale Wahlergebnisse bis hin zu 27,2 % der abgegebenen gültigen Stimmen in Blesewitz, 21 % in Neuenkirchen, 17,6 % in Groß Krams und 20,5 % in Reinhardtsdorf-Schöna erzielt hat.

907

Die ganz überwiegende Zahl der zitierten Gemeinden hat eine geringe vierstellige, zum Teil sogar nur dreistellige Einwohnerzahl (Blesewitz: 235 Einwohner, Neuenkirchen bei Anklam: 228 Einwohner, Groß Krams: 164 Einwohner , Reinhardtsdorf-Schöna: 1.358 Einwohner ), weshalb die hohen Ergebnisse im Einzelfall noch nicht einmal für einen Sitz der Antragsgegnerin in der betreffenden Gemeindevertretung ausgereicht haben. Anders als vom Antragsteller behauptet, kann auch in der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna angesichts der zwei Mandate der Antragsgegnerin im zwölf Sitze umfassenden Gemeinderat zumindest im Kommunalparlament nicht von einer "rechten Vorherrschaft" gesprochen werden. Auf der jeweiligen Kreisebene hat die Antragsgegnerin 2014 nirgendwo mehr als 7 % der Stimmen erzielt. Im Kreis Vorpommern-Greifswald, in dem die Mehrzahl der seitens des Antragstellers exemplarisch aufgeführten Gemeinden liegt, hat die Antragsgegnerin deutliche Verluste hinnehmen müssen und lediglich ein Ergebnis von 6,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht (vgl. Eckert/Müller, in: Nestler/Scheele , Die Kommunalwahlen 2014 in Mecklenburg-Vorpommern, S. 78 f.).

908

Insgesamt kann im Vergleich der letzten beiden Kommunalwahlen auch in den neuen Ländern ein positiver Trend zugunsten der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden. Lediglich in Brandenburg ist es ihr bei den Kommunalwahlen 2014 auf Kreisebene gelungen, die Zahl ihrer Mandate von 16 auf 20 zu steigern. In den übrigen Bundesländern hat sie Mandate verloren. Dies gilt auch für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie auf Kreisebene bei den Kommunalwahlen 2014 jeweils neun Sitze abgegeben hat.

909

Über eigene Gestaltungsmehrheiten verfügt die Antragsgegnerin in den Kommunalparlamenten der neuen Länder mithin nicht. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Prognose sind nicht erkennbar. Ferner stehen ihr Koalitionsoptionen ebenso wenig wie in den alten Ländern zur Verfügung. Diese Einschätzung wird auch nicht erschüttert durch den Hinweis des Antragstellers auf die Wahl der Gemeindevertreterin der Antragsgegnerin Z. zur stellvertretenden Stadtpräsidentin mit drei Ja-Stimmen und drei Enthaltungen sowie die in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten beschriebenen drei Fälle der Wahl von Kommunalvertretern der Antragsgegnerin in Ausschüsse der jeweiligen Kommunalparlamente (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 24) nicht entgegen. Es handelt sich insoweit um sehr vereinzelte Personalentscheidungen, die den Rückschluss auf weitere Zusammenarbeitsmöglichkeiten und eine Unterstützung der von der Antragsgegnerin verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht erlauben. Die von dem Sachverständigen Prof. Borstel in diesem Zusammenhang beschriebenen "Normalisierungserfolge" der Antragsgegnerin betreffen im Übrigen lediglich den persönlichen Umgang der Kommunalvertreter untereinander (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 24) und vermögen daher die Annahme inhaltlicher Kooperationsbereitschaft ebenfalls nicht zu begründen.

910

bb) Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung des auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten Konzepts der Antragsgegnerin mit demokratischen Mitteln jenseits der parlamentarischen Ebene möglich erscheinen lassen, liegen ebenfalls nicht vor. Vielmehr stehen einer nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die Antragsgegnerin deren niedriger und tendenziell rückläufiger Organisationsgrad (1) sowie ihre eingeschränkte Kampagnenfähigkeit und geringe Wirkkraft in die Gesellschaft (2) entgegen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in der Lage ist, diese Defizite durch die Bildung rechtsextremer Netzwerke oder auf anderem Wege zu kompensieren (3).

911

(1) Der Mitgliederbestand der Antragsgegnerin hat sich im Vergleich zu seinem Höchststand im Jahr 1969 mit 28.000 Mitgliedern deutlich reduziert. Zeitlich begrenzte Erholungsphasen ändern an der Grundtendenz rückläufiger Mitgliederzahlen nichts. Weder die Fusion der Antragsgegnerin mit der Deutschen Volksunion (DVU) noch die Öffnung zur Kameradschaftsszene und die Gründung eigener Landesverbände in den neuen Ländern vermochten den Mitgliederrückgang dauerhaft zu stoppen. Ende 2013 verfügte die Antragsgegnerin ausweislich ihres Rechenschaftsberichts nur noch über 5.048 Mitglieder, Ende 2014 über 5.066 Mitglieder. Soweit ihr Vorsitzender in der mündlichen Verhandlung auf einen einmaligen Mitgliederzuwachs in einer Größenordnung von 8 % in der jüngeren Vergangenheit hinwies, sah er die Ursache dafür in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Eine Gesamtzahl von weniger als 6.000 Mitgliedern führt zu einer erheblichen Beschränkung der Aktionsmöglichkeiten der Antragsgegnerin.

912

(2) Einer erfolgreichen Beteiligung der Antragsgegnerin an der politischen Willensbildung stehen deren eingeschränkter Mobilisierungsgrad (a) und ihre geringe Wirkkraft in die Gesellschaft (b) entgegen.

913

(a) Der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2014 stellt eine anhaltende Krise der Antragsgegnerin fest. Obwohl sie weiterhin die wirkmächtigste rechtsextreme Partei sei, leide sie unter innerparteilichen Querelen, sinkenden Mitgliederzahlen, ungelösten strategischen Fragen, finanziellen Problemen und dem anhängigen Verbotsverfahren (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 40 ff.).

914

Insbesondere in den alten Ländern erscheint die politische Aktionsfähigkeit der Antragsgegnerin erheblich eingeschränkt. So wird beispielsweise den Landesverbänden Bremen und Hessen eine zunehmende Handlungsunfähigkeit attestiert (vgl. Senator für Inneres und Sport Bremen, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 26; Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen 2014, S. 33). Auch der niedersächsische Landesverband wird als kaum noch aktions- und kampagnenfähig angesehen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2014, S. 42). In Schleswig-Holstein wird der Zustand der Antragsgegnerin als desolat beschrieben (vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 30).

915

Aber auch in den neuen Ländern sehen die Verfassungsschutzbehörden jedenfalls in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Kampagnenfähigkeit der Antragsgegnerin als stark eingeschränkt an. In Brandenburg unterhalte die Antragsgegnerin nur noch acht Kreisverbände. Die Aktivitäten und damit die öffentliche Wahrnehmbarkeit hänge an wenigen Protagonisten (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern und für Kommunales, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 29). Im Jahr 2013 seien alle Kampagnenversuche ins Leere gelaufen (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 149). In Sachsen-Anhalt wird dem Landesverband der Antragsgegnerin weitgehende Inaktivität bescheinigt. Auch von den Kreisverbänden seien lediglich vereinzelt regionale Aktionen durchgeführt worden (vgl. Sachsen-Anhalt, Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 78). Der Verfassungsschutzbericht 2013 des Freistaats Thüringen konstatiert eine erhebliche Beeinträchtigung der Aktions- und Mobilisierungsfähigkeit der Antragsgegnerin. Die Mehrzahl der Mitglieder vermittele den Eindruck, weder willens noch in der Lage zu sein, kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten (vgl. Freistaat Thüringen, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 22 f.).

916

(b) Nicht zuletzt aufgrund dieser strukturellen Defizite verfügt die Antragsgegnerin nur über eine geringe Wirkkraft in die Gesellschaft, die eine prägende Einflussnahme auf den Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln weitgehend ausschließt.

917

(aa) Der Sachverständige Prof. Jesse hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, bei der Antragsgegnerin handele es sich um eine isolierte, geächtete Partei, deren Kampagnenfähigkeit - soweit man überhaupt davon reden könne - in den letzten Jahren abgenommen habe. Auch der Sachverständige Prof. Kailitz hat in der mündlichen Verhandlung geäußert, die Antragsgegnerin sei gegenwärtig nicht in der Lage, die bürgerliche Mitte anzusprechen. Selbst in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern wird darauf verwiesen, dass angesichts großer Mobilisierungsprobleme für die Antragsgegnerin die Kooperation mit dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus existentiell sei (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 22). In der mündlichen Verhandlung erklärte der ehemalige Parteivorsitzende der Antragsgegnerin Holger Apfel, in der öffentlichen Wahrnehmung sei der Antragsgegnerin immer eine Bedeutung zugemessen worden, die der Wirklichkeit nicht entsprochen habe. Man habe in den Parlamenten bewusst Tabubrüche inszeniert, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen und den Eindruck einer schlagkräftigen, professionellen Organisation zu erwecken.

918

(bb) Der Befund geringer Wirkkraft in die Gesellschaft der Antragsgegnerin wird durch die Berichte der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bestätigt. Durchgängig weisen die Verfassungsschutzberichte der alten Länder für Veranstaltungen der Antragsgegnerin tendenziell rückläufige, unterhalb des dreistelligen Bereichs liegende Teilnehmerzahlen aus, während nicht selten die Zahl der Gegendemonstranten um ein Vielfaches höher gelegen habe (vgl. u.a. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 40; siehe auch: Verfassungsschutzbericht 2013, S. 86 f.; Innenministerium Baden-Württemberg, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 201; Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 99 f.; Senator für Inneres und Sport Bremen, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 26; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2014, S. 93; Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 45 f.; Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 35; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 39). Es gelinge der Antragsgegnerin nicht, Personen außerhalb des eigenen Mitgliederpotentials zu erreichen (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 45; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 31). In den neuen Ländern wird - abgesehen von den Anti-Asyl-Kampagnen der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 924 ff.) - ebenfalls festgestellt, dass die Mitglieder der Antragsgegnerin bei Veranstaltungen häufig unter sich blieben (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 36) und das bürgerliche Spektrum nicht erreicht werde (vgl. Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 65).

919

Auf die Feststellungen der Verfassungsschutzbehörden in der mündlichen Verhandlung angesprochen, erklärte der bayerische Staatsminister des Innern, die Antragsgegnerin versuche dem anhaltenden Mitgliederschwund in Bayern durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremen Gruppierungen und eine erhöhte Präsenz im Internet zu begegnen. Der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern verwies darauf, dass die Antragsgegnerin dort, wo sie staatlich alimentiert werde, bestrebt sei, ihre Position in der Fläche auszubauen. Dies steht der Feststellung nicht entgegen, dass es der Antragsgegnerin an Handlungsfähigkeit und Reichweite fehlt, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele im Wege der Beteiligung an der politischen Willensbildung durchzusetzen.

920

(3) Die Antragsgegnerin ist auch nicht in der Lage, ihre strukturellen Defizite und ihre geringe Wirkkraft in die Gesellschaft anderweitig zu kompensieren. Dass ihr dies durch ihre Öffentlichkeitsarbeit (a), die Umsetzung der "Kümmerer-Strategie" (b), die Konzentration auf den Protest gegen die Asyl- und Ausländerpolitik (c) oder das Bemühen um eine Bündelung aller "national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung (d) gelingen könnte, ist nicht ersichtlich. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände besteht für die Antragsgegnerin keine realistische Möglichkeit einer Durchsetzung ihrer verfassungswidrigen Ziele im Prozess freier und selbstbestimmter politischer Willensbildung.

921

(a) Die Antragsgegnerin betreibt insbesondere unter Rückgriff auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Sie verfügt über eine beachtliche Präsenz im Bereich der sozialen Medien. Es ist jedoch nicht feststellbar, dass es ihr damit gelingt, zusätzliche Unterstützung für die von ihr verfolgten Ziele zu gewinnen und ihre Wirkkraft in die Gesellschaft relevant zu erhöhen. Dies gilt auch hinsichtlich der von der Antragsgegnerin verantworteten Presseerzeugnisse und des Versuchs, durch die Verteilung von Schulhof-CDs mit rechtsradikalen Inhalten und vergleichbaren Kampagnen insbesondere Jugendliche an sich zu binden. Die niedrige Zahl von etwa 350 Mitgliedern der JN spricht dagegen, dass die jugendbezogenen Bemühungen der Antragsgegnerin zu einer Erhöhung ihrer Attraktivität und Durchschlagskraft bei dieser Bevölkerungsgruppe geführt haben. Auch der Antragsteller hat hierzu nichts vorgetragen. Anhaltspunkte für eine Erhöhung der Wirkkraft in die Gesellschaft der Antragsgegnerin aufgrund ihrer Öffentlichkeitsarbeit bestehen nicht.

922

(b) Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass es der Antragsgegnerin gelingt, im Wege "nationalrevolutionärer Graswurzelarbeit" die Akzeptanz für die Durchsetzung ihres verfassungswidrigen Konzepts zu verbessern. Die im Rahmen des "Kampfes um die Köpfe" zum Aufbau eines "Kümmerer"-Images von der Antragsgegnerin vorgesehenen Maßnahmen sind für sich genommen nicht auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet. Die bloße Beteiligung am örtlichen Gemeinschaftsleben oder die Gewährung persönlicher Hilfestellung stellt keine Bekämpfung der Verfassungsordnung dar. Relevanz im Parteiverbotsverfahren kann diese Arbeit daher nur erlangen, wenn es der Antragsgegnerin gelänge, auf diesem Weg die Zustimmung zu den von ihr vertretenen verfassungswidrigen Zielen zu erhöhen.

923

Dass die Antragsgegnerin derartige "Hebelwirkungen" in relevantem Umfang herbeizuführen vermag, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller schildert lediglich wenige Einzelfälle eines dem "Kümmerer"-Ansatz entsprechenden Engagements der Antragsgegnerin. Dazu zählen der Hinweis auf die Durchführung von Kinderfesten, die Teilnahme an einem Festumzug und einem Bootskorso, Bewerbungen um ein Amt als Schöffe oder eine Tätigkeit als Volkszähler, das Angebot von Hartz-IV-Beratungen und die Beteiligung an der Gründung des Sportvereins "Griese Gegend e.V." in Lübtheen. Es erscheint vor diesem Hintergrund bereits zweifelhaft, ob das "Kümmerer"-Engagement überhaupt in einem solchen Umfang stattfindet, dass das damit angestrebte Maß an persönlicher Zustimmung zu den Vertretern der Antragsgegnerin erreichbar ist. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass aufgrund dieses Engagements die vom Antragsteller behauptete "Infiltration" der Gesellschaft mit dem Gedankengut der Antragsgegnerin gelingt. Hinweise auf eine nachhaltige Verbesserung der gesellschaftlichen Verankerung der Antragsgegnerin fehlen. Die Behauptung des Antragstellers, seit Jahren erreiche die Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern eine bürgerliche Verankerung in weiten Teilen des Landes, wird durch das von ihm selbst vorgelegte Gutachten in dieser Allgemeinheit nicht gestützt. Die Darstellung ist vielmehr an der Beschreibung von Einzelfällen orientiert. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Prof. Borstel den Fokus seiner Ausführungen ausdrücklich auf die Gemeinde Anklam und die umliegenden Dörfer beschränkt (vgl. Rn. 942 ff.). Selbst wenn im Einzelfall von einer erhöhten Zustimmung zu Vertretern der Antragsgegnerin auszugehen sein sollte, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass damit die Akzeptanz ihres politischen Konzepts relevant erhöht wurde.

924

(c) Dies gilt im Ergebnis auch, soweit die Antragsgegnerin sich im Rahmen des "Kampfes um die Straße" auf gegen Asylbewerber und Minderheiten gerichtete Aktivitäten konzentriert. Dabei ist davon auszugehen, dass an den Protestkundgebungen der Antragsgegnerin auch Personen jenseits des Kreises ihrer Mitglieder und Anhänger in erheblicher Zahl teilgenommen haben. Dennoch kann auch unter Zugrundelegung des vom Antragsteller dargelegten Umfangs und der Teilnehmerzahl der Anti-Asyl-Veranstaltungen der Antragsgegnerin nicht ohne weiteres von einer Erhöhung der Zustimmung zu den von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Zielen und einer damit verbundenen Steigerung ihrer Wirkkraft in die Gesellschaft ausgegangen werden.

925

Vielmehr ist zwischen dem - im demokratischen Diskurs hinzunehmenden - (friedlichen) Protest gegen asylpolitische Entscheidungen oder gegen die Festlegung von Standorten für Flüchtlingsunterkünfte einerseits und der Unterstützung des von der Antragsgegnerin verfolgten Konzepts willkürlicher Diskriminierung aller ethnisch Nichtdeutschen andererseits zu unterscheiden. Zwar versucht die Antragsgegnerin, die Flüchtlings- und Asylproblematik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Allerdings agiert sie dabei häufig nicht im eigenen Namen, sondern unter dem Dach neutral erscheinender Organisationen wie der Bürgerinitiative "Nein zum Heim" in Sachsen. Tritt hingegen ihre Verantwortlichkeit für eine Veranstaltung offen zu Tage, sinken die Teilnehmerzahlen erheblich. So hat der Antragsteller selbst vorgetragen, dass, nachdem bei Veranstaltungen der MVGIDA die Dominanz der Antragsgegnerin nach außen erkennbar geworden sei, die Teilnehmerzahlen von circa 600 auf 120 (vgl. auch Rn. 931) gesunken seien. Ähnlich verhielt es sich bei den gegen ein örtliches Asylbewerberheim gerichteten "Schneeberger Lichtelläufen". Während an den ersten Veranstaltungen im Oktober/ November 2013 jeweils mehr als 1.500 Menschen teilnahmen, konnten für den vierten "Lichtellauf" am 25. Januar 2014, bei dem sich die Antragsgegnerin offensiver als Organisatorin in den Vordergrund stellte, nur noch rund 250 Teilnehmer mobilisiert werden, die zudem weitestgehend der Antragsgegnerin und ihrem Umfeld zuzuordnen waren (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 97). Dies dokumentiert, dass die Anti-Asyl-Initiativen der Antragsgegnerin zwar im Einzelfall zu nicht unerheblichen Mobilisierungserfolgen führen können. Es ist nicht erkennbar, dass damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz steigt und die Möglichkeit eröffnet wird, ihre verfassungsfeindlichen Ziele im politischen Willensbildungsprozess mit demokratischen Mitteln durchzusetzen. Auch der Antragsteller hat keine Belege dafür angeboten, dass es der Antragsgegnerin gelingt, mit ihren asyl- und ausländerpolitischen Aktivitäten zusätzliche Unterstützung oder Zustimmung zu ihren verfassungsfeindlichen Absichten in relevantem Umfang zu gewinnen.

926

(d) Schließlich ist eine ausreichende Stärkung der Schlagkraft der Antragsgegnerin im politischen Willensbildungsprozess durch eine Zusammenarbeit mit parteiungebundenen Kräften nicht zu erwarten. Dies gilt sowohl mit Blick auf den bewegungsförmigen Rechtsextremismus (aa) als auch hinsichtlich der Bewegungen gegen die vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" (bb).

927

(aa) Die Antragsgegnerin arbeitet auf der Grundlage bereits bestehender personeller Verflechtungen (vgl. Rn. 877 ff.) in regional unterschiedlicher Intensität mit den Organisationen des parteiungebundenen Rechtsextremismus zusammen. Besonders intensiv stellt sich diese Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern und - vor allem vermittelt über die JN - in Sachsen dar (vgl. Rn. 886 ff.).

928

Dies allein rechtfertigt die Annahme eines erfolgreichen Bestehens des "Kampfes um den organisierten Willen" durch die Antragsgegnerin jedoch nicht. Vielmehr ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, eine "Bündelung aller national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung zu erreichen. Die Zusammenarbeit mit den freien Kräften erfolgt einzelfallbezogen und ist nicht organisatorisch verfestigt. Eine Führungsrolle gegenüber den rechten Kameradschaften und sonstigen Kräften der ungebundenen rechten Szene kommt der Antragsgegnerin nicht zu. Dies gilt auch für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. In dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten wird sogar behauptet, die Antragsgegnerin werde in Mecklenburg-Vorpommern in weiten Teilen von Mitgliedern freier Netze und Kameradschaften dominiert und im Sinne der Systemüberwindung benutzt (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 44). Auch die Einbindung von Vertretern rechtsextremer Organisationen durch die Beschäftigung als Mitarbeiter von Abgeordneten oder Parlamentsfraktionen der Antragsgegnerin hat nicht zur Folge, dass diese als deren Vorfeldorganisationen angesehen werden können.

929

Der Sachverständige Prof. Jesse hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass aus seiner Sicht die freien Kameradschaften nicht auf die Antragsgegnerin angewiesen seien, wohl aber diese auf die freien Kameradschaften. Auch in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten von Prof. Borstel werden für die Antragsgegnerin Kooperationen mit dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus als existentiell bewertet. Diese Kooperationen seien aber temporär und regional. Einer dauerhaften Einbindung der Kameradschaften und freien Netzwerke stünde deren Selbstverständnis als Gruppen des außerparlamentarischen Widerstands entgegen (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 22).

930

Unter ergänzender Berücksichtigung des Umstands, dass selbst im Bereich des parteigebundenen Rechtsextremismus der Antragsgegnerin mit der Etablierung von Organisationen wie "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" Wettbewerber entstanden sind, die insbesondere radikalere Kräfte ansprechen (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 69), ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in der Lage ist, durch die Bildung rechtsextremer Netzwerke unter ihrer Führung ihre politische Reichweite in einem Umfang zu erhöhen, der eine Durchsetzung ihrer Ziele mit demokratischen Mitteln ermöglicht (zur Zurechnung strafbaren Handelns der freien Szene zur Antragsgegnerin vgl. Rn. 979).

931

(bb) Auch das Bestreben der Antragsgegnerin, als relevanter Teil des Protests gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes" wahrgenommen zu werden, eröffnet die Perspektive einer Umsetzung ihres verfassungsfeindlichen Konzepts mit demokratischen Mitteln nicht. Der Antragsteller selbst verweist darauf, dass es der Antragsgegnerin als Partei verwehrt sei, an den Veranstaltungen der PEGIDA in Dresden teilzunehmen, und dass im Übrigen ihre Partizipationsmöglichkeiten unterschiedlich ausfielen. Dass es der Antragsgegnerin durchgängig gelungen wäre, die Potentiale der GIDA-Bewegungen für sich zu nutzen, ist nicht ersichtlich. Dabei mag dahinstehen, ob ihr - wie vom Antragsteller behauptet - zumindest bei Veranstaltungen der THÜGIDA und der MVGIDA eine wesentliche Rolle zukommt. Daraus allein lässt sich eine hinreichende Erweiterung ihrer Wirkkraft in die Gesellschaft nicht ableiten, zumal der Antragsteller selbst darauf hingewiesen hat, dass, nachdem bei den Veranstaltungen der MVGIDA die Dominanz der Antragsgegnerin offenbar geworden sei, die Teilnehmerzahlen von circa 600 auf 120 gesunken seien (vgl. Rn. 925).

932

Insgesamt ist festzustellen, dass es der Antragsgegnerin nicht gelungen ist, den von ihr proklamierten "Kampf um den organisierten Willen" erfolgreich zu gestalten. Ihr kommt keine Führungsrolle gegenüber dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus zu. Einer Bündelung der "national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung steht bereits das Selbstverständnis der parteiungebundenen Gruppierungen entgegen. Zusätzliche Mobilisierungsmöglichkeiten ergeben sich für die Antragsgegnerin daher nur in sehr begrenztem Umfang. Die Chance auf eine erfolgreiche Gestaltung des Prozesses demokratischer Willensbildung im Sinne der Antragsgegnerin wird auf diese Weise nicht eröffnet.

933

b) Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die darauf hindeuten, dass die Antragsgegnerin in einer das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" erfüllenden Weise die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes überschreitet (vgl. Rn. 588), liegen ebenfalls nicht vor. Die Antragsgegnerin vermag Dominanzansprüche in abgegrenzten Sozialräumen nicht in relevantem Umfang zu verwirklichen (aa). Auch ist die Annahme einer ihr zurechenbaren Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten nicht belegbar (bb). Schließlich fehlen hinreichende Anhaltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durch die Antragsgegnerin, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führt oder führen könnte (cc). Der Umstand, dass die Antragsgegnerin durch einschüchterndes oder kriminelles Verhalten von Mitgliedern und Anhängern punktuell eine nachvollziehbare Besorgnis um die Freiheit des politischen Prozesses oder gar Angst vor gewalttätigen Übergriffen auszulösen vermag, ist nicht zu verkennen, erreicht aber die durch Art. 21 Abs. 2 GG markierte Schwelle nicht (dd).

934

aa) Dass die Antragsgegnerin in relevantem Umfang räumliche Dominanzansprüche in einer die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung ausschließenden Weise durchzusetzen vermag, ist nicht erkennbar. "National befreite Zonen" existieren nicht (1). Der Kleinstort Jamel stellt einen nicht übertragbaren Sonderfall dar (2). Ansonsten fehlt es an der Fähigkeit der Antragsgegnerin, ihr räumliches Dominanzstreben in einer demokratische Rechte verletzenden Weise umzusetzen (3).

935

(1) Entgegen seiner ursprünglichen Behauptung hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. August 2015 eingeräumt, dass es "vollständig national befreite Zonen" im Sinne der rechtsextremistischen Raumordnungstheorie in Deutschland nicht gebe. Stattdessen erfolge die Verwirklichung des räumlichen Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin graduell unterschiedlich.

936

(2) Der Kleinstort Jamel stellt in diesem Zusammenhang einen Sonderfall dar, der nicht verallgemeinerungsfähig ist. Dabei ist es der Antragsgegnerin selbst in diesem Fall nicht gelungen, ihren Dominanzanspruch uneingeschränkt durchzusetzen.

937

Das bei Wismar am Ende einer Sackgasse gelegene Dorf Jamel hat nach Auskunft des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung 47 Einwohner, davon 17 Kinder. Die Mehrheit der erwachsenen Einwohner sei dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Zentrale Figur des Ortes ist der Abbruchunternehmer und ehemalige Beisitzer des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern der Antragsgegnerin K. Dieser ist Eigentümer des "Thinghauses" in Grevesmühlen, in dem sich unter anderem ein "Bürgerbüro" der ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Köster befand, und auf dessen Gelände 2011 ein Holzkohlegrill mit der Aufschrift "Happy Holocaust" gesichtet wurde. Seine Frau K. ist ehemalige Landesvorsitzende des RNF. Ebenfalls in Jamel ansässig ist die Familie des ehemaligen Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin S. Insgesamt sollen unter sechs der zehn Anschriften rechtsextremistische Personen gemeldet sein.

938

Die Majorisierung des Ortes durch Rechtsextremisten findet Ausdruck im Dorfbild. Markant sind vor allem ein hölzerner Wegweiser, der unter anderem Richtung und Entfernung nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, und nach der mit dem Zusatz "Ostmark" versehenen Stadt Wien aufweist, sowie das Wandgemälde einer traditionell gekleideten Familie mit dem in Frakturschrift ausgeführten Schriftzug "Dorfgemeinschaft Jamel - frei-sozial-national". In Jamel werden rechtsextremistische Veranstaltungen und Konzerte mit überregionaler Beteiligung durchgeführt. So fand am 20. Juni 2015 das "11. nationale Kinderfest" mit anschließender Sonnwendfeier statt, an der circa 150 Rechtsextremisten, darunter die ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Petereit, der Landesvorsitzende Köster sowie die RNF-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern Antje Mentzel teilnahmen.

939

Auch in Jamel ansässig ist ein Ehepaar, das sich gegen neonazistisches Denken wendet und jährlich ein Musikfestival gegen rechts ("Jamel rockt den Förster") durchführt. Im Jahr 2010 kam es ausweislich des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Grevesmühlen vom 31. August 2011 (6 Ds 205/11) bei diesem Festival zu einem tätlichen Angriff, als der im Unternehmen des K. beschäftigte M. mit den Worten "Ich bin ein Nazi" einem Festivalteilnehmer mehrere Faustschläge versetzte. Darüber hinaus wurde in der Nacht vom 12. auf den 13. August 2015 die neben dem Wohnhaus des Ehepaars befindliche Scheune durch Brandstiftung zerstört (zur Zurechenbarkeit dieses Vorfalls zur Antragsgegnerin vgl. Rn. 960). Bereits 2011 soll der Vater des damaligen Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin S. das Ehepaar mit den Worten bedroht haben: "Sie sollten an mich verkaufen, so lange Sie noch können". Nach der Darstellung des Antragstellers ist das Ehepaar regelmäßigen anonymen Bedrohungs- und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.

940

Insgesamt besteht kein Zweifel, dass es sich bei Jamel um einen durch rechtsextremes Denken geprägten Ort handelt. Allerdings liegt insoweit ein auf wenige Personen begrenzter, singulärer Sonderfall vor. Eine Übertragbarkeit der Verhältnisse in Jamel auf andere, insbesondere größere Ortschaften ist - wie auch der Sachverständige Prof. Jesse in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - nicht möglich. Daher ergibt sich - ungeachtet der Frage, inwieweit die Verhältnisse in Jamel der Antragsgegnerin zugerechnet werden können - hieraus kein ausreichender Beleg für die Möglichkeit der Antragsgegnerin, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch die Errichtung von Dominanzzonen in abgegrenzten Sozialräumen durchzusetzen.

941

(3) Weitere Beispiele erfolgreicher Umsetzung räumlicher Dominanzansprüche der Antragsgegnerin sind nicht bekannt.

942

(a) Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Hansestadt Anklam in Mecklenburg-Vorpommern um eine Zone kultureller Hegemonie der Antragsgegnerin handelt. Zwar bezeichnet der rechtsextreme Internetauftritt "Freies Pommern" Anklam in einem Beitrag vom 14. Juli 2010 sogar als "national befreite Zone". Tatsächlich fehlt es aber an belastbaren Anhaltspunkten, für die Annahme, dass in Anklam eine Dominanz der Antragsgegnerin vorliegt, die die Freiheit der politischen Willensbildung in einem relevanten Maß zu beeinträchtigen geeignet ist.

943

(aa) Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf eine im Eigentum der Mitglieder des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern H. und W. stehende Immobilie verweist, die als "nationales Begegnungszentrum" Sitz des Landesverbands der Antragsgegnerin sowie überregionaler Anlaufpunkt für Rechtsextremisten sei und in welcher der Verfahrensbevollmächtigte zu 2. der Antragsgegnerin ein Bürgerbüro als ehemaliger Landtagsabgeordneter betreibe, kann daraus nicht auf die Durchsetzung von Dominanzansprüchen geschlossen werden. Dies gilt unabhängig davon, welche Veranstaltungen in diesem Begegnungszentrum angeboten werden, da für eine hiervon ausgehende, das gesellschaftliche oder politische Leben in Anklam beeinträchtigende Außenwirkung nichts ersichtlich ist.

944

(bb) Auch die Durchführung einer Demonstration am 31. Juli 2010 unter dem Motto "Gegen kinderfeindliche Bonzen - für eine lebenswerte Zukunft in unserer Heimat - Freiheit statt BRD", zu der die Antragsgegnerin gemeinsam mit den Organisationen "Nationale Sozialisten Mecklenburg" und "Freies Pommern" aufgerufen hat, belegt eine Dominanz der Antragsgegnerin in Anklam nicht. Der Antragsteller verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in der vorhergehenden Nacht von der Stadt aufgestellte Schilder mit dem Text "Kein Ort für Neonazis" entfernt, rund zweihundert Plakate abgehängt, sechs Großaufsteller an den Zufahrtsstraßen zerstört und ein Transparent am Stadttor mit Farbbeuteln beworfen worden seien. In der Stadt habe sich niemand gefunden, der Anzeige erstattet hätte. Viele Geschäftsleute hätten zuvor Angst gehabt, Plakate gegen Rechtsextremisten in ihre Schaufenster zu hängen.

945

Diesem auf ein punktuelles Ereignis beschränkten Vortrag lässt sich eine Dominanz der Antragsgegnerin gleichwohl nicht entnehmen. Die nächtliche Beschädigung der von der Stadtverwaltung angebrachten Plakate rechtfertigt eine solche Annahme nicht, zumal nicht feststellbar ist, wer hierfür die Verantwortung trägt.

946

(cc) Einer dominierenden Stellung der Antragsgegnerin widerspricht im Übrigen, dass sie bei den Wahlen zur Stadtvertreterversammlung 2014 lediglich ein Ergebnis von 9,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen erzielte und dementsprechend nur zwei von 25 Stadtverordneten stellt. Außerdem sind in Anklam mehrere gegen den Rechtsextremismus gerichtete Initiativen tätig. Dazu zählt etwa ein Büro des "Regionalzentrums für demokratische Kultur". Ergänzend hat die Antragsgegnerin auf einen durch die Zentrale für politische Bildung geförderten "Demokratieladen" und den vom Stadtjugendring Greifswald betriebenen "Demokratiebahnhof" verwiesen. Schließlich vermag auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Borstel in der mündlichen Verhandlung, dass die Normalisierung und Erfahrbarkeit des Rechtsextremismus im unmittelbaren Nahfeld zur Entstehung von subjektiven Angstphänomenen führen und Distanzierungen erschweren könnten, die Einschätzung nicht zu rechtfertigen, dass die Antragsgegnerin in Anklam über eine Position verfügt, die die gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung nicht mehr gewährleistet.

947

(b) Nichts anderes gilt für das vom Antragsteller als weiteres Beispiel einer Dominanzzone der Antragsgegnerin angeführte Lübtheen. Die Tatsache, dass aufgrund möglicherweise gezielter Zuzüge in Lübtheen mehrere führende Funktionäre der Antragsgegnerin - einschließlich der ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Köster sowie des ehemaligen Geschäftsführers der Landtagsfraktion G. - wohnen und aktiv sind, genügt für die Annahme einer Dominanzsituation nicht. Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerin eine prominent im Ortszentrum gelegene Immobilie nutzt und ihre Vertreter bei Veranstaltungen auch dann Präsenz zeigen, wenn diese gegen den Rechtsextremismus gerichtet sind.

948

Der Antragsteller verweist insoweit auf ein Gebäude am Ernst-Thälmann-Platz, in dem sich die Bundesgeschäftsstelle der JN und ein Bürgerbüro befänden, sowie auf Vorträge zu Themen wie "Brauchtumspflege als Bestandteil des Volkstums!" am 28. September 2012 und "Europa am Abgrund!" am 30. Mai 2012. Weiterhin führt er aus, dass - ähnlich wie schon zur 650-Jahrfeier in Lübtheen - beim "Lindenfest" 2010 die Funktionäre der Antragsgegnerin Pastörs, T. und K. erschienen seien, Flugblätter verteilt hätten und NPD-Ballons hätten aufsteigen lassen. In einem Kommentar vom 18. September 2010 auf www.mupinfo.de habe es dazu geheißen:

Dies zeigt einmal mehr mit aller Deutlichkeit, daß die Nationalisten aus dem Stadtbild Lübtheens einfach nicht mehr wegzudenken sind und im wahrsten Sinne des Wortes aus der Mitte des VoIkes kommen.

949

All dies genügt jedoch nicht, um eine dominierende Stellung der Antragsgegnerin in Lübtheen zu begründen. Die bloße Präsenz einzelner Vertreter der Antragsgegnerin bei öffentlichen Veranstaltungen tangiert für sich genommen die Freiheit der politischen Willensbildung nicht. Gegen eine Dominanz der Antragsgegnerin spricht auch hier, dass sie bei der Kommunalwahl 2014 ein Ergebnis von 10,7 % der abgegebenen gültigen Stimmen erzielte und demgemäß nur über zwei von 17 Mandaten in der Stadtvertretung verfügt. Der Antragsteller räumt außerdem selbst ein, dass die Antragsgegnerin nicht zuletzt aufgrund einer von der Bürgermeisterin initiierten Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus ihren Dominanzanspruch nicht vollständig realisieren könne. Soweit er dabei geltend macht, die Antragsgegnerin sei in Lübtheen ein Stück Normalität geworden, und es bestünden Hemmungen, gegen Pastörs und seine Anhänger öffentlich etwas Negatives zu sagen, bleiben diese Ausführungen spekulativ. Soweit der Antragsteller darauf verweist, es sei auch zu aggressiven Einschüchterungsversuchen gekommen, wird dies nicht mit Tatsachen unterlegt.

950

(c) Hinsichtlich der Auflistung mehrerer Initiativen der JN, die sich gegen Kriminalität und Überfremdung richten und in Aufklebern und Demonstrationsaufrufen formulieren "Hol Dir Deine Stadt zurück!" beziehungsweise "Unser Kiez, unsere Stadt und unsere Regeln" kann dahinstehen, ob es sich dabei - wie der Antragsteller meint - um ein die Grenzen des politischen Meinungskampfes überschreitendes provokatives Auftreten handelt. Ein Eingriff in die Möglichkeit freier und selbstbestimmter Willensbildung ist damit jedenfalls nicht verbunden.

951

bb) Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Antragsgegnerin eine Grundtendenz besteht, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen. Weder kann der Antragsgegnerin die Gesamtentwicklung im Bereich ausländerfeindlicher Straftaten zur Last gelegt werden (1), noch ist aufgrund einer Gesamtschau des strafrechtlich relevanten Verhaltens ihrer Mitglieder die Bereitschaft der Antragsgegnerin hinreichend belegt, ihre verfassungsfeindlichen Ziele mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten zu verfolgen (2). Soweit einzelne Gewalttätigkeiten oder sonstige Straftaten von Mitgliedern der Antragsgegnerin belegbar sind, genügen diese nicht, um bei ihr eine Grundtendenz feststellen zu können, ihre verfassungsfeindlichen Absichten gezielt im Wege des Rechtsbruchs durchzusetzen (3).

952

(1) Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass die Antragsgegnerin sich in einem Gesamtmilieu bewege, das überdurchschnittliche Kriminalitätswerte aufweise, und dass mit 1.031 Straftaten (davon 177 Gewaltdelikte) im Jahr 2015 die Zahl der Übergriffe auf Asylunterkünfte einen Höchststand erreicht habe, kann dies der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Erforderlich für eine derartige Zurechnung wäre, dass sich das rechtswidrige Handeln als Teil der verfassungswidrigen Bemühungen der Antragsgegnerin darstellt (vgl. Rn. 565 f.). Dies setzt voraus, dass sie entweder zu den jeweiligen Straftaten beigetragen oder sich diese zumindest im Nachhinein zu eigen gemacht hat. Hierfür genügt es nicht, dass die Antragsgegnerin durch ihre menschenverachtende Agitation an der Schaffung eines ausländerfeindlichen Klimas beteiligt ist. Das verkennt der Antragsteller, wenn er hervorhebt, bei den "Übergriffen" auf Asylunterkünfte handele es sich um eine konsequente Umsetzung der fremdenfeindlichen Ideologie der Antragsgegnerin. Zwar entspricht die Ausgrenzung von Asylbewerbern ihrer politischen Programmatik. Damit allein lässt sich jedoch nicht ohne weiteres belegen, dass sie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte als geeignete Mittel zur Durchsetzung dieser Forderungen ansieht oder in sonstiger Weise billigt. Erforderlich wären vielmehr konkrete Umstände, aus denen sich eine solche Billigung von Anschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen durch die Antragsgegnerin ergibt. Eine pauschale Zurechnung ausländerfeindlicher Straftaten zur Antragsgegnerin kommt nicht in Betracht.

953

(2) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich die Bereitschaft der Antragsgegnerin zur Anwendung von Gewalt oder zur Begehung von Straftaten als Mittel zur Durchsetzung ihrer verfassungswidrigen Ziele auch nicht aus einer allgemein mangelhaften Rechtstreue ihrer Anhänger. Dem steht bereits entgegen, dass die vorliegenden Belege nicht ausreichen, um die Behauptung einer grundsätzlichen, das Handeln der Antragsgegnerin insgesamt prägenden Missachtung strafrechtlicher Verbote und des staatlichen Gewaltmonopols zu belegen.

954

(a) Unverwertbar ist in diesem Zusammenhang die vom Antragsteller vorgelegte anonymisierte Statistik des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Straffälligkeit der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen. Der Untersuchung ist nicht zu entnehmen, inwieweit die aufgeführten Delikte politisch motiviert waren und als Ausdruck des Parteiwillens angesehen werden können.

955

(b) Soweit der Antragsteller auf den Hinweis der Unverwertbarkeit der vorgenannten Statistik reagiert und insgesamt 57 strafrechtliche Verurteilungen von Funktionären der Antragsgegnerin aufgelistet hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ein erheblicher Teil dieser Verurteilungen hatte - wie sich aus den beigezogenen Akten ergibt - keinen politischen Hintergrund und ist daher nicht als Teil der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Antragsgegnerin anzusehen. Bei einer Reihe weiterer Straftaten ist dieser politische Hintergrund zumindest zweifelhaft. Worin etwa das im vorliegenden Zusammenhang relevante "spezifische Gewaltpotential" beispielsweise bei einer versuchten Körperverletzung am Rande eines Fußballspiels (AG Hannover, Urteil vom 10. November 2000 - 248 Ds 123 b Js 49546/00 -) oder bei einer tätlichen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall (AG Wanzleben, Urteil vom 13. Oktober 1997 - 6 Ds 753 Js 39724/96 -) liegen soll, erschließt sich nicht. Hinzu kommt, dass die Verurteilungen einen Zeitraum von 25 Jahren umfassen, zu einem erheblichen Teil reine Propagandadelikte betreffen, teilweise nach Jugendstrafrecht erfolgten und überwiegend der leichten Kriminalität zuzuordnen sind. Zahl, Gegenstand und Schwere der aufgelisteten Straftaten einzelner Mitglieder der Antragsgegnerin genügen daher nicht, um ihr die Absicht einer Durchsetzung ihrer politischen Ziele mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten unterstellen zu können.

956

(3) Auch die vom Antragsteller im Einzelnen dargestellten Ereignisse und Sachverhalte reichen nicht aus, um eine das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllende Gewaltbereitschaft oder mangelnde Rechtstreue der Antragsgegnerin annehmen zu können. Soweit eine Berücksichtigung nicht bereits mangels Rechtswidrigkeit (a) oder Zurechenbarkeit (b) der Sachverhalte ausscheidet, genügen die verbleibenden Einzelfälle nicht, um eine Grundtendenz der Antragsgegnerin zur Anwendung von Gewalt oder zur Begehung von Straftaten als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu bejahen (c).

957

(a) (aa) Von vornherein außer Betracht zu bleiben haben die Aufrufe einzelner Führungspersönlichkeiten der Antragsgegnerin zur revolutionären Überwindung des bestehenden parlamentarischen Systems und zum Rückgriff auf das Widerstandsrecht. Sie sind allgemein gehalten und nicht mit der Aufforderung zur Begehung konkreter Straftaten verbunden. Dies gilt auch für den Brief, den der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin im Februar 2016 an öffentlich Bedienstete gerichtet hat. Dieser mag ein abwegiges Verständnis des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG offenbaren. Eine Aufforderung zur Begehung konkreter Straftaten und damit ein Indiz dafür, dass die Antragsgegnerin auf diesem Weg ihre verfassungswidrigen Absichten durchzusetzen vermag, enthält er aber nicht.

958

(bb) Das auf "Bürgerwehren" bezogene Engagement der Antragsgegnerin überschreitet bisher die rechtlich vorgegebenen Grenzen nicht. Zwar wird die Forderung nach der Einrichtung von Bürgerwehren teilweise in fremdenfeindlicher und menschenverachtender Weise begründet. Dass sich diese Bürgerwehren ihnen nicht zustehende Befugnisse anmaßen oder nach dem Willen der Antragsgegnerin anmaßen sollen, ist jedoch nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die vom Antragsteller besonders hervorgehobene "Bürgerwehr Güstrow". Dass Teilnehmer an diesen Streifengängen anderweitig strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, ist insoweit ohne Belang. Daher kann aus den "Bürgerwehr"-Aktivitäten der Antragsgegnerin jedenfalls bisher nicht auf ihre Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt oder zu rechtswidrigem Vorgehen geschlossen werden. Ebenso wenig ergibt sich dies aus dem Angebot von sogenannten Nervendruckseminaren durch die Antragsgegnerin.

959

(b) Die vom Antragsteller geschilderten tätlichen Auseinandersetzungen und sonstigen Straftaten können der Antragsgegnerin nicht uneingeschränkt zugerechnet werden.

960

(aa) Da die Verursacher der Brandanschläge auf die Scheune in Jamel und eine als Notunterkunft für Asylbewerber geplante Turnhalle in Nauen bislang nicht ermittelt werden konnten und die Antragsgegnerin sich auch nicht zustimmend zu diesen Vorfällen verhalten hat, kommt eine Berücksichtigung dieser Vorfälle zu ihren Lasten nicht in Betracht. Gleiches gilt für die Beschädigung und Entfernung von Plakaten im Vorfeld der Demonstration vom 31. Juli 2010 in Anklam. Der tätliche Angriff auf einen Teilnehmer des Festivals "Jamel rockt den Förster" im Jahr 2010 kann der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zugerechnet werden, da nicht erkennbar ist, dass es sich bei dem Täter um ein Mitglied oder einen Anhänger der Antragsgegnerin gehandelt hat.

961

Soweit der Antragsteller schildert, in Güstrow sei die Leiterin einer soziokulturellen Begegnungsstätte, die sich engagiert gegen Rechtsextremismus einsetze, nicht nur regelmäßig bedroht worden, sondern es sei auch zu Sachbeschädigungen wie dem Aufbrechen der Tür ihres Wohnhauses und Vandalismus innerhalb der Räume der "Villa Kunterbündnis" gekommen, so dass die Polizei eine Schutzmaßnahme angeordnet habe, ist nicht erkennbar, dass diese Taten durch Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin begangen wurden. Insbesondere für eine Beteiligung des Stadtvertreters der Antragsgegnerin M. an strafrechtlich relevantem Verhalten gegenüber der Leiterin der Begegnungsstätte fehlen belastbare Anhaltspunkte. Der Hinweis des Antragstellers, M. sei in einem anderen Zusammenhang wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden und wirke am Aufbau von Drohkulissen sowie herabwürdigenden Kampagnen gegen die Leiterin der Begegnungsstätte mit, vermag eine Beteiligung an konkret gegen sie gerichteten Straftaten nicht zu belegen. Dies kann allenfalls bei der Frage, ob es der Antragsgegnerin gelingt, unabhängig von strafrechtlich relevantem Verhalten ein "Klima der Angst" zu schaffen und dadurch die freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung zu beeinträchtigen, berücksichtigt werden (vgl. dazu sogleich Rn. 1004).

962

Ebenfalls nicht feststellbar ist eine Beteiligung der Antragsgegnerin am Besprühen beziehungsweise Beschmieren von zur Erinnerung an jüdische Mitbürger verlegten sogenannten "Stolpersteinen" in Demmin am 19. August 2010 und in Ueckermünde am 20. August 2010. Die gleichzeitig in Ueckermünde geklebten Plakate sprechen eher für eine Aktion aus dem Bereich des bewegungsförmigen Rechtsextremismus. Jedenfalls fehlt es, selbst wenn in Demmin ein Tatverdächtiger angab, seit 2006 Mitglied der Antragsgegnerin zu sein, an einer rechtskräftigen Feststellung der Täterschaft und damit an der Möglichkeit der Zurechnung zur Antragsgegnerin.

963

Ebenso wenig können die Ausschreitungen vom 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz der Antragsgegnerin zugerechnet werden. Eine Beteiligung ihrer Mitglieder oder Anhänger an diesen Ausschreitungen ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht behauptet. Soweit er demgegenüber darauf verweist, der Vorsitzende des Kreisverbands Leipzig der Antragsgegnerin habe diese Vorfälle positiv kommentiert und dadurch die Situation angeheizt, steht einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin entgegen, dass der Kreisvorsitzende nach deren unwidersprochenem Vortrag unmittelbar im Anschluss an diesen Vorgang seines Amts enthoben worden sei und die Partei sodann freiwillig verlassen habe. Da nicht feststellbar ist, dass es sich dabei um ein rein prozesstaktisches Verhalten handelt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin sich - vermittelt durch die Äußerungen des damaligen Kreisvorsitzenden - die Gewalttätigkeiten vom 11. Januar 2016 nachträglich zu eigen gemacht hat.

964

(bb) Auch eine Zurechnung der Krawalle im Anschluss an die Demonstrationen der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2015 in Dresden und vom 21. August 2015 in Heidenau scheidet aus.

965

(α) Die in Dresden am 24. Juli 2015 veranstaltete Demonstration unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße!" wurde durch ein Mitglied der Antragsgegnerin angemeldet und als Veranstaltung der Partei beworben. An der Kundgebung nahmen etwa 180 Personen teil, denen etwa 250 Gegendemonstranten gegenüberstanden (vgl. Nattke, in: Lichdi , Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?, 2016, S. 64). Im Nachgang zu dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf drei Gegendemonstranten verletzt, 15 Asylbefürworter attackiert und Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes angegriffen wurden. Nach Darstellung des Antragstellers waren der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau und ein weiterer Anhänger der Antragsgegnerin sowie drei weitere Demonstrationsteilnehmer an den Ausschreitungen beteiligt.

966

Dies allein genügt jedoch nicht, um die Ausschreitungen in ihrer Gesamtheit der Antragsgegnerin zuzurechnen. Die Gewalttätigkeiten fanden nicht im Rahmen der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstration, sondern erst nach deren Abschluss statt. Dass die Antragsgegnerin zu diesen Auseinandersetzungen aufgerufen oder sie in sonstiger Weise herbeigeführt hat, ist nicht ersichtlich. Sie hat die Krawalle auch im Nachhinein nicht gebilligt. Die Personen, die für die Gewaltausübung verantwortlich waren und deren Taten am 24. Juli 2015 einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, sollen weder in der Antragsgegnerin organisiert, noch von dieser steuerbar gewesen sein (vgl. Nattke, a.a.O., S. 65). Demgemäß kommt eine Zurechnung zur Antragsgegnerin nicht bezogen auf die Ausschreitungen als solche in Betracht, sondern allenfalls bezogen auf das Verhalten ihrer beiden Anhänger im Rahmen der Ausschreitungen (vgl. Rn. 975), da die Antragsgegnerin sich davon nicht ausdrücklich distanziert hat.

967

(β) Nichts anderes gilt hinsichtlich der Krawalle, die sich nach der Protestkundgebung der Antragsgegnerin am 21. August 2015 in Heidenau ereigneten und in deren Verlauf unter anderem 31 Polizeibeamte verletzt wurden. Auch hier fanden die Ausschreitungen nicht im Rahmen der von R. angemeldeten Kundgebung, sondern erst nach deren Abschluss statt. Ebenso ist eine Herbeiführung der Krawalle durch die Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Der Antragsteller behauptet zwar, innerhalb des von R. geleiteten Aufzugs seien Zettel mit der Information verteilt worden, sich eine halbe Stunde nach Versammlungsende in Kleingruppen in Richtung Erstaufnahmeeinrichtung zu begeben, um eine Blockade durchzuführen. Dafür legt er jedoch keine Belege vor, so dass diese Behauptung nicht verifiziert werden kann. Es bleibt unklar, ob diese Handzettel überhaupt verteilt wurden, wer dafür verantwortlich war und inwieweit die Antragsgegnerin dies hätte verhindern können. An den Ausschreitungen selbst waren - soweit ersichtlich - keine Mitglieder der Antragsgegnerin beteiligt. Die Protagonisten der Gewalttätigkeiten sind in der Vergangenheit vielmehr als Hooligans von Dynamo Dresden in Erscheinung getreten (vgl. Nattke, a.a.O., S. 71). Anhaltspunkte für eine Lenkung der Ausschreitungen durch die Antragsgegnerin fehlen. Die Krawalle können ihr daher nicht zugerechnet werden.

968

(cc) Auch eine Zurechnung der Angriffe gegen Wahlkreisbüros anderer Parteien in Mecklenburg-Vorpommern scheidet aus. Da die Täter dieser Anschläge nicht ermittelt werden konnten, kann nicht unterstellt werden, dass Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin an der Ausführung dieser Anschläge beteiligt waren. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin sich diese Anschläge zu eigen gemacht hat.

969

Zwar wurde am 18. April 2010 auf der von David Petereit verantworteten Internetseite www.mupinfo.de ein Artikel unter der Überschrift "Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt" veröffentlicht, der Bezug auf vorausgegangene Anschläge auf Bürgerbüros der SPD nahm, eine Auflistung sämtlicher Bürgerbüros der CDU, FDP und SPD sowie der Partei DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern einschließlich der vollständigen Büroanschriften enthielt und explizit zum Besuch der Bürgerbüros aufrief, da diese nicht flächendeckend geschützt werden könnten. Selbst wenn dieser Aufruf - wie der Antragsteller behauptet - ironisch zu verstehen ist, genügt dies nicht, um darin zweifelsfrei eine versteckte Aufforderung zur Begehung weiterer Anschläge sehen zu können. Ferner kann im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin diese Anschläge nachträglich gebilligt hat. Die Berichterstattung über diese Anschläge auf www.mupinfo.de und in dem von der Antragsgegnerin verantworteten "Uecker-Randow-Boten" vermögen dies jedenfalls nicht zweifelsfrei zu belegen. Auch wenn diese Berichte durch eine unangemessene Wortwahl geprägt sind (www.mupinfo.de vom 11. Mai 2010: "Entglasung"; 27. Mai 2010: "Einzelwertung", "Mannschaftswertung" bezogen auf die Zahl der Anschläge; 31. Mai 2010: "Jammergestalten"), enthalten sie durchgängig eine Distanzierung "von Tätern und Opfern gleichermaßen" (vgl. www.mupinfo.de vom 23. Mai und 7. Juni 2010). Ebenso wenig kann der den Landtagsabgeordneten Dahlemann verhöhnende Artikel im "Uecker-Randow-Boten" (Ausgabe Frühling 2014, S. 4) zweifelsfrei als Aufforderung zu dem Anschlag vom 5. Mai 2014 angesehen werden, bei dem unbekannte Täter mit Steinen zwei Fenster des Bürgerbüros einwarfen. Die bloße Berichterstattung über diesen Anschlag auf www.mupinfo.de am 6. Mai 2014 reicht für die Annahme seiner Billigung durch die Antragsgegnerin nicht aus.

970

(c) Es verbleibt damit lediglich eine begrenzte Zahl von Gewalttaten unter Beteiligung von Mitgliedern und Anhängern der Antragsgegnerin (aa), die aber nicht ausreichen, um ihr eine Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten nachweisen zu können (bb).

971

(aa) (α) Hierzu zählt der Angriff von JN-Funktionären auf eine DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar. Laut einer LKA-Erkenntnisanfrage vom selben Tag kam es zu einer überfallartigen Situation mit tätlichen Übergriffen auf die sonstigen Veranstaltungsteilnehmer. Gegen insgesamt 34 Personen wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Unter den vorläufig festgenommenen 27 Tatverdächtigen befanden sich der stellvertretende JN-Bundesvorsitzende G., der stellvertretende JN-Landesvorsitzende Hessen H. und der Landesvorsitzende der JN-Sachsen R.

972

Führende Vertreter der Antragsgegnerin haben den Anschlag nachträglich gebilligt. So bezeichnete der Bundespressesprecher der Antragsgegnerin Klaus Beier. den Vorfall auf der Facebook-Seite der Antragsgegnerin am 3. Mai 2015 den Vorfall als "legitime Protestaktion gegen den globalen Kapitalismus". Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter führte auf der Facebook-Seite der JN unter der Überschrift "Solidarität ist eine Waffe!" aus, "geschlossen hinter den JN-Aktivisten" zu stehen, "welche in Weimar für ihr Recht auf die Straße gegangen sind". Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber behauptet, die JN-Aktivisten hätten lediglich auf aggressives Verhalten der sonstigen Teilnehmer der DGB-Kundgebung reagiert, ändert dies nichts an der Tatsache, dass die JN die Veranstaltung gezielt gestört und die nachfolgenden Eskalationen durch ihr Verhalten provoziert haben.

973

(β) Darüber hinaus liegen insgesamt zwölf rechtskräftige Verurteilungen von Mitgliedern und Anhängern der Antragsgegnerin wegen Gewaltdelikten mit politischen Bezügen vor. Dazu gehören die Verurteilung des ehemaligen Geschäftsführers der Landtagsfraktion der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern G. wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten vor dem Hintergrund des Angriffs auf Gegendemonstranten und Unbeteiligte in einem Zug auf dem Weg zu einer Veranstaltung der Antragsgegnerin (vgl. LG Rostock, Urteil vom 3. Mai 2012 - 13 KLs 125/11 <14> -) sowie die Verurteilungen des stellvertretenden rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden der Antragsgegnerin Safet Babic zu sieben Monaten Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund einer Schlägerei im Zusammenhang mit der Zerstörung von Wahlplakaten der Antragsgegnerin (vgl. LG Trier, Urteil vom 22. Dezember 2010 - 8033 Js 11972/09.5 KLs -) und des JN-Mitglieds W. zu elf Monaten Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung aufgrund eines Angriffs auf Gegendemonstranten bei einer Veranstaltung der Antragsgegnerin gegen einen Moscheeneubau in Berlin (vgl. AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14. August 2007 - <216> 81 Js 2057/07 <26/07> -). Der Kommunalvertreter der Antragsgegnerin O. wurde wegen Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich am 15. August 2013 an einem Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt beteiligte, indem er die Scheibe der Eingangstür mit einem Kantholz einwarf (vgl. AG Greifswald, Urteil vom 30. Juni 2014 - 33 Ls 1557/13 -). Bei den übrigen Fällen handelt es sich um vergleichbare, mehrheitlich zufällig entstandene tätliche Auseinandersetzungen mit teilweise deutlich geringerem politischen Bezug.

974

(γ) Außerdem verweist der Antragsteller auf weitere Fälle der Anwendung von Gewalt durch die Antragsgegnerin. Eine besondere Rolle komme dabei ihrem Ordnungsdienst zu. Abgesehen von der bedrohlichen Wirkung, die von diesem ausgehe (vgl. Rn. 1006), sei er für zwei Übergriffe auf Gegendemonstranten bei Veranstaltungen der Antragsgegnerin in Lingen und Aschaffenburg im Jahr 2013 verantwortlich. Die sachkundige Dritte Röpke hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung über weitere Gewalttätigkeiten des Ordnungsdienstes berichtet. Im Einzelnen schilderte sie Körperverletzungshandlungen gegenüber einem IG-Metall-Mitglied in Niedersachsen, einem Kameramann des NDR beim Wahlkampfauftakt 2006 in Mecklenburg-Vorpommern und einen Angriff auf Gegendemonstranten bei einer Veranstaltung der Antragsgegnerin im Dezember 2004 in Steinfurt.

975

Des Weiteren behauptet der Antragsteller, bei einer Informationsveranstaltung zur Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach am 6. Juli 2015 habe der dortige Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin S. einem Teilnehmer mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Bei den Krawallen im Anschluss an die Demonstration vom 24. Juli 2015 in Dresden habe sich der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau N. innerhalb der Gruppe der gewaltbereiten Teilnehmer aufgehalten. Der bei dieser Demonstration als Ordner tätige Anhänger der Antragsgegnerin K. habe eine Warnbake in Richtung der Gegendemonstranten quer über die Straße geworfen. Die Antragsgegnerin hat die Behauptungen des Antragstellers bestritten und insbesondere darauf verwiesen, dass die Tätlichkeiten nicht von ihren Anhängern ausgegangen seien.

976

(bb) Insgesamt genügen die dargestellten Sachverhalte - ihre Wahrheit unterstellt - nicht, um die Feststellung zu tragen, dass die Antragsgegnerin ihre verfassungswidrigen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten umzusetzen sucht und dadurch in einer für ein "Darauf Ausgehen" im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ausreichenden Weise in den Prozess freier und gleichberechtigter politischer Willensbildung eingreift. Unter Berücksichtigung der vom Antragsteller und der sachkundigen Dritten Röpke geschilderten Ereignisse handelt es sich um insgesamt 20 selbstständige Sachverhalte, die sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstrecken. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle liegt dabei nicht ein geplanter und gezielter Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele vor; vielmehr handelt es sich um zufällige tätliche Auseinandersetzungen am Rande oder im Vorfeld politischer Veranstaltungen. Zwar bewegen sich die Angriffe auf die DGB-Kundgebung in Weimar am 1. Mai 2015 und auf das alternative Wohnprojekt in Greifswald am 15. August 2013 im Bereich eines gezielten Einsatzes von Gewalt zu politischen Zwecken. Aus diesen punktuellen Ereignissen kann aber nicht geschlossen werden, dass für die Antragsgegnerin die Anwendung von Gewalt oder die Begehung von Straftaten Teil ihres planmäßigen Vorgehens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ist. Eine Grundtendenz der Antragsgegnerin zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten kann den geschilderten Einzelfällen (noch) nicht entnommen werden.

977

cc) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das Handeln der Antragsgegnerin zu einer Atmosphäre der Angst führt, die zu einer relevanten Beeinträchtigung des Rechts auf freie und gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung geeignet ist. Dies ist zwar durch ein Handeln unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz grundsätzlich denkbar. Soweit die in diesem Zusammenhang vom Antragsteller aufgeführten Sachverhalte der Antragsgegnerin überhaupt zurechenbar sind (1), fehlt es jedoch in beträchtlichem Umfang an der objektiven Eignung zur Herstellung einer bedrohlichen Atmosphäre und einer damit verbundenen Einschränkung der Freiheit zur politischen Willensbildung (2). Die verbleibenden Sachverhalte stellen sich nicht als Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dar, die ein Erreichen der von der Antragsgegnerin verfolgten verfassungswidrigen Ziele zumindest möglich erscheinen lassen (3).

978

(1) (a) Zur Begründung der Schaffung einer Atmosphäre der Angst durch die Antragsgegnerin kann nicht auf die vom Antragsteller vorgelegte "Liste mit freien Angaben zu Bedrohungserfahrungen" der Psychologin Anette Hiemisch zurückgegriffen werden. Diese beruht auf der Befragung von 37 Personen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, von denen 30 Personen angaben, Bedrohungserfahrungen gemacht zu haben. Der Liste ist im Einzelnen aber nicht zu entnehmen, von welcher Organisation die jeweilige Bedrohung, die zudem nach Ort, Datum und handelnden Personen nicht näher konkretisiert wird, ausgegangen ist. Hinzu kommt, dass es sich um anonyme Angaben handelt. Dies schließt eine Zurechnung der erfragten Aussagen zur Antragsgegnerin aus.

979

(b) Der Auffassung des Antragstellers, dass Bedrohungen und Einschüchterungen durch Mitglieder von Kameradschaften und anderen "freien Gruppen" der Antragsgegnerin grundsätzlich zuzurechnen seien, kann nicht gefolgt werden. Soweit er meint, dies ergebe sich bereits aus dem Begriff des "Anhängers" und aus der Existenz des bestehenden Netzwerks rechtsextremer Gruppierungen, steht dem entgegen, dass - wie bereits dargestellt (vgl. Rn. 927 ff.) - die Antragsgegnerin und die Kräfte des parteiungebundenen Rechtsextremismus zwar (mit regional unterschiedlicher Intensität) einzelfallbezogen zusammenarbeiten. Dabei kommt aber der Antragsgegnerin keine Führungsrolle zu. Kameradschaften und sonstige Gruppen der freien Szene stellen sich nicht als "verlängerter Arm" der Antragsgegnerin dar, sondern agieren autonom. Demgemäß kommt eine Zurechnung ihres Handelns zur Antragsgegnerin nur in Betracht, wenn diese das Handeln herbeigeführt oder sich in sonstiger Weise zu eigen gemacht hat. Es bedarf also auch hinsichtlich des Handelns der parteiungebundenen rechtsextremen Szene jeweils eines spezifischen Zurechnungszusammenhangs, um dieses als Teil der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der Antragsgegnerin ansehen zu können.

980

(c) Außer Betracht bleiben muss die Darstellung des Sachverständigen Prof. Borstel, im Kommunalwahlkampf 2009 sei in Bargischow ein auf der Liste der CDU angetretener parteiloser Kandidat, der sich gegen die rechtsextreme Nutzung des Jugendclubs positioniert habe, erheblichen Schmähungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 32), da es an Hinweisen auf die Täter fehlt und daher eine Zurechnung dieses Sachverhalts zur Antragsgegnerin ausscheidet.

981

(d) Auch die Ereignisse im Anschluss an eine von der Bürgerinitiative "Schneeberg wehrt sich" im Oktober 2013 veranstaltete Demonstration können der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Bei dieser Demonstration hatte auch der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin H. gesprochen. Im Anschluss an die Demonstration zogen 30 bis 50 mit Fackeln ausgestattete Veranstaltungsteilnehmer vor das Privathaus des Bürgermeisters. Der Antragsteller trägt vor, der Bürgermeister habe sich bedroht gefühlt, insbesondere weil ein Aktivist sein Grundstück betreten habe. Seine Ehefrau und die Nachbarn seien ebenfalls entsetzt und verängstigt gewesen. Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin diese Abläufe veranlasst oder sich in sonstiger Weise zu eigen gemacht hat. Ein Aufruf oder ein sonstiger Beitrag des Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin dazu, dass die Versammlung sich in Richtung des Hauses des Bürgermeisters in Bewegung setzte, ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller nicht beweiskräftig dargelegt.

982

(e) Die vom Antragsteller dargestellten Bedrohungen des Ehepaars in Jamel können der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zugerechnet werden, da diese anonym erfolgten.

983

(2) Die Feststellung einer durch die Antragsgegnerin herbeigeführten Atmosphäre der Angst oder Bedrohung kommt nur in Betracht, wenn das ihr zurechenbare Handeln objektiv geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung zu beeinträchtigen (vgl. Rn. 588).

984

(a) Unberücksichtigt bleiben muss daher die bloße Teilnahme der Antragsgegnerin am politischen Meinungskampf. Soweit diese die Grenzen des im demokratischen Diskurs Zulässigen nicht überschreitet, führt dies - ungeachtet möglicher weitergehender Intentionen der Antragsgegnerin und subjektiver Gefühle einzelner Betroffener - nicht zu einer Einschränkung Dritter bei der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte.

985

(aa) Dementsprechend kann die Beteiligung der Antragsgegnerin an Protestkundgebungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik für sich genommen nicht als Beitrag zur Schaffung einer Atmosphäre der Angst angesehen werden. Unbeachtlich sind im vorliegenden Zusammenhang daher sowohl der Vortrag des Antragstellers zur Gesamtzahl der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstrationen als auch die Hinweise auf einzelne Kundgebungen, da insoweit eine der Antragsgegnerin zurechenbare Überschreitung der Grenzen des politischen Meinungskampfes nicht dargelegt ist.

986

Hinsichtlich der vom Antragsteller geschilderten Aktivitäten in Sachsen ist festzustellen, dass die Eskalationen nach den Demonstrationen am 24. Juli 2015 in Dresden und am 21. August 2015 in Heidenau der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden können (vgl. Rn. 964 ff.). Im Übrigen ist nicht nachgewiesen, dass die Antragsgegnerin bei den vom Antragsteller gesondert aufgeführten Demonstrationen im Raum Sächsische Schweiz, im Landkreis Leipzig oder in Schneeberg in einer Weise agiert hat, die objektiv geeignet ist, ein Klima der Angst oder Bedrohung entstehen zu lassen. Auch das von der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern zu verantwortende Demonstrationsgeschehen überschreitet - soweit erkennbar - die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes jedenfalls nicht in einer Weise, die die Möglichkeit freier und gleichberechtigter Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung einzuschränken geeignet ist. Das bloße Zeigen von Transparenten mit fremdenfeindlichen Aufschriften und Sprechchöre mit entsprechendem Inhalt genügen insoweit nicht. Die Kundgebungstouren der ehemaligen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin in den Jahren 2014 und 2015 rechtfertigen keine andere Bewertung.

987

(bb) Hinsichtlich des Rücktritts des Ortsbürgermeisters von Tröglitz erscheint ein Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes durch die Antragsgegnerin ebenfalls zweifelhaft. Zwar hat die Antragsgegnerin als Reaktion auf eine geplante Unterbringung von 40 Flüchtlingen in einem Wohnhaus insgesamt zehn sogenannte "Lichterspaziergänge" durchgeführt. Die Route eines Spaziergangs sollte gezielt am Haus des Ortsbürgermeisters vorbeiführen, um diesen zu einer Stellungnahme zu den Protesten zu veranlassen. Nach Billigung dieser Route durch die Versammlungsbehörde trat der Bürgermeister mit der Begründung zurück, er sehe den Demonstrationszug als Bedrohung für seine von behördlicher Seite nicht ausreichend geschützte Familie. Die Antragsgegnerin hat den Rücktritt des Bürgermeisters als Erfolg begrüßt. Der Bundesvorsitzende Franz äußerte in Bezug auf die Medienschlagzeile "NPD jagt CDU-Bürgermeister aus dem Amt - weil er sich für Flüchtlinge engagierte" auf seiner Facebook-Seite: "Die Presse verdreht zwar die Tatsachen total, aber solche Titel könnte es öfter geben".

988

Auch wenn der Ortsbürgermeister von Tröglitz den geplanten Vorbeizug der von dem NPD-Kreistagsmitglied T. angemeldeten Demonstration an seinem Haus subjektiv als Bedrohung für sich und seine Familie empfunden haben mag, kann die bloße Durchführung eines angemeldeten Aufzuges auf einer gebilligten Route aber für sich noch keinen Eingriff in den Prozess freier und gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung darstellen.

989

(cc) Auch die Proteste gegen die Nutzung des Spreehotels in Bautzen überschreiten die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes noch nicht. Soweit Jürgen Gansel in einem am 29. März 2014 auf der Homepage des Sächsischen Landesverbands eingestellten Brief "die Ausschöpfung aller friedlich-legalen Protestformen von der Flugblattverteilung bis zur Mahnwache und Demonstration" ankündigt, ist dies im demokratischen Meinungsbildungsprozess ebenso hinzunehmen wie der Besuch des umgewidmeten Hotels durch eine Abgeordnetendelegation der Antragsgegnerin im Juli 2014 und die Durchführung mehrerer Mahnwachen. Zur Begründung einer Atmosphäre der Angst sind diese Aktivitäten nicht geeignet.

990

(dd) Dies gilt auch für den Protest und den Aufruf zu einer Demonstration gegen die Moschee in Leipzig-Gohlis unter dem Motto "Maria statt Scharia! Islamisierung und Überfremdung stoppen" am 17. August 2013. Die Antragsgegnerin dokumentiert dadurch zwar ihre Islamfeindlichkeit. Dies rechtfertigt aber trotz des Umstandes, dass die Demonstration unmittelbar vor der Moschee stattfand, die Annahme nicht, dass hierdurch in Überschreitung der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes eine Atmosphäre der Angst geschaffen wurde. Gleiches gilt für die auf dem Baugrundstück der geplanten Moschee im August 2014 von Mitgliedern der Antragsgegnerin und der JN durchgeführte, nicht angemeldete öffentliche Versammlung.

991

(b) Weitere Aktivitäten der Antragsgegnerin dürften aufgrund ihres diffamierenden Charakters die Grenzen zulässiger politischer Meinungsbildung überschreiten. Gleichwohl kann für einzelne Fälle nicht davon ausgegangen werden, dass diese objektiv geeignet sind, eine generelle Atmosphäre der Angst herbeizuführen, die der Wahrnehmung demokratischer Rechte entgegensteht.

992

(aa) Dies gilt insbesondere für einzelne Wahlkampfaktivitäten der Antragsgegnerin. Sowohl die Verwendung des Wahlplakats "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" als auch des Wahlplakats "Gas geben" und dessen Platzierung unter anderem vor dem Jüdischen Museum in Berlin belegen zwar eine eklatante Missachtung ethnischer Minderheiten durch die Antragsgegnerin. Auch ist es nachvollziehbar, dass - wie der Antragsteller dargelegt hat - die aggressive Rhetorik der Antragsgegnerin bei den Betroffenen subjektive Bedrohungsgefühle auslösen kann. Es erscheint jedoch bereits zweifelhaft, ob die Häufigkeit und Dichte der von der Antragsgegnerin verbreiteten minderheitenfeindlichen Parolen ausreichen, um objektiv von der Herbeiführung einer Atmosphäre der Angst ausgehen zu können. Eine Beeinträchtigung der Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung resultiert daraus jedenfalls nicht. Ebenso wenig ist belegt, dass die in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 vom Landesverband Berlin versandten Rundschreiben, in denen Kandidaten mit Migrationshintergrund zur Ausreise aufgefordert wurden, die Möglichkeit der Wahrnehmung demokratischer Teilhaberechte eingeschränkt haben. Gleiches gilt für die an den thüringischen Kommunalpolitiker S. gerichteten Aufforderungen.

993

(bb) Die durch Landtagsabgeordnete und Kommunalvertreter der Antragsgegnerin durchgeführten Besuche in Flüchtlingsheimen und Asylunterkünften sind Teil der fremdenfeindlichen Agitation der Antragsgegnerin. So nutzte der Münchener Stadtrat Karl Richter den Besuch in einer Asylunterkunft am 4. März 2014, um gemeinsame Fotos mit Flüchtlingen zu machen, zugleich aber in einem Kommentar auf Facebook vom 13. März 2014 von "vergleichsweise stark pigmentierten Heimbewohnern" zu sprechen. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang behauptet, die Fotos legten die Vermutung nahe, die Bewohner hätten den Besuch als angenehm empfunden, steht dem der Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 27. Oktober 2014 (Cs 112 Js 136147/14) wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz in drei tateinheitlichen Fällen - auf Strafanzeige und Strafantrag der abgebildeten Asylbewerber - entgegen.

994

In vergleichbarer Weise suchten Mitglieder der ehemaligen Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern im Dezember 2014 das Gelände eines zu einer Asylunterkunft umfunktionierten Ferienlagers in Plöwen (Landkreis Vorpommern-Greifswald) auf. In einem hierbei angefertigten, im Internet abrufbaren Video unter der Überschrift "Offenes Tor für NPD-Besuch im Asylanten-Ferienlager Plöwen" schildert Michael Andrejewski eine privilegierte Unterbringung der Flüchtlinge und entwirft Bedrohungsszenarien für die einheimische Bevölkerung. Diese müsse damit rechnen, dass angesichts des Ansturms von Migranten zukünftig Privatwohnungen direkt beschlagnahmt werden könnten.

995

Gleichwohl ist nicht ersichtlich, dass hierdurch eine Atmosphäre der Angst geschaffen wird, die die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung einschränkt. Die Besuche der Flüchtlingsunterkünfte können sich noch als zulässige Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollrechte darstellen. Die damit verbundene ausländerfeindliche Agitation enthält zumindest kein ausreichendes Bedrohungspotential, um von einer dauerhaften Einschränkung demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten ausgehen zu können. Es ist nachvollziehbar, dass diese Maßnahmen bei den Betroffenen Unbehagen erzeugen oder auch Gefühle der Angst, aber sie sind nicht geeignet, eine generelle Atmosphäre der Angst zu schaffen.

996

(cc) Ebenso wenig ergibt sich dies aus der Behauptung des Antragstellers, in Löcknitz habe eine Gruppe um einen Gemeindevertreter der Antragsgegnerin eine Versammlung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie gestört und beleidigende Parolen wie "alles Parasiten" und "polnischer Pöbel" gerufen. Polizeikräfte verwiesen die Personen des Gebäudes und stellten ihre Identität fest. Eine Bedrohungssituation in Bezug auf die Ausübung demokratischer Beteiligungsrechte ist damit nicht dargetan.

997

(c) Auch die Behauptungen des Antragstellers zum Versuch der Einschüchterung von Einzelpersonen durch die Antragsgegnerin überzeugen in einzelnen dargestellten Fällen nicht.

998

(aa) Zwar führte der Kreisverband Berlin-Pankow der Antragsgegnerin am 21. Januar 2015 unter dem Motto "Den Feind erkennen - den Feind benennen" eine gegen den Pankower Bezirksbürgermeister K. gerichtete Kundgebung mit - nach Darstellung des Antragstellers - circa zehn Teilnehmern durch, von denen zwei versuchten, in dessen gleichzeitig stattfindende Bürgersprechstunde zu gelangen. Das damit verbundene Bedrohungspotential erscheint indes gering. Von einer ernsthaften Gefährdung des betroffenen Bezirksbürgermeisters und einer relevanten Beeinträchtigung der Wahrnehmung seines Amts oder seines Anspruchs auf Teilhabe an der politischen Willensbildung kann nicht ausgegangen werden.

999

(bb) Gleiches gilt hinsichtlich der vom Antragsteller geschilderten Vorfälle aus den Jahren 2007 bis 2009 in Schöneiche bei Berlin. Soweit der Antragsteller darlegt, dass Funktionäre der Antragsgegnerin jüdische Feste gestört hätten, ergibt sich allein daraus kein Hinweis auf eine Bedrohungssituation für die Anwesenden. Auch die Behauptung, beim Heimatfest 2009 hätten zwei Männer aus einer Gruppe um den Ortsverbandsvorsitzenden der Antragsgegnerin aggressiv auf den Bürgermeister eingeredet, rechtfertigt den Rückschluss auf eine Beeinträchtigung seines Anspruchs auf freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung nicht. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass es am 27. Oktober 2008 zu einer Bedrohung des Bürgermeisters durch drei vermummte Personen auf dessen privatem Grundstück gekommen sei, kann dieser Vorfall der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden, da keine Täter ermittelt werden konnten. Daran ändern auch befürwortende Kommentare auf der Internetseite Altermedia nichts, da auch diese nicht unmittelbar der Antragsgegnerin zugerechnet werden können.

1000

(cc) Das von dem Antragsteller in Bezug genommene Interview, das eine in Deutschland geborene Moderatorin mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk im ZDF geführt hat, belegt zwar, dass die Antragsgegnerin das Bleiberecht eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund bestreitet. Dass damit aber eine die Freiheit der politischen Willensbildung beeinträchtigende Bedrohungssituation herbeigeführt wurde, ist nicht feststellbar.

1001

(d) Schließlich sind die Aktivitäten der Antragsgegnerin zur Gründung von Bürgerwehren und der Durchführung von Patrouillengängen nicht geeignet, die Herbeiführung einer Atmosphäre der Angst objektiv zu begründen, da eine Überschreitung rechtlicher Grenzen und der unzulässige Eingriff in die Rechte Dritter bisher - soweit erkennbar - nicht stattgefunden haben. Dies gilt auch für die zwei von der Antragsgegnerin gesondert geschilderten Patrouillengänge der Bürgerwehr Güstrow am 4. und 8. April 2015. Dass es dabei zu Rechtsverstößen oder einem in sonstiger Weise objektiv bedrohlichen Vorgehen kam, behauptet der Antragsteller nicht. Daher kann auch die Beteiligung des anderweitig vorbestraften Stadtvertreters der Antragsgegnerin M. an der Gründung und den Aktivitäten der Bürgerwehr nichts daran ändern, dass die Durchführung der beiden Patrouillengänge für die Annahme der Herbeiführung einer demokratische Beteiligungsrechte einschränkenden Atmosphäre der Angst nicht ausreicht.

1002

(3) Soweit darüber hinaus einzelne Sachverhalte verbleiben, bei denen ein die Freiheit der politischen Willensbildung beeinträchtigendes Bedrohungspotential vorhanden ist oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (a), genügen diese nicht, um bei der Antragsgegnerin eine Grundtendenz zur Verfolgung ihrer politischen Ziele durch die Herstellung einer Atmosphäre der Angst feststellen zu können (b).

1003

(a) (aa) Den von den Mitgliedern der Antragsgegnerin begangenen Gewalttaten wohnt hinsichtlich des jeweiligen Einzelfalls ein beträchtliches Einschüchterungs- und Bedrohungspotential inne. Dies gilt auch für die vom Antragsteller im vorliegenden Zusammenhang gesondert aufgeführte Körperverletzung und Beleidigung einer aus Kenia stammenden Frau durch den Vorsitzenden des Kreisverbands Zwickau-Westsachsen G., der wegen dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde (vgl. AG Hohenstein-Ernstthal vom 30. März 2015 - 1 Ds 120 Js 2411/15 -). Wie aber bereits dargestellt (vgl. Rn. 976), handelt es sich insoweit um meist zufällig zustande gekommene Einzeltaten, die in der Gesamtschau noch nicht als Ausdruck einer der Antragsgegnerin zurechenbaren Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele mit Gewalt oder der Drohung mit Gewalt und einer damit verbundenen Schaffung einer Atmosphäre der Angst angesehen werden können. Dies gilt auch, soweit bei einer Durchsuchung der Wohnräume des K. Fotos prominenter Politiker und Personen jüdischen Glaubens aufgefunden wurden, die als Zielscheibe gefertigt waren und Einschusslöcher von Luftdruckwaffen aufwiesen.

1004

(bb) Auch wenn eine Beteiligung des Stadtvertreters M. oder sonstiger Mitglieder der Antragsgegnerin an den die Leiterin einer multikulturellen Begegnungsstätte in Güstrow betreffenden Straftaten nicht feststellbar ist, kann doch zumindest von der Mitwirkung am Aufbau einer gegen diese gerichteten Drohkulisse ausgegangen werden. Dies ergibt sich sowohl aus dem Umstand, dass auf der M. zurechenbaren Facebook-Seite der Initiative "Güstrow wehrt sich gegen Asylmissbrauch" in aggressiver und beleidigender Form über die Leiterin der Begegnungsstätte berichtet wird, als auch aus der durch den Antragsteller dargestellten Beobachtung eines Treffens mit einem Zeitungsreporter im April 2015 durch eine Gruppe um M. Dieses Verhalten ist - auch wenn es im Ergebnis nicht zum Erfolg geführt hat - erkennbar darauf gerichtet, Druck auf die Leiterin der Begegnungsstätte auszuüben, um diese zu veranlassen, ihr Engagement gegen Rechtsextremismus zu beenden.

1005

(cc) Ebenso auf die Herstellung einer Drohkulisse ausgerichtet war - ungeachtet der strafrechtlichen Beurteilung - die Versammlung von zwölf Aktivisten der Antragsgegnerin unter Führung von David Petereit vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters von Lalendorf und die Verteilung von Flugblättern mit dem Text, das Handeln des Bürgermeisters sei mit einem "Stalinorden für Demokratieerhalt" durch das "Ministerium für Gemeindesicherheit Lalendorf" zu belohnen, nachdem dieser sich geweigert hatte, einer rechtsextremistischen Familie die Patenurkunde des Bundespräsidenten zur Geburt des siebten Kindes zu überreichen. Diese Aktion kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin schon deshalb nicht mehr als "politischer Schlagabtausch innerhalb der Auseinandersetzung zwischen politischen Gegnern" gewertet werden, weil einige der Anwesenden das Grundstück des Bürgermeisters unerlaubt betreten haben.

1006

(dd) Schließlich hat der Antragsteller zwar behauptet, dass der Ordnungsdienst der Antragsgegnerin in einschüchternder Weise gegen politische Gegner auftrete. Die sachkundige Dritte Röpke hat dies bekräftigt. Dabei kann allerdings der Antragsgegnerin nicht bereits die Tatsache zur Last gelegt werden, dass sie zur Gewährleistung der störungsfreien Durchführung von Kundgebungen überhaupt über einen Ordnungsdienst verfügt. Hinsichtlich des angeblich einschüchternden Auftretens des Ordnungsdienstes werden lediglich wenige Einzelbeispiele im Umfeld einzelner Veranstaltungen der Antragsgegnerin benannt (vgl. Rn. 974), die von dieser bestritten werden.

1007

(b) Letztlich kann der Ablauf dieser Einzelbeispiele dahinstehen, da die beschriebenen Sachverhalte insgesamt nicht ausreichen, um festzustellen, dass die Antragsgegnerin ihre verfassungsfeindlichen Absichten planvoll durch den Aufbau von Drohkulissen und die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durchzusetzen versucht. Ebenso wie die begangenen Straftaten stellt sich das Vorgehen einzelner Mitglieder der Antragsgegnerin gegen die Leiterin der multikulturellen Begegnungsstätte in Güstrow und gegen den Bürgermeister von Lalendorf als Einzelfallgeschehen dar, das nicht zu Lasten der Antragsgegnerin verallgemeinert werden kann. Dies gilt auch für die Hinweise zum Vorgehen des Ordnungsdienstes der Antragsgegnerin. Die Anordnung eines Parteiverbots rechtfertigen die beschriebenen Sachverhalte noch nicht. Ihre Anzahl und Qualität genügen nicht, um davon ausgehen zu können, dass eine Grundtendenz der Antragsgegnerin besteht, ihre verfassungsfeindlichen Absichten durch die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durchzusetzen.

1008

dd) Der Senat verkennt nicht, dass die von einem einschüchternden, gezielt provokativen oder die Grenzen der Strafbarkeit überschreitenden Verhalten der Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin Betroffenen sich in ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungs- und Handlungsfreiheit schwer und nachhaltig beeinträchtigt sehen können. Ausmaß, Intensität und Dichte derartiger Vorfälle überschreiten nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung die aus den dargelegten Gründen (vgl. Rn. 523 ff.) hohe Schwelle eines Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 GG jedoch nicht, da die Antragsgegnerin zu einer prägenden Einflussnahme auf den politischen Prozess nicht in der Lage ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Präsenz der Antragsgegnerin und damit die vom Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger ausgehende einschüchternde Wirkung lokale oder - seltener - einige wenige regionale Schwerpunkte aufweist. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der Antragsgegnerin Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

E.

1009

Die Entscheidung über die Nichterstattung der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Danach kommt eine Auslagenerstattung im Parteiverbotsverfahren nur ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. BVerfGE 20, 119 <133 f.>; 49, 70 <89>; 96, 66 <67>; 110, 407 <409>). Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat das Verfahren im Ergebnis nicht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin geführt. Entgegen ihrer Auffassung standen dem Verfahren aber weder unüberwindliche Verfahrenshindernisse noch sonstige Zulässigkeitserfordernisse entgegen. Nach der materiellen Prozesslage war festzustellen, dass das Handeln der Antragsgegnerin planmäßig auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist und ihm lediglich wegen mangelnder Potentialität die Qualität eines "Darauf Ausgehens" im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG fehlt. Daher ist eine Auslagenerstattung trotz des im Ergebnis erfolglosen Verbotsantrags nicht angezeigt.

F.

1010

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) In das Beamtenverhältnis darf berufen werden, wer

1.
Deutsche oder Deutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit
a)
eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder
b)
eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder
c)
eines Drittstaates, dem die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Anspruch auf Anerkennung der Berufsqualifikationen eingeräumt haben,
besitzt,
2.
die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, und
3.
a)
die für die entsprechende Laufbahn vorgeschriebene Vorbildung besitzt oder
b)
die erforderliche Befähigung durch Lebens- und Berufserfahrung erworben hat.
In das Beamtenverhältnis darf nicht berufen werden, wer unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds aufweist, die mit der Erfüllung der Pflichten nach § 61 Absatz 2 nicht vereinbar sind.

(2) Wenn die Aufgaben es erfordern, darf nur eine Deutsche oder ein Deutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes in ein Beamtenverhältnis berufen werden.

(3) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat kann Ausnahmen von Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 2 zulassen, wenn für die Berufung der Beamtin oder des Beamten ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht.

Ein Mitglied des Bundestages, das entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt ist, der in einem Ausschuss des Bundestages zur Beratung ansteht, hat als Mitglied dieses Ausschusses vor einer Wortmeldung eine Interessenverknüpfung offenzulegen. Ein Mitglied des Bundestages, das in einem Ausschuss die Berichterstattung übernommen hat, hat vor der Beratung eine konkrete Interessenverknüpfung offenzulegen; diese Angaben werden in der Beschlussempfehlung des Ausschusses angemerkt.

(1) Die Übermittlung von Daten einer Mehrzahl von Ausländern, die in einem Übermittlungsersuchen nicht mit vollständigen Grundpersonalien bezeichnet sind und die auf Grund im Register gespeicherter und im Übermittlungsersuchen angegebener gemeinsamer Merkmale zu einer Gruppe gehören (Gruppenauskunft), darf nur zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in den §§ 15 bis 17 und 20 bezeichneten öffentlichen Stellen erfolgen. Sie ist zulässig, soweit sie

1.
im besonderen Interesse der betroffenen Personen liegt oder
2.
erforderlich und angemessen ist
a)
zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder
b)
zur Verfolgung eines Verbrechens oder einer anderen erheblichen Straftat, von der auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß sie gewerbs- oder gewohnheitsmäßig, von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen wird,
und die Daten auf andere Weise nicht, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nicht rechtzeitig erlangt werden können,
3.
unter den in § 2 Abs. 1 Nr. 4 des BND-Gesetzes genannten Voraussetzungen erforderlich ist, um im Ausland Gefahren der in § 5 Abs. 1 Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Art rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.

(1a) Bei einer Gruppenauskunft ist die Übermittlung der Daten nach § 3 Absatz 3 zu Ausländern nach § 2 Absatz 1a Nummer 1 und Absatz 2 Nummer 1 sowie die Übermittlung der Daten von Unionsbürgern, bei denen eine Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nicht vorliegt, nicht zulässig.

(2) Das Ersuchen ist schriftlich zu stellen, zu begründen und bedarf der Zustimmung des Leiters der ersuchenden Behörde oder eines von ihm für solche Zustimmungen bestellten Vertreters in leitender Stellung. Ein Abruf im automatisierten Verfahren ist unzulässig. Die ersuchende Stelle hat die Daten, die sie nicht oder nicht mehr zur Aufgabenerfüllung benötigt, zu vernichten.

(3) Die Registerbehörde hat nach Erteilung einer Gruppenauskunft die Bundesbeauftragte oder den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und, soweit die Daten an eine öffentliche Stelle eines Landes übermittelt worden sind, den Datenschutzbeauftragten des Landes zu unterrichten.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. April 2007 - 5 K 2170/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000.- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 04.04.2007, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 21.11.2006 anzuordnen, ist zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Denn die am 07.12.2006 von dem Antragsteller mit Widerspruch rechtzeitig angefochtene Verfügung vom 21.11.2006 ist voraussichtlich rechtmäßig, so dass dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zutreffend Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung des bestehenden Zustandes eingeräumt wurde. Auch der Senat vermag bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angezeigten und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis die behaupteten Rechts- bzw. Ermessensfehler nicht zu erkennen.
Das Verwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller sowohl zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 09.07.1998 als auch zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 04.07.2001 in Doppelehe mit der libanesischen Staatsangehörigen Frau D. (seit 05.05.1992) und mit der deutschen Staatsangehörigen Frau B. (seit 05.12.1997) verheiratet war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Antragsteller laut Heiratsurkunde des Ja’afaritischen Religionsgerichts Beirut erstmals am 05.05.1992 mit Frau D. religiös geschlossene und dort auf persönlichen Antrag der beiden Eheleute am 04.01.1993 bestätigte sowie später registrierte Ehe, für die gemäß Art. 13 Abs.1 EGBGB libanesisches Familienrecht Anwendung findet, in Deutschland unwirksam oder unbeachtlich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Auch der Antragsteller selbst ist offenbar von der Wirksamkeit dieser Ehe ausgegangen; anderenfalls hätte er sich - wohl zur Verschleierung der Ehe zum Zwecke des Nachzuges von Frau D. und den beiden gemeinsamen Kinder nach Deutschland - nicht am 14.02.2005 vor dem Ja’afaritischen Religionsgerichts Nabatieh von Frau D. scheiden lassen, um diese sodann am 24.05.2005 erneut und in offenbar gleicher Weise wie am 05.05.1992 zu heiraten. Insbesondere der Vortrag des Antragstellers, er sei davon ausgegangen, bei der religiösen Eheschließung am 05.05.1992 habe es sich nur um ein Verlöbnis gehandelt, ist offenkundig eine Schutzbehauptung, wie das Verwaltungsgericht umfangreich und detailliert dargelegt hat. Dem muss nichts hinzugefügt werden.
Aufgrund des Vorliegens einer Doppelehe ist die Aufenthaltserlaubnis dem Antragsteller voraussichtlich im Sinne des § 48 Abs. 1 LVwVfG am 09.07.1998 gemäß §§ 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG rechtswidrig erteilt und am 04.07.2001 rechtswidrig unbefristet verlängert worden. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 1 AuslG soll der Ehegattennachzug nur in dem durch Art. 6 GG gebotenen Umfang erfolgen. Art. 6 GG jedoch schützt die Doppelehe grundsätzlich nicht. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zu § 17 AuslG hat der Hinweis auf Art. 6 GG begrenzende Funktion, um eine Nachzugsberechtigung von Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 60). Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass es nach internationalem Privatrecht möglich sein kann, die Mehrehe eines Ausländers zivilrechtlich als gültig anzusehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03 - juris). Denn das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch zu den auch ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323; BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; Niedersächs. OVG, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris).
Daran ändert der Grundsatz des - bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes (BGBl 1998 I 833) am 01.07.1998 gültigen - § 23 EheG nichts, wonach sich niemand auf die Nichtigkeit etwa einer Doppelehe berufen kann, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Denn dieser Grundsatz modifizierte nicht etwa das in den §§ 5, 20 EheG geregelt gewesene bzw. seit 01.07.1998 in § 1306 BGB geregelte Verbot der Doppelehe. Das Verbot der Doppelehe wird vielmehr durch das Rechtsinstitut der Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit der Ehe umgesetzt, gilt zweiseitig auch gegenüber dem Ledigen und ist nicht befreiungstauglich. Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft dieses Verbotes zeigt sich weiter an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 171 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Wenn die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelehe abgelehnt wird, wird sich damit nicht im Sinne des früheren § 23 EheG auf die Nichtigkeit der Ehe berufen, vielmehr werden die ausländerrechtlichen Normen verfassungskonform angewendet. Im Übrigen war § 23 EheG bereits im Zeitpunkt der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers am 09.07.1998 außer Kraft getreten.
Dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG im vorliegenden Fall die Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsakte voraussichtlich nicht hindert, ergibt sich schon aus Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 dieser Norm. Wer, wie der Antragsteller, durch Vorlage einer gefälschten oder jedenfalls inhaltlich falschen Ledigkeitsbescheinigung die Eheschließung im Bundesgebiet sowie daran anknüpfend die Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung gewissermaßen erschleicht, täuscht arglistig und kann sich nicht auf Vertrauen oder Verwirkung berufen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 132, m.w.N.).
Der Senat vermag schließlich die geltend gemachten Ermessensfehler im Rahmen der Ausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. § 55 Abs. 1 AufenthG nicht zu erkennen. Wie dargelegt kann voraussichtlich nicht angenommen werden, dass die Ausländerbehörde von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder nur unzureichende libanesische Rechtskenntnisse besaß. Sie hat ihrer Ausweisungsentscheidung vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis neben Frau B. auch mit Frau D. verheiratet war, und dass die mit Frau D. nach libanesischem Familienrecht geschlossene Ehe in Deutschland als rechtswirksam anzusehen war. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 16.01.2007 hat die Vorgänge allein strafrechtlich bewertet und wirkt sich damit hier nicht entscheidungserheblich aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
10 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit

1.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,
2.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3.
bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4.
bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen,
5.
bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. Bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zur sicherheitsmäßigen Bewertung der Angaben der nichtöffentlichen Stelle unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder befugt. Sofern es im Einzelfall erforderlich erscheint, können bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 zusätzlich die Nachrichtendienste des Bundes sowie ausländische öffentliche Stellen um Übermittlung und Bewertung vorhandener Erkenntnisse und um Bewertung übermittelter Erkenntnisse ersucht werden.

(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Gründe

Oberlandesgericht München

Az.: 34 Wx 311/14

Beschluss

vom 3.7.2015

3465 a E - 186/2014 Der Präsident des OLG München

34. Zivilsenat

Leitsatz:

In dem gerichtlichen Verfahren auf Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen

Beteiligte:

1) E.

- Antragstellerin

Verfahrensbevollmächtigte: ...

2) S.

- Antragsgegner

Verfahrensbevollmächtigter: ...

hier: Anerkennung einer äthiopischen Entscheidung zur Feststellung des Bestehens einer Ehe,

erlässt das Oberlandesgericht München - 34. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lorbacher, die Richterin am Oberlandesgericht Paintner und den Richter am Oberlandesgericht Kramer am 03.07.2015 folgenden

Beschluss

Der Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 10. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Verfahren richtet sich auf die Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung eines äthiopischen Gerichts über das Bestehen einer Ehe im Inland vorliegen.

Der in München wohnhafte Antragsgegner, ein deutscher Staatsangehöriger, hatte am ...1999 ebendort mit M. die Ehe geschlossen. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom ...2009 geschieden. Bereits am ...2006 ging der Antragsgegner mit der nun in Kempten (Allgäu) wohnhaften Antragstellerin, einer äthiopischen Staatsangehörigen, in Addis Abeba/Äthiopien nach islamischem Recht die Ehe ein. Am selben Tag wurde auf Antrag beider Beteiligter die Eheschließung durch das Bundesschariaobergericht (Federal Higher Sheria Court) in Addis Abeba (File No. 350/99) anerkannt.

Die Antragstellerin hat am 24.2.2014 um Anerkennung der Entscheidung des Bundesschariaobergerichts vom 24.10.2006 nachgesucht.

In einem unter den Beteiligten anhängigen familiengerichtlichen Verfahren wegen Trennungsunterhalts erklärte der Antragsgegner, die Ehe sei nur zum Schein eingegangen und im Übrigen als Doppelehe unwirksam geschlossen.

Den Antrag auf Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung vom 24.10.2006 gegeben sind, mit dem das Bestehen der Ehe unter den Beteiligten festgestellt wird, hat der Präsident des Oberlandesgerichts München am 10.6.2014 zurückgewiesen. Die urkundlichen Unterlagen seien zwar ebenso wie die Rechtskraft des bezeichneten Urteils nicht anzuzweifeln; aus Gründen des materiell-rechtlichen ordre public, nämlich des Verstoßes gegen das strafbewehrte Verbot der Mehrehe, könne die Entscheidung im Inland jedoch nicht anerkannt werden.

Gegen diese am 17.6.2014 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag vom 15.7.2014. Sie begehrt, die Entscheidung aufzuheben und auszusprechen, dass die Anerkennungsvoraussetzungen für die bezeichnete ausländische Entscheidung vom 24.10.2006 vorliegen. Die Anerkennung könne nicht unter Berufung auf den deutschen ordre public verweigert werden. Der deutsche Gesetzgeber halte Doppelehen nicht mehr für nichtig, sondern nur noch für aufhebbar.

Auch ein deutsches Gericht hätte bei Kenntnis des Umstands, dass eine Doppelehe vorliege, nur aussprechen können, dass diese Ehe (noch) gültig sei.

Die Behörde hat nicht abgeholfen.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 5.11.2014 ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. W. erholt, das dieser unter dem 5.5.2015 vorgelegt hat. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

II.

Der Antrag auf Entscheidung durch das nach § 107 Abs. 7 Satz 1 FamFG zuständige Oberlandesgericht ist statthaft (§ 107 Abs. 5 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gestellt. In der Sache bleibt er ohne Erfolg.

1. Gemäß § 107 Abs. 2 und 3 FamFG i. V. m. § 5 GZVJu (i. d. F. v. 1.10.2009, GVBl S. 523) war der Präsident des Oberlandesgerichts München als Behörde der Landesjustizverwaltung zur Anerkennung zuständig, weil beide Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben.

2. Es liegt eine Entscheidung im Sinne von § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor, nämlich die Feststellung des Bestehens einer Ehe zwischen den Beteiligten. Das Bundesschariaobergericht ist zwar ein religiöses Gericht; dessen Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits anerkannt (dazu MüKo/Rauscher FamFG 3. Aufl. § 107 Rn. 19). Ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (§ 107 Abs. 4 Satz 2 FamFG) ist, wenn der Antrag von einem betroffenen Ehegatten gestellt wird, regelmäßig nicht in Zweifel zu ziehen. Das gilt auch für die ausländische Entscheidung über das Bestehen der Ehe. Denn die Anerkennung oder Nichtanerkennung kann sich auf den familienrechtlichen Status der Eheleute auswirken.

3. Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat zutreffend festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht gegeben sind.

Der Anerkennungsmaßstab bestimmt sich nach § 109 FamFG.

a) Die internationale Zuständigkeit des äthiopischen Gerichts war für die Entscheidung gegeben (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). Maßgeblich für die Anwendung des sogenannten Spiegelbildprinzips (Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 109 Rn. 3) ist das zum Zeitpunkt der Einleitung des ausländischen Verfahrens maßgebliche Recht; insoweit sind die im Oktober 2006 noch geltenden Bestimmungen der ZPO zum Verfahren in Ehesachen (§ 606a Abs. 1 Nr. 1, § 632 ZPO a. F.) heranzuziehen. Wenn das (damalige) deutsche Recht dort - in Äthiopien - zur Anwendung käme, müsste die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts gegeben sein. Die Antragstellerin war und ist äthiopische Staatsangehörige, so dass entsprechend § 606a Abs. 1 Nr. 1 ZPO (a. F.) auch die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats bestanden hat.

b) Der Antragsgegner war an dem Verfahren vor dem Bundesschariaobergericht auch beteiligt (§ 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). Das ergibt sich aus dem Protokoll zur Entscheidung vom 24.10.2006 und wird im Übrigen von keiner Seite in Frage gestellt. Eine Kollision im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist nicht ersichtlich.

c) Nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die unverzichtbaren Erfordernisse der materiell-verfahrensrechtlichen und materiell-privatrechtlichen Gerechtigkeit müssen gewahrt sein (BGH NJW 1983, 2775/2777 f.; Keidel/Zimmermann § 109 Rn. 18 m. w. N.). Bei einem Inlandsbezug sind die inländischen Wertvorstellungen maßgeblich (Keidel/Zimmermann a. a. O.). Verfahrensrecht ist beispielsweise berührt, wenn eine Entscheidung betrügerisch oder kollusiv erlangt ist (BSG NJW-RR 1997, 1433), materielle Rechtsgrundsätze sind tangiert, wenn etwa ein Verstoß gegen Grundrechte gegeben ist oder die Entscheidung im konkreten Fall sonst untragbar erscheint, weil sie zu einem Grundgedanken der deutschen Regelungen in Widerspruch steht (vgl. BGHZ 118, 312/330; BGH NJW 1998, 2358).

(1) Das Prinzip der Einehe gehört zu den prägenden Wertvorstellungen des deutschen Rechts (Palandt/Brudermüller BGB 74. Aufl. Einf v § 1353 Rn. 1 und 3) wie auch das dieses Prinzip schützende Verbot der Doppelehe in § 1306 BGB (Palandt/Brudermüller § 1306 Rn. 1), wonach eine Ehe nicht geschlossen werden darf, wenn zwischen einem der beiden Partner, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe besteht. Das Verbot der Doppelehe ist zweiseitig, es richtet sich auch gegen denjenigen Teil, der nicht verheiratet ist; ein Dispens ist nicht möglich (MüKo/Wellenhofer BGB 6. Aufl. § 1306 Rn. 1). Die Bedeutung dieses Eheverbots wird unterstrichen durch die strafrechtliche Sanktion in § 172 StGB. Daher steht der ordrepublic der Unaufhebbarkeit der Ehe nach dem ausländischen Recht jedenfalls bei Inlandsbezug entgegen (vgl. AG Hanau FamRZ 2004, 949/950). Gleiches gilt für das Eingehen einer polygamen Ehe in Deutschland oder die Klage auf Herstellung einer solchen; denn die deutschen Standesämter und Gerichte sind durch Art. 6 Abs. 1 GG dem Prinzip der Einehe verpflichtet (Staudinger/Peter Mankowski BGB 13. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 252).

Andererseits scheidet die Anerkennung einer bigamischen Ehe nicht von vorneherein immer aus; denn auch das seit dem 1.7.1998 geltende Eheschließungsrecht sieht eine in Deutschland geschlossene Doppelehe nicht als Nichtehe oder nichtige Ehe, sondern als aufhebbare Ehe an (vgl. §§ 1306, 1314 Abs. 1 BGB). Anzuerkennen wäre daher nicht nur die vom Heimatrecht der beiden Ehegatten gestattete polygame Ehe (vgl. VG Gelsenkirchen FamRZ 1975, 338), sondern auch die Zweitehe eines in monogamer Ehe nach deutschem Recht verheirateten Ehegatten, die dieser eingeht, wenn die Zweitehe -wie eine in Deutschland eingegangene Doppelehe - auf Antrag der deutschen Ehefrau aufhebbar ist (MüKo/Coester BGB 5. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 69). Eine solche Wertung trifft grundsätzlich auch das äthiopische Recht, das in Art. 33 Rev. FamGB die Ehe auf Antrag für aufhebbar erklärt (Bergmann/Ferid/Henrich Ehe- und Kindschaftsrecht Stand: Juli 2014 Äthiopien S. 41).

(2) Abzustellen ist bei der Frage, ob der inländische ordre public einer Anerkennung entgegensteht, jedoch nicht auf die Aufhebbarkeit der bigamischen Ehe nach dem Recht des ausländischen Staates an sich, sondern darauf, ob die anzuerkennende ausländische Entscheidung die bigamische Ehe nur als aufhebbare bestätigt oder doch darüber hinausgehende Wirkung entfaltet. Denn die mit der Anerkennung verbundene Wirkungserstreckung verleiht der ausländischen Entscheidung die Wirkungen, die das fremde Forum nach seinem Recht seinem Urteil beilegt (MüKo/Gottwald ZPO 4. Aufl. § 328 Rn. 4). Eine ausländische Entscheidung, die einer Doppelehe als solche Wirksamkeit verleiht, würde den Wertvorstellungen des deutschen Rechts widersprechen. Hat die gerichtliche Anerkennung der bigamischen Ehe zur Folge, dass sie deswegen nicht mehr aufhebbar ist, so würde der verfassungsrechtliche Schutz der ersten Ehe einer Anerkennung der Entscheidung entgegenstehen. Denn damit bestünde die Gefahr, dass die zweite Ehe auch nach deutschem Recht nicht mehr als Mehrehe aufgehoben werden könnte. Der Senat erkennt in der vorgelegten ausländischen Entscheidung eine derartig weitreichende Wirkung, so dass ihr die Anerkennung im Inland versagt bleiben muss. Es kann dahinstehen, ob der ordre-public-Verstoß in einem anderen Licht zu würdigen wäre, wenn ausnahmsweise auch im Inland die Aufhebung der Doppelehe ausgeschlossen wäre; dafür bestehen nämlich keine Anhaltspunkte.

(3) Das vom Senat erholte Gutachten des Sachverständigen Dr. W. legt dar, dass zwar -wie schon dargestellt - grundsätzlich die bigamische Ehe auch nach äthiopischem Recht auflösbar ist. Indessen könne sich das staatliche Bigamieverbot gegenüber der rechtskräftigen Feststellung eines Schariagerichts über die gültige Eheschließung selbst für den Fall nicht durchsetzen, dass dem Gericht die bigamische Ehe bekannt ist. Folglich würde der Antrag von Parteien auf Auflösung einer vom Schariagericht anerkannten Mehrehe daran scheitern, dass Bigamie für das Schariagericht keinen Eheauflösungsgrund darstellt. Gegenstand des Verfahrens der Parteien zur Auflösung der Mehrehe wäre nämlich die mangelnde Gültigkeit der bigamischen Ehe nach islamischem Recht; das Verfahren hätte damit jedoch denselben Streitgegenstand, den das Schariagericht bei Anerkennung schon behandelt hat, so dass der Antrag am Einwand der res iudicata scheitern würde (Art. 5 Äthiop. ZPO von 1965; siehe unter V.2. S. 25 f. des Gutachtens). Den Parteien - auch dem Staatsanwalt - wäre es folglich verwehrt, sich auf den Auflösungsgrund der Bigamie zu berufen.

Der Senat schließt sich den nachvollziehbaren und detailliert begründeten Ausführungen des Sachverständigen an. An dessen Sachkunde bestehen keine Zweifel. Er hat mangels einschlägiger Gerichtsentscheidungen auf in der Literatur geäußerte Ansichten, die nicht als Einzelmeinung erscheinen, abgestellt und diese mit ausführlichen Nachweisen belegt. Auch die Beteiligten haben gegen die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen keine Einwände erhoben.

d) Auf die Frage, ob zudem eine Scheinehe, wie vom Beteiligten zu 2 im unterhaltsrechtlichen Verfahren behauptet, geschlossen worden sei, kommt es daher nicht mehr an.

e) Es kann dann auch dahinstehen, ob die am Tag der Eheschließung ergangene Entscheidung des Shariagerichts dafür sprechen könnte, dass sie kollusiv erwirkt war und dann wohl ebenfalls nicht anerkannt werden könnte (vgl. BSG NJW-RR 1997, 1433).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Zwar wird der gerichtliche Antrag zum Oberlandesgericht gemäß § 107 Abs. 7 Satz 3 FamFG wie eine Beschwerde behandelt (Keidel/Zimmermann § 107 Rn. 48). Dennoch handelt es sich in der Sache um den ersten Zugang zum Gericht, weshalb es sachnäher erscheint, für die Kostenerhebung auf die flexibleren Regeln für das erstinstanzliche Verfahren, also insbesondere auf § 81 FamFG, abzustellen (so auch MüKo/Rauscher § 107 FamFG Rn. 59). Insoweit ist nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hier entspricht es wegen der Schwierigkeit der Rechtslage der Billigkeit, dass eine Erstattung nicht angeordnet wird.

Die Gebühr für das gerichtliche Verfahren selbst ist aus Nr. 1714 KVFamGKG zu entnehmen. Sie ist von der Antragstellerin zu entrichten, weil sie (vgl. § 22 Abs. 1 GNotKG) das gerichtliche Verfahren veranlasst hat. Dies muss nicht gesondert ausgesprochen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. § 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor. Denn die maßgeblichen vom Senat entschiedenen Fragen wurzeln in der Einordnung und Bewertung der ausländischen Entscheidung auf der Grundlage ihrer Rechtsordnung. Vom Grundsatz, dass eine bigamische Ehe auch im deutschen Recht als solche wirksam und nur aufhebbar ist, geht auch der Senat aus.

(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

(2) Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist.

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und

1.
mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder
2.
gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.
Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.

Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie

1.
entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder
2.
entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist.

(2) Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn

1.
ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand;
2.
ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt;
3.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten; dies gilt nicht, wenn die Täuschung Vermögensverhältnisse betrifft oder von einem Dritten ohne Wissen des anderen Ehegatten verübt worden ist;
4.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist;
5.
beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit

1.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,
2.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3.
bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4.
bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen,
5.
bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. Bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zur sicherheitsmäßigen Bewertung der Angaben der nichtöffentlichen Stelle unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder befugt. Sofern es im Einzelfall erforderlich erscheint, können bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 zusätzlich die Nachrichtendienste des Bundes sowie ausländische öffentliche Stellen um Übermittlung und Bewertung vorhandener Erkenntnisse und um Bewertung übermittelter Erkenntnisse ersucht werden.

(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
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Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
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Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
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Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
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Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist,
2.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
3.
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat,
4.
sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist.

(2) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 und 4 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."; § 10 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."; § 10 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist,
2.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
3.
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat,
4.
sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist.

(2) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 und 4 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. Das ist anzunehmen, wenn

1.
das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit nicht vorsieht,
2.
der ausländische Staat die Entlassung regelmäßig verweigert,
3.
der ausländische Staat die Entlassung aus der Staatsangehörigkeit aus Gründen versagt hat, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, oder von unzumutbaren Bedingungen abhängig macht oder über den vollständigen und formgerechten Entlassungsantrag nicht in angemessener Zeit entschieden hat,
4.
der Einbürgerung älterer Personen ausschließlich das Hindernis eintretender Mehrstaatigkeit entgegensteht, die Entlassung auf unverhältnismäßige Schwierigkeiten stößt und die Versagung der Einbürgerung eine besondere Härte darstellen würde,
5.
dem Ausländer bei Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erhebliche Nachteile insbesondere wirtschaftlicher oder vermögensrechtlicher Art entstehen würden, die über den Verlust der staatsbürgerlichen Rechte hinausgehen, oder
6.
der Ausländer einen Reiseausweis nach Artikel 28 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt.

(2) Von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 wird ferner abgesehen, wenn der Ausländer die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder der Schweiz besitzt.

(3) Weitere Ausnahmen von der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 können nach Maßgabe völkerrechtlicher Verträge vorgesehen werden.

(1) Bei der Einbürgerung bleiben außer Betracht:

1.
die Verhängung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem Jugendgerichtsgesetz,
2.
Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen und
3.
Verurteilungen zu Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen worden ist.
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer wegen einer rechtswidrigen antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Tat im Sinne von § 46 Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuches zu einer Freiheits-, Geld- oder Jugendstrafe verurteilt und ein solcher Beweggrund im Rahmen des Urteils festgestellt worden ist. Bei mehreren Verurteilungen zu Geld- oder Freiheitsstrafen im Sinne des Satzes 1 Nr. 2 und 3 sind diese zusammenzuzählen, es sei denn, es wird eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet; treffen Geld- und Freiheitsstrafe zusammen, entspricht ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe. Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 3, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann. Ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung nach § 61 Nr. 5 oder 6 des Strafgesetzbuches angeordnet worden, so wird im Einzelfall entschieden, ob die Maßregel der Besserung und Sicherung außer Betracht bleiben kann.

(2) Ausländische Verurteilungen zu Strafen sind zu berücksichtigen, wenn die Tat im Inland als strafbar anzusehen ist, die Verurteilung in einem rechtsstaatlichen Verfahren ausgesprochen worden ist und das Strafmaß verhältnismäßig ist. Eine solche Verurteilung kann nicht mehr berücksichtigt werden, wenn sie nach dem Bundeszentralregistergesetz zu tilgen wäre. Absatz 1 gilt entsprechend.

(3) Wird gegen einen Ausländer, der die Einbürgerung beantragt hat, wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt, ist die Entscheidung über die Einbürgerung bis zum Abschluss des Verfahrens, im Falle der Verurteilung bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils auszusetzen. Das Gleiche gilt, wenn die Verhängung der Jugendstrafe nach § 27 des Jugendgerichtsgesetzes ausgesetzt ist.

(4) Im Ausland erfolgte Verurteilungen und im Ausland anhängige Ermittlungs- und Strafverfahren sind im Einbürgerungsantrag aufzuführen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26. April 2007 - 11 K 3637/06 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der Kläger ist Staatsangehöriger von Sri Lanka und tamilischer Volkszugehöriger. Am 2.7.1972 wurde er in Jaffna geboren. Er reiste am 6.4.1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22.5.1997 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom 28.4.1998 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, nachdem es mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17.3.1998 - A 4 K 14020/97 - hierzu verpflichtet worden war. Das Gericht ging hierbei davon aus, dass der Kläger in seiner Heimat auf der Jaffna-Halbinsel zunächst von der LTTE („Liberation Tigers of Tamil Eelam“) und dann auch von der Armee bedrängt worden und deshalb nach Colombo gegangen sei, wo er unter LTTE-Verdacht verhaftet, verhört und misshandelt worden sei. Seit dem 18.5.1998 besitzt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.
Unter dem 7.9.2003 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Am 24.9.2003 gab er gegenüber der Beklagten eine Loyalitätserklärung zum Einbürgerungsantrag ab. Darin bekannte er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und erklärte, dass er keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze oder verfolgt oder unterstützt habe, die u.a. gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet seien oder durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdeten. Laut Vermerk der zuständigen Sachbearbeiterin sei durch ein persönliches Gespräch festgestellt worden, dass der Kläger über Grundkenntnisse der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verfüge. Am 21.11.2003 absolvierte er bei der Volkshochschule Stuttgart einen Sprachtest, den er mit 72 Punkten bestand. Sein Führungszeugnis (Stand 3.8.2004) enthielt keine Eintragungen.
Mit Schreiben vom 9.6.2005 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg mit, es stimme einer Einbürgerung des Klägers gegenwärtig nicht zu. Er sei dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der LTTE bekannt. Er habe zumindest 1999 als Schriftführer dem erweiterten Vorstand der „Kultur Vereinigung der Tamilen e.V.“, die der LTTE nahestehe, angehört und sei auch Gründungsmitglied. Dieser Verein trete zwar nach außen hin selbständig auf; seine Verknüpfung mit der LTTE erschließe sich jedoch daraus, dass bewährte LTTE-Kader oder LTTE-Mitglieder Führungsrollen übernähmen. Die Nähe dieses Vereins zur LTTE werde beispielsweise anhand eines Veranstaltungsplakats für eine Kulturveranstaltung am 17.6.2000 deutlich, das in Umrissen das geplante „Tamil Eelam“ sowie einen LTTE-Führer zeige. Bei einer Kulturveranstaltung des Vereins vom 20.1.2001 habe es sich in Wahrheit um eine Heldengedenkfeier zu Ehren eines damaligen LTTE-Funktionärs gehandelt. An der Veranstaltung hätten auch hochrangige LTTE-Kader wie z.B. der Regionalführer von Süddeutschland teilgenommen. Sie sei einerseits von kulturellen und folkloristischen Darbietungen geprägt gewesen, andererseits seien aber auch Revolutionslieder vorgetragen worden und der Vorsitzende einer Nebenorganisation der LTTE habe eine engagierte Rede gehalten, in der er für die Unterstützung des tamilischen Freiheitskampfes geworben habe. Im Veranstaltungsbereich seien an Informationsständen LTTE-Propagandaartikel verkauft worden. Eine Unterstützung der LTTE von deutschem Boden aus schließe Vorbereitungshandlungen ein, die auf die Anwendung von Gewalt gerichtet seien und deshalb auswärtige Belange der Bundesrepublik, nämlich die Beziehungen zu Sri Lanka und gegebenenfalls auch zu Indien, gefährdeten. Die regionalen Unterstützervereine nähmen an diesen Bestrebungen teil, auch wenn sie gleichzeitig dem bloßen geselligen Zusammensein der Mitglieder und Sympathisanten oder einer friedlichen, im Einklang mit der Verfassung stehenden Wahrnehmung von deren Belangen und Interessen dienten. Diese Vereine beteiligten sich zugleich auch an Aktionen, die von der LTTE gesteuert seien. Zudem unterstützten sie diese finanziell.
Unter dem 10.8.2005 nahm der Kläger wie folgt Stellung: In seiner Freizeit gehe er gern zu tamilischen Kulturveranstaltungen, um seine Freunde und Bekannte zu treffen. Dort habe er auch Herrn A. getroffen. Dieser habe ihm berichtet, die Anmietung einer Halle sei erheblich günstiger, wenn sie einen eigenen Kulturverein gründen würden. Dies könnten jedoch nur Personen, die einen unbefristeten Aufenthaltsstatus besäßen. Auf seine Bitte hin habe er - der Kläger - sich bereit erklärt zu helfen. Er habe Herrn A. darauf hingewiesen, dass er für irgendwelche Tätigkeiten keine Zeit habe, da er sehr viel arbeite. Dieser habe geantwortet, der Kläger solle ihm einfach eine Fotokopie seines Reisepasses geben, um alles weitere könne er sich kümmern. Am 28.11.1999 habe er dann eine Einladung für den 12.12.1999 bekommen. An diesem Tag habe er Herrn A. die Fotokopie seines Reisepasses übergeben und unterschrieben. Danach habe er gleich wieder zur Arbeit gehen müssen. Um seine Familie im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu holen, habe er Geld benötigt und deshalb zwei Arbeitsstellen gehabt. Seit seine Familie hier in Deutschland sei, kümmere er sich um seine Frau und seine Kinder, gehe zur Arbeit und habe keinen Kontakt zu den Tigern. In seiner knapp bemessenen Freizeit besuchten er und seine Familie manchmal tamilische Kulturveranstaltungen. Bei den vom Landesamt für Verfassungsschutz erwähnten Veranstaltungen sei er jedoch nicht zugegen gewesen. Mittlerweile habe er mit Schreiben vom 5.8.2004 seine Mitgliedschaft in dem tamilischen Kulturverein gekündigt. Er habe keinerlei Kontakte zur LTTE und mit dem Kulturverein nun nichts mehr zu tun.
Am 4.10.2006 erhob der Kläger Untätigkeitsklage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart. Zur Begründung trug er vor, er habe nie den entsprechenden Kontakt zu dem tamilischen Kulturverein e.V. Stuttgart gehabt. Seine Mitgliedschaft habe auf reiner Gefälligkeit basiert. Mit Schreiben vom 5.8.2004 habe er die Mitgliedschaft gekündigt. Er habe mit Schreiben vom 10.8.2005 dargelegt, dass und warum er sich von diesem Verein in vollem Umfang distanziere. Er habe an keiner einzigen Veranstaltung dieses Vereins teilgenommen und insbesondere keinen Kontakt zur LTTE.
Mit Bescheid vom 15.12.2006 lehnte die Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Die Erkenntnisse bezüglich seiner Betätigung für die der LTTE nahestehende „Kulturvereinigung der Tamilen in Stuttgart e.V.“ belege, dass er von deutschem Boden aus die LTTE unterstützt habe. Eine Abwendung von diesen Bestrebungen könne nicht schon dem Umstand entnommen werden, dass er dem Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg letztmals 1999 mit einer Tätigkeit als Schriftführer bekannt geworden sei. Bestätigt werde dies durch seine Einlassung, wonach er seine Mitgliedschaft erst mit Schreiben vom 5.8.2004 gekündigt habe. Sein Vortrag, er sei ohne Absicht in die Schriftführerschaft des Vereins „hereingerutscht“, weil er einem Bekannten eine Kopie des Reisepasses geliehen habe, vermöge nicht zu überzeugen. Auch sonst fehle es seiner Darstellung an Schlüssigkeit und logischer Überzeugungskraft. Einerseits trage er vor, gerne zu tamilischen Kulturveranstaltungen zu gehen, um Freunde und Bekannte zu treffen. Diese Kontakte hätten jedoch durch die Bemühungen, eine ausreichende Lebensgrundlage für die Einreise der Familie zu schaffen, und erst recht seit seine Familie hier lebe, stark nachgelassen. Andererseits trage er vor, mit seiner Familie weiterhin manchmal tamilische Kulturveranstaltungen zu besuchen.
Unter dem 17.1.2007 und dem 1.3.2007 teilte das Innenministerium Baden-Württemberg auf Anfrage des Verwaltungsgerichts ergänzend mit, der Kläger sei durch eine zuverlässige Quelle als Teilnehmer einer Veranstaltung am 22.1.2005 in Karlsruhe identifiziert worden. Bei dieser Veranstaltung sei die Fahne der LTTE gehisst worden und es seien Lobreden auf einen ehemaligen LTTE-Funktionär gehalten worden. Der Bezug zur LTTE ergebe sich auch aus dem Emblem und dem Schriftzug der Organisation auf der im Internet veröffentlichten Einladung zur Veranstaltung. Die Veranstaltung habe um 16.30 Uhr begonnen und etwa vier Stunden gedauert.
Der Kläger nahm hierzu wie folgt Stellung: Er bestreite, an einer Veranstaltung der LTTE am 22.1.2005 in Karlsruhe teilgenommen zu haben. In der Nacht vom 21. auf den 22.1.2005 habe er von 21.59 Uhr bis 6.01 Uhr morgens gearbeitet. Zwischen 7.30 Uhr und 9.00 Uhr habe er noch eine Nebentätigkeit bei einer Gebäudereinigungsfirma ausgeübt. Am 22.1.2005 seien er und seine Familie zu einem häuslichen Gedenktag aus Anlass des Todes der Mutter eines Freundes in Folge des Tsunami eingeladen gewesen. Sie seien zu Hause gegen 17.30 Uhr aufgebrochen, der Gedenktag habe etwa um 18.00 Uhr bei dem in der Nähe wohnenden Freund angefangen. Daher könne er nicht an diesem Tag in Karlsruhe gewesen sein.
10 
In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 26.4.2007 wurde der beim Landesamt für Verfassungsschutz beschäftigte Zeuge ... vernommen. Er gab an: Das Protokoll der Versammlung vom 19.10.1999 enthalte die Aussage, dass der Kläger als Schriftführer ohne Gegenstimme gewählt worden sei. Hieraus könne geschlossen werden, dass er als Schriftführer tätig gewesen sei. Welche Tätigkeiten er entfaltet habe, wisse er - der Zeuge - aber nicht. Er habe auch keine Erkenntnisse, dass der Kläger Tätigkeiten für die Kulturvereinigung der Tamilen entfaltet habe. Er wisse nur, dass er Teilnehmer an der Veranstaltung am 22.1.2005 gewesen sei. Aus einem Antrag, den der Kläger im Jahr 1998 gestellt habe, sei der Quelle des Landesamts für Verfassungsschutz das Lichtbild des Klägers kurz vor dem 8.3.2001 vorgelegt worden. Die Quelle sei bei der Veranstaltung am 22.1.2005 anwesend gewesen; sie habe den Kläger als Teilnehmer identifiziert. Sie habe dem V-Mann-Führer mündlich berichtet; dieser habe ein Protokoll gefertigt. Die Quelle sei nach Ansicht des Landesamts für Verfassungsschutz zuverlässig. Sie zähle zu den etwa 110 Mitgliedern der LTTE, von denen im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2005 die Rede sei. Der Kläger zähle nach Ansicht des Landesamts für Verfassungsschutz nicht zu diesen 110 Mitgliedern. Bei der Veranstaltung am 22.1.2005 seien etwa 300 Personen anwesend gewesen. Hierbei habe die zur Volksgruppe der Tamilen gehörende Quelle weniger als 30 Personen benannt. Die Kulturvereinigung der Tamilen gelte seit der Veranstaltung am 17.6.2000 als LTTE-nah. Mangels Erkenntnissen könne er nicht sagen, dass die Kulturvereinigung schon zuvor der LTTE nahegestanden habe. Ob die Kulturvereinigung auch Veranstaltungen, die nicht von der LTTE geprägt worden seien, veranstaltet habe, wisse er nicht. Dass die Veranstaltung am 22.1.2005 LTTE-nah gewesen sei, ergebe sich aus dem gesamten Inhalt dieser Veranstaltung.
11 
Ausweislich der Verhandlungsniederschrift befragte der Berichterstatter nach Abschluss der Beweisaufnahme den Kläger zum Inhalt der von ihm abgegebenen Loyalitätserklärung und zum Inhalt der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Der Kläger erklärte, hierüber wisse er nichts. Auf weitere Frage des Berichterstatters zum Inhalt von Grundrechten erklärte - so die Niederschrift - der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dieser werde keine weiteren Aussagen machen. Sodann habe der Berichterstatter den rechtlichen Hinweis gegeben, dass auch die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu prüfen seien.
12 
Mit Urteil vom 26.4.2007 - 11 K 3637/06 - hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Ein Anspruch auf Einbürgerung bestehe gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Diese Anforderungen erfülle der Kläger nicht. Zwar habe er bei dem am 21.11.2003 durchgeführten „Deutschtest“ 72 Punkte erreicht. Dies sei jedoch allein ein Indiz für das Vorliegen ausreichender Deutschkenntnisse. Aufgrund der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Befragung des Klägers sei das Gericht davon überzeugt, dass in seiner Person keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorlägen. Er sei in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, Fragen im erforderlichen Umfang verständlich zu beantworten. Das Gericht habe regelmäßig den Prozessbevollmächtigten des Klägers bitten müssen, erneut zu wiederholen, was der Kläger gesagt habe bzw. gesagt haben könne. Auch der Vertreter der Beklagten habe betont, es sei nicht oder nur sehr schwer möglich, den Kläger sprachlich zu verstehen. Weiter müsse davon ausgegangen werden, dass der Kläger das am 24.9.2003 abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht verstanden habe. Auf die entsprechende Frage des Gerichts habe er geantwortet, hierüber wisse er nichts. Weitere Fragen zum Inhalt von Grundrechten habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers abgeblockt. Auch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG komme nicht in Betracht. Sie scheide ebenfalls aus, weil sich der Kläger jedenfalls im Rahmen der Kontakte mit Behörden sprachlich nicht zurechtfinden könne. Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde dem Kläger am 9.5.2007 zugestellt.
13 
Der Kläger hat am 15.5.2007 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, die er - rechtzeitig - wie folgt begründet: Es stelle sich die Frage, ob es nicht ausreichend sein müsse, wenn zur objektiven Überprüfung der Sprachkenntnisse eine Sprachprüfung durchgeführt und bestanden werde, ohne dass es auf subjektive Eindrücke eines Richters in der mündlichen Verhandlung ankomme. Das Gericht behaupte, er sei in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage gewesen, auf Fragen im erforderlichen Umfang verständlich zu antworten. Dies werde damit begründet, dass das Gericht regelmäßig den Prozessbevollmächtigten des Klägers habe bitte müssen, erneut zu wiederholen, was er gesagt habe. Es sei erstaunlich, dass der Prozessbevollmächtigte seine Ausführungen in Deutsch in vollem Umfang habe wiederholen können, obwohl er seine Landessprache nicht kenne. Wenn ein Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung dies bestätige, widerspreche dies dem gesamten Akteninhalt und den Feststellungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren. Bei allen Vorsprachen im Verwaltungsverfahren sei er verstanden worden. Es sei geboten, allein die bestandene Deutschprüfung zur Grundlage des gesamten Verfahrens zu machen, denn nur so sei eine objektive Feststellung möglich. Zu beachten sei auch, dass er unvorbereitet und aufgeregt gewesen sei und manchmal vor Aufregung fast kein Wort herausgebracht habe. Erst nachdem man gemerkt habe, dass die Vernehmung des Zeugen vom Verfassungsschutz die Vorwürfe der Beklagten nicht habe bestätigen können, habe man offensichtlich andere Ablehnungsgründe gesucht.
14 
Er habe im Gerichtsverfahren dargelegt und unter Beweis gestellt, dass er an der Veranstaltung am 22.1.2005 nicht teilgenommen habe und nicht habe teilnehmen können. Der Zeuge ... sei schon deshalb nicht glaubwürdig, weil er noch in der mündlichen Verhandlung behauptet habe, der 22.1.2005 sei wohl ein Dienstag, dies stehe so in den Unterlagen, wohingegen dieser Tag ein Samstag sei. Der Zeuge habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, man habe im Jahr 2001 einem Informanten einmalig ein Bild des Klägers gezeigt, ohne ihm dieses Bild mitzugeben habe. Obwohl der Informant seit 2001 nur dieses Bild gesehen habe, wolle er ihn - den Kläger - vier Jahre später bei einer Veranstaltung von vier Stunden unter Hunderten von Personen erkannt haben. Dies sei schlicht unglaubwürdig. Es sei unverständlich, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen, der diesen Verein nach außen vertrete, dessen Ziele verfolge und die Veranstaltungen durchführe, mittlerweile als Deutscher eingebürgert worden sei. Auch aus anderen Verfahren sei bekannt, dass viele tamilische kulturelle Vereinigungen von der LTTE unterwandert worden seien, ohne dass der Verein oder seine Mitglieder dies erkannt hätten.
15 
Der Richter habe ihn nur nach der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und nicht nach den einzelnen Prinzipien und Grundlagen des Staates befragt. Er sei z.B. nicht zu Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit befragt worden. Es sei unzulässig, wenn das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung plötzlich ohne Vorhersage anfange zu prüfen, ob ein Kläger das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden habe.
16 
Der Kläger beantragt,
17 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 26.4.2007 - 11 K 3637/06 - abzuändern, den Bescheid der Beklagten vom 18.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn einzubürgern sowie
18 
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
19 
Die Beklagte beantragt,
20 
die Berufung zurückzuweisen.
21 
Die Beklagte ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht sei nicht zwingend an das Ergebnis des „Deutschtests“ gebunden. Es könne sich vielmehr selbst ein Bild davon machen, ob die aktuellen Sprachkenntnisse den Anforderungen des § 11 Nr. 1 StAG genügten. Der Kläger habe sich in der Verhandlung nicht so artikulieren können, dass seine Aussprache für einen Dritten, der den Umgang mit ihm nicht gewohnt sei, verständlich gewesen wäre. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei - bedingt durch den persönlichen Kontakt und dem daraus resultierenden Umgang mit der Aussprache des Klägers - zwar in der Lage gewesen, den Kläger zu verstehen. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Worte des Klägers auch von einem Dritten zu verstehen gewesen seien. Es sei erforderlich, dass ein Einbürgerungsbewerber sich auch gegenüber Dritten verständlich machen könne und nicht bloß von Personen verstanden werde, die sich in seinen „Slang“ eingehört hätten. Überdies sei es möglich, dass sich die Sprachkenntnisse seit Absolvierung des Sprachtests verschlechtert hätten. Zum einen sei anzunehmen, dass sich der Kläger auf den Sprachtest vorbereitet habe; zum anderen sei es geläufig, dass Fremdsprachenkenntnisse im Laufe der Zeit verloren gingen, wenn sie nicht aufgefrischt würden. Weiter sei der Kläger im Verhandlungstermin nicht in der Lage gewesen, zu sagen, was er unter einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstehe. Sprachkenntnisse und das Verstehen des Sinngehalts des Bekenntnisses zur freiheitlich demokratischen Grundordnung könnten durchaus im Laufe der Jahre verloren gehen. Daher sei es zulässig, dass sich das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung selbst ein Bild davon mache, wie es sich im maßgeblichen Entscheidungspunkt verhalte.
22 
In der mündlichen Verhandlung vom 20.2.2008 hat der Senat den Kläger informatorisch angehört sowie die Herren ... und ... als Zeugen vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
23 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Einbürgerungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten 11 K 3637/06 des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung; hierauf und auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
24 
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgelehnt, denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eingebürgert zu werden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
Allerdings spricht vieles dafür, dass der Versagungsgrund des § 11 Nr. 2 StAG nach derzeitigem Sachstand nicht gegeben ist, weil die Beklagte die Anknüpfungstatsachen für die angeblichen einbürgerungsschädlichen Aktivitäten des Klägers nicht nachgewiesen haben dürfte. Dies kann jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die derzeit vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse des Klägers noch für eine Einbürgerung ausreichend sind i.S.v. § 11 Nr. 1 StAG. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und an einer wirksamen sog. Loyalitätserklärung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
26 
Ein Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG würde voraussetzen, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
27 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen (vgl. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216, 220). Gleiches gilt für die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484).
28 
Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Denn wenn es sich hierbei nicht nur um formale Einbürgerungsvoraussetzungen in Form eines bloßen Lippenbekenntnisses handelt, müssen das Bekenntnis und die Erklärung von einem entsprechenden Bewusstsein des Einbürgerungsbewerbers getragen sein.
29 
Hieran fehlt es im Falle des Klägers. Auch wenn die Anforderungen an einen Einbürgerungsbewerber nicht überspannt werden dürfen, sind diese zumindest dann nicht erfüllt, wenn wie im Falle des Klägers noch nicht einmal rudimentäre Grundkenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung vorhanden sind und auch der Inhalt der sog. Loyalitätserklärung offenkundig nicht verstanden worden ist. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger auf Frage nach dem am 24.9.2003 abgegebenen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geantwortet, hierüber wisse er nichts; weitere Fragen des Gerichts zu beantworten hat er sich geweigert. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, den Inhalt und die Bedeutung der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung nicht verstanden zu haben. Er habe (lediglich) gewusst, dass er sich dem Land gegenüber respektvoll verhalten müsse, also loyal sein müsse gegenüber den Gesetzen, der Polizei und den Gerichten des Landes. Bei Abgabe der sog. Loyalitätserklärung habe die zuständige Beamtin ihn nicht nach deutschen Gesetzen und solchen Dingen gefragt; es habe keinen „Politiktest“ gegeben. Auch derzeit besitzt der Kläger keine entsprechenden Kenntnisse. Die Frage des Vorsitzenden, was in politischer Hinsicht der Unterschied zwischen Deutschland und Sri Lanka sei, konnte er nicht beantworten. Auf die weitere Frage, ob er Grundrechte oder Menschenrechte kenne, hat er darauf verwiesen, dass man machen müsse, was einem die Gerichte, das Gesetz oder die Polizei sagten. Damit hat er indes die Bedeutung der Grundrechte grundlegend missverstanden und sogar eher in ihr Gegenteil verkehrt. Lediglich soweit er weiter angegeben hat, Mann und Frau seien gleich, hat er ansatzweise den Inhalt eines Grundrechts wiedergegeben. Eine für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellt dies aber offenkundig nicht dar.
30 
Auch eine Einbürgerung im Ermessenswege nach § 8 StAG kommt nicht in Betracht. Nach Nr. 8.1.2.5 VwV-StAR - die über Art. 3 Abs. 1 GG das Ermessen der Behörde bindet - setzt die Ermessenseinbürgerung ebenfalls ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine entsprechende Erklärung voraus.
31 
Der von dem Kläger hilfsweise gestellte Beweisantrag ist nach alledem abzulehnen. Zum einen ist die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung des Klägers, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen eingebürgert worden sei, von der Beklagten nicht bestritten worden. Auch der Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz hat diese Tatsache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mittelbar dadurch eingeräumt, dass er angegeben hat, insoweit laufe ein Rücknahmeverfahren. Daher sieht der Senat keinen Anlass, an dieser Behauptung zu zweifeln und darüber Beweis zu erheben. Zum anderen ist für den Senat nicht ersichtlich, weshalb die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen andere Personen eingebürgert worden sind, für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sein könnte; auch der Kläger hat nicht aufgezeigt, weshalb dies der Fall sein sollte.
32 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss vom 20. Februar 2008
35 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
36 
10.000,-- EUR
37 
festgesetzt. In Anlehnung an Nr. 42.1 des „Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
38 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
24 
Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Sie ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat seine Klage zu Recht abgelehnt, denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, eingebürgert zu werden (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
25 
Allerdings spricht vieles dafür, dass der Versagungsgrund des § 11 Nr. 2 StAG nach derzeitigem Sachstand nicht gegeben ist, weil die Beklagte die Anknüpfungstatsachen für die angeblichen einbürgerungsschädlichen Aktivitäten des Klägers nicht nachgewiesen haben dürfte. Dies kann jedoch ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die derzeit vorhandenen deutschen Sprachkenntnisse des Klägers noch für eine Einbürgerung ausreichend sind i.S.v. § 11 Nr. 1 StAG. Denn es fehlt jedenfalls an dem erforderlichen Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes und an einer wirksamen sog. Loyalitätserklärung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
26 
Ein Einbürgerungsanspruch des Klägers nach § 10 StAG würde voraussetzen, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG).
27 
Der Zweck des Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht. Insoweit reicht ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht aus; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Ein Eingebürgerter wird selbst Teil der staatlichen Gemeinschaft, die er nach dem Grundsatz der Rechts- und Wahlgleichheit mitbildet und mitträgt. Daher ist es nicht nur sachgerecht, sondern geradezu geboten, die Verleihung staatsbürgerlicher Rechte von einem glaubhaften Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abhängig zu machen (vgl. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216, 220). Gleiches gilt für die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung (vgl. bereits Beschluss des Senats vom 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, NVwZ 2006, 484).
28 
Daraus folgt zwingend, dass der Einbürgerungsbewerber zumindest einfache Grundkenntnisse der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besitzen und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden haben muss. Denn wenn es sich hierbei nicht nur um formale Einbürgerungsvoraussetzungen in Form eines bloßen Lippenbekenntnisses handelt, müssen das Bekenntnis und die Erklärung von einem entsprechenden Bewusstsein des Einbürgerungsbewerbers getragen sein.
29 
Hieran fehlt es im Falle des Klägers. Auch wenn die Anforderungen an einen Einbürgerungsbewerber nicht überspannt werden dürfen, sind diese zumindest dann nicht erfüllt, wenn wie im Falle des Klägers noch nicht einmal rudimentäre Grundkenntnisse über die freiheitliche demokratische Grundordnung vorhanden sind und auch der Inhalt der sog. Loyalitätserklärung offenkundig nicht verstanden worden ist. Vor dem Verwaltungsgericht hatte der Kläger auf Frage nach dem am 24.9.2003 abgegebenen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geantwortet, hierüber wisse er nichts; weitere Fragen des Gerichts zu beantworten hat er sich geweigert. Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Kläger eingeräumt, den Inhalt und die Bedeutung der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung nicht verstanden zu haben. Er habe (lediglich) gewusst, dass er sich dem Land gegenüber respektvoll verhalten müsse, also loyal sein müsse gegenüber den Gesetzen, der Polizei und den Gerichten des Landes. Bei Abgabe der sog. Loyalitätserklärung habe die zuständige Beamtin ihn nicht nach deutschen Gesetzen und solchen Dingen gefragt; es habe keinen „Politiktest“ gegeben. Auch derzeit besitzt der Kläger keine entsprechenden Kenntnisse. Die Frage des Vorsitzenden, was in politischer Hinsicht der Unterschied zwischen Deutschland und Sri Lanka sei, konnte er nicht beantworten. Auf die weitere Frage, ob er Grundrechte oder Menschenrechte kenne, hat er darauf verwiesen, dass man machen müsse, was einem die Gerichte, das Gesetz oder die Polizei sagten. Damit hat er indes die Bedeutung der Grundrechte grundlegend missverstanden und sogar eher in ihr Gegenteil verkehrt. Lediglich soweit er weiter angegeben hat, Mann und Frau seien gleich, hat er ansatzweise den Inhalt eines Grundrechts wiedergegeben. Eine für eine Einbürgerung ausreichende Kenntnis der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stellt dies aber offenkundig nicht dar.
30 
Auch eine Einbürgerung im Ermessenswege nach § 8 StAG kommt nicht in Betracht. Nach Nr. 8.1.2.5 VwV-StAR - die über Art. 3 Abs. 1 GG das Ermessen der Behörde bindet - setzt die Ermessenseinbürgerung ebenfalls ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und eine entsprechende Erklärung voraus.
31 
Der von dem Kläger hilfsweise gestellte Beweisantrag ist nach alledem abzulehnen. Zum einen ist die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung des Klägers, dass der Vorsitzende der Kulturvereinigung der Tamilen eingebürgert worden sei, von der Beklagten nicht bestritten worden. Auch der Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz hat diese Tatsache in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat mittelbar dadurch eingeräumt, dass er angegeben hat, insoweit laufe ein Rücknahmeverfahren. Daher sieht der Senat keinen Anlass, an dieser Behauptung zu zweifeln und darüber Beweis zu erheben. Zum anderen ist für den Senat nicht ersichtlich, weshalb die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen andere Personen eingebürgert worden sind, für den vorliegenden Rechtsstreit entscheidungserheblich sein könnte; auch der Kläger hat nicht aufgezeigt, weshalb dies der Fall sein sollte.
32 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33 
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 VwGO nicht vorliegen.
34 
Beschluss vom 20. Februar 2008
35 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
36 
10.000,-- EUR
37 
festgesetzt. In Anlehnung an Nr. 42.1 des „Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit“ (abgedruckt in NVwZ 2004, 1331) geht der Senat bei Streitigkeiten über einen Einbürgerungsanspruch vom doppelten Auffangwert pro Person aus.
38 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. September 2004 - 7 K 4359/03 - wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert des Zulassungsverfahrens wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der auf das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO) gestützte Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4/03 -, DVBl. 2004, 838 f.); es kommt aber darauf auf an, ob ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass der Erfolg des Rechtsmittels ebenso wahrscheinlich ist wie sein Misserfolg (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3.3.2004 - BvR 461/03 -, juris und vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, DVBl. 2000, 1458). Anders liegt es jedoch, wenn sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen lässt, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden hat und die angestrebte Berufung deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004, a.a.O.).
Gemessen hieran bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel. Der Beklagte hat keine erheblichen Gründe vorgebracht, die dafür sprechen, dass das verwaltungsgerichtliche Urteil im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird.
Das Verwaltungsgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 85 AuslG. Er erfülle insbesondere die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG. Diese Vorschrift setze nicht voraus, dass vom Einbürgerungsbewerber eine materiell-wahrheitsgemäße Loyalitätserklärung abgegeben werde. Verstünde man die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG in diesem Sinne, bedürfte es eines Einbürgerungsausschlusses nach § 86 Nr. 2 AuslG nicht mehr, da der Anspruch auf Einbürgerung bereits nicht entstanden wäre. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Loyalitätserklärung stellten vielmehr lediglich formelle Einbürgerungsvoraussetzungen dar, deren Wirksamkeit nicht davon abhängig sei, dass der Ausländer sich tatsächlich aus innerer Überzeugung und Kenntnis von deren Kerninhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekenne. Mit dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie der Erklärung zu etwaigen verfassungsfeindlichen oder extremistischen Aktivitäten werde die innere Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland dokumentiert. Eine solche Erklärung habe der Kläger am 12.10.2001 jedoch beim Landratsamt Esslingen abgegeben und zugleich auch mündlich erklärt, dass er sich von seinen früheren politischen Bestrebungen total abgewandt habe und die ganze Sache bereue. Der Anspruch des Klägers auf Einbürgerung sei auch nicht nach § 86 Nr. 2 AuslG ausgeschlossen. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger in der Zeit von 1987 bis 1996 aktiv die politischen Ziele der TKP/ML, einer marxistisch-leninistischen-kommunistischen Organisation, unterstützt habe. Zweifelhaft sei insoweit jedoch bereits, ob die politischen Aktivitäten des Klägers überhaupt die in § 86 Nr. 2 AuslG normierten Ausschlusstatbestände verwirklicht hätten. Schließlich sei von Seiten des Beklagten nicht vorgetragen worden, welche konkrete Zielsetzung die vom Kläger unterstützte Organisation gehabt habe. Lediglich der Name einer Organisation könne die Annahme nicht rechtfertigen, dass sie verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des § 86 Nr. 2 AuslG verfolge. Selbst wenn die politischen Aktivitäten des Klägers in der Zeit von 1987 bis 1996 unter die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 86 Nr. 2 AuslG zu subsumieren wären, stünde dies der Einbürgerung des Klägers jedoch nicht entgegen. Denn er habe sich von seinen früheren politischen Bestrebungen abgewandt. Der Kläger sei nach seinen Angaben spätestens seit 1997 nicht mehr an Demonstrationen oder Seminaren der TKP/ML bzw. der MLKP beteiligt gewesen. Die diesbezüglichen Einlassungen des Klägers, der seine Aktivitäten in früherer Zeit in keiner Weise geleugnet oder in ihrer Bedeutung herabgesetzt habe, halte das Gericht für glaubhaft, zumal dem Amt für Verfassungsschutz, das die Aktivitäten des Klägers zuvor im einzelnen habe benennen können, ein weiteres Tätigwerden in dieser Richtung nicht hätte verborgen bleiben können. Der Kläger sei somit seit annähernd acht Jahren nicht mehr für die genannten oder andere in ähnlicher Weise verdächtige Organisationen aktiv gewesen. Die Beendigung seiner aktiven politischen Zeit stehe im zeitlichen Zusammenhang mit der strafrechtlichen Ahndung der Straßen- und Schienenblockade, an der er sich damals beteiligt habe. Für das Gericht sei dies ein plausibler und nachvollziehbarer Grund, sich von den zuvor unterstützten Organisationen zu distanzieren. Dass der Kläger unter Umständen auch deshalb seine politische Arbeit eingestellt habe, weil er sein Einbürgerungsbestreben nicht habe gefährden wollen, mache sein Vorbringen nicht unglaubhaft. Er bringe damit nur zum Ausdruck, dass er die für eine Einbürgerung notwendige Staats- und Verfassungstreue zu leisten bereit sei. Aufgrund der untergeordneten Bedeutung des vom Kläger erbrachten Unterstützungsbeitrags werde seine Abwendung von seinen früheren politischen Aktivitäten durch die mehrjährige „Abstinenz“ und die in der mündlichen Verhandlung nochmals wiederholte Beteuerung, seine frühere politische Arbeit eingestellt zu haben, glaubhaft gemacht. Weitergehender Darlegung und Beweisangebote bedürfe es hiernach nicht.
Dem hält der Beklagte entgegen, das Verwaltungsgericht habe das Wesen und die Konsequenzen der Bekenntniserklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG (= § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verkannt. Eine solche Erklärung sei nicht nur eine formale Einbürgerungsvoraussetzung mit der Folge, dass es auf ihren Wahrheitsgehalt nicht ankomme. Vielmehr müsse die Erklärung nach § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG mit dem Verhalten und der inneren Einstellung der sich bekennenden Person im Einklang stehen. An einer solchen Einstellung fehle es beim Kläger. Er sei unstreitig für die TKP/ML tätig geworden und habe sich auch für weitere kommunistische Organisationen eingesetzt. Dabei habe der Kläger gezeigt, dass es ihm beim Marxismus-Leninismus nicht bloß um ein abstraktes theoretisches, von der Lebenswirklichkeit losgelöstes Interesse für eine wissenschaftliche Lehre, sondern um deren Umsetzung in eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaftsordnung gegangen sei. Die marxistisch-leninistische Ideologie sei aber mit dem Wertesystem der deutschen Verfassung nicht vereinbar. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass er sich vom Marxismus/Leninismus und seinen Zielsetzungen abgewandt habe. Er habe insbesondere keine objektiven Tatsachen vorgebracht, aus denen auf eine Abwendung geschlossen werden könnte, und auch keine Umstände substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, die sonst eine Abwendung belegen könnten. Es fehle hiernach im Fall des Klägers an der Einbürgerungsvoraussetzung des Bekenntnisses im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG. Angesichts der Aktivitäten des Klägers für linksextremistische türkische Parteien lägen bei ihm zudem auch tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Annahme rechtfertigten, dass er Bestrebungen unterstütze, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet seien. Hiernach stehe auch der Ausschlussgrund nach § 86 Nr. 2 AuslG (= § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) einer Einbürgerung des Klägers entgegen.
Dieses Vorbringen ist im Ergebnis nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des vom Beklagten angefochtenen Urteils zu begründen. Für den Einbürgerungsanspruch eines Klägers nach § 10 StAG ist Voraussetzung, dass er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, oder dass er glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG). Im Zusammenhang damit regelt § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG, dass ein Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG nicht besteht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer die in §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat. Als tatbestandsmäßiges Unterstützen im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist dabei jede Handlung anzusehen, die für Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG objektiv vorteilhaft ist; dazu zählen etwa die öffentliche oder nicht öffentliche Befürwortung von in § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen durch Wort, Schrift und Bild, die Gewährung finanzieller Unterstützung oder die Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der in § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG genannten Ziele (vgl. BayVGH, Urteil vom 27.5.2003 - 5 B 01.1805 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 -; Berlit in GK-StAR IV-2 § 11 RdNrn. 96 ff.).
Der Senat hat anders als das Verwaltungsgericht keine Zweifel daran, dass der Kläger in der Vergangenheit politische Aktivitäten im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG entfaltet hat. Denn er hat nach seinen eigenen Angaben im Asylverfahren die TKP/ML in der Zeit nach seiner Einreise in der Bundesrepublik Deutschland aktiv unterstützt und hat darüber hinaus bis Mitte 1996 auch an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen, die u.a. von der MLKP veranstaltet worden sind. Beide Organisationen haben jedoch sicherheitsgefährdende Bestrebungen in Deutschland verfolgt (vgl. VG Gießen, Urteil vom 18.10.2004 - 10 E 891/04 -, juris; Beschluss des Senats vom 13.12.2004 - 13 S 1276/04 -, InfAuslR 2005, 64).
Das Verwaltungsgericht hat jedoch angenommen, dass der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG der Einbürgerung des Klägers nicht - mehr - entgegenstehe, da er glaubhaft gemacht habe, sich von seinen früheren Aktivitäten abgewandt zu haben. Diese Annahme des Verwaltungsgerichts wird durch die Ausführungen des Beklagten in der Berufungszulassungsbegründung, in der er die Voraussetzungen einer „Abwendung“ im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG bestreitet, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Das Verwaltungsgericht hat sich bei der Subsumtion unter diesen Begriff an der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteil vom 11.7.2002 - 13 S 111/01 -, juris) und an der Literatur (vgl. Berlit, a.a.O., § 11 RdNrn 156 ff.) orientiert; insoweit werden durch den Beklagten auch keine grundsätzlichen Bedenken erhoben. Grundlage für die Annahme einer Abwendung des Klägers von seinen früher verfolgten Zielen und Aktivitäten für die TKP/ML und MLKP waren für das Verwaltungsgericht nicht nur die Erklärungen des Klägers im Verwaltungsverfahren, sondern auch seine Ausführungen im Gerichtsverfahren und der persönliche Eindruck, den sich das Gericht aufgrund seiner Äußerungen in der mündlichen Verhandlung vom Kläger gebildet hat. Es ging dem Gericht insofern um eine Gesamtwürdigung des Klägers, in die mehrere Faktoren eingeflossen sind. Von entscheidender Bedeutung war hierbei für das Verwaltungsgericht offenbar, dass der Kläger immer nur ein politischer „Mitläufer“, d.h. eine bloße Randfigur von geringer Bedeutung, gewesen ist, dass er sämtliche - d.h. nicht nur die einbürgerungsschädlichen - politischen Aktivitäten bereits seit mehr als acht Jahren eingestellt hatte, sein früheres „Tun“, das er im übrigen niemals geleugnet oder bagatellisiert hat, nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck erkennbar bereut und letztlich der Sache nach durch eine Art „Schlüsselerlebnis“, nämlich die strafrechtliche Verurteilung durch das Amtsgericht Köln vom Jahre 1996 wegen gemeinschaftlich begangener Nötigung, dazu veranlasst worden ist, sich von den früher unterstützten, durch § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG inkriminierten Bestrebungen abzuwenden. Richtig ist, dass der innere Sinneswandel, von dem das Verwaltungsgericht beim Kläger ausgegangen ist, in vergleichsweise geringem Maße durch äußere Handlungen nach außen erkennbar wird. Das Verwaltungsgericht hat sich in diesem Zusammenhang jedoch zu Recht auf den Standpunkt gestellt, dass die Anforderungen an die Glaubhaftmachung innerer Lernprozesse herabgesetzt werden müssen, wenn die einbürgerungsschädlichen Aktivitäten schon mehrere Jahre zurückliegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - und Beschluss vom 13.12.2004, a.a.O.; Berlit, a.a.O., § 11 RdNr. 165) und auch nach Art und Häufigkeit nicht als besonders schwerwiegend eingestuft werden können. So liegt es, wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat, jedoch im Fall des Klägers. Auch bei Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten im Zulassungsverfahren sieht der Senat hiernach keinen Anlass, an der Richtigkeit der vom Verwaltungsgericht vertretenen Ansicht zu zweifeln, dass der Kläger seine Abwendung von seinen früher vertretenen Zielen und Aktivitäten für die TKP/ML bzw. die MLKP glaubhaft gemacht habe und dass der Einbürgerungsausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG dem Kläger nicht mehr entgegengehalten werden könne.
Keinen Zweifeln begegnet - jedenfalls im Ergebnis - bei dieser Sachlage gleichfalls die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Kläger auch die Einbürgerungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG erfülle.
10 
Dem Kläger kann zunächst entgegen der vom Beklagten vertretenen Ansicht nicht vorgehalten werden, dass er das von ihm entsprechend dem Erfordernis des § 10 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegebene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland lediglich unter einem inneren Vorbehalt abgegeben hat und dieses Bekenntnis mithin nicht der Wahrheit entsprochen hat. Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in Vergangenheit und Gegenwart abverlangt. Hieraus soll zugleich darauf geschlossen werden, dass von ihm auch nach der Einbürgerung keine Gefahr für Bestand und Sicherheit des Staates sowie dessen Grundordnung ausgeht (vgl. Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, Nachtrag zur 7. Aufl. des Kommentars zum Ausländerrecht, § 85 RdNr. 23; Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, § 85 RdNr. 29). Der Senat neigt insoweit allerdings anders als das Verwaltungsgericht zu der Ansicht, dass ein rein verbales Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zur Erfüllung der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht ausreicht; das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss wohl auch inhaltlich zutreffen, stellt mithin nicht nur eine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar (so Jakober/Welte, Aktuelles Ausländerrecht, § 86 RdNr. 21; VG Karlsruhe, Urteil vom 26.2.2003 - 4 K 2234/01 -, juris; a.A. Berlit, a.a.O., § 10 StAG RdNrn. 126 ff.). § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt für die Einbürgerung andererseits auch nicht mehr als ein materiell vorliegendes „Bekenntnis“, also nicht darüber hinaus, dass der Einbürgerungsbewerber auch Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit - auch kämpferisch - für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt (vgl. Renner, a.a.O., § 85 AuslG, RdNr. 26; Berlit, a.a.O., § 10 StAG RdNr. 130). Es bedarf jedoch vorliegend keiner abschließenden Klärung dieser Frage. Denn es fehlt im Hinblick darauf, dass der Kläger seine Abwendung von seinen früheren einbürgerungsschädlichen politischen Aktivitäten glaubhaft machen konnte und seine Hinwendung zur Bundesrepublik Deutschland durch Abgabe eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung dokumentiert hat, am Vorliegen objektiver Umstände, die einen Rückschluss auf eine vom äußeren Eindruck abweichende, nicht von einer inneren Überzeugung getragene Einstellung (im Sinn eines fehlenden Bekenntnisses) zuließen (vgl. Jakober/Welte, a.a.O., § 86 AuslG RdNr. 21).
11 
Es fehlt beim Kläger aber auch nicht an dem in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ebenfalls geregelten Erklärungserfordernis. Insoweit kann ebenfalls offen bleiben, ob die zusätzlich zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgegebene Loyalitätserklärung - wie das VG meint, wogegen jedoch vieles spricht - ebenfalls als rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung anzusehen ist, ob also zur Erfüllung dieses in § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG geregelten Erfordernisses nicht notwendig ist, dass diese Erklärung materiell wahrheitsgemäß ist (so Berlit, a.a.O., § 10 RdNr. 129 ff.). Denn dem Kläger muss - wie bereits ausgeführt - abgenommen werden, dass er sich von seinen früheren einbürgerungsschädlichen Aktivitäten und Bestrebungen abgewandt hat und sich aus innerer Überzeugung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt. Hieraus folgt jedoch, dass von der inhaltlichen Richtigkeit seiner Loyalitätserklärung auszugehen ist. Am Vorliegen der Bekenntnis- und Erklärungserfordernisse des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG bestehen hiernach im Fall des Klägers keine ernstlichen Zweifel. Die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt hiernach nicht in Betracht.
12 
Die Rechtssache hat auch nicht die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung. Die als grundsätzlich aufgeworfene Frage, ob die nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG vorgeschriebenen Bekenntnis- und Loyalitätserklärungen der Wahrheit entsprechen müssen oder ob sie - wie das Verwaltungsgericht meint - nur formelle Einbürgerungsvoraussetzungen darstellen, würde sich dem Senat in einem Berufungsverfahren nicht stellen, da nach den gesamten Umständen davon auszugehen ist, dass die insoweit vom Kläger abgegebenen Erklärungen auch materiell wahrheitsgemäß sind. Dies bedeutet jedoch, dass der Senat in dem vom Beklagten erstrebten Berufungsverfahren über die von ihm aufgeworfene Frage nicht zu befinden hätte, da sie nicht entscheidungserheblich wäre. Die Rechtssache hat daher nicht die vom Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung.
13 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
14 
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG n.F. (doppelter Auffangwert, vgl. Ziff. 42.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 7./8.7.2004).
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Er ist am … 1960 in ... (Türkei) geboren und kurdischer Volkszugehöriger. Er reiste zusammen mit seiner Ehefrau und den in den Jahren 1988 und 1989 geborenen Töchtern im Juni 1990 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Die Familie stellte einen Asylantrag, zu dessen Begründung sich der Kläger darauf berief, er sei in der Türkei seit 1976 für die TKEP bzw. deren Vorgängerorganisation tätig gewesen und deswegen politisch verfolgt worden. Hinsichtlich der Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die beigezogene Asylverfahrensakte, insbesondere seine Anhörung im Rahmen der Vorprüfung verwiesen. Mit Bescheid vom 08.08.1990 erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger, seine Ehefrau und die beiden Töchter als Asylberechtigte an. Seither war der Kläger im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und eines internationalen Reiseausweises. Mit Schreiben vom 04.01.2007 teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Landratsamt Karlsruhe auf Nachfrage mit, dass hinsichtlich der Familie derzeit kein Widerrufsverfahren eingeleitet werde.
Im Jahre 1996 stellte der Kläger erstmals einen Einbürgerungsantrag. Unter dem 18.08.1998 teilte das Landesamt für Verfassungsschutz mit, es lägen keine nachteiligen Erkenntnisse vor. Am 03.09.1998 sagte das Landratsamt Karlsruhe die Einbürgerung zu, sofern bis zum 03.09.2000 der Verlust der türkischen Staatsangehörigkeit nachgewiesen wird. Nach einer Bestätigung des türkischen Generalkonsulates Karlsruhe vom 11.02.1999 wurde die Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt. Am 06.07.2000 nahm der Kläger seinen Einbürgerungsantrag vom 25.11.1996 zurück und beantragte zugleich erneut seine Einbürgerung. In der Folgezeit bekannte er sich gegenüber der Einbürgerungsbehörde zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und gab eine Erklärung ab, wonach er u.a. keine Bestrebungen verfolge oder unterstütze, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes gerichtet seien.
Am 14.07.2001 unterzeichnete der Kläger die Selbsterklärung „auch ich bin ein PKK´ler“. Das darauf hin eingeleitete Strafverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz stellte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 15.05.2002 gemäß § 153b Abs. 1 StPO ein. Der eigene Beitrag zur Unterstützung der PKK/ERNK erscheine von geringem Gewicht. Gemessen an den Verbotsgründen handele es sich um eine untergeordnete, wenngleich nicht völlig unerhebliche Förderung der Ziele der PKK/ERNK. Insgesamt erscheine das Verschulden gering. Vorstrafen, die eine andere Bewertung oder eine Bestrafung gebieten würden, seien nicht bekannt geworden.
Nach einem Bericht des Polizeireviers Ettlingen vom 30.08.2001 kam es am 10.08.2001 zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der Familien ... und ..., bei der verschiedene Beteiligte verletzt wurden. Ausweislich der Niederschrift des Polizeireviers Ettlingen über die Vernehmung von ... als Geschädigter vom 30.08.2001 gab dieser an, der Kläger sei nicht nur ein Anhänger der PKK, sondern aktives Mitglied und gebe alles Geld, das ihm übrigbleibe, der PKK. Der Kläger versuche immer wieder mit dem Versprechen, die ganzen Kosten würden bezahlt, die Hausbewohner und auch ihn zu überreden, zu Veranstaltungen der PKK mitzufahren, so zur damaligen Öcalan-Veranstaltung nach Zürich. Die ganze Straße wisse, dass der Kläger ein aktives PKK-Mitglied sei. Das gebe er selbst freimütig zu und mache ständig Werbung für die Organisation. Die ganze Wohnung sei mit Bildern und Flaggen der PKK bzw. Öcalans dekoriert. Die Staatsanwaltschaft stellte das im Hinblick auf den Vorfall vom 10.08.2001 eingeleitete Ermittlungsverfahren mit Verfügung vom 03.01.2002 gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, denn der Beginn sowie der Ablauf der Auseinandersetzung werde von den verschiedenen Beteiligten unterschiedlich geschildert, wobei nicht festzustellen sei, welcher Version ein größerer Wahrheitsgehalt zukomme. Mit Urteil des Amtsgerichts Ettlingen vom 20.10.2004 - 1 C 39/04 - wurden ... und sein Vater verurteilt, dem Kläger und seiner Ehefrau Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 4.173,06 EUR zu zahlen.
Am 25.01.2006 führte das Landratsamt Karlsruhe eine Befragung des Klägers und seiner Ehefrau hinsichtlich des Bekenntnisses zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch. Die Antworten ließen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass es an Grundkenntnissen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung fehlen könnte. Am 20.01.2007 gab der Kläger erneut das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ab und unterzeichnete die Loyalitätserklärung.
Das Innenministerium Baden-Württemberg stimmte einer Einbürgerung des Klägers mit Schreiben vom 21.09.2005, 29.03.2007 und 20.07.2007 nicht zu. Der Kläger sei dem Landesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) bekannt geworden. Über ihn lägen folgende Erkenntnisse vor, die seine Einbindung in die Aktivitäten der PKK-Anhänger und damit auch seine ideologische Ausrichtung dokumentierten:
- 08.03.1998: Teilnahme an einer „PKK-Volksversammlung“ in ... Thema der Veranstaltung anlässlich des „Internationalen Frauentages“ sei insbesondere die Beteiligung von Frauen an der Revolution gewesen.
- 28.06.1998: Teilnahme an einer Veranstaltung der PKK zum Gedenken verschiedener „Märtyrerinnen“.
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- 06.03.1999: Teilnahme an der PKK-Demonstration in ..., die sich gegen die Festnahme Öcalans gerichtet habe. Von den Teilnehmern seien mehrere PKK-Fahnen sowie Abbildungen Öcalans mitgeführt worden.
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- 04.04.1999: Teilnahme an einer „Volksversammlung“ der PKK in ... In Redebeiträgen sei über die aktuelle politische Situation im Zusammenhang mit der Festnahme Öcalans referiert worden, wobei die Situation in der Bundesrepublik Deutschland mit der Zeit des Nationalsozialismus in Zusammenhang gebracht worden sei.
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- 24.10.1999: Teilnahme an der „Volksversammlung“ des PKK-Gebietes in ... Thema der Veranstaltung sei die aktuelle politische Situation im Hinblick auf den nach der Festnahme Öcalans eingeschlagenen Friedenskurs gewesen.
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- 15.02.2003: Teilnahme an einer europaweiten Demonstration von KADEK-Anhängern gegen die „Isolationshaft“ Öcalans. Es seien zahlreiche Bilder von Öcalan mitgeführt und der getöteten „Märtyrer“ dieser Organisation gedacht worden.
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- 14.02.2004: Teilnahme an einer Solidaritätsdemonstration von KONGRA-GEL-Anhängern in Straßburg anlässlich des 5. Jahrestages der Festnahme von Öcalan. Neben Fahnen der PKK seien Transparente mitgeführt worden, auf denen die Forderungen nach Freilassung Öcalans zu lesen gewesen seien. Wiederum sei den „Märtyrern“ von PKK/KADEK/ KONGRA-GEL gedacht worden.
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In einem persönlichen Schreiben vom 07.11.2005 erklärte der Kläger, er habe an diesen Veranstaltungen nicht teilgenommen. Die Prozessbevollmächtigte des Klägers führte mit Schreiben vom 30.05.2007 aus, die aufgeführten Sachverhalte seien reine Behauptungen und entbehrten jeder Grundlage. Der Kläger sei kurdischer Volkszugehörigkeit und demzufolge an einer friedlichen Lösung für die kurdische Frage interessiert. Wie aus dem Asylverfahren ersichtlich komme er aus einer völlig anderen politischen Tradition. Auch dem Innenministerium dürfte bekannt sein, dass die Organisationen, mit denen er sich noch in der Türkei politisch verbunden gefühlt habe, im Gegensatz zur PKK stünden und sich hier keine Gemeinsamkeiten ergäben. Er sei zu keinem Zeitpunkt Mitglied, Unterstützer oder Sympathisant der PKK gewesen. Er habe mit dieser politischen Richtung nichts zu tun.
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Anlässlich einer persönlichen Anhörung beim Landratsamt Karlsruhe am 05.12.2007 äußerte sich der Kläger - ebenso wie bei einer persönlichen Vorsprache am 10.01.2007 - dahingehend, dass er die Unterschrift auf der PKK-Selbsterklärung geleistet habe, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. An den aufgelisteten Demonstrationen habe er nicht teilgenommen. Er sei kein Sympathisant oder Mitglied der PKK. Er sei in der Türkei Sympathisant der TKEP gewesen. Hierzu verweise er auf das Anhörungsprotokoll des Bundesamtes. Aus politischen Auseinandersetzungen habe er sich zurückgezogen.
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Das Landratsamt Karlsruhe lehnte mit Bescheid vom 02.05.2008 den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Es fehle schon an der Einbürgerungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG. Darüber hinaus lägen die Ausschlussgründe nach § 11 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 StAG vor. Der Kläger habe im Jahre 2001 im Rahmen der PKK-„Identitätskampagne“ eine „Selbsterklärung“ bewusst unterzeichnet und damit erklärt, dieser Partei anzugehören. Er habe außerdem an den vom Landesamt für Verfassungsschutz im einzelnen mitgeteilten Veranstaltungen teilgenommen. Seine von ihm am 06.07.2000 abgegebene Loyalitätserklärung, in der er erklärt habe, keine der in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genannten Bestrebungen unterstützt oder verfolgt zu haben, habe nach alledem nicht der Wahrheit entsprochen. Da er seine Unterstützungshandlungen für die PKK auch nach Abgabe der Loyalitätserklärung fortgeführt habe und sie in seiner Anhörung vom 05.12.2007 im Beisein seiner Bevollmächtigten geleugnet habe, könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich von der früheren Verfolgung und Unterstützung solcher Bestrebungen tatsächlich abgewandt habe.
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Gegen den am 05.05.2008 zugestellten Bescheid legte der Kläger am 05.06.2008 Widerspruch ein und trug vor, er habe an den vom Verfassungsschutz aufgelisteten Aktivitäten nicht teilgenommen. Wie sich aus dem Asylantrag ergebe, würden die Organisationen, mit der er in der Türkei zusammengearbeitet habe, im politischen Gegensatz zur PKK stehen. Kontakte zu der politischen Strömung der Türkisch-Kommunistischen Partei und der Kurdisch-Kommunistischen Partei bestünden in Deutschland seit mehr als 15 Jahren nicht mehr. Die PKK-Selbsterklärung, mit der für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage geworben worden sei, stehe einer Einbürgerung nicht entgegen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2008 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück und führte ergänzend aus, dass eine Einbürgerung des Klägers auch nicht im Wege der Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG in Betracht komme.
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Am 07.01.2009 erhob der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe, zu deren Begründung er unter anderem vortrug: Grundlage seiner Anerkennung als Asylberechtigter sei die politische Verfolgungsgefahr in der Türkei aufgrund seiner Zusammenarbeit mit der TKEP gewesen. Seine politische Betätigung habe somit nicht für die PKK oder eine ihrer Strukturen stattgefunden. Er habe sich während seiner Zeit in der Bundesrepublik Deutschland zunehmend von seinen früheren politischen Überzeugungen gelöst und sich hier integriert. Er sei mehrfach durch die Behörde und auch durch den Verfassungsschutz überprüft worden. Erkenntnisse hätten offensichtlich bis September 1998, zu diesem Zeitpunkt habe er eine Einbürgerungszusicherung erhalten, nicht vorgelegen. Er habe keinerlei politischen Bezugspunkte zur PKK und/oder einer mit ihr verbundenen Organisation. Die vom Landesamt für Verfassungsschutz behaupteten Teilnahmen an Veranstaltungen bzw. Demonstrationen, die von der PKK oder mit ihr verbundenen Organisationen und Vereinen organisiert worden seien, seien ohne jede tatsächliche Grundlage und unzutreffend. Offensichtlich sei es zu dieser Behauptung erst gekommen, nachdem er die „Selbstbezichtigungskampagne“ unterstützt habe. Wie auch viele andere Personen, ob nun türkischer oder kurdischer Herkunft, sei er der Überzeugung, dass eine friedliche Lösung für die kurdische Frage in der Türkei gefunden werden müsse. Deshalb unterstütze er auch entsprechende Forderungen. Bezüglich der sog. Selbstbezichtigungs- oder Identitätskampagne hätten zwei Unterschriftsentwürfe vorgelegen, einmal mit und einmal ohne die beanstandete Überschrift „auch ich bin ein PKK´ler“. Er habe jedoch nicht ernsthaft zum Ausdruck bringen wollen, wie auch eine Vielzahl der Unterzeichner, dass er Mitglied der PKK sei, sondern lediglich, dass die Auseinandersetzung in den kurdischen Gebieten der Türkei ihn auch selbst betreffe und dass eine Lösung des Problems nicht ohne Einbeziehung der PKK möglich sein werde.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
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In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 19.11.2009 gab der Kläger an: Er und seine Familie seien zwischenzeitlich aus der Türkei ausgebürgert worden. Er habe an keiner der benannten Demonstrationen bzw. Veranstaltungen teilgenommen. Er wisse noch nicht einmal, was bei den Veranstaltungen, an denen er teilgenommen haben soll, thematisiert worden sei. Er sei gegen Krieg und hoffe, dass die Kurdenprobleme in der Türkei einer einvernehmlichen Lösung zugeführt würden. Er nehme an Newroz, den kurdischen Neujahrsfeierlichkeiten, teil, um den sozialen Kontakt mit den Kurden aus seiner Heimat aufrecht erhalten zu können. Politisch betätige er sich bei Newroz nicht. Die PKK und die TKEP, für die er sich in der Türkei politisch betätigt habe und aufgrund dessen er als Asylberechtigter anerkannt worden sei, hätten unterschiedliche Zielsetzungen gehabt. Die TKEP habe sich zwischenzeitlich aufgelöst. Seine politischen Betätigungen in der Türkei lägen Jahrzehnte zurück und er habe wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr, sich politisch zu engagieren. Er wolle dies auch nicht mehr. Er setze sich für die Rechte der Arbeitnehmer ein und besuche regelmäßig Veranstaltungen zum 1. Mai.
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Mit Urteil vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - verpflichtete das Verwaltungsgericht Karlsruhe unter Aufhebung des Bescheides des Landratsamts Karlsruhe vom 02.05.2008 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 15.12.2008 den Beklagten, den Kläger in die Bundesrepublik Deutschland einzubürgern. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG lägen vor. Dem Begehren des Klägers stünden auch die Ausschlussgründe nach § 11 StAG nicht entgegen. Die alleinige Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung rechtfertige nicht die Annahme, der Kläger habe eine Bestrebung im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der Kläger den Wortlaut übersteigende Ziele und Absichten habe erkennen können oder müssen bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK habe hegen müssen, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde. Seine schriftliche Erklärung vom 26.04.2005 verdeutliche, dass er nicht hinter den von der PKK durchgeführten terroristischen Aktionen gestanden habe und stehe. Die Erklärung des Klägers, er sei der Auffassung, die PKK führe einen friedlichen, demokratischen und gerechten Kampf, müsse vor dem Hintergrund der in jener Zeit von der PKK verkündeten Gewaltfreiheit ihres politischen Kampfes gesehen werden. Für den Kläger sei es genau so wenig wie für viele andere Kurden ersichtlich gewesen, dass die PKK trotz ihrer propagierten Gewaltfreiheit weiterhin zu Gewaltaktionen zur Durchsetzung ihrer Ziele greifen würde. Um dies erkennen zu können, hätte er zumindest Führungsmitglied der PKK (in Deutschland) sein müssen, wovon selbst der Beklagte nicht ausgehe. Nach dem von der Kammer in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck seien seine rechtfertigenden Erklärungen keine Lippenbekenntnisse, insbesondere um einer drohenden Strafverfolgung zu entgehen, sondern brächten seine innere Überzeugung zum Ausdruck. Auch die im Asylverfahren unterstellte politische Betätigung des Klägers in der Türkei für die TKEP vermöge die Selbsterklärung nicht in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Abgesehen vom Zeitablauf gebe es auch kein Bindeglied zwischen der politischen Betätigung des Klägers in der Türkei und der von ihm unterschriebenen Selbsterklärung. Nach Auffassung der Kammer habe der Kläger auch nicht an den von ihm zur Last gelegten Demonstrationen teilgenommen. Er habe durchgängig von Anfang an bestritten, an den ihm vorbehaltenen Demonstrationen teilgenommen zu haben, und habe dies auch in der mündlichen Verhandlung noch einmal bekräftigt. Die vom Beklagten angebotene Einvernahme des Zeugen vom Hörensagen sei nicht erforderlich gewesen. Denn selbst wenn der Zeuge vom Hörensagen die Demonstrationsteilnahme des Klägers hätte bestätigen können, wäre es ihm nicht möglich gewesen, über die Gewinnung und den näheren Inhalt der Erkenntnisse bezüglich des Klägers Aussagen zu machen. Dies wäre aber für eine Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der strengen Vorgaben bei diesem Beweismittel für die Kammer erforderlich gewesen. Die Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg habe anlässlich einer Informationsveranstaltung vorgetragen, Zeugen vom Hörensagen dürften keine näheren Angaben zur Gewinnung der von ihnen vorgetragenen Erkenntnisse machen. Beim Landesamt für Verfassungsschutz gebe es zudem nur einen zur Aussage bei Gericht berechtigten Beamten, der im Übrigen seine Informationen oftmals selbst nicht von den vom Verfassungsschutz eingesetzten V-Leuten bekomme, sondern seinerseits auf Angaben von Personen vom Hörensagen angewiesen sei. Aufgrund dessen scheide die Anhörung des vom Beklagten angebotenen Zeugen vom Hörensagen jedenfalls in diesem Verfahren zur Überzeugungsbildung der Kammer aus. Selbst wenn man im Übrigen eine bloße Teilnahme des Klägers an den vom Innenministerium benannten Veranstaltungen unterstellen würde, könnte dies seiner Einbürgerung nicht entgegenstehen. Wie dem Berichterstatter aus einer Vielzahl von Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit bekannt sei, hätten an den in der Regel angezeigten bzw. genehmigten Demonstrationen oder Veranstaltungen viele Kurden nur deswegen teilgenommen, um gemeinsam mit weiteren Volkszugehörigen zu feiern und in einer für sie oftmals fremden Umgebung Geborgenheit zu finden. Nicht selten nähmen an diesen Veranstaltungen mehrere tausend Menschen aus allen Teilen der Bundesrepublik teil. Auch wenn bei diesen Demonstrationen bzw. Veranstaltungen PKK-Fahnen und Bilder des PKK-Führers Öcalan öffentlich gezeigt würden, heiße das noch lange nicht, dass sich jeder der Teilnehmer uneingeschränkt und vorbehaltlos mit allen im Rahmen einer solchen Großveranstaltung öffentlich bekundeten Stellungnahmen und Meinungsäußerungen vollinhaltlich identifiziert habe. Zugegebenermaßen werde eine nicht geringe Anzahl von Teilnehmern tatsächlich die PKK-Ziele verinnerlicht haben, verallgemeinern lasse sich dies jedoch nicht. Dass der Kläger die PKK bei den aufgeführten Demonstrationen etwa durch das Schwingen der Fahne unterstützt habe, sei zu keiner Zeit vom Beklagten behauptet worden. Dies halte die Kammer auch für unwahrscheinlich, da ihm eine Verbindung zur PKK nie nachgewiesen worden und eine solche auch nicht aufgrund seiner in der Türkei gezeigten politischen Überzeugung und seinem Eintreten für die Ziele der TKEP erkennbar sei.
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Auf Antrag des Beklagte hat der Senat mit Beschluss vom 16.03.2010 die Berufung zugelassen, die am 13.04.2010 unter Stellung eines Antrags begründet worden ist. Der Beklagte führte zu den Veranstaltungen, an denen jeweils der Kläger und die „Quelle“ des Verfassungsschutzes teilgenommen hätten, ergänzend aus: An der am Nachmittag des 08.03.1998 in den Vereinsräumlichkeiten des „Kulturzentrums Kurdistan e.V.“ in der ... durchgeführten Veranstaltung hätten ca. 200 Personen teilgenommen. Thema der Veranstaltung sei in erster Linie der „Internationale Frauentag“ gewesen. Daneben sei auch den beiden kurdischen Märtyrerinnen Beriwan und Ronahi gedacht worden, die sich 1993 in Mannheim selbst verbrannt hätten. Nach einer Gedenkminute habe sich der Gebietsleiter an die Anwesenden gewandt und über die Bemühungen der PKK, für die Einhaltung der Menschenrechte in Kurdistan einzutreten, berichtet. Er habe die Anstrengungen der PKK mit der russischen Revolution, die eine neue Epoche für die unterdrückten Menschen in der ehemaligen Sowjetunion eingeleitet habe, verglichen. Die Gegner der PKK hießen heute Türkei, USA und Israel. Sie würden zusammenarbeiten, um die antiimperialistische Politik der PKK zu unterlaufen. Der Redner habe den Mut der Frauen gerühmt, die - wie Beriwan und Ronahi in Deutschland - in vielen Ländern ihr Leben für die PKK geopfert hätten. Europa, das heute Heimat von Millionen Kurden sei, biete Frauen eine große Chance, sich selbst zu verwirklichen. Im Feudalsystem der Türkei sei dies nicht im selben Ausmaß möglich. Abschließend habe der Gebietsleiter insbesondere die Frauen aufgerufen, sich am bevorstehenden Marsch zahlreich zu beteiligen. Eine unbekannte Funktionärin habe den Beginn einer fünftägigen Sitzdemonstration in Genf ab 16.03.1998 verkündet. An dieser Aktion sollten sich auch zahlreiche Frauen aus Süddeutschland beteiligen. Grund der Veranstaltung sei die Aufforderung des Führers der DPK Barsani an die Bewohner des nordirakischen Lagers Ninowa, dieses Camp zu verlassen. Sodann habe die Funktionärin zum „Internationalen Frauentag“ die Rolle der Frau in der PKK betont. Dank der PKK habe sich das Bild der Frau gewandelt und die moderne Frau gehe mit der Kalaschnikow ebenso selbstverständlich um, wie sie Auto fahre und in andere Domänen der Männer eingedrungen sei. Dennoch würden Frauen heute noch weltweit unterdrückt und als Sklavinnen missbraucht. In Kurdistan verfüge die Guerilla über zahlreiche weibliche Kommandanten, denen eine wichtige Rolle zukomme. Auch in Europa gäben zahlreiche Frauen ein gutes Vorbild ab. Aber in beiden Fällen sei die Anzahl jener Frauen noch immer nicht groß genug, die gleichberechtigt seien. Ihre Zahl müsse weiter wachsen. Beriwan und Ronahi seien große Heldinnen, denen man nacheifern müsse und die allen als Vorbild dienen sollten. Nur die Revolution könne die Frauen vom herrschenden System befreien. Gegen Ende der Veranstaltung habe der Gebietsleiter noch einmal auf den Fackelmarsch am 20.03.1998 in ... hingewiesen und der Hoffnung Ausdruck verliehen, dort alle heute Anwesenden wieder zu sehen. An der Veranstaltung vom 28.06.1998 in der Zeit von 15.00 Uhr bis ca. 16.30 Uhr in den Vereinsräumlichkeiten des ... in ..., ..., hätten ca. 120 Teilnehmer teilgenommen. Die Gedenkveranstaltung zu Ehren der Märtyrerin Kinaci habe mit einer Gedenkminute für die verstorbenen Revolutionäre, insbesondere die Märtyrerinnen begonnen. Danach habe Ibrahim Cek einen Brief vorgelesen, der von Kinaci noch zu Lebzeiten geschrieben worden sein soll. Der Brief habe sinngemäß gelautet: Kurdistan werde schon seit vielen Jahren von seinen Feinden beherrscht. Trotz jahrelangen tapferen Widerstands habe sie der Feind erbarmungslos unterdrückt. Erst 1998 sei es dem kurdischen Volk gelungen, einen Neuanfang zu starten. Und auch seither hätten es die Gegner ohne Rücksicht bekämpft und angefeindet. Die PKK sei nicht tot, die PKK lebe. Im Gegensatz zu ihren imperialistischen Feinden achte sie das menschliche Leben hoch und versuche nicht, die Menschen zu unterdrücken, aber das Volk müsse auch auf das hören, was ihm die PKK sage und was ihm deren Führer mit auf den Weg gebe. Die PKK bedeute Freiheit, Freiheit für die Frauen, Freiheit für alle. Sie appelliere weltweit an alle Menschen zu hören, dass die Kurden keine Schuld an dem Krieg in Kurdistan trügen und bitte sie, die Kurden bei ihrem Kampf gegen die türkische Regierung zu unterstützen. Für sie gebe es kein Leben ohne die PKK. Die PKK sei nicht nur eine Revolution für die Kurden, sie bedeute eine Revolution für die Welt. Sie glaube, dass Kurdistan bald frei sein werde. Sie rufe alle kurdische Mädchen auf, sich der PKK anzuschließen. Sie würden frei und glücklich sein mit ihrem Führer Öcalan, der für alle Kurden eine Chance bedeute. Nach dem Verlesen des Briefs habe eine unbekannte Funktionärin eine Rede gehalten und ausgeführt, der Name und die Person Zilan (Deckname der PKK-Märtyrerin Zeynep Kinaci) habe für die kurdischen Frauen viel verändert. Sie und andere Heldinnen hätten bewiesen, dass es auch anders gehe. Sie hätten mit der Bombe gelebt und den kurdischen Frauen einen neuen Weg gewiesen. Zilan sei für die Frauen in der ganzen Welt ein Vorbild und weise ihnen den Weg in die Freiheit. Anschließend habe sich Ibrahim Cek erneut mit einer Rede an die Zuhörer gewandt. Er habe aufgeführt, Zilan sei nicht wie andere Frauen gewesen. An ihrer Person könnten sich alle ein Beispiel nehmen. Sie habe gegen den Feind unerschrocken für die Freiheit gekämpft. Gleiches gelte für die anderen Märtyrerinnen, die sich z.B. in Mannheim selbst verbrannt hätten, um den Kurden einen Weg in die Freiheit zu zeigen. Alle miteinander hätten sie bewiesen, dass die Frauen von den Männern unabhängig sein könnten. Gleichzeitig seien sie ein Ansporn und ein Vorbild für andere Frauen. Nicht jede könne so handeln wie Zilan, aber diese habe mit ihrer Tat bewiesen, dass sie eine Heldin und Kommandantin der PKK sei. Nach einer Pause hätten die Anwesenden Fragen an den Diwan, der von Ibrahim Cek und der unbekannten Funktionärin gebildet worden sei, richten können. Hierbei habe Cek die Zuhörer über das im September wieder alljährlich stattfindende PKK-Festival informiert und diese aufgefordert, sich terminlich darauf einzustellen. Am 06.03.1999 hätten in der Karlsruher Innenstadt ca. von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr etwa 800 PKK-Sympathisanten gegen die Festnahme von Abdullah Öcalan demonstriert. Der Demonstrationszug habe sich vom Kronenplatz über den Marktplatz zum Europaplatz bewegt. Zeitweilig sei dabei ein Teilnehmer mit gefesselten Händen und zugeklebtem Mund vor dem Demonstrationszug hergelaufen, um damit auf die Situation des inhaftierten PKK-Chefs aufmerksam zu machen. Im Demonstrationszug seien etliche PKK-Fahnen und Bilder von Öcalan mitgeführt worden. Darüber hinaus seien mehrfach Parolen für Öcalan und die PKK skandiert worden. Im Laufe der Demonstration seien drei Redner aufgetreten, die unter anderem die deutschen Waffenlieferungen an die Türkei kritisiert, die dortigen Menschenrechtsverletzungen angeprangert sowie ein faires Gerichtsverfahren für Öcalan und dessen Freilassung gefordert hätten. Am 04.04.1999 hätten sich in ..., in der sog. ... etwa 150 Anhänger der PKK in der Zeit von ca. 13.30 Uhr bis 18.00 Uhr zu einer Volksversammlung versammelt. Gebietsleiter Ibrahim Cek habe ausführlich Stellung zur aktuellen politischen Lage bezogen und sich sinngemäß dahingehend geäußert, dass nach der Festnahme Öcalans, die auf ein terroristisches Komplott zurückzuführen sei, die Geduld des kurdischen Volkes zu Ende gehe. Die Kurden befänden sich in einer Welt, in der sie keine Freunde hätten. Sie seien deshalb darauf angewiesen, sich selbst zu helfen. Seit 20 Jahren behaupte die Türkei, die PKK im Kampf besiegt zu haben. Trotzdem werde die PKK immer stärker. Das internationale Komplott bedeute nicht das Ende der PKK. Zwar sei ihr Führer inhaftiert, aber der Kampf werde fortgesetzt. Obwohl die PKK mehrfach einen Waffenstillstand angeboten habe, hätte die Türkei hierauf nur mit der Verschärfung des Kampfes reagiert. Der sechste Parteikongress der PKK habe beschlossen, die Durchführung von Anschlägen in der Türkei zu intensivieren. Als Ziel kämen sowohl türkische Politiker, Militärs und Polizeistationen als auch Industrieanlagen, nicht aber türkische Zivilisten in Betracht. Zur Situation in Deutschland habe der Redner ausgeführt, hier würden täglich neue Gesetze gegen die PKK verabschiedet. Die Situation sei mit der Hitlerzeit vergleichbar. Zwischen deutschen und türkischen Politikern, Militärs und Polizisten bestehe kein grundsätzlicher Unterschied. Deutschland wolle das kurdische Volk in gute und schlechte Kurden einteilen. Es werde allerdings nicht gelingen, einen Keil in das kurdische Volk zu treiben. Nach einer Pause habe sich eine Funktionärin der Frauenorganisation an die Zuhörerschaft gewandt. Sie habe beanstandet, dass nur wenige Frauen bei der Versammlung anwesend seien und die Frontarbeiter und die Anhängerschaft aufgefordert, dies in Zukunft zu ändern. Sie sei nochmals auf die aktuelle Lage eingegangen und habe hierbei insbesondere die herausragende Rolle der PKK-Aktivistinnen bei der Durchführung von Anschlägen betont. Eine weitere Volksversammlung des PKK-Gebiets ... sei am 24.10.1999 in der Zeit von ca. 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr ebenfalls in der ... mit etwa 200 Personen durchgeführt worden. Der Versammlungsraum sei mit einem Bild von Öcalan sowie mit einer in den kurdischen Landesfarben gehaltenen Fahne geschmückt gewesen. Nach einer Gedenkminute für die Gefallenen der PKK habe Ibrahim Cek sich in seiner anschließenden Rede mit dem Schicksal Öcalans befasst. Öcalan sei nach wie vor die bestimmende Führungspersönlichkeit in den Reihen der PKK, der die Verhandlungen mit der türkischen Regierung führe und maßgeblich die Geschicke der Organisation bestimme. Zur laufenden Spendenkampagne habe sich Ibrahim Cek betont kurz geäußert, indem er die Anwesenden lediglich auf die Aktion hingewiesen und seiner Hoffnung Ausdruck verliehen habe, dass die Sympathisanten die Organisation weiterhin, sowie dies in der Vergangenheit geschehen sei, unterstützen würden. Ein unbekannter „als Freund“ bezeichneter Funktionär habe dann teilweise die vorangegangenen Ausführungen von Ibrahim Cek wiederholt. Dieser habe betont, dass die PKK nach 15 Jahren der bewaffneten Auseinandersetzung nunmehr den Weg des Friedens mit der Türkei eingeschlagen habe. Die Sympathisanten müssten diesen Weg unterstützen. Bei einer abschließenden Diskussion habe sich herauskristallisiert, dass die Anwesenden mit dem aktuellen Friedenskurs der PKK einverstanden gewesen seien. Kritik an der neuen Politik sei nicht geäußert worden. Als sehr kritikwürdig sei hingegen die Einstellung der türkischen Linken angesehen worden, die kein Verständnis für den Friedenskurs der PKK aufzubringen vermögen. Bei den Demonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 15.02.2004 hätten sich bis zu 20.000 PKK-Sympathisanten versammelt. Die Demonstration im Jahre 2003 habe sich thematisch mit der Isolationshaft Öcalans befasst. Die Demonstration habe gegen 10.00 Uhr in der Nähe des Bahnhofs begonnen und ca. 1 ½ Stunden durch die Stadt geführt. Auf einem Platz in der Nähe des Stadions sei eine Bühne für die Abschlusskundgebung aufgebaut gewesen. Von den Demonstranten seien zahlreiche Bilder Öcalans in die Höhe gehalten und Transparente in französischer Sprache mitgeführt sowie Flugblätter verteilt worden, die ein „Leben in Freiheit und Würde, Freiheit für Öcalan“ gefordert hätten. Die Abschlusskundgebung habe mit einer Gedenkminute für die gefallenen Märtyrer der PKK begonnen. Ein Redner habe ausgeführt, dass sich an diesem Tag viele tausend Kurden in Straßburg versammelt hätten, um der Türkei und der Weltöffentlichkeit zu zeigen, dass sich die Kurden und Öcalan - entgegen der Absicht der Türkei - nicht auseinanderdividieren ließen. Auch in den türkischen Metropolen würden an diesem Tag Zehntausende für Gerechtigkeit demonstrieren. Bei der Demonstration im Jahre 2004 habe man sich wie im Vorjahr in der Nähe des Bahnhofes getroffen, von wo aus sich der Demonstrationszug in einem etwa halbstündigen Marsch zum Kundgebungsort bewegt habe. Dort seien - neben einem Podium - zahlreiche Stände mit Essen, Getränke, Bücher und Devotionalien aufgebaut gewesen. Ein Bild Öcalans sei auf eine große Leinwand projiziert worden. Die Demonstranten hätten zahlreiche Fahnen des KONGRA-GEL und der ERNK geschwenkt. Außerdem hätten sie Bilder von Öcalan in die Luft gehalten. Daneben seien Transparente vorwiegend mit französischer und türkischer Aufschrift mitgeführt worden, die Freiheit für Öcalan und weitergehende Rechte für die kurdische Bevölkerung forderten. Zu Beginn der Kundgebung hätten die Anwesenden der gefallenen Märtyrer der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen gedacht. Eine Funktionärin der Frauenorganisation habe in ihrer Rede ausgeführt, Abdullah Öcalan habe sich besonders um die Freiheit und die Gleichberechtigung der kurdischen Frauen verdient gemacht. Einer der Anwälte Öcalans habe sich zu dessen Gefangennahme geäußert, dessen Freilassung gefordert und die Haftbedingungen der Isolationspolitik der türkischen Regierung verurteilt. In einem weiteren Redebeitrag sei unter anderem ein Vertreter einer französischen Partei zu Worte gekommen. Ein Unbekannter, dem die Rolle eines Moderators zugefallen sei, habe die zwei Tage zuvor erfolgte Schließung des kurdischen Fernsehsenders Medya-TV kritisiert und verkündet, man könne noch vielen weiteren Sendern den Betrieb untersagen, das kurdische Volk werde jedoch nach jeder Schließung immer wieder einen neuen Sender ins Leben rufen. So werde bereits Anfang März der neue Sender Roj-TV auf Sendung gehen. Der Kläger sei bei den genannten Veranstaltungen weder als Veranstaltungsleiter aufgetreten noch habe er Reden gehalten. Vielmehr habe er zu den Veranstaltungen im Wesentlichen durch seine Anwesenheit beigetragen. Die Erkenntnisse des Landesamts für Verfassungsschutz über den Inhalt der Veranstaltungen stammten teilweise von mehreren Quellen. Der Kläger sei jedoch immer nur von einer Quelle identifiziert worden. Dies sei über ein Lichtbild erfolgt. Bei den Großveranstaltungen am 15.02.2003 und 14.02.2004 sei der Kläger von der Quelle nicht gleichsam zufällig aus der Masse der ca. 20.000 Teilnehmern herausgegriffen und identifiziert worden. Vielmehr sei seine Identifizierung aus einer kleineren, eng begrenzten Personenzahl heraus erfolgt. Soweit das Verwaltungsgericht ausgeführt habe, dass die Teilnahme an PKK-Veranstaltungen bei Kurden üblich sei und diese an vielen Veranstaltungen nur deshalb teilnehmen würden, um gemeinsam mit weiteren Volkszugehörigen zu feiern und in einer für sie oftmals fremden Umgebung Geborgenheit zu finden, sei dies in dieser Allgemeinheit nicht richtig. Vielmehr würden von den rund 500.000 Kurden, die in Deutschland lebten, nur etwa 11.500 als Anhänger der PKK eingestuft. Dies seien weniger als 3%. Zwar liege die Anzahl der Kurden, die bei wichtigen Anlässen mobilisiert werden könnten, höher. Auch gelinge es der PKK des öfteren, mit Picknick, Musikveranstaltungen und sportlichen Aktivitäten jüngere Menschen anzusprechen, die ansonsten kaum einen Bezug zur PKK hätten. Bei den genannten Märtyrergedenkveranstaltungen sei dies jedoch nur sehr selten der Fall. Völlig ausgeschlossen sei es bei den sogenannten Volksversammlungen. Deren Anziehungskraft beschränke sich auf den „harten Kern“ der PKK. Soweit die Teilnahme der Klägers an der PKK-Volksversammlung in ... am 08.03.1998 und an der PKK-Gedenkversammlung am 28.06.1998 nicht im Rahmen des ersten Einbürgerungsverfahrens in das Verfahren eingeführt worden sei, habe dies auf dem Quellenschutz beruht. Die Erkenntnisse seien zunächst als Verschlusssache eingestuft worden, da bei beiden Veranstaltungen nur eine überschaubare Anzahl von Personen zugegen gewesen sei. Erst nachdem eine gewisse Zeit verstrichen und der Gesichtspunkt des Quellenschutzes an Bedeutung eingebüßt gehabt habe, sei es möglich gewesen, sie im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 27.10.2000 - wenigstens teilweise - offen zu legen. Der Vortrag des Klägers, er könne schon deshalb nichts mit der PKK zu tun haben, weil er sich für die TKEP engagiert habe, könne so nicht nachvollzogen werden. Beide Organisationen seien linksextremistisch orientiert, wenngleich der „linke“ Aspekt der PKK im Laufe der Jahre gegenüber dem nationalen Anspruch auf einen eigenen Staat bzw. Autonomie in den Hintergrund getreten sei. Es sei zu berücksichtigen, dass linksextremistische türkische Organisationen in der Vergangenheit immer wieder bei Veranstaltungen/Demonstrationen von PKK-Anhängern gegen den von ihnen verhassten „faschistischen Staat“ Türkei mitgewirkt hätten. Da die TKEP in Deutschland bzw. Baden-Württemberg jedoch nie in vergleichbarem Maße wie andere linksextremistische türkische Organisationen oder die PKK aktiv gewesen sei, lägen auch keine eigenen Erkenntnisse über das Verhältnis der Parteien zueinander vor. Der Kläger sei ausweislich des Protokolls über die Mitgliederversammlung am 06.01.2003 zum Kassierer des „Kurdischen Elternvereins ...“ gewählt worden. Aus dem Vermerk des Bundeskriminalamts (Stand April 2010) sei ersichtlich, dass dieser Verein zur „Union der kurdischen Familie“ (YEK-MAL) gehöre. YEK-MAL sei - wie sich aus verschiedenen Organisationsbeschlüssen ergebe - strukturell an die PKK angebunden. Die PKK habe sich zum Ziel gesetzt, die gesamte ethnische Gruppierung der Kurden für die Ziele der Partei einzubinden, so auch den Bereich der kurdischen Familie, den sie durch die Einrichtung von YEK-MAL an ihre Organisation gebunden habe. Ziel der YEK-MAL sei es unter anderem, den Unterricht in kurdischer Sprache sowie die kurdische Kultur zu fördern. Auch sei in Bezug auf YEK-MAL vorgegeben worden, Aktivitäten hinsichtlich Kindergärten und Schulen zu beginnen sowie Möglichkeiten zu sichern, damit u.a. Kinder von Märtyrern und Inhaftierten eine Ausbildung erhielten.
25 
Der Beklagte beantragt,
26 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19.11.2009 - 2 K 32/09 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
27 
Der Kläger beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen.
29 
Er verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts und führt insbesondere aus, das Gericht habe ihn ausführlich angehört und sei unter Bewertung seiner bisher im Einbürgerungsverfahren abgegebenen Stellungnahmen sowie seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis gekommen, seine zum Ausdruck gebrachte Haltung im Hinblick auf eine gewaltfreie Lösung der kurdischen Frage sei glaubhaft und nachvollziehbar. Er habe nie eine Verbindung zur politischen Position der PKK gehabt. Die vom Beklagten hinsichtlich des Vorliegens eines Ausschlussgrundes erhobenen Vorwürfe, für die dieser beweispflichtig sei, seien ohne Grundlage.
30 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen ... und ... ... sowie durch uneidliche Vernehmung des Zeugen ... vom Landesamt für Verfassungsschutz. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll und dessen Anlage Bezug genommen.
31 
Dem Senat liegen die den Kläger betreffende Ausländerakte und die Einbürgerungsakte einschließlich der Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe sowie die Asylverfahrensakte vor.

Entscheidungsgründe

 
32 
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil er die Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG entgegensteht.
1.)
33 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.01.2005 - 13 S 2549/03 -VBlBW 2006, 70). Auf die im Juli 2000 beantragte Einbürgerung ist § 10 StAG in seiner vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit dieser günstigere Bestimmungen enthält (§ 40c StAG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I S. 1970). Die Frage der Günstigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung zu beantworten, die nicht nach beiden Gesetzesfassungen erfüllt ist. Es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 - 13 S 1487/06 - juris; Berlit, Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht durch das EU-Richtlinienumsetzungsgesetz, InfAuslR 2007, 457, 466).
34 
Der Kläger, der über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, bestreitet für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen den Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG); dies ist durch die Vorlage der Lohnabrechnungen der Monate Juni bis August 2010 für den Kläger und seine Ehefrau nochmals verdeutlicht worden. Er hat seit mehr als acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und hat - jedenfalls im Hinblick auf die insoweit günstigere Bestimmung nach der bis 28.08.2007 geltenden Rechtslage - ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Die übrigen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StAG sind ebenfalls gegeben. Das erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG), das die innerliche Hinwendung zu dieser einschließt, wird nicht durch etwaige Aktivitäten für die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder einer mit dieser verbundenen Organisation infrage gestellt; solche liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor (siehe nachfolgend 2.).
2.)
35 
Der Einbürgerung steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (bis 27.08.2007 wortgleich § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht entgegen. Unter Ausschöpfung aller von den Beteiligten aufgezeigten - und auch sonst ersichtlichen - Erkenntnisquellen kann der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung gewinnen, dass Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Kläger die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder eine mit ihr verbundene Organisation im Sinne dieser Bestimmung unterstützt hat.
36 
Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
37 
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen diejenigen Bewerber keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, bei denen zumindest der begründete Verdacht besteht, dass sie Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützen, die für den deutschen Staat, in den sie eingebürgert werden wollen, wesentlich sind. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind nur die in dieser Bestimmung genannten Schutzgüter von Bedeutung. Einerseits wird nicht bereits jedes unter Strafrechtsschutz stehende Rechtsgut von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erfasst, andererseits setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aber auch keine strafgerichtliche Verurteilung voraus. Ob die Verurteilung wegen einer Straftat dem Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht, beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 12a StAG. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG schließt einen Anspruch auf Einbürgerung nicht erst dann aus, wenn der Ausländer Handlungen unterstützt hat, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Für den Anspruchsausschluss nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genügt es vielmehr, wenn der Ausländer ungeachtet späterer möglicher tatsächlicher Beeinträchtigungen bereits vorgelagert Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet sind. Nach § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB sind im Sinne des Strafgesetzbuches Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist nicht erforderlich, dass die Bestrebungen auch objektiv geeignet sind, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Es genügt, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Bezogen auf solche Bestrebungen setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG jedenfalls voraus, dass sie der Ausländer unterstützt hat. Wenn das Gesetz von Bestrebungen im Plural spricht, bedeutet das nicht, dass nur das Unterstützen von mehr als einer solchen Bestrebung relevant wäre. Vielmehr steht der Plural nur für die Vielzahl möglicher Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140).
38 
Ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist jede Handlung des Ausländers, die für diese Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - juris; Berlit, GK-StAR § 11 Rn. 96), insbesondere jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 28.03 - BVerwGE 123, 114). Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Anspruch auf Einbürgerung bereits dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer solche Bestrebungen unterstützt hat. Zum Ausschluss eines Einbürgerungsanspruchs genügt also der begründete Verdacht einer solchen Unterstützung.
39 
Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. Eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns muss für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 26 und vom 22.2.2007 – 5 C 20.05 – BVerwGE 128, 140).
40 
Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 18 und Beschluss vom 27.01.2009 - 5 B 51.08 - juris).
41 
Bei der Beurteilung, ob die Anknüpfungstatsachen je für sich oder in ihrer Gesamtschau nach Inhalt, Art und Gewicht für die Annahme ausreichen, dass der Ausländer Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt oder unterstützt hat, steht der Einbürgerungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu. Das Vorliegen dieses Ausschlussgrundes, einschließlich der Frage der glaubhaften Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterliegt vielmehr in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 74 und 86).
42 
Für das Vorliegen der Anknüpfungstatsache ist die Einbürgerungsbehörde darlegungs- und notfalls beweispflichtig (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 76). Für die Tatsachenfeststellung bestrittener Tatsachen gilt insoweit das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO, selbst wenn sich die Einbürgerungsbehörde wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Erkenntnisquellen der Verfassungsschutzbehörden in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet (OVG RhPf., Beschluss vom 17.02.2009 - 7 A 11063/08 - juris; siehe auch Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 84, 95 ff.; zur materiellen Beweislast für die Richtigkeit von streitigen Tatsachenbehauptungen der Verfassungsschutzbehörde vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 - NVwZ 2008, 1371).
43 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung davon erlangt, dass die vom Zeugen ... anlässlich seiner Angaben beim Polizeirevier ... am 30.08.2001 aktenkundig gemachten Hinweise zutreffen, der Kläger sei nicht nur Anhänger, sondern sogar aktives Mitglied der PKK, der dies auch freimütig zugebe, für die PKK werbe und ihn selbst und andere zu überreden versuche, an Veranstaltungen der PKK teilzunehmen. Entsprechendes gilt für die - vom Kläger ebenfalls stets bestrittene - Tatsache der Teilnahme an den vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen. Insoweit fehlt es bereits an bewiesenen Anknüpfungstatsachen, die Grundlage für die Annahme sein könnten, der Kläger unterstütze durch die Teilnahme an deren Veranstaltungen die PKK. Soweit der Kläger unstreitig im Jahre 2001 die sog. „PKK-Selbsterklärung“ unterzeichnet hat und im Jahre 2003 als Kassenwart des Kurdischen Elternvereins Karlsruhe e.V. gewählt worden ist, liegt hierin keine Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
a.)
44 
Die Angaben des Zeugen ... sind sowohl was die behauptete innere Verbundenheit des Klägers mit der PKK als auch das äußere Eintreten für diese betrifft, nicht glaubwürdig. Die Schilderungen des eigentlichen Geschehens und auch die Ausführungen zu den Begleitumständen erweisen sich als wenig plausibel und widersprüchlich. Der Senat ist nach dem persönlichen Eindruck, den er vom Zeugen gewonnen hat, und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, in die die Angaben des Zeugen eingebettet sind, nicht davon überzeugt, dass die angegebenen Vorwürfe zutreffen.
45 
Der Zeuge gab in der Berufungsverhandlung an, der Kläger habe ihn dazu überreden wollen, an einer Großdemonstration der PKK teilzunehmen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er politisch desinteressierter Türkei sei, es sei aber darum gegangen, „je mehr Leute desto besser“. Mit dem Kläger, der mit seiner Familie im gleichen Haus wie seine frühere Freundin lebe, habe er sich vielleicht drei Monate gut verstanden, das habe dieser genutzt zu versuchen, „ihn zu sich zu ziehen“. Über sich selbst und seine politische Einstellung habe der Kläger angegeben, dass „er voll dabei sei“. Trotz mehrfacher Nachfragen des Senats konnte der Zeugen diese Angaben nicht weiter konkretisieren. Dies kann nicht damit erklärt werden kann, dass die von dem Zeugen behaupteten politischen Gespräche mit „Anwerbungsversuchen“ bereits etwa neun Jahre zurückliegen. Denn ungeachtet dieses lange zurückliegenden Zeitraums berichtete der Kläger an anderer Stelle der Vernehmung durchaus konkret, dass „es dann irgendwann mal, wo er mehr getrunken habe, dann zur Auseinandersetzung gekommen sei.“ Im weiteren Verlauf der Befragung äußerte sich der Zeuge sogar dahingehend, dass der Kläger nie gesagt habe, dass er zur PKK oder sonstigen vergleichbaren Veranstaltungen gegangen sei, dass „er ihn aber unbedingt mal dabei haben wollte“ und dass der Kläger dann „auf jeden Fall hinfährt“. Diese geschilderte Zurückhaltung des Klägers lässt sich aber kaum mit dem ansonsten vermittelten Bild des überzeugten und werbenden „PKK’lers“ in Einklang bringen. Auch das Vorbringen des Zeugen, der Kläger habe die ganze Wohnung mit Bildern und Flaggen der PKK dekoriert, erweist sich nicht als belastbar. Auf Frage des Senats, woher er diese Erkenntnis habe, gab der Zeuge verschiedene Versionen an. Zunächst erklärte er, er habe nie in die Wohnung des Klägers gedurft, weil da irgendwelche Bilder hingen. Dass Bilder von Öcalan dort hingen, habe der damals vier oder fünf Jahre alte Sohn des Klägers gesagt. Auf Nachfrage äußerte er sich dann dahingehend, der Sohn habe nur gesagt, „dass da von einem Mann Bilder hängen“. Auf weitere Nachfrage hieß es dann, „die Töchter hätten sich verplappert“, wobei er dann beiläufig eine der Töchter deswegen gefragt haben will. Im weiteren Verlauf der Vernehmung führte der Zeuge aus, er sei „nur einmal in der Küche gewesen, aber nicht im Wohnzimmer“. Allerdings „habe er den Eindruck gehabt, dass da irgendetwas nicht stimme“. Auf erneute Frage wollte er dann doch „einen Blick ins Wohnzimmer geworfen haben“. Auch soweit der Zeuge vortrug, er nehme an, die Bilder und Flaggen seien weggetragen worden, als die Polizei da gewesen sei, erscheint dies dem Senat nicht überzeugend. Denn es ist völlig lebensfremd, dass Bilder oder Flaggen, die für die PKK oder eine mit ihr verbundene Organisation stehen, im Beisein der Polizei in ein Auto hätten gebracht und weggefahren werden können, ohne dass dies von der Polizei bemerkt und festgehalten worden wäre. Aus den teilweise beigezogenen Akten der Polizei ergeben sich hierfür aber keine Hinweise. Für die Würdigung der Aussage des Zeugen ist auch von Bedeutung, dass das Verhältnis zwischen ihm und dem Kläger sowie dessen Ehefrau spätestens seit dem 10.08.2001 und der wechselseitigen Erstattung von Anzeigen hoch belastet ist. Zwar hat die Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 20.10.2004 wurde der Zeuge jedoch verurteilt, Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 2.373,06 EUR nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Mit gleichem Urteil sprach das Amtsgericht der Ehefrau des Klägers 1.800 EUR zuzüglich Zinsen zu, die als Schadensersatz- und Schmerzensgeld von dem Zeugen und seinem Vater gesamtschuldnerisch zu leisten sind. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Zeuge am 10.08.2001 in Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Streit nicht nur Reifen am Pkw des Klägers zerstochen hatte, sondern zumindest als Mittäter einen Stuhl nach dem Kläger geworfen und ihm hierdurch eine Unterarmfraktur zugefügt hatte. Des weiteren hatte er dem Urteil zufolge gemeinsam mit seinem Vater, dem Zeugen ..., am Abend des 10.08.2001 im Bereich der Hauseingangstür mit Stöcken auf die Ehefrau des Klägers eingeschlagen. Unter Berücksichtigung dessen und des auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei ihrer Begegnung gezeigten wechselseitig unterschwellig feindseligen Verhaltens sowohl des Zeugen als auch des Klägers hat der Senat den Eindruck, dass das Aussageverhalten des Zeugen nicht unvoreingenommen ist. Schließlich spricht einiges dafür, dass der Zeuge - sei es bewusst oder unbewusst - die kurdische Volkszugehörigkeit undifferenziert mit einem Engagement für die PKK gleichsetzt. Dies lässt sich insbesondere anhand seiner Einlassung erkennen, „der Kläger sei 100%-ig dabei; er habe sich schlau gemacht und in einem türkischen Internetcafé nachgefragt, und sogar die haben es bestätigt und die ganze Nachbarschaft, die kann es auch bestätigen, weil sie Kurden sind“.
46 
Insgesamt ist der Senat aufgrund der Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht der Überzeugung, dass die in der polizeilichen Niederschrift über seine Vernehmung als Geschädigter von ihm genannten Tatsachen, aus denen auf eine innerliche und äußerliche Hinwendung des Klägers zur PKK geschlossen werden könnte, zutreffen. Bei dieser Würdigung hat der Senat auch die Angaben des ebenfalls als Zeugen vernommenen Vaters beachtet. Der Zeuge ... gab in der mündlichen Verhandlung an, aus eigener Anschauung nichts über die politische Einstellung des Klägers zu wissen. Er erklärte lediglich, sein Sohn habe ihn nach der PKK gefragt, weil er „einen Nachbarn habe, der gesagt habe, da kannst du gut leben.“ Diese völlig allgemein gehaltene und lediglich an ein nicht näher substantiiertes Gespräch zwischen Vater und Sohn anknüpfenden Aussage gibt dem Senat keinen Anlass, die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen ... anders zu beurteilen. Im Übrigen ergeben sich aus der Zeugenaussage des Vaters weder direkt noch indirekt konkrete Tatsache, die auf eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hindeuten würden.
47 
Soweit in den Akten des Polizeireviers ... in verschiedenen Schriftstücken eine PKK-Anhängerschaft des Klägers erwähnt ist, geht dies letztlich auf die damaligen Angaben von ... zurück. Für den Senat besteht kein Anlass, der Frage der Berechtigung dieser im Jahr 2001 insoweit erhobenen Vorwürfe über die Vernehmung der beiden Zeugen hinaus weiter nachzugehen - zumal zusätzliche mögliche Erkenntnismittel, insbesondere Zeugen, die aus unmittelbarem Erleben etwas berichten könnten, von den Beteiligten nicht aufgezeigt worden sind und auch nicht ersichtlich sind.
b.)
48 
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger an den Veranstaltungen teilgenommen hat, die der Beklagte ihm als einbürgerungsschädliche Unterstützung der PKK entgegen hält. Zwar hat der in der Berufungsverhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz, an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, bekundet, der Kläger sei nach den Angaben einer zuverlässigen Quelle bei allen genannten Veranstaltungen anwesend gewesen. Gleichwohl hat sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass der Kläger - was von ihm stets bestritten worden ist - tatsächlich an den Großdemonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 14.02.2004, der Demonstration in ... am 06.03.1999 sowie den „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ bzw. „Volksversammlungen“ der PKK am 08.03.1998, 28.06.1998, 04.04.1999 und 24.10.1999 teilgenommen hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass diese vom Beklagten genannten Veranstaltungen tatsächlich stattgefunden haben. Zu Ort, Zeit und Inhalt der Veranstaltungen sind im Berufungsverfahren konkrete und substantiierte Angaben gemacht und weitere Unterlagen vorlegt worden, so ein Pressebericht vom 07.03.1999 zur Demonstration in ... vom 06.03.1999 und ein Flugblatt in französischer Sprache zur Demonstration vom 15.02.2003. Die inhaltlichen Berichte stützen sich mit Ausnahme der Veranstaltung vom 28.06.1998 auf verschiedene Quellen des Landesamts für Verfassungsschutz, die - wie der Zeugen ... in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegte - Überprüfungsmaßnahmen des Landesamts unterzogen worden sind. Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger selbst bei diesen ihm vom Beklagten vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend war.
49 
Die Bekundung des Zeugen ..., der Kläger sei bei den genannten „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“, „Volksversammlungen“ und Demonstrationen anwesend gewesen, beruht auf den Angaben einer einzigen Quelle, wobei der Zeuge nicht der unmittelbare Führer dieser Quelle ist. Aus Quellenschutzgründen wurde die Identität der Quelle nicht offen gelegt. Der unmittelbare Quellenführer stand als Zeuge nicht zur Verfügung. Auch wurden - trotz Aufforderung durch das Gericht - keine schriftliche Aufzeichnungen vorgelegt. Diese Praxis ist dem Senat aus vergleichbaren Verfahren bekannt. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die auf geheim gehaltenen Quellen beruhen und als Zeugenaussage vom Hörensagen in den Prozess eingeführt werden, können zwar grundsätzlich verwertet werden. Allerdings darf die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dann nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werden, wenn eine Behörde sich gegenüber dem Auskunftsbegehren eines Bürgers auf Geheimhaltungsgründe beruft und sich diese Gründe gerade auch auf die allein als Beweismittel in Betracht kommenden Verwaltungsvorgänge beziehen, in denen die für das Verwaltungsverfahren und sein Ergebnis relevanten Sachverhalte dokumentiert sind (vgl. grundlegend zu dieser Problematik BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 2 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106, 121 ff.). Soweit in einem derartigen Fall die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge abhängt, muss das Gericht grundsätzlich die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. Ist dies wie hier nicht möglich, muss das durch die Geheimhaltung entstehende Rechtsschutzdefizit im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeglichen werden (Hamb. OVG, Urteil vom 07.04.2006 - 3 Bf 442/03 - NordÖR 2006, 466). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Beweiswürdigung der Angaben eines sogenannten Zeugen vom Hörensagen besonderen Anforderungen unterliegt, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind. Danach ist der Beweiswert seiner Angaben besonders kritisch zu prüfen. Denn das Zeugnis vom Hörensagen ist nur begrenzt zuverlässig, weil sich die jedem Personenbeweis anhaftenden Fehlerquellen im Zuge der Vermittlung der Angaben verstärken und weil das Gericht die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson nicht selbst einschätzen kann. Das Gericht muss sich der Gefahren der beweisrechtlichen Lage, also vor allem der besonderen Richtigkeitsrisiken in Ansehung anonym gebliebener Personen, deren Wissen durch einen Zeugen vom Hörensagen eingeführt wird, sowie der sich daraus ergebenden Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst sein (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris Rn. 50 und Urteil vom 27.03.1998 - 13 S 1349/96 - juris Rn. 37). Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen wird regelmäßig einer Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechende Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (BVerwG, Beschluss vom 22.10.2009 - 10 B 20/09 - juris Rn. 4 und Beschluss vom 05.03.2002 - 1 B 194/01 - juris Rn. 4 mit ausdrücklichem Hinweis auf BVerfGE 57, 250, 292). Nach der zum Strafrecht entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen die Angaben des Gewährsmanns regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere, nach Überzeugung des Fachgerichts wichtige ihrerseits beweiskräftig festgestellte Gesichtspunkte bestätigt werden (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 292 ff.; BVerfG <2. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 - NJW 1996, 448; BVerfG <1. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 05.07.2006 - 2 BvR 1317/05 - NJW 2007, 204). Die strafgerichtliche Rechtsprechung und Literatur verlangt daher regelmäßig „zusätzliche Indizien von einigem Gewicht“ (vgl. näher BGH, Beschluss vom 08.05.2007 - 4 StR 591/06 - juris Rn. 2; Beschluss vom 19.06.1996 - 5 StR 220/96 - juris Rn. 3 ff; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2008, § 250 Rn. 13; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009, § 46 Rn. 33 f.; Detter, Der Zeuge vom Hörensagen - eine Bestandsaufnahme, NStZ 2003, 1, 4). Diese zum Strafrecht entwickelten Prinzipien können als Ausdruck des Rechts auf faires Verfahrens auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herangezogen werden (Sodan/Ziekow, a.a.O., § 96 Rn. 38; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die behauptete Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen in den Jahren 1998 und 1999 sowie 2003 und 2004 nicht nachgewiesen.
50 
Der in der Verhandlung vernommene Zeuge des Landesamts für Verfassungsschutz konnte, was die Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen betrifft, nur übermitteln, was die Quelle ihrem Quellenführer berichtet haben soll. Von der persönlichen Glaubwürdigkeit des im Dunkeln bleibenden Gewährsmannes konnte sich der Senat daher kein Bild machen. Die durch den Zeugen vom Hörensagen vermittelten Angaben sind auch deshalb von geringerem Beweiswert, weil die bei einer Nachrichtenkette allgemein bestehende und mit jedem Glied wachsende Gefahr, dass Angaben - und sei es auch unabsichtlich - entstellt oder unvollständig erfasst bzw. wiedergegeben werden, nicht ausgeblendet werden kann. Im vorliegenden Fall wurde nach den Bekundungen des Zeugen die Quelle nach der ersten Veranstaltung innerhalb von 14 Tagen danach persönlich vom unbekannt gebliebenen Quellenführer getroffen. Diese hat von der Veranstaltung mündlich berichtet, wobei der Quellenführer dies nicht auf Band aufgenommen, sondern erst später aufgeschrieben hat. Besondere Vorkehrungen, die im konkreten Fall die Gefahr von Übermittlungsfehler minimieren würden, sind insoweit nicht ersichtlich.
51 
Was die vorgetragene Anwesenheit des Klägers bei den Großdemonstrationen in Straßburg mit bis zu 20.000 Teilnehmern und bei der Demonstration in Karlsruhe am 06.03.1999 mit jedenfalls mehreren Hundert Teilnehmern (der Beklagte spricht in seinem Schriftsatz vom 18.05.2010 von 800, der beigefügte Zeitungsartikel von 1.800 Menschen) betrifft, ist schon nicht nachvollziehbar, wie der Kläger unter Berücksichtigung der Masse der Teilnehmer überhaupt sicher identifiziert worden sein könnte. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.08.2010 vorgetragen, „er sei aus einer kleineren eng begrenzten Personenzahl heraus und bestimmt nicht zufällig identifiziert worden“. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz erklärte, dass bei Großdemonstrationen üblicherweise die Identifizierung bei der An- oder Abfahrt mit dem Bus erfolgt; mehr könne aus Quellenschutzgründen nicht gesagt werden. Abgesehen davon, dass dies nicht erklärt, wie eine Identifizierung des Klägers bei der sozusagen „vor seiner Haustür“ stattgefundenen Demonstration in ..., bei der eine An- und Abfahrt mit dem Bus entfällt, erfolgt worden wäre, ist aufgrund der insoweit fehlenden eindeutigen Angaben für den vorliegenden Fall die Verlässlichkeit einer Identifizierung bei den angeführten Großveranstaltungen nicht gewährleistet.
52 
Hinzukommt, dass die vorgetragene generelle Identifizierung des Klägers durch die Quelle im Wege einer Wahllichtbildvorlage mit einem Mangel behaftet ist, der sich auf die Frage der Feststellung der Teilnahme des Klägers an allen ihm vorgehaltenen Veranstaltungen, also auch bzgl. der „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ und der „Volksversammlungen“, selbst wenn diese typischerweise nur bis zu etwa 200 Personen umfasst haben, auswirkt.
53 
Nach den Angaben des Zeugen ... sei der Kläger durch eine einzige Quelle identifiziert worden, die bei allen dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend gewesen sei. Die Quelle, die spätestens etwa 14 Tage nach der jeweiligen Veranstaltung getroffen worden sei, habe den unter türkischen Staatsangehörigen sehr häufigen Namen ... genannt, jedoch über den Namensträger nichts weiter als dessen Anwesenheit berichtet. Der Verfassungsschutz habe dann irgendwann über das in der Nähe eines nicht genannten Veranstaltungsorts geparkte Auto, das der Polizei aufgefallen sei, die Identität des Klägers ermitteln können. Im Jahre 2003 sei eine Wahllichtbildvorlage erfolgt. Im Regelfall würden der Quelle zehn Lichtbilder vorgelegt, im konkreten Fall seien es - so glaube er - acht Bilder gewesen, von denen die Quelle zwei identifiziert habe, darunter auch das Lichtbild des Klägers. Bei der Frage nach dem Beweiswert darf schon nicht unberücksichtigt bleiben, dass keine Details dazu mitgeteilt wurden, wie die Wahllichtbildvorlage im konkreten Fall ausgestaltet wurde; es ist auch nicht ersichtlich, dass der gesamte Vorgang im Einzelnen dokumentiert worden wäre. Auch wurde im Jahre 2003 ein damals etwa mindestens sechs oder sieben Jahre altes Lichtbild des Klägers verwendet. Der Senat konnte sich anhand des vom Zeugen ... in der Berufungsverhandlung vorgelegten Lichtbildes davon überzeugen, dass es sich hierbei um eine Vergrößerung des dem Einbürgerungsantrag vom November 1996 beigegebenen Passfotos gehandelt hatte. Das Erscheinungsbild des in der Verhandlung persönlich anwesenden Klägers hat sich jedoch gegenüber dem Lichtbild deutlich geändert. Die Haare des Klägers sind mittlerweile ergraut, er trägt Brille und ist nicht rasiert gewesen; außerdem wirkt er im Gesicht schlanker als auf dem Foto. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser seit etwa 13 Jahren eine Brille und sich auch schon in der Vergangenheit manchmal einen Bart stehen lassen. Zwar hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass jemand, der den Kläger schon zuvor seit Jahren näher kennt, diesen im Jahre 2003 anhand eines Fotos älteren Datums bestimmen kann. Der Zeuge hat jedoch aus Gründen des Quellenschutzes keine Angaben dazu gemacht, inwieweit die Quelle den Kläger bereits zuvor persönlich gekannt hat oder ob sie ihn primär anhand des Lichtbildes identifiziert haben will. Infolge dessen muss der Senat - als eine Art „worst-case-Betrachtung“- davon ausgehen, dass die Quelle den Kläger nicht näher gekannt hat, ihn bei den Veranstaltungen im Jahre 1998 und 1999 in einer Menge von immerhin 100 bis 200 Teilnehmern gesehen haben will und - mangels gegenteiliger Angaben - nach der Veranstaltung vom 24.10.1999 beide Personen mehrere Jahre nicht zusammengetroffen sind. Dieses begründet eine nicht ausräumbare Unsicherheit im Identifizierungsvorgang, weshalb die dem Kläger vorgehaltene Teilnahme an den Veranstaltungen nicht als bewiesen angesehen werden kann.
54 
Selbst wenn man im Übrigen im Rahmen der Beweiswürdigung den Unsicherheitsfaktor bei der Identifizierung nur mit minderer Bedeutung gewichten würde, weil die praktizierte Lichtbildvorlage ein typischer Weg des Verfassungsschutzes bei der Erkenntnisgewinnung darstellt und im Interesse des Quellenschutzes detaillierte Angaben, wie die Ermittlung eines Veranstaltungsteilnehmers erfolgt ist, regelmäßig nicht offengelegt werden können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die - in ihrem Beweiswert ohnehin schon herabgesetzten - Angaben der Gewährsperson können nicht durch andere gewichtige Gesichtspunkte - die etwa mit Blick auf die Einlassung des Betroffenen oder in Gestalt objektiver Gesichtspunkte gegeben sein können - gestützt oder bestätigt werden. Aus dem Komplex der ihm eigentlich vorgehaltenen Veranstaltungen heraus ergeben sich keine für die Richtigkeit der Angaben streitenden Tatsachen. Aber auch unter Berücksichtigung der gesamten anderweitig bestätigten Aktivitäten des Klägers und seiner persönlichen Äußerungen liegen keine Erkenntnisse vor, die einzeln oder im Wege einer Gesamtschau als Beleg für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen herangezogen werden könnten.
55 
Im Kontext der vom Landesamt aufgeführten Veranstaltungen sind beispielsweise zum Erscheinungsbild des Klägers, zu seinem Verhalten oder aus seinem persönlichen Lebensbereich keine besonderen oder gar originellen Details mitgeteilt worden, aus denen geschlossen werden könnte, die Quelle habe den Kläger tatsächlich dort gesehen. Ein gewichtiges Beweisanzeichen ergibt sich auch nicht daraus, dass die Quelle dem Zeugen ... zufolge überprüft worden sei und in der Zeit, in der die Veranstaltungen stattgefunden haben, zuverlässig berichtet habe. Denn insoweit fehlt es schon an der Mitteilung von Indizien, anhand derer diese Einschätzung ihrerseits bestätigt werden könnte. Dass der Kläger einmal sein Fahrzeug in der Nähe eines - nicht näher bezeichneten - Veranstaltungsortes geparkt hat, das von der Polizei beobachtet worden ist, ist aufgrund der mangels gegenteiliger Erkenntnisse anzunehmenden Neutralität des Parkvorgangs an sich kein Indiz, das für die Teilnahme des Klägers an den ihm vorgehaltenen Veranstaltungen sprechen könnte. Ein Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen folgt schließlich nicht daraus, dass der Zeuge ... angegeben hat, der Kläger sei Anhänger der PKK und werbe für deren Veranstaltungen. Denn seine Aussage ist insgesamt unglaubhaft, weshalb sie als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der vom Beklagten behaupteten Teilnahme des Klägers an den angeführten Veranstaltungen ungeeignet ist.
56 
Das frühere Eintreten für die TKEP ist ebenfalls kein Indiz dafür, dass die dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen zutreffen. Die vom Kläger in der Türkei damals vorgenommenen und im Übrigen schon sehr lange zurückliegenden politischen Tätigkeiten - Schreiben von Parolen an Wände, Verteilung von Flugblätter, Teilnahme an Seminaren und Veranstaltungen, Lesen von Parteipublikationen - sind nur mit Bezug und Wirkung auf sein Herkunftsland erfolgt. Nach den Angaben des Klägers ist mit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Juni 1990 sein Engagement für die TKEP beendet gewesen. Auch aus der Einlassung des Klägers zur Frage seiner politischen Betätigung im Übrigen kann keine Stützung des Hörensagenbeweises gewonnen werden. Der Kläger hat von Anfang an und widerspruchsfrei bestritten, an den Veranstaltungen teilgenommen bzw. überhaupt etwas mit der PKK zu tun zu haben. Zwar ist sein Hinweis, die TKEP habe eine völlig andere ideologische Ausrichtung und schon deswegen sei klar, dass er sich nicht für die PKK engagiere, nicht unbedingt zwingend. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es sich dem Grunde nach bei beiden um linksextremistische Organisationen handelt (vgl. zur PKK als marxistisch-leninistisch orientierter Kaderpartei Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 1992, S. 85), die für ein Selbstbestimmungsrecht der Kurden streiten. Auch können sich eigene politische Überzeugungen - zumal in einer anderen Umgebung und nach Auflösung der TEKP - ändern. Allerdings hat der Kläger auch im Einzeln dargelegt, wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr zu haben, sich in Deutschland politisch zu engagieren, und dies auch nicht mehr zu wollen. Dass der Kläger aufgrund seiner kulturellen Ausrichtung nach eigenen Angaben Newroz feiert und auch Veranstaltungen zum 1. Mai besucht, stellt dies nicht in Frage.
57 
Ferner ist auch die vom Kläger im Jahre 2001 unterzeichnete „PKK-Selbsterklärung“ entgegen der mit Schriftsatz vom 05.02.2010 geäußerten Auffassung des Beklagten kein „Beweisanzeichen“, das die Angaben des Gewährsmannes verlässlich stützt. Der Kläger hat sich im Verfahren dahin gehend geäußert, er habe die Erklärung unterschrieben, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Hiervon ausgehend rechtfertigt allein die Unterzeichnung dieser Erklärung nicht die Annahme, der Unterzeichner habe eine Bestrebung im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. unterstützt (näher BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 ff.; vgl. auch Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Wortlaut dieser Erklärung übersteigende Ziele und Absichten erkennen konnte oder musste bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK hegen musste, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde, sind aus den vom Kläger abgegebenen Äußerungen nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt, dass Sympathisanten der PKK - und als einen solchen sieht der Beklagte den Kläger an - regelmäßig über die Hintergründe und Ziele dieser Kampagne der PKK keinen Überblick. hatten. Dass es sich bei dem Kläger um einen Funktionär oder Aktivisten oder um eine sonstige Person „mit vertieften Kenntnissen“ handeln könnte, wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Die Unterzeichnung der Erklärung ist daher an sich eine einbürgerungsunschädliche Meinungsäußerung in einer speziellen historischen Konstellation. Sie ist kein Beleg für eine innere Verbundenheit mit den Zielen der PKK und der Organisation selbst und im Rahmen der Beweiswürdigung daher kein entscheidendes Indiz, das die dem Kläger entgegengehaltene Teilnahme an den PKK-Veranstaltungen stützen kann. Zwar kann die Unterzeichnung der „PKK-Selbsterklärung einbürgerungsrechtlich dann in einem anderen Licht zu werten sein, wenn durch den Unterzeichner weitergehende Aktivitäten für die verbotenen Organisationen der PKK hinzukommen (vgl. etwa Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6); solche können jedoch nicht in den dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen gesehen werden, um deren Beweis gerade gestritten wird.
58 
Schließlich lässt sich in der Wahl des Klägers zum Kassierer des Kurdischen Elternvereins ... kein Indiz zur Bestätigung der Angaben des Zeugen vom Hörensagen erblicken. Aus der vom Senat beigezogenen und den Beteiligten übermittelten Satzung ergeben sich keine Hinweise darauf, dass mit der Vereinstätigkeit (vgl. insbesondere die in § 3 genannten Ziele und Zwecke des Vereins) objektiv einbürgerungsschädliche Aktivitäten verfolgt werden könnten. Selbst wenn man aufgrund des vom Beklagten vorgelegten Vermerks des Bundeskriminalamtes vom April 2010 einen Anhaltspunkte dafür sehen würde, dass dieser Verein über YEK-MAL - Union der kurdischen Familie - strukturell an die PKK angebunden sein könnte, ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger in Kenntnis dessen im Verein engagiert hätte. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich hierfür keine Hinweise. Auch der Beklagte hat nichts dazu vorgebracht, dass der Kläger mit dieser Tätigkeit subjektiv Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt hätte.
c.)
59 
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, ist entgegen der im angefochtenen Bescheid vom 02.05.2008 geäußerten Auffassung auch der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG n.F. nicht erfüllt.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
61 
Beschluss vom 29. September 2010
62 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
32 
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die begehrte Einbürgerung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), weil er die Voraussetzungen des § 10 StAG erfüllt und kein Ausschlussgrund nach § 11 StAG entgegensteht.
1.)
33 
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen ist (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.01.2005 - 13 S 2549/03 -VBlBW 2006, 70). Auf die im Juli 2000 beantragte Einbürgerung ist § 10 StAG in seiner vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden, soweit dieser günstigere Bestimmungen enthält (§ 40c StAG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der europäischen Union vom 19.08.2007, BGBl. I S. 1970). Die Frage der Günstigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Einbürgerungsvoraussetzung zu beantworten, die nicht nach beiden Gesetzesfassungen erfüllt ist. Es ist die jeweils dem Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 - 13 S 1487/06 - juris; Berlit, Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht durch das EU-Richtlinienumsetzungsgesetz, InfAuslR 2007, 457, 466).
34 
Der Kläger, der über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht verfügt, bestreitet für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen den Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten bzw. Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG); dies ist durch die Vorlage der Lohnabrechnungen der Monate Juni bis August 2010 für den Kläger und seine Ehefrau nochmals verdeutlicht worden. Er hat seit mehr als acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet und hat - jedenfalls im Hinblick auf die insoweit günstigere Bestimmung nach der bis 28.08.2007 geltenden Rechtslage - ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Die übrigen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 StAG sind ebenfalls gegeben. Das erforderliche Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG), das die innerliche Hinwendung zu dieser einschließt, wird nicht durch etwaige Aktivitäten für die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder einer mit dieser verbundenen Organisation infrage gestellt; solche liegen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht vor (siehe nachfolgend 2.).
2.)
35 
Der Einbürgerung steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (bis 27.08.2007 wortgleich § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG) nicht entgegen. Unter Ausschöpfung aller von den Beteiligten aufgezeigten - und auch sonst ersichtlichen - Erkenntnisquellen kann der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung gewinnen, dass Tatsachen vorliegen, aus denen geschlossen werden kann, dass der Kläger die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen oder eine mit ihr verbundene Organisation im Sinne dieser Bestimmung unterstützt hat.
36 
Gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist die Einbürgerung ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
37 
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift sollen diejenigen Bewerber keinen Anspruch auf Einbürgerung haben, bei denen zumindest der begründete Verdacht besteht, dass sie Bestrebungen gegen Schutzgüter unterstützen, die für den deutschen Staat, in den sie eingebürgert werden wollen, wesentlich sind. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sind nur die in dieser Bestimmung genannten Schutzgüter von Bedeutung. Einerseits wird nicht bereits jedes unter Strafrechtsschutz stehende Rechtsgut von § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erfasst, andererseits setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG aber auch keine strafgerichtliche Verurteilung voraus. Ob die Verurteilung wegen einer Straftat dem Anspruch auf Einbürgerung entgegensteht, beurteilt sich nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 12a StAG. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG schließt einen Anspruch auf Einbürgerung nicht erst dann aus, wenn der Ausländer Handlungen unterstützt hat, die die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen. Für den Anspruchsausschluss nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG genügt es vielmehr, wenn der Ausländer ungeachtet späterer möglicher tatsächlicher Beeinträchtigungen bereits vorgelagert Bestrebungen unterstützt hat, die gegen die Sicherheit des Bundes gerichtet sind. Nach § 92 Abs. 3 Nr. 2 StGB sind im Sinne des Strafgesetzbuches Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland solche Bestrebungen, deren Träger darauf hinarbeiten, die äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Für § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist nicht erforderlich, dass die Bestrebungen auch objektiv geeignet sind, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Es genügt, wenn der Träger der Bestrebungen mit ihnen das Ziel verfolgt, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Bezogen auf solche Bestrebungen setzt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG jedenfalls voraus, dass sie der Ausländer unterstützt hat. Wenn das Gesetz von Bestrebungen im Plural spricht, bedeutet das nicht, dass nur das Unterstützen von mehr als einer solchen Bestrebung relevant wäre. Vielmehr steht der Plural nur für die Vielzahl möglicher Bestrebungen gegen die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140).
38 
Ein Unterstützen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist jede Handlung des Ausländers, die für diese Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist (vgl. BVerwG, a.a.O.; Bay. VGH, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - juris Rn. 32 zu § 86 Nr. 2 AuslG; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - juris; Berlit, GK-StAR § 11 Rn. 96), insbesondere jede Tätigkeit, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 28.03 - BVerwGE 123, 114). Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Anspruch auf Einbürgerung bereits dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer solche Bestrebungen unterstützt hat. Zum Ausschluss eines Einbürgerungsanspruchs genügt also der begründete Verdacht einer solchen Unterstützung.
39 
Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. Eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung des Handelns muss für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 26 und vom 22.2.2007 – 5 C 20.05 – BVerwGE 128, 140).
40 
Die erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkte für die Annahme der Unterstützung von Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG können sich nicht nur aus entsprechenden Handlungen des Ausländers ergeben, sondern auch aus dessen Zugehörigkeit zu einer und/oder aktiven Betätigung für eine Organisation, die ihrerseits Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Für die Einordnung einer Organisation als verfassungsfeindlich gilt dabei ebenfalls das herabgesetzte Beweismaß des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, d.h. es genügt der durch konkrete Tatsachen begründete Verdacht, dass die Organisation das Ziel verfolgt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen (BVerwG, Urteil vom 02.12.2009 - 5 C 24.08 - juris Rn. 18 und Beschluss vom 27.01.2009 - 5 B 51.08 - juris).
41 
Bei der Beurteilung, ob die Anknüpfungstatsachen je für sich oder in ihrer Gesamtschau nach Inhalt, Art und Gewicht für die Annahme ausreichen, dass der Ausländer Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt oder unterstützt hat, steht der Einbürgerungsbehörde kein Beurteilungsspielraum zu. Das Vorliegen dieses Ausschlussgrundes, einschließlich der Frage der glaubhaften Abwendung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen unterliegt vielmehr in vollem Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 74 und 86).
42 
Für das Vorliegen der Anknüpfungstatsache ist die Einbürgerungsbehörde darlegungs- und notfalls beweispflichtig (Berlit, GK-StAR, § 11 Rn. 76). Für die Tatsachenfeststellung bestrittener Tatsachen gilt insoweit das Regelbeweismaß der vollen richterlichen Überzeugung nach § 108 Abs. 1 VwGO, selbst wenn sich die Einbürgerungsbehörde wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit von Erkenntnisquellen der Verfassungsschutzbehörden in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet (OVG RhPf., Beschluss vom 17.02.2009 - 7 A 11063/08 - juris; siehe auch Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 84, 95 ff.; zur materiellen Beweislast für die Richtigkeit von streitigen Tatsachenbehauptungen der Verfassungsschutzbehörde vgl. ferner BVerwG, Urteil vom 21.05.2008 - 6 C 13.07 - NVwZ 2008, 1371).
43 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat nicht die volle richterliche Überzeugung davon erlangt, dass die vom Zeugen ... anlässlich seiner Angaben beim Polizeirevier ... am 30.08.2001 aktenkundig gemachten Hinweise zutreffen, der Kläger sei nicht nur Anhänger, sondern sogar aktives Mitglied der PKK, der dies auch freimütig zugebe, für die PKK werbe und ihn selbst und andere zu überreden versuche, an Veranstaltungen der PKK teilzunehmen. Entsprechendes gilt für die - vom Kläger ebenfalls stets bestrittene - Tatsache der Teilnahme an den vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen. Insoweit fehlt es bereits an bewiesenen Anknüpfungstatsachen, die Grundlage für die Annahme sein könnten, der Kläger unterstütze durch die Teilnahme an deren Veranstaltungen die PKK. Soweit der Kläger unstreitig im Jahre 2001 die sog. „PKK-Selbsterklärung“ unterzeichnet hat und im Jahre 2003 als Kassenwart des Kurdischen Elternvereins Karlsruhe e.V. gewählt worden ist, liegt hierin keine Unterstützung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
a.)
44 
Die Angaben des Zeugen ... sind sowohl was die behauptete innere Verbundenheit des Klägers mit der PKK als auch das äußere Eintreten für diese betrifft, nicht glaubwürdig. Die Schilderungen des eigentlichen Geschehens und auch die Ausführungen zu den Begleitumständen erweisen sich als wenig plausibel und widersprüchlich. Der Senat ist nach dem persönlichen Eindruck, den er vom Zeugen gewonnen hat, und unter Berücksichtigung der Gesamtumstände, in die die Angaben des Zeugen eingebettet sind, nicht davon überzeugt, dass die angegebenen Vorwürfe zutreffen.
45 
Der Zeuge gab in der Berufungsverhandlung an, der Kläger habe ihn dazu überreden wollen, an einer Großdemonstration der PKK teilzunehmen. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass er politisch desinteressierter Türkei sei, es sei aber darum gegangen, „je mehr Leute desto besser“. Mit dem Kläger, der mit seiner Familie im gleichen Haus wie seine frühere Freundin lebe, habe er sich vielleicht drei Monate gut verstanden, das habe dieser genutzt zu versuchen, „ihn zu sich zu ziehen“. Über sich selbst und seine politische Einstellung habe der Kläger angegeben, dass „er voll dabei sei“. Trotz mehrfacher Nachfragen des Senats konnte der Zeugen diese Angaben nicht weiter konkretisieren. Dies kann nicht damit erklärt werden kann, dass die von dem Zeugen behaupteten politischen Gespräche mit „Anwerbungsversuchen“ bereits etwa neun Jahre zurückliegen. Denn ungeachtet dieses lange zurückliegenden Zeitraums berichtete der Kläger an anderer Stelle der Vernehmung durchaus konkret, dass „es dann irgendwann mal, wo er mehr getrunken habe, dann zur Auseinandersetzung gekommen sei.“ Im weiteren Verlauf der Befragung äußerte sich der Zeuge sogar dahingehend, dass der Kläger nie gesagt habe, dass er zur PKK oder sonstigen vergleichbaren Veranstaltungen gegangen sei, dass „er ihn aber unbedingt mal dabei haben wollte“ und dass der Kläger dann „auf jeden Fall hinfährt“. Diese geschilderte Zurückhaltung des Klägers lässt sich aber kaum mit dem ansonsten vermittelten Bild des überzeugten und werbenden „PKK’lers“ in Einklang bringen. Auch das Vorbringen des Zeugen, der Kläger habe die ganze Wohnung mit Bildern und Flaggen der PKK dekoriert, erweist sich nicht als belastbar. Auf Frage des Senats, woher er diese Erkenntnis habe, gab der Zeuge verschiedene Versionen an. Zunächst erklärte er, er habe nie in die Wohnung des Klägers gedurft, weil da irgendwelche Bilder hingen. Dass Bilder von Öcalan dort hingen, habe der damals vier oder fünf Jahre alte Sohn des Klägers gesagt. Auf Nachfrage äußerte er sich dann dahingehend, der Sohn habe nur gesagt, „dass da von einem Mann Bilder hängen“. Auf weitere Nachfrage hieß es dann, „die Töchter hätten sich verplappert“, wobei er dann beiläufig eine der Töchter deswegen gefragt haben will. Im weiteren Verlauf der Vernehmung führte der Zeuge aus, er sei „nur einmal in der Küche gewesen, aber nicht im Wohnzimmer“. Allerdings „habe er den Eindruck gehabt, dass da irgendetwas nicht stimme“. Auf erneute Frage wollte er dann doch „einen Blick ins Wohnzimmer geworfen haben“. Auch soweit der Zeuge vortrug, er nehme an, die Bilder und Flaggen seien weggetragen worden, als die Polizei da gewesen sei, erscheint dies dem Senat nicht überzeugend. Denn es ist völlig lebensfremd, dass Bilder oder Flaggen, die für die PKK oder eine mit ihr verbundene Organisation stehen, im Beisein der Polizei in ein Auto hätten gebracht und weggefahren werden können, ohne dass dies von der Polizei bemerkt und festgehalten worden wäre. Aus den teilweise beigezogenen Akten der Polizei ergeben sich hierfür aber keine Hinweise. Für die Würdigung der Aussage des Zeugen ist auch von Bedeutung, dass das Verhältnis zwischen ihm und dem Kläger sowie dessen Ehefrau spätestens seit dem 10.08.2001 und der wechselseitigen Erstattung von Anzeigen hoch belastet ist. Zwar hat die Staatsanwaltschaft die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingestellt. Mit Urteil des Amtsgerichts ... vom 20.10.2004 wurde der Zeuge jedoch verurteilt, Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 2.373,06 EUR nebst Zinsen an den Kläger zu zahlen. Mit gleichem Urteil sprach das Amtsgericht der Ehefrau des Klägers 1.800 EUR zuzüglich Zinsen zu, die als Schadensersatz- und Schmerzensgeld von dem Zeugen und seinem Vater gesamtschuldnerisch zu leisten sind. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Zeuge am 10.08.2001 in Zusammenhang mit einem vorausgegangenen Streit nicht nur Reifen am Pkw des Klägers zerstochen hatte, sondern zumindest als Mittäter einen Stuhl nach dem Kläger geworfen und ihm hierdurch eine Unterarmfraktur zugefügt hatte. Des weiteren hatte er dem Urteil zufolge gemeinsam mit seinem Vater, dem Zeugen ..., am Abend des 10.08.2001 im Bereich der Hauseingangstür mit Stöcken auf die Ehefrau des Klägers eingeschlagen. Unter Berücksichtigung dessen und des auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei ihrer Begegnung gezeigten wechselseitig unterschwellig feindseligen Verhaltens sowohl des Zeugen als auch des Klägers hat der Senat den Eindruck, dass das Aussageverhalten des Zeugen nicht unvoreingenommen ist. Schließlich spricht einiges dafür, dass der Zeuge - sei es bewusst oder unbewusst - die kurdische Volkszugehörigkeit undifferenziert mit einem Engagement für die PKK gleichsetzt. Dies lässt sich insbesondere anhand seiner Einlassung erkennen, „der Kläger sei 100%-ig dabei; er habe sich schlau gemacht und in einem türkischen Internetcafé nachgefragt, und sogar die haben es bestätigt und die ganze Nachbarschaft, die kann es auch bestätigen, weil sie Kurden sind“.
46 
Insgesamt ist der Senat aufgrund der Angaben des Zeugen in der mündlichen Verhandlung nicht der Überzeugung, dass die in der polizeilichen Niederschrift über seine Vernehmung als Geschädigter von ihm genannten Tatsachen, aus denen auf eine innerliche und äußerliche Hinwendung des Klägers zur PKK geschlossen werden könnte, zutreffen. Bei dieser Würdigung hat der Senat auch die Angaben des ebenfalls als Zeugen vernommenen Vaters beachtet. Der Zeuge ... gab in der mündlichen Verhandlung an, aus eigener Anschauung nichts über die politische Einstellung des Klägers zu wissen. Er erklärte lediglich, sein Sohn habe ihn nach der PKK gefragt, weil er „einen Nachbarn habe, der gesagt habe, da kannst du gut leben.“ Diese völlig allgemein gehaltene und lediglich an ein nicht näher substantiiertes Gespräch zwischen Vater und Sohn anknüpfenden Aussage gibt dem Senat keinen Anlass, die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben des Zeugen ... anders zu beurteilen. Im Übrigen ergeben sich aus der Zeugenaussage des Vaters weder direkt noch indirekt konkrete Tatsache, die auf eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG hindeuten würden.
47 
Soweit in den Akten des Polizeireviers ... in verschiedenen Schriftstücken eine PKK-Anhängerschaft des Klägers erwähnt ist, geht dies letztlich auf die damaligen Angaben von ... zurück. Für den Senat besteht kein Anlass, der Frage der Berechtigung dieser im Jahr 2001 insoweit erhobenen Vorwürfe über die Vernehmung der beiden Zeugen hinaus weiter nachzugehen - zumal zusätzliche mögliche Erkenntnismittel, insbesondere Zeugen, die aus unmittelbarem Erleben etwas berichten könnten, von den Beteiligten nicht aufgezeigt worden sind und auch nicht ersichtlich sind.
b.)
48 
Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger an den Veranstaltungen teilgenommen hat, die der Beklagte ihm als einbürgerungsschädliche Unterstützung der PKK entgegen hält. Zwar hat der in der Berufungsverhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz, an dessen persönlicher Glaubwürdigkeit keine Zweifel bestehen, bekundet, der Kläger sei nach den Angaben einer zuverlässigen Quelle bei allen genannten Veranstaltungen anwesend gewesen. Gleichwohl hat sich der Senat nicht die Überzeugung bilden können, dass der Kläger - was von ihm stets bestritten worden ist - tatsächlich an den Großdemonstrationen in Straßburg am 15.02.2003 und 14.02.2004, der Demonstration in ... am 06.03.1999 sowie den „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ bzw. „Volksversammlungen“ der PKK am 08.03.1998, 28.06.1998, 04.04.1999 und 24.10.1999 teilgenommen hat. Dabei geht der Senat davon aus, dass diese vom Beklagten genannten Veranstaltungen tatsächlich stattgefunden haben. Zu Ort, Zeit und Inhalt der Veranstaltungen sind im Berufungsverfahren konkrete und substantiierte Angaben gemacht und weitere Unterlagen vorlegt worden, so ein Pressebericht vom 07.03.1999 zur Demonstration in ... vom 06.03.1999 und ein Flugblatt in französischer Sprache zur Demonstration vom 15.02.2003. Die inhaltlichen Berichte stützen sich mit Ausnahme der Veranstaltung vom 28.06.1998 auf verschiedene Quellen des Landesamts für Verfassungsschutz, die - wie der Zeugen ... in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen dargelegte - Überprüfungsmaßnahmen des Landesamts unterzogen worden sind. Allerdings ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Kläger selbst bei diesen ihm vom Beklagten vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend war.
49 
Die Bekundung des Zeugen ..., der Kläger sei bei den genannten „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“, „Volksversammlungen“ und Demonstrationen anwesend gewesen, beruht auf den Angaben einer einzigen Quelle, wobei der Zeuge nicht der unmittelbare Führer dieser Quelle ist. Aus Quellenschutzgründen wurde die Identität der Quelle nicht offen gelegt. Der unmittelbare Quellenführer stand als Zeuge nicht zur Verfügung. Auch wurden - trotz Aufforderung durch das Gericht - keine schriftliche Aufzeichnungen vorgelegt. Diese Praxis ist dem Senat aus vergleichbaren Verfahren bekannt. Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz, die auf geheim gehaltenen Quellen beruhen und als Zeugenaussage vom Hörensagen in den Prozess eingeführt werden, können zwar grundsätzlich verwertet werden. Allerdings darf die in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistete Garantie effektiven Rechtsschutzes auch dann nicht in unverhältnismäßiger Weise eingeschränkt werden, wenn eine Behörde sich gegenüber dem Auskunftsbegehren eines Bürgers auf Geheimhaltungsgründe beruft und sich diese Gründe gerade auch auf die allein als Beweismittel in Betracht kommenden Verwaltungsvorgänge beziehen, in denen die für das Verwaltungsverfahren und sein Ergebnis relevanten Sachverhalte dokumentiert sind (vgl. grundlegend zu dieser Problematik BVerfG, Beschluss vom 27.10.1999 - 2 BvR 385/90 - BVerfGE 101, 106, 121 ff.). Soweit in einem derartigen Fall die Effektivität des Rechtsschutzes von der Offenlegung der Verwaltungsvorgänge abhängt, muss das Gericht grundsätzlich die tatsächlichen Grundlagen selbst ermitteln und seine rechtliche Auffassung unabhängig von der Verwaltung, deren Entscheidung angegriffen ist, gewinnen und begründen. Ist dies wie hier nicht möglich, muss das durch die Geheimhaltung entstehende Rechtsschutzdefizit im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeglichen werden (Hamb. OVG, Urteil vom 07.04.2006 - 3 Bf 442/03 - NordÖR 2006, 466). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die gerichtliche Beweiswürdigung der Angaben eines sogenannten Zeugen vom Hörensagen besonderen Anforderungen unterliegt, die aus dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten sind. Danach ist der Beweiswert seiner Angaben besonders kritisch zu prüfen. Denn das Zeugnis vom Hörensagen ist nur begrenzt zuverlässig, weil sich die jedem Personenbeweis anhaftenden Fehlerquellen im Zuge der Vermittlung der Angaben verstärken und weil das Gericht die Glaubwürdigkeit der Gewährsperson nicht selbst einschätzen kann. Das Gericht muss sich der Gefahren der beweisrechtlichen Lage, also vor allem der besonderen Richtigkeitsrisiken in Ansehung anonym gebliebener Personen, deren Wissen durch einen Zeugen vom Hörensagen eingeführt wird, sowie der sich daraus ergebenden Grenzen seiner Überzeugungsbildung bewusst sein (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris Rn. 50 und Urteil vom 27.03.1998 - 13 S 1349/96 - juris Rn. 37). Die Aussage eines Zeugen vom Hörensagen wird regelmäßig einer Entscheidung nur dann zugrunde gelegt werden können, wenn es für das Vorliegen der entsprechende Tatsache noch andere Anhaltspunkte gibt (BVerwG, Beschluss vom 22.10.2009 - 10 B 20/09 - juris Rn. 4 und Beschluss vom 05.03.2002 - 1 B 194/01 - juris Rn. 4 mit ausdrücklichem Hinweis auf BVerfGE 57, 250, 292). Nach der zum Strafrecht entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügen die Angaben des Gewährsmanns regelmäßig nicht, wenn sie nicht durch andere, nach Überzeugung des Fachgerichts wichtige ihrerseits beweiskräftig festgestellte Gesichtspunkte bestätigt werden (vgl. zum Ganzen: BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 292 ff.; BVerfG <2. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 19.07.1995 - 2 BvR 1142/93 - NJW 1996, 448; BVerfG <1. Kammer des 2. Senats>, Beschluss vom 05.07.2006 - 2 BvR 1317/05 - NJW 2007, 204). Die strafgerichtliche Rechtsprechung und Literatur verlangt daher regelmäßig „zusätzliche Indizien von einigem Gewicht“ (vgl. näher BGH, Beschluss vom 08.05.2007 - 4 StR 591/06 - juris Rn. 2; Beschluss vom 19.06.1996 - 5 StR 220/96 - juris Rn. 3 ff; Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2008, § 250 Rn. 13; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, 26. Aufl. 2009, § 46 Rn. 33 f.; Detter, Der Zeuge vom Hörensagen - eine Bestandsaufnahme, NStZ 2003, 1, 4). Diese zum Strafrecht entwickelten Prinzipien können als Ausdruck des Rechts auf faires Verfahrens auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren herangezogen werden (Sodan/Ziekow, a.a.O., § 96 Rn. 38; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - a.a.O.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die behauptete Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen in den Jahren 1998 und 1999 sowie 2003 und 2004 nicht nachgewiesen.
50 
Der in der Verhandlung vernommene Zeuge des Landesamts für Verfassungsschutz konnte, was die Teilnahme des Klägers an den genannten Veranstaltungen betrifft, nur übermitteln, was die Quelle ihrem Quellenführer berichtet haben soll. Von der persönlichen Glaubwürdigkeit des im Dunkeln bleibenden Gewährsmannes konnte sich der Senat daher kein Bild machen. Die durch den Zeugen vom Hörensagen vermittelten Angaben sind auch deshalb von geringerem Beweiswert, weil die bei einer Nachrichtenkette allgemein bestehende und mit jedem Glied wachsende Gefahr, dass Angaben - und sei es auch unabsichtlich - entstellt oder unvollständig erfasst bzw. wiedergegeben werden, nicht ausgeblendet werden kann. Im vorliegenden Fall wurde nach den Bekundungen des Zeugen die Quelle nach der ersten Veranstaltung innerhalb von 14 Tagen danach persönlich vom unbekannt gebliebenen Quellenführer getroffen. Diese hat von der Veranstaltung mündlich berichtet, wobei der Quellenführer dies nicht auf Band aufgenommen, sondern erst später aufgeschrieben hat. Besondere Vorkehrungen, die im konkreten Fall die Gefahr von Übermittlungsfehler minimieren würden, sind insoweit nicht ersichtlich.
51 
Was die vorgetragene Anwesenheit des Klägers bei den Großdemonstrationen in Straßburg mit bis zu 20.000 Teilnehmern und bei der Demonstration in Karlsruhe am 06.03.1999 mit jedenfalls mehreren Hundert Teilnehmern (der Beklagte spricht in seinem Schriftsatz vom 18.05.2010 von 800, der beigefügte Zeitungsartikel von 1.800 Menschen) betrifft, ist schon nicht nachvollziehbar, wie der Kläger unter Berücksichtigung der Masse der Teilnehmer überhaupt sicher identifiziert worden sein könnte. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.08.2010 vorgetragen, „er sei aus einer kleineren eng begrenzten Personenzahl heraus und bestimmt nicht zufällig identifiziert worden“. Der in der mündlichen Verhandlung vernommene Zeuge ... vom Landesamt für Verfassungsschutz erklärte, dass bei Großdemonstrationen üblicherweise die Identifizierung bei der An- oder Abfahrt mit dem Bus erfolgt; mehr könne aus Quellenschutzgründen nicht gesagt werden. Abgesehen davon, dass dies nicht erklärt, wie eine Identifizierung des Klägers bei der sozusagen „vor seiner Haustür“ stattgefundenen Demonstration in ..., bei der eine An- und Abfahrt mit dem Bus entfällt, erfolgt worden wäre, ist aufgrund der insoweit fehlenden eindeutigen Angaben für den vorliegenden Fall die Verlässlichkeit einer Identifizierung bei den angeführten Großveranstaltungen nicht gewährleistet.
52 
Hinzukommt, dass die vorgetragene generelle Identifizierung des Klägers durch die Quelle im Wege einer Wahllichtbildvorlage mit einem Mangel behaftet ist, der sich auf die Frage der Feststellung der Teilnahme des Klägers an allen ihm vorgehaltenen Veranstaltungen, also auch bzgl. der „Märtyrer-Gedenkveranstaltungen“ und der „Volksversammlungen“, selbst wenn diese typischerweise nur bis zu etwa 200 Personen umfasst haben, auswirkt.
53 
Nach den Angaben des Zeugen ... sei der Kläger durch eine einzige Quelle identifiziert worden, die bei allen dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen anwesend gewesen sei. Die Quelle, die spätestens etwa 14 Tage nach der jeweiligen Veranstaltung getroffen worden sei, habe den unter türkischen Staatsangehörigen sehr häufigen Namen ... genannt, jedoch über den Namensträger nichts weiter als dessen Anwesenheit berichtet. Der Verfassungsschutz habe dann irgendwann über das in der Nähe eines nicht genannten Veranstaltungsorts geparkte Auto, das der Polizei aufgefallen sei, die Identität des Klägers ermitteln können. Im Jahre 2003 sei eine Wahllichtbildvorlage erfolgt. Im Regelfall würden der Quelle zehn Lichtbilder vorgelegt, im konkreten Fall seien es - so glaube er - acht Bilder gewesen, von denen die Quelle zwei identifiziert habe, darunter auch das Lichtbild des Klägers. Bei der Frage nach dem Beweiswert darf schon nicht unberücksichtigt bleiben, dass keine Details dazu mitgeteilt wurden, wie die Wahllichtbildvorlage im konkreten Fall ausgestaltet wurde; es ist auch nicht ersichtlich, dass der gesamte Vorgang im Einzelnen dokumentiert worden wäre. Auch wurde im Jahre 2003 ein damals etwa mindestens sechs oder sieben Jahre altes Lichtbild des Klägers verwendet. Der Senat konnte sich anhand des vom Zeugen ... in der Berufungsverhandlung vorgelegten Lichtbildes davon überzeugen, dass es sich hierbei um eine Vergrößerung des dem Einbürgerungsantrag vom November 1996 beigegebenen Passfotos gehandelt hatte. Das Erscheinungsbild des in der Verhandlung persönlich anwesenden Klägers hat sich jedoch gegenüber dem Lichtbild deutlich geändert. Die Haare des Klägers sind mittlerweile ergraut, er trägt Brille und ist nicht rasiert gewesen; außerdem wirkt er im Gesicht schlanker als auf dem Foto. Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat dieser seit etwa 13 Jahren eine Brille und sich auch schon in der Vergangenheit manchmal einen Bart stehen lassen. Zwar hält der Senat es nicht für ausgeschlossen, dass jemand, der den Kläger schon zuvor seit Jahren näher kennt, diesen im Jahre 2003 anhand eines Fotos älteren Datums bestimmen kann. Der Zeuge hat jedoch aus Gründen des Quellenschutzes keine Angaben dazu gemacht, inwieweit die Quelle den Kläger bereits zuvor persönlich gekannt hat oder ob sie ihn primär anhand des Lichtbildes identifiziert haben will. Infolge dessen muss der Senat - als eine Art „worst-case-Betrachtung“- davon ausgehen, dass die Quelle den Kläger nicht näher gekannt hat, ihn bei den Veranstaltungen im Jahre 1998 und 1999 in einer Menge von immerhin 100 bis 200 Teilnehmern gesehen haben will und - mangels gegenteiliger Angaben - nach der Veranstaltung vom 24.10.1999 beide Personen mehrere Jahre nicht zusammengetroffen sind. Dieses begründet eine nicht ausräumbare Unsicherheit im Identifizierungsvorgang, weshalb die dem Kläger vorgehaltene Teilnahme an den Veranstaltungen nicht als bewiesen angesehen werden kann.
54 
Selbst wenn man im Übrigen im Rahmen der Beweiswürdigung den Unsicherheitsfaktor bei der Identifizierung nur mit minderer Bedeutung gewichten würde, weil die praktizierte Lichtbildvorlage ein typischer Weg des Verfassungsschutzes bei der Erkenntnisgewinnung darstellt und im Interesse des Quellenschutzes detaillierte Angaben, wie die Ermittlung eines Veranstaltungsteilnehmers erfolgt ist, regelmäßig nicht offengelegt werden können, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die - in ihrem Beweiswert ohnehin schon herabgesetzten - Angaben der Gewährsperson können nicht durch andere gewichtige Gesichtspunkte - die etwa mit Blick auf die Einlassung des Betroffenen oder in Gestalt objektiver Gesichtspunkte gegeben sein können - gestützt oder bestätigt werden. Aus dem Komplex der ihm eigentlich vorgehaltenen Veranstaltungen heraus ergeben sich keine für die Richtigkeit der Angaben streitenden Tatsachen. Aber auch unter Berücksichtigung der gesamten anderweitig bestätigten Aktivitäten des Klägers und seiner persönlichen Äußerungen liegen keine Erkenntnisse vor, die einzeln oder im Wege einer Gesamtschau als Beleg für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen herangezogen werden könnten.
55 
Im Kontext der vom Landesamt aufgeführten Veranstaltungen sind beispielsweise zum Erscheinungsbild des Klägers, zu seinem Verhalten oder aus seinem persönlichen Lebensbereich keine besonderen oder gar originellen Details mitgeteilt worden, aus denen geschlossen werden könnte, die Quelle habe den Kläger tatsächlich dort gesehen. Ein gewichtiges Beweisanzeichen ergibt sich auch nicht daraus, dass die Quelle dem Zeugen ... zufolge überprüft worden sei und in der Zeit, in der die Veranstaltungen stattgefunden haben, zuverlässig berichtet habe. Denn insoweit fehlt es schon an der Mitteilung von Indizien, anhand derer diese Einschätzung ihrerseits bestätigt werden könnte. Dass der Kläger einmal sein Fahrzeug in der Nähe eines - nicht näher bezeichneten - Veranstaltungsortes geparkt hat, das von der Polizei beobachtet worden ist, ist aufgrund der mangels gegenteiliger Erkenntnisse anzunehmenden Neutralität des Parkvorgangs an sich kein Indiz, das für die Teilnahme des Klägers an den ihm vorgehaltenen Veranstaltungen sprechen könnte. Ein Anhalt für die Richtigkeit der Angaben des Zeugen vom Hörensagen folgt schließlich nicht daraus, dass der Zeuge ... angegeben hat, der Kläger sei Anhänger der PKK und werbe für deren Veranstaltungen. Denn seine Aussage ist insgesamt unglaubhaft, weshalb sie als Anhaltspunkt für die Richtigkeit der vom Beklagten behaupteten Teilnahme des Klägers an den angeführten Veranstaltungen ungeeignet ist.
56 
Das frühere Eintreten für die TKEP ist ebenfalls kein Indiz dafür, dass die dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungsteilnahmen zutreffen. Die vom Kläger in der Türkei damals vorgenommenen und im Übrigen schon sehr lange zurückliegenden politischen Tätigkeiten - Schreiben von Parolen an Wände, Verteilung von Flugblätter, Teilnahme an Seminaren und Veranstaltungen, Lesen von Parteipublikationen - sind nur mit Bezug und Wirkung auf sein Herkunftsland erfolgt. Nach den Angaben des Klägers ist mit seiner Einreise in das Bundesgebiet im Juni 1990 sein Engagement für die TKEP beendet gewesen. Auch aus der Einlassung des Klägers zur Frage seiner politischen Betätigung im Übrigen kann keine Stützung des Hörensagenbeweises gewonnen werden. Der Kläger hat von Anfang an und widerspruchsfrei bestritten, an den Veranstaltungen teilgenommen bzw. überhaupt etwas mit der PKK zu tun zu haben. Zwar ist sein Hinweis, die TKEP habe eine völlig andere ideologische Ausrichtung und schon deswegen sei klar, dass er sich nicht für die PKK engagiere, nicht unbedingt zwingend. Der Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass es sich dem Grunde nach bei beiden um linksextremistische Organisationen handelt (vgl. zur PKK als marxistisch-leninistisch orientierter Kaderpartei Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 1992, S. 85), die für ein Selbstbestimmungsrecht der Kurden streiten. Auch können sich eigene politische Überzeugungen - zumal in einer anderen Umgebung und nach Auflösung der TEKP - ändern. Allerdings hat der Kläger auch im Einzeln dargelegt, wegen seiner Familie und seinem Beruf keine Zeit mehr zu haben, sich in Deutschland politisch zu engagieren, und dies auch nicht mehr zu wollen. Dass der Kläger aufgrund seiner kulturellen Ausrichtung nach eigenen Angaben Newroz feiert und auch Veranstaltungen zum 1. Mai besucht, stellt dies nicht in Frage.
57 
Ferner ist auch die vom Kläger im Jahre 2001 unterzeichnete „PKK-Selbsterklärung“ entgegen der mit Schriftsatz vom 05.02.2010 geäußerten Auffassung des Beklagten kein „Beweisanzeichen“, das die Angaben des Gewährsmannes verlässlich stützt. Der Kläger hat sich im Verfahren dahin gehend geäußert, er habe die Erklärung unterschrieben, um sich für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage einzusetzen. Hiervon ausgehend rechtfertigt allein die Unterzeichnung dieser Erklärung nicht die Annahme, der Unterzeichner habe eine Bestrebung im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. unterstützt (näher BVerwG, Urteil vom 22.02.2007 - 5 C 20.05 - BVerwGE 128, 140 ff.; vgl. auch Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den Wortlaut dieser Erklärung übersteigende Ziele und Absichten erkennen konnte oder musste bzw. er nach seinem Kenntnis- und Wissensstand Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Erklärung der PKK hegen musste, dass sie ihre Ziele künftig legal und gewaltfrei verfolgen werde, sind aus den vom Kläger abgegebenen Äußerungen nicht ersichtlich. Im Übrigen ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt, dass Sympathisanten der PKK - und als einen solchen sieht der Beklagte den Kläger an - regelmäßig über die Hintergründe und Ziele dieser Kampagne der PKK keinen Überblick. hatten. Dass es sich bei dem Kläger um einen Funktionär oder Aktivisten oder um eine sonstige Person „mit vertieften Kenntnissen“ handeln könnte, wird auch vom Beklagten nicht behauptet. Die Unterzeichnung der Erklärung ist daher an sich eine einbürgerungsunschädliche Meinungsäußerung in einer speziellen historischen Konstellation. Sie ist kein Beleg für eine innere Verbundenheit mit den Zielen der PKK und der Organisation selbst und im Rahmen der Beweiswürdigung daher kein entscheidendes Indiz, das die dem Kläger entgegengehaltene Teilnahme an den PKK-Veranstaltungen stützen kann. Zwar kann die Unterzeichnung der „PKK-Selbsterklärung einbürgerungsrechtlich dann in einem anderen Licht zu werten sein, wenn durch den Unterzeichner weitergehende Aktivitäten für die verbotenen Organisationen der PKK hinzukommen (vgl. etwa Berlit, jurisPR-BVerwG 16/2007 Anm. 6); solche können jedoch nicht in den dem Kläger vorgehaltenen Veranstaltungen gesehen werden, um deren Beweis gerade gestritten wird.
58 
Schließlich lässt sich in der Wahl des Klägers zum Kassierer des Kurdischen Elternvereins ... kein Indiz zur Bestätigung der Angaben des Zeugen vom Hörensagen erblicken. Aus der vom Senat beigezogenen und den Beteiligten übermittelten Satzung ergeben sich keine Hinweise darauf, dass mit der Vereinstätigkeit (vgl. insbesondere die in § 3 genannten Ziele und Zwecke des Vereins) objektiv einbürgerungsschädliche Aktivitäten verfolgt werden könnten. Selbst wenn man aufgrund des vom Beklagten vorgelegten Vermerks des Bundeskriminalamtes vom April 2010 einen Anhaltspunkte dafür sehen würde, dass dieser Verein über YEK-MAL - Union der kurdischen Familie - strukturell an die PKK angebunden sein könnte, ist jedenfalls nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger in Kenntnis dessen im Verein engagiert hätte. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich hierfür keine Hinweise. Auch der Beklagte hat nichts dazu vorgebracht, dass der Kläger mit dieser Tätigkeit subjektiv Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG unterstützt hätte.
c.)
59 
Wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, ist entgegen der im angefochtenen Bescheid vom 02.05.2008 geäußerten Auffassung auch der Ausschlussgrund nach § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG n.F. nicht erfüllt.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
61 
Beschluss vom 29. September 2010
62 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung ist ausgeschlossen, wenn

1.
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat, oder
2.
nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt.
Satz 1 Nr. 2 gilt entsprechend für Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes und auch für Staatsangehörige der Schweiz und deren Familienangehörige, die eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit besitzen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Tenor

1. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Einstellung des Verfahrens wegen des Vorliegens unbehebbarer Verfahrenshindernisse, hilfsweise auf Aussetzung des Verfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, wird zurückgewiesen.

2. Die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.

3. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen wird abgelehnt.

Gründe

A.

1

Gegenstand des Verfahrens ist der Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gemäß Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG, § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG.

I.

2

1. Die Antragsgegnerin wurde am 28. November 1964 als Sammlungsbewegung nationaldemokratischer Kräfte gegründet. Schon im September 1965 verfügte sie über eine annähernd flächendeckende Parteiorganisation in der Bundesrepublik Deutschland und zog zwischen 1966 und 1968 mit Wahlergebnissen zwischen 5,8 % und 9,8 % der abgegebenen gültigen Stimmen und insgesamt 61 Abgeordneten in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. 1969 scheiterte sie bei der Bundestagswahl mit einem Zweitstimmenanteil von 4,3 % an der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Danach konnte die Antragsgegnerin in einem Zeitraum von 35 Jahren bei Landtags- oder Bundestagswahlen kein Mandat mehr erringen.

3

Erst 2004 zog sie bei der Landtagswahl in Sachsen mit einem Wahlergebnis von 9,2 % der abgegebenen gültigen Stimmen wieder in einen Landtag ein. 2006 gelang ihr dies mit 7,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen auch in Mecklenburg-Vorpommern. In beide Landtage konnte sie trotz Stimmenverlusten bei der jeweils nachfolgenden Landtagswahl erneut einziehen (mit einem Wahlergebnis in Sachsen im Jahr 2009 von 5,6 % und in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2011 von 6,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen). Aufgrund des Wegfalls der Sperrklausel für die Wahl zum Europäischen Parlament zog die Antragsgegnerin 2014 mit einem Wahlergebnis von 1,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen mit dem Abgeordneten Udo Voigt in das Europäische Parlament ein.

4

Gegenwärtig ist die Antragsgegnerin in keinem Parlament auf Bundes- oder Landesebene vertreten. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte sie einen Zweitstimmenanteil von 1,3 %. In Sachsen verpasste sie bei der Landtagswahl 2014 mit 4,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen, in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl 2016 mit einem Zweitstimmenanteil von 3,0 % knapp den Wiedereinzug in den Landtag. Die Wahlergebnisse der Antragsgegnerin lagen bei der jeweils letzten Landtagswahl in den alten Bundesländern zwischen 0,2 % (Bremen) und 1,2 % (Saarland) und in den neuen Bundesländern zwischen 1,9 % (Sachsen-Anhalt) und 4,9 % (Sachsen).

5

Auf kommunaler Ebene verfügt die Antragsgegnerin nach unwidersprochenen Angaben des Antragstellers seit den Kommunalwahlen 2014 über 367 Mandate, vor allem in den neuen Ländern (vgl. zu den Wahlergebnissen Rn. 904 ff.).

6

2. Die Mitgliederzahl der Antragsgegnerin, die 1969 mit 28.000 ihren Höchststand erreicht hatte, sank in den folgenden Jahren zunächst stetig; 1996 verfügte sie nach eigenen Angaben nur noch über 3.240 Mitglieder. Mit der Wahl von Udo Voigt 1996 zum Parteivorsitzenden stieg die Mitgliederzahl wieder an und erreichte 2007 einen (neuen) Höchststand von 7.014 Mitgliedern. Danach fiel der Mitgliederbestand erneut auf 5.048 Mitglieder zum 31. Dezember 2013. Der Parteivorsitzende Frank Franz erklärte beim Bundesparteitag im November 2015 in Weinheim jedoch, dass erstmals seit Jahren wieder ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen sei. In der mündlichen Verhandlung konkretisierte er dies durch die Angabe einer Steigungsrate von 8 % im Vergleich zum Vorjahr.

7

3. Die Antragsgegnerin ist in (sechzehn) Landesverbände sowie Bezirks- und Kreisverbände gegliedert. Der Bundesparteitag ist nach § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Satzung (Stand: 21./22. November 2015) das "oberste Organ der NPD. Er bestimmt die politische Zielsetzung und tritt mindestens in jedem zweiten Kalenderjahr zu einer ordentlichen Tagung zusammen." Die "politische und organisatorische Führung der NPD" obliegt gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem Parteivorstand.

8

4. Mit den 1969 gegründeten "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die Antragsgegnerin über eine eigene Jugendorganisation, die im Jahr 2012 etwa 350 Mitglieder hatte. Bereits 1966 wurde der "Nationaldemokratische Hochschulbund e.V." (NHB) als Unterorganisation der Antragsgegnerin gegründet, der hochschulpolitisch mittlerweile aber nicht mehr in Erscheinung tritt. 2003 gründete sich die "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) als bundesweite Interessenvertretung der kommunalen Mandatsträger, 2006 der "Ring Nationaler Frauen" (RNF), der sich als "Sprachrohr und Ansprechpartner für alle nationalen Frauen, unabhängig von einer Parteimitgliedschaft" versteht und 2012 rund 100 Mitglieder hatte. Die (Bundes-)Vorsitzenden der Vereinigungen gehören nach § 7 Abs. 3 Satz 1 der NPD-Satzung (Stand: 21./22. November 2015) kraft Amtes dem Parteivorstand der NPD an, "soweit sie Mitglieder der NPD sind".

9

5. Der Rechenschaftsbericht für das Jahr 2013 weist 488.859,96 EUR (2014: 459.157,77 EUR) Mitgliedsbeiträge und knapp 804.000,- EUR (2014: 866.000,- EUR) Spenden aus; zusammen entspricht dies ungefähr 43,4 % (2014: 43,6 %) der Gesamteinnahmen der Partei (vgl. BTDrucks 18/4301, S. 109; BTDrucks 18/8475, S. 109).

10

6. Die von der Antragsgegnerin gegründete "Deutsche Stimme Verlags GmbH" verlegt die Parteizeitung "Deutsche Stimme". Deren Auflagenhöhe betrug Mitte 2012 nach Angaben der Antragsgegnerin 25.000 Exemplare. Mit DS-TV verfügt sie über einen Videokanal. Darüber hinaus ist die Antragsgegnerin für verschiedene regionale Publikationen verantwortlich und nutzt intensiv das Internet. Sie ist auf Facebook, Twitter und mit Videokanälen auf YouTube vertreten (vgl. auch Rn. 852 f.).

II.

11

Ein durch Anträge der Bundesregierung, des Deutschen Bundestages und des Antragstellers des vorliegenden Verfahrens im Jahr 2001 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der Antragsgegnerin wurde durch Beschluss des Zweiten Senats vom 18. März 2003 eingestellt (BVerfGE 107, 339).

III.

12

Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2013 hat der Antragsteller auf der Grundlage seines Beschlusses vom 14. Dezember 2012 (BRDrucks 770/12) die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin und die Auflösung ihrer Parteiorganisation jeweils einschließlich ihrer Teilorganisationen, das Verbot, Ersatzorganisationen zu schaffen oder fortzusetzen, sowie die Einziehung ihres Vermögens und das ihrer Teilorganisationen beantragt. Er hat diesen Antrag auf die erste Alternative des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG gestützt und hierzu im Wesentlichen vorgetragen:

13

1. Der Antrag sei zulässig. Verfahrenshindernisse lägen weder unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Quellenfreiheit des vorgelegten Materials noch hinsichtlich einer mangelnden Staatsfreiheit der Antragsgegnerin vor.

14

a) Die in das Verfahren eingeführten Belege entstammten allgemein zugänglichen Materialien. Es handele sich um eigene Publikationen der Antragsgegnerin, amtliche Entscheidungen sowie öffentlich zugängliche Filme und Berichte über das Verhalten von Funktionären und Mitgliedern der Partei. Nachrangig berücksichtigt würden auch Ergebnisse offener Ermittlungsmaßnahmen sowie Informationen aus dem Bereich der Strafverfolgung gegen Führungspersonen der Antragsgegnerin. Ergänzend werde auf Erkenntnisse aus der empirischen sozialwissenschaftlichen Forschung zurückgegriffen. Hierzu hat der Antragsteller zwei Sachverständigengutachten aus dem Jahr 2013 vorgelegt, zum einen ein Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zur Wesensverwandtschaft von NPD und historischem Nationalsozialismus, zum anderen ein Gutachten von Prof. Dr. Dierk Borstel zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD.

15

b) Zwischen 2008 und 2013 habe der Anteil der durch Polizei und Nachrichtendienste im Bereich der Antragsgegnerin eingesetzten Quellen nie mehr als 2,5 % der Mitglieder und 6,6 % der Vorstandsmitglieder betragen. Spätestens ab dem 6. Dezember 2012, dem Datum der Beschlussfassung im Bundesrat über die Einleitung eines Verbotsverfahrens, sei die Antragsgegnerin auf ihren Führungsebenen im Bund und in den Ländern staatsfrei. Die zur Begründung des Antrags verwendeten und zitierten Quellen seien weder staatlich erzeugt noch beeinflusst.

16

c) Zur Glaubhaftmachung seines Vortrags zur Staatsfreiheit der Antragsgegnerin hat der Antragsteller Testate des Bundesinnenministers sowie der Innenminister und -senatoren der Länder vorgelegt, wonach "spätestens seit dem 6. Dezember 2012 […] in den Vorständen der NPD und ihrer Teilorganisationen auf Bundes- und Landesebene weder vom Verfassungsschutz noch von der Polizei Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen eingesetzt werden".

17

d) Hinsichtlich der Quellenfreiheit der vorgelegten Belege differenziert der Antragsteller zwischen Belegen, die einer bestimmten (Einzel-)Person als Urheber inhaltlich zuzurechnen sind (Kategorie 1), und Belegen, bei denen ein Personenkreis verantwortlich zeichnet (Kategorie 2). In vorgelegten Testaten erklären der Bundesinnenminister sowie die Innenminister und -senatoren der Länder mit Blick auf die Personen, denen die Belege der Kategorie 1 zuzurechnen seien, dass keine dieser Personen nach dem 1. Januar 2003 eine Quelle der Sicherheitsbehörden im Zuständigkeitsbereich des jeweils Testierenden "im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen war oder ist". Bezüglich der Belege der Kategorie 2 wird testiert, dass "von Sicherheitsbehörden im jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu dem Zeitpunkt, als das jeweilige Beweismittel entstanden ist (Datum der Veröffentlichung oder bei Internet-Veröffentlichungen der Zeitpunkt des Abrufs durch die Sicherheitsbehörden), in dem hierfür verantwortlichen Personenkreis (z.B. Vorstand oder Redaktion) der Organisation (z.B. Orts-, Kreis-, Landes- oder Bundesverband der NPD, JN-Stützpunkt oder Verlagsgesellschaft), der das Beweismittel inhaltlich zuzuordnen ist, keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder Vertrauenspersonen eingesetzt wurden".

18

2. Der Antrag sei nach Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 GG auch begründet. Die Antragsgegnerin gehe sowohl nach ihren Zielen als auch nach dem ihr zurechenbaren Verhalten ihrer Anhänger darauf aus, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen und zu beseitigen.

19

a) An den Prüfungsmaßstab des Art. 21 Abs. 2 GG seien folgende Anforderungen zu stellen:

20

aa) Art. 21 Abs. 2 GG diene der Prävention vor politischen Gefahren. Eine sich aus dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes ergebende restriktive Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG sei nicht geboten. Zwar genügten bloße Überzeugungen den Anforderungen an ein Parteiverbot nicht, jedoch sei auch keine - auch nur marginale - konkrete Gefährdung der Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG erforderlich. Die Vorschrift bezwecke bereits die Verhinderung einer gefährlichen Lage und beinhalte damit im Unterschied zur polizeilichen Gefahrenabwehr eine "Vorverlagerung des Staatsschutzes".

21

Das Verfahren des Art. 21 Abs. 2 GG habe seine Funktion durch die Etablierung und Sicherung der grundgesetzlichen Demokratie nicht verloren. Weder die Autoren des Grundgesetzes noch die ihnen folgenden Akteure des bundesdeutschen Verfassungslebens hätten das Verfahren des Art. 21 Abs. 2 GG als bloß transitorisches Instrument verstanden. Das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG diene der internen Stabilisierung des immer wieder neu gefährdeten offenen politischen Prozesses in einer Demokratie.

22

bb) Die Zurechnung verfassungsfeindlichen Handelns zu einer politischen Partei ergebe sich aus einem Zusammenwirken von Normen des öffentlichen und des Privatrechts mit internen Regeln der Partei: Wenn ein Funktionsträger, etwa ein Vorstandsmitglied, für eine Partei spreche, bestünden keine Zweifel an der Zurechenbarkeit. Eine Partei als juristische Person oder nichtrechtsfähiger Verein handele durch ihre satzungsmäßig berufenen Organe. Darüber hinaus stelle Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Begriff des "Anhängers" klar, dass die Zurechnung verfassungsfeindlichen Verhaltens zu einer politischen Partei nicht durch ein Mitgliedschaftsverhältnis vermittelt sein müsse. Rechtswidrige Handlungen oder Straftaten seien einer Partei zurechenbar, wenn sie einen politischen Hintergrund hätten, der sich mit den legalen politischen Aktivitäten der Partei in einen Zusammenhang bringen lasse, das fragliche Verhalten sich nicht als völlig atypisch darstelle und wenn es Anzeichen dafür gebe, dass solche Regelbrüche von der Parteiorganisation geduldet würden.

23

cc) Das Schutzgut der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" beziehe sich nicht auf alle Anforderungen des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern nur auf dessen politischen Kern. Hierzu zähle zumindest eine normative Ordnung, die ausgehend von der unantastbaren Würde jedes Menschen die konstitutive Gleichheit aller politischen Subjekte und den Schutz ihrer Rechte in einem unabhängigen Verfahren garantiere. Dies seien in der Systematik des Grundgesetzes die Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaat auf der Grundlage der Garantie der Menschenwürde.

24

(1) Art. 21 Abs. 2 GG verbiete es politischen Parteien, ein gegen die Garantie der Menschenwürde verstoßendes politisches Programm zu verfolgen. Die Würde des Menschen sei ein allen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, Ethnie oder Staatsangehörigkeit zustehendes Menschenrecht. Sie sei zugleich der Ausgangspunkt nicht nur aller weiteren Grundrechte, sondern auch des Legitimationsanspruchs aller durch das Grundgesetz zu legitimierenden Herrschaft.

25

Bezeichnet werden könnten vier Gehalte der Menschenwürdegarantie: Zum Ersten garantiere sie jedem Menschen ein basales Minimum an Rechten. Damit sei, zum Zweiten, auch ein Gleichheitsgehalt im Sinne eines gleichen minimalen Rechtsstatus umfasst. Zum Dritten spreche die Menschenwürde allen Menschen ein Potential zu mehr Rechten als diesem Minimalstandard zu. Zum Vierten stelle die systematische Stellung der Menschenwürde zu Beginn des Grundgesetzes klar, dass jede Art von politischer Vergemeinschaftung sich aus der Berechtigung des Individuums herleiten müsse, und nicht umgekehrt individuelle Würde als bloß abgeleitetes Phänomen einer politischen Gemeinschaft verstanden werden dürfe.

26

Die Menschenwürdegarantie statuiere ein menschenrechtliches Exklusionsverbot. Zugleich verbiete sie, den Einzelnen zur bloßen Funktion eines bestimmten Politikverständnisses zu machen. Sie gebiete vielmehr einen normativen Individualismus.

27

(2) Art. 79 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG zwinge außerdem zur Bestimmung eines Kerns des Demokratieprinzips, der der Änderung entzogen sei und sich auf ein basales Verständnis von Demokratie als einer Herrschaft politischer Gleichheit beschränke.

28

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG schließe eine ethnische Konzeption des deutschen Volkes aus, die es dem Gesetzgeber verwehren würde, die Staatsangehörigkeit offen auszugestalten. Die Zugehörigkeit zum deutschen Volk werde vom Grundgesetz weder als etwas Naturwüchsiges noch als unvermeidliche Konsequenz einer historischen Entwicklung verstanden, sondern vielmehr als Ergebnis einer demokratischen Entscheidung. Jedwede Konzeption von "Volksherrschaft", die anstelle eines politischen Volksbegriffs einen anderen, namentlich einen ethnischen Volksbegriff zur Anwendung bringen wolle, sei damit ausgeschlossen. Es müssten alle Menschen eingebürgert werden und damit gleiche staatsbürgerliche Rechte erwerben können. Ein ethnischer Volksbegriff würde bereits eingebürgerte Deutsche zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradieren und ihr Recht auf demokratische Gleichheit verletzen.

29

Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG stehe zudem der Einführung eines Regierungssystems entgegen, das nicht auf der Unterscheidung zwischen Regierung und Opposition aufbaue. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes eröffne auf dem Gebiet der Staatsorganisation im engeren Sinne zwar eine große Gestaltungsfreiheit für den Verfassungs- und den Gesetzgeber. Diese finde jedoch ihre Grenze dort, wo durch die Rechtsordnung sichergestellt werde, dass die in einem demokratischen Akt unterlegene Minderheit die Möglichkeit behalte, sich in dem an die Wahl anschließenden politischen Prozess so zu profilieren, dass sie bei der nächsten Wahl ins Parlament oder sogar in die Regierung gelangen könne.

30

Schließlich verbiete Art. 20 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG auch Bestrebungen, die Bedingungen demokratischer Beteiligung im Geltungsbereich des Grundgesetzes territorial zu beschränken, also Inseln zu schaffen, in denen ein offener politischer Prozess im Sinne des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht mehr stattfinden könne. Nur wenn sich die Angehörigen des Legitimationssubjekts in allen Teilen des Staates sicher fühlten, an der politischen Willensbildung frei und gleichberechtigt teilnehmen zu können, könne der Legitimationsprozess dem Standard demokratischer Gleichheit genügen.

31

(3) Auch das Rechtsstaatsprinzip gehöre zu den von Art. 21 Abs. 2 GG umfassten normativen Feldern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hierzu zähle insbesondere das Gewaltmonopol des Staates. Politische Parteien verfolgten auch dann verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG, wenn sie sich nicht eindeutig dazu bekennten, physische Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung auszuschließen.

32

(4) Besondere verfassungsrechtliche Bedeutung habe schließlich das Verbot der Relativierung des nationalsozialistischen Unrechts. Der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab im Parteiverbotsverfahren könne nicht ohne die Antwort des Grundgesetzes auf die Katastrophe der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entwickelt werden. Die Absage an den Nationalsozialismus gehöre zum Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland. Eine Relativierung der Unrechtsherrschaft des Nationalsozialismus durch eine Partei setze diese in Widerspruch zur normativen "Identität der Bundesrepublik Deutschland" und damit zu den Prämissen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zugrunde lägen.

33

Bei der Auslegung des Verbotstatbestands des Art. 21 Abs. 2 GG könne in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Vereinsverboten herangezogen werden. Dieses lasse zur Erfüllung des Verbotstatbestands in ständiger Rechtsprechung genügen, dass die Vereinigung eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" aufweise.

34

dd) Das Tatbestandsmerkmal "Darauf Ausgehen" belege, dass politische Parteien, die die Abschaffung der Ordnung des Grundgesetzes anstrebten, allein wegen dieser politischen Orientierung nicht verboten werden dürften. Vielmehr verlange das Grundgesetz entsprechende nach außen tretende Handlungen. Bei der Konkretisierung dieses Tatbestandsmerkmals ergebe sich aber eine systematische Spannung: Da aktives Handeln bereits im Begriff der politischen Partei enthalten sei (§ 2 Abs. 1 PartG), müsse vom Handeln einer Antragsbetroffenen im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG mehr verlangt werden als die bloße Eigenschaft einer politischen Partei.

35

Im Ergebnis sei daher eine Auslegung des Art. 21 Abs. 2 GG geboten, die einen Mittelweg zwischen einem zu weiten und einem zu engen Verständnis des Tatbestands wähle. Für ein Verbot sei damit weniger zu verlangen als ein durchgehendes rechtswidriges oder gar strafbares und gewalttätiges Verhalten, aber mehr als das bloß typische Verhalten einer politischen Partei, die sich der üblichen Mittel politischer Kommunikation bediene. In diesem Zusammenhang gestatte es Art. 21 Abs. 2 GG, auch legale politische Aktivitäten - wie das Antreten bei Wahlen und die politische Arbeit in demokratischen Repräsentationskörperschaften - als Anhaltspunkt für ein verfassungsgerichtliches Verbot zu berücksichtigen. Allerdings sei erforderlich, dass die Partei mit ihren politischen Aktivitäten nicht nur ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck bringe, sondern auch deren Abschaffung bezwecke. Rechtswidrige und insbesondere strafbare Handlungen seien hierfür zwar nicht notwendig, aber als ein wichtiges Indiz für die aktiv kämpferische, aggressive Haltung der Partei zu behandeln. Diese müssten allerdings einen formellen und materiellen Bezug zur politischen Arbeit der Partei haben, und ihre Rechtswidrigkeit dürfe sich nicht allein aus dem ideologischen Bestand der Partei ergeben.

36

ee) (1) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit finde im Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG keine Anwendung. Die politischen Parteien und damit auch das Parteiverbot seien im Grundgesetz als Elemente des demokratischen Systems bewusst nicht im Grundrechtsabschnitt, sondern im staatsorganisationsrechtlichen Teil geregelt. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beziehe seine argumentative Logik jedoch aus der asymmetrischen Freiheitsverteilung zwischen Grundrechtsträgern und Staat. Der Verfassungsgeber habe selbst entschieden, dass das Parteiverbot "verhältnismäßig" sei, wenn die hohen tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt seien.

37

(2) Hilfsweise sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG jedenfalls sowohl mit Blick auf die Voraussetzungen als auch auf die Rechtsfolge zu modifizieren. Ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck liege unproblematisch vor, wenn der Antrag nicht als verdeckter Angriff auf einen politischen Wettbewerber verstanden werden müsse. Es erscheine auch kaum möglich, dass ein Antrag gegen eine ihren politischen Zielen nach verfassungsfeindliche Partei an der Geeignetheit scheitern könne. Eine verfassungsrechtlich übliche Erforderlichkeitsprüfung scheitere bereits daran, dass Art. 21 Abs. 2 GG kein Kontinuum von Rechtsfolgen mit unterschiedlichen Eingriffsintensitäten vorsehe. In einer erweiterten Erforderlichkeitsprüfung könnte sich allenfalls die Frage stellen, ob der von der Verfassung alternativlos geforderte Eingriff des Parteiverbots in die Parteifreiheit durch andere Maßnahmen flankiert sein müsse, um seine Intensität zu rechtfertigen. Bei der Angemessenheit sei schließlich zu beachten, dass das Grundgesetz bereits dadurch eine Abwägung vorgenommen habe, dass es den Tatbestand der Vorschrift nicht allein an die verfassungsfeindliche Ideologie der in Frage stehenden Partei knüpfe, sondern auch an das weitere Erfordernis einer über die Meinungsbildung hinausgehenden aggressiven Haltung.

38

ff) Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) sei kein unmittelbar anwendbarer Prüfungsmaßstab im vorliegenden Verfahren. Zu prüfen sei lediglich, ob beziehungsweise welche Rückwirkungen die Menschenrechtsverbürgung der EMRK für das Verfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG habe.

39

Art. 17 EMRK komme dabei eine grundsätzliche Bedeutung dergestalt zu, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Parteien, die rassistische, totalitäre und vor allem nationalsozialistische Inhalte verträten, regelmäßig die Berufung auf die EMRK versage. Im Übrigen falle die Entscheidung des EGMR über die Zulässigkeit eines Parteiverbots in nahezu allen Fällen bei der Frage, ob das Verbot in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen sei. Der EGMR lege diese Anforderung eng aus: Nur überzeugende und zwingende Gründe könnten ein Verbot rechtfertigen. Diesen Maßstäben entsprechend prüfe der EGMR in der Regel zweistufig, ob für das Parteiverbot ein dringendes soziales Bedürfnis bestehe und ob das Verbot zum verfolgten Zweck verhältnismäßig sei. Soweit er dabei auf die verfolgten Ziele abstelle, komme den historischen und kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Landes besondere Bedeutung zu. Die Funktion des Grundgesetzes als Antwort auf die Katastrophe des Nationalsozialismus sei hier einzuordnen. Hinsichtlich der Wahl des Zeitpunkts für das Parteiverbot räume der EGMR dem Mitgliedstaat einen Beurteilungsspielraum ein und betone dessen präventiven Charakter.

40

Die Berücksichtigung der Anforderungen der EMRK bei der Entfaltung des grundgesetzlichen Prüfungsmaßstabs für ein Parteiverbot führe nicht zu dessen Änderung. Im Bereich der "wehrhaften Demokratie" verfolge die EMRK dasselbe Konzept wie das Grundgesetz.

41

b) Die Anwendung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Prüfungsmaßstabs auf die Antragsgegnerin führe zum Resultat ihrer Verfassungswidrigkeit:

42

aa) Die "Ziele" der Antragsgegnerin, ihre Programmatik sowie das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Anhänger seien auf die Beeinträchtigung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG gerichtet.

43

Der ethnische Personenbegriff als Basis für die völkische Welt- und Rechtsanschauung der Antragsgegnerin stelle als Verstoß gegen die Menschenwürde (1) zugleich eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dar. Gleiches gelte für die Ablehnung des auf dem Demokratieprinzip beruhenden parlamentarischen Regierungssystems (2), die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols (3) und die Relativierung des nationalsozialistischen Unrechts (4).

44

(1) Die Antragsgegnerin verfolge ein politisches Programm, das gegen die Garantie der Menschenwürde verstoße. Dreh- und Angelpunkt ihrer Ideologie sei ein ethnischer Volksbegriff, verdichtet und operationalisiert in Kategorien wie der "nationalen Identität" oder der "Volksgemeinschaft". Ziel ihrer Politik sei die Herstellung nationaler Identität durch ein ethnisch homogenes Volk. Dieser Zusammenhang werde im Parteiprogramm als "lebensrichtiges Menschenbild" umschrieben. Die "Rückführung" der in Deutschland lebenden Ausländer sei zentraler Programmpunkt: "Rückkehrpflicht statt Bleiberecht". Das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern werde als "Vorbürgerkrieg" bezeichnet, Integration als "Völkermord". Die Art der Gemeinschaft definiere die Bedeutung des Einzelnen, nicht umgekehrt. Das Menschenbild, die Position des Einzelnen in Staat und Gesellschaft, sei damit abgeleitet, nicht originär. Die Antragsgegnerin vertrete insoweit einen normativen Kollektivismus biologischer Provenienz.

45

Das ethnische Verständnis des Volksbegriffs führe zu einem kaum verschleierten Ausschluss einzelner Gruppen von der Grundrechtsberechtigung. Zwar werde im Parteiprogramm von der "Unantastbarkeit der Würde" der Menschen gesprochen, diese jedoch direkt im Anschluss ausdrücklich auf die "Volksgemeinschaft" bezogen. Individuelle Würde werde nur im Rahmen und aufgrund der Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" zugestanden. Den nicht der "Volksgemeinschaft" Zugehörigen werde nach der Programmatik der Antragsgegnerin generell und systematisch ein niedrigerer Rechtsstatus zugewiesen.

46

Der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin sei Ausdruck eines menschenverachtenden Rassismus. Gegen die multikulturelle Gesellschaft werde unter Rückgriff auf eine fremdenfeindliche Rhetorik vehement polemisiert. Einwanderer außereuropäischer Herkunft würden pauschal diffamiert und mit Negativeigenschaften belegt. Besonders kategorisch lehne die Antragsgegnerin den Aufenthalt von Muslimen in Deutschland ab. Dabei stünden nicht religiöse, sondern ethnisch-biologistische Aspekte im Vordergrund. Einwanderer außereuropäischer Herkunft seien aus Sicht der Antragsgegnerin, ungeachtet der Frage, ob sie formal die deutsche Staatsbürgerschaft besäßen oder nicht, ausnahmslos als Ausländer zu betrachten. Drastisch stelle die Antragsgegnerin die völlige Unvereinbarkeit zwischen einem dauerhaften Aufenthalt von Migranten ethnisch fremder Herkunft und der Idee der "Volksgemeinschaft" heraus.

47

(2) Die Antragsgegnerin lehne die parlamentarische Demokratie ab. Sie bestreite in ihrem Parteiprogramm die Legitimität des Grundgesetzes, "da das Volk darüber bis heute nicht abstimmen durfte". Das als Fremdwort denunzierte Substantiv "Demokratie" werde vermieden und ihm die auf der "Volksgemeinschaft" basierende Volksherrschaft gegenübergestellt: "Volksherrschaft setzt die 'Volksgemeinschaft' voraus." Die Ablehnung des parlamentarischen Regierungssystems des Grundgesetzes werde durch die häufige, pejorative Verwendung des Begriffs "System" sowie die massive Kritik an den politischen Parteien deutlich.

48

Publikationen und Äußerungen führender Parteivertreter ließen keine Zweifel an der Bekämpfung der parlamentarischen Demokratie als programmatischem Ziel. Die parlamentarische Demokratie werde verächtlich gemacht und als Zerrbild "wahrer" Demokratie charakterisiert. Mehrheitsprinzip, Existenz einer Opposition und pluralistische Demokratie würden abgelehnt. Der Versuch, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu delegitimieren, werde begleitet von der Behauptung, dass diese Grundordnung von "antideutschen" Kräften gesteuert werde und letztlich eine "Besatzung und Fremdherrschaft" darstelle. Die Mitarbeit in Parlamenten erfolge rein instrumentell. Die Antragsgegnerin verspreche sich dadurch Vorteile, ohne damit die parlamentarische Demokratie im Sinne des Grundgesetzes zu akzeptieren. Stattdessen halte sie an der "Reichsidee" fest und rufe zur "Selbsthilfe" und zum revolutionären Widerstand gegen das "System" auf.

49

(3) Nach ihren Zielen und ihrer Strategie negiere die Antragsgegnerin auch das staatliche Gewaltmonopol als Konkretion der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG.

50

Sie verhalte sich nach außen, bei oberflächlicher Betrachtung, ambivalent. Sprachlicher Militanz stünden ausdrückliche Distanzierungen von Gewalt gegenüber. Insbesondere das Parteiprogramm enthalte keine expliziten Äußerungen zum Einsatz von Gewalt als politischem Mittel. Die Partei bekenne sich aber in zahlreichen Äußerungen von Führungskräften zu einem - nicht nur verbal vorgetäuschten - "nationalrevolutionären", "systemüberwindenden" Anspruch. Dabei werde der Einsatz von Gewalt teilweise gefordert, zumindest jedoch gebilligt oder in Kauf genommen. Der gerichtlich bezeugte Gewalteinsatz zahlreicher Anhänger und Funktionäre der Antragsgegnerin spreche ebenfalls eine deutliche Sprache.

51

(4) Die Antragsgegnerin versuche, in ihrer Programmatik nationalsozialistische Verbrechen zu relativieren oder zu rechtfertigen. Anhänger der Partei gingen bis zur Leugnung der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Der revisionistische Gesamtansatz der Antragsgegnerin umfasse zudem die Leugnung der deutschen Kriegsschuld, die Überzeichnung der Handlungen der Kriegsgegner und gebietsrevisionistische Postulate.

52

Auch wenn das Parteiprogramm offen antisemitische Äußerungen vermeide, könnten in den Äußerungen des Führungspersonals der Antragsgegnerin zahlreiche antisemitische Ausfälle aufgezeigt werden. Quantität und Qualität dieser Äußerungen bestätigten, dass Antisemitismus ein Strukturelement der Parteiideologie sei.

53

Die zur Erfüllung des Verbotstatbestands schon für sich hinreichende Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin zum Nationalsozialismus werde durch das Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte belegt. Neben ideologischen und strukturellen Übereinstimmungen mit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) - etwa bezogen auf das Konzept der "Volksgemeinschaft" - bedienten sich führende Mitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Jugendorganisation sowohl des Vokabulars als auch der Symbolik der NSDAP. Dies geschehe teilweise ausdrücklich - etwa durch die Verwendung von Originalzitaten sowie den Rückgriff auf NS-Gedichte oder entsprechendes Liedgut -, teilweise durch Anspielungen. Nationalsozialistische Symbole fänden auch bei Veranstaltungen oder Aktionen mit NPD-/JN-Beteiligung Verwendung. Die Identifikation mit dem historischen Nationalsozialismus werde besonders deutlich durch die Glorifizierung von Repräsentanten des "Dritten Reiches" und der NSDAP.

54

bb) Die Antragsgegnerin gehe auch auf die Beeinträchtigung und Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus.

55

(1) Die Antragsgegnerin sei die älteste und bedeutendste rechtsextremistische Partei in Deutschland: Sie nehme an Wahlen teil, informiere und schule ihre Mitglieder, sei mit dem nationalen und internationalen Rechtsextremismus intensiv verflochten, lege besonderen Wert auf ihre Jugendarbeit und wirke publizistisch und in sonstiger Weise in die Öffentlichkeit mit dem Ziel einer Verwirklichung ihrer politischen Absichten. Die aktiv kämpferische und aggressive Haltung, die über das Handeln "normaler" Parteien hinausgehe, zeige sich darin, dass die Antragsgegnerin das Schutzgut des Art. 21 Abs. 2 GG nicht nur ablehne, sondern sowohl in ihrer "offenen" Programmatik als auch in dem Bild, welches das Verhalten ihrer Anhänger biete, auf seine Abschaffung hinarbeite.

56

Die Ideologie der Antragsgegnerin bleibe keine Theorie, sondern werde vielfältig und aggressiv in die politische Praxis umgesetzt. Die Antragsgegnerin werde im Parlament, auf kommunaler Ebene und "auf der Straße", das heiße in politischen Aktionen - sei es durch Versammlungen, Aufmärsche, Kundgebungen oder in medialer Form - tätig. In diesem Zusammenhang sei auf die geringe Rechtstreue ihres Führungspersonals hinzuweisen, die sich in weit überdurchschnittlich häufigen gerichtlichen Verurteilungen auch jenseits von Propagandadelikten äußere, insbesondere wegen Delikten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität.

57

Zur Erreichung ihrer Ziele definiere die Antragsgegnerin seit Oktober 1997 für ihren politischen Kampf drei strategische Säulen (Kampf um die Köpfe, Kampf um die Straße und Kampf um die Wähler). Auf dem Bundesparteitag 2004 sei diese "Drei-Säulen-Strategie" durch den seinerzeitigen Bundesvorsitzenden Voigt um eine vierte "Säule" ergänzt worden, den "Kampf um den organisierten Willen". Darunter werde der "Versuch der Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte" verstanden.

58

Dieses "Volksfrontkonzept" der Antragsgegnerin ziele vor allem auf die Einbindung des parteiunabhängigen neonazistischen Spektrums und dadurch auf die Entstehung einer "umfassenden nationalen Oppositionsbewegung", die weit über die Teilnahme an Wahlen hinaus tätig werden solle. Die Zusammenarbeit zwischen Partei und sogenannten "Freien Nationalisten", die auf ideologischen Gemeinsamkeiten, übereinstimmenden politischen Zielen und persönlichen Kontakten basiere, ermögliche der Antragsgegnerin ein deutlich höheres Wirkungs- und Mobilisierungspotential. Dabei sei die Antragsgegnerin bestrebt, die "Freien Kameradschaften" auch organisatorisch in die Partei einzubinden und sie unter anderem durch die Vergabe von Parteiposten an sich zu binden. Die Verbindungen der Antragsgegnerin auch zu verbotenen neonazistischen Organisationen verdeutlichten die Verflechtung zwischen Partei und parteiunabhängigen Rechtsextremisten.

59

Die Antragsgegnerin verfüge damit über ein konkretes Konzept der politischen Agitation, um auf die Erreichung ihrer verfassungswidrigen Ziele hinzuarbeiten.

60

(2) Obgleich die Antragsgegnerin den Parlamentarismus ablehne, besitze der "Kampf um die Parlamente" einen hohen Stellenwert. Durch Wahlerfolge und Parlamentsarbeit wolle sie ihre Bekanntheit steigern und Finanzmittel akquirieren. Insbesondere in den ostdeutschen Ländern werde mit beachtlichem materiellen Aufwand Wahlkampf betrieben. Die parlamentarischen Äußerungen belegten die Verachtung des demokratisch-parlamentarischen Systems, den Antisemitismus, die Verharmlosung beziehungsweise Verherrlichung des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen sowie die Fremdenfeindlichkeit der Antragsgegnerin. Bemerkenswert sei die sehr hohe Anzahl an Ordnungsrufen und sonstigen parlamentarischen Maßnahmen gegen Redner und Abgeordnete der Antragsgegnerin. Insgesamt könne ein höchst aggressives, sprachverrohendes parlamentarisches Verhalten festgestellt werden, das nicht mit parlamentarischen Gepflogenheiten erklärt oder gar gerechtfertigt werden könne.

61

Die rassistischen Grundpositionen der Antragsgegnerin zeigten sich auch bei der Durchführung von Wahlkämpfen. So habe die NPD Berlin in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 Schreiben an Politiker mit Migrationshintergrund verschickt und diese aufgefordert, Deutschland umgehend zu verlassen. Besonders aggressiv hätten sich die Aktivitäten der Antragsgegnerin im Sommer/Herbst 2013 bei der Debatte um die Aufnahme von Asylbewerbern gestaltet: Die Antragsgegnerin habe auf verschiedenen kommunikativen Kanälen gegen den Zuzug von Asylbewerbern in einer Weise zu mobilisieren versucht, die die Herabwürdigung der Asylbewerber mit verfassungsfeindlichen Äußerungen verbunden habe.

62

(3) Auf kommunaler Ebene sei zwischen dem politischen Engagement durch kommunale Mandatsträger einerseits und der vermeintlich harmlosen "Graswurzelbewegung" als "Kümmerer vor Ort" in Vereinen, Nachbarschaften und ähnlichen sozialen Zusammenhängen andererseits zu unterscheiden. Von zentraler Bedeutung sei daneben die sogenannte "Wortergreifungsstrategie": Durch gezieltes Eingreifen geschulter Aktivisten würden politische Veranstaltungen der anderen Parteien zu eigenen Zwecken umfunktioniert. Der politische Gegner werde eingeschüchtert, bloßgestellt, lächerlich gemacht - bis hin zu tätlichen Angriffen.

63

Die "Graswurzelpolitik" der Antragsgegnerin strebe danach, in der "Mitte des Volkes" Fuß zu fassen und sich über die Präsenz auf lokaler Ebene, die Besetzung bürgernaher Themenfelder und die Anwendung geeigneter Aktionsformen den Weg zu Wahlerfolgen zu ebnen. Dadurch solle eine Gegenöffentlichkeit etabliert werden, um eine schleichende Infiltration der Gesellschaft durch eine vermeintliche Normalisierung zu erreichen. Zu den Organisationsformen zählten Kinderfeste, Infiltrationen der örtlichen Vereinsszenen, gezielte Übernahme öffentlicher Ämter und Aufgaben, aber auch die Bildung von Bürgerwehren und die Verteilung eigener kostenloser Zeitungen, wie etwa der ursprünglich aus der Kameradschaftsszene stammenden "Boten" in Mecklenburg-Vorpommern.

64

(4) Eine weitere Strategie der Antragsgegnerin stelle die sogenannte "rechtsextremistische Raumordnungsbewegung" dar, bei der durch den Aufkauf benachbarter Immobilien und den Zuzug von Personen aus dem rechtsextremistischen Milieu rechtsextremistische Enklaven gebildet würden. Dies sei für die Räume Lübtheen und Anklam sozialwissenschaftlich analysiert worden, finde allerdings in den alten Bundesländern keine Parallelen. Es gehe hierbei um die Erringung kultureller Hegemonie in abgegrenzten Sozialräumen als Basis für spätere politische Erfolge. Dies entspreche dem Konzept "national befreiter Zonen" aus der nationalrevolutionären Studentenszene der 1990er Jahre.

65

(a) In dem vorgelegten Gutachten zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern würden Situationen beschrieben, in denen Rechtsextremisten vorübergehend den öffentlichen Raum kontrollierten, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat relativiert und eine Atmosphäre der Angst für die Gegner der Antragsgegnerin und des Rechtsextremismus erzeugt werde. Erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns seien nachweisbar. Die Antragsgegnerin bilde dabei die organisierte Seite eines politischen Komplexes, in dem sich mitgliedschaftlich in ihr organisierte sowie unorganisierte Rechtsextremisten in der Verfolgung ihrer gemeinsamen politischen Ziele wechselseitig unterstützten und verstärkten. Die sozialräumlichen Machtgewinne der rechtsextremen Bewegung in Teilen Mecklenburgs und Vorpommerns seien dabei so weit vorangeschritten, dass eine Lösung der Probleme mit den örtlichen Ressourcen kaum mehr möglich erscheine.

66

(b) Die "Graswurzelpolitik" vor Ort (bei hinreichender Präsenz) und die Schaffung kontrollierter "national befreiter Zonen" führten im Einzelfall zu einem Klima der Angst und Unfreiheit, welches den demokratischen Prozess behindere. Ziel sei es auch, das staatliche Gewaltmonopol lächerlich zu machen und letztlich zu substituieren.

67

(5) Besondere Bedeutung bei dem Versuch der Gewinnung kultureller Hegemonie weise die Antragsgegnerin der Jugendarbeit zu. Sie setze jugendadäquates Material in ihrer Arbeit strategisch ein. Ihre junge Klientel werde mit gezielt positionierten Medien angesprochen (Verwendung von Jugendsprache, Comics, Schulhof-CDs mit rechtsextremistischer Musik, Kontakt zu Schülervertretungen etc.). Auch die professionell ausgebaute Internet-Arbeit der Partei ziele - wenn auch nicht nur - auf einen jungen Adressatenkreis.

68

Die Antragsgegnerin betreibe gezielt Schulungsarbeit. In Sachsen gebe es das 2005 gegründete "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V.", das durch die Veranstaltung von Seminaren und die Herausgabe von Zeitungen "Bildungsarbeit" leiste. Auch die Einrichtung einer politischen Stiftung rücke - weitere Wahlerfolge der Antragsgegnerin vorausgesetzt - in größere Nähe.

69

(6) Die Antragsgegnerin unterhalte zudem intensive Verbindungen zur Neonazi-Szene, was Teil ihrer Strategie als "rechte Volksfront" sei. Inhaltlich erfolgten etwa gegenseitige Unterstützungen bei Wahlkämpfen durch Aktionen und Unterschriftensammlungen sowie durch gemeinsame Demonstrationen, bei denen die Parteistrukturen der Antragsgegnerin für die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen sorgten, während die "Freien Kameradschaften" die Mobilisierung vor Ort organisierten.

70

Die Zusammenarbeit äußere sich in umfangreichen personellen Überschneidungen. Dabei würden die JN mit ihren Stützpunkten als Bindeglied zu Neonationalsozialisten eingesetzt. Dies zeige sich besonders deutlich an den personellen Überschneidungen zwischen der Antragsgegnerin und Mitgliedern ehemaliger, auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 3 VereinsG verbotener Vereine. Hierzu zählten insbesondere die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP), die "Heimattreue deutsche Jugend" (HDJ) und die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG). Der Antragsgegnerin sei es gelungen, zahlreiche Mitglieder dieser verbotenen Vereine zu rekrutieren, die nun teilweise in Führungsfunktionen bei ihr tätig seien.

71

(7) Die Antragsgegnerin und ihr Führungspersonal erwiesen sich in allen Bereichen der Rechtsordnung als wenig rechtstreu. So gebe es zahlreiche Entscheidungen der Verwaltungs- und Strafgerichte zu den von der Antragsgegnerin vertretenen Inhalten, den Mitteln ihres politischen Handelns und dem (rechtswidrigen) Verhalten ihrer Führungspersonen. Im Bereich des gesamten Rechtsextremismus, das heiße über die Antragsgegnerin hinausgreifend, habe sich die politisch motivierte Kriminalität bei Schwankungen auf hohem Niveau stabilisiert. Die Antragsgegnerin befinde sich hier in einem Gesamtmilieu, das überdurchschnittliche Kriminalitätswerte aufweise.

72

Über einzelne - vom Antragsteller aufgeführte - Verurteilungen führender Parteimitglieder hinaus habe eine anonymisierte statistische Untersuchung der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen bezogen auf rechtsextremistisch motivierte Delikte - unter Herausnahme allgemeinkrimineller Straftaten - ergeben, dass 25 % dieses Personenkreises rechtskräftig strafrechtlich verurteilt seien, wobei über 11 % mehrfach strafrechtlich belangt worden seien. Auch wenn man berücksichtige, dass ein Teil der aufgeführten Taten Propagandadelikte darstelle, bleibe immer noch ein beachtlicher Teil von Verurteilungen wegen Gewaltkriminalität, worin sich die Geringschätzung des staatlichen Gewaltmonopols manifestiere.

73

cc) Ein Verbot der Antragsgegnerin sei jedenfalls nicht "unverhältnismäßig". Es sei geeignet und erforderlich zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, da "mildere" Mittel schon von Verfassungs wegen aufgrund des Parteienprivilegs nicht zulässig seien. Das Verbot der Antragsgegnerin hielte auch einer erweiterten Erforderlichkeitsprüfung stand, da die den Antragsteller beschickenden Landesregierungen einschließlich der Kommunen - neben der Bundesregierung - ein umfangreiches Programm der Bekämpfung des Rechtsextremismus forcierten und damit den vorliegenden Antrag flankierten. Die bisher bestehende Legalität der Antragsgegnerin konterkariere diese Bemühungen jedoch in hohem Maße, da sie ihr legale öffentlichkeitswirksame Plattformen eröffne, um gegen diese Maßnahmen zu arbeiten. Daher sei ein Verbot der Antragsgegnerin auch angemessen.

74

dd) Ein solches Verbot erfülle die Vorgaben der Rechtsprechung des EGMR. Insbesondere genüge es dem Merkmal der "Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft", da die Antragsgegnerin angesichts ihres systemüberwindenden, von ihr selbst als "revolutionär" eingestuften Kampfes Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung zumindest nicht ausschließe und aufgrund des ihrem gesamten Programm zugrunde liegenden ethnischen Personenbegriffs in demokratiewidriger Weise Grundrechtsexklusionen bei Menschen fordere, die ihrer Ansicht nach nicht zur "Volksgemeinschaft" gehörten. Zu berücksichtigen sei dabei die nationale Besonderheit, dass es sich um das Verbot einer Partei handele, die eindeutig und nachhaltig die nationalsozialistische Ideologie vertrete. Die Antragsgegnerin sei auch keineswegs als eine in ihrer politischen Bedeutung zu vernachlässigende Organisation anzusehen. Sie sei in einzelnen Teilen der Bundesrepublik ein politisch überaus präsenter Faktor, der unterhalb des Bundes auf allen Ebenen demokratischer Gebietskörperschaften das politische wie auch das gesellschaftliche Leben mitdefiniere. Bundesweit operiere die Antragsgegnerin als Anlauf- und Verbindungsstelle rechtsextremistischer Organisationen.

IV.

75

1. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2013 hat die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, den Präsidenten des Deutschen Bundestages zu Abschlagszahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung ohne Verrechnung gemäß § 31a Abs. 3 Satz 2 PartG mit einem gegen sie festgesetzten Zahlungsanspruch zu verpflichten, hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis der Bundesgesetzgeber die anwaltlichen Vergütungsregelungen für das Parteiverbotsverfahren durch eine verfassungskonforme Regelung ersetzt habe.

76

Die Antragsgegnerin hat behauptet, dies sei erforderlich, weil sie nicht in der Lage sei, die Mittel zur Finanzierung eines Prozessbevollmächtigten aufzubringen. Eine dem Grundsatz des fairen Verfahrens entsprechende sachgerechte Rechtsverteidigung im Parteiverbotsverfahren sei damit ausgeschlossen.

77

2. Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 (BVerfGE 135, 234) hat der Senat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie den Hilfsantrag auf Aussetzung des Verfahrens abgelehnt. Zur Begründung hat er auf den vorrangig zu beschreitenden Verwaltungsrechtsweg verwiesen. Ergänzend hat er festgestellt, dass eine sachgerechte Rechtsverteidigung auf einen entsprechenden Antrag hin im Wege der Prozesskostenhilfe oder durch eine analoge Anwendung der Regelungen über die notwendige Verteidigung im Strafprozess (§§ 140 ff. StPO) sichergestellt werden könne.

V.

78

Mit Schriftsatz vom 25. März 2014 hat die Antragsgegnerin auf die Antragsschrift erwidert und hat beantragt,

den Verbotsantrag des Antragstellers als unzulässig zu verwerfen,

hilfsweise das Parteiverbotsverfahren wegen des Vorliegens unbehebbarer Verfahrenshindernisse einzustellen,

höchst hilfsweise das Verfahren auszusetzen, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat.

79

1. Zur Begründung ihrer Anträge führt die Antragsgegnerin in diesem und in weiteren Schriftsätzen aus, dass es bereits an einer wirksamen Vollmacht für die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers fehle.

80

Die vorgelegten Prozessvollmachten seien lediglich durch den Direktor des Antragstellers unterzeichnet, der in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren zu einer Bevollmächtigung nicht befugt sei. Erforderlich sei stattdessen eine Bevollmächtigung durch den Präsidenten des Antragstellers gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bundesrates (GOBR). Hilfsweise könne eine Bevollmächtigung durch die Vizepräsidenten des Antragstellers erfolgen, nicht hingegen durch den Direktor, welcher gemäß § 14 Abs. 2 GOBR lediglich das Sekretariat des Antragstellers leite und den Präsidenten bei der Führung seiner Amtsgeschäfte unterstütze.

81

2. Das Verfahren sei jedenfalls einzustellen, weil mindestens drei nicht behebbare Verfahrenshindernisse vorlägen. Es fehle an der Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragsgegnerin, weil davon auszugehen sei, dass sich auf diesen weiterhin V-Leute und/oder Verdeckte Ermittler befänden (a). Des Weiteren fehle es an der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials, da dieses von V-Leuten und/oder Verdeckten Ermittlern "kontaminiert" worden sei (b). Schließlich führe die nachrichtendienstliche Beobachtung der Antragsgegnerin und ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. zu einem Ausspähen ihrer Prozessstrategie, was eine effektive Verteidigung unmöglich mache (c).

82

a) Die "Abschaltung" sämtlicher in den Führungsgremien der Antragsgegnerin vorhandener Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agents und/oder V-Leute werde weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen. Der Antragsteller erkläre sich zudem nicht zur Frage der Rückziehung eingeschleuster V-Leute.

83

aa) Er trage bereits nicht schlüssig vor, wenn er einerseits behaupte, spätestens seit dem 6. Dezember 2012 seien sämtliche Verdeckten Ermittler, Under-Cover-Agents und V-Leute in den Vorständen der Antragsgegnerin und ihrer Unterorganisationen abgeschaltet worden, gleichzeitig aber ausführe, dass zwischen 2008 und 2013 der Anteil der Quellen der Polizei und der Nachrichtendienste auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt über 6,6 % der Vorstandsmitglieder gelegen habe. Daraus sei zu schließen, dass offenbar bis 2013 V-Leute in den Führungsgremien der Antragsgegnerin beziehungsweise ihrer Unterorganisationen anwesend gewesen seien.

84

bb) Der Beweiswert der vorgelegten "Testate" sei höchst fraglich. Angesichts der hoch sensiblen V-Mann-Materie könne es nicht ausreichen, dass Minister bloße schriftliche Erklärungen abgäben.

85

Zwar könne ein Parteiverbotsverfahren nicht bereits dann eingestellt werden, wenn nur rein hypothetische Zweifel am Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen bestünden. Dieser Fall liege hier jedoch nicht vor, weil die Erfahrungen aus dem vorangegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür begründeten, dass sie heute genauso wenig gegnerfrei sei wie damals. Die grundsätzliche Vermutung für die Rechtmäßigkeit des Handelns staatlicher Stellen könne der Antragsteller aufgrund seines Vorverhaltens nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.

86

Aus diesem Grund sei es unumgänglich, dass der Antragsteller konkret offenlege, wie viele angeworbene oder eingeschleuste V-Leute im Einzelnen, in welchen Vorständen und in welchem Zeitraum tätig gewesen seien und an welchen Parteitagen sie als Delegierte teilgenommen hätten. Außerdem sei darzulegen, wie der Vorgang der "Abschaltung" einer Person konkret aussehe, wie der Antragsteller sicherstelle, dass keine "Nachsorge" erfolge, dass keine Informationen verwendet würden, die von abgeschalteten V-Leuten freiwillig übermittelt worden seien, und dass ein außerhalb der Führungsebene stationierter staatlicher V-Mann während des laufenden Verbotsverfahrens nicht in eine Führungsposition gewählt beziehungsweise wie in einem solchen Fall verfahren werde.

87

Zur Sicherstellung der tatsächlichen "Abschaltung" sowie der Kappung jeglichen fortwirkenden Informationsflusses zwischen diesen Personen und den staatlichen Behörden sei es unumgänglich, dass der Antragsteller vollständige Einsicht in alle die "abgeschalteten" V-Leute betreffenden Akten gewähre.

88

cc) Unschlüssig sei der Vortrag des Antragstellers auch insoweit, als der ehemalige Bundesinnenminister für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), den Bundesnachrichtendienst (BND) und das Zollkriminalamt testiert habe, da diese Behörden nicht dem Bundesministerium des Innern unterstünden, sondern dem Bundesministerium der Verteidigung, dem Kanzleramt und dem Bundesministerium der Finanzen. Untertestate der Präsidenten der betreffenden Behörden und der zuständigen Staatssekretäre seien unzureichend, da die Testate von dem politisch höchstrangigen Funktionsträger des jeweiligen Fachministeriums und nicht von einem weisungsgebundenen Beamten innerhalb der Behördenhierarchie abgegeben werden müssten.

89

dd) Unterstelle man die "Abschaltung" sämtlicher Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agents und V-Leute, so fehle immer noch jeglicher Vortrag des Antragstellers zur Rückziehung eingeschleuster V-Leute. Bei diesen sei es mehr als unwahrscheinlich, dass sie sich ausschließlich als Informationssammler und -übermittler betätigten. Vielmehr sei zu erwarten, dass sie als Spalter, Provokateure und Saboteure handelten. Bei Einleitung eines Verbotsverfahrens müssten daher die eingeschleusten V-Leute entfernt werden.

90

ee) Unklar bleibe auch, warum die Testate sich überhaupt mit Verdeckten Ermittlern und Under-Cover-Agents auseinandersetzten, wenn diese nach Auskunft des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin nie eingesetzt worden seien.Davon sei nicht auszugehen.

91

(1) Dass die Behauptung, die Sicherheitsbehörden hätten zu keinem Zeitpunkt Personen in die Antragsgegnerin eingeschleust, sondern stets nur dort bereits vorhandenes Personal angeworben, falsch sei, ergebe sich daraus, dass am Montag, den 4. August 2014, der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt zusammen mit Uwe Meenen in der Kanzlei zweier Berliner Rechtsanwälte auf A. getroffen sei. Letzterer habe erzählt, dass er im Laufe des Jahres mehrfach von Mitarbeitern des sächsischen Staatsschutzes darauf angesprochen worden sei, für sie zu arbeiten und Mitglied der Antragsgegnerin zu werden. Bei dem letzten Treffen sei ihm ein monatliches Salär von 4.000,- EUR angeboten worden, wenn er aktiv werde und in die Antragsgegnerin einträte. Dies beinhalte, sich in Vorstände wählen zu lassen, unter anderem bei der Gestaltung der Internetauftritte in Sachsen mitzuwirken und für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig zu sein. Das Angebot stamme von dem Leiter der operativen Abteilung beim Staatsschutz, "einem Herrn Friebe o.ä.".

92

(2) Gegen die Behauptung des Antragstellers, es seien nie V-Leute beziehungsweise Verdeckte Ermittler in die Antragsgegnerin eingeschleust worden, spreche außerdem, dass das Nachrichtenportal n-tv unter dem 3. Dezember 2014 über die Vernehmung von S. alias "V-Mann Piatto" im "NSU-Prozess" vor dem Oberlandesgericht München berichtet und den Zeugen damit zitiert habe, dass er erst nach Rücksprache mit dem Amt und in dessen Auftrag Mitglied der NPD geworden sei - ausschließlich deshalb, um "Einblick in die Strukturen zu bekommen" und "Informationen zu gewinnen".

93

Der Zeuge habe somit seine Mitgliedschaft erst auf Initiative der Inlandsgeheimdienste beantragt und sei selbst zu einem Zeitpunkt, als er ideologisch nicht mehr hinter seinem Handeln gestanden habe, von Seiten des Verfassungsschutzes zu einer weiteren Agententätigkeit innerhalb der Antragsgegnerin - auch auf einer Führungsebene - angestachelt worden. Demgemäß trage der Antragsteller im hiesigen Verfahren vorsätzlich falsch vor, was die Glaubhaftigkeit seines gesamten Vortrags und insbesondere der von ihm vorgelegten "Testate" nachhaltig erschüttere.

94

ff) Schließlich fehle jegliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob in den Führungsgremien der Antragsgegnerin Mitarbeiter ausländischer Geheimdienste als Verdeckte Ermittler, Under-Cover-Agents oder V-Leute tätig seien, die die von ihnen erlangten Informationen an deutsche Behörden weiterleiteten.

95

gg) Die Testate seien darüber hinaus in weiteren Punkten unvollständig:

96

Unklar sei, was genau mit "Führungsebene" gemeint sei und auf welche Vorstände sich die Testate konkret bezögen. So sei nicht erkennbar, ob auch die Bezirks-, Kreis- und Ortsvorstände mitumfasst seien, obwohl es sich insoweit auch um "Vorstände auf Landesebene" handele. Die gleiche Problematik stelle sich bei den Unterorganisationen der Antragsgegnerin bezogen auf nachgeordnete Gliederungsebenen.

97

Ebenso klärungsbedürftig erscheine die Frage, ob sich die Testate nur auf Vorstände oder auch auf Bundes- und Landesparteitage bezögen, da diese ebenfalls als Führungsgremien zu qualifizieren seien. Der Souverän der Partei sei nicht etwa der Bundesvorstand, sondern der Bundesparteitag, der vor allem für die Beschlussfassung über das Parteiprogramm sowie für die Besetzung des Bundesvorstands zuständig sei.

98

Schließlich verhielten sich die Testate nicht zu den beiden - zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden - Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin und ihren kommunalen Mandatsträgern. Gerade weil der Antragsgegnerin vorgeworfen werde, ihre Mandatsträger würden das parlamentarische System nicht anerkennen, dieses fortwährend verächtlich machen und den legislativen Betrieb stören, müsse sichergestellt sein, dass die Fraktionsapparate der Antragsgegnerin weder hinsichtlich der Abgeordneten noch hinsichtlich der Mitarbeiterstäbe von staatlichen Agenten infiltriert seien.

99

b) Ein weiteres Verfahrenshindernis bestehe hinsichtlich der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials. Es sei nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden, dass dieses Material Ergebnis einer authentischen Willensbildung der Antragsgegnerin und nicht Produkt staatlicher Einflussnahme sei.

100

aa) Auch hier könnten die Innenminister und -senatoren keine Aussagen darüber treffen, ob, wann und wo der MAD, der BND und das Zollkriminalamt Verdeckte Ermittler, Under-Cover-Agents oder V-Leute eingesetzt hätten. Hinzu komme in Bezug auf Beweismittel der Kategorie 1, dass allein der Umstand, dass der unmittelbare Urheber eines Beweismittels kein Verdeckter Ermittler, Under-Cover-Agent oder V-Mann gewesen sei, noch keine "Kompromittierung" dieses Beweismittels ausschließe. Es sei nämlich ohne weiteres möglich, dass dieser durch einen solchen angestiftet, aufgehetzt und zur Schaffung eines entsprechenden Beweismittels animiert worden sei. Zur Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens sei es unabdingbar, dass das vorgelegte Beweismaterial tatsächlich und vollumfänglich staatsfrei sei, sowohl unmittelbar als auch mittelbar.

101

bb) Aufgrund der vielfältigen denkbaren Wirkungsmechanismen und Kausalzusammenhänge, die aus der Anwesenheit und der Tätigkeit einer Vielzahl von staatlichen Agenten herrührten, ergäben sich Rückwirkungen auf das Beweismaterial. Wirklich staatsfreies Tatsachenmaterial könne daher erst nach "Abschaltung" aller staatlichen Agenten bei der Antragsgegnerin und einer anschließenden Konsolidierungsphase von zwei bis drei Jahren gewonnen werden.

102

c) Ein drittes Verfahrenshindernis liege darin, dass derzeit eine vertrauliche Kommunikation zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1., aber auch zwischen Vorstandsmitgliedern der Antragsgegnerin untereinander nicht gewährleistet sei, weil die konkrete Gefahr bestehe, dass sowohl der Verfahrensbevollmächtigte als auch Vorstandsmitglieder auf Bundes- und/oder Landesebene von in- und/oder ausländischen Geheimdiensten nachrichtendienstlich überwacht würden und damit die Prozessstrategie der Antragsgegnerin ausgespäht werde. Solange die Antragsgegnerin damit rechnen müsse, dass Willensbildungsprozesse und vertrauliche Gespräche zwischen Vorstandsmitgliedern und dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. dem antragstellenden Staat zur Kenntnis gelangten, könne keine Rechtsverteidigung auf Augenhöhe durchgeführt werden.

103

aa) Dass diese rechtsstaatlichen Mindestanforderungen gegenwärtig nicht gewährleistet seien, weil zu besorgen sei, dass der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich überwacht werde, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass er als Funktionär des Landesverbands der Antragsgegnerin im Saarland seit dem Jahr 2003 aktentechnisch erfasst sei. Als mittlerweile stellvertretender Landesvorsitzender sei davon auszugehen, dass die gegen ihn gerichtete Beobachtung ausgeweitet worden sei. Auf seine schriftliche Anfrage habe das Landesamt für Verfassungsschutz des Saarlandes mit Schreiben vom 25. Februar 2014 mitgeteilt, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung seiner Person nicht erfolge und auch in der Vergangenheit nicht erfolgt sei. Gleiches habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 29. April 2014 versichert. Solche unsubstantiierten Behauptungen reichten indes nicht aus. Vielmehr sei es notwendig, dass die Verfassungsschutzämter die den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. betreffenden Akten offenlegten.

104

In diesem Zusammenhang sei auf einen Vorfall am 30. November 2012 hinzuweisen, als ein im Eigentum der Mutter des Verfahrensbevollmächtigen zu 1. stehendes Kraftfahrzeug, welches regelmäßig von ihm selbst benutzt werde, auf einem öffentlichen Parkplatz in Saarbrücken-Dudweiler von einem zivilen Dienstfahrzeug des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes gerammt worden sei. Zwar sei der Verfahrensbevollmächtigte nicht persönlich anwesend gewesen, es sei aber bemerkenswert, dass der saarländische Verfassungsschutz behaupte, es finde keine Überwachung des familiären Umfelds des Verfahrensbevollmächtigten statt, und eine solche habe auch nie stattgefunden.

105

bb) Hinsichtlich der Mitglieder des Bundesvorstands und der Landesvorstände der Antragsgegnerin sowie ihrer Unterorganisationen bestehe ebenfalls der dringende Verdacht, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung erfolge. Es liege nahe, dass das mit der "Abschaltung" der V-Leute einhergehende Informationsdefizit durch erweiterte Überwachung der Telekommunikation, durch akustische Wohnraumüberwachung oder durch Online-Durchsuchungen kompensiert werde.

106

cc) Schließlich bestehe der konkrete Verdacht, dass die Sitzungen des Parteivorstands der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich abgehört würden. So sei der ehemalige Bundesschatzmeister der Antragsgegnerin K. bei polizeilichen Vernehmungen im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens mit wörtlichen Aussagen konfrontiert worden, die er während Parteivorstandssitzungen getätigt habe.

107

dd) Außerdem müsse der NSA-Überwachungsskandal berücksichtigt werden. Es stelle sich die Frage, inwiefern Funktionäre der Antragsgegnerin beziehungsweise ihr Verfahrensbevollmächtigter zu 1. Ziel von Abhörmaßnahmen ausländischer Geheimdienste seien, deren Ergebnisse auf dem "kurzen Dienstweg" an deutsche Behörden zurückflössen und dort verwertet würden. Es werde daher beantragt, hierzu Edward Snowden als Zeugen zu vernehmen.

108

3. Höchst hilfsweise sei das Verbotsverfahren auszusetzen, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt habe. Da die Antragstellerseite gerade hinsichtlich der Aktivitäten des BND kein verwertbares Testat vorgelegt habe, sei es jedenfalls geboten, diesen Bericht abzuwarten, der wesentliche Erkenntnisse über Art und Umfang von Abhörmaßnahmen ausländischer Geheimdienste und die Weitergabe dabei erlangter Kenntnisse an deutsche Sicherheitsbehörden bezogen auf die Beteiligten des hiesigen Verfahrens erbringen dürfte, bevor eine Entscheidung über die Durchführung des Hauptverfahrens gemäß § 45 BVerfGG getroffen werden könne.

VI.

109

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 14. Mai 2014 beantragt, die von der Antragsgegnerin gestellten Anträge zurückzuweisen, und hat in diesem und weiteren Schriftsätzen dazu ausgeführt:

110

1. Die vorgelegten Verfahrensvollmachten genügten den Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 BVerfGG. Die aus § 14 Abs. 2 GOBR folgende rechtliche Handlungsmacht des Direktors des Antragstellers umfasse auch dessen Vertretung im Außenverhältnis, die nach § 6 Abs. 1 GOBR grundsätzlich der Präsident wahrnehme. Andernfalls wäre das Bundesorgan Bundesrat weitgehend in seiner Funktion eingeschränkt.

111

Der Direktor sei auch zur Vertretung des Präsidenten des Antragstellers in "parlamentarischen Angelegenheiten" mit Außenwirkung befugt. Dies belegten die Regelungen in § 36 Abs. 1, § 45a Abs. 1 und § 45d Abs. 4 GOBR sowie Entscheidungen, die der Direktor für den Präsidenten treffe, ohne dass dies ausdrücklich in der Geschäftsordnung geregelt sei (§ 37 Abs. 1 GOBR, § 61 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien und in Routinefällen § 3 Abs. 2 des Gesetzes über befriedete Bezirke für Verfassungsorgane des Bundes).

112

Vorliegend habe der Präsident des Antragstellers auf Vorschlag der Innenministerkonferenz nach Zustimmung des Ständigen Beirats den Direktor beauftragt, die Verfahrensbevollmächtigten zur Vertretung des Antragstellers im Verbotsverfahren zu bestellen. Die materielle Entscheidung über die bevollmächtigten Personen sei somit vom Präsidenten des Antragstellers lange vor der Ausstellung der Vollmachten getroffen worden. Die büromäßige Erteilung der Vollmachten habe lediglich den Vollzug dieser Entscheidung dargestellt.

113

Das Vorgehen entspreche der bisherigen Staatspraxis. Seit Bestehen des Bundesverfassungsgerichtes sei jede Prozessvollmacht für den Antragsteller durch seinen Direktor erteilt worden.

114

2. Es werde daran festgehalten, dass die Führungsgremien der Antragsgegnerin staatsfrei und die vorgelegten Belege quellenfrei seien. Ein Abhören und ein damit verbundenes Ausspähen der Prozessstrategie der Antragsgegnerin fänden nicht statt.

115

a) Die Antragsgegnerin habe keine konkreten Hinweise dafür vorgelegt, dass der durch die Testate belegte Sachvortrag zur Staatsfreiheit unzutreffend sei. Das Scheitern des ersten Verbotsverfahrens führe nicht zu einer Verschärfung der Darlegungslast des Antragstellers.

116

aa) (1) Zunächst sei festzustellen, dass nur Verdeckte Ermittler zurückgezogen werden könnten, weil sie als Bedienstete staatlicher Behörden weiterhin Weisungen unterworfen seien. V-Leute unterlägen nach der "Abschaltung" hingegen keinen Weisungen mehr, eine Rückziehung scheide daher aus. Die Erwähnung von Verdeckten Ermittlern wie auch von Under-Cover-Agents in den Testaten habe lediglich deren sachliche Lückenlosigkeit gewährleisten sollen. Eingesetzt worden seien solche nicht. Daher habe es auch keiner Erklärung zu ihrer Rückziehung bedurft.

117

(2) Es habe auch keinen Versuch sächsischer Sicherheitsbehörden gegeben, A. für eine Tätigkeit als V-Person, Informant oder Ähnliches zu gewinnen.

118

Der Freistaat Sachsen habe zur Überprüfung der Behauptungen der Antragsgegnerin sämtliche sächsischen Polizeidienststellen um Stellungnahme gebeten, ob es einen Anwerbeversuch gegenüber A. gegeben habe. Dies sei von allen Dienststellen verneint worden. Auch seien alle im sächsischen Polizeivollzugsdienst mit dem Nachnamen "Friebe" tätigen Polizeivollzugsbeamten gesondert befragt worden. Alle hätten ausgesagt, A. nicht zu kennen beziehungsweise keinen Kontakt mit ihm gehabt zu haben. Im Landesamt für Verfassungsschutz seien die für Werbung und Beschaffung zuständigen Bediensteten befragt worden, ob es Versuche gegeben habe, A. anzuwerben oder mit ihm in Kontakt zu treten. Beides sei ausgeschlossen worden. Zusätzlich sei in allen Polizeidienststellen geprüft worden, in welchen Verfahren A. im Zeitraum 2013/14 in Erscheinung getreten sei und welche Beamten dabei mit ihm Kontakt gehabt hätten. Diese Beamten seien befragt worden, ob es einen "Anwerbeversuch" oder Äußerungen gegeben habe, die möglicherweise als Anwerbeversuch hätten missverstanden werden können. Diese Fragen seien ausnahmslos verneint worden.

119

(3) Auch die von der Antragsgegnerin aufgestellten Behauptungen über die Quelle "Piatto" berührten die Staatsfreiheit im vorliegenden Verfahren nicht. S. habe sich niemals in einem Beschäftigungsverhältnis zu Sicherheitsbehörden von Bund oder Ländern befunden. Er habe aus der Untersuchungshaft heraus 1994 aus eigenem Antrieb den Kontakt zu den Sicherheitsbehörden initiiert. Seitdem habe er als V-Person Erkenntnisse über die rechtsextremistische Szene in Brandenburg weitergegeben. Im Verlauf des Jahres 2000 sei er als Quelle abgeschaltet und der Kontakt zu ihm beendet worden.

120

S. sei daher kein "Verdeckter Ermittler" gewesen. Er sei als V-Person nicht unter einer anderen Identität in eine Organisation "eingeschleust" worden, sondern bereits vor der Kontaktaufnahme mit den Sicherheitsbehörden in der "Szene" aktiv gewesen und habe sich dann aus eigenem Antrieb zu einer Weitergabe von Informationen an die Sicherheitsbehörden entschlossen.

121

bb) Bei den V-Leuten habe auch nicht bloß eine "Abschaltung" stattgefunden, sondern es sei zudem keine "Nachsorge" betrieben worden. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen Bund und Ländern seien die Sicherheitsbehörden angewiesen worden, jeden Kontaktversuch einer abgeschalteten Quelle zurückzuweisen und die Zurückweisung zu dokumentieren. Für den Fall, dass eine nicht abgeschaltete V-Person in einen Vorstand der Antragsgegnerin oder ihrer Untergliederungen gewählt werden sollte, würde umgehend ihre "Abschaltung" vorgenommen. Seit dem 6. Dezember 2012 habe auch tatsächlich keine Kommunikation mit "abgeschalteten" V-Leuten mehr stattgefunden. Vereinzelte Kontaktaufnahmeversuche ehemaliger V-Leute seien abgelehnt und dokumentiert worden.

122

cc) Mit Blick auf die angegebene Statistik von 2008 bis 2013 sei das Jahr 2013 einbezogen worden, um dem Gericht möglichst aktuelle Daten vorlegen zu können. Die Feststellung, dass spätestens seit Dezember 2012 keine V-Leute mehr in der Führungsebene der Antragsgegnerin vorhanden seien, sei spezieller als die den Zeitraum 2008 bis 2013 umfassende Statistik. Der entsprechende Quellenanteil für das Jahr 2013 habe bei 0,0 % gelegen.

123

dd) Die Antragsgegnerin habe keine einzige konkrete Tatsache vorgetragen, die die Richtigkeit der Testate in Zweifel zu ziehen geeignet wäre. Die Sicherheitsbehörden seien aus Gründen des verfassungsrechtlich gebotenen Quellenschutzes und zur Sicherung ihrer künftigen Aufgabenerfüllung rechtlich nicht in der Lage, den ehemaligen wie aktuellen Bestand von V-Leuten offenzulegen. Deswegen wäre es an der Antragsgegnerin gewesen, zumindest glaubhafte Anhaltspunkte für einen fehlerhaften Vortrag darzulegen.

124

Das Risiko der fehlenden Erweislichkeit eines Verfahrenshindernisses trage die Antragsgegnerin. Zwar bestehe im Verfassungsrecht keine subjektive Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast, jedoch griffen die Regeln der "objektiven Beweislast". Demgemäß sei das Risiko der fehlenden Erweislichkeit danach verteilt, wer aus der betreffenden Tatsache eine günstige Rechtsfolge herleite, sowie danach, was "Regel" und was "Ausnahme" sei. Nach diesen Grundsätzen trage die Antragsgegnerin die objektive Beweislast, soweit sie sich auf ein Verfahrenshindernis berufe.

125

ee) Das Testat des Bundesinnenministers werde von den jeweils zuständigen Ressorts der Bundesregierung mitgetragen und durch entsprechende - nunmehr vorgelegte - Untertestate der Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundeskriminalamts, des Bundespolizeipräsidiums und des Bundesnachrichtendienstes bestätigt. Der Bundesinnenminister habe die Testate lediglich gesammelt, um dem Gericht gegenüber eine Gesamtaussage machen zu können. Darüber hinaus hätten die Staatssekretäre im Bundesministerium der Verteidigung und im Bundesministerium der Finanzen entsprechende - ebenfalls vorgelegte - Erklärungen für die Geschäftsbereiche ihrer Ministerien abgegeben.

126

ff) Unter "Führungsebene" verstünden Bund und Länder den Bundesvorstand, die Landesvorstände sowie die entsprechenden Vorstände der drei vom Antrag mitumfassten Teilorganisationen der Antragsgegnerin.

127

b) Auch hinsichtlich der Quellenfreiheit des Beweismaterials habe die Antragsgegnerin keine Umstände vorgetragen, die ein Verfahrenshindernis zu begründen geeignet seien. Die angebliche mittelbare Beeinflussung des im Antrag verwendeten Tatsachenmaterials werde durch die Antragsgegnerin lediglich pauschal behauptet und durch keinerlei Tatsachen plausibilisiert. Problematisch seien nur Äußerungen, die von Parteimitgliedern stammten, die direkte nachrichtendienstliche Kontakte mit staatlichen Behörden unterhielten oder unterhalten hätten. Dass es daran fehle, werde durch die vorgelegten Testate bestätigt.

128

c) Die Unterstellung der Antragsgegnerin, dass die Kommunikation mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. überwacht werde, werde zurückgewiesen. Bereits mit Weisung vom 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder verfügt, keinerlei Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin von Quellen entgegenzunehmen. Überdies hätten sich die Behörden von Bund und Ländern am 17. März 2014 anlässlich der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin auf die Weisung geeinigt, dass nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der NPD auch dann nicht entgegengenommen werden dürften, wenn sie aus dem Umfeld des Verfahrensbevollmächtigten oder seiner Kanzlei kämen. Zudem sei auf dessen privilegierte Stellung und in diesem Zusammenhang insbesondere auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO sowie auf ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 zum Einsatz von G 10-Maßnahmen hingewiesen worden. Daraus folge, dass auch Gespräche, die der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. mit Mitgliedern des Parteivorstands der Antragsgegnerin führe, nicht überwacht würden.

129

Das von der Antragsgegnerin geschilderte Unfallereignis stehe in keinem Zusammenhang mit vermeintlichen Überwachungsmaßnahmen gegen ihren Verfahrensbevollmächtigten zu 1., der zu diesem Zeitpunkt noch nicht Verfahrensbevollmächtigter der Antragsgegnerin gewesen sei. Vielmehr hätten Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes am Unfalltag ein Postfach leeren sollen. Zu diesem Zweck habe man den Dienst-Pkw auf einem öffentlichen Parkplatz parken wollen und dabei einen Unfall mit dem Pkw der Mutter des Verfahrensbevollmächtigten verursacht. Der dienstliche Auftrag habe weder Bezug zur Antragsgegnerin gehabt noch in einem Zusammenhang mit dem Verfahrensbevollmächtigten oder dessen Umfeld gestanden. Hierzu werde ein Bestätigungsschreiben des Staatssekretärs des Saarländischen Ministeriums für Inneres und Sport vorgelegt und eine Zeugenvernehmung des entsprechenden Mitarbeiters angeboten.

130

3. Hinsichtlich des hilfsweise gestellten Aussetzungsantrags vertritt der Antragsteller die Ansicht, Art. 44 Abs. 4 Satz 2 GG lege fest, dass die Würdigung der Beweise und die rechtliche Beurteilung der Tatsachen durch Gerichte unabhängig von den Feststellungen eines Untersuchungsausschusses, also "frei" erfolgten. Außerdem entstamme keiner der in der Antragsschrift verwendeten Belege den Erkenntnissen ausländischer Nachrichtendienste. Auch zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin lägen ihm von ausländischen Nachrichtendiensten keine Informationen vor.

VII.

131

1. Mit Beschluss vom 19. März 2015 (BVerfGE 138, 397) hat der Senat dem Antragsteller folgende Hinweise erteilt:

III. 1. Der Antragsteller hat als Anlage 1 zum Schriftsatz vom 14. Mai 2014 den Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 22. März 2012 vorgelegt. Ziffer 3 des Beschlusses lautet: "Mit Beginn der Materialsammlung am 2. April 2012 werden die Quellen auf Führungsebene abgeschaltet. Für die Erstellung der Materialsammlung wird ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten veranschlagt."

Der Antragsteller möge den Vollzug dieses Beschlusses im Bund und in den einzelnen Ländern - insbesondere hinsichtlich der Zahl und des Ablaufs der "Abschaltungen" - darstellen und in geeigneter Weise belegen.

2. Der Antragsteller hat in diesem Schriftsatz ausgeführt, dass Quellen auf Vorstandsebene der Antragsgegnerin nicht nur "abgeschaltet" worden seien, sondern dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 auch keine "Nachsorge" betrieben werde. Dabei hat er Bezug genommen auf eine "Vereinbarung zwischen Bund und Ländern". Diese Vereinbarung möge er vorlegen.

Soweit in den Ländern Anweisungen zur Umsetzung dieser Vereinbarung (vergleichbar den beiden vorgelegten Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern vom 14. Dezember 2012) ergangen sind, möge der Antragsteller diese ebenfalls vorlegen.

Darüber hinaus möge er den Vollzug des Verzichts auf eine Nachsorge bei "abgeschalteten Quellen" im Bund und in den einzelnen Ländern darstellen und in geeigneter Weise belegen.

3. Der Antragsteller möge schließlich in geeigneter Weise belegen, auf welche Weise - wie im Schriftsatz vom 14. Mai 2014 vorgetragen - sichergestellt ist, dass keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen werden und der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten insbesondere im Hinblick auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO Rechnung getragen wird. Er möge ferner in geeigneter Weise belegen, auf welche Weise sichergestellt ist, dass - falls dennoch diesbezügliche Informationen erlangt werden - diese von der Verwertung ausgeschlossen werden. Soweit er angeboten hat, die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder vorzulegen, möge er dies tun.

4. Der Antragsteller differenziert in der Antragsschrift die verwendeten Belege hinsichtlich der Quellenfreiheit nach zwei Kategorien. Allerdings werden weder das Parteiprogramm der Antragsgegnerin ("Arbeit, Familie, Vaterland". Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands [NPD]. Beschlossen auf dem Bundesparteitag am 4./5. Juni 2010 in Bamberg) noch der Beleg 112 (NPD-Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" vom 9. Oktober 1997) einer dieser beiden Kategorien zugeordnet. Der Antragsteller möge sich hierzu erklären und insbesondere zur Frage der Quellenfreiheit des Parteiprogramms Stellung nehmen.

132

2. Mit Berichterstatterschreiben vom selben Tag wurde der Antragsteller außerdem darauf hingewiesen, dass sein Sachvortrag zur vorübergehenden Kontrolle des öffentlichen Raums durch die Antragsgegnerin mit der Folge, dass eine "Atmosphäre der Angst" erzeugt werde und hierdurch erkennbare Einschränkungen demokratischen Handelns nachweisbar seien, möglicherweise nicht hinreichend durch konkrete Beispiele unterlegt sei. Ferner werde der Vortrag, die Antragsgegnerin habe ihre Aktivitäten im Sommer/Herbst 2013 bei der Debatte um die Aufnahme von Asylbewerbern besonders aggressiv gestaltet und zahlreiche Proteste gegen Asylbewerber organisiert, bislang nur mit dem Hinweis auf einen Aufruf zu einem "Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch" und drei Belegen unterlegt. Weitere Belege und Darstellungen des Verlaufs konkreter Aktivitäten fehlten.

VIII.

133

Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2015 und weiteren Schriftsätzen nahm der Antragsteller zum Hinweisbeschluss des Senats Stellung und legte interne Vermerke, Erlasse, Abschalterklärungen, Gesprächsprotokolle, E-Mails und andere Inhalte von Akten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder vor, die bisher der Geheimhaltung unterlegen hätten. Er hat vorgetragen, dass damit interne Arbeitsabläufe der Sicherheitsbehörden dargestellt und die Anzahl der abgeschalteten V-Leute in Bund und Ländern genannt würden. Die Klarnamen der Quellen und Teile der Dokumente, aus denen Rückschlüsse auf die Identität der Quellen gezogen werden könnten, sowie die Namen von Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden von der Ebene der Referatsleiter abwärts seien zum Schutz der Betroffenen geschwärzt worden. Nach Auffassung des Antragstellers seien die Sicherheitsbehörden damit "an die Grenze des rechtlich Zulässigen" gegangen.

134

1. Zu Ziffer III.1. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller vorgetragen, dass der Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) vom 22. März 2012 zur "Abschaltung" aller Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin von Bund und Ländern teilweise in der Folgezeit, teilweise aber auch schon im Vorgriff umgesetzt worden sei. Alle Quellen auf Führungsebene der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen seien abgeschaltet worden, so dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 die Informationsbeziehungen zu sämtlichen Quellen auf der Führungsebene beendet gewesen seien.

135

a) Bereits am 30. November 2011 sei eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens beschlossen worden, die am 14. März 2012 einen Bericht vorgelegt habe. Der 4. Teil dieses Berichts mit dem Titel "Konsensuale Punkte des Kriterienkatalogs" stelle die in Ziffer III.2. des Hinweisbeschlusses angesprochene Vereinbarung zwischen Bund und Ländern dar, die nunmehr vorgelegt werde. Im Detail sei vereinbart worden, dass rechtzeitig vor Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht alle Quellen in den Vorständen der Partei von Bund und Ländern abgeschaltet sein müssten und auch keine "Nachsorge" betrieben werden dürfe. Zudem sei vereinbart worden, dass auch Quellen, die gegebenenfalls während eines laufenden Verfahrens in den Vorstand aufrückten, unverzüglich abgeschaltet würden. Kontaktversuche von abgeschalteten Quellen und Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin seien zurückzuweisen. Basierend auf diesen Vereinbarungen habe die IMK am 22. März 2012 ihren Beschluss gefasst.

136

b) In allen Ländern und in der Bundesverwaltung seien die sich aus dem Beschluss ergebenden Anforderungen an und in die Sicherheitsbehörden hinein kommuniziert worden. Dies sei teils im Wege des schriftlichen Erlasses, teils durch E-Mail-Kommunikation, teils in Besprechungen geschehen. Als Stichtag für die Abfrage von Quellen auf Führungsebenen sei der 1. Dezember 2011 gewählt worden, also der Tag nach der Konstituierung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Zu diesem Zeitpunkt hätten der Bund und die Länder insgesamt elf V-Leute in der Führungsebene (Bundes- und Landesvorstände) der Antragsgegnerin und/oder ihrer Teilorganisationen eingesetzt. Die vom Antragsteller näher aufgeschlüsselte Verteilung werde durch die Erklärungen der jeweiligen Innenministerien beziehungsweise der Leiter der Verfassungsschutzbehörden bestätigt und durch die Vorlage interner Verfügungen, Weisungen, Abschaltvermerke sowie -erklärungen belegt.

137

Soweit am Stichtag Quellen auf Führungsebenen der Antragsgegnerin vorhanden gewesen seien, hätten die Abschaltvorgänge in einem Treffen mit der Quelle bestanden, bei der dieser die Gründe der sofortigen "Abschaltung" erklärt und eine Abschaltprämie ausgezahlt oder versprochen worden sei. Daraufhin sei der Quelle eine "Abschalterklärung" zur Unterzeichnung vorgelegt worden. Der Quelle sei zudem verdeutlicht worden, dass keine "Nachsorge" stattfinden könne, ein Kontakt zwischen der Sicherheitsbehörde und der Quelle also nicht mehr möglich sei. In den meisten Fällen sei dies das letzte Treffen mit der Quelle gewesen, in manchen Fällen sei es noch zu wenigen Nachbetreuungstreffen gekommen, die nicht mit einem Informationsaustausch verbunden gewesen seien. Spätestens ab dem 6. Dezember 2012 seien alle Informationsbeziehungen zu sämtlichen Quellen auf Führungsebene der Antragsgegnerin vollständig beendet gewesen. Nur in einem Land sei eine V-Person nicht bereit gewesen, die formelle Abschalterklärung zu unterschreiben. Sie sei daraufhin entsprechend mündlich belehrt worden. Seit dem 1. Dezember 2011 sei es nicht vorgekommen, dass V-Leute unterhalb der Führungsebene in die Vorstände aufgerückt seien. Seit diesem Tag seien außerdem keine Quellen unter den Mitgliedern der Fraktionen der Antragsgegnerin in den Landtagen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns gewesen. Dies werde durch Vorlage der entsprechenden Dokumente und Testate belegt.

138

2. Anlässlich des Beschlusses des Antragstellers zur Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens am 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder weitere koordinierte Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass weiterhin keine "Nachsorge" im oben genannten Sinne erfolge. Hierfür sei im Dezember 2012 ein "Musterschreiben" entworfen worden, mit dem die jeweiligen Sicherheitsbehörden angewiesen worden seien, jeden Kontaktversuch abgeschalteter Quellen zurückzuweisen und dies zu dokumentieren. Auf Bundesebene seien in der Folge die Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern vom 14. Dezember 2012 erstellt worden. In den Ländern seien alle Sicherheitsbehörden im Sinne des Musterschreibens durch die jeweils zuständigen Stellen entsprechend angewiesen worden. Bei einer Länderumfrage seitens des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sei "ausnahmslos bestätigt" worden, dass sowohl der Verfassungsschutz als auch die Polizeibehörden entsprechend dem übermittelten Musterschreiben veranlasst worden seien, die Vorkehrungen zur Sicherstellung eines rechtsstaatlichen Verbotsverfahrens zu treffen.

139

Durch diese Erlass- beziehungsweise Weisungslage werde auch weiterhin garantiert, dass keine "Nachsorge" erfolge. Soweit ehemalige Quellen Kontaktversuche unternommen hätten, seien diese zurückgewiesen und die Zurückweisungen entsprechend dokumentiert worden (Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern). Auch zufällige Kontakte seien dokumentiert worden (Nordrhein-Westfalen). Darüber hinaus habe in Baden-Württemberg bei einer ehemaligen Quelle am 30. März 2012 einmalig ein Betreuungstelefonat stattgefunden, weil eine psychische Ausnahmesituation befürchtet worden sei.

140

Auch dieser Vortrag werde durch Vorlage der entsprechenden Musterschreiben, Weisungen, E-Mails und - teilweise geschwärzten - Aktenauszüge belegt.

141

3. a) Zu Ziffer III.3. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller vorgetragen, dass die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens schon weit vor dem Beschluss zur Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens die oberste Priorität für Bund und Länder gewesen sei. Im 4. Teil des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe heiße es, dass keine zielgerichtete Beschaffung von Informationen über die Prozessstrategie durch nachrichtendienstliche Beobachtung erfolgen dürfe.

142

b) Anlässlich des Bundesratsbeschlusses zur Einleitung eines NPD-Verbotsverfahrens vom 14. Dezember 2012 hätten Bund und Länder zudem koordinierte Maßnahmen zur Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit des Verbotsverfahrens unternommen, wie sich aus dem bereits erwähnten, an die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern weitergeleiteten Musterschreiben ergebe. Danach sei durch entsprechende Weisungen sicherzustellen gewesen, dass keine Entgegennahme nachrichtendienstlich erlangter Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin erfolge, auch im Rahmen von Aussteigerprogrammen keine Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegengenommen werden dürften sowie entsprechende Versuche zurückzuweisen und zu dokumentieren seien.

143

Diese Vorgaben seien im weiteren Verlauf verschiedentlich präzisiert worden. So sei mit vorgelegtem Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 an alle Länder sowie an alle Sicherheitsbehörden des Bundes auf die Notwendigkeit strikter Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung der Antragsgegnerin vor dem Bundesverfassungsgericht hingewiesen und gebeten worden, von Maßnahmen nach dem G 10-Gesetz gegen Mitglieder des Bundes- oder eines Landesvorstands der Antragsgegnerin nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Sollten sich die G 10-Maßnahmen gleichwohl als notwendig erweisen, müsse sichergestellt werden, dass im Zuge dieser Maßnahmen keinerlei Informationen zur Prozessstrategie erfasst würden. Hierzu seien nachweisbar geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit - entsprechend der Handhabung beim Kernbereichsschutz - bereits in der Vorauswertung keinerlei Informationen über das Verbotsverfahren aufgenommen werden könnten.

144

Der Antragsteller hat sodann ausgeführt, dass es seit dem Schreiben vom 29. Mai 2013 auf Bundesebene eine G 10-Maßnahme gegeben habe, die auch Personen aus der Führungsebene der Antragsgegnerin und/oder ihrer Teilorganisationen betroffen habe. Hintergrund sei der Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 129a StGB gewesen. Die Maßnahme habe sich nicht unmittelbar und zielgerichtet gegen die Antragsgegnerin gerichtet. Bereits bei der Vorauswertung seien keine Informationen über das NPD-Verbotsverfahren aufgenommen worden; damit sei das Risiko einer Prozessausspähung ausgeschlossen worden.

145

In den Ländern habe es nur in Sachsen und in Brandenburg jeweils eine G 10-Maßnahme gegeben. In Sachsen sei Hintergrund der Verdacht der Fortführung einer verbotenen Vereinigung (§ 85 StGB) gewesen, in Brandenburg der Verdacht, dass der Betroffene an exponierter Stelle versuche, die verschiedenen Gruppierungen der Freien Kräfte in Brandenburg zu vernetzen, sowie die Verhinderung beziehungsweise Aufklärung von Straftaten (insbesondere § 130 StGB). In Sachsen seien keine Informationen zum Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin und deren Prozessstrategie angefallen, in Brandenburg sei trotz entgegenstehender Weisung Anfang Dezember 2013 ein Protokoll gefertigt worden, das auch eine Randerkenntnis zum bevorstehenden Verbotsverfahren zum Inhalt gehabt habe und an die Landesbehörden für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt, Berlin, Sachsen und Nordrhein-Westfalen versandt worden sei. In der Verfassungsschutzbehörde Brandenburg und in den beteiligten Ländern seien die Unterlagen nicht verwertet und zeitnah vernichtet worden, in Sachsen sei das Protokoll für die Facharbeit gesperrt. Zudem sei die Maßnahme selbst nicht fortgeführt und am 31. Dezember 2013 beendet worden.

146

Anlässlich der Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht am 3. Dezember 2013 habe das Bundesamt für Verfassungsschutz mit Schreiben vom 10. Dezember 2013 alle Landesverfassungsschutzämter "sicherheitshalber" noch einmal auf die strikte Berücksichtigung der Vorkehrungen zum Schutz eines rechtsstaatlichen Verbotsverfahrens hingewiesen. Zum Sachverhalt Verbotsverfahren sollten, auch wenn nur allgemeine, öffentlich bekannte oder prozesstaktisch völlig irrelevante Aspekte betroffen seien, keinerlei Informationen auf nachrichtendienstlichem Wege entgegengenommen werden. In den Ländern sei dies zum Anlass genommen worden, die zuständigen Stellen und Mitarbeiter abermals für die Problematik zu sensibilisieren.

147

Der Antragsteller hat seinen Vortrag durch Vorlage der entsprechenden Weisungen, Anschreiben, Vermerke und weiterer Dokumente belegt. Daneben testieren auch die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers, dass ihnen, abgesehen von den für jedermann zugänglichen, öffentlichen Äußerungen des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin, keine Informationen zur deren Prozessstrategie vorlägen.

148

c) Angesichts dieser Maßnahmen sei schon vor Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin sichergestellt gewesen, dass die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern keine Informationen über die Kommunikation zwischen der Antragsgegnerin und einem potentiellen Verfahrensbevollmächtigten zur Prozessstrategie auf nachrichtendienstlichem Wege erlangen würden. Gleichzeitig sei durch diese Maßnahmen auch gewährleistet gewesen, dass Zufallsfunde von der Verwertung ausgeschlossen seien. Dennoch seien nach Bekanntwerden der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin weitere Maßnahmen ergriffen worden, um dessen privilegierte Stellung zu garantieren. Hierzu hätten sich die Behörden von Bund und Ländern am 17. März 2014 auf die bereits erwähnte Musterweisung zur Beachtung dieser Stellung geeinigt. Diese Weisung sei an alle Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ergangen, die sie umgesetzt hätten.

149

In der Folgezeit seien "weitere Verschärfungen" des Schutzes des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin erfolgt, die über die Anforderungen des § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO noch hinausgingen: Am 16. Juni 2014 sei veranlasst worden, dass auch keine Personenakten über ihn weitergeführt werden dürften. Erkenntnisse dürften nur gespeichert werden, soweit diese aus öffentlichen Quellen stammten und nach einem sachbezogenen, nicht personenbezogenen Suchraster ermittelt worden seien. Nach diesen Kriterien unzulässige Speicherungen seit dem 7. Januar 2014 seien rückwirkend zu löschen gewesen. Zum Beleg dieses Vortrags werde die entsprechende E-Mail des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit den dazugehörigen Weisungen vorgelegt.

150

Im August und im September 2015 seien in vier Fällen Dokumente an das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie an die Verfassungsschutzbehörden in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein übergeben worden, in denen der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin aufgeführt beziehungsweise zu einer Informationsveranstaltung über das Verfahren eingeladen worden sei. Als dies erkannt worden sei, seien die Unterlagen vernichtet beziehungsweise mit einer funktionsäquivalenten Datenschutzsperre belegt worden.

151

4. a) Zu Ziffer III.4. des Hinweisbeschlusses hat der Antragsteller zunächst darauf verwiesen, dass das Programm der Antragsgegnerin einen Sonderfall darstelle, da dieses nur der Partei im Ganzen, aber keiner natürlichen Person zugerechnet werden könne und sich deswegen einer Kategorisierung im Sinne der Antragsschrift entziehe. Weder liege eine namentliche Urheberschaft des Programms vor, weshalb Kategorie 1 ausscheide, noch werde die Anwesenheit einzelner Verfassungsschutzquellen unter den Parteitagsdelegierten - neun von 187 - bestritten, weshalb Kategorie 2 nicht in Betracht komme. Die Staatsfreiheit der Antragsgegnerin sei gleichwohl nicht betroffen, da Parteitagsdelegierte nicht der Führungsebene einer Partei im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung angehörten.

152

Auch bei strengerer Betrachtung ergebe sich eine staatsfreie Entstehung des Programms, da die mitwirkenden Personen in der Programmkommission sowie in der Programmdebatte nach dem 1. Januar 2003 zu keinem Zeitpunkt Quelle des Verfassungsschutzes oder der Polizei gewesen seien. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass in den für die Programmentwicklung bedeutsamen Landesverbänden Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen in der gesamten Phase der Programmerneuerung keine Quellen auf Landesvorstandsebene eingesetzt worden seien. Außerdem sei das Programm auf dem Parteitag mit überwältigenden Mehrheiten angenommen worden, so dass die anwesenden neun Quellen nicht ins Gewicht fielen.

153

Führende Vertreter der Antragsgegnerin, die seit dem 1. Januar 2003 zu keinem Zeitpunkt Quellen von Polizei und Verfassungsschutz gewesen seien, hätten sich das Programm in der Folgezeit zudem ausdrücklich zu eigen gemacht. Auf der Homepage des Bundeswahlleiters sei das Parteiprogramm der Antragsgegnerin in seiner Fassung von Juni 2010 weiterhin als aktuelles Programm ausgewiesen.

154

b) Das Positionspapier der Antragsgegnerin von 1997 habe lediglich der Explikation der Entwicklung der "Drei-" beziehungsweise "Vier-Säulen-Strategie" gedient. Es selbst liege außerhalb des definierten Kategorisierungszeitraums. Jedoch sei die "Vier-Säulen-Strategie" in der Folgezeit von etlichen Führungsfunktionären bis hin zum heutigen Parteivorsitzenden Franz immer wieder bekräftigt worden. Im Übrigen habe der damalige Parteivorsitzende Voigt eigenen Angaben zufolge das Strategiepapier selbst erarbeitet. Dieser sei von den Testaten zur Quellenfreiheit erfasst.

IX.

155

Die Antragsgegnerin hat hierauf mit Schriftsatz vom 31. August 2015 geantwortet.

156

1. Nach ihrer Auffassung erweise sich der Vortrag des Antragstellers trotz der vorgelegten umfangreichen Anlagen als ungeeignet, die Staatsfreiheit der Führungsebene der Antragsgegnerin in einer verfahrenshindernisausschließenden Weise zu belegen.

157

Die vorgelegten Anlagenkonvolute bestünden überwiegend aus behördeninterner Kommunikation von Polizei und Verfassungsschutz und bewiesen lediglich, dass die vorgesetzten Dienststellen Weisungen erteilt hätten, nicht hingegen die Ausführung und die Kontrolle der Einhaltung dieser Weisungen. Der Nachweis der Staatsfreiheit der Führungsebenen der Antragsgegnerin sei durch die vorgelegten Abschalterklärungen und -vermerke schon deshalb nicht geführt, weil diese in weiten Teilen geschwärzt seien, inhaltlich daher nicht mehr nachvollzogen und abschließend bewertet werden könnten. Die übermäßige Schwärzung habe wohl der "inhaltlichen Frisierung" der Abschaltvermerke gedient, was sich beispielhaft an einem dem Anlagenkonvolut Nordrhein-Westfalens beigefügten Abschaltvermerk zeige, der von "formellen Abschalterklärungen" spreche, obwohl er sich angeblich nur auf eine einzige Quelle beziehe. Es sei denkbar, dass der Aussagegehalt der lesbaren Textstellen im geschwärzten Teil vollständig konterkariert werde.

158

Selbst wenn man die Abschalterklärungen nebst Begleitvermerken für beweiskräftig halten wollte, könnten diese allenfalls die "Abschaltung" derjenigen Quellen beweisen, deren Existenz der Antragsteller einräume. Sie bewiesen hingegen nicht, dass es außer den zugestandenen elf Quellen nicht noch weitere gegeben habe oder weiterhin gebe. Vollkommen unverständlich sei es in diesem Zusammenhang, dass es in den beiden über Landtagsfraktionen verfügenden Verbänden in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen - und damit gleichsam den "Machtzentren" der Partei - angeblich keine abzuschaltenden V-Leute gegeben haben solle. Die diesbezügliche Erklärung des Innenministeriums des Landes Mecklenburg-Vorpommern im Anschreiben vom 11. Mai 2015 lasse im Übrigen die Fraktionsmitarbeiter außen vor. Auffällig und aufklärungsbedürftig seien insbesondere die "dubiosen und regelrecht fluchtartigen Abgänge" der ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden Apfel - im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Verbotsantrag - und Szymanski, gegen den der Verdacht einer Spitzel-Tätigkeit im Raum stehe.

159

2. Der Vortrag des Antragstellers sei auch nicht zum Beweis der Behauptung geeignet, dass zwischen der Antragsgegnerin und ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. eine vertrauliche Kommunikation gewährleistet sei. So sei bereits der aus dem Verkehrsunfallgeschehen am 30. November 2012 resultierende Verdacht nachrichtendienstlicher Überwachung nicht entkräftet.

160

Hinzu komme, dass die vorgelegten Weisungen nicht beweiskräftig seien. Jedenfalls sei deren Beschränkung ausschließlich auf G 10-Maßnahmen völlig unzureichend. Die Prozessstrategie könne ebenso durch Überwachungsmaßnahmen in Form von akustischer Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchungen ausgespäht werden.

161

Ausdrücklich gegen die Nichtausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin spreche darüber hinaus ein Dokument im Anlagenkonvolut des Freistaates Bayern. Danach habe ein Mitarbeiter des dortigen Landesamts für Verfassungsschutz bis Ende Februar 2014 über das soziale Netzwerk "Facebook" mit dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin in Kontakt gestanden und diesen erst nach einer Weisung durch den Präsidenten des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz am 26. Februar 2014 beendet. Angesichts der erst zwei Monate nach Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten erfolgten Beendigung des Kontakts könne es sich nur um eine beabsichtigte Informationsgewinnung über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin gehandelt haben.

162

3. Der Vortrag des Antragstellers bestätige ferner den Verdacht, dass der Staat am aktuellen Parteiprogramm der Antragsgegnerin sowie an dem Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" selbst mitgeschrieben habe.

163

a) Hinsichtlich des Parteiprogramms werde durch die vom Antragsteller zugestandene Anwesenheit von neun staatlichen Quellen auf dem Programmparteitag der Grundsatz der Staatsfreiheit verletzt, da es sich bei diesem um eine "führende Organisationseinheit" der Antragsgegnerin handele. Der Antragsteller müsse zumindest zu dem Wirken dieser V-Leute auf dem Parteitag Stellung nehmen, da eine Beeinflussung der Abstimmungsergebnisse durch diese nicht auszuschließen sei. Die Darlegung der Staatsfreiheit des Parteiprogramms der Antragsgegnerin könne auch nicht dadurch umgangen werden, dass man auf dessen angebliche "Bestätigung" durch führende Funktionäre der Partei verweise.

164

b) Nicht anders verhalte es sich hinsichtlich des Positionspapiers "Das strategische Konzept der NPD". Auch insoweit könne sich der Antragsteller nicht darauf berufen, dass die genaue Urheberschaft irrelevant sei, weil Udo Voigt und Frank Franz sich den Inhalt dieses Papiers zu eigen gemacht hätten.

X.

165

Mit Schriftsatz vom 27. August 2015 hat der Antragsteller auf das Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 geantwortet.

166

Die Antragsgegnerin setze ihre verfassungsfeindliche Ideologie aggressiv-kämpferisch ins Werk und bewirke damit schon jetzt nachweisbare Konsequenzen zulasten gesellschaftlicher Minderheiten, politisch Andersdenkender sowie demokratischer Prozesse. Sie gehe über die Grenzen politischer Kommunikation hinaus, indem sie unter anderem durch physische Präsenz und psychischen Druck eine bedrohliche Wirkung entfalte. Einschüchterungen politischer Gegner, Bedrohungsgefühle bei Minderheiten, der Verzicht auf die Wahrnehmung demokratischer Rechte aus Furcht vor Ausgrenzung oder Gewalt und die Hinnahme eines minderheitenfeindlichen Klimas durch Teile der Bevölkerung seien Teil der Strategie der Antragsgegnerin und führten vor allem in den neuen Ländern zu Beeinträchtigungen des politischen Lebens und der "Freiheit der geistigen Auseinandersetzung".

167

Ihrer angeblichen "Krise" zum Trotz habe die Antragsgegnerin die Anzahl ihrer kommunalen Mandate bundesweit von rund 330 Sitzen im Jahr 2010 auf 367 Sitze nach den Kommunalwahlen 2014 ausbauen können. Sie fungiere als organisatorische Basis für andere rechtsextremistische Gruppen und sei weiterhin in der Lage, Dominanzansprüche zu äußern und im öffentlichen Raum dementsprechend aufzutreten.

168

1. Hinsichtlich der im Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 angesprochenen Frage einer "Atmosphäre der Angst" sei festzustellen:

169

a) Der ideologische Hintergrund der Antragsgegnerin sei nicht nur theoretischer Überbau, sondern unmittelbare Handlungsmaxime, die auf direktem Weg zu Einschüchterungen und Einschränkungen demokratischen Handelns führe. Dabei komme dem Konzept der "Volksgemeinschaft" sowohl im Denken als auch im Handeln der Antragsgegnerin zentrale Bedeutung zu.

170

b) Das schon jetzt wirkende Bedrohungs- und Einschüchterungspotential der Ideologie der Antragsgegnerin zeige sich in ihrer Strategie und Mittelwahl.

171

aa) Der Weg zu ihren Zielen führe aus Sicht der Antragsgegnerin insbesondere über "nationalrevolutionäre Graswurzelarbeit". Die Antragsgegnerin strebe die Entwicklung von "Dominanzzonen" an, in denen die Rechtsextremisten "im Alltag bestimmend, kümmernd und meinungsbildend wirken" könnten. "Kümmerer-Image" und aggressive Einschüchterungen widersprächen sich nicht, sondern bedingten einander.

172

bb) (1) Einschüchterungen und Bedrohungen erfolgten in vielen Fällen unmittelbar durch die Antragsgegnerin beziehungsweise durch ihr zurechenbare Funktionäre und Mitglieder. Es gehöre jedoch auch zu ihrer Strategie, Aktionen von rechtsextremistischen Gruppierungen außerhalb der Partei durchführen zu lassen. Dies hindere die Zurechnung jedoch nicht, da einer Partei zum einen das Verhalten von "Anhängern" zugerechnet werden könne, zum anderen die Antragsgegnerin als ideologische und organisatorische Basis eines rechtsextremistischen Netzwerks agiere und - zumindest im Sinne einer Beihilfe - Akte, die von anderen rechtsextremistischen Gruppierungen stammten, fördere.

173

(2) Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern seien die Verbindungen zwischen der Antragsgegnerin und der Neonazi-Szene stark. Die Landtagsfraktion habe sich dabei zu einem bedeutenden Kraftzentrum entwickelt. Neben der finanziellen Ausstattung seien insbesondere die Möglichkeit, Rechtsextremisten als Fraktions- oder Wahlkreismitarbeiter zu beschäftigen, sowie die Nutzung als Schulungsplattform für die Gesamtpartei von großem Wert. Über ihre Bürgerbüros, die sich teilweise in rechtsextremistischen Szeneobjekten befänden, wirkten die Abgeordneten zudem in die Fläche hinein. Auf diese Weise habe die Antragsgegnerin großen Einfluss auf örtliche Strukturen der Neonazi-Szene. Besonders augenfällig sei, dass Landtagsabgeordnete der Partei größtenteils entweder selbst mittlerweile verbotenen rechtsextremistischen Vereinen angehört hätten oder sich zumindest offen zur Zusammenarbeit mit neonationalsozialistischen freien Kräften bekennten.

174

Das Zusammenwirken manifestiere sich unter anderem im Bereich von Publikationen, Treffpunkten und Aktivitäten. So habe die Antragsgegnerin das ursprünglich aus dem parteiunabhängigen Rechtsextremismus stammende Projekt der "Regionalboten" übernommen. Das "nationale Begegnungszentrum" in Anklam diene als Treffpunkt von Neonazis und Funktionären der Antragsgegnerin. Die Stadtvertreterin der Antragsgegnerin Z. trete als Anmelderin für neonazistische Veranstaltungen auf und werde umgekehrt von heimischen Neonazis in Stadtvertreterversammlungen unterstützt.

175

c) Die praktische Umsetzung der aggressiven politischen Strategie der Antragsgegnerin erfolge durch die Verwirklichung eines räumlichen Dominanzanspruchs, der in Teilen Ostdeutschlands konkrete Einschränkungen demokratischen Handelns bewirke.

176

aa) Die Partei agiere bestimmender, sichtbarer und provokativer in Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen, wo sie über strukturstarke, kommunal verwurzelte Landesverbände verfüge. Abhängig hiervon sei auch der Grad der Verwirklichung ihrer Strategie: Vollständig "national befreite Zonen" im Sinne der Ideologie der Antragsgegnerin gebe es in Deutschland nicht. Die Verwirklichung des räumlichen Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin erfolge vielmehr graduell unterschiedlich.

177

(1) Innerhalb dieser Skala stelle der mecklenburgische Kleinstort Jamel einen Extremfall dar. Das Dorf werde gesellschaftlich fast vollständig - sechs von zehn Anschriften - von Rechtsextremisten beherrscht. Zentrale Figur sei K., der von 2009 bis 2011 für die Antragsgegnerin im Kreistag Nordwestmecklenburg und von November 2010 bis Januar 2011 als Beisitzer im Landesvorstand vertreten gewesen sei. Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des K. seien 72 Fotos prominenter Politiker und Personen jüdischen Glaubens aufgefunden worden, die als Zielscheibe gefertigt gewesen seien und teilweise Einschusslöcher von Luftdruckwaffen aufgewiesen hätten.

178

Die Majorisierung des Ortes Jamel durch Rechtsextremisten finde deutlichen Ausdruck im Dorfbild. Markant sei zum einen ein Holzwegweiser, der unter anderem Richtung und Entfernung nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, angebe und der die Stadt Wien mit der von den Nationalsozialisten für Österreich verwendeten Benennung "Ostmark" konnotiere. Dominant sei zum anderen ein Wandgemälde mit dem Schriftzug "Dorfgemeinschaft Jamel frei-sozial-national". Die Dominanz der Rechtsextremisten rufe bei den wenigen sonstigen Bewohnern ein hohes Bedrohungsgefühl hervor.

179

Ein Ehepaar, das sich als einzige Personen im Ort offen gegen Rechtsextremismus ausspreche und engagiere, sei zahlreichen Einschüchterungsversuchen und Verunglimpfungen ausgesetzt. Bei einem von diesem Ehepaar veranstalteten Musikfestival sei es 2010 zu einer tätlichen Auseinandersetzung gekommen, als ein Mitarbeiter der von K. betriebenen Firma mit den Worten "Ich bin ein Nazi" einem Festivalteilnehmer mehrere Faustschläge versetzt habe. Von einem Gemeindevertreter der Antragsgegnerin sei das Ehepaar mit den Worten bedroht worden: "Sie sollten an mich verkaufen, solange Sie noch können." Die unmittelbar neben dem Wohnhaus des Ehepaars befindliche Scheune sei in der Nacht vom 12. auf den 13. August 2015 in Brand gesetzt worden.

180

(2) Die Antragsgegnerin erhebe auch in anderen Gebieten Ostdeutschlands Dominanzansprüche und unternehme Schritte zu ihrer Realisierung:

181

(a) Der Ort Anklam werde als "national befreite Zone" beansprucht. Ihren Dominanzanspruch manifestiere die Antragsgegnerin nicht nur durch Präsenz und ein nationales Begegnungszentrum, sondern auch durch ihr Handeln: So seien im Zusammenhang mit einer Kundgebung der Antragsgegnerin am 31. Juli 2010 von der Stadt aufgestellte Schilder mit dem Text "Kein Ort für Neonazis" über Nacht entfernt, rund zweihundert Plakate abgehängt, sechs Großaufsteller an den Zufahrtsstraßen zerstört und ein Transparent am Stadttor mit Farbbeuteln beworfen worden. In der Stadt habe sich niemand gefunden, der Anzeige erstattet hätte. Viele Geschäftsleute hätten zuvor Angst gehabt, die Plakate gegen Rechtsextremisten in ihre Schaufenster zu hängen.

182

(b) Ähnliche Dominanzansprüche erhebe die Antragsgegnerin für die Stadt Lübtheen und für deren näheren Umkreis, wobei sie diesen unter anderem durch Immobilienerwerb und den gezielten Zuzug mehrerer führender Funktionäre durchzusetzen suche. Zur Manifestation des Dominanzanspruchs zeige die Antragsgegnerin Präsenz bei örtlichen Veranstaltungen, auch wenn diese gegen Rechtsextremismus gerichtet seien. Im Stadtzentrum werde eine prominente Immobilie von der Antragsgegnerin genutzt, in der sie unter anderem ein Bürgerbüro sowie die Bundesgeschäftsstelle der JN eingerichtet habe. Zudem unternähmen Mitglieder und Anhänger der Antragsgegnerin umfangreiche Anstrengungen zur Verankerung der Partei in der Mitte der Gesellschaft, etwa durch die Beteiligung an der Gründung eines Sportvereins "Sportfreunde Griese Gegend e.V." und die Veranstaltung von Vorträgen und sogenannten Nervendruckseminaren.

183

Der Dominanzanspruch zeige sich gegenüber politischen Gegnern durch aggressive Einschüchterungsversuche. Dazu gehörten das Verfolgen und Fotografieren von Personen, Beschimpfungen und gezielte Kampagnen auf Flugblättern sowie unterschwellige Drohungen. Voll realisieren könne die Antragsgegnerin ihren Dominanzanspruch nicht - auch wegen umfangreicher Aktivitäten einer von der Bürgermeisterin initiierten Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus. Dennoch sei die Antragsgegnerin in Lübtheen nach Einschätzung der Bürgermeisterin "durch ständige Präsenz ein Stück Normalität" geworden. Dies führe zu Ängsten in der Bevölkerung, die demokratisches Handeln beeinträchtigten.

184

(3) Die Realisierung des Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin erfolge auch durch reale oder angekündigte physische Präsenz, die gegen Minderheiten und Andersdenkende gerichtet sei. Beispiele hierfür seien Aufrufe zur Bildung von Bürgerwehren sowie der "NPD-Ordnungsdienst":

185

(a) Der "Bürgerwehr"-Gedanke kombiniere mehrere Aspekte, die zur Einschüchterung von Minderheiten und Gegnern beitrügen: Die Antragsgegnerin gebe vor, die Interessen der Mehrheit des Volkes zu wahren und diese zu vertreten; gleichzeitig stelle sie bestimmte Minderheiten pauschal als Sicherheitsrisiko dar und unternehme konkrete Schritte, um diese einzuschüchtern. Darüber hinaus diffamiere die Antragsgegnerin den Staat, der angeblich seinem Schutzauftrag nicht nachkomme. Dies münde schließlich in die Forderung, die Ordnung des Grundgesetzes revolutionär zu überwinden.

186

In mehreren - vom Antragsteller im Einzelnen aufgeführten Fällen - hätten führende Vertreter der Antragsgegnerin, teilweise verbunden mit fremdenfeindlicher Agitation, zur Gründung von Bürgerwehren aufgerufen, bestehende Bürgerwehren unterstützt und als einschüchternd empfundene "Bürgerstreifen" und "Patrouillen" durchgeführt.

187

(b) Die Antragsgegnerin verfüge über einen "Ordnungsdienst", bei dem eine dominante physische Präsenz der Partei im öffentlichen Raum zusammentreffe mit einschüchterndem Vorgehen gegen politische Gegner. Der Ordnungsdienst werde mit mehreren Übergriffen auf Gegendemonstranten - etwa in Lingen und in Aschaffenburg im Jahr 2013 - in Verbindung gebracht.

188

(4) Die Jugendorganisation der Antragsgegnerin (JN) verbalisiere den territorialen Dominanzanspruch besonders provokativ und offensiv und verlasse dabei den Bereich des rein geistigen Meinungskampfes. Eine Demonstration 2014 in Erfurt habe unter der Losung gestanden "Hol dir deine Stadt zurück! In Erfurt sicher leben!" und sei mit der Forderung beworben worden, "Bandenbildung, Ausbreitung von Modedrogen und spürbare Überfremdung" zu bekämpfen. Der sächsische JN-Landesverband habe im Sommer 2014 unter dem Motto "Weg mit dem Drogendreck" eine auf Jugendliche zugeschnittene Kampagne mit einem "Platzhirsch" als Maskottchen durchgeführt. Dabei hätten die JN den Schulunterricht gestört und Propagandamaterial verteilt. Begleitend zu dieser Kampagne hätten sie eine Publikation mit einer Auflage von 10.000 Stück unter dem Titel "Platzhirsch - Der Schülersprecher"an Jugendliche verteilt und im Internet zum Download angeboten. Darin sei vor massiver Überfremdung durch Masseneinwanderung, dem besonders invasorischen Islam und einem falschen Schuldkomplex gewarnt worden.

189

bb) Über das allgemeine Dominanzstreben hinaus sei die Antragsgegnerin für konkrete Einschüchterungen von politischen Verantwortungsträgern verantwortlich: Das Spektrum der Aktivitäten reiche von persönlichen Bedrohungen politischer Gegner und Störungen von deren Aktivitäten bis hin zu tätlichen Angriffen. Dabei wolle die Antragsgegnerin durch im Privaten spürbaren physischen und vor allem psychischen Druck politische Gegner von der Ausübung öffentlicher Aktivitäten abhalten oder diese jedenfalls sanktionieren. Eine Liste solcher Einschüchterungsversuche durch die Antragsgegnerin und andere rechtsextremistische Gruppierungen habe die Psychologin Anette Hiemisch zusammengestellt.

190

(1) In der Bandbreite der Einschüchterungsmaßnahmen stellten Angriffe auf Wahlkreisbüros noch die "relativ schwächste" Form dar; auch lasse sich hier eine unmittelbare Täterschaft der Antragsgegnerin schlechter nachweisen als in anderen Beispielen. Jedoch sei belegbar, dass die Antragsgegnerin solche Anschläge gutheiße und dazu motiviere.

191

So sei 2010 auf der rechtsextremistischen Internetseite "mupinfo" ein Artikel unter der Überschrift "Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt" veröffentlicht worden, der Bezug auf vorausgegangene "Anschläge auf Bürgerbüros der SPD" genommen habe. Daran anknüpfend sei dazu aufgerufen worden, bei den örtlichen Bürgerbüros vorbeizuschauen und "brutalstmögliche Hilfestellung bei der Aufklärung der Fälle zu leisten". Abschließend habe der Artikel eine Auflistung sämtlicher Bürgerbüros der CDU-, FDP- und SPD-Fraktionen sowie der Partei DIE LINKE mit den Namen der Abgeordneten und den vollständigen Büroanschriften enthalten. Auffallend sei eine damit zeitlich zusammenfallende, enorme Häufung von Angriffen auf Wahlkreisbüros in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2010 und 2011. Regelmäßig sei über einen längeren Zeitraum auf "mupinfo" wohlwollend über Angriffe auf Bürgerbüros berichtet worden.

192

(2) Am 5. Dezember 2010 habe sich eine Gruppe von zwölf Aktivisten um den Landtagsabgeordneten David Petereit vor dem Haus des ehrenamtlichen Bürgermeisters von Lalendorf (Mecklenburg-Vorpommern) versammelt, nachdem sich dieser geweigert gehabt habe, einer rechtsextremistischen Familie die Patenurkunde des Bundespräsidenten zur Geburt des siebten Kindes zu überreichen. Mehrere Beteiligte hätten das Grundstück ohne Einverständnis des Hausrechtsinhabers betreten. Die Rechtsextremisten hätten Flugblätter mit dem Inhalt verteilt, dass der Bürgermeister mit einem "Stalinorden für Demokratieerhalt" durch das "Ministerium für Gemeindesicherheit Lalendorf" zu belohnen sei. Fünf der in Lalendorf beteiligten Rechtsextremisten, darunter das frühere NPD-Kreistagsmitglied S., hätten wegen Verdachts des Hausfriedensbruchs vor Gericht gestanden. Die Ehefrau des Lalendorfer Bürgermeisters habe sich während und nach der Aktion erheblich bedroht gefühlt.

193

(3) Die Bedrängung und Einschüchterung von Lokalpolitikern sowie die Behinderung ihrer Aktivitäten seien sowohl erklärtes Ziel als auch tatsächlicher Inhalt der Kampagne "Den Feind erkennen - den Feind benennen", die der NPD-Kreisverband Berlin-Pankow am 21. Januar 2015 ausgerufen habe. Erstes konkretes Ziel dieser Kampagne sei der Pankower Bezirksbürgermeister K. gewesen. Parallel zu einer seiner Sprechstunden hätten zunächst circa zehn Rechtsextremisten eine vom Pankower NPD-Kreisvorsitzenden S. angemeldete Kundgebung durchgeführt, bevor sich zwei Teilnehmer Zugang zur Sprechstunde verschafft hätten. Die eigene Darstellung der Ereignisse durch den Kreisverband Berlin-Pankow dokumentiere die Einschüchterung des Bürgermeisters.

194

(4) In Schneeberg (Sachsen) seien am 12. Oktober 2013 nach einer Kundgebung gegen die geplante Unterbringung von Asylbewerbern, auf der der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin H. (Erzgebirgskreis) gesprochen habe, 30 bis 50 Veranstaltungsteilnehmer vor das Privathaus des damaligen Bürgermeisters gezogen. Dieser habe die Situation als unangenehm und bedrohlich empfunden. Auch die zu dieser Zeit anwesenden Nachbarn seien entsetzt und verängstigt gewesen.

195

(5) In Schöneiche bei Berlin (Brandenburg) hätten Anhänger der Antragsgegnerin in den Jahren 2007 bis 2009 das Sukkot-Fest, das Chanukka-Fest und wiederum das Sukkot-Fest in der Kulturgießerei von Schöneiche gestört. Dabei sei unter anderem sinngemäß der Ausspruch getätigt worden: "Da sitzen also alle, die beim Vergasen vergessen wurden."

196

Wenige Tage nach der letzten Störung sei es zu einer Bedrohung des Bürgermeisters J. durch drei vermummte Personen auf seinem privaten Grundstück gekommen, die gegen 23:40 Uhr bei ihm zu Hause geklingelt und ihn unter anderem mit den Worten beschimpft hätten: "Da ist ja der Volksfeind!" und "Dir werden wir es zeigen!".

197

Beim Heimatfest von Schöneiche am 14. Juni 2009 seien schließlich zwei Männer aus einer Gruppe um den Ortsverbandsvorsitzenden der Antragsgegnerin S. bedrohlich gegenüber dem Bürgermeister aufgetreten und hätten aggressiv auf diesen eingeredet. Erst eine Polizeistreife habe die Situation beendet und die Personen zur Wache mitgenommen.

198

(6) Im Landtagswahlkampf 2009 habe die Antragsgegnerin eine rassistische und bedrohlich wirkende Kampagne gegen S., einen in der CDU engagierten Lokalpolitiker in Thüringen, geführt, der auf einem Wahlplakat der CDU zu sehen gewesen sei. Er sei wegen seiner Hautfarbe und seiner Herkunft aus Angola als "CDU-Quotenneger" bezeichnet worden und verbalen Angriffen der Antragsgegnerin ausgesetzt gewesen, die den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt hätten. In einem Internetbeitrag der NPD Thüringen sei angekündigt worden, S. persönlich aufsuchen und dazu animieren zu wollen, in seiner Heimat Angola mit den hier eingezahlten Sozialversicherungsbeiträgen ein neues Leben zu beginnen.

199

(7) Eine fortlaufende Bedrohungslage habe sich seit 2013 für eine Stadtvertreterin und gleichzeitiges Kreistagsmitglied der Partei DIE LINKE in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) entwickelt, die Leiterin einer soziokulturellen Begegnungsstätte sei und sich engagiert gegen Rechtsextremismus einsetze.

200

Aussagekräftig für die Einschüchterungstaktik sei ein Vorfall, bei dem sie mit Reportern des Magazins "Stern" in einem Lokal in Güstrow gesprochen und der Funktionär der Antragsgegnerin M. sie von außen entdeckt habe. Nachdem sie M. und dessen - offenbar herbeigerufene - Gruppe weggeschickt hatte, habe ihre 15-jährige Tochter angerufen und von Nazis vor dem Haus der Familie berichtet. Als die Polizei gekommen sei, sei die Tür zu dem Mehrfamilienhaus aufgebrochen gewesen, die Täter seien geflüchtet und auf den Briefkästen hätten Nazi-Aufkleber geklebt. Weiterhin berichte die Stadtvertreterin von regelmäßigen Sachbeschädigungen, Drohbriefen, persönlichen Ansprachen, Verleumdungskampagnen und Verfolgung - vor allem auch im Internet - sowie Präsenz von Rechtsextremisten vor ihrer Wohnung. Auf der rechtsextremistischen Internetseite "Der Staatsstreich" werde sie als "Güstrower Asyl-Mutti" bezeichnet. Auch auf der Facebook-Seite der rechtsextremistischen Initiative "Güstrow wehrt sich gegen Asylmissbrauch" sei herablassend über sie berichtet worden. Die örtliche Polizei habe aufgrund der Bedrohungslage eine Schutzmaßnahme angeordnet.

201

(8) Neben Drohungen gehöre auch Gewalt gegen politische Gegner zu den Mitteln der Antragsgegnerin: Am 3. Mai 2012 sei G., der dem NPD-Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern angehört habe und als Geschäftsführer der NPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sei, vom Landgericht Rostock wegen Landfriedensbruchs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten mit Bewährung verurteilt worden. G. habe in Pölchow Personen, die in einem Zug auf dem Weg zu einer Gegendemonstration gegen eine Veranstaltung der Antragsgegnerin in Rostock gewesen seien, aber auch Unbeteiligte angegriffen.

202

(9) Die persönlichen Aktionen gegen politische Gegner umfassten schließlich auch Angriffe auf Menschen mit anderer politischer Gesinnung, ohne dass diese dazu konkreten Anlass gegeben hätten:

203

In der Nacht zum 15. August 2013 hätten Bewohner eines alternativen Wohnprojekts in Greifswald über Notruf gemeldet, eine Gruppe von fünfzehn bis zwanzig schwarz gekleideten und vermummten Personen stehe - mit Stöcken bewaffnet - vor der Eingangstür und rufe "Kommt raus, kommt raus!". Zwei Scheiben der Tür seien zerstört worden, danach habe sich die Gruppe mit Fahrzeugen in unbekannte Richtungen entfernt. Zu den Tätern habe unter anderem der damalige Usedomer Stadtvertreter der Antragsgegnerin O. gehört, den das Amtsgericht Greifswald aufgrund dieses Vorfalls wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit versuchter Nötigung verurteilt habe.

204

(10) Teil der Strategie der Antragsgegnerin sei es schließlich, durch offensiv-aggressives Auftreten, Störungen oder sogar tätliche Angriffe bei Veranstaltungen des politischen Gegners mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Dabei werde auch die Begehung von Straftaten in Kauf genommen.

205

Beispiel für ein solches Vorgehen sei ein Angriff von JN-Funktionären auf eine DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar. Dort hätten rund vierzig Rechtsextremisten - darunter etliche Aktivisten der sächsischen JN - zunächst versucht, die Veranstaltung mittels einer provokativen "Wortergreifung" agitatorisch zu vereinnahmen. Sodann hätten sich die Rechtsextremisten rasch und gezielt auf das Rednerpult zubewegt und dem Redner, dem Bundestagabgeordneten Carsten Schneider (SPD), das Mikrofon entrissen. Einem weiteren Politiker solle ein Holzstiel in den Magen gestoßen und mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden sein. Eintreffende Polizeibeamte hätten 27 Störer vorläufig festgenommen, darunter die JN-Funktionäre G., H. und R. Der Bundespressesprecher der Antragsgegnerin Klaus Beier. habe den Vorfall in Weimar banalisiert und ihn als "legitime Protestaktion gegen den globalen Kapitalismus" dargestellt. Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter habe unter der Überschrift "Solidarität ist eine Waffe!" klargestellt, "geschlossen hinter den JN-Aktivisten" zu stehen, "welche in Weimar für ihr Recht auf die Straße gegangen sind".

206

(11) Bei einer Informationsveranstaltung über die anstehende Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach nahe Aschaffenburg am 6. Juli 2015 sei es zu massiven Störungen durch die örtliche NPD gekommen. Die NPD-Vertreter hätten von Beginn an mit Zwischenrufen, dem Entrollen eines Banners mit der Aufschrift "Schluß mit der 'Flüchtlings‛-Lüge. Goldbach sagt Nein!" und dem Werfen von Flyern mit dem Slogan "Asylbetrug macht uns arm!" gestört. Als die übrigen Versammlungsteilnehmer die Aktivisten der Antragsgegnerin zum Verlassen des Saals hätten bewegen wollen, habe der Vorsitzende des Kreisverbands Aschaffenburg der Antragsgegnerin S. einen ihn hinausdrängenden Teilnehmer unvermittelt mit der Faust ins Gesicht geschlagen.

207

(12) Am 5. März 2015 habe der ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz sein Amt mit der Begründung aufgegeben, ein genehmigter Demonstrationszug zu seinem Privathaus sei als Bedrohung für seine von behördlicher Seite nicht ausreichend geschützte Familie zu sehen.

208

Der Antragsgegnerin sei es zuvor in Tröglitz gelungen, den sich seit Anfang 2015 formierenden Widerstand gegen die Unterbringung von Asylbewerbern zu forcieren. Im Zeitraum vom 4. Januar bis 15. März 2015 hätten wöchentlich Kundgebungen gegen die geplante Asylbewerberunterkunft mit 70 bis 200 Teilnehmern stattgefunden, die jeweils durch den Funktionär der Antragsgegnerin T. angemeldet worden seien. Unter den Anwesenden hätten sich bei diesen sogenannten "Abendspaziergängen" auch Angehörige der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene befunden.

209

Der Rücktritt des Ortsbürgermeisters sei von der Antragsgegnerin in Sachsen-Anhalt zunächst uneingeschränkt als Erfolg bewertet worden. In den darauf folgenden öffentlichen Stellungnahmen habe die Antragsgegnerin den Rücktritt zusehends vorsichtiger kommentiert. Der Bundesvorsitzende Franz habe in Bezug auf die Medienschlagzeile "NPD jagt CDU-Bürgermeister aus dem Amt - weil er sich für Flüchtlinge engagierte" geäußert: "Die Presse verdreht zwar die Tatsachen total, aber solche Titel könnte es öfter geben."

210

cc) Einschüchterungen und Drohungen durch die Antragsgegnerin erfolgten auch gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten. Die bedrohlichen Aktivitäten der Antragsgegnerin richteten sich zum einen gegen ethnische Minderheiten - insbesondere gegen Asylbewerber. Zum anderen führe die Ethnisierung religiöser Fragen dazu, dass die Antragsgegnerin einzelnen Glaubensgemeinschaften in toto eine Existenzberechtigung in Deutschland abspreche.

211

(1) Dass die Vertreter der Antragsgegnerin ihre Drohungen auch unmittelbar gegenüber Einzelpersonen aussprächen, belege ein ZDF-Interview des späteren stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk, in dem dieser der in Deutschland geborenen Moderatorin, einer deutschen Staatsangehörigen, aufgrund ihrer ethnischen Herkunft das Bleiberecht in Deutschland abgesprochen habe. Gleiches gelte für das Verhalten des Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin G., der eine aus Kenia stammende Frau als "Nigger", "Negerschlampe" und "Unrat" bezeichnet habe und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden sei.

212

(2) Ihren Antisemitismus bringe die Antragsgegnerin teilweise subtiler zum Ausdruck als ihren Hass gegenüber anderen Minderheiten. Dieser münde aber ebenfalls in konkrete Aktionen, die einschüchternd oder bedrohend wirkten. Neben den Vorgängen in Schöneiche und provokanten Aktionen vor jüdischen Einrichtungen könnten beispielhaft Vorfälle in Mecklenburg-Vorpommern genannt werden, die von Anhängern der Antragsgegnerin begangen beziehungsweise von dieser gutgeheißen worden seien: In Demmin hätten am 19. August 2010 vier Personen die Stelle besprüht, an der in der darauf folgenden Woche "Stolpersteine" zur Erinnerung an die hier einst wohnenden jüdischen Mitbürger hätten verlegt werden sollen. An eine Gebäudewand seien in roter Farbe ein Judenstern und die Worte "Hess statt Davidsstern und jedem das seine" gesprüht worden. Fünf Personen seien vorläufig festgenommen, die Tatmittel und Plakate sichergestellt worden. Ein Tatverdächtiger habe in seiner Vernehmung angegeben, seit 2006 Mitglied der Antragsgegnerin zu sein. Bei den Durchsuchungen seien unter anderem die NPD-Schulhof-CD von 2006 sowie verschiedene NPD-Flugblätter und das Mitteilungsblatt der NPD-Landtagsfraktion "Der Ordnungsruf" aufgefunden worden.

213

Am 20. August 2010 hätten unbekannte Täter in der Innenstadt von Ueckermünde vier "Stolpersteine" mit schwarzer Farbe beschmiert, weiterhin seien circa 100 Plakate mit dem Inhalt geklebt worden: "Rudolf Hess - Im Alter von 93 Jahren in Berlin ermordet. Trotz § 130 Mord bleibt Mord! freies-pommern.de - Pommern im Herzen - Deutschland im Sinn!".

214

Die JN hätten den Gaza-Krieg im Sommer 2014 zum Vorwand genommen, um im Stil des nationalsozialistischen "Judenboykotts" auf Facebook einen Boykottaufruf für israelische Waren zu veröffentlichen.

215

(3) Die Antragsgegnerin fordere den vollständigen Rückzug des Islam beziehungsweise hier lebender Muslime aus Europa. Exklusion und Aufrufe zu entsprechendem Tätigwerden fänden sich bundesweit bei sämtlichen Parteigliederungen. In besonders aggressiver Weise werde auf der Facebook-Seite des bayerischen Landesverbands zur Bekämpfung des Islam aufgerufen, auf der von einem "Kampf für euer Leben" und einem "neuen Kreuzzug" die Rede sei.

216

Kampfaufrufe blieben nicht auf der rhetorischen Ebene, sondern mündeten in konkrete Aktionen. Beispielhaft sei ein Aufruf zu einer Demonstration am 17. August 2013 unter dem Motto "Maria statt Scharia! Islamisierung und Überfremdung stoppen" gegen die Moschee in Leipzig-Gohlis zu nennen. Die Demonstration habe vor der Moschee stattgefunden, so dass die unmittelbare physische Präsenz für die Betroffenen wahrnehmbar gewesen sei. Ähnlich aggressiv sei eine Aktion von Mitgliedern der Antragsgegnerin und der JN am 20. August 2014 auf dem Baugrundstück der Moschee in Leipzig im Rahmen einer nicht angemeldeten öffentlichen Versammlung gewesen.

217

(4) In den Jahren 2013 und 2014 habe die Antragsgegnerin bei Wahlkämpfen auf Europa-, Bundes- und Landesebene ein Plakat mit dem antiziganistischen Motto "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma" eingesetzt. Für das Parteiverbotsverfahren bedeutsam seien nicht die Strafbarkeit der Aussage, sondern die Ängste, die nach Auskunft des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma solche diffamierenden Äußerungen durch die Antragsgegnerin bei Sinti- und Roma-Familien hervorriefen.

218

dd) Durch die dargestellten Einschüchterungen, Bedrohungen und Angriffe entstünden Ängste und Hemmungen, sich öffentlich gegen Rechtsextremismus zu engagieren. Die dauerhafte kommunale Präsenz und das "Kümmerer-Image" der Antragsgegnerin bewirkten eine gesteigerte Akzeptanz rechtsextremistischer, demokratiefeindlicher Ansichten in der Gesellschaft und die Furcht vor einer sozialen Stigmatisierung als "Nestbeschmutzer" im Falle kritischer Auseinandersetzung mit diesen Ansichten. Diejenigen, die sich dennoch politisch engagierten, müssten nicht selten negative Folgen in ihrem Privatbereich in Kauf nehmen. Dies führe in Einzelfällen sogar zur Beendigung des politischen und sozialen Engagements.

219

(1) Strategie und Aktivitäten der Antragsgegnerin führten dazu, dass die gesellschaftliche Präsenz verfassungsfeindlicher rechtsextremistischer Ansichten in einigen Gegenden Ostdeutschlands als Normalität angesehen werde.

220

Insbesondere dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern gelinge "seit Jahren eine bürgerliche Verankerung in weiten Räumen des Landes". Die Antragsgegnerin habe sich dort "im vorpolitischen Raum festgebissen". Sozialwissenschaftliche Mikrostudien hätten dies für einzelne Regionen belegt. Die örtliche Verankerung der Antragsgegnerin in der Gesellschaft zeigten auch Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014. Trotz eines landesweiten Rückgangs im Vergleich zu 2011 habe die Antragsgegnerin - bezogen auf die Kreistagswahlen - in mehreren Gegenden erneut hohe, teilweise zweistellige Wahlergebnisse erreicht. Gleiches gelte für die Sächsische Schweiz.

221

(2) Die Akzeptanz der Antragsgegnerin in der Mitte der Gesellschaft verbinde sich insbesondere in ländlichen Gebieten mit den "Früchten" des "Kümmerer-Images" und erzeuge so bei Bürgern Hemmungen, sich gegen Rechtsextremismus zu positionieren. In der Gemeinde Bargischow sei ein Kandidat im Kommunalwahlkampf 2009 gegen Rechtsextremismus eingetreten, woraufhin er Schmähschriften erhalten, aber keine Solidarisierung erfahren habe.

222

(3) Noch gravierender seien Beeinträchtigungen demokratischer Prozesse durch die Furcht vor Gewalt, Drohungen oder sonstigen Nachteilen, die beispielhaft für Regionen in Mecklenburg-Vorpommern belegt werden könnten. Weite Teile der Gesellschaft seien durch die Aktivitäten der Antragsgegnerin und anderer rechtsextremistischer Gruppierungen eingeschüchtert. Solche Ängste bezögen sich zumindest auch auf das Handeln der Antragsgegnerin. Ihre Aktivitäten trügen jedenfalls entscheidend dazu bei, das beschriebene Klima hervorzurufen.

223

(4) Wenn politisches oder soziales Handeln Bedrohungsgefühle sowie Ängste um die eigene Sicherheit zur Folge habe, sei dies schon für sich eine Beeinträchtigung des demokratischen Prozesses und damit eine Gefahr für die Demokratie. Denn Demokratie sei nicht erst dann beeinträchtigt, wenn demokratische Akteure vollkommen davon absähen, ihre Rechte wahrzunehmen. Es genüge bereits, wenn Engagierten durch ihre politische Tätigkeit Nachteile für ihre Lebensführung durch Mittel drohten, die nicht zum geistigen Meinungskampf gehörten und diesem fremd seien. Solche Einflüsse schädigten den in einer Demokratie notwendigen freien Diskurs.

224

Die sozialen Mechanismen wirkten in besonderem Maße zulasten von ethnischen und religiösen Minderheiten. Für diese werde ein Klima der Angst ausgelöst durch das Zusammenwirken der aggressiven Rhetorik mit der gesellschaftlichen Akzeptanz der Antragsgegnerin in Teilen Ostdeutschlands und mit der durch Erfahrung begründeten Kenntnis innerhalb dieser Minderheiten, dass die Antragsgegnerin sowohl selbst zu aggressiven Aktionen, Bedrohungen und sogar Angriffen bereit sei, als auch über ein Netzwerk verfüge, zu dem gewaltbereite Personen gehörten. Konkrete Ängste würden von den Betroffenen selbst bestätigt. Diese Ängste seien der Antragsgegnerin zuzurechnen.

225

2. Hinsichtlich der im Berichterstatterschreiben vom 19. März 2015 angesprochenen Frage aggressiven Vorgehens gegen Asylbewerber und Flüchtlinge hat der Antragsteller ausgeführt, dass dieses seit Mitte 2013 sowohl inhaltlich als auch quantitativ ein Schwerpunkt der Tätigkeiten der Antragsgegnerin gewesen sei.

226

a) Das Maß an Aggressivität der Antragsgegnerin gegen Asylbewerber lasse sich allerdings schwerlich in Zahlen fassen. Es erschließe sich vollständig nur bei Betrachtung der menschenverachtenden Ideologie und der darauf basierenden diffamierenden und hetzerischen Rhetorik, die bestimmten Personen die Menschenwürde abspreche. Auch lasse sich die Aggressivität nicht alleine an der Anzahl der Demonstrationen erkennen, weil diese nur einen Ausschnitt der Agitation gegen Asylbewerber darstellten. Hinzu kämen neben parteiinternen Veranstaltungen auch in die Öffentlichkeit wirkende Agitationsformen, wie etwa "Kontrollbesuche" von Asylunterkünften.

227

Seit 2013 ließen sich konstant hohe Zahlen von Demonstrationsveranstaltungen nachweisen, die auf das Thema Asyl Bezug nähmen und von der Antragsgegnerin angemeldet worden seien. Allein im Jahr 2014 habe bei fast der Hälfte der bundesweit von der Antragsgegnerin angemeldeten 123 Kundgebungen und Demonstrationen der thematische Schwerpunkt im Bereich "Asyl" gelegen. Nicht berücksichtigt sei dabei eine Vielzahl von Kundgebungen mit einer Teilnehmerzahl von weniger als 20 Personen.

228

Die von der Antragsgegnerin organisierten Demonstrationen reichten thematisch von der schlichten Ablehnung von Asylbewerberunterkünften bis zu Warnungen vor einer vermeintlichen völkischen und kulturellen Überfremdung durch Asylbewerber, welche den Fortbestand des deutschen Volkes und seiner Kultur bedrohe. Bereits in vielen Veranstaltungseinladungen komme die diffamierende Haltung der Antragsgegnerin gegenüber Flüchtlingen zum Ausdruck, die pauschal als "Scheinasylanten" und "Wirtschaftsflüchtlinge" verunglimpft würden. Oftmals knüpften die Veranstaltungen auch an angeblich steigende Kriminalitätsraten - insbesondere im Bereich der Gewalt- und Drogendelikte - im Umfeld von Asylunterkünften an.

229

b) Die Agitation gegen Asylbewerber habe für die Antragsgegnerin zwei Funktionen: Zum einen wolle sie auf diese Weise Schritte zur Verwirklichung der rassistisch definierten "Volksgemeinschaft" gehen. Zum anderen wolle sie an angebliche oder tatsächlich vorhandene Alltagssorgen anknüpfen und sich dadurch in der gesellschaftlichen Mitte etablieren. Die Antragsgegnerin versuche vorsichtig, aber zugleich zielstrebig, bürgerliche Proteste mit ihrem rassistischen Denken zu infiltrieren. Innerhalb der Partei und gegenüber eigenen Anhängern würden hingegen die eigentliche Motivation, das wahre Ziel (die rassistisch definierte "Volksgemeinschaft") und der Wille, dieses revolutionär zu verwirklichen, deutlich artikuliert.

230

Der exkludierende Inhalt, die große Anzahl der Veranstaltungen und die Aggressivität der Veranstaltungsformen führten bei den betroffenen Asylbewerbern zwangsläufig zu einem Gefühl des Bedrohtseins. Dies sei von der Antragsgegnerin auch bezweckt, da sie ein gesellschaftliches Klima herstellen wolle, in dem ethnischen Minderheiten ihre demokratischen Rechte abgesprochen würden. Seit Beginn der aggressiven Aktivitäten gegen Asylbewerber habe sich die Anzahl der Übergriffe gegen Asylbewerberunterkünfte vervielfacht.

231

c) Obwohl sich die Antragsgegnerin in der Öffentlichkeit eine strategische Zurückhaltung auferlegt habe, kämen die ideologische Motivation und die Ziele der Agitation gegen Asylbewerber in einer Vielzahl von (überwiegend an eigene Anhänger gerichteten) Äußerungen zum Ausdruck.

232

aa) Die rassistisch motivierte Fremdenfeindlichkeit zeige sich, wenn in Bezug auf Asylbewerber Begriffe wie "entartete Menschen", "Negerbande", "lautstarke und alkoholisierte Asyl-Neger", "Scheinasylanten", "Asyl-Betrüger", "Moslem-Extremisten" oder "kriminelle Ausländer"verwendet würden. Die rassistische, ehrverletzende und menschenverachtende Ideologie drücke die Antragsgegnerin auch auf Facebook-Profilen ihrer jeweiligen Organisationseinheiten aus. So habe die bayerische NPD in einem Facebook-Eintrag vom 10. Mai 2015 deutsche Frauen vor einer Beziehung mit farbigen Migranten gewarnt und dabei an nationalsozialistische Terminologien angeknüpft. Auch habe sie pauschal behauptet, von Flüchtlingen gehe ein Gesundheitsrisiko für Deutsche aus.

233

bb) Die Antragsgegnerin mache auch deutlich, welches politische Ziel aus dieser menschenverachtenden Ideologie resultiere: die Exklusion ethnischer Minderheiten, die gegebenenfalls auch zwangsweise durch Gewalt umgesetzt werden solle. Dies reiche bis zu einer Gutheißung der Tötung von Flüchtlingen. Dabei überschneide sich die Agitation gegen Asylbewerber und Muslime häufig.

234

Ziel der Antragsgegnerin sei es, Asylbewerbern ihre angeblich fehlende Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" deutlich zu machen und sie dadurch einzuschüchtern. So rufe etwa die NPD Bayern dazu auf, den pauschal als "Sozialschmarotzer"verunglimpften Asylbewerbern eindringlich zu verdeutlichen, in Deutschland nicht willkommen zu sein. Zudem solle Druck auf Politiker ausgeübt werden: So habe der Kreisverband Unna/Hamm in einem Facebook-Eintrag nicht nur jede Verpflichtung Deutschlands zur Aufnahme von Flüchtlingen drastisch zurückgewiesen, sondern politischen Verantwortungsträgern, die sich in diesem Sinne engagierten, nach einem Machtwechsel drastische Strafen angedroht.

235

d) Das aggressive Vorgehen der Antragsgegnerin zeige sich anhand beispielhafter Aktivitäten in Sachsen:

236

aa) Eine Demonstration der Antragsgegnerin in Dresden am 24. Juli 2015 unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße" habe sich gegen ein vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) und Technischen Hilfswerk (THW) aufgebautes Zeltlager in einem Dresdner Gewerbegebiet gerichtet. Die Antragsgegnerin habe aufgrund ihrer regional starken Stellung und guter Organisation 200 Anhänger mobilisieren können. Die Veranstaltung habe nicht nur den örtlichen Protest gegen Migranten erheblich angefacht, sondern auch eine Atmosphäre der Bedrohung bis hin zur Anwendung von Gewalt gefördert: So sei es im Nachgang zur Demonstration zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, in deren Folge drei Gegendemonstranten verletzt worden seien. Nach Polizeiangaben seien die Gewalttaten von Teilnehmern der Kundgebung ausgegangen.

237

Die Auseinandersetzungen um die Zeltunterkunft in Dresden-Friedrichstadt hätten sich in den Folgetagen fortgesetzt und zu einer Attacke von rund 20 Rechtsextremisten auf 15 Asylbefürworter geführt. Beim Aufbau der Zeltstadt sei es zudem zu Angriffen auf Mitarbeiter des DRK durch Asylgegner gekommen.

238

bb) In Schneeberg habe der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin eine Protestbewegung gegen die Einrichtung einer Asylbewerberunterkunft initiiert, die in der Folgezeit eine beträchtliche, weit über das rechtsextremistische Spektrum hinausreichende Resonanz gefunden habe. Unter dem Label "Schneeberg wehrt sich" habe er Anhänger gesammelt und von Oktober 2013 bis Januar 2014 vier sogenannte "Lichtelläufe" in Form von Fackelumzügen organisiert. Durch die Vermeidung eines offenen Parteibezugs und den volkstümlichen Anstrich der Veranstaltung sei ein hoher Mobilisierungserfolg erzielt worden. An den Veranstaltungen hätten sich bis zu 1.800 Personen beteiligt. Bereits vor dem ersten "Lichtellauf" sei es im Nachgang einer Kundgebung zu dem beschriebenen Vorfall gegenüber dem dortigen Bürgermeister gekommen.

239

cc) In Leipzig hätten sich 2013 die fremdenfeindlichen Proteste der Antragsgegnerin auf die Agitation gegen einen Moscheeneubau im Stadtteil Gohlis und gegen die Einrichtung einer Asylunterkunft im Stadtteil Schönefeld konzentriert. Den Protest gegen diese Asylunterkunft habe die Antragsgegnerin zu instrumentalisieren und organisatorisch an sich zu ziehen versucht.

240

In den Orten Rötha und Borna ließen sich ebenfalls starke NPD-Bezüge von zwei Bürgerinitiativen nachweisen, die gegen die Aufnahme von Asylbewerbern gerichtet seien. An der Demonstration der Bürgerinitiative "Rötha wehrt sich" am 14. November 2013 hätten Funktionäre der Antragsgegnerin nicht nur teilgenommen, sondern seien auch als Redner aufgetreten.

241

dd) In Bautzen habe die Nutzung des dortigen Spreehotels als Flüchtlingsheim im Fokus der Anti-Asyl-Agitation der Antragsgegnerin gestanden. Dabei sei deutlich geworden, dass die Antragsgegnerin versuche, von ihr organisierte Proteste zur Einschüchterung von politischen Akteuren und Privatpersonen zu nutzen. Die Einrichtung sei durch eine Delegation besucht, mehrere Mahnwachen vor der Unterkunft durchgeführt und aggressiv wirkende Aufmärsche organisiert worden, für die bis zu 700 Teilnehmer hätten mobilisiert werden können.

242

ee) (1) Im Raum Sächsische Schweiz wende die Antragsgegnerin die von der Parteiführung geforderte taktisch-strategische Variabilität in besonderem Maße an. Sie habe seit Ende 2014/Anfang 2015 in mehreren Städten des Landkreises Demonstrationen gegen Asylbewerberunterkünfte organisiert. Dabei sei sie offen als NPD in Erscheinung getreten, habe als "Initiative Nein zum Heim" agiert oder mit einer weiteren Initiative namens "Demokratischer Aufbruch Sächsische Schweiz" (DASS) kooperiert. Angehörige der Antragsgegnerin seien als Anmelder und Redner bei eigenen und von Dritten organisierten Demonstrationen aufgetreten.

243

(2) Am 21. August 2015 sei es in Heidenau zu Vorfällen gekommen, die für die Inkaufnahme von Gewalt, Einschüchterungen von Minderheiten sowie für die Nutzung von im politischen Diskurs unzulässigen Mitteln beispielhaft seien. Der Stadtrat der Antragsgegnerin R. habe gegen Pläne, einen leerstehenden Baumarkt als Asylunterkunft zu nutzen, Kundgebungen organisiert. Zu einer zentralen Protestveranstaltung am 21. August 2015 seien rund 1.100 Teilnehmer erschienen, die teilweise dem rechtsextremen Spektrum zuzurechnen gewesen seien. Der Demonstrationszug sei auch am Wohnhaus des Bürgermeisters vorbeigezogen, wo eine Zwischenkundgebung stattgefunden habe und dieser als "Volksverräter" beschimpft worden sei. Innerhalb des von R.geleiteten Aufzugs seien schließlich Zettel mit der Information verteilt worden, sich eine halbe Stunde nach Versammlungsende in Kleingruppen in Richtung Erstaufnahmeeinrichtung zu begeben, um eine Blockade durchzuführen.

244

Tatsächlich seien nach Ende des Aufzugs bereits rund 600 Demonstrationsteilnehmer in die Nähe des ehemaligen Baumarkts gelangt, wobei 30 Personen versucht hätten, die Durchfahrt zur Asylbewerberunterkunft zu blockieren. Im weiteren Verlauf sei es zu Angriffen auf Polizeieinsatzkräfte durch das Werfen von Steinen, Pyrotechnik und Flaschen gekommen. Infolgedessen seien insgesamt 31 Polizeibeamte verletzt worden, darunter einer schwer. Die Busse, die die Asylbewerber zur Unterkunft bringen sollten, hätten aufgrund der Sicherheitslage teilweise zu anderen Erstaufnahmeeinrichtungen umgeleitet werden müssen. Auch am Folgetag beziehungsweise in der Folgenacht sei es zu gewaltsamen Protesten von Rechtsextremisten gegen die Asylunterkunft und Angriffen auf die Polizei gekommen.

245

e) In Mecklenburg-Vorpommern dominiere der Landesverband der Antragsgegnerin das gegen Asylbewerber gerichtete rechtsextremistische Veranstaltungsgeschehen.

246

aa) In Güstrow hätten bei Demonstrationen, Fackelmärschen und Mahnwachen bekannte Funktionäre, Mitglieder und Anhänger der Antragsgegnerin entweder als Organisatoren oder als Teilnehmer mitgewirkt. Eine Demonstration am 23. März 2013 gegen eine geplante Asylunterkunft habe unter dem Motto "Einmal Deutschland und zurück - Schluß mit der volksfeindlichen Willkommenskultur" gestanden. Die Teilnehmerzahl habe bei 250 bis 300 Teilnehmern gelegen. Bei der Kundgebung seien Transparente mit fremdenfeindlichen Aufschriften mitgeführt worden und Sprechchöre wie "Wir wollen keine Asylantenheime", "Deutschland den Deutschen, Asylbetrüger raus" und "Kriminelle Ausländer raus - und der Rest - auch!" zu hören gewesen. Die Aktivitäten seien 2014 und 2015 fortgeführt worden und hätten zudem zur Gründung einer "Bürgerwehr" geführt.

247

bb) Unter dem Motto "Touristen willkommen - Asylbetrüger raus" habe der Landesverband ab dem 22. Juli 2013 eine "Infotour durch Mecklenburg und Pommern" durchgeführt. Ziel sei gewesen, Orte zu besuchen, an denen beabsichtigt sei, "Asylschnorrer" direkt in Wohngebieten unterzubringen.

248

cc) Kundgebungstouren der Landtagsfraktion 2014 und 2015 hätten unter anderem das Motto "Ausländer kosten uns Millionen - Recht auf Asyl abschaffen" und "Konsequent für deutsche Interessen" gehabt. Sie hätten gezielt regionale Proteste gegen geplante oder bereits vorhandene Asylbewerber- oder Flüchtlingsheime aufgreifen oder initiieren sollen, um diese anschließend in die eigene Richtung zu lenken.

249

dd) Zusätzlich zur Organisation von Demonstrationen habe der Landesverband durch Publikationen auf die Schaffung einer asylbewerberfeindlichen Stimmung abgezielt. So habe der NPD-nahe "Uecker-Randow Bote" auf seiner Facebook-Seite regelmäßig Meldungen über angeblich "besorgniserregende Zustände" rund um Asylunterkünfte veröffentlicht. Darüber hinaus seien stetig Lichtbilder von ankommenden Bussen mit weiteren als "Fremdländer", "Bittsteller" oder "Steuergeldverschwender" bezeichneten Personen veröffentlicht worden, die die ansässigen deutschen Familien verdrängten. Verknüpft worden seien diese Bilder mit der Botschaft, sich gegen die Zustände zu wehren und "zu rebellieren".

250

f) Das persönliche Aufsuchen von Flüchtlingsunterkünften durch Funktionäre der Antragsgegnerin sei eine besonders aggressive Form der Umsetzung der ideologischen und strategischen Postulate der Antragsgegnerin. Es ziele darauf ab, den Dominanzanspruch der Antragsgegnerin zum Ausdruck zu bringen, indem sie in den Privatbereich der Asylbewerber eindringe.

251

g) Das Verhältnis der Antragsgegnerin zur "GIDA-Bewegung" ("gegen die Islamisierung des Abendlandes"), die seit Herbst 2014 Veranstaltungen zur Asyl- und Einwanderungspolitik mit zeitweilig hohen Teilnehmerzahlen organisiere, sowie ihre Rolle bei deren Demonstrationen ließen sich nicht pauschal charakterisieren.

252

aa) Als Partei sei es der Antragsgegnerin verwehrt gewesen, an Veranstaltungen der sich als "überparteilich" bezeichnenden PEGIDA-Bewegung teilzunehmen, doch habe eine Reihe von Führungspersonen der Antragsgegnerin regelmäßig Präsenz bei deren Kundgebungen gezeigt und darüber ausführlich in den sozialen Netzwerken berichtet. Zugleich sei die Antragsgegnerin bestrebt, die Möglichkeiten auszuloten, Berührungsängste durch ein seriöses Auftreten geduldig abzubauen und die Einflussnahme der jeweiligen Konstellation vor Ort anzupassen. Sie sehe sich als Teil derselben "patriotischen Sammlungsbewegung" und habe deshalb etwa zur Unterstützung der PEGIDA-Kandidatin für die Dresdner Oberbürgermeisterwahl am 7. Juni 2015 aufgerufen. Zugleich versuche sie, die Bürgerbewegung für sich zu vereinnahmen.

253

bb) Die PEGIDA-Proteste hätten bundesweit in einer Vielzahl von Städten Nachahmer gefunden. Beteiligungs- und Partizipationsvoraussetzungen seien für die Antragsgegnerin - abhängig von der Lage vor Ort - durchaus unterschiedlich. Durchgehend habe sie aber angestrebt, als relevanter Teil des Protests wahrgenommen zu werden und diesen weiter zu forcieren. Sie habe zur Teilnahme an GIDA-Kundgebungen aufgerufen und ihre Unterstützung der Proteste angeboten.

254

cc) In Mecklenburg-Vorpommern hätten von Januar bis April 2015 17 MVGIDA-Demonstrationen stattgefunden. Von Anfang an sei eine starke Beeinflussung der MVGIDA durch den Landesverband der Antragsgegnerin erkennbar gewesen. Im weiteren Verlauf der MVGIDA-Veranstaltungen sei die Dominanz der Antragsgegnerin bei der Organisation immer deutlicher hervorgetreten, während die Teilnehmerzahlen von zunächst circa 600 auf 120 gesunken seien.

255

dd) In Thüringen gingen die Aktivitäten unter dem GIDA-Label inzwischen maßgeblich von dem Greizer NPD-Funktionär K. aus. Auf seine Initiative seien mittlerweile elf Veranstaltungen zurückzuführen. Die Teilnehmerzahlen hätten sich zwischen 110 und 290 Personen bewegt. Teilnehmer und Redner seien mehrheitlich dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen gewesen. Die Reden des K. und anderer bei diesen Veranstaltungen spiegelten nicht nur die Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes wider, sondern auch Verfassungsfeindlichkeit und Antisemitismus.

XI.

256

1. Der Senat hat mit Beschluss vom 2. Dezember 2015 gemäß § 45 BVerfGG die Durchführung der mündlichen Verhandlung angeordnet (BVerfGE 140, 316) und mit gesondertem Schreiben darauf hingewiesen, dass die mit der Antragsschrift vorgelegte "Übersicht und Statistik über strafrechtliche Verurteilungen von Bundes- und Landesvorstandsmitgliedern der NPD" in anonymisierter Form nicht verwertbar sei. Daraufhin hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 11. Februar 2016 eine Übersicht in deanonymisierter Form vorgelegt und dem eine Fortschreibung der Stellungnahme des Instituts für Zeitgeschichte zur Frage der Wesensverwandtschaft von NPD und historischem Nationalsozialismus sowie ein Gutachten "Rechtsfragen eines Verbots der NPD am Maßstab der EMRK" der Professoren Dr. Grabenwarter und Dr. Walter vom 5. Februar 2016 hinzugefügt. Außerdem hat er weitere Belege eingereicht, die insbesondere Äußerungen zu Asylbewerberunterkünften, zum Umgang mit straffälligen Asylbewerbern sowie ein anlässlich des Geburtstags Adolf Hitlers durch den Hamburger Landesvorsitzenden der Antragsgegnerin gepostetes Gedicht betreffen. Schließlich hat der Antragsteller die Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten zu 3. mitgeteilt.

257

Mit Schriftsatz vom 23. Februar 2016 hat der Antragsteller seinen Sachvortrag ergänzt: Bezüglich der Demonstration am 24. Juli 2015 in Dresden seien vier Personen ermittelt worden, die sowohl an den Gewalttätigkeiten beteiligt gewesen seien, als auch an der Demonstration teilgenommen hätten. Der Vorsitzende der Ortsgruppe der Antragsgegnerin Heidenau sei innerhalb der Gruppe gewaltbereiter Personen identifiziert worden.

258

2. Bereits mit Schriftsatz vom 26. Januar 2016 hatte der Verfahrensbevollmächtigte zu 2. der Antragsgegnerin seine Bestellung mitgeteilt.

XII.

259

In der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin einen Schriftsatz vom 2. März 2016 vorgelegt, mit dem sie im Wesentlichen auf die Antragsbegründung und den Schriftsatz des Antragstellers vom 27. August 2015 erwidert.

260

1. Der Verbotsantrag sei nicht nur mangels ordnungsgemäßer Prozessvollmacht unzulässig, sondern auch, weil keine gesetzliche Grundlage für ein Parteiverbot existiere.

261

a) Art. 21 Abs. 2 GG ziele prozessual ausschließlich auf eine Feststellung ab. Die Norm sei nicht als Verbotsvorschrift formuliert, wie dies etwa beim Vereinsverbot nach Art. 9 Abs. 2 GG der Fall sei. Ein Verbot werde erst durch § 46 Abs. 3 BVerfGG auf einfachgesetzlicher Grundlage normiert. Der einfache Gesetzgeber habe damit seinen Ausgestaltungsspielraum jedoch überschritten. Art. 21 Abs. 2 GG sei auf eine Feststellungsentscheidung hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit einer Partei beschränkt und überlasse es dem "mündigen Bürger", eine entsprechende verfassungsgerichtliche Erkenntnis durch Nichtwahl einer förmlich als verfassungswidrig erkannten Partei zu "vollstrecken".

262

b) Art. 21 Abs. 2 GG sei auch deshalb keine taugliche Grundlage für ein Parteiverbot, weil das in der Vorschrift enthaltene Tatbestandsmerkmal des "Beeinträchtigens" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, auf welches sich die Antragsschrift ausschließlich stütze, kein gültiges Verfassungsrecht darstelle, da es sich insoweit um ein Redaktionsversehen des Grundgesetzgebers handele.

263

c) Die Unzulässigkeit des Antrags ergebe sich außerdem aus der unzulänglichen Regelung der Antragsberechtigung für ein Verbotsverfahren. § 43 BVerfGG sei aufgrund seines Numerus clausus der Antragsberechtigten verfassungswidrig, da die Regelung der Chancengleichheit der Parteien als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung nicht hinreichend Rechnung trage. Sie sei nur gegeben, wenn eine Partei, die sich - wie die Antragsgegnerin - nicht hinter einem der antragsberechtigten Staatsorgane "verstecken" könne, auch einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Parteien stellen könne. Dementsprechend sei das vorliegende Verfahren bis zur Schließung dieser Gesetzeslücke auszusetzen.

264

2. Der Antrag sei zudem unbegründet.

265

a) Die bisherige Parteiverbotskonzeption sei grundlegend überholungsbedürftig.

266

aa) Die aufgrund Art. 21 Abs. 2 GG bisher ausgesprochenen Verbote der Sozialistischen Reichspartei (SRP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) seien vor dem Erlass der erst 1968 in das Grundgesetz aufgenommenen sogenannten Notstandsverfassung ergangen, also zu einer Zeit, als die wirkliche Notstandskompetenz noch bei den westlichen Besatzungsmächten gelegen habe und das Bundesverfassungsgericht auf die Ausübung der "Diktatur der Besiegten" beschränkt gewesen sei. Schon dieser politische Kontext führe dazu, dass jene Urteile keine Orientierungsfunktion mehr erfüllen könnten.

267

bb) Die Erklärung der Verfassungswidrigkeit könne verfassungsgemäß nur in einer Weise erfolgen, in der keine anderen Grundgesetzbestimmungen verletzt würden. Insbesondere dürften nicht die verfassungsrechtlichen Bestimmungen verletzt werden, welche durch Art. 79 Abs. 3 GG einen besonderen Rang besäßen. Nach Art. 20 Abs. 1 GG sei die Bundesrepublik Deutschland aber keine "wehrhafte Demokratie", sondern ein "demokratischer [...] Bundesstaat", in dem nach Absatz 2 dieses Artikels alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. Demgemäß stehe das Demokratieprinzip in untrennbarer Wechselwirkung mit dem Prinzip der Volkssouveränität, wobei letztere wörtlich zu nehmen sei: In der Demokratie sei das Volk der Souverän, von ihm leite sich alle staatliche Macht ab und ihm allein komme die Befugnis der Verfassungsgebung zu. Dies lasse sich auf die Formel bringen: "Das Volk hat immer Recht." Dieses Prinzip der Volkssouveränität pervertiere der Antragsteller ins Gegenteil. Eine selbsternannte Verbotselite, die sich aus den als Bundesrat in Erscheinung tretenden etablierten politischen Parteien rekrutiere, maße sich die Befugnis an, dem Souverän mittels Parteiverbot vorzuschreiben, welche politischen Programme, Ideen und Ideologien zulässigerweise vertreten werden dürften.

268

Der Verbotsantrag verstoße gegen das Demokratieprinzip, weil er gegen eine gesamte politische Strömung gerichtet sei, deren Ausschaltung bis hin zum Wahlverbot für das gesamte Wahlvolk letztlich das Mehrparteienprinzip beseitige. Die drohende Ausschaltung einer kompletten politischen Richtung führe zum Verlust politischer Pluralität und zu einem virtuellen Einparteiensystem der nicht verbotenen "Demokraten". Das verstoße gegen die mit dem Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" verbundene Maßgabe, dass der Demokratieschutz nicht auf die Errichtung "volksdemokratischer" Verhältnisse gerichtet sein dürfe.

269

cc) Das Merkmal der "aggressiv-kämpferischen Haltung" sei ein untaugliches Kriterium für die Beschreibung einer mit dem Parteiverbot abzuwehrenden Gefahr, weil damit fast alle bei "ideologisch guten" Parteien für normal gehaltenen Aktivitäten wie Wahlkampfführung und soziales Engagement in Vereinen bei entsprechender "falscher" Ideologie als "aggressiv-kämpferisch" eingestuft werden könnten, so dass es letztlich doch ausschließlich auf die falschen politischen Auffassungen als Verbotsgrund ankomme.

270

In Art. 21 Abs. 1 GG werde der politischen Partei die Verpflichtung zu einer demokratischen Binnenstruktur und zu Transparenz bei ihrer Finanzierung auferlegt. Dem liege die verfassungsrechtliche Vermutung zugrunde, dass sich eine parteipolitische Organisation, die eine demokratische Binnenstruktur aufweise, auch im externen Bereich des Staates demokratisch verhalte und demokratisch denke. Der Maßstab der demokratischen Binnenstruktur ergebe somit ein operables, da nachprüfbares Kriterium für die Demokratiekompatibilität einer politischen Partei, während die Vorgabe eines demokratischen Bekenntnisses dazu zwinge, von der juristischen Logik weitgehend abzugehen und sich auf die Ebene wissenschaftstheoretisch zweifelhafter Methodik wie derjenigen der politologischen Sprachpolizei und Ideologiebewertung begeben zu müssen.

271

Das Rechtsstaatsprinzip erfordere, auch im Parteiverbotsverfahren den Rechtsgedanken von Art. 137 Abs. 1 WRV, der gemäß Art. 140 GG weiterhin gelte, zu beachten. Demgemäß müsse ausgeschlossen werden, dass ein Parteiverbot auf eine "unzulässige" Ideologie gestützt werde. Vielmehr gelte ein staatliches Ideologiebewertungsverbot, was die Antragsbegründung weitgehend bedeutungslos mache. Grundrechtlich geschützte Handlungen und Äußerungen seien per se ungeeignet, ein Parteiverbot zu begründen. Dieses sei auf die Bekämpfung illegalen Handelns beschränkt. Der rechtsstaatliche Grundsatz, wonach der Staat dem Bürger nur rechtswidriges Handeln zum Vorwurf machen dürfe, gelte auch im Parteiverbotsverfahren.

272

Da der Verbotsantrag darauf gerichtet sei, die Antragsgegnerin zu verbieten, weil sie insbesondere im Hinblick auf die Erhaltung des Charakters der Bundesrepublik Deutschland und zu zivilreligiösen Fragen (Anerkennung der Kriegsschuld, Schweigegebot über an Deutschen begangene Verbrechen, Bewältigungsbedürftigkeit der Deutschenvertreibung) andere Auffassungen als die dem Bundesrat angehörenden Parteien vertrete, stelle sich der Antrag als gegen die Meinungsfreiheit gerichtet dar. Dementsprechend sei der Verbotsantrag offensichtlich verfassungswidrig.

273

dd) Zu einem angemessenen Verbotsverständnis gelange man, wenn man das Parteiverbot als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Notstandsrechts begreife. Dies bedeute, dass die Voraussetzungen eines Parteiverbots rechtlich eindeutig sein und die Folgen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend beschränkt werden müssten. Interpretiere man Art. 21 Abs. 2 GG im Zusammenhang mit Art. 91 und Art. 87a Abs. 4 GG, gelange man automatisch zur Befristung bei den Verbotsfolgen und zu einer operablen Bestimmung der Verbotsvoraussetzungen. Die Analyse der zum Verständnis von Art. 21 Abs. 2 GG heranzuziehenden Grundgesetzbestimmungen führe zu dem Ergebnis, dass Gewaltbereitschaft oder eine auf den Verfassungsumsturz ausgerichtete politisch motivierte Illegalität eine für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG erforderliche Voraussetzung darstelle. Das Schutzgut dieser Vorschrift, die freiheitliche demokratische Grundordnung, sei nicht als Ansammlung von Verfassungsprinzipien zu verstehen, sondern habe das rechtmäßige Funktionieren der Verfassungseinrichtungen zum Gegenstand. Nur dieses Funktionieren könne im Falle des Notstands durch besonderen Polizei- und Militäreinsatz gesichert werden.

274

Als verfassungswidrig erkannt (und möglicherweise verboten) werden könne danach nur eine als Partei organisierte Umsturzbewegung, etwa eine Partei, die als parlamentarischer Arm einer Terrororganisation anzusehen sei. Sie müsse dabei den Straftatbestand des Hochverrats noch nicht verwirklichen, aber dazu Bereitschaft zeigen, etwa durch das Anlegen von Waffenlagern oder militärisches Training ihrer Anhänger. Ein Parteiverbot könne nur legitim sein, wenn eine Partei gerade den Einfluss der Wähler ausschalten wolle, indem sie jenseits eines Wählervotums gewaltsam die Macht anstrebe.

275

ee) Verfassungsrechtlich unzulässig seien auch die gemäß § 46 Abs. 3 BVerfGG angeordneten Rechtsfolgen der Auflösung der Partei und der Vermögenskonfiskation. Denkbar sei, dass eine als verfassungswidrig erkannte Partei als Verein fortbestehe, sofern dieser dann nicht auch nach Art. 9 Abs. 2 GG verboten werden könne. Insofern könne durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit nach Art. 21 Abs. 2 GG allenfalls das Spezifikum "verwirkt" werden, welches eine Partei von einer sonstigen (politischen) Vereinigung unterscheide.

276

b) Auch die Rechtsprechung des EGMR stehe dem Verbotsantrag entgegen. Insbesondere fehle es an dem nach dieser Rechtsprechung für ein Parteiverbot erforderlichen "dringenden sozialen Bedürfnis". Die vom EGMR als Auslegungshilfe herangezogenen "Guidelines on prohibition and dissolution of political parties" der Venedig-Kommission des Europarates postulierten ausdrücklich das Gewaltkriterium als notwendige Bedingung für den Ausspruch eines Parteiverbots.

277

c) Entsprechend der EGMR-Rechtsprechung müsse bei einem Parteiverbot der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Ein Parteiverbot sei aber regelmäßig unverhältnismäßig, weil es schon kein geeignetes Mittel darstelle, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen. Das Gedankengut der verbotenen Partei ebenso wie die daraus folgenden Handlungen bestünden fort. Auch sei ein Verbot nicht erforderlich, weil mildere, gleich geeignete Mittel zur Verfügung stünden, so zum Beispiel bereits erfolgreich eingesetzte staatliche und zivilgesellschaftliche "Anti-Rechts-Programme", das Verbot von "freien Kameradschaften" nach Vereinsrecht und Grundrechtsverwirkungsverfahren gegen führende Funktionäre. Letztlich wäre ein Verbot der Antragsgegnerin auch nicht verhältnismäßig im engeren Sinne, weil ihr "Gefährlichkeitsgrad" in Anbetracht der äußerst geringen Realisierungschance ihrer programmatischen Zielsetzungen in einem groben Missverhältnis zu der Schwere des mit einem Parteiverbot verbundenen Eingriffs in die Menschenrechte der Art. 10, 11 EMRK stehe.

278

d) Art. 21 Abs. 2 GG sei schließlich unanwendbar, weil er gegen Unionsrecht verstoße.

279

Art. 2 EUV, Art. 22 AEUV sowie Art. 12, 39, 40 GRCh seien in Parteiverbotsverfahren jedenfalls dann unmittelbarer Prüfungsmaßstab, wenn die zu verbietende Partei - wie hier - im Europäischen Parlament durch einen eigenen Abgeordneten vertreten und zudem als nationale Partei Mitglied einer politischen Partei auf europäischer Ebene im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 sei.

280

Nach den genannten Vorschriften bestünden aus unionsrechtlicher Sicht erhebliche Bedenken gegen eine nationale Parteiverbotskonzeption, welche das Verbot im Europäischen Parlament vertretener nationaler politischer Parteien allein aufgrund ihrer Programmatik und daher auf der Basis reinen Gesinnungsstrafrechts erlaube. Zwar würden auch andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union das Rechtsinstitut des Parteiverbots kennen; in keinem anderen Mitgliedstaat hänge die Verbotsschwelle jedoch so niedrig wie in Deutschland. Insoweit sei die deutsche Rechtslage im Hinblick auf die unionale Rechtslage einem erhöhten Rechtfertigungszwang ausgesetzt.

281

Aus dem Beschluss des Senats vom 22. November 2001 (BVerfGE 104, 214), mit dem dieser die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens abgelehnt habe, ergebe sich nichts anderes. Die damals tragenden Erwägungen seien durch die zwischenzeitlich vorangeschrittene stärkere europäische Integration auch und gerade im Recht der politischen Parteien überholt. Zwar seien Regelung und Durchführung der Wahl zum Europäischen Parlament nach Art. 7 Abs. 2 Direktwahlakt (DWA) Sache der Mitgliedstaaten. Bei der Entscheidung, welche Parteien sich an der Wahl beteiligen dürften, seien aber die wertsetzende Bedeutung der in der Grundrechtecharta niedergelegten Grundrechte ebenso zu beachten wie die Werte der Union. Die Herausnahme einer im Europäischen Parlament vertretenen nationalen politischen Partei im Wege eines Verbots zeitige durch die damit verbundene Aberkennung der Mandate dieser Partei im Europäischen Parlament (§ 22 Abs. 4 des Gesetzes über die Wahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland) unmittelbare Auswirkungen auf ein Unionsorgan, weshalb die Voraussetzungen des Art. 51 Abs. 1 GRCh vorlägen.

282

Ein Parteiverbot gerate jedenfalls dann in einen Konflikt mit dem Unionsrecht, wenn das Verbot der nationalen Partei automatisch zu einem faktischen Verbot einer gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 anerkannten politischen Partei auf europäischer Ebene (hier: der Alliance for Peace and Freedom) führe. Würde die Antragsgegnerin verboten, verlöre ihr Abgeordneter Voigt gemäß § 22 Abs. 4 EuWG seinen Sitz im Europäischen Parlament. Dies hätte zur Folge, dass die APF nicht mehr in einer ausreichenden Zahl von Mitgliedstaaten durch Mitglieder des Europäischen Parlaments oder nationaler Parlamente vertreten wäre. Sie ginge ihres Status als politische Partei auf europäischer Ebene verlustig und wäre von der europäischen Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Das Verbot der nationalen politischen Partei NPD zöge somit automatisch das faktische Verbot der politischen Partei APF auf europäischer Ebene nach sich.

283

Da die rechtliche Frage der Vereinbarkeit des Art. 21 Abs. 2 GG mit dem Unionsrecht mithin entscheidungserheblich sei, habe das Bundesverfassungsgericht zur Wahrung des Grundrechts auf den gesetzlichen Richter den Gerichtshof der Europäischen Union im Wege der Vorabentscheidung anzurufen. Es werde daher beantragt,

das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), Artikel 22 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Artikel 11, 12, 39, 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, nach der eine nationale politische Partei allein auf Grund ihrer programmatischen Zielsetzung verboten werden kann, entgegenstehen, wenn die zu verbietende nationale politische Partei mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist?

2. Falls die erste Frage verneint wird: Sind Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), Artikel 22 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), die Artikel 11, 12, 39, 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der des Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, nach der eine nationale politische Partei allein auf Grund ihrer programmatischen Zielsetzung verboten werden kann, jedenfalls dann entgegenstehen, wenn die zu verbietende nationale politische Partei nicht nur mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten ist, sondern sie selbst sowie der von ihr entsandte Europaabgeordnete Mitglied einer politischen Partei auf Europäischer Ebene sind und der mit dem nationalen Parteiverbot verbundene Mandatsverlust dazu führen würde, dass die politische Partei auf Europäischer Ebene wegen Unterschreitens des Mindestquorums des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b Alternative 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung ihre Anerkennung als politische Partei auf Europäischer Ebene verlieren würde?

284

e) Für eine verfassungskonforme Parteiverbotskonzeption sei die Frage von entscheidender Bedeutung, welches Verhalten sich die zu verbietende Partei überhaupt zurechnen lassen müsse.

285

aa) Zuzurechnen sei einer Partei grundsätzlich das Handeln von Funktionären und - mit Einschränkungen - von einfachen Parteimitgliedern. Der vorliegende Verbotsantrag stütze sich aber in zentralen Teilen - gerade im Kontext der angeblichen Schaffung einer "Atmosphäre der Angst" - auf Handlungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der Antragsgegnerin. Der Anhängerbegriff sei jedoch uferlos und verstoße daher gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Allein der Umstand, dass sich eine Person zu einer von der Partei organisierten Demonstration hinzugeselle, dort eine selbst mitgebrachte Parteifahne schwenke und anschließend verfassungsfeindliche Parolen gröle oder gar Straftaten begehe, könne der Partei nicht zugerechnet werden. Erst recht könnten anonyme Kommentare auf Internetseiten keine Zurechnung bewirken.

286

Letztlich dürfe Verhalten nur zugerechnet werden, wenn dieses auch für den von der Zurechnung Betroffenen beherrschbar sei. Die Antragsgegnerin könne Verhalten von bloßen Anhängern, anders als von Mitgliedern, jedoch nicht ahnden und damit auch nicht beherrschen. Eine Distanzierung zu fordern, werfe nur noch mehr Fragen - der Zuständigkeit, der Form, des Adressaten und der Wahrnehmung - auf. Die vom Antragsteller konstruierte "Distanzierungsobliegenheit" sei in der Praxis nicht darstellbar.

287

Wolle man Anhängerverhalten dennoch zurechnen, stelle sich ein besonderes Problem im Hinblick auf die Gewährleistung der Quellenfreiheit. Es ergebe sich in jedem Fall, in dem es um die Zurechnung von anonymem Anhängerverhalten gehe.

288

bb) Dem Antragsteller sei auch zu widersprechen, soweit er den Grundsatz der Indemnität der Parlamentsabgeordneten nicht beachte und deren im Parlament getätigte Äußerungen für den Verbotsantrag verwende. Abgeordnete dürften zu keiner Zeit wegen einer Abstimmung oder wegen einer Äußerung im Parlament oder in einem seiner Ausschüsse gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst zur Verantwortung gezogen werden. Diese Vorschrift sei weit zu verstehen und erfasse nicht nur eine gerichtliche Verfolgung, sondern auch ein sonstiges Zur-Verantwortung-Ziehen außerhalb des Parlaments. Dies gelte auch in einem Parteiverbotsverfahren. Es mache keinen Unterschied, ob der Abgeordnete deshalb zur Selbstzensur genötigt werde, weil er eine strafrechtliche Verurteilung fürchte, oder weil er damit rechnen müsse, dass seine Aussagen über ein damit begründetes Parteiverbot zur Aberkennung seines Parlamentsmandats führten.

289

f) Die Antragsgegnerin sei nicht verfassungswidrig. Selbst wenn man sämtliche tatsächlichen Behauptungen des Antragstellers als wahr unterstelle und diese unter den von der Antragsgegnerin vertretenen Prüfungsmaßstab subsumiere, erweise sich der Verbotsantrag als unschlüssig. Der Antragsteller behaupte nicht einmal, dass die Antragsgegnerin in der politischen Auseinandersetzung Gewalt anwende oder sich überhaupt rechtswidriger Mittel bediene. Ihr werde lediglich ein - verfassungsrechtlich irrelevanter, weil grundrechtlich geschützter - Verbalradikalismus zum Vorwurf gemacht, der weit davon entfernt sei, den demokratischen Rechtsstaat in irgendeiner Form zu gefährden.

290

Grundlage der verfassungsgerichtlichen Prüfung könne nur das dem Bundeswahlleiter vorgelegte Programm und nicht ein vom Antragsteller pseudowissenschaftlich ermitteltes "Geheimprogramm" sein. Der Antragsgegnerin könne auch keine "Verschleierungstaktik" unterstellt werden, die ihre wahre, "verfassungswidrige" Gesinnung mit prima facie harmlos daherkommenden Aussagen verberge. Das als primäres Erkenntnismittel zu verwertende Parteiprogramm könne nicht durch Entgleisungen Einzelner in Frage gestellt werden, weil diesen nicht die Befugnis zustehe, vom Bundesparteitag beschlossene programmatische Leitlinien durch individuelles Handeln zu derogieren.

291

Auch der Vorwurf des Antragstellers, die Antragsgegnerin betreibe ein "Spiel mit Doppeldeutigkeiten", greife nicht durch. Es gälten dieselben Grundsätze wie im Strafrecht, wonach eine objektiv mehrdeutige Aussage in allen Auslegungsalternativen strafbar sein müsse, und nicht die zivilrechtliche Rechtsprechung zum Schutz vor unwahren Tatsachenbehauptungen, denn es gehe nicht um die Unterbindung zukünftiger Äußerungen, sondern um die Verhängung der "Todesstrafe" für eine Partei.

292

aa) Die Antragsgegnerin strebe weder die Beseitigung noch eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an, noch arbeite sie faktisch auf ein derartiges Ziel hin.

293

(1) Die Hauptstoßrichtung des Verbotsantrags gehe dahin, die Antragsgegnerin ausgehend von ihrem Volksbegriff mit dem Vorwurf des Verstoßes gegen die Menschenwürde von Ausländern und Minderheiten zu überziehen. Sie stehe mit ihrem Volksbegriff jedoch auf dem Boden des Grundgesetzes. Demgegenüber erweise sich der vom Antragsteller propagierte, auf beliebiger Austauschbarkeit der zum Staatsvolk gehörenden Personen beruhende Volksbegriff als verfassungswidrig. Auch jenseits des ethnischen Volksbegriffs greife die Antragsgegnerin weder die Menschenwürde von Ausländern noch von sonstigen Minderheiten an.

294

Entschieden zu widersprechen sei der These des Antragstellers, dass aus der Menschenwürde ein Recht resultiere, jede beliebige Staatsangehörigkeit annehmen zu können. Dem liege offenbar die bereits im Ansatz verfehlte Vorstellung zugrunde, jeder Mensch müsse theoretisch Träger jedes denkbaren Rechts sein können. Die Menschenwürde umfasse aber lediglich das Recht, überhaupt Staatsangehöriger irgendeines Staates sein zu können. Die von der Antragsgegnerin erhobene Forderung nach einer Rückkehr zum alten, auf dem ius sanguinis beruhenden Abstammungsrecht sei mithin kein Verstoß gegen die Menschenwürde.

295

Der ethnische Volksbegriff sei tradiertes Leitprinzip des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. In diesem Zusammenhang könne auf Art. 116 Abs. 1 GG verwiesen werden, die Präambel der Weimarer Reichsverfassung sowie die Formulierungen über den Amtseid von Bundeskanzler, Bundespräsident und Bundesministern. Auch das Bundesverfassungsgericht lege seinem "Teso"-Beschluss diesen Volksbegriff zugrunde und postuliere eine Pflicht des Gesetzgebers, die Identität des deutschen Staatsvolks zu erhalten (unter Hinweis auf BVerfGE 77, 137 <150>). Dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) habe daher wie selbstverständlich das Abstammungsprinzip als prägendes Wesensmerkmal zugrunde gelegen. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Geburt sei der Regelfall, die Ermessenseinbürgerung nach § 8 RuStAG die Ausnahme. Daher verletze das neue StAG das Identitätswahrungsgebot des Bundesverfassungsgerichtes, indem es die Identität des deutschen Staatsvolkes radikal verändern wolle.

296

Ausgehend von diesen Maßstäben sei nicht ersichtlich, inwiefern der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Allgemeinen oder gegen die Menschenwürdegarantie im Besonderen verstoßen könne. Die Antragsgegnerin verstehe unter dem Begriff "Volk" eine menschliche Gruppe beziehungsweise Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Sprache, Kultur und Geschichte. Der an Herder angelehnte Volksbegriff der Antragsgegnerin werde nicht rassisch konstruiert. Die Antragsgegnerin gehe von der Vielgestaltigkeit der Menschen und Völker aus. Deshalb habe nach ihrer Ansicht auch jedes Volk ein Recht auf Selbstbestimmung und Wahrung seiner kulturellen und nationalen Identität.

297

Die Antragsgegnerin vertrete im Ergebnis eine auf dem ius sanguinis beruhende Staatsangehörigkeitskonzeption. Indem sie die Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung ausdrücklich anerkenne, sei eine Verletzung der Menschenwürdegarantie in jedem Fall ausgeschlossen. Die Antragsgegnerin habe zu keinem Zeitpunkt gefordert, denjenigen Menschen, die auf der Basis eines aus ihrer Sicht verfehlten Staatsangehörigkeitsrechts eingebürgert worden seien, die deutsche Staatsangehörigkeit wieder zu entziehen.

298

Die Programmatik der Antragsgegnerin beruhe auf einem "lebensrichtigen Menschenbild". Alle Völker und Menschen seien danach gleichwertig. Gemeinschaft und Individuum würden sich gegenseitig bedingen. Die übertriebene Vertretung von Einzel- oder Gruppeninteressen solle verhindert werden; es dürfe keinen Kampf aller gegen alle geben. Die Rechte des Einzelnen würden durch die "Volksgemeinschaft" daher nicht bedroht, sondern gerade garantiert.

299

Der Antragsteller sei der Auffassung, das von der Antragsgegnerin vertretene Konzept der "Volksgemeinschaft" führe zu einem Ausschluss Nicht-Staatsangehöriger von der Grundrechtsberechtigung und verstoße dadurch gegen das Prinzip der Menschenwürde. Dieser Vorwurf sei zurückzuweisen; die Antragsgegnerin beabsichtige in keiner Weise, Nicht-Deutsche von jeglicher Grundrechtsberechtigung auszuschließen, sondern setze sich lediglich für eine konsequente Unterscheidung von Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen ein. Insbesondere spreche die Antragsgegnerin Asylbewerbern und Migranten nicht die Menschenwürde ab. Grundsätzliche Kritik an der Einwanderungspolitik der regierenden Parteien müsse jedoch zulässig sein. So bezeichne die Antragsgegnerin keineswegs alle Asylbewerber als Betrüger, sondern wolle lediglich auf den tagtäglich stattfindenden Asylbetrug hinweisen.

300

Die vom Antragsteller aufgestellte Behauptung, der Fraktionsvorsitzende im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern Pastörs habe Asylbewerber als "entartete Menschen" bezeichnet, beruhe auf einer perfiden Entstellung einer Landtagsrede. Inwiefern die Termini "Scheinasylanten", "Asylbetrüger", "Moslem-Extremisten" oder "kriminelle Ausländer" einen Angriff auf die Menschenwürde darstellten, erschließe sich nicht, da es all dies in Deutschland zuhauf gebe. Es sei von der Antragsgegnerin auch nicht behauptet worden, dass von Flüchtlingen per se eine Gesundheitsgefahr ausgehe, sondern nur auf Zeitungsinformationen über vermehrte Infektionen mit Krätze in Flüchtlingsunterkünften hingewiesen worden.

301

Ebenso wenig spreche die Antragsgegnerin Juden, Muslimen oder Sinti und Roma die Menschenwürde ab und schüchtere diese ein. Legitime Kritik am Staat Israel sowie an prominenten jüdischen Funktionären könne schwerlich als "Einschüchterung" gewertet werden. Der Vorwurf des Antisemitismus sei schlicht falsch. Die Antragsgegnerin setze sich differenziert mit dem Judentum sowie der schwierigen deutsch-jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert auseinander. Ihre mangelnde Semitophilie könne ihr jedenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zum Islam stelle die Antragsgegnerin ausdrücklich fest, dass dieser dort, wo er historisch beheimatet sei, selbstverständlich ein Existenzrecht habe. Die Position der Antragsgegnerin sei ethnopluralistisch, das heiße dem Ziel einer multipolaren Weltordnung verpflichtet, in der die Völker in ihrer Vielfalt friedlich zusammenlebten. Dass sich durch die Politik der Antragsgegnerin jemand bedroht fühlen müsse, werde ausdrücklich bestritten.

302

(2) Der ethnische Volksbegriff der Antragsgegnerin verstoße auch nicht gegen das Demokratieprinzip.

303

(a) Bereits die Ausgangsprämisse des Antragstellers, das Staatsangehörigkeitsrecht müsse vom einfachen Gesetzgeber völlig offen und frei ausgestaltet werden können, sei verfehlt. Das Grundgesetz gewähre dem einfachen Gesetzgeber bei der Verteilung deutscher Pässe keine Narrenfreiheit, sondern verpflichte ihn, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten. Ihm seien schon von Verfassungs wegen Grenzen bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts gesetzt, wobei diese Grenzen im Abstammungsgedanken zu sehen seien.

304

Kritik an den von den etablierten Parteien zu verantwortenden "Masseneinbürgerungen" bedeute nicht, dass die Antragsgegnerin nicht anerkennen würde, dass die eingebürgerten Personen deutsche Staatsangehörige seien. Ihre Auffassung sei lediglich eine Meinung auf dem Markt politischer Meinungen, in die der Verbotsantrag eingreife, indem er eine Änderung des neuen Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Kanon zulässiger politischer Forderungen ausschließen wolle.

305

(b) Dass sich die Antragsgegnerin als nationalistische Partei sehe, könne ihr ebenfalls nicht zum Vorwurf gemacht werden, da ein aufgeklärter Nationalismus, wie ihn die Antragsgegnerin vertrete, in keinerlei Widerspruch zum Grundgesetz stehe. Für die Antragsgegnerin stehe die eigene Nation als gewachsener Schicksalsverband mit starken Zusammengehörigkeitsgefühlen, emotionaler Bindekraft und Loyalitätsempfindungen im Mittelpunkt. Die eigene Nation, die moralisch nicht über anderen Nationen stehe, aber gegen diese ihre kulturelle Identität zu bewahren und ihre Lebensinteressen zu behaupten habe, sei einer der höchsten ethischen Werte. Ziel des deutschen Nationalismus sei ein freies und identitätsstarkes deutsches Volk unter anderen freien und identitätsstarken Völkern. Die Antragsgegnerin erhebe das deutsche Volk aber nicht über andere Völker und werfe diesen keine "Minderwertigkeit" vor.

306

(c) Eine grundlegende Fehleinschätzung der Antragsschrift bestehe darin, dass die von der Antragsgegnerin artikulierte Kritik an der herrschenden politischen Klasse in Deutschland als Kritik an der Demokratie als solcher fehlinterpretiert werde. Die Antragsgegnerin bekenne sich zur Volkssouveränität, fordere die Einführung von Volksentscheiden und die Direktwahl des Staatsoberhaupts. Ihre demokratie- und staatspolitische Grundposition bestehe darin, eine Demokratisierung des Staates durch den Ausbau konkreter Mitbestimmungsrechte der Staatsbürger und der Volksgesetzgebung zu fordern sowie der massiven Beschneidung des politischen Pluralismus im Zuge des sogenannten "Kampfes gegen Rechts" entgegenzutreten.

307

Die zahlreichen parlamentarischen Initiativen der Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin, in denen ausdrücklich ein Mehr an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingefordert werde, zeigten, dass die Antragsgegnerin weit davon entfernt sei, die Demokratie als solche zu bekämpfen. Die Berücksichtigung dieser Initiativen sei auch deshalb bedeutsam, weil die Antragsschrift den Eindruck erwecke, die Antragsgegnerin würde durch ihre Abgeordneten in den Landesparlamenten nur gegen die parlamentarische Ordnung verstoßen. Die Zahl von Ordnungsrufen und die angebliche Sprachverrohung seien - abgesehen von ihrer Unverwertbarkeit aufgrund der bestehenden Indemnität - kein tauglicher Beleg für eine "Verachtung des parlamentarischen Systems". Die Abgeordneten der Antragsgegnerin überschritten die Grenzen des parlamentarisch Üblichen nicht. Dass sie sich das Recht herausnähmen, den politischen Gegner mit scharfen Worten anzugreifen, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die auf Abgeordnete der Antragsgegnerin überproportional häufig entfallenden Ordnungsrufe seien kein Beleg für ihre "Aggressivität", sondern für die höchst parteiische Sitzungsführung der Parlamentspräsidenten in Dresden und Schwerin.

308

(3) Die Antragsgegnerin bekämpfe auch den Rechtsstaat nicht.

309

Gerade weil sie fortwährend politisch motivierten Diskriminierungen vielfältigster Art ausgesetzt sei und in extrem hohem Ausmaß Opfer physischer Gewalt durch linksextremistische Elemente werde, bekenne sie sich vorbehaltslos zur Herrschaft des Rechts im demokratischen Rechtsstaat, zum Gewaltmonopol des Staates und zur Unabhängigkeit der Justiz. Sie lehne Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung kategorisch ab. Dass die Antragsgegnerin einen "nationalrevolutionären" beziehungsweise "systemüberwindenden" Anspruch erhebe, habe nichts mit Gewalt zu tun, sondern beziehe sich einzig und allein auf eine beabsichtigte Änderung des geltenden Rechts auf demokratischem Wege.

310

Bei ihren Demonstrationen verhalte die Antragsgegnerin sich friedlich und leiste den Anordnungen der Polizei Folge. Selbstverteidigungskurse dienten lediglich der Abwehr linker Gewalt. Bürgerwehren würden gegründet, weil die Bürger aufgrund der äußerst prekären Sicherheitslage das Vertrauen in die staatlichen Sicherheitsbehörden verloren hätten. Die Initiative zur Gründung von Bürgerwehren gehe zudem von den Betroffenen aus, die lediglich von der Antragsgegnerin unterstützt würden. Es sei selbstverständlich, dass derartige Bürgerwehren keinen Ersatz für das staatliche Gewaltmonopol darstellten und an die Rechtsordnung gebunden seien. Der Ordnungsdienst der Antragsgegnerin rechtfertige sich bereits aufgrund des Ordnererfordernisses bei öffentlichen Versammlungen. Angriffe auf Gegendemonstranten seien von diesem nicht ausgegangen.

311

(4) Die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus sei kein Tatbestandsmerkmal des Art. 21 Abs. 2 GG. Darauf komme es aber auch nicht an, weil die Antragsgegnerin mit dem Nationalsozialismus nicht wesensverwandt sei.

312

Die Antragsgegnerin sei nicht nach dem "Führerprinzip" aufgebaut. Ihre Programmatik beruhe auf vollständig anderen Grundsätzen als diejenige des historischen Nationalsozialismus. Eugenik und Sozialdarwinismus lehne sie ab. Kommunikationsformen des historischen Nationalsozialismus verwende sie nicht. Daher unterscheide die Antragsgegnerin sich fundamental von der NSDAP. Demgegenüber seien einzelne Aussagen selbst führender Persönlichkeiten der Antragsgegnerin für die Frage der Wesensverwandtschaft irrelevant. Dies gelte erst recht für Aussagen von Personen, die nicht einmal Mitglied der Antragsgegnerin seien.

313

Aus den anonym verfassten Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte ergebe sich die behauptete Wesensverwandtschaft nicht. Die Gutachten wiesen durchgreifende wissenschaftlich-methodische Fehler auf, da die zitierten Belege nicht vorgelegt würden, und seien daher unverwertbar. Mit Wortvergleichen und einer Zusammenschau aufgrund sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse könne eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus nicht bewiesen werden.

314

bb) Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des "Darauf Ausgehens" gelte: Selbst wenn man dieses nicht als Verbot des gewaltsamen Verfassungsumsturzes begreife und nicht einmal strafbares und auch kein rechtswidriges Verhalten zu fordern wäre, gäben die vom Antragsteller vorgelegten "Belege" für eine Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals nichts Substantielles her.

315

Der Antragsteller werfe der Antragsgegnerin vor, was gemäß Art. 21 Abs. 1 GG ihre Aufgabe sei: Die Mitwirkung bei der politischen Willensbildung durch Teilnahme an Wahlen, strategische Konzepte, bürgernahes Agieren, Anwendung der Wortergreifungsstrategie, Schulung kommunaler Mandatsträger und jugendorientierte Initiativen. Soweit der Antragsteller sich dabei auf das Gutachten von Prof. Borstel beziehe, werde dessen Verwertung widersprochen. Viele Belege seien anonym und für eine Beweisführung daher ungeeignet.

316

(1) Es werde bestritten, dass die Antragsgegnerin eine Taktik der "kulturellen Subversion und gezielter Siedlung an ausgesuchten Orten" betreibe, um in einzelnen Regionen "Dominanzzonen" und eine "Kultur der Angst" zu erzeugen.

317

(a) Insbesondere sei die Besiedlungsstruktur des Dorfes Jamel nicht auf Initiativen der Antragsgegnerin zurückzuführen. Dass die dort beheimateten rechtsorientierten Bürger und insbesondere der vom Antragsteller benannte K. bei den anderen Bürgern ein Bedrohungsgefühl hervorriefen, werde bestritten. Die tätliche Auseinandersetzung im Rahmen des Musikfestivals und der Brand der Scheune könnten der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden.

318

(b) Ein wie auch immer geartetes "Dominanzstreben" der Antragsgegnerin könne auch in Anklam nicht festgestellt werden. Es werde bestritten, dass in der Stadt ein von der Antragsgegnerin erzeugtes "Klima der Angst" herrsche, das eine offensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus lähme, Menschen von Aussagen gegenüber der Polizei abhalte und demokratische Prozesse beinträchtige. Die Antragsgegnerin stelle in der Stadtvertretung Anklams nur zwei von 25 Mitgliedern. In den Ausschüssen sei sie jeweils mit nur einem Sitz vertreten.

319

Eine Lähmung des "Kampfes gegen Rechts" sei nicht feststellbar. Neben einem "Demokratieladen", der von den Landeszentralen für politische Bildung des Bundes und des Landes seit 2011 gefördert werde, gebe es noch einen vom Stadtjugendring Greifswald betriebenen "Demokratiebahnhof" sowie ein Büro des "Regionalzentrums für demokratische Kultur". Tätig sei zudem ein Präventionsrat der Stadt. Dass im Jahr 2007 Geschäftsleute der Stadt sich aus Furcht vor der Antragsgegnerin geweigert hätten, eine gegen sie gerichtete öffentliche Erklärung in ihren Ladengeschäften aufzuhängen, werde bestritten. Ebenso werde bestritten, dass in Anklam begangene Straftaten mit der Antragsgegnerin in Verbindung stünden. Dass diese sich nicht von jedem einzelnen Vorfall distanziere, sei aufgrund der grundsätzlichen Ablehnung von Gewalt unerheblich.

320

(2) Selbst Prof. Borstel habe in seinem Gutachten festgestellt, dass von einer "Atmosphäre der Angst" keine Rede sein könne. Die von der Antragsgegnerin praktizierte "Wortergreifungsstrategie" könne ihr ebenfalls nicht vorgeworfen werden. Dass sie mittels "geschulter Aktivisten" "politische Veranstaltungen der anderen Parteien zu eigenen Zwecken umfunktioniert", sei ein in der Demokratie völlig normaler Vorgang. Dass der politische Gegner hierbei "eingeschüchtert, bloßgestellt, lächerlich gemacht" werde, werde bestritten. Mit Angriffen auf Wahlkreisbüros habe die Antragsgegnerin nichts zu tun und dazu auch nicht aufgerufen. Die zitierten Artikel des Internet-Portals "mupinfo" könnten nicht als Aufruf zur oder Billigung von Gewalt angesehen werden.

321

(a) Es werde bestritten, dass die Antragsgegnerin gegenüber dem ehrenamtlichen Bürgermeister von Lalendorf in bedrohlicher Weise aufgetreten sei, um diesen in der Wahrnehmung seiner Grundrechte einzuschränken. Alle in dieser Sache Angeklagten seien vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs rechtskräftig freigesprochen worden. Auch habe die Antragsgegnerin weder zum Betreten des Grundstücks aufgefordert noch dieses toleriert. Im Übrigen sei der Vorgang nicht als einseitiger Akt der "Bedrängung und Einschüchterung" zu werten, sondern als politischer Schlagabtausch.

322

(b) Bestritten werde auch die Bedrohung von Lokalpolitikern in Berlin-Pankow. Die Kundgebung mit fünf Teilnehmern habe nicht direkt vor dem Bürgerhaus, sondern laut polizeilicher Auflage 50 Meter daneben auf einer Grünfläche stattgefunden. Den Teilnehmern der Kundgebung sei rechtswidrig untersagt worden, an der Bürgersprechstunde teilzunehmen; von "Zugang verschaffen" könne keine Rede sein. Eine Bedrohungslage gegenüber dem Bezirksbürgermeister habe zu keinem Zeitpunkt vorgelegen.

323

(c) Auch eine Bedrohung des Bürgermeisters von Schneeberg durch die Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden. Die genannte Demonstration sei keine der Antragsgegnerin gewesen. Dass die Versammlung sich in Richtung des Hauses des Bürgermeisters in Bewegung gesetzt habe, habe der lediglich teilnehmende Funktionär der Antragsgegnerin nicht veranlasst. Ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz sei eingestellt worden.

324

(d) Ebenso werde eine Bedrohung des Bürgermeisters von Schöneiche bestritten. Eine Störung der jüdischen Feste in der Kulturgießerei sei bei keinem der drei genannten Besuche entstanden, der Funktionär S. sei nie in der Kulturgießerei gewesen. Dass der Bürgermeister auf seinem Privatgrundstück beschimpft und bedroht worden sei, werde mit Nichtwissen bestritten. Jedenfalls könne dies der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Auch eine Bedrohung des Bürgermeisters auf dem Heimatfest habe nicht stattgefunden.

325

(e) Durch die "Kampagne" gegen den Lokalpolitiker S. habe lediglich legitime Kritik an der überbordenden Einbürgerungspolitik der Bundesregierung geübt werden sollen. Die Antragsgegnerin habe mit dieser Aktion nur zum Ausdruck gebracht, dass Herr S. nach ihrer Auffassung nicht hätte eingebürgert werden dürfen.

326

(f) Auch die Bedrohung einer Aktivistin in Güstrow werde bestritten. Diese begebe sich selbst offensiv in die Nähe der von ihr angeblich so gefürchteten Antragsgegnerin. Ein bedrohlicher Charakter sei dem geschilderten Vorfall - der Beobachtung durch Mitglieder der Antragsgegnerin - nicht zu entnehmen. Um wen genau es sich bei den Personen gehandelt habe, die sich anschließend vor ihrem Haus versammelt haben sollen, gehe aus dem Bericht nicht hervor. Eine Zurechnung zur Antragsgegnerin sei nicht möglich.

327

(g) Die vom Antragsteller als "Gewalt gegen politische Gegner" gewerteten Ereignisse von Pölchow belegten genau das Gegenteil. G. und seine Begleiter seien auf dem Weg zu einer angemeldeten Demonstration gewesen, als gewaltbereite Linksextremisten sie daran hätten hindern wollen. Dass G. bei seiner Reaktion auf diesen Übergriff nach Ansicht des Landgerichts Rostock sein Notwehrrecht überschritten und sein Agieren den Charakter eines Gegenangriffs angenommen habe, ändere - unabhängig davon, dass diese Darstellung bestritten werde - nichts an der Tatsache, dass hier von einem Versuch, systematisch Dominanz über politische Gegner zu erringen und Furcht zu verbreiten, keine Rede sein könne.

328

(h) Soweit der Antragsteller versuche, anhand eines einzigen Vorfalls in Greifswald die Stadt als Angstzone für politische Gegner der Antragsgegnerin darzustellen, sei dies zurückzuweisen. Lediglich das NPD-Mitglied O. sei aufgrund eines Vorfalls verurteilt worden. Die Stadt sei als eine von Linksextremen dominierte Angstzone anzusehen.

329

(i) Auch ein "Angriff" auf die DGB-Kundgebung in Weimar habe nicht stattgefunden. Es habe sich um eine öffentliche, für jeden Bürger zugängliche Veranstaltung gehandelt. Die JN-Aktivisten hätten Transparente entrollt und Flugblätter verteilt. Ein Teilnehmer habe das Motto der Veranstaltung "Besucher fragen - Politiker antworten" ernst genommen und das freie Mikrofon ergriffen. Daraufhin seien die Teilnehmer der Kundgebung gegenüber den Aktivisten aggressiv geworden.

330

(j) Ebenso sei es nicht zu einer "gewaltsamen Störung" einer Informationsveranstaltung in Goldbach seitens der Antragsgegnerin gekommen. Richtig sei, dass Herr S. an der Bürgerversammlung teilgenommen und ein Transparent mit der Aufschrift "Asylflut ist kein Menschenrecht" mitgebracht habe. Als Herr S. die Veranstaltung habe verlassen wollen, habe man versucht, ihm sein Transparent zu entreißen und ihn zu schubsen. Erst im Rahmen einer Abwehrreaktion habe er dann zugeschlagen. Das eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Versammlungsstörung sei eingestellt und Strafanzeige wegen Körperverletzung nicht erstattet worden.

331

(k) Eine Bedrohung des Bürgermeisters von Tröglitz werde bestritten. Der Kreisrat der Antragsgegnerin habe lediglich gegen die geplante Aufnahme von "Asylanten" insgesamt zehn "Lichterspaziergänge" durchgeführt. Zwischenfälle habe es bei keiner Veranstaltung gegeben. Die Route des zehnten Spaziergangs habe am Haus des Bürgermeisters vorbeigeführt, da dieser bis dahin nicht auf die Proteste reagiert gehabt habe. Eine Bedrohungslage habe nicht bestanden. Die Antragsgegnerin sei für den Rücktritt des Bürgermeisters nicht verantwortlich.

332

(3) Die These von der seitens der Antragsgegnerin angeblich zu verantwortenden "Beeinträchtigung des demokratischen Handelns vor Ort" erweise sich damit insgesamt als haltlos. Soweit der Antragsteller darüber hinaus moniere, dass "verfassungsfeindliche rechtsextremistische Ansichten" in der Gesellschaft verbreitet Akzeptanz fänden, spreche dies bei richtiger Betrachtung lediglich für die Verankerung der Antragsgegnerin in der Gesellschaft.

333

Die Behauptung des Antragstellers, in bestimmten Regionen würden Bürger durch das politische Wirken der Antragsgegnerin davon abgehalten, offen gegen Rechtsextremismus Position zu beziehen und von ihren demokratischen Rechten Gebrauch zu machen, werde bestritten. Dass in Lübtheen niemand etwas Negatives über Herrn Pastörs sage, liege an seiner Beliebtheit. Auch die Weigerung von Geschäftsleuten in Anklam, eine vom Rat verabschiedete Erklärung gegen den Immobilienkauf von NPD-Mitgliedern aufzuhängen, sei allenfalls auf gesunden Menschenverstand zurückzuführen. Die Behauptung, es gebe in Mecklenburg-Vorpommern Städte und Regionen, in denen sich gegen Rechtsextremismus Engagierte und Minderheiten kaum angstfrei bewegen könnten, sei unzutreffend.

334

(4) Aggressives Verhalten gegenüber Asylbewerbern gebe es nicht. Die Antragsgegnerin betreibe keine "diffamierende und hetzerische Rhetorik", sondern übe Kritik am ausufernden Asylmissbrauch. Auch die Durchführung von Demonstrationen stelle nichts weiter als ein legitimes Gebrauchmachen vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) dar. Der Hinweis auf die angeblich steigende Zahl von Angriffen auf Asylbewerberunterkünfte trage nicht, weil die Antragsgegnerin hierfür nicht verantwortlich sei und sich ausdrücklich von solchen Taten distanziere. Die Proteste der Antragsgegnerin seien nicht ursächlich für die genannten Gewaltattacken und diese könnten ihr nicht zugerechnet werden. Zu den einzelnen Vorwürfen sei wie folgt zu erwidern:

335

(a) Die Versammlung unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße!" in Dresden sei als Eilversammlung angezeigt worden. Die Kundgebung selbst sei ruhig geblieben. Die Behauptung des Antragstellers, in der Nacht zum 28. Juli 2015 hätten rund 20 Rechtsextremisten in der Nähe der Flüchtlingsunterkunft 15 Asylbefürworter attackiert, werde mit Nichtwissen bestritten. Gleiches gelte für die Behauptung, beim Aufbau der Zeltstadt sei es zu Angriffen auf Mitarbeiter des DRK gekommen. Die Antragsgegnerin distanziere sich von diesen Vorfällen.

336

(b) Unklar bleibe, was an den "Schneeberger Lichtelläufen" verfassungsrechtlich zu beanstanden sei. Dass ein Funktionär der Antragsgegnerin mit einem Bürgermeister ins Gespräch kommen wolle und diesem daher ein entsprechendes Angebot unterbreite, sei ein völlig normaler Vorgang.

337

(c) Ebenso wenig erschließe sich, worin eine "Bedrängung" der Leipziger Stadtspitze liegen solle, wenn dem Bürgermeister Unterschriften besorgter Bürger gegen den Bau einer Moschee und die Unterbringung von Asylbewerbern übergeben würden. Die veranstalteten Demonstrationen seien durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Art. 8 Abs. 1 GG geschützt; gewalttätige Aktionen würden nicht behauptet.

338

(d) Die Proteste in Bautzen gegen eine Asylbewerberunterkunft seien legitim, die Aufforderung gegenüber dem Vermieter des Hauses zum Nachdenken das gute Recht der Antragsgegnerin. Es sei ausdrücklich von friedlich-legalen Protestformen gesprochen worden; ein Drohpotential sei mithin nicht erkennbar.

339

(e) Die Beteiligung der Antragsgegnerin an Bürgerprotesten in der Sächsischen Schweiz stelle legitimen Protest dar.

340

(f) Die angebliche Gewalteskalation in Heidenau sei der Antragsgegnerin nicht zurechenbar, sondern habe sich erst einige Stunden nach Ende der von ihr durchgeführten Kundgebung ereignet. Die Antragsgegnerin habe auch keine Zettel verteilt, um sich nach Versammlungsende für eine Blockade zu treffen. Im Übrigen sei von der Sitzblockade keine Gewalt ausgegangen, sondern von der Polizeihundertschaft, die diese mit brachialer Gewalt aufgelöst habe.

341

(g) Das Aufsuchen von Asylunterkünften durch gewählte Abgeordnete der Antragsgegnerin geschehe in Wahrnehmung des ihnen zustehenden parlamentarischen Kontrollrechts. Es handele sich hierbei um eine seit Jahren bei sämtlichen Fraktionen anzutreffende, gängige Praxis, so dass nicht erkennbar sei, wieso ein von den Mandatsträgern der Antragsgegnerin durchgeführter Besuch einer entsprechenden Unterkunft irgendjemanden "einschüchtern" oder ein Zeichen von "Dominanz" sein solle.

342

(5) Soweit die Gegenseite behaupte, ein Großteil der Funktionäre der Antragsgegnerin sei vorbestraft und offenbare dadurch mangelnde Rechtstreue, sei dem entschieden zu widersprechen. Richtig sei, dass es vereinzelt zu Verurteilungen von Funktionären gekommen sei, wobei es sich in der allergrößten Zahl der Fälle um reine Meinungs- und Propagandadelikte handele (§§ 86a, 130 StGB). Die Behauptung des Antragstellers, 25 % der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin seien rechtskräftig strafrechtlich verurteilt und über 11 % der Vorstandsmitglieder seien schon mehrfach verurteilt worden, werde bestritten. Die Verurteilung des Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs wegen Volksverhetzung und Holocaust-Leugnung beruhe auf willkürlicher Rechtsanwendung. Weitere - von der Antragsgegnerin im Einzelnen aufgeführte - Verurteilungen seien rechtlich fehlerhaft, ohne politischen Bezug oder der Antragsgegnerin nicht zurechenbar.

343

(6) Auch werde bestritten, dass die Antragsgegnerin - insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern - zusammen mit Kameradschaften, die auf Gewalt und Einschüchterung abzielten, ein Netzwerk oder gar eine "Volksfront von Rechts" bilde. Erst recht könnten deren Taten nicht der Antragsgegnerin zugerechnet werden.

344

Es sei auch befremdlich, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin die Resozialisierung von vorbestraften Jugendlichen und Heranwachsenden vorwerfe. Die Antragsgegnerin nehme ihre Aufgabe ernst, auch Personen und Tendenzen in den demokratischen Prozess zu integrieren, die sich radikalisieren könnten. Zu diesem Integrationsprozess gehöre, dass bestimmten Aussagen nicht sofort disziplinarisch entgegengetreten werde. Tatsächlich erweise sich die Antragsgegnerin als entscheidender gesellschaftspolitischer Ordnungsfaktor in der "Neonazi-Szene". Von den wirklich radikalen Kräften der "Freien Szene" werde die Antragsgegnerin als "weichgespült" kritisiert und politisch bekämpft.

345

(7) Letztlich komme es auf die vorgenannten Punkte aber nicht an, weil die Antragsgegnerin gegenwärtig weit davon entfernt sei, ihre Programmatik in absehbarer Zeit verwirklichen zu können. Sie sei nicht im Deutschen Bundestag vertreten und es sei auch nicht absehbar, dass sie demnächst dort einziehen werde. Selbst wenn dies anders wäre, würde keine der etablierten Parteien mit der Antragsgegnerin koalieren.

346

Soweit der Antragsteller auf die über 300 kommunalen Mandate der Antragsgegnerin in ganz Deutschland hinweise, relativiere sich diese Zahl ganz erheblich, wenn man sich vergegenwärtige, dass die Antragsgegnerin in den meisten Räten nur mit ein oder zwei fraktionslosen Abgeordneten vertreten sei, die in der Regel nicht einmal über ein eigenes Antragsrecht verfügten.

347

Vergegenwärtige man sich zudem die - gerichtsbekannten - eminenten finanziellen Probleme, an denen die Antragsgegnerin seit Jahren leide, werde auch eine verbleibende "Rest-Gefahr" durch den Mangel an Liquidität und die damit verbundene Einschränkung der politischen Kampagnenfähigkeit erheblich relativiert.

348

g) Hilfsweise hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass selbst dann, wenn ihr eine unter normalen Umständen als aggressiv-kämpferisch zu qualifizierende Haltung nachgewiesen werden könnte, diese Haltung aufgrund ihrer besonderen Situation gerechtfertigt wäre. Diese Situation bestehe in der seit ihrem Bestehen massiven Diskriminierung der Antragsgegnerin durch die Parteien, welche vorliegend als Antragsteller in Erscheinung träten. In dieser Situation könnten Aussagen, insbesondere die Wortwahl, die man als bedenklich einstufen möge, nicht als "aggressiv-kämpferisch", sondern nur als "defensiv-kämpferisch" eingestuft werden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass Mitglieder der Antragsgegnerin beinahe täglich zum Opfer gewalttätiger körperlicher Angriffe aus der linksradikalen Szene würden.

XIII.

349

1. Unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 1. März 2016 mehrere Anträge wegen Besorgnis der Befangenheit gestellt und die Besetzung des Senats gerügt. Zur Begründung hat sie auf Äußerungen einzelner Mitglieder des Senats vor ihrer Ernennung zu Richtern des Bundesverfassungsgerichtes, auf § 15 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG sowie ein (angeblich) gegen Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßendes Berufungsverfahren verwiesen. Am selben Tag sind sämtliche Anträge zurückgewiesen oder verworfen worden, und auf die entsprechenden Rügen hat der Senat seine ordnungsgemäße Besetzung festgestellt. Die schriftliche Begründung ist mit vier im Mai 2016 veröffentlichten Beschlüssen erfolgt (jeweils mit dem Aktenzeichen 2 BvB 1/13).

350

2. In der mündlichen Verhandlung vom 1., 2. und 3. März 2016 haben die Beteiligten ihren Vortrag vertieft und ergänzt. Gemäß § 27a BVerfGG sind Prof. Dr. Dierk Borstel, Prof. em. Dr. Eckhard Jesse, PD Dr. habil. Steffen Kailitz, Andrea Röpke sowie die Funktionsträger der Antragsgegnerin Jürgen Gansel und Udo Voigt und deren ehemaliger Vorsitzender Holger Apfel gehört worden. Die Präsidentin des Landtages und der Minister für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern sowie der Staatsminister des Innern, für Bau und Verkehr des Freistaates Bayern haben Stellung genommen.

351

3. a) Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung einen weiteren auf den 1. März 2016 datierten Schriftsatz vorgelegt, in dem sie mitgeteilt hat, gegen zwei ihrer Landesvorstandsmitglieder des Landesverbands Nordrhein-Westfalen seien laut Benachrichtigungen des Polizeipräsidiums Wuppertal in der Zeit vom 10. Juli 2015 bis zum 9. August 2015 durch die nordrhein-westfälische Polizei Maßnahmen gemäß § 16a Abs. 1 und § 17 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW durchgeführt worden. Der Anlass für die Überwachungsmaßnahmen sei nicht bekannt. Offenbar hätten die Maßnahmen sich primär gegen "eine bestimmte Person" gerichtet, wobei die beiden Betroffenen als Begleit- und Kontaktpersonen ebenfalls überwacht worden seien. Dies lege die Vermutung nahe, dass primäres Überwachungsobjekt eine weitere Person aus dem Landesvorstand gewesen sei.

352

Es stehe damit fest, dass entgegen der Zusicherung des Antragstellers Mitglieder eines Landesvorstands - also der Führungsebene der Antragsgegnerin - während des laufenden Verbotsverfahrens mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht worden seien. Darüber hinaus habe auch der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin mit einer der beiden Betroffenen in den letzten Monaten in vermehrtem Kontakt gestanden, weshalb vermutlich auch von ihm Daten erfasst worden seien.

353

b) Der Antragsteller hat in der mündlichen Verhandlung erwidert, dass der von der Antragsgegnerin geschilderte Vorgang nicht von den Testaten umfasst sei und keine Verfahrenshindernisse im hier verhandelten Sinne betreffe.

354

Zum konkreten Sachverhalt ist Landeskriminaldirektor S. vom Nordrhein-Westfälischen Innenministerium mündlich angehört worden: Er hat erklärt, dass Gegenstand der Maßnahme, auf die sich die Benachrichtigung über eine Datenerhebung durch die Polizei bezogen habe, ein Verfahren zur Gefahrenabwehr gewesen sei, das das Polizeipräsidium Wuppertal betrieben habe. Adressat der Maßnahmen sei ein in Nordrhein-Westfalen als sogenannter Gefährder eingestufter Straftäter gewesen, der sich zu diesem Zeitpunkt noch in Strafhaft befunden habe. Anlässlich seiner Haftentlassung am 14. Juli 2015 habe das Polizeipräsidium Wuppertal die Anordnung getroffen, ihn mit dem Ziel der Ermittlung des weiteren Aufenthalts und der Wohnsitznahme unter Einsatz technischer Mittel zu observieren. Daraufhin hätten Einsatzkräfte der Polizei am 14. Juli 2015 festgestellt, dass der Betroffene bei seiner Entlassung von drei Personen abgeholt worden sei. Zwei dieser Personen seien die Adressaten der Benachrichtigung über die Datenerhebung durch die Polizei gewesen. Nach erfolgreicher Feststellung des Wohnsitzes seien die Maßnahmen eingestellt worden.

355

4. Die Antragsgegnerin hat außerdem zwei eidesstattliche Versicherungen von A. und Uwe Meenen vorgelegt, die den bereits schriftsätzlich vorgetragenen Anwerbeversuch von Herrn A. (vgl. Rn. 91) belegen sollen. In der Erklärung von Herrn A. wird der angebliche Anwerber des Staatschutzes als "Herr Fink" bezeichnet.

XIV.

356

1. Mit Schriftsatz vom 22. März 2016 hat der Antragsteller die von ihm aus den beiden Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte zitierten Belege vorgelegt.

357

2. Mit Schriftsatz vom 11. April 2016 hat die Antragsgegnerin zur mündlichen Verhandlung Stellung genommen.

358

a) Sie wendet sich zunächst gegen Behauptungen der Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung und macht geltend, dass diese durch eine Belastungstendenz zum Nachteil der Antragsgegnerin geprägt seien, was durch von ihr geschilderte Vorfälle belegt werde. Außerdem bestreitet sie von der sachkundigen Dritten Andrea Röpke in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptungen, vor allem zu einem angeblichen Angriff eines Mitglieds der Antragsgegnerin auf einen Gewerkschaftsvertreter.

359

b) Die Antragsgegnerin führt ferner sechs Fälle der Bezugnahme auf den Nationalsozialismus durch eigene Mitglieder auf, gegen die sie mit parteirechtlichen Ordnungsmitteln vorgegangen sei. Außerdem verweist sie auf einen Parteivorstandsbeschluss vom 5./6. April 2014, wonach die vom Antragsteller als Belege vorgelegten, vom Parteivorstand nicht genehmigten Leitfäden der JN nicht weiter zu verbreiten und zu vernichten seien. Gleiches gelte auch für die Broschüre des Parteivorstands "Leitfaden für Kandidaten" ("Argumente für Mandats- und Funktionsträger").

360

c) Darüber hinaus nimmt die Antragsgegnerin hinsichtlich der Behauptung, sie verbreite ein "Klima der Angst", Bezug auf eine Broschüre der Heinrich-Böll-Stiftung sowie der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Titel "Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?". In dieser würden aktuelle Erkenntnisse zu den vom Antragsteller aufgeführten Fällen einer angeblichen Einschüchterung verarbeitet und die Antragsgegnerin umfassend entlastet.

361

So heiße es zum Rücktritt des Ortsbürgermeisters von Tröglitz, dass dieser weniger durch das Verhalten der Antragsgegnerin, als durch den Unwillen und die Unfähigkeit der zuständigen Versammlungsbehörde begründet sei, einen Ausgleich zwischen den Grundrechten der Familie des Bürgermeisters und dem Versammlungsrecht zu finden. Zu den Vorgängen in Dresden am 24. Juli 2015 werde festgestellt, dass die Mitglieder der Antragsgegnerin an der Gewalt im Anschluss an die Kundgebung nicht beteiligt gewesen seien, auch wenn sie diese nicht unterbunden hätten. Die Taten seien jedenfalls nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von der Antragsgegnerin geplant oder gesteuert worden. Zum Fall Heidenau weise die Broschüre darauf hin, dass die Partei zwar eine aggressive, rassistische Stimmung befördert, der verantwortliche Funktionär R. die Antragsgegnerin aber mittlerweile verlassen habe. Formal habe sich die Partei von der Gewalt in direkter zeitlicher Nähe distanziert. Auch die Ausführenden seien keine NPD-Mitglieder gewesen, für eine Lenkung durch die Antragsgegnerin bestünden keine Anhaltspunkte.

362

3. Mit Schriftsatz vom 27. April 2016 hat der Antragsteller auf die Schriftsätze der Antragsgegnerin vom 2. März und 11. April 2016 geantwortet.

363

Die Schriftsätze seien selbst von den verfassungswidrigen Zielen der Antragsgegnerin geprägt. Sie enthielten Falschbehauptungen, verzerrende Interpretationen von Aussagen der Antragsgegnerin und ihrer Mitglieder, unrichtige Darstellungen des Vortrags des Antragstellers sowie Behauptungen ins Blaue hinein.

364

a) Mit dem Grundgesetz - insbesondere mit den Grundsätzen des Art. 79 Abs. 3 GG - sei das Demokratieverständnis der Antragsgegnerin nicht zu vereinbaren. Es baue auf der Möglichkeit einer Diktatur der Mehrheit auf, die an keine rechtlichen Regeln gebunden sei. In dieser Konstruktion lösten sich nicht nur die änderungsfesten Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG, sondern bereits der einfache Vorrang der Verfassung auf. Zudem sei die von der Antragsgegnerin beschriebene Mehrheit keine Mehrheit innerhalb einer demokratischen Allgemeinheit, sondern eine völkisch selektierte Mehrheit. Bringe man diese Sicht der Volkssouveränität mit dem Volksbegriff der Antragsgegnerin in Verbindung, so ergebe sich daraus das Ideal einer politischen Ordnung, in der eine rassisch homogene "Volksgemeinschaft" sich dazu ermächtigt sehe, prozedural und materiell unbegrenzt politische Entscheidungen zu treffen. Dass die Universalität der Menschenwürde auch die demokratische Mehrheit begrenze, lasse die Antragsgegnerin völlig außer Betracht.

365

b) Es bestehe kein Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wende.

366

aa) Sie vertrete - entgegen ihrem Vorbringen - einen rassisch definierten, ethnischen Volksbegriff. Der Deutschenbegriff des Parteiprogramms knüpfe nicht an der Staatszugehörigkeit, sondern an einer ethnisch definierten Volkszugehörigkeit an. Die gesetzlich ausgestaltete Staatsangehörigkeit führe ein politisch und rechtlich irrelevantes Nebendasein. Die Antragsgegnerin stelle ethnisch Fremde mit deutscher Staatsbürgerschaft rechtlos und wolle diese des Landes verweisen. Wenn sie behaupte, dass sie "keine Ausbürgerungen" plane, sei dies für ihre verfassungsfeindlichen Ziele irrelevant. Die Staatsbürgerschaft habe letztlich für das Bleiberecht keine Bedeutung, da dieses ausschließlich rassisch-ethnisch definiert werde.

367

Zwar sei eine Rückkehr zu einem allein auf Abstammung basierenden Staatsangehörigkeitsrecht auf gesetzlichem Weg möglich. Der Antragsteller trete jedoch der Auffassung der Antragsgegnerin entgegen, wonach der Gesetzgeber gar nicht konstitutiv entscheiden könne, wer zum "deutschen Volk" gehöre, da sich dies aus ethnisch-rassischen Kriterien ergebe. Art. 116 Abs. 1 Var. 1 GG bestätige gerade, dass die "Volkszugehörigkeit" allein nicht darüber bestimmen dürfe, wer zum Staatsvolk gehöre, sondern dass dies bewusst dem Gesetzgeber im Rahmen des Staatsangehörigkeitsrechts überlassen werde.

368

bb) Die Antragsgegnerin versuche, die Verfassungswidrigkeit ihrer Ideologie durch Verfälschungen zu überdecken. Sie betreibe eine verharmlosende Auslegung von Äußerungen (1), eine bewusste Dekontextualisierung und Unterschlagung von nationalsozialistischen Bezügen (2) sowie den Versuch der Distanzierung von grundlegenden Parteidokumenten (3) und einzelnen Belegen und Personen (4).

369

(1) Die Antragsgegnerin richte ihre Äußerungen bewusst am Adressatenkreis aus. Dies stehe der von ihr behaupteten "objektiven Mehrdeutigkeit" ihrer Äußerungen entgegen. Sie banalisiere insbesondere den die Menschenwürde verachtenden Charakter des Antisemitismus. Vereinzelte Zitate, die das Fehlen von Antisemitismus in der Partei belegen sollten, stünden einer Vielzahl antisemitischer Äußerungen gegenüber.

370

(2) Bewusst dekontextualisiert und damit entgegen den verfassungsrechtlichen Maßstäben ausgelegt würden insbesondere Aussagen, die die Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin zum Nationalsozialismus belegten. Auch weitere beispielhaft aufgeführte Äußerungen würden durch die Außerachtlassung des kommunikativen Kontextes bewusst verfälscht. Irreführend sei die Behauptung, beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in München hätten sich Bewohner mit einem Funktionär der Antragsgegnerin fotografieren lassen. In Wahrheit hätten drei der abgebildeten Asylbewerber Strafantrag gestellt mit der Folge, dass das Amtsgericht München einen Strafbefehl wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz erlassen habe. Verharmlosend dargestellt werde auch die Kampagne gegen S., deretwegen der Funktionär Frank Schwerdt zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung verurteilt worden sei. Hinsichtlich der Bedrängung von Kommunalpolitikern in Berlin-Pankow blende die Antragsgegnerin aus, dass das Motto der Aktion gelautet habe: "Den Feind erkennen - den Feind benennen." Bezogen auf die Störung der DGB-Kundgebung in Weimar habe die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Verstoßes gegen § 21 VersG erhoben. Hauptbeteiligte der Ausschreitungen am 24. Juli 2015 in Dresden seien der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau und ein weiterer Anhänger der Antragsgegnerin sowie drei weitere Teilnehmer der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstration gewesen.

371

(3) Die Antragsgegnerin versuche vergeblich, sich nachträglich von grundlegenden Parteidokumenten, insbesondere der Schrift "Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger" sowie den Leitfäden der JN zu distanzieren. Der vorgelegte Beschluss des Parteivorstands vom 5./6. April 2014 sei Teil eines taktischen Vorgehens im Hinblick auf das Parteiverbotsverfahren. Die betroffenen Texte behandelten Kernpositionen der Antragsgegnerin, die diese nicht nur über einen langen Zeitraum vertreten habe, sondern auch weiterhin vertrete. Dies werde durch zahlreiche Äußerungen führender Parteifunktionäre belegt.

372

Der für die Leitfäden verantwortliche JN-Schulungsleiter D. sei ein halbes Jahr nach diesem Beschluss zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden der JN aufgestiegen. Dieses Amt übe er weiterhin aus. In einem Interview vom 27. April 2014 habe er die fortwährende Gültigkeit der Leitfäden bestätigt.

373

Die Argumentationsbroschüre für Mandats- und Funktionsträger besitze ihrerseits eine große Relevanz innerhalb der Antragsgegnerin und eine hohe Reichweite. Sie entstamme der "Schriftenreihe des Parteivorstands der NPD" und enthalte ein Vorwort des damaligen Parteivorsitzenden, wonach es sich um eine der "drei Grundlagenschriften nationaldemokratischen Politikverständnisses" handele. Der Verfasser Jürgen Gansel sei führender und die Ideologie prägender Funktionär der Antragsgegnerin. Die 2012 in zweiter Auflage erschienene Broschüre sei seit mindestens zehn Jahren ideologische Grundlage der Parteiarbeit. Die fortgesetzte Gültigkeit der Broschüre zeige sich schließlich daran, dass zentrale Thesen der Schrift noch heute im Wortlaut auf der Homepage der Partei abgerufen werden könnten.

374

(4) Auch die Distanzierung von einzelnen Belegen und Personen sei vergeblich. Wenn eine verharmlosende Auslegung einer Äußerung nicht mehr möglich sei, werde versucht, diese als Entgleisung eines Einzelnen darzustellen oder deren Zurechenbarkeit zu bestreiten. Dies sei nicht hinnehmbar, da an der Zurechenbarkeit im Einzelfall keine Zweifel bestünden und die aufgeführten Äußerungen den Grundtendenzen der Partei entsprächen.

375

Die Schilderung eines Vorgehens gegen rechts- und satzungswidriges Verhalten von Mitgliedern in sechs Einzelfällen sei kaum repräsentativ und betreffe keine prägenden Mitglieder. Sie seien für das Gesamtbild der Partei ohne Belang. Vielmehr sei ein bekennender Nationalsozialist wie Thomas Wulff Anfang 2014 auf einem Parteitag in Hamburg zum Landesvorsitzenden gewählt worden und gehöre dem Bundesvorstand der Antragsgegnerin an.

376

cc) Bezeichnend sei schließlich, dass die Antragsgegnerin in ihren Schriftsätzen die zahlreichen Belege zum Antiparlamentarismus und zur Systemüberwindung nicht inhaltlich kommentiere. Der systemüberwindende Anspruch sei noch einmal in den Äußerungen von Udo Voigt in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden. Von dieser handlungsleitenden Zielsetzung könne auch der Verweis auf die parlamentarische Arbeit nicht ablenken, da diese nur Mittel auf dem Weg zur Abschaffung des parlamentarischen Systems sei. Ziel der Antragsgegnerin sei die Herrschaft einer rassischen Elite. Dies sei keine andere Form von Demokratie, sondern eine menschenrechtsverletzende Willkürherrschaft.

377

c) Die Antragsgegnerin gehe auch weiterhin auf eine Beeinträchtigung beziehungsweise Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus.

378

aa) (1) Zwar könne ein Parteiverbot nicht allein auf eine verfassungswidrige Gesinnung gestützt werden. Das Verfahren erfülle jedoch eine eigenständige Funktion. Daher könnten Strafbarkeit oder Rechtswidrigkeit nicht Voraussetzung eines verbotswidrigen Verhaltens sein. Dem Parlamentarischen Rat sei es bei Verabschiedung des Grundgesetzes nicht darum gegangen, über die verfassungswidrigen Ziele hinaus weitere Voraussetzungen für ein Parteiverbot aufzustellen. Das Kriterium "Verhalten der Anhänger" sei nur hinzugefügt worden, damit eine Partei sich nicht hinter dem "Lippenbekenntnis" eines harmlosen Programms verstecken könne. Der Verbotstatbestand setze keine - auch nicht eine marginale - konkrete Gefahr für eines der beiden Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG voraus, zumal eine verlässliche Prognose über die Realisierungschance einer solchen Gefahr nicht getroffen werden könne.

379

Die jeweilige prozentuale Entwicklung der Wahlergebnisse könne daher kein Maßstab für den "richtigen Zeitpunkt" eines Parteiverbots sein. Die Wahl des Zeitpunkts der Einleitung eines Verbotsverfahrens liege im politischen Ermessen der zugelassenen Antragsteller, die allesamt Verfassungsorgane seien. Dieses Ermessen sei vom Bundesverfassungsgericht allenfalls auf Missbrauch hin überprüfbar.

380

Eine dem Zweck des Verfahrens angemessene Prävention erlaube ein Verbot jedenfalls dann, wenn der Partei Äußerungen oder Aktivitäten zuzurechnen seien, die typischerweise Gefährdungen für den Verfassungsstaat oder die Menschenwürde darstellten, und es unvorhersehbar sei, wie und wann sie sich realisierten. Derartige typische Gefährdungen seien namentlich mit Handlungen und Äußerungen unmittelbar gegenüber dem politischen Gegner oder einer angegriffenen Minderheit verbunden. Selbst wenn Aktivitäten in der Form einer Äußerung erfolgten - etwa eine Aufforderung zur Ausreise -, könne darin nicht nur eine Mitteilung von Inhalten gesehen werden. Die Äußerungstelle - etwa aufgrund des bedrohlichen oder einschüchternden Charakters - gleichzeitig eine die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gefährdende Handlung dar. Gefährlich könnten auch Äußerungen gegenüber eigenen Anhängern sein, wenn diese handlungsleitend seien.

381

(2) Auch das Kriterium der "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus" knüpfe nicht nur an eine Gesinnung oder eine Überzeugung an. Es sei - als ein Indiz für ein "Darauf Ausgehen" - vielmehr auch anwendbar, wenn man deutlich mehr als eine verfassungswidrige Überzeugung verlange, da es auf der Erkenntnis basiere, dass eine dem Nationalsozialismus verwandte Partei typischerweise Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung verursache.

382

bb) (1) Der gestiegene Umfang der Aktivitäten der Antragsgegnerin sei ein Indiz für die aggressiv-kämpferische Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele. Nach einer Schwächephase von 2012 bis 2014 sei in den vergangenen eineinhalb Jahren - auch bedingt durch die Flüchtlingsproblematik - eine Stärkung der Antragsgegnerin zu beobachten. Dies betreffe insbesondere die Zahl und die Reichweite der Aktivitäten, wie etwa das zunehmende Demonstrationsgeschehen zeige. Die selektive Betrachtung von Verfassungsschutzberichten aus einzelnen Jahren sei nicht repräsentativ. Vielmehr sei die Entwicklung der Partei insgesamt in den Blick zu nehmen.

383

Die Reichweite der Aktivitäten der Antragsgegnerin könne nicht nur an traditionellen Indikatoren, wie etwa Mitgliederzahlen, festgemacht werden. Die Antragsgegnerin benutze umfangreich und professionell die neuen Medien und erreiche dadurch - mit relativ kleinem Aufwand - eine große Zahl von Adressaten. Entscheidend für die Beurteilung ihrer Stärke sei darüber hinaus ihr Selbstverständnis als Weltanschauungspartei. Dieses habe zur Folge, dass ihre Mitglieder eine - im Vergleich zu den Mitgliedern anderer Parteien - überdurchschnittlich hohe Aktivitätsquote hätten.

384

Die Kampagnenfähigkeit und das Mobilisierungspotential der Antragsgegnerin ließen sich insbesondere an den umfangreichen Demonstrationsaktivitäten im Jahr 2015 ablesen. Betrachte man nur die Veranstaltungen ab 20 Personen, seien 192 unmittelbar der Antragsgegnerin zurechenbare Veranstaltungen mit insgesamt circa 23.000 Teilnehmern im Jahr 2015 zu verzeichnen. Hinzu kämen 95 von der Antragsgegnerin beeinflusste oder gesteuerte Veranstaltungen (THÜGIDA, MVGIDA, "Saarländer gegen Salafisten" etc.) mit einer Gesamtteilnehmerzahl von über 20.000.

385

Die Antragsgegnerin sei ein Hauptakteur der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation. Von rechtsextremistischen Parteien organisierte Aktionen und Straftaten gegen Asylunterkünfte hätten im Jahr 2015 mit 1.031 Straftaten (davon 177 Gewaltdelikte) ihren Höchststand erreicht. Der völkischen Ideologie der Antragsgegnerin könne dabei nach Einschätzung des Bundeskriminalamts eine katalysierende Wirkung zukommen.

386

Ein weiterer Faktor bei der Beurteilung der Stärke der Antragsgegnerin sei ihre Rolle als Arbeitgeberin. Insgesamt seien den Verfassungsschutzbehörden 87 Personen bekannt, die seit 2004 als Mitarbeiter beziehungsweise Praktikanten der Landtagsfraktionen der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, der einzelnen Landtagsabgeordneten der Partei sowie des Europaabgeordneten Udo Voigt tätig gewesen seien. Bei 37 dieser Personen könne eine vorherige oder gleichzeitige Verbindung zu neonazistischen Personenzusammenschlüssen aus offen verwertbaren Informationen bestätigt werden. Ihre Rolle als Arbeitgeberin stärke die personelle Basis der Antragsgegnerin und ihre Netzwerkfunktion im rechtsextremistischen Spektrum.

387

(2) In den vergangenen Wochen und Monaten sei es zudem zu weiteren Ereignissen gekommen, die zeigten, dass die Antragsgegnerin durch Einschüchterungen und Bedrohungen bis hin zur Gewaltanwendung demokratisches Handeln vor Ort einschränke.

388

In Nauen sei der Funktionär S. wegen des dringenden Tatverdachts der Brandstiftung mit Blick auf eine als Notunterkunft für Asylbewerber geplante Turnhalle verhaftet worden. In Löcknitz habe eine Gruppe um einen Gemeindevertreter der Antragsgegnerin eine Versammlung gestört und sei wegen Äußerungen wie "keine Volksdeutschen", "alles Parasiten" und "polnischer Pöbel" angezeigt worden.

389

Am 11. Januar 2016 sei es im Leipziger Stadtteil Connewitz zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen, die der Kreisverband der Antragsgegnerin Leipzig in den sozialen Medien positiv kommentiert und dadurch die Situation angeheizt habe. Der überwiegende Teil der Täter habe einen rechtsextremen Hintergrund gehabt.

390

Schließlich habe die Antragsgegnerin in scheinlegaler Weise zum Umsturz aufgerufen, als sie im Februar 2016 Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes sowie Soldaten dazu aufgefordert habe, von ihrem Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG Gebrauch zu machen. Eine derart gezielte Verleitung zum Ungehorsam gegenüber dem Staat beinhalte ein aktives Untergraben der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

391

4. Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2016 hat die Antragsgegnerin zu den mit Schriftsatz vom 22. März 2016 vorgelegten Belegen des Instituts für Zeitgeschichte mitgeteilt, dass ihr die Belege hinsichtlich P. und H. nicht zurechenbar seien, da keine der beiden Personen Mitglied der Antragsgegnerin sei.

392

5. Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2016 hat die Antragsgegnerin auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 27. April 2016 erwidert und geltend gemacht, dass sie die Bindung des Gesetzgebers an das Menschenwürdeprinzip ausdrücklich anerkenne. Auch die Behauptung des Antragstellers, sie negiere die Geltung der (Jedermann-)Grundrechte für Ausländer, gehe fehl. Sie strebe auch keine Ausbürgerung an, sondern fordere eine Einschränkung der überbordenden Einbürgerungspraxis durch eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes ex nunc.

393

Zu den neu erhobenen tatsächlichen Vorwürfen sei Folgendes auszuführen: S. stehe in Nauen lediglich unter Brandstiftungsverdacht, gerichtliche Feststellungen seien bislang nicht getroffen worden. Jedenfalls könne die Tat der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden, da sie diese weder billige, noch dazu angestiftet habe. Im Fall Löcknitz habe ihr Gemeindevertreter weder beleidigende Äußerungen getätigt noch Gewalt ausgeübt.

394

Zu den Verlautbarungen des Kreisverbands Leipzig sei festzustellen, dass die Antragsgegnerin den hierfür verantwortlichen Kreisvorsitzenden B. unverzüglich seines Amts enthoben habe. Der Betroffene habe die Partei sodann freiwillig verlassen. Mehr könne von der Antragsgegnerin nicht verlangt werden.

395

6. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2016 hat die Antragsgegnerin die ordnungsgemäße Besetzung des Senats im Hinblick auf die Mitwirkung des Richters Landau gerügt. Dessen Amtszeit sei abgelaufen. Gleichwohl versuche der Antragsteller durch die vorsätzliche Nichtwahl eines Nachfolgers die Erfolgsaussichten seines Verbotsantrags zu verbessern.

XV.

396

Hinsichtlich der 57 vom Antragsteller in der Antragsschrift und der deanonymisierten Übersicht aufgeführten strafrechtlichen Verurteilungen hat der Senat in 54 Fällen die entsprechenden Verfahrensakten beiziehen können.

B.

397

Die Anträge sind zulässig.

398

Bedenken gegen die ordnungsgemäße Besetzung des Senats bestehen nicht (I.). Auch stehen der Durchführung des Verfahrens keine unbehebbaren Verfahrenshindernisse entgegen (II.). Der hilfsweise gestellte Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung des Verfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, ist zurückzuweisen (III.). Die von der Antragsgegnerin im Übrigen geltend gemachten Zulässigkeitsmängel liegen nicht vor. Weder fehlt es an einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers (IV.1.), noch ergibt sich die Unzulässigkeit des Antrags aus einer verfassungswidrigen Ausgestaltung der Antragsbefugnis im Parteiverbotsverfahren durch § 43 BVerfGG (IV.2.). Auch die Auffassung, für das beantragte Parteiverbot stelle Art. 21 Abs. 2 GG keine geeignete Rechtsgrundlage dar, steht der Zulässigkeit des Verbotsverfahrens nicht entgegen (IV.3.).

I.

399

Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt. Hinsichtlich der bereits in der mündlichen Verhandlung beschiedenen Besetzungsrügen wird auf die gesondert ergangenen Beschlüsse verwiesen (vgl. Rn. 349). Die Besetzungsrüge der Antragsgegnerin betreffend den Richter Landau geht ins Leere. Die Amtszeit des Richters ist abgelaufen und er ist mit der Ernennung seiner Nachfolgerin gemäß § 4 Abs. 1 und 4 BVerfGG aus dem Senat ausgeschieden. Demgemäß hat er an der Entscheidung nicht mitgewirkt.

II.

400

Für eine Einstellung des Verfahrens wegen unbehebbarer Verfahrenshindernisse ist kein Raum.

401

1. Ein zur Verfahrenseinstellung führendes Hindernis kommt lediglich als ultima ratio möglicher Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen in Betracht (a). Im Parteiverbotsverfahren gemäß Art. 21 Abs. 2 GG setzt dies einen Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht voraus (b). Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn gegen das aus Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot freier und selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht verstoßen wird (c). Mit dem rechtsstaatlichen Gebot strikter Staatsfreiheit ist der Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens grundsätzlich nicht zu vereinbaren (d). Gleiches gilt, soweit ein Verbotsantrag im Wesentlichen auf Materialien und Sachverhalte gestützt wird, deren Zustandekommen durch staatliche Quellen beeinflusst wurde (e). Daneben kommt dem Grundsatz des fairen Verfahrens besondere Bedeutung zu. Der daraus folgende Anspruch einer Prozesspartei, im Rahmen einer von ihr ausgewählten Strategie effektiv Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können, steht einem Ausspähen der Prozessstrategie mit nachrichtendienstlichen Mitteln entgegen (f). Wird diesen Anforderungen nicht genügt, kommt eine Fortsetzung des Parteiverbotsverfahrens grundsätzlich nicht in Betracht. Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn angesichts der von einer Partei ausgehenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Präventionszweck des Parteiverbotsverfahrens die Beeinträchtigung der rechtsstaatlichen Anforderungen an das Parteiverbotsverfahren eindeutig überwiegt (g).

402

a) Weder das Grundgesetz noch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthalten spezielle Normen zu den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Durchführung eines Verfahrens gemäß Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 93 Abs. 1 Nr. 5 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 2, §§ 43 ff. BVerfGG sowie zu den Rechtsfolgen von Verstößen gegen solche Anforderungen. Insbesondere fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung der Verfahrenseinstellung wegen nicht behebbarer Verfahrenshindernisse (vgl. BVerfGE 107, 339 <363>).

403

Allerdings hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes in seiner Entscheidung vom 18. März 2003 (BVerfGE 107, 339) hierzu - insoweit im Ansatz übereinstimmend zwischen damaliger Senatsmehrheit und -minderheit - ausgeführt: Kein staatliches Verfahren darf einseitig nur nach Maßgabe des jeweils rechtlich bestimmten Verfahrenszwecks ohne Rücksicht auf mögliche gegenläufige Verfassungsgebote und auf mögliche übermäßige rechtsstaatliche Kosten einseitiger Zielverfolgung durchgeführt werden. Die Durchsetzung jedes staatlichen Verfahrensinteresses muss im Konflikt mit gegenläufigen verfassungsrechtlichen Rechten, Grundsätzen und Geboten als vorzugswürdig nach Maßgabe der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein (BVerfGE 107, 339 <364>). Weiterhin hat der Senat darauf hingewiesen, dass dem Bundesverfassungsgericht aufgrund seiner alleinigen Zuständigkeit für die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei eine Garantenstellung für die Wahrung rechtsstaatlicher Anforderungen im Verbotsverfahren zukommt. Es hat daher von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob das staatliche Interesse an der weiteren Durchführung des Verfahrens überwiegt, oder ob die Fortsetzung des Verfahrens den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit und dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Antragsgegnerin widerspräche (vgl. BVerfGE 107, 339 <364 f.>). Ein zur Verfahrenseinstellung zwingendes Verfahrenshindernis wird dabei allerdings nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden können, wenn die materiellen Ziele des Verfahrens tatsächlich nicht mehr oder nur bei Inkaufnahme unverhältnismäßiger Rechtsverletzungen zu verwirklichen sind (BVerfGE 107, 339 <380> nicht entscheidungstragende Senatsmehrheit). Die Annahme eines zur Verfahrenseinstellung führenden Verfahrenshindernisses kommt nur als ultima ratio möglicher Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen in Betracht (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> entscheidungstragende Senatsminderheit).

404

b) Voraussetzung für die Annahme eines unüberwindlichen Verfahrenshindernisses ist demgemäß ein Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht (vgl. BVerfGE 107, 339 <365>). Bei weniger schwerwiegenden oder auf andere Weise ausgleichbaren Verfahrensmängeln verbietet sich hingegen eine Verfahrenseinstellung. Sie können durch Rechtsfolgen ausgeglichen werden, die nicht das gesamte Verfahren mit sofortiger Wirkung beenden, wie etwa erhöhte Anforderungen an die Beweiswürdigung oder Beweisverwertungsverbote (vgl. BVerfGE 107, 339 <379> Senatsmehrheit unter Verweis auf BVerfGE 44, 353 <383>; 57, 250 <292 f.>; 101, 106 <126>).

405

c) Für die Frage, ob ein gewichtiger Verfassungsverstoß gegeben ist, sind vor allem die sich spezifisch aus dem Wesen des Parteiverbotsverfahrens gemäß Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden rechtsstaatlichen Anforderungen zu beachten: Das verfassungsgerichtliche Parteiverbot stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar. Im Parteiverbotsverfahren ist daher ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit geboten (vgl. BVerfGE 107, 339 <369> Senatsminderheit). Die betroffene Partei erhält vor dem Bundesverfassungsgericht - gegebenenfalls letztmalig - die Chance, dem Vorbringen des oder der Antragsteller, die ein Parteiverbot für erforderlich halten, das Bild einer loyalen verfassungsrechtlichen Institution entgegenzusetzen, deren weitere Teilnahme am Prozess der Volks- und Staatswillensbildung gerade im Interesse einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung notwendig und legitim ist. Staatsfreiheit und Selbstbestimmung gewinnen in dieser Situation eine besonders herausragende Bedeutung (vgl. BVerfGE 107, 339 <368> Senatsminderheit). Es muss gewährleistet sein, dass die Partei ihre Position frei, unbeobachtet und selbstbestimmt darstellen kann. Neben den Geboten der Verlässlichkeit und Transparenz ist die Anforderung strikter Staatsfreiheit im Sinne unbeobachteter selbstbestimmter Willensbildung und Selbstdarstellung vor dem Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 107, 339 <369> Senatsminderheit) unverzichtbar.

406

d) Die Tätigkeit von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines gegen diese laufenden Verbotsverfahrens ist mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht vereinbar:

407

aa) Erfolgt die Beobachtung einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei durch V-Leute oder Verdeckte Ermittler, die im Bundesvorstand oder einem Landesvorstand dieser Partei oder in den Vorständen ihrer Teilorganisationen tätig sind, ist deren freie und selbstbestimmte Willensbildung und Selbstdarstellung nicht gewährleistet. V-Leute wirken notwendig als Medien staatlicher Einflussnahme. Ihre Tätigkeit ist durch widersprüchliche Loyalitätsansprüche als Parteimitglieder einerseits und als - in der Regel entgeltlich tätige - Informanten für staatliche Behörden andererseits geprägt, dessen Aufgabe es sein kann, Material für ein mögliches Parteiverbotsverfahren zu beschaffen (vgl. BVerfGE 107, 339 <367> Senatsminderheit). Staatliche Präsenz auf den Führungsebenen der Partei macht Einflussnahmen auf deren Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar (vgl. BVerfGE 107, 339 <366> Senatsminderheit). Ob und inwieweit der Einzelne tatsächlich Einfluss genommen hat, ist regelmäßig nicht nachvollziehbar und daher nicht ausschlaggebend.

408

bb) Staatliche Stellen müssen rechtzeitig vor dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht - spätestens mit der öffentlichen Bekanntmachung der Absicht, einen derartigen Antrag zu stellen - ihre Quellen (V-Leute) in den Vorständen einer politischen Partei abgeschaltet haben und dürfen auch keine die "Abschaltung" umgehende "Nachsorge" betreiben; eingeschleuste Personen (Verdeckte Ermittler) sind zurückzuziehen (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>). Dabei ist die Pflicht zur "Abschaltung" von V-Leuten und Zurückziehung von Verdeckten Ermittlern auf den Bundesvorstand und die Landesvorstände der Partei sowie ihre Teilorganisationen begrenzt, da es sich hierbei um diejenigen Gremien handelt, die auf die Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens entscheidenden Einfluss haben. Parteitagsdelegierten, Abgeordneten oder Fraktionsmitarbeitern kommt demgegenüber ein vergleichbarer Einfluss nicht zu.

409

cc) Die "Abschaltung" von V-Leuten und die Zurückziehung Verdeckter Ermittler aus den Führungsebenen der Partei nach Bekanntmachung der Absicht, ein Verbotsverfahren einzuleiten, stehen der Forderung, die Handlungsfähigkeit der Organe präventiven Verfassungsschutzes zu erhalten, nicht entgegen (vgl. auch Rn. 418). Ein auf die Dauer des Verbotsverfahrens begrenztes Abschalten der V-Leute in den Führungsgremien der Partei setzt die zuständigen Behörden nicht außerstande, unter Einsatz der verbleibenden nachrichtendienstlichen Mittel (einschließlich des Einsatzes von V-Leuten unterhalb der Ebene der Führungsgremien) im rechtlich zulässigen Rahmen verfassungsfeindliche Bestrebungen in gebotenem Umfang aufzuklären. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Beobachtung einer Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln einen schweren Eingriff in das aus der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG folgende Selbstbestimmungsrecht darstellt, der in jedem Einzelfall neben einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage einer besonderen Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bedarf (vgl. BVerfGE 107, 339 <366>; siehe auch BVerfGE 134, 141 <179 f., Rn. 112 ff.>).

410

e) Ebenfalls mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht zu vereinbaren ist es, wenn die Begründung eines Verbotsantrags auf Beweismaterialien gestützt wird, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <370> Senatsminderheit; Gebot der Quellenfreiheit).

411

aa) Manifestationen der Parteiziele und Verhaltensweisen der Parteianhänger können nur dann der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG zugrunde gelegt werden, wenn sie der Partei als Gegenstand eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung zuzurechnen sind. Dies ist bei Sachverhalten, die von staatlicher Stelle provoziert oder beeinflusst wurden, regelmäßig nicht der Fall (vgl. BVerfGE 107, 339 <382> Senatsmehrheit). Äußerungen oder Verhaltensweisen von Personen, die nachrichtendienstliche Kontakte zu staatlichen Stellen unterhalten, können aufgrund der mit der V-Mann-Tätigkeit verbundenen unterschiedlichen Loyalitäten nicht eindeutig der Sphäre der betroffenen Partei zugeordnet werden. Eine Verwertung derartigen Materials zulasten der von einem Verbotsverfahren betroffenen Partei hat zu unterbleiben.

412

Demgegenüber sind Äußerungen oder Verhaltensweisen vor oder nach Beendigung der V-Mann-Tätigkeit zumindest nicht uneingeschränkt als unverwertbar anzusehen. Jedenfalls im Falle eines ausreichenden zeitlichen Abstands zur V-Mann-Tätigkeit, der gewährleistet, dass Loyalitätskonflikte das Verhalten nicht beeinflusst haben, bestehen regelmäßig keine Bedenken gegen eine Zurechnung dieses Verhaltens zu der betroffenen Partei.

413

bb) Die Quellenfreiheit des zur Begründung eines Verbotsantrags vorgelegten Beweismaterials hat der jeweilige Antragsteller darzulegen (vgl. BVerfGE 107, 339 <370> Senatsminderheit). Verbleiben nach Ausschöpfung der Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen der Amtsermittlung Zweifel, ob vorgelegtes Beweismaterial quellenfrei ist, darf dieses der Partei nicht zugerechnet und nicht zu Beweiszwecken verwendet werden.

414

cc) Ein solches, auf das infizierte Beweismaterial beschränktes Verwertungsverbot bedeutet allerdings nicht, dass damit stets ein nicht ausgleichbarer Verfahrensmangel begründet ist. Ist lediglich ein Teil des Beweismaterials betroffen, verbietet sich eine Verfahrenseinstellung als prozessuale Rechtsfolge jedenfalls dann, wenn die restliche Tatsachengrundlage die Durchführung des Verfahrens zulässt (vgl. BVerfGE 107, 339 <379> Senatsmehrheit).

415

f) Im Parteiverbotsverfahren hat - nicht zuletzt angesichts der Rechtsfolge der Auflösung der betroffenen Partei - zudem der Grundsatz des fairen Verfahrens besondere Bedeutung. Er garantiert Schutz vor Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen der Partei und ihrem Verfahrensbevollmächtigten behindern, und steht einer Verwendung von Informationen über die Prozessstrategie der Partei, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, entgegen.

416

Das Bundesverfassungsgericht hat aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) den Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren abgeleitet (vgl. BVerfGE 107, 339 <383> Senatsmehrheit).

417

aa) Dieser Anspruch umfasst insbesondere das Recht einer Prozesspartei, zur Wahrung ihrer Rechte im Rahmen einer von ihr ausgewählten Strategie Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 <111>; 63, 380 <390 f.>; 65, 171 <174 f.>; 66, 313 <318>; 107, 339 <383 f.> Senatsmehrheit), und ist auch im Parteiverbotsverfahren zu beachten (vgl. BVerfGE 104, 42 <50>; 107, 339 <367, 383>). Eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens liegt im Fall des Art. 21 Abs. 2 GG insbesondere vor, wenn die Verhandlungskonzeption der von einem Verbotsverfahren betroffenen Partei gezielt in einer Weise ausgeforscht wird, die eine sachangemessene Rechtsverteidigung unmöglich macht (vgl. BVerfGE 107, 339 <384> Senatsmehrheit) oder wesentlich erschwert. Gleiches kommt in Betracht, wenn während eines laufenden Verbotsverfahrens unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht allgemein zugängliche Informationen über die Prozessstrategie der betroffenen Partei zufällig erlangt und in einer die Effektivität ihrer Verteidigung beeinträchtigenden Weise verwertet werden.

418

bb) Allerdings führt auch der Anspruch auf ein faires Verfahren nicht zu einem Verbot der Beobachtung einer Partei und ihrer Mandatsträger mit nachrichtendienstlichen Mitteln während eines laufenden Verbotsverfahrens (vgl. bereits Rn. 409). Die Möglichkeit nachrichtendienstlicher Beobachtung verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist Ausfluss des Prinzips der "streitbaren" oder "wehrhaften Demokratie", das vor allem in Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verankert ist und gewährleisten soll, dass Verfassungsfeinde nicht unter Berufung auf die Freiheiten, die das Grundgesetz gewährt, und unter ihrem Schutz die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates gefährden, beeinträchtigen oder zerstören (vgl. BVerfGE 2, 1 <11 ff.>; 5, 85 <138 f.>; 28, 36 <48>; 30, 1 <18 f.>; 40, 287 <292>; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>). Eine Beobachtung - auch unter Rückgriff auf die Instrumente heimlicher Informationsbeschaffung gemäß § 8 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz - ist daher in einem laufenden Verbotsverfahren grundsätzlich zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfolgt und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> Senatsminderheit; 134, 141 <179 ff. Rn. 109-117>; BVerwGE 110, 126 <130 ff.>) sowie die rechtsstaatlichen Gebote der Staatsfreiheit und des fairen Verfahrens nicht außer Acht lässt.

419

Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet daher, dass, soweit die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens fortgesetzt wird, dies nicht der Ausspähung ihrer Prozessstrategie dient und dass im Rahmen der Beobachtung erlangte Informationen über die Prozessstrategie im Verfahren nicht zulasten der Partei verwendet werden. Nur auf diesem Weg kann sichergestellt werden, dass die Aufgabe präventiven Verfassungsschutzes weiter wahrgenommen werden kann, ohne das verfassungsmäßige Recht der betroffenen Partei auf ein faires Verfahren zu verletzen.

420

cc) Bei fortgesetzter Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln sind staatlicherseits hinreichende Vorkehrungen zu treffen, die eine Beachtung des Grundsatzes des fairen Verfahrens gewährleisten. Dabei ist vor allem der besonderen Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Parteiverbotsverfahren Rechnung zu tragen.

421

Das Bundesverfassungsgericht hat für den ähnlich gelagerten Fall der Überwachung der Verteidigerkommunikation im Strafverfahren mehrfach festgestellt, dass Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Strafverteidiger nicht von vornherein und in jedem Fall unstatthaft sind, aber bei Maßnahmen, die den freien Kontakt zwischen dem Beschuldigten und seiner Verteidigung behindern, das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren berührt ist (vgl. BVerfGE 30, 1 <32>; 49, 24 <55>; BVerfGK 11, 33 <43 ff.>; 19, 326 <332 f.>; vgl. auch BVerfGE 109, 279 <323, 329 ff.>; 110, 226 <251 ff.>; 113, 29 <49>). Die Überwachung des Telefonanschlusses eines Strafverteidigers ist demzufolge von Verfassungs wegen unstatthaft, wenn sie auf die Überwachung der Kommunikation mit seinem Mandanten abzielt (vgl. BVerfGK 11, 33 <43>).

422

Für das Parteiverbotsverfahren kann nichts anderes gelten. Auch hier sind das Vertrauensverhältnis zwischen der betroffenen Partei und ihren Verfahrensbevollmächtigten und das Recht auf effektive Verteidigung verfassungsrechtlich in grundsätzlich gleicher Weise geschützt. Dem ist durch geeignete Maßnahmen, die den freien und unbeobachteten Kontakt zwischen der Antragsgegnerin und ihren Verfahrensbevollmächtigten gewährleisten, Rechnung zu tragen.

423

dd) Es ist Sache des Antragstellers im Parteiverbotsverfahren darzulegen, welche Vorkehrungen er zur Verhinderung einer Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin oder einer Verwertung zufällig erlangter Kenntnisse zu ihren Lasten getroffen hat. Hat er dies in glaubhafter und nachvollziehbarer Weise getan, genügt die abstrakte Gefahr einer Ausforschung nicht, um von einer Verletzung des rechtsstaatlich verbürgten Anspruchs auf ein faires Verfahren ausgehen zu können (vgl. BVerfGE 107, 339 <384> Senatsmehrheit).

424

g) Die Verletzung des Gebots der strikten Staatsfreiheit und des Anspruchs auf ein faires Verfahren bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die gemäß Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gebotene Rechtsstaatlichkeit des Parteiverbotsverfahrens. Der Einsatz von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens, die Begründung des Verbotsantrags in seinen wesentlichen Teilen unter Rückgriff auf von staatlichen Quellen infiziertes Beweismaterial oder die Ausnutzung von unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erworbener Kenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin stellen erhebliche Verfassungsverstöße dar. Deren Gewicht wird noch dadurch verstärkt, dass ein Parteiverbotsverfahren nicht nur mit der Rechtsfolge der Auflösung der betroffenen Partei verbunden sein kann, sondern dass bereits die mit Beantragung eines Verbots zum Ausdruck kommende Einschätzung ihrer Verfassungswidrigkeit einen schwerwiegenden Eingriff in das sich aus der Parteienfreiheit ergebende Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb darstellt.

425

Bei der Beantwortung der Frage, ob dies zu einer Beendigung des Verfahrens ohne Sachentscheidung führt, ist allerdings neben der in Art. 21 Abs. 1 GG garantierten Parteienfreiheit auch die Entscheidung des Grundgesetzes für eine "streitbare Demokratie" zu beachten. Die Normentrias der Art. 9 Abs. 2, Art. 18 und Art. 21 Abs. 2 GG gehört zu den Kernbestandteilen präventiven Verfassungsschutzes (vgl. BVerfGE 107, 339 <386> Senatsmehrheit). Das Grundanliegen einer Verfassung, die sich nicht durch den Missbrauch der von ihr gewährleisteten Freiheitsrechte zur Disposition stellen lassen will, würde verfehlt, wenn sie nicht über wirksame Instrumente zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfügte (vgl. BVerfGE 107, 339 <387> Senatsmehrheit). Daher ist bei der Entscheidung über das Vorliegen eines zur Verfahrenseinstellung führenden unbehebbaren Verfahrenshindernisses im Parteiverbotsverfahren neben den rechtsstaatlichen Anforderungen an seine Durchführung immer auch dessen Präventionszweck in den Blick zu nehmen und beides gegeneinander abzuwägen.

426

Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Erfordernisse der Verfahrensgestaltung im Parteiverbotsverfahren ausnahmslos nach sich zieht, dass eine Fortsetzung des Verfahrens von vornherein ausgeschlossen ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <371> Senatsminderheit). Zwar wird im Falle einer Verletzung der rechtsstaatlichen Gebote strikter Staatsfreiheit und des fairen Verfahrens regelmäßig ein nicht behebbarer rechtsstaatlicher Mangel gegeben sein mit der Folge, dass grundsätzlich vom Vorliegen eines Verfahrenshindernisses auszugehen und das Verfahren einzustellen sein wird. Etwas anderes muss jedoch gelten, wenn dem Eingriff in die rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Präventionszwecks des Verbotsverfahrens gegenübersteht. Auch wenn ein Verfassungsverstoß von erheblichem Gewicht vorliegt, ist Voraussetzung für die Einstellung des Verfahrens, dass seine Fortsetzung auch bei einer Abwägung mit den staatlichen Interessen am wirksamen Schutz gegen die von einer möglicherweise verfassungswidrig tätigen Partei ausgehenden Gefahren rechtsstaatlich nicht hinnehmbar ist (vgl. BVerfGE 107, 339 <365> Senatsminderheit; <380> Senatsmehrheit). Im Fall des eindeutigen Überwiegens des Präventionszwecks des Parteiverbotsverfahrens kann dessen Fortführung mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein (vgl. BVerfGE 107, 339 <385> Senatsmehrheit). Im Parteiverbotsverfahren bedarf es daher zur Feststellung des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einer Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen einerseits und dem Präventionszweck dieses Verfahrens andererseits.

427

2. Nach diesen Maßgaben ist ein zur Einstellung des Verbotsverfahrens führendes Verfahrenshindernis vorliegend nicht gegeben. Da aufgrund der vom Antragsteller vorgelegten Testate und Belege davon auszugehen ist, dass es auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine Verdeckten Ermittler oder V-Leute mehr gibt (a), das relevante Beweismaterial in seinen wesentlichen Teilen nicht auf Äußerungen und Verhaltensweisen von Parteimitgliedern mit Kontakten zu staatlichen Behörden gestützt ist (b), der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin Rechnung getragen worden ist und Kenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nicht erlangt wurden (c), fehlt es bereits an einem erheblichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien (erste Prüfungsstufe). Einer Abwägung mit dem Präventionszweck des Verbotsverfahrens (zweite Prüfungsstufe) bedarf es daher nicht.

428

a) Eine Verletzung des rechtsstaatlichen Gebots strikter Staatsfreiheit im Sinne freier und unbeobachteter Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht durch Einsatz staatlicher Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin während des streitgegenständlichen Verbotsverfahrens liegt nicht vor. Der Antragsteller hat glaubhaft - und ohne dass dies von der Antragsgegnerin in aufklärungsbedürftiger Weise erschüttert werden konnte - dargetan, dass rechtzeitig alle V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin abgeschaltet (aa) und nicht in informationsgewinnender Weise nachbetreut wurden (bb), sowie dass gegen die Antragsgegnerin keine Verdeckten Ermittler eingesetzt wurden oder werden (cc).

429

aa) Die "Abschaltung" aller V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin hat der Antragsteller durch die vorgelegten Testate und sonstigen Dokumente hinreichend belegt (1). Der Vortrag der Antragsgegnerin begründet keine ernsthaften Zweifel daran (2), so dass es weiterer Beweiserhebungen nicht bedurfte (3).

430

(1) (a) Der Antragsteller hat zum Nachweis der "Abschaltung" der V-Leute in den Führungsgremien der Antragsgegnerin Testate des Bundesinnenministers sowie der Innenminister und -senatoren aller Länder vorgelegt, in denen diese gleichlautend erklären, dass spätestens seit der Bekanntmachung der Absicht am 6. Dezember 2012, einen Verbotsantrag zu stellen, in den Vorständen der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen (JN, KPV und RNF) keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder V-Leuten eingesetzt werden. Darüber hinaus hat er inhaltlich übereinstimmende Erklärungen der Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundesnachrichtendienstes, des Bundeskriminalamts und des Bundespolizeipräsidiums sowie der Staatssekretäre im Bundesministerium der Finanzen und im Bundesministerium der Verteidigung vorgelegt. Diese nehmen zwar auf das Datum vom 6. Dezember 2012 nicht ausdrücklich Bezug, datieren aber alle vor diesem Zeitpunkt.

431

Diese Testate sind im Rahmen der Prüfung der Staatsfreiheit der Antragsgegnerin zu beachten, da im Verfassungsprozess als Beweismittel alle Erkenntnisquellen in Betracht kommen, die geeignet sind, dem Gericht die Überzeugung von der Wahrheit des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu verschaffen. Einen Numerus clausus der Beweismittel kennt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz nicht (vgl. Klein, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 26 Rn. 10 ; Haberzettl, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 26 Rn. 20; Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 26 Rn. 8).

432

Beweisrechtlich handelt es sich bei den Testaten um schriftliche Erklärungen von Zeugen. Hinsichtlich ihres Beweiswertes ist zu berücksichtigen, dass diese Erklärungen von den Testierenden in ihrer jeweiligen amtlichen Eigenschaft abgegeben wurden. Selbst wenn den Innenministern und -senatoren ein Interesse am Ausgang des Verfahrens unterstellt würde, sind sie doch selbst nicht Antragsteller. Dies gilt erst recht für die übrigen Testierenden, so dass die Bedeutung der Testate über die Qualität eines bloßen Parteivortrags hinausreicht. Außerdem wären ein falsches Testat und die damit verbundene Verantwortung für ein mögliches Scheitern des Verbotsverfahrens für den jeweiligen Testierenden mit einem erheblichen persönlichen und politischen Risiko verbunden. Dies spricht dafür, dass die vorgelegten Testate nicht leichtfertig abgegeben wurden. Sie sind als Beweismittel für eine "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin grundsätzlich geeignet, es sei denn, dass ihre Glaubhaftigkeit durch den beweis- oder indiziengestützten Tatsachenvortrag der Antragsgegnerin oder in anderer Weise erschüttert wird.

433

(b) Der Antragsteller hat außerdem auf die Aufforderung in Ziffer III.1. des Hinweisbeschlusses vom 19. März 2015 (vgl. Rn. 131) den Vollzug der "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin dargestellt und belegt. Er hat dadurch die Glaubhaftigkeit der vorgelegten Testate untermauert:

434

Die Anzahl der Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin hat er zum Stichtag 1. Dezember 2011 mit insgesamt elf V-Leuten beziffert, die zwischen dem 29. Dezember 2011 und dem 10. April 2012 ausnahmslos abgeschaltet worden seien. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass es sich bei den eingesetzten Quellen ausschließlich um V-Leute gehandelt habe, da Verdeckte Ermittler nicht eingesetzt worden seien. Dabei führt der Antragsteller aus, er sei vom Quellenbestand zum Stichtag 1. Dezember 2011 - und nicht erst zum Zeitpunkt des Beginns der Materialsammlung am 2. April 2012 - ausgegangen, um auch "Abschaltungen", die gleichsam im Vorgriff auf das Verbotsverfahren erfolgt seien, zu dokumentieren. Zudem hat der Antragsteller vorgetragen, es sei seit dem 1. Dezember 2011 nicht vorgekommen, dass V-Leute unterhalb der Führungsebene in diese aufgerückt seien.

435

Zum Beleg der Anzahl an V-Leuten zum Stichtag hat der Antragsteller die Anschreiben der Innenministerien aller Länder und des Bundesministeriums des Innern an die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers vorgelegt, in denen - jeweils unter Vorlage weiterer Anlagen und Belege (etwa der Leiter der Verfassungsschutzbehörden) - der jeweilige Quellenbestand dargelegt wird. Außerdem schildert der Antragsteller detailliert den "Regelfall" einer "Abschaltung" - in Form eines "Abschalttreffens" und der Unterzeichnung einer "Abschalterklärung" - und benennt (Einzel-)Fälle sogenannter "Nachbetreuungstreffen" zur Abwicklung der "Abschaltung" (insbesondere Auszahlung der "Abschaltprämie"), die - nach seinem Vortrag - jeweils vor dem 6. Dezember 2012 stattfanden und ausnahmslos nicht mit einem Informationsaustausch verbunden waren. Zum Nachweis der einzelnen Abschaltvorgänge werden die entsprechenden Abschaltvermerke und Abschalterklärungen vorgelegt.

436

(2) Die Antragsgegnerin hat demgegenüber keine Umstände vorgetragen, noch sind solche in sonstiger Weise ersichtlich, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der abgegebenen Erklärungen und vorgelegten Belege zur "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu begründen geeignet sind.

437

(a) Bezogen auf die Testate selbst wendet die Antragsgegnerin ein, diese seien unvollständig, da sich die Erklärungen zur "Abschaltung" von V-Leuten nicht auf alle zu berücksichtigenden Gremien der Antragsgegnerin bezögen und für MAD, BND und Zollkriminalamt keine ausreichenden Erklärungen abgegeben worden seien. Diese Einwendungen gehen fehl.

438

(aa) Die vorgelegten Testate beziehen sich auf die Vorstände der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen (JN, KPV und RNF) auf Bundes- und Landesebene. Mit dieser Bezugnahme auf Bundes- und Landesvorstände orientiert sich der Antragsteller an den Vorgaben der Senatsminderheit im vorangegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>) und wird dem hier anzuwendenden Maßstab gerecht.

439

Der Begriff der Führungsebene ist mit Blick auf das Gebot unbeeinflusster Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei im Parteiverbotsverfahren zu bestimmen. Damit umfasst er - entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - weder die Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände, kommunalen Mandatsträger, Mitglieder der Landtagsfraktionen und deren Mitarbeiterstäbe noch die Delegierten von Bundes- und Landesparteitagen:

440

Es erscheint bereits zweifelhaft, ob die genannten Personen und Gremien innerhalb der Parteiorganisation der Antragsgegnerin überhaupt Führungsfunktionen wahrnehmen. So sind Bezirks-, Kreis- und Ortsverbände nachgeordnete Organisationseinheiten innerhalb der Parteihierarchie. Bei Landtagsfraktionen handelt es sich bereits nicht um (Unter-)Gliederungen der Partei. Auch wenn die Arbeit der (Landtags-)Fraktionen eng mit der Parteiarbeit verknüpft sein wird, ergibt sich daraus noch nicht, dass Mitgliedern oder gar Mitarbeitern der Landtagsfraktionen Führungsverantwortung innerhalb der Partei zukommt. Ebenso wenig handelt es sich bei den Delegierten der Bundes- und Landesparteitage per se um Mitglieder der Führungsebene der Partei. Zwar ist der Parteitag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 ParteiG das oberste Organ des jeweiligen Gebietsverbands, jedoch bestimmt er durch die Wahl des Parteivorstands gemäß § 9 Abs. 4 ParteiG erst die führende Organisationseinheit der Partei innerhalb seiner Gebietszuständigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Antragsgegnerin obliegt die politische und organisatorische Führung der Partei dem Parteivorstand. Das den Parteitagsdelegierten zustehende Vorstandswahlrecht macht diese daher nicht selbst zu Mitgliedern der Parteiführung. Unabhängig davon ist unter dem Gesichtspunkt strikter Staatsfreiheit allein entscheidend, wer während des laufenden Verbotsverfahrens auf die Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei vor dem Bundesverfassungsgericht Einfluss nehmen kann. Dies sind in erster Linie der Bundesvorstand und allenfalls noch die Landesvorstände und die entsprechenden Gremien der Teilorganisationen der Antragsgegnerin. Eine darüber hinausgehende Bestimmung des Begriffs der "Führungsebene" kommt jedenfalls für das Parteiverbotsverfahren nicht in Betracht.

441

(bb) Soweit die Antragsgegnerin hinsichtlich der "Abschaltung" von V-Leuten aus dem Bereich des MAD, des BND und des Zollkriminalamts rügt, dass das Testat des Bundesministers des Inneren unzureichend sei und die Untertestate der Staatssekretäre in den Bundesministerien der Finanzen und der Verteidigung und der Präsidenten der jeweiligen Bundesbehörden nicht genügten, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Dabei kann dahinstehen, welcher Beweiswert der Erklärung des Bundesministers des Inneren bezogen auf die "Abschaltung" von V-Leuten von Behörden außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs zukommt. Jedenfalls ist der Beweiswert der - nachträglich vorgelegten - Testate der Staatssekretäre in den Bundesministerien der Finanzen und der Verteidigung sowie des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes ausreichend, um von der Richtigkeit der Behauptung, dass im jeweiligen Zuständigkeitsbereich seit Dezember 2012 keine V-Leute eingesetzt werden, ausgehen zu können. Diese Personen sind Amtsträger in hervorgehobener Position, deren Erklärungen aufgrund ihrer Verantwortung, des von ihnen geleisteten Diensteides (vgl. § 64 Abs. 1 BBG) sowie der möglichen dienstrechtlichen Konsequenzen im Falle eines falschen Testats ein hohes Maß an Glaubhaftigkeit zukommt.

442

Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang dem von der Antragsgegnerin geltend gemachten unterschiedlichen Maß an demokratischer Legitimation zukommen soll, ist nicht nachvollziehbar. Die Glaubhaftigkeit der abgegebenen Erklärungen wird dadurch nicht tangiert. Daher liegt die Behauptung der Antragsgegnerin, dass nur der jeweilige Fachminister wirksame Testate abgeben könne, neben der Sache.

443

(b) Auch die sonstigen von der Antragsgegnerin erhobenen Einwendungen vermögen die Vermutung der Richtigkeit der zur "Abschaltung" der V-Leute vorgelegten Testate nicht zu erschüttern.

444

(aa) Unschlüssig ist die Behauptung der Antragsgegnerin, dass sich aus den statistischen Angaben des Antragstellers bereits ergebe, dass im Jahr 2013 in ihren Führungsgremien noch V-Leute tätig gewesen seien. Zwar hat der Antragsteller den Anteil der V-Leute, die im Zeitraum von 2008 bis 2013 in den Führungsgremien der Antragsgegnerin tätig gewesen seien, mit höchstens 6,6 % der Vorstandsmitglieder angegeben und dabei auch das Jahr 2013 in die Betrachtung einbezogen. Daraus folgt jedoch nicht, dass auch im Jahr 2013 noch V-Leute auf der Ebene des Bundesvorstands oder der Landesvorstände der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen tätig waren. Vielmehr handelt es sich um die Angabe eines Maximalwertes für den angesprochenen Zeitraum. Dies schließt nicht aus, dass dieser Wert je nach Zeitpunkt deutlich unterschritten wurde und im Jahr 2013 - wie vom Antragsteller vorgetragen - überhaupt kein Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin mehr erfolgte.

445

(bb) Ebenso wenig steht die Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller könne aufgrund des Vorverhaltens im vorangegangenen Verbotsverfahren eine grundsätzliche Vermutung rechtmäßigen Handelns staatlicher Stellen nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, einer Verwertung der Testate entgegen. Die Antragsgegnerin lässt insbesondere außer Betracht, dass entsprechende Erklärungen im vorangegangenen Verbotsverfahren nicht abgegeben wurden.

446

(cc) Auch das Vorbringen der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe nicht dargelegt, wie im Fall der Wahl einer V-Person in ein Amt auf der Führungsebene der Antragsgegnerin während des laufenden Verbotsverfahrens vorgegangen würde, trägt nicht. Der Antragsteller hat durch die vorgelegten Testate hinreichend belegt, dass - unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Wahl - spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin eingesetzt werden. Er hat außerdem Dokumente des Bundes und der Länder vorgelegt, die ausdrücklich anordnen, dass Quellen, die während des laufenden Verfahrens in den Vorstand aufrücken, unverzüglich und ohne "Nachsorge" abgeschaltet werden. Solche Fälle hat es nach seiner Darstellung seit Einleitung des Verbotsverfahrens nicht gegeben. Diesen Vortrag hat die Antragsgegnerin nicht substantiiert in Frage gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass die Darstellung unrichtig sein könnte, sind nicht ersichtlich. Daher hat es keiner weiteren Darlegungen bedurft, wie in einem solchen Fall verfahren worden wäre.

447

(dd) Die Behauptung der Antragsgegnerin, der sächsische Staatsschutz habe im Jahr 2014 versucht, den von ihr benannten A. anzuwerben und einzuschleusen, steht der Richtigkeit der vorgelegten Testate ebenfalls nicht entgegen. Es wurde nicht dargelegt, dass der als Zeuge Benannte überhaupt auf der Ebene des Bundes- oder eines Landesvorstands der Antragsgegnerin oder ihrer Teilorganisationen tätig wurde oder auch nur werden sollte. Die Antragsgegnerin trägt nur undifferenziert vor, A. sei aufgefordert worden, sich in "Vorstände" wählen zu lassen und Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen. Inwieweit dies den Rückschluss auf einen Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin im laufenden Verbotsverfahren erlauben soll, erschließt sich nicht. Hinzu kommen Ungereimtheiten im Vortrag der Antragsgegnerin. So behauptet sie schriftsätzlich, als Anwerber für den sächsischen Staatsschutz sei ein Herr "Friebe" aufgetreten, während in der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des A. von einem Herrn "Fink" die Rede ist. Das Ansinnen, Aufgaben auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin zu übernehmen, kann der eidesstattlichen Versicherung nicht entnommen werden. Schließlich ist die Antragsgegnerin dem Vortrag des Antragstellers nicht entgegengetreten, dass die Befragung aller für einen Anwerbeversuch in Betracht kommenden Dienststellen zu einem negativen Ergebnis geführt habe. Demgemäß bestehen erhebliche Zweifel, ob der von der Antragsgegnerin behauptete Anwerbeversuch überhaupt stattgefunden hat. Jedenfalls kann hieraus nicht auf den Einsatz von V-Leuten auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin während des laufenden Verbotsverfahrens geschlossen werden.

448

(ee) Soweit die Antragsgegnerin der Verwertung der vorgelegten Dokumente wegen der darin vorgenommenen Schwärzungen widerspricht, kann dem nicht gefolgt werden. Die Antragsgegnerin lässt außer Betracht, dass diese durch den Hinweis auf staatliche Fürsorgepflichten für Leib und Leben der betroffenen Personen und die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Sicherheitsbehörden nachvollziehbar begründet worden sind. Dass die Schwärzungen das erforderliche Maß übersteigen, ist nicht erkennbar. Die Verständlichkeit der vorgelegten Erklärungen wird dadurch nicht entscheidend vermindert.

449

Die Behauptung der Antragsgegnerin, der Inhalt der geschwärzten Passagen führe möglicherweise zu einer Verkehrung des Bedeutungsgehalts der vorgelegten Erklärungen in ihr Gegenteil, stellt sich als eine durch keinerlei tatsächliche Umstände unterlegte Spekulation dar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Antragsgegnerin, in einem Abschaltvermerk aus Nordrhein-Westfalen, der nur eine Quelle betreffe, sei der Plural verwendet worden. Für die - vom vorgelegten Parallelvermerk abweichende - Formulierung kann es vielfältige Gründe gegeben haben. Jedenfalls erschließt sich nicht, weshalb aus der Verwendung des Plurals in dem vorgelegten Abschaltvermerk folgen soll, dass es in Nordrhein-Westfalen mehr als die zwei angegebenen Quellen auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin gegeben habe und daher insgesamt von der Unrichtigkeit der vorgelegten Dokumente ausgegangen werden müsse.

450

(ff) Soweit die Antragsgegnerin behauptet, die vorgelegten Weisungen zur "Abschaltung" der V-Leute seien nicht geeignet, deren Vollzug zu belegen, ignoriert sie die vorgelegten Abschalterklärungen und -protokolle sowie die weiteren hierzu vorgelegten Dokumente aus den Akten der Sicherheitsbehörden, die den Vollzug der entsprechenden Weisungen dokumentieren.

451

(gg) Auch die Auffassung, die vorgelegten Unterlagen seien bereits deshalb unglaubhaft, weil es danach auf den Führungsebenen der besonders starken Landesverbände der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen keine Quellen gegeben habe, trägt nicht. Das Fehlen von Quellen auf den Führungsebenen dieser Landesverbände kann unterschiedliche Ursachen haben und etwa Ergebnis besonders erfolgreicher Abschottung gegenüber Anwerbeversuchen der jeweiligen Sicherheitsbehörden sein.

452

(hh) Soweit die Antragsgegnerin schließlich das angeblich plötzliche Ausscheiden der beiden ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden Apfel und Szymanski als "verdächtig" bewertet und daraus ableitet, die Erklärung des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen zum Nichteinsatz staatlicher Quellen in der ehemaligen sächsischen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin seit Dezember 2011 sei nicht glaubhaft, erschließt sich die Bedeutung dieses Vorbringens für den vorliegend relevanten Sachzusammenhang nicht:

453

Die Antragsgegnerin stellt eine V-Mann-Tätigkeit der beiden ehemaligen sächsischen Fraktionsvorsitzenden in den Raum. Bezüglich des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Apfel wird dies lediglich damit begründet, er habe während des laufenden Verbotsverfahrens die Bundesrepublik Deutschland "fluchtartig" verlassen. Dieser Vortrag stellt sich als in keiner Weise tatsachengestützte Vermutung der Antragsgegnerin dar. Bezüglich des ehemaligen Fraktionsvorsitzenden Szymanski bezieht sie sich auf einen Eintrag im Internetblog "gamma", der sich lediglich mit einer bereits im Jahr 2000 beendeten angeblichen V-Mann-Tätigkeit und einem Anwerbeversuch im Jahr 2004 befasst. Bereits aufgrund der zeitlichen Abläufe hat dieser Sachverhalt keine Relevanz für das vorliegende Verfahren. Die Glaubhaftigkeit der Erklärung des Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz Sachsen wird durch dieses Vorbringen der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Im Übrigen bezieht sich dessen Erklärung lediglich auf den Einsatz staatlicher Quellen in der ehemaligen sächsischen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin und damit auf eine Ebene, die hinsichtlich der Beachtung des Gebots der Staatsfreiheit im Parteiverbotsverfahren ohne Belang ist (vgl. Rn. 439 f.).

454

(3) Im Ergebnis ist die "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin aufgrund der durch zahlreiche Dokumente ergänzten Testate hinreichend belegt. Da die Antragsgegnerin nichts vorgetragen hat, was geeignet wäre, die Darlegungen des Antragstellers in Frage zu stellen, bestand keine Veranlassung, ihrer Beweisanregung zu folgen und eine Beschlagnahme und Inaugenscheinnahme sämtlicher sie betreffenden Akten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder vorzunehmen.

455

bb) (1) Hinsichtlich des Verzichts auf eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei den abgeschalteten V-Leuten hat der Antragsteller - entsprechend Ziffer III.2. des Hinweisbeschlusses vom 19. März 2015 - die in Bezug genommene "Vereinbarung zwischen Bund und Ländern" in Form des 4. Teils des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens ("Konsensuale Punkte des Kriterienkatalogs") vorgelegt und deren Umsetzung auch auf Länderebene erläutert. Insoweit verweist er auf ein zeitlich nachfolgendes "Musterschreiben" vom Dezember 2012, in dem die Sicherheitsbehörden angewiesen werden, jeden Kontaktversuch abgeschalteter Quellen zurückzuweisen und dies zu dokumentieren. Die Weiterleitung dieses Schreibens an alle betroffenen Behörden wird für den Bund aus zwei Schreiben des Staatssekretärs des Bundesministers des Innern und für die Länder aus dem dies bestätigenden Ergebnis einer Länderumfrage des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum NPD-Verbotsverfahren abgeleitet.

456

Im Hinblick auf den Vollzug des angewiesenen Verzichts auf eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei "abgeschalteten Quellen" im Bund und in den Ländern und die Zurückweisung etwaiger Kontaktversuche im Einzelfall sowie deren Dokumentation werden in den vorgelegten Anlagenkonvoluten sowohl Fälle zurückgewiesener Kontaktversuche (Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern) und zufälliger Kontakte (Nordrhein-Westfalen) als auch ein Fall eines "Betreuungstelefonates" wegen einer befürchteten psychischen Ausnahmesituation (Baden-Württemberg) dargestellt und belegt.

457

(2) Damit hat der Antragsteller bewiesen, dass eine informationsgewinnende "Nachsorge" bei den abgeschalteten V-Leuten grundsätzlich unterblieben ist. Soweit er einräumt, dass eine Ausnahme von dem angeordneten Kontaktverbot für Maßnahmen gemacht worden ist, die dem unmittelbaren Schutz von Leib und Leben der Quellen dienten, erscheint dies gerechtfertigt. Die Fälle nachträglicher Kontakte und Kontaktversuche hat der Antragsteller dokumentiert. Umstände, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit seiner Darlegungen zu begründen geeignet wären, sind nicht ersichtlich. Weiterer Beweiserhebungen bedurfte es insoweit nicht.

458

cc) (1) Soweit die Antragsgegnerin rügt, die Testate verhielten sich nicht zur "Rückziehung" eingeschleuster V-Leute und Verdeckter Ermittler, weist der Antragsteller darauf hin, dass eine Rückziehung nur bei Verdeckten Ermittlern in Betracht komme, da nur diese als staatliche Bedienstete weisungsabhängig seien. Sodann legt er durch Vorlage von Aktenauszügen der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder glaubhaft dar, dass gegenüber der Antragsgegnerin zu keinem Zeitpunkt Verdeckte Ermittler eingesetzt worden sind.

459

(2) (a) Die hiergegen gerichteten Ausführungen der Antragsgegnerin zur "Rückziehung eingeschleuster V-Leute" betreffen nicht staatlich bedienstete Verdeckte Ermittler, sondern Personen, die der Antragsgegnerin oder ihren Teilorganisationen auf Anregung oder Anweisung der Sicherheitsbehörden beigetreten sein sollen, um anschließend als Informanten tätig zu sein. Auch hinsichtlich dieser Personen genügt nach Auffassung der Antragsgegnerin eine "Abschaltung" nicht; sie seien vielmehr ebenfalls (aktiv) zurückzuziehen. Der Antragsteller bestreitet, dass Sicherheitsbehörden V-Leute in die Antragsgegnerin "eingeschleust" hätten.

460

(b) Ob es in derartigen Fällen tatsächlich einer Rückziehung bedarf, kann dahinstehen, da die Antragsgegnerin keine Umstände dargelegt hat, aus denen sich die Tätigkeit "eingeschleuster" V-Leute auf ihren Führungsebenen seit der Bekanntmachung der Absicht des Antragstellers, ein Verbotsverfahren einzuleiten, ergibt und derartige Umstände auch in sonstiger Weise nicht ersichtlich sind.

461

(aa) Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang erneut auf den angeblichen Anwerbe- und Einschleusungsversuch des von ihr als Zeugen benannten A. durch den sächsischen Staatsschutz rekurriert, ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen (vgl. Rn. 447).

462

(bb) Nichts anderes gilt für die Behauptung der Antragsgegnerin, der ehemalige "V-Mann Piatto", S., sei auf Veranlassung des Verfassungsschutzes Brandenburg in die Antragsgegnerin "eingeschleust" worden, dort als "Geheimagent" auf der Führungsebene der Antragsgegnerin tätig gewesen und selbst zu einem Zeitpunkt, als er ideologisch nicht mehr hinter seinem Handeln gestanden habe, vom Verfassungsschutz zu einer weiteren Tätigkeit innerhalb der Antragsgegnerin angestachelt worden.

463

Auch mit diesem Vortrag lässt sich eine Einschleusung von V-Leuten in die Führungsebenen der Antragsgegnerin, die nicht spätestens am 6. Dezember 2012 zurückgezogen wurden, nicht belegen. S. wurde als V-Mann bereits im Jahr 2000 enttarnt. Welche Relevanz für das vorliegende Verfahren dem auf S. bezogenen Vorbringen angesichts dieser Zeitabläufe zukommen soll, ist nicht ersichtlich. Für die von der Antragsgegnerin begehrte Beiziehung der Akten des Oberlandesgerichts München zum "NSU-Prozess" besteht daher kein Anlass.

464

(cc) Deshalb ist davon auszugehen, dass spätestens seit dem 6. Dezember 2012 keine Verdeckten Ermittler auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin eingesetzt werden. Auch für einen Einsatz "eingeschleuster V-Leute" bestehen keine Anhaltspunkte, so dass es seitens des Antragstellers keiner Erklärung zu deren "Rückziehung" bedurfte.

465

b) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass einer Fortführung des Verfahrens die fehlende Quellenfreiheit wesentlicher Teile des zulasten der Antragsgegnerin vorgelegten Beweismaterials entgegensteht.

466

aa) Der Antragsteller hat zum Beleg der Quellenfreiheit des vorgelegten Beweismaterials weitere Testate des identischen Personenkreises vorgelegt, der auch die "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin testiert hat. Der Beweiswert dieser Testate zur Quellenfreiheit des Beweismaterials entspricht demjenigen der Testate zur "Abschaltung" der V-Leute und Verdeckten Ermittler (vgl. Rn. 432). Sie sind hinsichtlich der in Bezug genommenen Belege geeignet, Beweis für die Tatsache fehlender staatlicher Einflussnahme zu erbringen.

467

(1) In der Kategorie 1 bezieht der Antragsteller sich auf Beweismittel, die einer Person inhaltlich zugeordnet werden können (z.B. Aufsätze, Reden). Mit den Testaten wird bestätigt, dass keine der in dieser Kategorie aufgeführten Personen nach dem 1. Januar 2003 als V-Mann oder Verdeckter Ermittler tätig gewesen sei (vgl. Rn. 17). Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit dieser Erklärung sind nicht ersichtlich.

468

(2) Hinsichtlich der Belege der Kategorie 2 wird durch die vorgelegten Testate bestätigt, dass zum Zeitpunkt, zu dem die Beweismittel entstanden sind, in dem dafür verantwortlichen Personenkreis (z.B. Vorstand oder Redaktion) der Organisation, der das Beweismittel inhaltlich zuzuordnen ist, keine Quellen im Sinne von Verdeckten Ermittlern, Under-Cover-Agents oder V-Leuten zur Ausforschung der Antragsgegnerin eingesetzt worden seien (vgl. zum genauen Wortlaut der Testate Rn. 17). Auch insoweit fehlt es an Anhaltspunkten für eine Unrichtigkeit dieser Behauptung.

469

(3) Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein zur Durchführung des Verbotsverfahrens ausreichender Teil des vorgelegten Beweismaterials quellenfrei ist:

470

(a) Der allergrößte Teil der vom Antragsteller vorgelegten Belege der Kategorie 1 datiert deutlich nach dem Jahr 2003. Lediglich bei drei Belegen, die dem Nachweis einer früheren Mitgliedschaft einzelner Angehöriger des Parteipräsidiums in neonazistischen Vereinigungen dienen, ist dies nicht der Fall. Ein weiterer Beleg, der die Ansprache des damaligen Vorsitzenden der Antragsgegnerin Voigt auf dem Bundesparteitag 2004 zum Gegenstand hat (Nr. 111), entstammt dem zeitlichen Umfeld des vom Antragsteller gewählten Stichtags. Bei allen übrigen Belegen der Kategorie 1 besteht ein hinreichender zeitlicher Abstand zu dem vom Antragsteller gewählten Bezugsjahr. Sie sind aufgrund der vorgelegten Testate als quellenfrei anzusehen.

471

(b) Demgegenüber führt der Hinweis der Antragsgegnerin auf die Möglichkeit "mittelbarer Beeinflussung" des vorgelegten Beweismaterials durch staatliche Quellen nicht zur Unverwertbarkeit. Die Antragsgegnerin hat keinerlei tatsächliche Umstände dargelegt, aus denen darauf geschlossen werden könnte, dass die das Beweismaterial bildenden Äußerungen und Verhaltensweisen nicht Gegenstand eigenständiger Willensbildung oder Überzeugung der jeweiligen Funktionäre, Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin waren, sondern durch Dritte provoziert wurden. Insbesondere für das Führungspersonal der Antragsgegnerin erscheint eine derartige "Fremdsteuerung" fernliegend.

472

(c) Nichts anderes gilt hinsichtlich der Belege der Kategorie 2. Auch insoweit ist auf der Grundlage der abgegebenen Testate davon auszugehen, dass deren Inhalt nicht staatlich beeinflusst ist.

473

bb) Dass der Antragsteller weder Beleg Nr. 112 (Positionspapier "Das strategische Konzept der NPD" vom 9. Oktober 1997) noch das vorgelegte Parteiprogramm der Antragsgegnerin einer der beiden Beweismittelkategorien zugeordnet hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Selbst wenn für diese Belege eine fehlende Quellenfreiheit und damit ihre Unverwertbarkeit (zum Parteiprogramm vgl. insoweit nachfolgend Rn. 647 ff.) anzunehmen wäre, verbliebe mit den von den Testaten erfassten, mehr als 650 Belegen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Durchführung des Verbotsverfahrens. Ein Verfahrenshindernis wegen staatlicher Beeinflussung wesentlicher Teile des Beweismaterials kommt ungeachtet der Frage der Verwertbarkeit dieser Einzelbelege nicht in Betracht.

474

c) Ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens liegt nicht vor, da zur Überzeugung des Senats feststeht, dass die Prozessstrategie der Antragsgegnerin nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht wurde, der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. Rechnung getragen worden ist, und auch keine zufällig mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangten Erkenntnisse über die Prozessstrategie im laufenden Verbotsverfahren zum Nachteil der Antragsgegnerin verwandt wurden.

475

aa) Der Antragsteller nimmt zum Beweis der Nichtausspähung der Antragsgegnerin Bezug auf den 4. Teil des Berichts der Bund-Länder-Arbeitsgruppe und das "Musterschreiben" vom Dezember 2012 mit der Weisung, nachrichtendienstlich erlangte Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin nicht entgegenzunehmen. Weiterhin bezieht er sich auf eine Weisung vom 17. März 2014 vor dem Hintergrund der Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin, wonach Informationen zu deren Prozessstrategie auch nicht entgegengenommen werden dürften, wenn sie aus dem Umfeld ihres Verfahrensbevollmächtigten oder seiner Kanzlei stammten. Darüber hinaus hat die Antragsgegnerin selbst ein Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 29. April 2014 und des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes vom 24. Februar 2014 vorgelegt, in denen die jeweiligen Behörden mitteilen, dass der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin nachrichtendienstlich nicht beobachtet werde.

476

bb) Unter Bezugnahme auf Ziffer III.3. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 19. März 2015 hat der Antragsteller seinen Vortrag zum Verzicht auf eine Ausspähung der Prozessstrategie (1) und zur Sicherstellung der privilegierten Stellung des (damals allein bestellten) Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin (2) ergänzt und die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder vorgelegt.

477

(1) Hinsichtlich des Ausspähens der Prozessstrategie der Antragsgegnerin hat der Antragsteller dargelegt, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder anlässlich des Bundesratsbeschlusses vom 14. Dezember 2012 zur Durchführung des Verbotsverfahrens angewiesen wurden, keine diesbezüglichen Informationen zu beschaffen oder entgegenzunehmen und jeden Versuch einer entsprechenden Erkenntniszuführung zurückzuweisen sowie die Zurückweisung zu dokumentieren. Neben den diesbezüglichen Weisungen hat er ein Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 29. Mai 2013 an alle Länder und alle Sicherheitsbehörden des Bundes zur Präzisierung dieser Vorgaben insbesondere im Zusammenhang mit Maßnahmen nach dem G 10-Gesetz vorgelegt. Die jeweilige Umsetzung auf Ebene der Länder und des Bundes belegt der Antragsteller durch Vorlage der entsprechenden Weisungen und Erlasse. Außerdem werden Ausführungen zu jeweils einer G 10-Maßnahme des Bundes sowie der Länder Brandenburg und Sachsen gemacht. Sonstige G 10-Maßnahmen, in denen sich Bezüge zum NPD-Verbotsverfahren ergeben hätten, gebe es nicht.

478

Der Antragsteller legt zudem ein Schreiben des Bundesamts für Verfassungsschutz vom 10. Dezember 2013 an alle Landesverfassungsschutzämter vor, mit welchem anlässlich der Antragstellung beim Bundesverfassungsgericht "sicherheitshalber" noch einmal auf den "völligen und ausnahmslos zu berücksichtigenden Verzicht" auf nachrichtendienstliche Erkenntnisse in Bezug auf das Verbotsverfahren hingewiesen wird. Darüber hinaus haben die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers erklärt, dass ihnen - abgesehen von allgemein zugänglichen, öffentlichen Äußerungen - keine Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin vorlägen.

479

(2) Im Hinblick auf die Sicherstellung der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin trägt der Antragsteller vor, dass nach Bekanntwerden seiner Bestellung zusätzliche Maßnahmen ergriffen worden seien, um dessen privilegierte Stellung - unter ausdrücklichem Hinweis auf § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO und explizit auch darüber hinaus - zu garantieren. Im Einzelnen verweist er auf die Musterweisung des Bundes und der Länder vom 17. März 2014 sowie die vorgelegte E-Mail des Vorsitzlandes der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vom 16. Juni 2014 an alle Länder und den Bund betreffend den Verzicht auf die Führung von Personenakten und die rückwirkende Löschung unzulässiger Speicherungen über den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin sowie die Beschränkung auf Erkenntnisse aus öffentlichen Quellen.

480

Die Umsetzung der Musterweisung und der per E-Mail eingeforderten Verhaltensweisen auf Ebene des Bundes und der Länder wird durch Vorlage entsprechender Weisungen und Erlasse dokumentiert. Ergänzend erklärt der Antragsteller, dass vier im Einzelnen bezeichnete Dokumente aus dem Jahr 2015, in denen der Verfahrensbevollmächtigte zu 1. der Antragsgegnerin aufgeführt beziehungsweise zu einer Informationsveranstaltung über das Verbotsverfahren eingeladen worden sei, nach Bekanntwerden teilweise vernichtet und im Übrigen mit einer funktionsadäquaten Datenschutzsperre belegt worden seien.

481

(3) Die vorgelegten Unterlagen reichen aus, die Überzeugung des Senats zu begründen, dass auf eine Entgegennahme nachrichtendienstlicher Erkenntnisse über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin verzichtet wurde. Der Antragsteller hat die entsprechenden Weisungen des Bundes und der Länder lückenlos dokumentiert. Er hat über durchgeführte G 10-Maßnahmen berichtet und dargelegt, dass auch insoweit Informationen über das Verbotsverfahren nicht erlangt wurden beziehungsweise deren Verwertung unterbunden wurde. Umstände, die ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit dieses Vortrags begründen könnten, sind nicht ersichtlich.

482

cc) Hieran vermag der Vortrag der Antragsgegnerin nichts zu ändern. Weder ist sie in der Lage, Umstände darzulegen, die auf einen Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel zur Ausspähung der Prozessstrategie gegenüber ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. schließen lassen (1), noch ist dies gegenüber Angehörigen der Führungsebenen der Antragsgegnerin der Fall (2).

483

(1) Sowohl die Schilderung des Verkehrsunfallgeschehens vom 30. November 2012 als auch die sonstigen Ausführungen der Antragsgegnerin sind nicht geeignet, die Vermutung einer Ausspähung der Prozessstrategie durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin zu begründen.

484

(a) Einer näheren Aufklärung des Verkehrsunfallgeschehens vom 30. November 2012 bedarf es nicht, da dieses bereits aufgrund des Zeitpunkts nicht im Zusammenhang mit dem Versuch einer Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin gestanden haben kann und eine mögliche frühere nachrichtendienstliche Beobachtung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. im vorliegenden Verfahren ohne Belang ist.

485

(aa) Der Unfall zwischen dem im Eigentum der Mutter des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin stehenden Kraftfahrzeug und einem Dienstfahrzeug des Landesamts für Verfassungsschutz des Saarlandes ereignete sich am 30. November 2012. Zu diesem Zeitpunkt war die Absicht der Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die Antragsgegnerin noch nicht öffentlich bekannt gemacht. Auch war weder der entsprechende Beschluss des Antragstellers gefasst, noch lag der vorbereitende Beschluss der Regierungschefinnen und der Regierungschefs der Länder vom 6. Dezember 2012 vor. Vor allem war zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht absehbar, dass die Antragsgegnerin einen Vertretungsauftrag an ihren nunmehrigen Verfahrensbevollmächtigten zu 1. erteilen würde. Vor diesem Hintergrund ist ausgeschlossen, dass zum Unfallzeitpunkt eine etwaige nachrichtendienstliche Beobachtung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Ausspähung der Prozessstrategie für das vorliegende Verbotsverfahren dienen sollte.

486

(bb) Dahinstehen kann daher, ob - wie die Antragsgegnerin behauptet - das Verkehrsunfallgeschehen vom 30. November 2012 eine Überwachung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu diesem Zeitpunkt belegt. Dem steht entgegen, dass der Antragsteller ein Schreiben des Staatssekretärs des saarländischen Ministeriums des Innern vorgelegt hat, in dem dieser eine Überwachung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin verneint und erklärt, dass die das Unfallfahrzeug benutzenden Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz unterwegs gewesen seien, um eine konspirative Wohnung anzumieten und ein Postfach zu leeren. Der Direktor des Landesamts für Verfassungsschutz im Saarland hat diese Darstellung in der mündlichen Verhandlung detailliert und widerspruchsfrei bestätigt.

487

Im vorliegenden Zusammenhang ist ungeachtet dessen von entscheidender Bedeutung, dass der Antragsteller umfänglich dargelegt hat, welche spezifischen Maßnahmen er ergriffen hat, um der privilegierten Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. und der Möglichkeit vertraulicher Kommunikation Rechnung zu tragen. Diese Darlegungen werden durch ein zeitlich weit davorliegendes Verkehrsunfallereignis unter Beteiligung eines Fahrzeuges des saarländischen Verfassungsschutzes nicht in Frage gestellt.

488

(b) Welche Bedeutung hinsichtlich einer Ausspähung der Prozessstrategie dem Hinweis der Antragsgegnerin zukommen soll, ein Mitarbeiter des bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz habe am 26. Februar 2014 auf Weisung des Präsidenten der Behörde einen bestehenden Facebook-Kontakt mit dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. abgebrochen, erschließt sich nicht. Weder hat die Antragsgegnerin vorgetragen noch entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Verfahrensbevollmächtigte Prozessstrategien über Facebook verbreiten.

489

(c) Schließlich wird die Glaubhaftigkeit der Darlegungen des Antragstellers zum Unterbleiben einer Ausspähung der Prozessstrategie auch durch die Behauptung der Antragsgegnerin nicht erschüttert, es sei nach "Abschaltung" der V-Leute grundsätzlich von einer diese "Abschaltung" kompensierenden Überwachung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. und der Mitglieder des Parteivorstands der Antragsgegnerin mit sonstigen nachrichtendienstlichen Mitteln auszugehen, was dadurch bestätigt werde, dass die vorgelegten Weisungen sich ausschließlich auf G 10-Maßnahmen beschränkten.

490

Insoweit trifft schon nicht zu, dass die vom Antragsteller vorgelegten Weisungen und sonstigen Belege ausschließlich G 10-Maßnahmen zum Gegenstand haben. Vielmehr hat er umfänglich ausgeführt und belegt, dass die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder angewiesen waren, nicht nur bei G 10-Maßnahmen bereits in die Vorauswahl keine Informationen über das Verbotsverfahren aufzunehmen, sondern auch keinerlei nachrichtendienstlich erlangte Informationen zur Prozessstrategie der Antragsgegnerin entgegenzunehmen, jeden Versuch einer entsprechenden Erkenntniszuführung zurückzuweisen und zu dokumentieren sowie keine Akten über den Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin zu führen und unzulässige Speicherungen zu löschen. Vor diesem Hintergrund genügt die bloße Vermutung, bei einer "Abschaltung" der V-Leute auf den Führungsebenen und einem Verzicht auf G 10-Maßnahmen sei davon auszugehen, dass akustische Wohnraumüberwachungen und Online-Durchsuchungen verstärkt eingesetzt würden, nicht, um die Annahme des Einsatzes dieser nachrichtendienstlichen Mittel gegenüber dem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. zu begründen.

491

(2) Auch soweit die Antragsgegnerin die Überwachung von Mitgliedern des Parteivorstands mit nachrichtendienstlichen Mitteln behauptet, zeigt sie keine Umstände auf, die Zweifel daran begründen, dass der besonderen Stellung des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. Rechnung getragen worden und weder die Prozessstrategie der Antragsgegnerin mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht noch zufällig mit nachrichtendienstlichen Mitteln erlangte Erkenntnisse darüber im laufenden Verbotsverfahren zum Nachteil der Antragsgegnerin verwandt wurden.

492

(a) Soweit die Antragsgegnerin zum Beweis dieser Behauptung die Vernehmung ihres ehemaligen Bundesschatzmeisters begehrt, ist dem im Ergebnis nicht zu folgen. Es kann dahinstehen, ob der benannte Zeuge bei einer polizeilichen Vernehmung im Rahmen eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens mit wörtlichen Aussagen konfrontiert wurde, die er während einer Parteivorstandssitzung getätigt haben soll. Selbst wenn dies der Fall wäre, bedeutet das nicht, dass die Kenntnis von diesen Aussagen auf der nachrichtendienstlichen Überwachung des Bundesvorstands der Antragsgegnerin beruhte. Erst recht ergibt sich hieraus nichts für die Behauptung, dass Gegenstand dieser Überwachung die Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin im laufenden Verbotsverfahren gewesen sei, oder dafür, dass insoweit relevante Erkenntnisse erlangt worden seien, zumal die Antragsgegnerin jede zeitliche Einordnung der Äußerungen des benannten Zeugen, der nicht mehr Mitglied des Bundesvorstands ist, unterlässt.

493

(b) Nicht angezeigt ist zudem eine von der Antragsgegnerin angeregte Vernehmung des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes Edward Snowden. Der Vortrag der Antragsgegnerin bleibt rein spekulativ. Es erscheint bereits fernliegend, dass der benannte Zeuge bestätigen kann, dass eine nachrichtendienstliche Überwachung der Vorstandsmitglieder oder des Verfahrensbevollmächtigten zu 1. der Antragsgegnerin durch ausländische Geheimdienste stattgefunden hat und die dabei gesammelten Informationen an die nationalen Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland weitergegeben wurden. Noch ferner liegt die Annahme, dass der benannte Zeuge sich darüber hinausgehend auch noch dazu äußern kann, ob dieser Informationsaustausch die Verteidigungsstrategie oder den Kontakt der Antragsgegnerin mit ihrem Verfahrensbevollmächtigten zu 1. im laufenden Parteiverbotsverfahren betraf.

494

(c) Schließlich ist auch der in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Sachverhalt, dass zwei Landesvorstandsmitglieder des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2015 bis zum 9. August 2015 Gegenstand einer polizeilichen Überwachung und Datenerhebung waren, nicht geeignet, die Richtigkeit des Vortrags des Antragstellers, eine Ausspähung der Prozessstrategie der Antragsgegnerin finde nicht statt, zu erschüttern.

495

Nach der glaubhaften und von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Auskunft des Landeskriminaldirektors S. in der mündlichen Verhandlung waren nicht die beiden Mitglieder des Landesvorstands Ziel der Überwachungsmaßnahme, sondern ein sogenannter Gefährder aus der rechtsextremen Szene, dessen Haftentlassung bevorstand und dessen Wohnsitznahme festgestellt werden sollte. Die Landesvorstandsmitglieder seien nur deshalb mittelbar von der Maßnahme erfasst worden, weil sie den Betroffenen bei seiner Haftentlassung abgeholt hätten. Nach dessen Wohnsitznahme sei die Maßnahme sofort eingestellt worden. Ziel der Maßnahme war also keineswegs, wie die Antragsgegnerin "ins Blaue" hinein vermutet, die Ausspähung eines weiteren Landesvorstandsmitglieds. Die Maßnahme war auch weder auf die Erlangung von Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin gerichtet, noch fielen in diesem Rahmen derartige Erkenntnisse an.

496

dd) Im Ergebnis ist demnach davon auszugehen, dass von staatlichen Stellen keine nachrichtendienstlich erlangten Informationen über die Prozessstrategie der Antragsgegnerin ermittelt oder entgegengenommen wurden und der privilegierten Stellung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu 1. - insbesondere im Hinblick auf die in § 3b Abs. 1 G 10 und § 160a Abs. 1 StPO normierten Einschränkungen für entsprechende Ermittlungsmaßnahmen im Fall zeugnisverweigerungsberechtigter Berufsgeheimnisträger - Rechnung getragen wurde. Auch unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens liegt daher ein Verfahrenshindernis nicht vor.

III.

497

Der mit Schriftsatz vom 25. März 2014 (höchst hilfsweise) gestellte Antrag der Antragsgegnerin auf Aussetzung des Verbotsverfahrens, bis der vom Deutschen Bundestag am 20. März 2014 eingesetzte Untersuchungsausschuss zur NSA-Abhör-Affäre seinen Abschlussbericht vorgelegt hat, steht in keinem erkennbaren Zusammenhang mit dem vorliegenden Verfahren. Selbst wenn die Antragsgegnerin von Abhörmaßnahmen ausländischer Dienste betroffen gewesen wäre, könnte eine Verfahrensrelevanz allenfalls gegeben sein, wenn bei den Maßnahmen Erkenntnisse über die Prozessstrategie angefallen, diese an deutsche Behörden weitergeleitet und dort - entgegen den vorliegenden Weisungen - entgegengenommen und zum Nachteil der Antragsgegnerin verwertet worden wären. Die Antragsgegnerin benennt keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte hierfür. Sie trägt auch insoweit ausschließlich "ins Blaue" hinein vor.

498

Außerdem ist nicht ersichtlich, warum das hiesige Verfahren bis zur Vorlage des Abschlussberichts des NSA-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages ausgesetzt werden sollte, da weder der Einsatz von V-Leuten noch das Ausspähen der Prozessstrategie der Antragsgegnerin Gegenstand des Bundestagsuntersuchungsausschusses ist. Ein - wie auch immer gearteter - Erkenntnisfortschritt für das Vorliegen von Verfahrenshindernissen im hiesigen Parteiverbotsverfahren durch die Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages ist nicht erwartbar.

IV.

499

Der Zulässigkeit des Antrags auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin steht weder das Erfordernis ordnungsgemäßer Vertretung des Antragstellers entgegen (1.), noch ergibt sich seine Unzulässigkeit aus einer verfassungswidrigen Ausgestaltung der Antragsbefugnis im Parteiverbotsverfahren gemäß § 43 BVerfGG (2.) oder dem Fehlen einer Rechtsgrundlage für das beantragte Verbot aufgrund der Unanwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals "Beeinträchtigen" in Art. 21 Abs. 2 GG (3.).

500

1. Die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers sind wirksam bevollmächtigt.

501

a) Gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bedarf die Prozessvollmacht, die durch einen Vertretungsberechtigten erteilt werden muss, zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen einer solchen Vollmacht von Amts wegen zu prüfen (vgl. BVerfGE 1, 115 <116>; 1, 433 <436>; 62, 194 <200>).

502

b) Die vom Antragsteller vorgelegten Vollmachten genügen diesen Anforderungen, da der Direktor des Bundesrates zu ihrer Unterzeichnung befugt gewesen ist. Dies ergibt sich bereits aus der Aufgabenzuweisung an den Direktor des Bundesrates gemäß § 14 Abs. 2 GOBR (aa). Hinzu kommt, dass der Präsident des Bundesrates den Direktor vorliegend ausdrücklich beauftragt hat, die Prozessvollmachten zu unterzeichnen (bb).

503

aa) Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 GOBR vertritt der Präsident des Bundesrates die Bundesrepublik Deutschland in allen Angelegenheiten des Bundesrates. Im Falle seiner Verhinderung oder bei vorzeitiger Beendigung seines Amts vertreten ihn gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 GOBR die Vizepräsidenten nach Maßgabe ihrer Reihenfolge.

504

Der Direktor des Bundesrates leitet gemäß § 14 Abs. 2 GOBR das Sekretariat des Bundesrates im Auftrag des Präsidenten und unterstützt diesen bei der Führung seiner Amtsgeschäfte. Da der Präsident und die Mitglieder des Bundesrates nicht ständig anwesend sind, kommt dem Sekretariat mit dem Direktor an seiner Spitze wesentliche Bedeutung für die Kontinuität der Arbeit des Bundesrates zu (vgl. Posser, Der Bundesrat und seine Bedeutung, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl. 1994, § 24 Rn. 77). Dies zeigt sich in den zahlreichen Aufgaben des Direktors, die über die Leitung der Verwaltung hinausgehen, vor allem in der dem Direktor obliegenden ständigen Kontaktpflege zu den übrigen Verfassungsorganen und den Landesregierungen sowie seinen Pflichten bei der Vorbereitung von Sitzungen und der Zuweisung von Vorlagen an die Ausschüsse (vgl. Hanikel, Die Organisation des Bundesrats, 1991, S. 235 f.; Posser, a.a.O., § 24 Rn. 77).

505

Teil seiner Leitungsaufgaben, insbesondere bei Abwesenheit des Präsidenten, ist die Außenvertretung des Bundesrates im Auftrag des Präsidenten. Dies schließt die Erteilung von Prozessvollmachten an die durch den Präsidenten des Bundesrates bestimmten Verfahrensbevollmächtigten ein. Dass § 14 Abs. 2 GOBR die Befugnis des Direktors des Bundesrates zur Unterzeichnung der Prozessvollmacht gemäß § 22 BVerfGG beinhaltet, entspricht der bisherigen Staatspraxis, die bei der Auslegung der Geschäftsordnung als Ausfluss des Selbstorganisationsrechts des Bundesrates zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 1, 144 <148 f.>).

506

bb) Darüber hinaus hat der Präsident des Bundesrates den Direktor vorliegend ausdrücklich mit der Erteilung der Vollmachten beauftragt: Der Bundesrat hat durch Plenarbeschluss vom 14. Dezember 2012 (BRDrucks 770/12) beschlossen, den Verbotsantrag zu stellen, und den Präsidenten gebeten, einen Verfahrensbevollmächtigten mit der Antragstellung, der Begründung und der Prozessführung zu betrauen. Der Präsident hat sodann nach der durch die Antragsgegnerin nicht bestrittenen Darstellung des Antragstellers nach Zustimmung des ständigen Beirates des Bundesrates (vgl. § 9 GOBR) den Direktor ersucht, Prof. Dr. Möllers und Prof. Dr. Waldhoff zu Verfahrensbevollmächtigten des Bundesrates zu bestellen. Damit hat er den Direktor jedenfalls ausdrücklich bevollmächtigt, die Prozessvollmacht gemäß § 22 Abs. 2 BVerfGG zu erteilen. Einer Unterzeichnung der Vollmacht durch den Präsidenten des Bundesrates bedurfte es nicht.

507

2. Eine Unzulässigkeit des Antrags ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch nicht aus dem Numerus clausus der Antragsberechtigten im Verbotsverfahren gemäß § 43 BVerfGG. Soweit die Antragsgegnerin meint, § 43 BVerfGG sei verfassungswidrig, weil er unter Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit gemäß Art. 21 Abs. 1 GG keine Antragsbefugnis für politische Parteien im Parteiverbotsverfahren vorsehe, vermag dies jedenfalls ein Fehlen der Antragsbefugnis des Antragstellers im vorliegenden Verfahren nicht zu begründen.

508

Es kann dahinstehen, ob eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien gemäß Art. 21 Abs. 1 GG überhaupt in Betracht kommt, wenn der Gesetzgeber in Wahrnehmung des ihm nach Art. 21 Abs. 3 GG übertragenen Gestaltungsauftrags sämtliche Parteien gleichermaßen von der Möglichkeit der Beantragung eines Parteiverbots ausschließt. Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäbe sich daraus allenfalls ein Erfordernis, den Kreis der Antragsberechtigten gemäß § 43 BVerfGG de lege ferenda zu erweitern. Eine Infragestellung der Antragsberechtigung des Antragstellers ist damit nicht verbunden.

509

3. Die Unzulässigkeit des Verbotsantrags folgt schließlich nicht aus der Auffassung der Antragsgegnerin, für das beantragte Parteiverbot fehle es an einer Rechtsgrundlage. Ob es sich, wie die Antragsgegnerin meint, bei dem Tatbestandsmerkmal der "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Art. 21 Abs. 2 GG um ein Redaktionsversehen handelt, kann mit Blick auf die Zulässigkeit des vorliegenden Antrags dahinstehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass - entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin - der Antragsteller nicht nur geltend macht, die Antragsgegnerin strebe eine "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an, sondern seinen Antrag ausdrücklich auch auf das Ziel einer "Beseitigung" dieser Ordnung durch die Antragsgegnerin stützt. Im Übrigen richtet sich der Einwand der Antragsgegnerin auf eine dem Wortlaut widersprechende Verengung des Geltungsbereichs von Art. 21 Abs. 2 GG, worauf im Rahmen der Begründetheitsprüfung näher einzugehen ist (vgl. Rn. 548 ff.). Die Zulässigkeit des Verbotsantrags berührt dieser Vortrag der Antragsgegnerin nicht. Dies gilt auch, soweit sie geltend macht, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erlaube nur die Feststellung der Verfassungswidrigkeit, hingegen nicht das Verbot einer Partei (vgl. Rn. 527).

C.

510

Der Maßstab für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG hat sowohl dem fortbestehenden Geltungsanspruch als auch dem Ausnahmecharakter der Norm Rechnung zu tragen (I.). Eine beidem entsprechende Bestimmung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Parteiverbots (II.) ist mit den Vorgaben der EMRK nach der Parteiverbotsrechtsprechung des EGMR kompatibel (III.). Recht der Europäischen Union ist für die Voraussetzungen, unter denen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat verboten werden kann, nicht maßgeblich (IV.).

I.

511

Das Parteiverbot ist Teil der Konstitutionalisierung der politischen Parteien in Art. 21 GG (1.) und steht mit demokratischen Grundprinzipien nicht in Widerspruch (2.). Art. 21 Abs. 2 GG ist nicht im Hinblick auf die Möglichkeit einer originären Verfassungsneuschöpfung im Rahmen von Art. 146 GG unanwendbar (3.). Ebenso wenig hat er unter den Bedingungen gefestigter demokratischer Strukturen seinen Geltungsanspruch verloren (4.). Schließlich ist er auch nicht als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Notstandsrechts zu interpretieren (5.). Allerdings ist der Tatsache, dass ein Parteiverbot einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der politischen Willensbildung in ihrer Ausprägung als Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG darstellt, bei der Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen (6.).

512

1. a) Mit Art. 21 GG wurde den politischen Parteien erstmals ein eigener verfassungsrechtlicher Status zuerkannt. Im Unterschied zur Weimarer Reichsverfassung, die sich einer verfassungsrechtlichen Qualifizierung der politischen Parteien enthielt, weist das Grundgesetz ihnen eine besondere - im Vergleich zu Vereinigungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 GG hervorgehobene (vgl. BVerfGE 107, 339 <358>) - Stellung zu. Sie werden durch Art. 21 GG in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben (vgl. BVerfGE 1, 208 <225>; 2, 1 <73>; 20, 56 <100>; 73, 40 <85>; 107, 339 <358>) und als notwendige "Faktoren des Verfassungslebens" (BVerfGE 1, 208 <227>) anerkannt. Die Wahrnehmung der ihnen zugewiesenen verfassungsrechtlichen Aufgabe der Mitwirkung bei der politischen Willensbildung des Volkes setzt die in Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Freiheit ihrer Gründung und Betätigung voraus.

513

b) Teil des Prozesses der Konstitutionalisierung der politischen Parteien war die Festschreibung der Möglichkeit des Parteiverbots. So sah bereits Art. 47 Abs. 4 des auf Herrenchiemsee ausgearbeiteten Entwurfs eines Grundgesetzes (HerrenChE) die Möglichkeit eines Verbots politischer Parteien, "die sich nach der Art ihrer Tätigkeit die Beseitigung der freiheitlichen und demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben", durch das Bundesverfassungsgericht vor (vgl. Verfassungsausschuss der Ministerpräsidenten-Konferenz der westlichen Besatzungszonen, Bericht über den Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948, S. 68). Auch im Parlamentarischen Rat stand die verfassungsrechtliche Verankerung des Parteiverbots dem Grunde nach außer Streit, so dass lediglich Einzelfragen der Ausgestaltung des entsprechenden Tatbestands erörtert wurden (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F., Bd. 1, 1951, S. 208 ff.; Meier, Parteiverbote und demokratische Republik, 1993, S. 151 ff.).

514

c) Die Etablierung des Parteiverbots in Art. 21 Abs. 2 GG war Ausdruck des Bestrebens des Verfassungsgebers, strukturelle Voraussetzungen zu schaffen, um eine Wiederholung der Katastrophe des Nationalsozialismus und eine Entwicklung des Parteiwesens wie in der Endphase der Weimarer Republik zu verhindern (vgl. BVerfGE 107, 339 <362>). Art. 21 Abs. 2 GG ist darauf gerichtet, Risiken zu begegnen, die von der Existenz einer Partei mit verfassungsfeindlicher Grundtendenz und ihren typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten ausgehen (vgl. BVerfGE 25, 44 <56>). Einer solchen Partei soll - entsprechend der Forderung "keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" (vgl. BVerfGE 5, 85 <138>) - nicht die Möglichkeit eröffnet werden, die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu missbrauchen.

515

2. Dieses Konzept des Schutzes der Freiheit durch eine Beschränkung der Freiheit steht zu der Grundentscheidung der Verfassung in Art. 20 Abs. 2 GG für einen Prozess der staatsfreien und offenen Meinungs- und Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen (vgl. BVerfGE 20, 56 <100>; 107, 339 <361>) nicht in Widerspruch. Um eine freiheitliche demokratische Ordnung dauerhaft zu etablieren, will das Grundgesetz nicht auch die Freiheit gewährleisten, die Voraussetzungen der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen und die gewährte Freiheit zur Abschaffung dieser Ordnung zu missbrauchen. Art. 21 Abs. 2 GG zielt daher auf den Schutz der grundlegenden Werte, die für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger unverzichtbar sind.

516

Das Grundgesetz nimmt vor diesem Hintergrund aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Grundprinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen. Ziel ist eine Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung. Demgemäß ist Art. 21 Abs. 2 GG Ausdruck des bewussten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlichen demokratischen Staatsordnung, Niederschlag der Erfahrungen eines Verfassungsgebers, der in einer bestimmten historischen Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte, Bekenntnis zu einer - in diesem Sinne - streitbaren Demokratie (vgl. zum Ganzen BVerfGE 5, 85 <139>).

517

Der Einwand der Antragsgegnerin, ein Parteiverbot, das zur Ausschaltung einer kompletten politischen Richtung führe, verstoße gegen das demokratische Prinzip der Volkssouveränität ("Das Volk hat immer Recht"), geht deshalb fehl. Sie lässt außer Betracht, dass Demokratie und Volkssouveränität sich nur in einem freiheitlichen Rahmen entfalten können. Die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung als Kern demokratischen Handelns setzt den Bestand einer freiheitlichen Ordnung voraus. Strebt eine politische Partei eine Beseitigung dieser Ordnung an, zielt ihr Verbot nicht auf eine Einschränkung, sondern auf die Gewährleistung von Demokratie und Volkssouveränität. Die Unzulässigkeit der Änderung zentraler Bestimmungen der Verfassung und die Begrenzung demokratischer Mitwirkungsrechte, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, sind daher nicht nur als von außen gesetzte Schranken zu verstehen, sondern vielmehr auch als Ausdruck einer dem Demokratieprinzip eigenen Selbstbeschränkung, indem sie eine dauerhafte Demokratie gewährleisten sollen. Herrschaft auf Zeit als Wesensgehalt von Demokratie erfordert, dass die jeweilige Mehrheit in (steter) Konkurrenz zur Minderheit steht und diese die Chance hat, selbst zur Mehrheit zu werden. Die vorübergehende Mehrheit darf daher nicht die offene Tür, durch die sie eingetreten ist, hinter sich zuschlagen (vgl. Dreier, JZ 1994, S. 741 <751>; Thiel, in: ders., Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 20, 23; Böckenförde, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 24 Rn. 54). Soweit ein Parteiverbot dazu führt, dass bestimmte politische Auffassungen tatsächlich aus dem Prozess der politischen Willensbildung ausgeschlossen werden, entspricht dies gerade der Grundentscheidung der Verfassung für eine "streitbare Demokratie", die ihre grundlegenden, für ein friedliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbaren Werte nicht zur Disposition stellt. Das Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG verstößt daher nicht gegen die Prinzipien der Demokratie und Volkssouveränität im Sinne des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG, sondern gestaltet diese aus (vgl. bereits BVerfGE 5, 85 <139>: "Art. 21 Abs. 2 GG steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung in Widerspruch; …").

518

3. Die durch Art. 146 GG eröffnete Möglichkeit einer originären Verfassungsneuschöpfung steht einer Anwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG nicht entgegen. Unabhängig von der Frage, ob Art. 146 GG lediglich in Fällen einer Verfassungsnovation unter Beachtung der Grundsätze des Art. 79 Abs. 3 GG oder auch bei einer Totalrevision des Grundgesetzes anwendbar ist (vgl. zum Streitstand: Roellecke, in: Depenheuer/Grabenwarter, Verfassungstheorie, 2010, § 13 Rn. 48 ff.; v. Campenhausen/Unruh, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 3, 6. Aufl. 2010, Art. 146 Rn. 7 ff.; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 146 Rn. 39 ff. ; Michael, in: Bonner Kommentar, Bd. 19, Art. 146 Rn. 637 ff. ; Dreier, Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, 2014, S. 433 ff. <452 f.>), bleibt das Grundgesetz bis zum Inkrafttreten einer in freier Entscheidung des deutschen Volkes beschlossenen neuen Verfassung in vollem Umfang in Kraft (vgl. BVerfGE 5, 85 <128>). Auch wenn Art. 146 GG dem Verfassungsgeber die Möglichkeit einer völligen Neuschöpfung der Verfassung eröffnen sollte, wird dadurch für die Dauer der Geltung des Grundgesetzes ein auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes aktives Handeln einer politischen Partei nicht legitimiert. Diese kann sich auf die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG nur berufen, soweit ihr Handeln nicht gegen den unantastbaren Kernbestand einer freiheitlichen Demokratie gerichtet ist.

519

4. Eine Unanwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG kann auch nicht damit begründet werden, dass der Vorschrift lediglich ein transitorischer Charakter zur Gestaltung des Übergangs vom Nationalsozialismus zur freiheitlichen Demokratie zukomme, so dass die Norm mittlerweile ihren Geltungsanspruch verloren habe (vgl. Hofmann, Recht - Politik - Verfassung, 1986, S. 258; Groh, ZRP 2000, S. 500; Kugelmann, EuGRZ 2003, S. 533 <542>; Volkmann, DÖV 2007, S. 577 <584>). Dabei kann dahinstehen, ob die bloße Nichtanwendung einer Norm über einen längeren Zeitraum zu ihrem Geltungsverlust führen kann (bejahend wohl: Bryde, Verfassungsentwicklung - Stabilität und Dynamik im Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1982, S. 454 f.; Dreier, in: ders., GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 79 Abs. 1 Rn. 42), denn es ist nicht nur in den Verbotsverfahren gegen die SRP (BVerfGE 2, 1) und die KPD (BVerfGE 5, 85), sondern auch in den Verfahren gegen die "Nationale Liste (NL)" (BVerfGE 91, 262) und die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP)" (BVerfGE 91, 276) sowie im vorausgegangenen Verbotsverfahren gegen die Antragsgegnerin (BVerfGE 107, 339) auf Art. 21 Abs. 2 GG zurückgegriffen worden.

520

Ein Verlust des Geltungsanspruchs der Norm käme allenfalls bei einer Ausgestaltung als bloßer Übergangsregelung in Betracht. Hierfür ergeben sich bereits aus dem Wortlaut der Norm keinerlei Anhaltspunkte. Außerdem ist der Schutzzweck von Art. 21 Abs. 2 GG, der darauf abzielt, Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung aufgrund des Erstarkens antidemokratischer Parteien durch deren Verbot abzuwehren, nicht auf die Phase der Konstituierung der freiheitlichen Demokratie des Grundgesetzes beschränkt. Die Sicherung der Stabilität der demokratischen Strukturen im Geltungsbereich des Grundgesetzes bleibt eine Daueraufgabe. Ungeachtet der Frage, ob unter den gegenwärtigen demokratischen Bedingungen der Rückgriff auf das Parteiverbot im Vergleich zu einer Bekämpfung antidemokratischer Positionen im Wege der öffentlichen politischen Auseinandersetzung vorzugswürdig erscheint, führt die Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seit Inkrafttreten des Grundgesetzes jedenfalls nicht zu einer grundsätzlichen Unanwendbarkeit von Art. 21 Abs. 2 GG.

521

5. Unzutreffend ist schließlich auch die Auffassung der Antragsgegnerin, Art. 21 Abs. 2 GG sei im Lichte der verfassungsrechtlichen Notstandsregelungen in Art. 91 GG und Art. 87a Abs. 4 GG zu interpretieren mit der Folge, dass Schutzgut der Vorschrift nicht eine abstrakte Ansammlung von Verfassungsprinzipien, sondern das Funktionieren staatlicher Einrichtungen sei und ein Parteiverbot nur als legitim angesehen werden könne, wenn die Partei sich an gewaltsamen Umsturzbewegungen beteilige.

522

Einem Rückgriff auf die Regelungen des verfassungsrechtlichen Notstandes gemäß Art. 87a Abs. 4, Art. 91 GG zur Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG stehen bereits die unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen entgegen: Während Art. 87a Abs. 4 GG und Art. 91 GG eine "drohende Gefahr" für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes voraussetzen, ist dies bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht der Fall. Ausreichend für ein Parteiverbot ist der Umstand, dass eine Partei "darauf ausgeht", die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Entsprechend handelt es sich bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht um eine Regelung zur Abwehr konkreter Gefahren. Vielmehr soll im Wege präventiven Verfassungsschutzes (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>; 107, 339 <386>; zu Art. 9 Abs. 2 GG: BVerfGE 80, 244<253>; Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 515 ) die Entstehung konkreter Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung bereits weit im Vorfeld verhindert werden. Eine an den verfassungsrechtlichen Notstandsregelungen orientierte Neubestimmung der Parteiverbotskonzeption des Art. 21 Abs. 2 GG scheidet daher aus. Vielmehr ist dessen Regelungsgehalt eigenständig unter Berücksichtigung seines Präventionscharakters zu bestimmen.

523

6. Bei der Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG ist den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen für die Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung, die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) und dem sich daraus ergebenden Ausnahmecharakter der Norm Rechnung zu tragen.

524

a) Das Grundgesetz geht davon aus, dass nur die ständige geistige Auseinandersetzung zwischen den einander begegnenden sozialen Kräften und Interessen, den politischen Ideen und damit auch den sie vertretenden Parteien der richtige Weg zur Bildung des Staatswillens ist (vgl. BVerfGE 5, 85 <135>). Es vertraut auf die Kraft dieser Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien (vgl. BVerfGE 124, 300 <320>). Dabei erkennt es in Art. 21 Abs. 1 GG den Parteien als notwendigen Instrumenten für die politische Willensbildung des Volkes eine besondere Rolle zu (vgl. BVerfGE 107, 339 <361>). Ein Parteiverbot stellt demgemäß einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der politischen Willensbildung und die Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG dar, der nur unter besonderen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann. Art. 21 Abs. 2 GG ist als "demokratieverkürzende Ausnahmenorm" zurückhaltend anzuwenden (vgl. Meier, a.a.O., S. 263). Aus diesem Grund bedarf es einer restriktiven Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Norm, die dem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen der Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG und dem Parteiverbot des Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung trägt. Zugleich ist für die Annahme von ungeschriebenen, den Anwendungsbereich der Norm erweiternden Tatbestandsmerkmalen kein Raum (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 513 ).

525

b) Die restriktive Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG trägt des Weiteren dem Umstand Rechnung, dass zwingende Rechtsfolge eines Parteiverbots die mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit verbundene Auflösung der Partei ist.

526

Bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ist ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin ausgeschlossen, mag diese sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten (vgl. BVerfGE 40, 287 <291>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>). Die Partei darf zwar politisch bekämpft werden, sie soll aber in ihrer politischen Aktivität von jeder Behinderung frei sein (vgl. BVerfGE 12, 296 <305 ff.>; 39, 334 <357>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>). Das Grundgesetz nimmt in seiner gegenwärtigen Form die Gefahr, die in der Tätigkeit einer Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit liegt, um der politischen Freiheit willen in Kauf (vgl. BVerfGE 12, 296 <306>; 47, 198 <228>; 107, 339 <362>).

527

Ergibt hingegen die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 GG, ist die Feststellung der Verfassungswidrigkeit und die Auflösung der Partei zwingend vorgegeben. Die Auffassung der Antragsgegnerin, Art. 21 Abs. 2 GG ermögliche lediglich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei und überlasse es dem "mündigen Bürger", eine entsprechende verfassungsrechtliche Erkenntnis durch Nichtwahl einer als verfassungswidrig erkannten Partei zu "vollstrecken", so dass die in § 46 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG vorgesehene Auflösung einer Partei die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen überschreite, geht fehl. Sie entspricht nicht dem Regelungskonzept des Art. 21 GG. Die Vorschrift ist darauf gerichtet, die Mitwirkung einer Partei an der politischen Willensbildung des Volkes durch einen staatlichen Eingriff zu unterbinden. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht soll die Teilnahme der Partei an der politischen Willensbildung dauerhaft beenden. Nur so kann sich der angestrebte präventive Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfalten. Findet aber eine Mitwirkung an der politischen Willensbildung nicht (mehr) statt, entfällt ein unverzichtbares Element des Parteibegriffs (vgl. § 2 PartG). Die mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit verbundene Beendigung der Beteiligung an der politischen Willensbildung führt notwendig zum Verlust des Status einer politischen Partei. Daher hat der Gesetzgeber mit der Regelung des § 46 Abs. 3 BVerfGG, wonach mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit die Auflösung der Partei zu verbinden ist, den ihm durch Art. 21 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich übertragenen Gestaltungsauftrag nicht überschritten (vgl. auch BVerfGE 5, 85 <391>). Gleiches gilt für das Verbot der Schaffung von Ersatzorganisationen und die fakultative Einziehung des Parteivermögens gemäß § 46 Abs. 3 Satz 1 und 2 BVerfGG. Einer Vollziehung der Feststellungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes durch eine Nichtwahl seitens der Bürgerinnen und Bürger scheidet daher aus. Auch für ein Weiterbestehen der Partei als Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 1 GG ist kein Raum. Auch scheidet eine lediglich befristete Aberkennung des Parteistatus nach dem derzeitigen Regelungskonzept des Art. 21 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 46 Abs. 3 BVerfGG aus. Eine Modifizierung dieses Regelungskonzepts, etwa hinsichtlich der Schaffung von Möglichkeiten gesonderter Sanktionierung im Fall der Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG unterhalb der Schwelle des Parteiverbots, ist dem verfassungsändernden Gesetzgeber vorbehalten. Umso notwendiger ist es, die Voraussetzungen eines Parteiverbots so eng zu fassen, dass sie dem Gewicht des Eingriffs in die Parteienfreiheit Rechnung tragen.

II.

528

Der Verbotsantrag des Antragstellers betrifft das Schutzgut der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" (1.), auf deren "Beeinträchtigung oder Beseitigung" (2.) eine Partei "nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger" (3.) "ausgehen" muss (4.). Weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmale für ein Parteiverbot bestehen nicht (5.).

529

1. Der Begriff der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" ist durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung konkretisiert worden (a). Sein Regelungsgehalt kann nicht durch einen pauschalen Rückgriff auf Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt werden, sondern beschränkt sich auf die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat schlechthin unverzichtbaren Grundsätze (b). Dabei steht das Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) im Vordergrund (c), das durch die Grundsätze der Demokratie (d) und der Rechtsstaatlichkeit (e) näher ausgestaltet wird.

530

a) aa) Im SRP-Urteil hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass eine Partei nur aus dem politischen Leben ausgeschaltet werden darf, wenn sie die obersten Grundsätze der freiheitlichen Demokratie ablehnt (vgl. BVerfGE 2, 1 <14>). Diese obersten Grundsätze bilden die freiheitliche demokratische Grundordnung, der nach der im Grundgesetz getroffenen verfassungspolitischen Entscheidung die Vorstellung zugrunde liegt, dass der Mensch in der Schöpfungsordnung einen eigenen selbstständigen Wert besitzt und dass Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die freiheitliche demokratische Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt (vgl. BVerfGE 2, 1 <12>).

531

Freiheitliche demokratische Grundordnung und verfassungsmäßige Ordnung sind mithin zu unterscheiden. Die freiheitliche demokratische Grundordnung beschränkt sich auf diejenigen Prinzipien, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit gewährleisten (vgl. BVerfGE 2, 1 <12 f.>). Davon ausgehend hat das Bundesverfassungsgericht dieser Ordnung aus einer Gesamtinterpretation des Grundgesetzes und seiner Einordnung in die moderne Verfassungsgeschichte (vgl. BVerfGE 5, 85 <112>) zunächst folgende acht Elemente zugeordnet: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (BVerfGE 2, 1 <13>).

532

bb) Im KPD-Urteil hat das Gericht ferner als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Vereinigungsfreiheit (vgl. BVerfGE 5, 85 <199>) sowie insbesondere den aus dem Mehrparteienprinzip fließenden Parlamentarismus (vgl. BVerfGE 5, 85 <230, 236>) bezeichnet. Daneben wird auf das Erfordernis freier Wahlen mit regelmäßiger Wiederholung in relativ kurzen Zeitabständen und die Anerkennung von Grundrechten (vgl. BVerfGE 5, 85 <199 f.>) verwiesen, wobei das Gericht die Menschenwürde als obersten und unantastbaren Wert in der freiheitlichen Demokratie besonders herausgestellt hat (vgl. BVerfGE 5, 85 <204>; vgl. auch BVerfGE 6, 32 <41>).

533

cc) In der Folgezeit hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung bestätigt (BVerfGE 44, 125 <145>) und den Katalog der Elemente, die die freiheitliche demokratische Grundordnung bilden, um das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (vgl. BVerfGE 7, 198 <208>), den freien und offenen Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes (vgl. BVerfGE 44, 125 <139>; siehe auch BVerfGE 20, 56 <97>; 107, 339 <360>), die Rundfunk-, Presse- und Informationsfreiheit (zusammenfassend BVerfGE 77, 65 <74> m.w.N.), das Bekenntnis zu religiöser und weltanschaulicher Neutralität (vgl. BVerfGE 27, 195 <201>) und die Religionsfreiheit (vgl. BVerfGE 137, 273 <303 Rn. 83>) ergänzt. Auch in diesem Zusammenhang hat es immer wieder auf die elementare Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG hingewiesen (vgl. BVerfGE 12, 45 <53>; 27, 1 <6>; 35, 202 <225>; 45, 187 <229>; 49, 286 <298>; 87, 209 <228>).

534

dd) Die mit der Beschreibung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verbundene katalogartige Aufzählung einzelner Rechtsinstitute wird im Schrifttum unter den Gesichtspunkten der Unvollständigkeit, Beliebigkeit, Unbestimmtheit, Missbrauchsanfälligkeit und fehlender Systematik teilweise kritisiert (vgl. Ridder, Aktuelle Rechtsfragen des KPD-Verbots, 1966, S. 28; Ruland, Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 16; Stollberg, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Parteiverbots, 1976, S. 33; Lameyer, Streitbare Demokratie, 1978, S. 37; Gusy, AöR 105 <1980>, S. 279 <285 ff.>; Meier, a.a.O., S. 291 ff.; Schaefer, Grundlegung einer ordoliberalen Verfassungstheorie, 2007, S. 572; Kalla/Zillmann, BRJ 2012, S. 176; Schnelle, Freiheitsmissbrauch und Grundrechtsverwirkung, 2014, S. 61; differenziert Morlok, NJW 2001, S. 2931 <2940>; ders., Jura 2013, S. 317 <321>; ders., in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 148; zustimmend hingegen Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, 1969, S. 204; Thiel, in: ders., Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 173 <198 f.>; Voscherau, Parteiverbote in der Bundesrepublik Deutschland und im Königreich Spanien, 2009, S. 93; Dürig/Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 18 Rn. 62 ). Dabei wird verkannt, dass zwischen den Kernelementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den sich daraus ergebenden (fallbezogenen) Ableitungen zu unterscheiden ist.

535

b) aa) Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG erfordert eine Konzentration auf wenige, zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ein derartiger reduzierter Ansatz erscheint nicht zuletzt durch den Ausnahmecharakter des Parteiverbots geboten. Die Grundentscheidung der Verfassung für einen offenen Prozess der politischen Willensbildung hat zur Folge, dass auch das kritische Hinterfragen einzelner Elemente der Verfassung möglich sein muss, ohne dass dadurch ein Parteiverbot ausgelöst werden kann. Ein Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung kommt erst in Betracht, wenn dasjenige in Frage gestellt und abgelehnt wird, was zur Gewährleistung eines freiheitlichen und demokratischen Zusammenlebens schlechthin unverzichtbar ist und daher außerhalb jedes Streits stehen muss.

536

bb) Eine solche Fokussierung auf die zentralen, für die Demokratie unentbehrlichen Grundprinzipien kann nicht durch Rückgriff auf den in Art. 79 Abs. 3 GG bestimmten änderungsfesten Kern der Verfassung erreicht werden. Anders als Art. 108 HerrenChE - der Vorläufer von Art. 79 Abs. 3 GG - verbietet Art. 79 Abs. 3 GG in der vom Parlamentarischen Rat beschlossenen Fassung nicht nur Änderungen des Grundgesetzes, durch die die freiheitliche und demokratische Grundordnung beseitigt würde (vgl. Denninger, in: Benda/Maihofer/Vogel, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 16 Rn. 35 f.; Zacharias, in: Thiel, Wehrhafte Demokratie, 2003, S. 57 ff.).

537

Der Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG geht über den für einen freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbaren Mindestgehalt hinaus. Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählen insbesondere nicht die von Art. 79 Abs. 3 GG umfassten Prinzipien der Republik und des Bundesstaats, da auch konstitutionelle Monarchien und Zentralstaaten dem Leitbild einer freiheitlichen Demokratie entsprechen können (vgl. Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 1978, S. 180; Meier, a.a.O., S. 317; Papier/Durner, AöR 128 <2003>, S. 340 <357>). Eine Partei, die sich für ein derartiges Verfassungsmodell einsetzt, begibt sich nicht in einen Widerspruch zu Grundsätzen der freiheitlichen Demokratie, der einen Ausschluss aus dem Prozess der politischen Willensbildung rechtfertigen könnte. Daher ist der Regelungsgehalt des Schutzguts "freiheitliche demokratische Grundordnung" in Art. 21 Abs. 2 GG - ungeachtet inhaltlicher Überschneidungen - eigenständig und unabhängig vom Regelungsgehalt des Art. 79 Abs. 3 GG zu bestimmen.

538

c) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes als der oberste Wert des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 5, 85 <204>; 12, 45 <53>; 27, 1 <6>; 35, 202 <225>; 45, 187 <227>; 87, 209 <228>; 96, 375 <399>) anerkannt. Die Menschenwürde ist unverfügbar. Die Staatsgewalt hat sie in allen ihren Erscheinungsformen zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>). Damit wird dem Staat und seiner Rechtsordnung jede Absolutheit und jeder "natürliche" Vorrang genommen.

539

aa) Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit (vgl. Dreier, in: ders., GG, Bd. 1, 3. Aufl. 2013, Art. 1 Abs. 1 Rn. 60 ff.; Höfling, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 1 Rn. 19). Dem liegt eine Vorstellung vom Menschen zugrunde, die diesen als Person begreift, die in Freiheit über sich selbst bestimmen und ihr Schicksal eigenverantwortlich gestalten kann (vgl. BVerfGE 45, 187 <227>; 49, 286 <298>). Mit der Subjektqualität des Menschen ist ein sozialer Wert- und Achtungsanspruch verbunden, der es verbietet, den Menschen zum "bloßen Objekt" staatlichen Handelns zu degradieren (vgl. BVerfGE 122, 248 <271>).

540

Auch wenn diese "Objektformel" in ihrer Leistungskraft begrenzt sein mag (vgl. BVerfGE 109, 279 <312>; kritisch Dreier, a.a.O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 55; Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 15, jeweils m.w.N.), ist sie zur Identifizierung von Menschenwürdeverletzungen jedenfalls überall dort geeignet, wo die Subjektqualität des Menschen und der daraus folgende Achtungsanspruch grundsätzlich in Frage gestellt werden (so im Ergebnis auch Dreier, a.a.O., Art. 1 Abs. 1 Rn. 60 ff.). Dies ist insbesondere bei jeder Vorstellung eines ursprünglichen und daher unbedingten Vorrangs eines Kollektivs gegenüber dem einzelnen Menschen der Fall. Die Würde des Menschen bleibt nur unangetastet, wenn der Einzelne als grundsätzlich frei, wenngleich stets sozialgebunden, und nicht umgekehrt als grundsätzlich unfrei und einer übergeordneten Instanz unterworfen behandelt wird. Die unbedingte Unterordnung einer Person unter ein Kollektiv, eine Ideologie oder eine Religion stellt eine Missachtung des Wertes dar, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins (BVerfGE 115, 118 <153>) zukommt. Sie verletzt seine Subjektqualität und stellt einen Eingriff in die Garantie der Menschenwürde dar, der fundamental gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt.

541

bb) Menschenwürde ist egalitär; sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht (vgl. Isensee, in: Merten/Papier, HGRe, Bd. IV, 2011, § 87 Rn. 168). Dem Achtungsanspruch des Einzelnen als Person ist die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten Gemeinschaft immanent (vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1 Rn. 120 ). Mit der Menschenwürde sind daher ein rechtlich abgewerteter Status oder demütigende Ungleichbehandlungen nicht vereinbar (vgl. Höfling, a.a.O., Art. 1 Rn. 35). Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen, die sich - ungeachtet der grundsätzlichen Frage nach dem Menschenwürdegehalt der Grundrechte (vgl. hierzu BVerfGE 107, 275 <284>) - jedenfalls als Konkretisierung der Menschenwürde darstellen. Antisemitische oder auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

542

d) Das Demokratieprinzip ist konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Demokratie ist die Herrschaftsform der Freien und Gleichen. Sie beruht auf der Idee der freien Selbstbestimmung aller Bürger (vgl. BVerfGE 44, 125 <142>). Das Grundgesetz geht insoweit vom Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen aus und verbürgt im Recht der Bürger, in Freiheit und Gleichheit durch Wahlen und Abstimmungen die sie betreffende öffentliche Gewalt personell und sachlich zu bestimmen, zugleich den menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips (vgl. BVerfGE 123, 267 <341>; 129, 124 <169>; 135, 317 <386 Rn. 125>; BVerfG, Urteil vom 21. Juni 2016 - 2 BvR 2728/13 u.a. -, juris, Rn. 124; Häberle, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 61 ff.; Unger, Das Verfassungsprinzip der Demokratie, 2008, S. 252 ff.).

543

aa) Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Wie diesen Anforderungen entsprochen wird, ist für die Frage der Vereinbarkeit eines politischen Konzepts mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht entscheidend. So vermag die Ablehnung des Parlamentarismus, wenn sie mit der Forderung nach dessen Ersetzung durch ein plebiszitäres System verbunden ist, den Vorwurf der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht zu begründen. Anders verhält es sich jedoch im Fall eines Verächtlichmachens des Parlaments mit dem Ziel, ein Einparteiensystem zu etablieren.

544

In der Demokratie erfolgt die politische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt (vgl. BVerfGE 44, 125 <140>; 69, 315 <346>; 107, 339 <361>). Die demokratischen Postulate der Freiheit und Gleichheit erfordern gleichberechtigte Mitwirkungsmöglichkeiten aller Bürger. Nur dann ist dem Erfordernis der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung genügt. Damit sind Konzepte des dauerhaften oder vorübergehenden willkürlichen Ausschlusses Einzelner aus diesem Prozess nicht vereinbar. Die Instrumente zur Sicherung der Offenheit des Prozesses der politischen Willensbildung (Mehrparteiensystem, Chancengleichheit der Parteien, Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition) sind demgegenüber nachrangig.

545

bb) Der Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG) erfordert daneben, dass sich alle Akte der Ausübung der Staatsgewalt auf den Willen des Volkes zurückführen lassen (vgl. BVerfGE 38, 258 <271>; 47, 253 <272>; 77, 1 <40>; 83, 60 <71>; 93, 37 <66>; 107, 59 <87>). Soweit das Volk die Staatsgewalt nicht selbst durch Wahlen oder Abstimmungen ausübt, sondern dies besonderen Organen (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) übertragen ist, bedarf es eines hinreichend engen Legitimationszusammenhangs, der sicherstellt, dass das Volk einen effektiven Einfluss auf die Ausübung der Staatsgewalt durch diese Organe hat (vgl. BVerfGE 83, 60 <71 f.>; 89, 155 <182>; 93, 37 <66>). Erforderlich ist eine ununterbrochene Legitimationskette vom Volk zu den mit staatlichen Aufgaben betrauten Organen und Amtswaltern (vgl. BVerfGE 47, 253 <275>; 52, 95 <130>; 77, 1 <40>; 93, 37 <66>; 107, 59 <87>). Auch insoweit kommt es im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG vorrangig nicht auf die einzelnen Instrumente zur Sicherstellung des hinreichenden Legitimationszusammenhangs (Parlamentarismus, Verantwortlichkeit der Regierung, Gesetzes- und Weisungsgebundenheit der Verwaltung), sondern auf die grundsätzliche Beachtung des Prinzips der Volkssouveränität an.

546

cc) Das Grundgesetz hat sich für das Modell der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie entschieden, weshalb der Wahl des Parlaments bei der Herstellung des notwendigen Zurechnungszusammenhangs zwischen Volk und staatlicher Herrschaft besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 83, 60 <72>). Den Rahmen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verlässt demgemäß, wer den Parlamentarismus verächtlich macht, ohne aufzuzeigen, auf welchem anderen Weg dem Grundsatz der Volkssouveränität Rechnung getragen und die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses gewährleistet werden kann.

547

e) Schließlich ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbarer Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Er zielt auf die Bindung und Begrenzung öffentlicher Gewalt zum Schutz individueller Freiheit (vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 38) und ist durch eine Vielzahl einzelner Elemente geprägt, die in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG nur teilweise normativ verankert sind (vgl. Sachs, in: ders., GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 77; Schulze-Fielitz, a.a.O., Art. 20 Rn. 40). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind dabei die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert der Schutz der Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist. Das Gewaltmonopol des Staates (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Isensee/Kirchhof, HStR II, 3. Aufl. 2004, § 26 Rn. 11, 71; Isensee, in: ders./Kirchhof, a.a.O., § 15 Rn. 86 ff.; E. Klein, in: Depenheuer/ Grabenwarter, Verfassungstheorie, 2010, § 19 Rn. 14) ist deshalb ebenfalls als Teil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG anzusehen.

548

2. Zweite Voraussetzung für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist, dass diese eine "Beseitigung" oder "Beeinträchtigung" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im oben beschriebenen Sinne anstrebt.

549

a) Das Bundesverfassungsgericht hat bisher auf eine strikte Unterscheidung der Begriffe des "Beseitigens" und "Beeinträchtigens" verzichtet und als definitorische Annäherungen auf die Schwächung, Untergrabung beziehungsweise Zersetzung sowie die planmäßige Hetze, Verächtlichmachung und Verhöhnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zurückgegriffen (BVerfGE 2, 1 <21>; 5, 85 ; vgl. auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 461).

550

b) Bei differenzierter Betrachtung bezeichnet der Begriff des "Beseitigens" die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem (vgl. Sichert, DÖV 2001, S. 671 <675>; Gelberg, Das Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG am Beispiel des NPD-Verbotsverfahrens, 2009, S. 202; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 531 ; Ipsen, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 21 Rn. 164; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 153).

551

c) Dem Begriff des "Beeinträchtigens" kommt im Vergleich zu dem des "Beseitigens" ein eigenständiger, den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erweiternder Regelungsgehalt zu.

552

aa) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist das Tatbestandsmerkmal des "Beeinträchtigens" nicht als ein bloßes Redaktionsversehen des Verfassungsgebers ohne Bedeutung.

553

(1) Es erscheint bereits zweifelhaft, ob dies tatsächlich der Fall ist, da aufgrund der vorliegenden Dokumente über die Beratungen des Parlamentarischen Rates nicht zweifelsfrei feststellbar ist, worauf die Einfügung des Merkmals "Beeinträchtigen" in den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG zurückzuführen ist. Zwar ersetzte der Allgemeine Redaktionsausschuss in seiner Sitzung vom 16. November 1948 die im Entwurf des Organisationsausschusses vorgesehene Anknüpfung des Verbotstatbestands an die verfassungswidrige Zielsetzung einer Partei durch das Tätigkeitsmerkmal "Darauf Ausgehen" und ergänzte den Begriff des "Beseitigens" durch den Begriff des "Beeinträchtigens" (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 209; Meier, a.a.O., S. 154). Diesen Vorschlag übernahm der Hauptausschuss einen Tag später, am 17. November 1948, in erster Lesung, jedoch mit der Maßgabe, dass die Worte "zu beeinträchtigen" gestrichen werden (vgl. v. Doemming/ Füsslein/Matz, a.a.O., S. 209; Meier, a.a.O., S. 155; Feldkamp, Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Bd. 14, Teilbd. 1, Hauptausschuss, 2009, S. 120). Nach nochmaliger Befassung des Allgemeinen Redaktionsausschusses legte der Hauptausschuss am 15. Dezember 1948 eine Fassung vor, die die Tatmodalität des "Beeinträchtigens" wieder aufwies (vgl. Meier, a.a.O., S. 157). Worauf die Wiederaufnahme dieser Tatmodalität beruhte und ob es sich dabei um ein schlichtes Versehen handelte, ist den verfügbaren Beratungsprotokollen nicht zu entnehmen (vgl. Meier, a.a.O., S. 158). Am 5. Mai 1949 nahm der Hauptausschuss diese Formulierung unter Streichung des Wortes "oder" zwischen den Adjektiven vor "Grundordnung" endgültig an (vgl. v Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 210). In dieser Fassung wurde die Vorschrift - nunmehr als Art. 21 Abs. 2 - vom Plenum des Parlamentarischen Rates am 6. und 8. Mai 1949 ohne Diskussion verabschiedet (vgl. v. Doemming/Füsslein/Matz, a.a.O., S. 210; Meier, a.a.O., S. 161; Feldkamp, a.a.O., Bd. 14, Teilbd. 2, Hauptausschuss, 2009, S. 1793 f.).

554

Fest steht daher nur, dass sowohl der Hauptausschuss als auch das Plenum des Parlamentarischen Rates Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG unter Einschluss der Tatbestandsalternative des "Beeinträchtigens" beschlossen haben. Dafür, dass hierbei der Wortlaut der Vorschrift nicht zur Kenntnis genommen und das Tatbestandsmerkmal des Beeinträchtigens nur versehentlich beschlossen wurde, gibt es keine Anhaltspunkte.

555

(2) Dessen ungeachtet geht das Bundesverfassungsgericht von jeher davon aus, dass es für die Auslegung einer Norm auf den in dieser zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers ankommt, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 10, 234 <244>; 35, 263 <278>; 105, 135 <157>; 133, 168 <205 Rn. 66>). Der Entstehungsgeschichte kommt für die Auslegung regelmäßig nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den allgemeinen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die ansonsten nicht ausgeräumt werden können (vgl. BVerfGE 1, 299 <312>; 11, 126 <130 f.>; 59, 128 <153>; 119, 96 <179>; 122, 248 <283 f., 286 ff.>). Die in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen können nicht mit dem objektiven Gesetzesinhalt gleichgesetzt werden (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 62, 1 <45>). Für die Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers sind vielmehr alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, die sich gegenseitig ergänzen (vgl. BVerfGE 11, 126 <130>; 133, 168 <205 Rn. 66>) und nicht in einem Rangverhältnis zueinander stehen (vgl. BVerfGE 105, 135 <157>; 133, 168 <205 Rn. 66>).

556

bb) Auf dieser Grundlage ist von einem "Beeinträchtigen" auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt. Ein "Beeinträchtigen" liegt daher bereits vor, wenn eine Partei, selbst wenn sie noch nicht erkennen lässt, welche Verfassungsordnung an die Stelle der bestehenden treten soll, qualifiziert die Außerkraftsetzung der bestehenden Verfassungsordnung betreibt. Ausreichend ist, dass sie sich gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet, da diese miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen (vgl. Stollberg, a.a.O., S. 51; Sichert, DÖV 2001, S. 671 <675>; Streinz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 21 Rn. 228; Georg, Politik durch Recht - Recht durch Politik: Das Parteiverbot als Instrument der streitbaren Demokratie in seiner praktischen Bewährung, 2013, S. 91; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 163). Eine politische Partei, die einen der zentralen Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt und bekämpft, kann ein Parteiverbot nicht dadurch vermeiden, dass sie sich zu den jeweils anderen Prinzipien bekennt (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 228; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 531 ; Georg, a.a.O., S. 91; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 163). Allerdings ist nicht jede verfassungswidrige Forderung für sich genommen ausreichend, um das Ziel einer Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung annehmen zu können. Entscheidend ist vielmehr, dass eine Partei sich gezielt gegen diejenigen fundamentalen Prinzipien wendet, die für ein freiheitliches und demokratisches Zusammenleben unverzichtbar sind, da allein so sichergestellt ist, dass ein Parteiverbotsverfahren nur zu Zwecken des präventiven Verfassungsschutzes und nicht auch zur Ausschaltung unliebsamer politischer Konkurrenz eingesetzt werden kann.

557

3. Dass eine Partei die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich nach dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG aus den "Zielen" oder dem "Verhalten ihrer Anhänger" ergeben. Die "Ziele" und das "Verhalten der Anhänger" sind dementsprechend die einzigen Erkenntnisquellen für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei.

558

a) Die Ziele einer Partei sind der Inbegriff dessen, was eine Partei politisch anstrebt, unabhängig davon, ob es sich um Zwischen- oder Endziele, Nah- oder Fernziele, Haupt- oder Nebenziele handelt (vgl. BVerfGE 5, 85 <143 ff.>; a.A. Meier, a.a.O., S. 275 ff.). Sie ergeben sich in der Regel aus dem Programm und den sonstigen parteiamtlichen Erklärungen, aus den Schriften der von ihr als maßgebend anerkannten Autoren über die politische Ideologie der Partei, aus den Reden der führenden Funktionäre, aus dem in der Partei verwendeten Schulungs- und Propagandamaterial sowie aus den von ihr herausgegebenen oder beeinflussten Zeitungen und Zeitschriften (vgl. BVerfGE 5, 85 <144>).

559

Entscheidend sind die wirklichen Ziele der Partei, nicht die vorgegebenen. Es ist nicht erforderlich, dass eine Partei sich offen zu ihren verfassungswidrigen Zielsetzungen bekennt (vgl. BVerfGE 2, 1 <20>; 5, 85 <144>; zustimmend Seifert, DÖV 1961, S. 81 <83>; Henke, in: Bonner Kommentar, Bd. 6, Art. 21 Rn. 357 ; Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 234; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 536 ; Kunig, in: von Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2012, Art. 21 Rn. 76; Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 156; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1075>). Eine Beschränkung der Feststellung der von einer Partei verfolgten Ziele auf das Programm oder offizielle Erklärungen der Partei ist daher nicht geboten (kritisch Meier, a.a.O., S. 104 ff., 275 ff.), auch wenn das Programm regelmäßig ein wesentliches Erkenntnismittel zur Feststellung der Zielsetzung einer Partei darstellen wird.

560

b) Neben ihrer Programmatik können sich die Absichten der Partei im Verhalten ihrer Anhänger spiegeln (vgl. BVerfGE 2, 1 <22>). Anhänger sind dabei alle Personen, die sich für eine Partei einsetzen und sich zu ihr bekennen, auch wenn sie nicht Mitglied der Partei sind (vgl. BVerfGE 2, 1 <22>; siehe auch BVerfGE 47, 130 <139>). Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber meint, der Begriff des "Anhängers" verstoße wegen seiner Uferlosigkeit gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, ist dies nicht nachvollziehbar. Aufgrund der vorstehenden Definition ist eine Unterscheidung zwischen Anhängern und Nichtanhängern einer Partei ohne weiteres möglich.

561

Allerdings kann nicht jegliches Verhalten von Anhängern einer Partei zugerechnet werden. Eine Zurechnung ist insbesondere problematisch, wenn die Partei keinerlei Möglichkeit hat, das Verhalten zu beeinflussen. Entscheidend ist daher, dass in dem Verhalten des jeweiligen Anhängers der politische Wille der betroffenen Partei erkennbar zum Ausdruck kommt. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn das Verhalten eine in der Partei vorhandene Grundtendenz widerspiegelt oder die Partei sich das Verhalten ausdrücklich zu eigen macht. Folglich ist eine differenzierte Betrachtung geboten.

562

aa) Zuzurechnen ist einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 237; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 152 ). Auch die Tätigkeit von Publikationsorganen der Partei und das Verhalten führender Funktionäre von Teilorganisationen können ihr ohne weiteres zugerechnet werden.

563

bb) Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Steht die Äußerung oder Handlung in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Parteiveranstaltung oder sonstigen Parteiaktivitäten, liegt eine Zurechnung nahe, insbesondere wenn eine Distanzierung durch die Partei unterbleibt. Fehlt ein organisatorischer Zusammenhang mit einer Parteiaktivität, muss es sich um eine politische Äußerung oder Handlung des Parteimitglieds handeln, welche von der Partei trotz Kenntnisnahme geduldet oder gar unterstützt wird, obwohl Gegenmaßnahmen (Parteiausschluss, Ordnungsmaßnahmen) möglich und zumutbar wären (vgl. Streinz, a.a.O., Art. 21 Rn. 237; Kunig, a.a.O., Art. 21 Rn. 77 f.; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 152 ).

564

cc) Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine - wie auch immer geartete - Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit. Regelmäßig sind eigene, das Verhalten der Anhänger beeinflussende oder rechtfertigende Aktivitäten der Partei erforderlich. Ein genereller Ausschluss der Zurechnung des Verhaltens einzelner Anhänger widerspricht dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG und kommt auch deshalb nicht in Betracht, da es der Partei die Möglichkeit eröffnen würde, sich vom Verhalten derjenigen, die sie maßgeblich beeinflusst hat, mit dem formalen Hinweis darauf zu entlasten, es handele sich nicht um ihre Mitglieder. Allerdings müssen konkrete Tatsachen vorliegen, die es rechtfertigen, das Anhängerverhalten als Ausdruck des Parteiwillens anzusehen. Eine bloß nachträgliche Gutheißung wird für eine Zurechnung des Anhängerverhaltens nur ausreichen, wenn die Partei sich dieses damit erkennbar als Teil ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu eigen macht.

565

dd) Begehen Parteianhänger Straftaten, ist dies im Parteiverbotsverfahren nur relevant, soweit diese im Zusammenhang mit den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG stehen. Nur eine Straftat, die einen politischen Hintergrund hat, kann die verfassungsfeindlichen Bestrebungen einer Partei belegen. Außerdem können Einzeltaten oder die Taten weniger einer Partei nicht zugerechnet werden, wenn sie nicht als Ausdruck des Parteiwillens angesehen werden können. Straftaten einfacher Mitglieder oder sonstiger Anhänger können der Partei nach diesem Maßstab nur zugerechnet werden, wenn diese erkennbar von der Partei beeinflusst sind und die Partei sich davon trotz Kenntnisnahme nicht distanziert beziehungsweise die Straftaten sogar gutheißt.

566

ee) Die pauschale Zurechnung von Straf- und Gewalttaten ohne konkreten Zurechnungszusammenhang scheidet aus. Insbesondere erlaubt - entgegen der vom Antragsteller vertretenen Auffassung - die Schaffung oder Unterstützung eines bestimmten politischen Klimas allein nicht die Zurechnung strafbarer Handlungen, die in diesem politischen Klima begangen werden. Es bedarf vielmehr der konkreten Feststellung, ob das strafbare Handeln als Teil der verfassungswidrigen Bestrebungen der Partei anzusehen ist. Eine Zurechnung von Straftaten Dritter im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG kommt zum Beispiel in Betracht, wenn die Partei sachliche oder organisatorische Hilfe geleistet hat, personelle Verknüpfungen zwischen der Partei und der handelnden Gruppierung bestehen oder Parteimitglieder an der jeweiligen Tat beteiligt waren.

567

ff) Parlamentarische Äußerungen können einer Partei im Verbotsverfahren zugerechnet werden. Der Grundsatz der Indemnität (Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG; zur inhaltsgleichen Regelung auf Landesebene: Art. 24 Abs. 1 Satz 1 LV Mecklenburg-Vorpommern, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 LV Sachsen) führt im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin hier zu keiner anderen Beurteilung.

568

Nach Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG darf ein Abgeordneter wegen einer parlamentarischen Äußerung weder gerichtlich oder dienstlich verfolgt noch sonst zur Verantwortung gezogen werden. Der Indemnitätsschutz verbietet demgemäß jede beeinträchtigende Maßnahme außerhalb des Parlaments als Folge innerparlamentarischen Verhaltens eines Abgeordneten (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 46 Rn. 45 ; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 46 Rn. 18). Nach seinem Wortlaut und seinem Sinn und Zweck, die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments zu sichern und den Abgeordneten zu schützen (vgl. BVerfGE 104, 310 <332>), ist Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG weit zu verstehen. Daher kommt es für seine Anwendbarkeit nicht darauf an, ob eine staatliche Sanktion sich als unmittelbare Folge des parlamentarischen Handelns darstellt (vgl. BVerfGE 134, 141 <183 f. Rn. 124>). Aus diesem Grund schließt der Umstand, dass ein Mandatsverlust im Falle eines auf parlamentarische Äußerungen gestützten Parteiverbots eine nur mittelbar eintretende Folge des parlamentarischen Handelns darstellt, die Anwendbarkeit von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG nicht grundsätzlich aus.

569

Allerdings stehen sich Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG gleichrangig gegenüber. Daher ist bei der Auslegung von Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG die Grundentscheidung der Verfassung für die "streitbare Demokratie" in Rechnung zu stellen (vgl. insoweit zu Art. 10 GG: BVerfGE 30, 1<19>) und zwischen dem Indemnitätsschutz gemäß Art. 46 GG und dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ein Ausgleich nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz herzustellen. Es bedarf somit bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG der Außerachtlassung der parlamentarischen Äußerungen ihrer Abgeordneten nicht, zumal diese regelmäßig in besonderer Weise geeignet sind, die von einer Partei verfolgten Ziele und Konzepte nachzuvollziehen. Dem Indemnitätsschutz kann vielmehr bei der Entscheidung über den Mandatsverlust als Folge eines Parteiverbots Rechnung getragen werden. Zwar mag nicht auszuschließen sein, dass bei einem Abgeordneten ein Mandatsverlust ausnahmsweise auch als Folge des Parteiverbots eintreten kann, wenn sich die von der verbotenen Partei verfolgten verfassungswidrigen Ziele allein oder maßgeblich aufgrund seiner parlamentarischen Äußerungen ergeben. Einer Verwertung der Äußerungen im Parteiverbotsverfahren steht dies aber nicht entgegen.

570

4. Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots gemäß Art. 21 Abs. 2 GG nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung "ausgeht". Ein solches "Ausgehen" setzt bereits begrifflich ein aktives Handeln voraus. Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot (a). Notwendig ist vielmehr ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung (b) setzt dies ein planvolles Handeln voraus, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist (c). Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich (d). Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen (e).

571

a) Bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Darauf Ausgehens" ist den Wertentscheidungen der Verfassung für die Offenheit des politischen Willensbildungsprozesses (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG), die politische Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Parteienfreiheit (Art. 21 Abs. 1 GG) Rechnung zu tragen. Der mit einem Parteiverbot verbundene Eingriff in diese Verfassungsgüter ist nur zulässig, soweit der Schutzzweck des Art. 21 Abs. 2 GG dies gebietet. Daher ist erforderlich, dass eine Partei sich durch aktives Handeln für ihre Ziele einsetzt und damit auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland hinwirkt.

572

Anders als die Antragsgegnerin meint, besteht aber keine verfassungsrechtliche Vermutung, dass sich eine parteipolitische Organisation, die eine demokratische Binnenstruktur aufweist, auch im externen Bereich demokratisch verhält. Auch wenn die innere Ordnung einer Partei der verfassungsrechtlichen Vorgabe des Art. 21 Abs. 1 Satz 3 GG entspricht, ist nicht ausgeschlossen, dass die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgeht.

573

Art. 21 Abs. 2 GG sanktioniert nicht Ideen oder Überzeugungen. Die Vorschrift beinhaltet kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot, sondern ein Organisationsverbot (vgl. Klein, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 21 Rn. 488 ). Erst wenn eine Partei mit ihren verfassungsfeindlichen Zielen nach außen tritt und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates agiert, kommt ein Einschreiten nach Art. 21 Abs. 2 GG in Betracht. Die Partei muss also über das "Bekennen" ihrer eigenen (verfassungsfeindlichen) Ziele hinaus die Grenze zum "Bekämpfen" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes des Staates überschreiten (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 526 ). Nur ein Verständnis des "Darauf Ausgehens", das der Voraussetzung des Überschreitens dieser Grenze Rechnung trägt, entspricht dem Gebot restriktiver Auslegung von Art. 21 Abs. 2 GG.

574

b) Zur Bestimmung der Grenze zwischen dem bloßen Bekenntnis der eigenen Überzeugung und der Bekämpfung der Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht im KPD-Urteil ausgeführt, dass eine Partei nicht schon dann verfassungswidrig sei, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht anerkenne, sie ablehne oder ihnen andere entgegensetze. Hinzukommen müsse eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung (vgl. BVerfGE 5, 85 <141>). Weiterhin wird im Urteil darauf verwiesen, dass die Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung so weit in Handlungen (dies seien unter Umständen auch programmatische Reden verantwortlicher Persönlichkeiten) zum Ausdruck kommen müsse, dass sie als planvoll verfolgtes politisches Vorgehen der Partei erkennbar werde. Versuchs- oder Vorbereitungshandlungen im strafrechtlichen Sinne seien hierfür nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>). Eine Partei könne auch dann verfassungswidrig im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf bestehe, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können.

575

c) Das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" setzt ein planvolles Handeln im Sinne qualifizierter Vorbereitung einer Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder einer Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland voraus.

576

aa) Für ein planvolles Vorgehen der Partei ist erforderlich, dass kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechendes politisches Konzept hingearbeitet wird. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die einzelne Handlung Ausdruck einer der Partei zuzurechnenden Grundtendenz ist (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>). Bestrebungen einzelner Parteianhänger bei sonst loyaler Haltung der Partei zu den Schutzgütern des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG können nicht zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit führen (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>). Verfassungswidrige Einzelaktionen berechtigen grundsätzlich nur zu polizei- oder strafrechtlichen Reaktionen. Ein Parteiverbot kommt erst in Betracht, wenn das verfassungsfeindliche Agieren von Parteianhängern sich nicht nur in Einzelfällen zeigt, sondern einer zugrunde liegenden Haltung entspricht, die der Partei in ihrer Gesamtheit zugerechnet werden kann.

577

bb) Das planvolle Handeln der Partei muss sich darüber hinaus als qualifizierte Vorbereitung im Hinblick auf die Erreichung ihrer gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichteten Ziele darstellen. Erforderlich ist insoweit ein zielorientierter Zusammenhang zwischen eigenen Handlungen und der Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.

578

Ein strafrechtlich relevantes Handeln erfordert Art. 21 Abs. 2 GG dagegen nicht. Dies wäre mit dem präventiven Charakter der Norm nicht vereinbar. Das Strafrecht knüpft an ein in der Vergangenheit liegendes Verhalten von Einzelpersonen an. Art. 21 Abs. 2 GG dient demgegenüber der Abwehr künftig möglicher Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Staates. Dem Verfassungsgeber genügte ein repressiver Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch strafrechtliche Bestimmungen gerade nicht. Vielmehr wollte er dem wehrhaften Verfassungsstaat die Möglichkeit eröffnen, frühzeitig - und ohne strafbares Handeln abwarten zu müssen - tätig zu werden. Die Auffassung, dass ein "Darauf Ausgehen" strafrechtlich relevante Vorbereitungshandlungen im Bereich der Staatsschutzdelikte (vgl. Meier, a.a.O., S. 271 ff.; Morlok, a.a.O., Art. 21 Rn. 150) oder den Einsatz physischen oder psychischen Terrors (vgl. Maurer, AöR 96 <1971>, S. 203 <216>) erfordere, geht daher zu weit. Ebenso wenig ist es erforderlich, dass sich das der Partei zurechenbare Handeln - unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung - als gesetzeswidrig darstellt. Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt. Das Parteiverbot stellt gerade auch eine Reaktion auf die von den Nationalsozialisten verfolgte Taktik der "legalen Revolution" dar, die die Machterlangung mit erlaubten Mitteln auf legalem Weg anstrebte. Auch in diesem Fall soll der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch ein Parteiverbot gemäß Art. 21 Abs. 2 GG frühzeitig möglich sein (vgl. Alter, AöR 140 <2015>, S. 571 <577 f.>).

579

Daher kann auch die Inanspruchnahme grundrechtlich geschützter Freiheiten verbotsrelevant sein. Die "streitbare Demokratie" will gerade den Missbrauch grundrechtlich geschützter Freiheiten zur Abschaffung der Freiheit verhindern. Es kommt im Parteiverbotsverfahren also nicht darauf an, ob eine - unbenommene - Betätigung grundrechtlicher Freiheiten vorliegt. Entscheidend ist vielmehr, ob diese sich als qualifizierte Vorbereitung einer Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Ist dies feststellbar, ist ein entsprechendes Verhalten im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG zu berücksichtigen.

580

Setzt ein Parteiverbot demgemäß die Anwendung illegaler oder strafrechtlich relevanter Mittel oder Methoden nicht voraus, können sich daraus dennoch gewichtige Anhaltspunkte sowohl für den Verstoß der Ziele dieser Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als auch dafür ergeben, dass die Partei auf die Verwirklichung dieser Ziele im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG ausgeht. Lässt sich etwa feststellen, dass Anhänger einer Partei in einer ihr zurechenbaren Weise Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele anwenden, spricht dies dafür, dass die Partei das im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Gewaltmonopol des Staates nicht anerkennt und insoweit auf eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt. Zugleich wäre eine der Partei zurechenbare Anwendung oder Billigung von Gewalt ausreichend, um davon ausgehen zu können, dass das Handeln der Partei hinreichend qualifiziert eine Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorbereitet (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 533 f. ).

581

d) Dass das Handeln der Partei bereits zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG führt, ist nicht erforderlich. Dagegen sprechen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte und der Zweck der Vorschrift.

582

aa) Nach dem Wortlaut der Norm ist das Tatbestandsmerkmal "Gefährden" ausschließlich auf das Schutzgut "Bestand der Bundesrepublik Deutschland" bezogen. Dass es demgegenüber für die erste Tatbestandsalternative der Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Eintritts einer konkreten Gefahr nicht bedarf, bestätigen die ebenfalls dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung dienenden Art. 11 Abs. 2, Art. 87a Abs. 4 Satz 1 und Art. 91 GG. Diese haben für die Anordnung der dort im Einzelnen vorgesehenen Maßnahmen ausdrücklich das Vorliegen einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes zur Voraussetzung. Dies ist bei Art. 21 Abs. 2 GG nicht der Fall.

583

bb) Der Verzicht auf das Erfordernis einer konkreten Gefahr in Art. 21 Abs. 2 GG ist Konsequenz des Umstands, dass die Vorschrift sich als Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus und die (vermeintliche) Wehrlosigkeit der Weimarer Reichsverfassung gegenüber den Feinden der Demokratie darstellt (vgl. Rn. 548 ff.). Sie beruht auf der historischen Erfahrung, dass radikale Bestrebungen umso schwieriger zu bekämpfen sind, je mehr sie an Boden gewinnen (vgl. Ipsen, a.a.O., Art. 21 Rn. 171). Außerdem lässt sich der Zeitpunkt, ab dem eine konkrete Gefahr vorliegt, das heißt, ab dem bei ungehindertem Geschehensablauf mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder einer Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden muss, regelmäßig nicht genau bestimmen. Müsste der Eintritt einer konkreten Gefahr abgewartet werden, könnte ein Parteiverbot möglicherweise erst zu einem Zeitpunkt in Betracht kommen, zu dem die betroffene Partei bereits eine so starke Stellung erlangt hat, dass das Verbot nicht mehr durchgesetzt werden kann (vgl. Michael, in: Festschrift für Dimitris Th. Tsatsos, 2003, S. 383 <402>).

584

cc) Daher zielt Art. 21 Abs. 2 GG darauf ab, nach der Maxime "Wehret den Anfängen" frühzeitig die Möglichkeit des Vorgehens gegen verfassungsfeindliche Parteien zu eröffnen (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>). Das Parteiverbotsverfahren hat seiner Natur nach den Charakter einer Präventivmaßnahme (vgl. BVerfGE 5, 85 <142>; 9, 162 <165>; 107, 339 <386>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 515 ). Es zielt nicht auf die Abwehr bereits entstandener, sondern auf die Verhinderung des Entstehens künftig möglicherweise eintretender Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung.

585

e) Entsprechend dem Ausnahmecharakter des Parteiverbots als präventives Organisations- und nicht als bloßes Weltanschauungs- oder Gesinnungsverbot kann ein "Darauf Ausgehen" allerdings nur angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG gerichtete Handeln einer Partei erfolgreich sein kann (Potentialität).

586

Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot als schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde (vgl. BVerfGE 107, 339 <369>) nicht. Ein Parteiverbot kommt vielmehr nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht. Ist dies nicht der Fall, fehlt es an einem "Darauf Ausgehen" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG. An der hiervon abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (vgl. BVerfGE 5, 85 <143>), hält der Senat nicht fest.

587

Ob ein ausreichendes Maß an Potentialität hinsichtlich der Erreichung der von einer Partei verfolgten Ziele besteht, ist im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung festzustellen. Dabei sind die Situation der Partei (Mitgliederbestand und -entwicklung, Organisationsstruktur, Mobilisierungsgrad, Kampagnenfähigkeit, finanzielle Lage), ihre Wirkkraft in die Gesellschaft (Wahlergebnisse, Publikationen, Bündnisse, Unterstützerstrukturen), ihre Vertretung in Ämtern und Mandaten, die von ihr eingesetzten Mittel, Strategien und Maßnahmen sowie alle sonstigen Umstände zu berücksichtigen, die Aufschluss darüber zu geben vermögen, ob eine Umsetzung der von der Partei verfolgten Ziele möglich erscheint. Erforderlich ist, dass sich ein hinreichendes Maß an konkreten und gewichtigen Anhaltspunkten ergibt, die den Rückschluss auf die Möglichkeit erfolgreichen Agierens der Partei gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG rechtfertigen. Dabei sind sowohl die Erfolgsaussichten einer bloßen Beteiligung der Partei am politischen Meinungskampf als auch die Möglichkeit einer Durchsetzung der politischen Ziele der Partei mit sonstigen Mitteln in Rechnung zu stellen.

588

Versucht eine Partei ihre verfassungswidrigen Ziele durch den Einsatz von Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen, ist die Anforderung des "Darauf Ausgehens" regelmäßig erfüllt. Die Anwendung von Gewalt beinhaltet neben der Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols einen schwerwiegenden Eingriff in das Prinzip freier und gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung. Sie indiziert auch eine gewisse Potentialität hinsichtlich der Erreichung der von der Partei verfolgten Ziele. Die Anwendung von Gewalt ist daher bereits für sich genommen hinreichend gewichtig, um die Annahme der Möglichkeit erfolgreichen Agierens gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG zu rechtfertigen. Gleiches gilt, wenn eine Partei unterhalb der Ebene strafrechtlich relevanten Verhaltens in einer die Freiheit des politischen Willensbildungsprozesses einschränkenden Weise handelt. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Partei eine "Atmosphäre der Angst" oder der Bedrohung herbeiführt, die geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Beteiligung aller am Prozess der politischen Willensbildung nachhaltig zu beeinträchtigen. Ausreichend ist es dabei, wenn derartige Beeinträchtigungen in regional begrenzten Räumen herbeigeführt werden. Erforderlich ist allerdings, dass das Agieren der Partei objektiv geeignet ist, die Freiheit der politischen Willensbildung zu beschränken. Rein subjektive Bedrohungsempfindungen reichen insoweit nicht.

589

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist für ein "Darauf Ausgehen" nicht ausreichend, dass die Äußerungen einer Partei darauf angelegt sind, politisch verwirklicht zu werden, und ihnen insoweit eine handlungsleitende Qualität zukommt; dies ist bei den Äußerungen einer politischen Partei ausnahmslos der Fall. Erforderlich ist vielmehr, dass konkrete Anhaltspunkte von Gewicht bestehen, die einen Erfolg der mit der Verbreitung des verfassungswidrigen Gedankenguts der Partei verbundenen Handlungsaufforderung möglich erscheinen lassen.

590

5. Neben den dargestellten Voraussetzungen eines Parteiverbots ist im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG für die Annahme weiterer (ungeschriebener) Tatbestandsmerkmale kein Raum. Weder kommt der Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus eine die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG ersetzende Funktion zu (a), noch findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Parteiverbotsverfahren Anwendung (b).

591

a) Ist die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus feststellbar (aa), rechtfertigt dies für sich genommen die Anordnung eines Parteiverbots nicht (bb). Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Vereinsverboten (cc) oder der gegenbildlich identitätsprägenden Bedeutung des Nationalsozialismus für das Grundgesetz (dd). Allerdings kommt der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus erhebliche indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher, auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteter Ziele einer Partei zu (ee).

592

aa) Ob eine Partei eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist, ist unter Rückgriff auf deren politisches Programm, die inneren Organisationsstrukturen und das Auftreten der Partei und ihrer Mitglieder in der Öffentlichkeit zu bestimmen (vgl. BVerfGE 2, 1 <40 ff.>; BVerwGE 134, 275 <292 f.>; BVerwG, Urteil vom 30. August 1995 - 1 A 14.92 - NVwZ 1997, S. 66 <67>; Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <871>; Beschluss vom 21. Mai 2014 - 6 B 24.14 -, juris, Rn. 20). Entscheidend kommt es dabei darauf an, ob eine Partei sich der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus verbunden fühlt. Diese Verbundenheit kann insbesondere in der Verwendung nationalsozialistischer Symbole, der positiven historischen Bewertung des Nationalsozialismus und seiner führenden Repräsentanten oder der Leugnung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen Ausdruck finden.

593

bb) Die bloße Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vermag jedoch die Anordnung eines Parteiverbots ohne Prüfung des Vorliegens der einzelnen tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu rechtfertigen. Der Ausnahmecharakter der Norm und das Gebot restriktiver Auslegung (vgl. Rn. 523 ff.) schließen aus, die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus als ungeschriebenes, den Anwendungsbereich der Norm erweiterndes Tatbestandsmerkmal anzusehen.

594

cc) Dem steht auch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 9 Abs. 2 GG nicht entgegen. Es erscheint bereits zweifelhaft, ob den einschlägigen Entscheidungen entnommen werden kann, dass die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus ausreicht, um eine Vereinigung zu verbieten. Zwar stellt das Bundesverwaltungsgericht einerseits fest, dass es für eine dem Nationalsozialismus wesensverwandte Vereinigung kennzeichnend sei, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung untergraben wolle (vgl. BVerwGE 134, 275 <292 f.>; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <871>). Andererseits führt es im Anschluss daran aber stets eine gesonderte Prüfung des Vorliegens einer "kämpferisch-aggressiven Haltung" der jeweiligen Vereinigung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung durch (vgl. BVerwGE 134, 275 <304 ff.>; BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2012 - 6 A 6.11 -, NVwZ 2013, S. 870 <874>).

595

Außerdem stehen einer Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 9 Abs. 2 GG auf Parteiverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG die Unterschiede in der tatbestandlichen Ausgestaltung beider Normen entgegen: Während es nach dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 GG ausreicht, dass die Vereinigung sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, setzt Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG voraus, dass eine Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Vor allem aber ist Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG lex specialis zu Art. 9 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 2, 1 <13 f.>; siehe auch BVerfGE 12, 296 <304>; 13, 174 <177>; 17, 155 <166>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 511 ; Morlok, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 21 Rn. 143). Vereinigungen und politische Parteien unterscheiden sich dadurch voneinander, dass Vereinigungen ausschließlich Grundrechtsträger sind, während den Parteien durch Art. 21 Abs. 1 GG zusätzlich ein eigener verfassungsrechtlicher Status zuerkannt und ihnen die Aufgabe der Mitwirkung an der politischen Willensbildung zugewiesen ist. Dies schließt eine Übertragung der für Verbote gemäß Art. 9 Abs. 2 GG entwickelten Maßstäbe auf Parteiverbote gemäß Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG aus.

596

dd) Etwas anderes folgt auch nicht aus der gegenbildlich identitätsprägenden Bedeutung des Nationalsozialismus für das Grundgesetz (vgl. BVerfGE 124, 300 <327 f.>). Zwar ist davon auszugehen, dass die menschenverachtende Gewalt- und Willkürherrschaft des Nationalsozialismus für die Ausgestaltung der Verfassungsordnung von wesentlicher Bedeutung war, so dass das Grundgesetz geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes angesehen werden kann (vgl. BVerfGE 124, 300 <328>). Allerdings resultiert aus diesem Umstand kein allgemeines antinationalsozialistisches Grundprinzip (vgl. BVerfGE 124, 300 <330>; siehe hierzu: Lepsius, Jura 2010, S. 527 <533>; Degenhart, JZ 2010, S. 306 <310>; Höfling/Augsberg, JZ 2010, S. 1088 <1095>; Masing, JZ 2012, S. 585 <589 f.>). Folglich reicht die Identifikation mit oder die Nähe zum Nationalsozialismus nicht, um ungeachtet des Wortlauts der einzelnen Bestimmungen des Grundgesetzes Grundrechte oder sonstige verfassungsrechtliche Gewährleistungen einzuschränken.

597

Es kann deshalb dahinstehen, ob der Verfassungsgeber bei der Verabschiedung von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ausschließlich das Ziel einer Verhinderung des Wiedererstarkens nationalsozialistischer Kräfte vor Augen hatte oder ob vor dem Hintergrund der damaligen politischen Entwicklung eine generell antitotalitäre Motivation handlungsleitend war (vgl. Schaefer, DÖV 2010, S. 379 <386>; Handschell, BayVBl 2011, S. 745 <749>). Auch falls Art. 21 Abs. 2 GG ausschließlich eine verfassungsunmittelbare Antwort auf die historische Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes sein sollte, hat der Verfassungsgeber darauf verzichtet, die Norm spezifisch antinationalsozialistisch auszugestalten. Vielmehr beinhaltet sie im Interesse bestmöglichen Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine Absage an totalitäre Bestrebungen jeglicher Art (vgl. Höfling/ Augsberg, JZ 2010, S. 1088 <1094>). Folglich gelten für alle Parteien die gleichen, in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG festgeschriebenen Voraussetzungen für die Anordnung eines Verbots. Der Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus kann damit keine tatbestandsersetzende Bedeutung im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG zukommen.

598

ee) Allerdings ist bei der Prüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus zu berücksichtigen. So können sich aus der Glorifizierung der NSDAP oder der Verharmlosung der durch die Nationalsozialisten begangenen Verbrechen Rückschlüsse auf die von einer Partei verfolgten - und aus ihrer Programmatik möglicherweise nur unvollkommen ablesbaren - wirklichen Ziele ergeben. Auch verstoßen die zentralen Prinzipien des Nationalsozialismus (Führerprinzip, ethnischer Volksbegriff, Rassismus, Antisemitismus) gegen die Menschenwürde und verletzen zugleich das Gebot gleichberechtigter Teilhabe aller Bürger am politischen Willensbildungsprozess sowie - aufgrund des Führerprinzips - den Grundsatz der Volkssouveränität. Daher stellt die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus ein Indiz dafür dar, dass diese Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt. Eine vergleichbare Bedeutung kann der Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus hingegen mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" nicht zuerkannt werden. Dieses ist handlungsbezogen. Hierfür vermag eine Verbundenheit mit nationalsozialistischem Gedankengut grundsätzlich keine Hinweise zu geben.

599

b) Einer gesonderten Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Parteiverbotsverfahren bedarf es nicht. Zwar schließt der Grundsatz restriktiver Auslegung des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG einen Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht aus, da dieser allenfalls zu einer Verengung des Anwendungsbereichs der Vorschrift führen würde. Auch führt der Hinweis des Antragstellers, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz finde im Staatsorganisationsrecht keine Anwendung (vgl. dazu für den Bereich der Kompetenzabgrenzung: BVerfGE 79, 311 <341>; 81, 310 <338>; 84, 25 <31>; siehe auch: Sachs, in: ders., GG, 7. Aufl. 2014, Art. 20 Rn. 147; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 2, 3. Aufl. 2015, Art. 20 Rn. 188), im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter, weil die Parteien nicht der Sphäre organisierter Staatlichkeit zuzuordnen sind. Vielmehr handelt es sich dabei um "frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen", die dazu berufen sind, "bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken und in den Bereich der institutionalisierten Staatlichkeit hineinzuwirken", ohne diesem Bereich jedoch selbst anzugehören (vgl. BVerfGE 20, 56 <100 f.>; 121, 30 <53>).

600

Der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Parteiverbotsverfahren steht aber entgegen, dass der Verfassungsgeber in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG eine abschließende Regelung getroffen hat, die für eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung keinen Raum lässt. Der Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt nur in Betracht, soweit das handelnde Staatsorgan überhaupt über Handlungs- und Entscheidungsspielräume verfügt. Ist hingegen eine zu treffende Maßnahme rechtlich bindend vorgegeben und fehlt es sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch hinsichtlich des "Wie" an alternativen Entscheidungsmöglichkeiten, ist die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeschlossen (vgl. Sachs, a.a.O., Art. 20 Rn. 148). Der Verfassungsgeber hat in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG normiert, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zwingend die Verfassungswidrigkeit der Partei festzustellen ist. Entscheidungsspielräume, die die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ermöglichen würden, bestehen nicht (vgl. auch Seifert, Die politischen Parteien im Recht der Bundesrepublik Deutschland, 1975, S. 470 f.; Schmidt, Die Freiheit verfassungswidriger Parteien und Vereinigungen, 1983, S. 163 ff.; Koch, DVBl 2002, S. 1388 <1389 f.>; Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 513 f. , 558 ; Kunig, a.a.O., Art. 21 Rn. 72).

601

aa) Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. Klein, a.a.O., Art. 21 Rn. 558 ; a.A. Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1080 ff.>). Bei den Beratungen der Vorschrift im Parlamentarischen Rat war zwar erwogen worden, die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei in das Ermessen des Bundesverfassungsgerichtes zu stellen, da man dem Gericht nicht vorschreiben solle, wie es zu urteilen habe, und es geboten sein könne, auf ein Verbot zu verzichten, da eine nicht verbotene Partei leichter zu kontrollieren sein könnte (vgl. Parlamentarischer Rat, Organisationsausschuss, Wortprotokolle 6. bis 9. Sitzung, Teil 1, Bd. 9b, 6. Sitzung, S. 32). Letztlich setzte sich aber die Auffassung durch, dass verfassungswidrige Parteien nicht zu dulden seien (vgl. Parlamentarischer Rat, a.a.O., S. 31, 39) und daher eine Formulierung vorzuziehen sei, die das Bundesverfassungsgericht binde, damit es Verstöße aller Parteien gleichmäßig ahnde (vgl. Parlamentarischer Rat, a.a.O., S. 37).

602

bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Senat bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Norm die Freiheitsgarantien und Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu berücksichtigen und mit dem Schutzzweck der Norm "ins Verhältnis zu setzen" hat, um Widersprüche zu vermeiden und die größtmögliche Konkordanz der betroffenen Rechtsgüter herbeizuführen. Dies ist aber Teil der Normauslegung und von einer eigenständigen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu unterscheiden.

603

cc) Die für eine gesonderte Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Verhängung eines Parteiverbots vorgebrachten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.

604

(1) Soweit geltend gemacht wird, die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei auch sonst keine Frage des Vorliegens der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen, vielmehr sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung die Art und Schwere der Sanktionen nach dem konkreten Gefahrenpotential zu bestimmen (so Schliesky, in: Isensee/Kirchhof, HStR XII, 3. Aufl. 2014, § 277 Rn. 38), ist dem entgegenzuhalten, dass im Fall des Parteiverbots die tatbestandlichen Voraussetzungen für den staatlichen Eingriff nicht einfachgesetzlich, sondern verfassungsrechtlich normiert sind und Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG bei deren Vorliegen die anzuordnende Rechtsfolge verbindlich vorgibt. Dies ist mit der Anwendung einfachen Gesetzesrechts, bei der der Behörde Ermessen auf der Rechtsfolgenseite eröffnet ist (vgl. BVerfGE 113, 63 <80>), nicht vergleichbar.

605

(2) Soweit die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vertreten wird, um damit die Forderung nach dem Vorliegen einer - teilweise unter Rückgriff auf polizeirechtliche Kategorien spezifizierten - Gefahr zu begründen (Groh, ZRP 2000, S. 500 <505>; Emek/Meier, RuP 2013, S. 74 <77 ff.>), steht dem der Präventionscharakter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG entgegen (vgl. Rn. 581 ff.). Dies gilt auch für die aus dem Umweltrecht entliehene Vorstellung einer "nachhaltigen" Gefahr (Michael, a.a.O., S. 383 <403 ff.>). Die Forderung nach dem Vorliegen einer (konkreten oder nachhaltigen) Gefahr vermag eine verfassungsrechtlich fundierte Begründung für die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Parteiverbotsverfahren entgegen dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu ersetzen.

606

(3) Soweit die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes postuliert wird, um daraus die Forderung nach vorrangiger Bekämpfung verfassungswidriger Parteien mit sonstigen politischen oder administrativen Mitteln (Beobachtung, öffentliche Aufklärung, politische Auseinandersetzung, Infragestellung der staatlichen Parteienfinanzierung) abzuleiten (vgl. Pforr, ThürVBl 2002, S. 149 <153>; Kumpf, DVBl 2012, S. 1344 <1346 f.>; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1082>), handelt es sich um Fragen der politischen Opportunität der Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens. Für die Entscheidung über einen bereits gestellten Parteiverbotsantrag durch das Bundesverfassungsgericht sind diese jedoch ohne Belang.

III.

607

Die aus den dargelegten Maßstäben sich ergebenden Anforderungen an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei sind mit den Vorgaben, die der EGMR in seiner Rechtsprechung zu Parteiverboten aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleitet hat (1.) und die das Bundesverfassungsgericht als Auslegungshilfe berücksichtigt (vgl. BVerfGE 128, 326 <366 ff.>), ohne weiteres vereinbar (2.).

608

1. Da es in der EMRK an einer speziellen Regelung der Rechte politischer Parteien fehlt, ist Maßstab für die Konventionskonformität von Parteiverboten vor allem Art. 11 EMRK (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, §§ 24 ff.; EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, § 29; EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., §§ 30 ff.; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 28 ff.). In seine Prüfung bezieht der EGMR auf der Rechtfertigungsebene ergänzend die Frage einer Unanwendbarkeit der Konventionsrechte aufgrund Art. 17 EMRK ein (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, § 60; EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, §§ 29 und 53; EGMR , Freedom and Democracy Party <ÖZDEP> v. Turkey, Urteil vom 8. Dezember 1999, Nr. 23885/94, § 47).

609

a) Dabei erkennt der EGMR ausdrücklich die Möglichkeit eines Parteiverbots zum Schutz der Demokratie an. Allerdings müsse dieses den Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK genügen, das heißt, gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 103; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 82).

610

b) Die Notwendigkeit eines Parteiverbots in einer demokratischen Gesellschaft erfordere zunächst, dass dieses einem legitimen Zweck diene. Die insoweit in Betracht kommenden Zwecke seien in Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK abschließend aufgeführt (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, §§ 40 f.; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 67; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 64; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 44; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, § 54).

611

c) Darüber hinaus müsse ein "dringendes soziales Bedürfnis" für ein Parteiverbot bestehen (vgl. EGMR , Socialist Party and Others v. Turkey, Urteil vom 25. Mai 1998, Nr. 20/1997/804/1007, § 49; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 104).

612

aa) Ob ein solches vorliege, sei eine Frage des Einzelfalls. Angesichts des tiefgreifenden Eingriffs, der mit einem Verbot für die Partei und die Demokratie als solche verbunden sei, komme ein Verbot aber nur in Betracht, wenn entweder die Partei Ziele verfolge, die mit den fundamentalen Grundsätzen der Demokratie und des Menschenrechtsschutzes nicht vereinbar seien, oder wenn die Mittel, die die Partei einsetze, nicht rechtmäßig und demokratisch seien, insbesondere wenn sie zur Gewalt aufrufe oder deren Einsatz billige (vgl. Theuerkauf, Parteiverbote und die Europäische Menschenrechtskonvention, 2006, S. 260 ff. m.w.N.). Eine Partei dürfe zwar für eine Änderung der gesetzlichen oder sogar der verfassungsrechtlichen Strukturen des Staates eintreten. Sie müsse dabei aber rechtmäßige und demokratische Mittel einsetzen und die vorgeschlagenen Änderungen müssten ihrerseits mit den grundlegenden demokratischen Prinzipien vereinbar sein (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 49; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 98; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, § 46; EGMR, Parti Socialiste de Turquie et autres c. Turquie, Urteil vom 12. November 2003, Nr. 26482/95, § 38; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 79; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 61).

613

bb) Hinsichtlich des Zeitpunkts für die Anordnung eines Parteiverbots erkennt der EGMR die Zulässigkeit eines präventiven Vorgehens ausdrücklich an. Man könne von einem Staat nicht verlangen, erst dann gegen eine politische Partei vorzugehen, wenn sie an die Macht gekommen sei und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung ihrer demokratiewidrigen Politik ergreife, obwohl die Gefahr dieser Politik hinreichend nachgewiesen und unmittelbar sei. Ein Staat müsse vernünftigerweise in der Lage sein, die Verwirklichung eines mit der Konvention unvereinbaren politischen Programms zu verhindern (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 102 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., §§ 81 f.). Damit wird den Vertragsstaaten zumindest ein gewisser Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung des richtigen Zeitpunkts für ein Parteiverbot eingeräumt (Pabel, ZaöRV 63 <2003>, S. 921 <932>).

614

cc) Ob ein Parteiverbot einem dringenden sozialen Bedürfnis entspricht, stellt der EGMR auf Grundlage einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls fest (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 104 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 83). Zu berücksichtigen seien dabei auch die historischen Erfahrungen und Entwicklungen in dem betreffenden Konventionsstaat (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 124; EGMR, Partidul Comunistilor and Ungureanu v. Romania, Urteil vom 3. Februar 2005, Nr. 46626/99, § 58; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, §§ 69 ff.; EGMR, Republican Party of Russia v. Russia, Urteil vom 12. April 2011, Nr. 12976/07, § 127).

615

d) Schließlich müsse ein Parteiverbot in einem angemessenen Verhältnis zu den mit dem Verbot verfolgten Zielen stehen. Dabei beschränkt der Gerichtshof allerdings die Prüfung der "Angemessenheit" auf die Rechtsfolgenseite und stellt fest, ob die sich aus dem nationalen Recht ergebenden Folgen des Parteiverbots nicht außer Verhältnis zur Schwere der unter dem Punkt dringendes soziales Bedürfnis festgestellten Bedrohung für die Demokratie stehen. In der Regel folgert er aus dem Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses auch die Angemessenheit des Verbots (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., §§ 133 f.; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 93; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, § 81).

616

Lediglich in zwei Fällen punktueller Befürwortung von Gewalt durch einzelne Parteimitglieder kam der Gerichtshof - unabhängig vom Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses - zu dem Ergebnis, dass ein auf dieses Verhalten gegründetes Parteiverbot unangemessen sei (vgl. EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 61 ff. u. 64 ff.; EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.). Dabei verweist er im Fall der türkischen DTP ausdrücklich darauf, dass im Gegensatz zu den vereinzelten Äußerungen ihrer Mitglieder die Partei als Ganzes sich zu friedlichen und demokratischen Lösungen bekannt habe und dass nicht von einem Einfluss der einzelnen Äußerungen auf die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung ausgegangen werden könne (vgl. EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 85 ff., § 98).

617

2. Hinter diesen durch den EGMR aus Art. 11 Abs. 2 EMRK abgeleiteten Vorgaben für ein Parteiverbot bleibt der dargelegte Maßstab zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG nicht zurück.

618

a) Dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung trägt Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ohne weiteres Rechnung. Auch stellen der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des Bestandes des Staates legitime Zwecke im Sinne des Art. 11 Abs. 2 EMRK dar. Dabei gehen EGMR und Bundesverfassungsgericht übereinstimmend davon aus, dass eine Partei sich nicht nur gegen einzelne Verfassungsbestimmungen, sondern gegen die fundamentalen Prinzipien des freiheitlichen Verfassungsstaates wenden muss.

619

b) Bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ist auch vom Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot auszugehen. Handelt eine Partei planmäßig im Sinne qualifizierter Vorbereitung einer Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ergibt sich aus konkreten und gewichtigen Anhaltspunkten die Möglichkeit eines Erfolgs dieses Handelns, genügt dies den Anforderungen des EGMR an die Notwendigkeit eines Parteiverbots zum Schutz der demokratischen Gesellschaft gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Verweis des EGMR auf das Erfordernis einer hinreichend nachgewiesenen und unmittelbaren Gefahr (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 102). Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Meinung (vgl. Emek/Meier, RuP 2013, S. 74 <77>; Morlok, Jura 2013, S. 317 <323 f.>; Bröhmer, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG, 2. Aufl. 2013, Kap. 19 Rn. 103 ff.; wohl auch Grimm, in: Meier, Das Verbot der NPD - ein deutsches Staatstheater in zwei Akten, 2015, S. 367 <368>) kann dem nicht entnommen werden, dass ein Parteiverbot aus Sicht des EGMR nur konventionskonform ist, wenn bereits eine konkrete Gefahr für die freiheitliche demokratische Ordnung eingetreten ist und ein Erfolg der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei unmittelbar bevorsteht.

620

Einer solchen Annahme steht bereits entgegen, dass der EGMR in einzelnen Fällen die Billigung terroristischer Akte als ausreichend für ein Parteiverbot angesehen hat, ohne dabei auf die Größe oder die Bedeutung der verbotenen Regionalparteien und die von diesen ausgehenden Gefahren für die verfassungsmäßige Ordnung abzustellen (vgl. EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., §§ 85 ff.; EGMR, Eusko Abertzale Ekintza - Acción Nacionalista Vasca c. Espagne, Urteil vom 15. Januar 2013, Nr. 40959/09, §§ 67 ff.). Darüber hinaus bekennt sich der EGMR ausdrücklich zum präventiven Charakter des Parteiverbots und räumt den Staaten hinsichtlich der Bestimmung des Zeitpunkts des Verbots einen Ermessensspielraum ein. Im Zusammenhang mit der Feststellung der Konventionswidrigkeit ausgesprochener Parteiverbote hat er außerdem (ergänzend) darauf hingewiesen, dass die jeweils betroffene Partei keine reale Chance zur Herbeiführung politischer Veränderungen gehabt habe (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 58; EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, § 55; EGMR, The United Macedonian Organisation Ilinden-Pirin and Others v. Bulgaria, Urteil vom 20. Oktober 2005, Nr. 59489/00, § 61). Demgemäß ist nicht davon auszugehen, dass aus der Sicht des EGMR das Vorliegen einer konkreten Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat notwendige Voraussetzung für ein Parteiverbot ist (so auch Klein, ZRP 2001, S. 397 <401>; Koch, DVBl 2002, S. 1388 <1392 f.>; Pabel, ZaöRV 63 <2003>, S. 921 <932>; Sarx, Das Parteiverbotsverfahren der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht im Lichte der Rechtsprechung des EGMR, in: Esser/Harich/Lohse/Sinn, Die Bedeutung der EMRK für die nationale Rechtsordnung, 2004, S. 177 <188 f.>; Kumpf, DVBl 2012, S. 1344 <1345 f.>; Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. 2016, § 23 Rn. 95; siehe auch Theuerkauf, a.a.O., S. 257 ff.; Shirvani, JZ 2014, S. 1074 <1082 f.>).

621

Vielmehr ist - wie der EGMR ausdrücklich darlegt - das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot auf der Basis einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls und unter Berücksichtigung der jeweiligen nationalen Besonderheiten festzustellen (vgl. EGMR , United Communist Party of Turkey and Others v. Turkey, Urteil vom 30. Januar 1998, Nr. 133/1996/752/951, § 59; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 124; EGMR, Partidul Comunistilor and Ungureanu v. Romania, Urteil vom 3. Februar 2005, Nr. 46626/99, § 58; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, §§ 69 ff.; EGMR, Republican Party of Russia v. Russia, Urteil vom 12. April 2011, Nr. 12976/07, § 127). Daher ist bezogen auf Art. 21 Abs. 2 GG in Rechnung zu stellen, dass der Norm vor allem die historische Erfahrung des Aufstiegs der NSDAP in der Weimarer Republik und das Bemühen zugrunde liegen, eine Wiederholung derartiger Ereignisse durch ein frühzeitiges Einschreiten gegen totalitäre Parteien zu verhindern. Damit ist aber die Vorstellung nicht vereinbar, dass ein Parteiverbot erst in Betracht kommt, wenn eine Partei bereits so weit erstarkt ist, dass bei ungehindertem Geschehensablauf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht nur möglich erscheint, sondern wahrscheinlich ist. Insoweit ist die Bestimmung eines frühen, den Eintritt konkreter Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht abwartenden Zeitpunkts für ein Parteiverbot in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG Ausfluss der spezifischen historischen Erfahrung der Etablierung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Vor diesem Hintergrund genügt die Erfüllung der für Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG geltenden Anforderungen - im Sinne konkreter und gewichtiger Anhaltspunkte, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Handelns der Partei zumindest möglich erscheinen lassen -, um die Annahme eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Parteiverbot nach der Rechtsprechung des EGMR zu tragen.

622

c) Bedenken gegen die Konventionskonformität des für Art. 21 Abs. 2 GG geltenden Maßstabs ergeben sich auch nicht aus den Erwägungen des Gerichtshofs zum Erfordernis der "Angemessenheit" des Verbots einer politischen Partei.

623

aa) Aus der Sicht des EGMR reicht das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses grundsätzlich aus, um die Angemessenheit eines Parteiverbots bejahen zu können (vgl. EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 133). Soweit der Gerichtshof ausnahmsweise dennoch das Fehlen der Angemessenheit eines Parteiverbots festgestellt hat, handelt es sich um zwei Fälle punktueller Billigung von Gewaltakten durch einzelne Funktionäre der betroffenen Partei (vgl. EGMR, Parti de la Democratie c. Turquie, Urteil vom 10. Dezember 2002, Nr. 25141/94, §§ 61 ff. u. 64 ff.; EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.). In einer solchen Konstellation wäre auch im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei kein Raum. Es würde bereits an einer der Partei zurechenbaren Grundtendenz der Billigung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung fehlen (vgl. Rn. 576). Im Übrigen dürfte bei bloßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Äußerungen einzelner Parteimitglieder die im Rahmen des "Darauf Ausgehens" geforderte Potentialität zur Erreichung der angestrebten verfassungswidrigen Ziele nicht gegeben sein. Demgemäß führt der Rückgriff des EGMR auf das Erfordernis der Angemessenheit nicht zu einer Verschärfung im Vergleich zu den im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachtenden Anforderungen an ein Parteiverbot.

624

bb) Soweit der EGMR in seiner Entscheidung zum Verbot der DTP unter dem Gesichtspunkt der Angemessenheit auf die nach türkischem Recht gegebene Möglichkeit verweist, statt eines Parteiverbots die Kürzung der staatlichen Zahlungen anzuordnen (vgl. EGMR, Parti pour une société démocratique et autres c. Turquie, Urteil vom 12. Januar 2016, Nr. 3840/10 u.a., §§ 101 ff.), stellt dies ebenfalls die Konventionskonformität von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Frage. Es ist Sache des jeweiligen nationalen Rechts, unter Berücksichtigung der Anforderungen der EMRK zu regeln, ob und inwieweit gegenüber Parteien, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, Sanktionen ergriffen werden dürfen. Dabei bleibt es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, völlig auf eine Sanktionierung zu verzichten, gestufte Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen oder sich auf die Sanktion des Parteiverbots zu beschränken.

625

Konventionskonform ist daher auch das auf differenzierte Sanktionsmöglichkeiten verzichtende Regelungskonzept des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG. Dieser sieht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm ausschließlich die Feststellung der Verfassungswidrigkeit als Rechtsfolge vor. Unterhalb der Ebene des Parteiverbots liegende Sanktionen - etwa die Kürzung oder Streichung staatlicher Finanzmittel - sind nach der geltenden Verfassungslage ausgeschlossen. Daher ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin - solange der verfassungsändernde Gesetzgeber keine abweichenden Regelungen trifft - für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum (vgl. Rn. 599 ff.). Konventionsrechtlich ist dies unbedenklich, solange die Anordnung eines Parteiverbots den sich aus der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK ergebenden Anforderungen an die Angemessenheit eines Verbots entspricht. Dies ist bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG der Fall.

626

d) Soweit die Antragsgegnerin aus den "Guidelines on Prohibition and Dissolution of Political Parties and Analogous Measures" der Venedig-Kommission des Europarats vom 10./11. Dezember 1999 (CDL-INF<2000>001; vgl. European Commission for Democracy through Law , Compilation of Venice Commission Opinions and Reports concerning Political Parties, CDL<2013>045, S. 38) ableitet, dass konventionsrechtliche Voraussetzung für ein Parteiverbot die Verfolgung politischer Ziele mit Gewalt sei und dem im Rahmen von Art. 21 Abs. 2 GG Rechnung getragen werden müsse, verkennt sie, dass es sich bei den Guidelines der Venedig-Kommission um unverbindliche Empfehlungen handelt, die der EGMR sich hinsichtlich der Voraussetzungen eines Parteiverbots nicht zu eigen gemacht hat. Vielmehr beurteilt er das Vorliegen eines dringenden sozialen Bedürfnisses für ein Verbot sowohl anhand der von einer Partei eingesetzten Mittel als auch nach den von ihr verfolgten Zielen (vgl. EGMR, Yazar and Others v. Turkey, Urteil vom 9. April 2002, Nr. 22723/93 u.a., § 51 ff.; EGMR , Refah Partisi and Others v. Turkey, Urteil vom 13. Februar 2003, Nr. 41340/98 u.a., § 98; EGMR, Herri Batasuna and Batasuna v. Spain, Urteil vom 30. Juni 2009, Nr. 25803/04 u.a., § 79; EGMR, HADEP and Demir v. Turkey, Urteil vom 14. Dezember 2010, Nr. 28003/03, § 61). Die Anwendung oder Billigung von Gewalt mag daher eine - nach den Maßstäben des EGMR - hinreichende Bedingung für ein Parteiverbot sein. Unverzichtbare Voraussetzung eines den Vorgaben des Art. 11 Abs. 2 Satz 1 EMRK entsprechenden Parteiverbots ist sie hingegen nicht.

IV.

627

Die Anregung der Antragsgegnerin, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a AEUV die von ihr in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, entbehrt einer sachlichen Grundlage.

628

1. Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, Art. 2 EUV, Art. 22 AEUV, Art. 11, 12, 39, 40 GRCh sowie die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 2004/ 2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung seien bei der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens anwendbar. Die genannten Vorschriften führten zur Unzulässigkeit des Verbots einer nationalen Partei, wenn diese mit eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sei - jedenfalls dann, wenn ihr Verbot aufgrund des damit verbundenen Mandatsverlusts dazu führen würde, dass eine politische Partei auf europäischer Ebene wegen Unterschreitens des Mindestquorums des Art. 3 Abs. 1 Buchstabe b Alt. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 ihre Anerkennung verlöre (vgl. Rn. 283).

629

2. a) Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes hat indes bereits in seinem Beschluss vom 22. November 2001 (BVerfGE 104, 214) festgestellt, dass der Europäischen Union nach dem seinerzeit geltenden Vertragsrecht keine Zuständigkeit zur Regelung des Rechts der politischen Parteien zukommt. Zwar hatte Art. 191 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) die Funktion politischer Parteien auf europäischer Ebene im Prozess der europäischen Integration anerkannt und war insoweit Grundlage für die Bildung gemeinsamer Fraktionen im Europäischen Parlament. Eine Aussage dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine politische Partei durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verboten werden kann, enthielt das Unionsrecht damit aber nicht. Auch allgemeine Grundsätze des Unionsrechts wie Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Grundrechtsschutz begründen keine vorlagefähige Frage (vgl. BVerfGE 104, 214 <218 f.>).

630

b) Daran ist auch nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon festzuhalten. Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber darauf verweist, dass diese Erwägungen durch die zwischenzeitlich erfolgte stärkere europäische Integration auch und gerade im Recht der politischen Parteien überholt seien, steht dem entgegen, dass das europäische Primärrecht hinsichtlich des Rechts der politischen Parteien seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 22. November 2001 keine relevanten Änderungen erfahren hat: Zwar ist Art. 10 Abs. 4 EUV an die Stelle von Art. 191 EGV getreten. Er geht in seinem Regelungsgehalt über diesen aber nicht hinaus. Wie dieser beschränkt er sich auf die Feststellung, dass "politische Parteien auf europäischer Ebene […] zur Herausbildung eines europäischen politischen Bewusstseins und zum Ausdruck des Willens der Bürgerinnen und Bürger der Union" beitragen. Auch die Durchführung der Wahl zum Europäischen Parlament erfolgt unverändert nach nationalem Recht und wirft insoweit keine unionsrechtlichen Fragen auf (vgl. BVerfGE 104, 214 <218>; 129, 300 <317>; 135, 259 <282 f. Rn. 38 ff.>). Die Antragsgegnerin nimmt daher zu Unrecht an, dass wegen der möglichen Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments Art. 11, 12, 39, 40 GRCh auf ein Parteiverbot anzuwenden seien. Eine Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union setzt gemäß Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh die Durchführung des Rechts der Europäischen Union voraus. Daran fehlt es im Falle eines Verbots politischer Parteien, das ungeachtet reflexhafter Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments ausschließlich nach nationalem Recht erfolgt.

631

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 über die Regelungen für die politischen Parteien auf europäischer Ebene und ihre Finanzierung. Diese wurde aufgrund Art. 191 EGV erlassen und begründet keine über dessen Regelungsgehalt hinausgehenden Zuständigkeiten der Europäischen Union. Ziel der Verordnung ist gemäß Ziffer 2 der Erwägungsgründe die Schaffung eines Regelwerks für politische Parteien auf europäischer Ebene insbesondere hinsichtlich ihrer Finanzierung. Einen Regelungsanspruch mit Blick auf nationale Parteien erhebt die Verordnung nicht; vielmehr geht sie von einer Trennung zwischen nationalen und europäischen politischen Parteien aus. Dies bestätigt insbesondere Art. 7 Abs. 1 der Verordnung, der lautet:

Die Mittel, die politische Parteien auf europäischer Ebene aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union oder aus anderen Quellen erhalten, dürfen nicht der unmittelbaren oder mittelbaren Finanzierung anderer politischer Parteien und insbesondere nicht von nationalen politischen Parteien oder Kandidaten dienen. Auf diese nationalen politischen Parteien und Kandidaten finden weiterhin die nationalen Regelungen Anwendung.

632

Das Verbot nationaler Parteien ist somit unverändert ausschließlich eine Angelegenheit des nationalen Rechts. Verliert infolge eines solchen Verbots und des damit verbundenen Verlusts europäischer Mandate ein europäischer Zusammenschluss nationaler Parteien den Status einer "politischen Partei auf europäischer Ebene", weil die Voraussetzungen von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2004/2003 nicht mehr vorliegen, handelt es sich lediglich um mittelbare Auswirkungen einer nach nationalem Recht getroffenen Maßnahme. Für Art. 51 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GRCh ist insoweit kein Raum.

D.

633

Nach diesen Maßstäben ist der Verbotsantrag unbegründet. Die Antragsgegnerin strebt zwar nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an (I.). Da aber konkrete Anhaltspunkte von Gewicht fehlen, die ein Erreichen der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele zumindest möglich erscheinen lassen, fehlt es an einem "Darauf Ausgehen" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG (II.).

I.

634

Die Antragsgegnerin missachtet die Grundprinzipien, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar sind. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde (1.) und den Kern des Demokratieprinzips (2.) und weisen Elemente der Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus auf (3.). Die Programmatik der Antragsgegnerin ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet (4.).

635

1. Das politische Konzept der Antragsgegnerin ist mit der Garantie der Menschenwürde im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Sie akzeptiert die Würde des Menschen als obersten und zentralen Wert der Verfassung nicht, sondern bekennt sich zum Vorrang einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft". Der von ihr vertretene Volksbegriff negiert den sich aus der Menschenwürde ergebenden Achtungsanspruch der Person und führt zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnischen "Volksgemeinschaft" angehören. Ihr Politikkonzept ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, Muslimen, Juden und weiteren gesellschaftlichen Gruppen gerichtet. Dabei mögen einzelne Äußerungen für sich genommen die Grenze der Missachtung der Menschenwürde durch die Antragsgegnerin nicht überschreiten. Die Vielzahl der diffamierenden und die menschliche Würde missachtenden Positionierungen dokumentieren in der Gesamtschau aber, dass es sich nicht um einzelne Entgleisungen, sondern um eine charakteristische Grundtendenz handelt.

636

Dieses auf eine Missachtung der Menschenwürde zielende politische Konzept der Antragsgegnerin lässt sich bereits ihrem Parteiprogramm entnehmen (a) und wird durch weitere Publikationen und Äußerungen führender Parteifunktionäre bestätigt (b). Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Antragsgegnerin vermögen diesen Befund nicht in Frage zu stellen (c). Folge dieses Konzepts sind menschenverachtende rassistische Positionierungen der Antragsgegnerin gegenüber gesellschaftlichen Gruppen (d).

637

a) Das Parteiprogramm der Antragsgegnerin ist auf eine Verletzung des Wert- und Achtungsanspruchs angelegt, der sich aus dem Eigenwert und der Würde des zur Freiheit befähigten Menschen ergibt (aa). Dieses Programm muss die Antragsgegnerin sich zurechnen lassen (bb).

638

aa) Das unter dem Titel "Arbeit. Familie. Vaterland." am 4./5. Juni 2010 in Bamberg verabschiedete Parteiprogramm missachtet die durch die Garantie der Menschenwürde geschützte Subjektqualität des Einzelnen und verletzt den Anspruch auf elementare Rechtsgleichheit.

639

(1) Die dem Programm vorangestellten "Grundgedanken" lauten zwar: "Gleich sind die Menschen dagegen vor dem Gesetz und in der Unantastbarkeit ihrer Würde". Zugleich wird dieses Bekenntnis zur Menschenwürde aber eingeschränkt, wenn es heißt: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland. - Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands , 2010, S. 5 und 6). Ihrem Verständnis des Vorrangs der "Volksgemeinschaft" entsprechend fordert die Antragsgegnerin als oberstes Ziel deutscher Politik die Erhaltung des durch Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen geprägten deutschen Volkes. Anzustreben sei die "Einheit von Volk und Staat" und die Verhinderung einer "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Deutschland müsse das Land der Deutschen bleiben und dort, wo dies nicht mehr der Fall sei, wieder werden. Grundsätzlich dürfe es für Fremde in Deutschland kein Bleiberecht, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat geben (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5).

640

(2) Auf dieser Grundlage wird von der Antragsgegnerin ein politisches Konzept entwickelt, das vor allem auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet ist. Zwar enthält sich das Parteiprogramm einer ausdrücklichen Aussage dazu, inwieweit die den rechtlichen Status abwertenden Forderungen auch auf eingebürgerte Deutsche mit Migrationshintergrund Anwendung finden sollen. Dafür sprechen allerdings die Behauptungen, dass sich in "überfremdeten Wohnvierteln" Deutsche und Angehörige "fremder Völker" zunehmend feindselig gegenüberstünden, Angehörige anderer "Völker" in Deutschland einen Arbeitsplatz nur auf Zeit innehaben könnten, Ziel eines grundlegenden politischen Wandels die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz sei und eine "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" strikt abgelehnt werde (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6, 12, 13).

641

(a) Die Geltung der Grundrechte wird ausdrücklich auf alle Deutschen bezogen und die Anwendung des Solidaritätsprinzips auf die Gemeinschaft aller Deutschen beschränkt (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 10). Demgemäß hätten familienunterstützende Maßnahmen des Staates ausschließlich deutsche Familien zu fördern. Eigentum an deutschem Grund und Boden könne nur von Deutschen erworben werden (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7, 9). Im 7. Kapitel "Sozialpolitik als nationale Solidarität" wird gefordert, Ausländer aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. Auch an der zu schaffenden einheitlichen Rentenkasse ("Volksrente") sollen Ausländer nicht teilhaben (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 11 f.).

642

(b) Im 10. Kapitel ihres Parteiprogramms unter dem Titel "Deutschland den Deutschen" legt die Antragsgegnerin dar, dass durch massenhafte Einbürgerungen das deutsche Staatsbürgerrecht aufgeweicht und das Existenzrecht des deutschen Volkes in Frage gestellt würden. Um dem entgegenzuwirken, sei das ursprüngliche, auf dem Abstammungsprinzip fußende Staatsbürgerrecht wieder einzuführen. Die multikulturelle Gesellschaft habe zur Entstehung von Ausländerghettos und oftmals rechtsfreien Räumen geführt, in denen das Leben für viele Deutsche unerträglich sei. Die Antragsgegnerin fordert daher eine gesetzliche Regelung zur Rückführung der hier lebenden Ausländer ("Rückkehrpflicht statt Bleiberecht"). Integration sei Völkermord. Fremdreligiöse Bauten seien zu stoppen; das Grundrecht auf Asyl aus Art. 16a GG sei ersatzlos zu streichen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 12 f.).

643

(c) Im 16. Kapitel "Bildung und Kultur" spricht die Antragsgegnerin sich gegen die gemeinsame Unterrichtung deutscher und ausländischer Schüler aus, weil Ausländerkinder mit ihren meist nur mangelhaften Deutschkenntnissen das Unterrichtsniveau absenkten und die Sprach- und Lesefähigkeit auch der deutschen Schüler beeinträchtigten. Die Abgrenzung der Schüler verläuft dabei nicht entlang der Sprachkompetenz, sondern entlang der Volkszugehörigkeit. Ziel ist nach der Formulierung des Programms die Trennung deutscher und ausländischer Kinder und nicht eine bildungspolitisch motivierte Einteilung nach Leistungsstufen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 16 f.).

644

(d) Im 17. Kapitel "Reform des Rechtssystems" fordert die Antragsgegnerin einen Volksentscheid über die Wiedereinführung der Todesstrafe und den vollständigen Vollzug lebenslanger Freiheitsstrafen. Der Abschiebung krimineller Ausländer dürften strengere Strafen im Heimatland nicht entgegenstehen. Außerdem sei - so die Forderung im 18. Kapitel "Innere Sicherheit" - die Polizeiliche Kriminalstatistik um eine weitere Rubrik für "eingebürgerte Ausländer" neben der bisherigen Ausländer-Kriminalstatistik zu ergänzen (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 18 f.). Auch befürwortet die Antragsgegnerin die Einführung einer deutschlandweiten, öffentlich einsehbaren Sexualstraftäter-Datei sowie die gesetzliche Möglichkeit der Kastration von Pädophilen (Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 19).

645

(3) Bereits diese im Parteiprogramm der Antragsgegnerin festgeschriebenen Ziele sind mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar. Forderungen nach "Kastration von Pädophilen" oder der Vollstreckung lebenslanger Freiheitsstrafen ohne die Möglichkeit, die Freiheit wiederzuerlangen, verkennen den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Einzelnen (vgl. dazu BVerfGE 45, 187 <245>; 64, 261 <272>).

646

Vor allem aber zielt das Parteiprogramm auf einen rechtlich abgewerteten, nahezu rechtlosen Status aller, die der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" im Sinne der Antragsgegnerin nicht angehören. Grundlage ist der Ausschluss der Nichtdeutschen aus dem Geltungsbereich der Grundrechte (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 18). Soweit die Antragsgegnerin dies mit dem Hinweis bestreitet, die fragliche Textstelle des Programms setze sich lediglich kritisch mit der Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Deutschland auseinander, steht dem bereits entgegen, dass, obwohl es sich nicht um ein Deutschengrundrecht handelt, die Meinungsfreiheit dennoch auf Deutsche begrenzt wird und für eine abweichende Behandlung anderer Grundrechte nichts ersichtlich ist. Außerdem steht im Zentrum des politischen Konzepts die Versagung jeglichen dauerhaften Aufenthaltsrechts für alle Personen, die nicht der "deutschen Volksgemeinschaft" angehören. Auch dadurch werden grundrechtliche Gewährleistungen für die von der Rückkehrpflicht Betroffenen faktisch gegenstandslos. Verbunden mit den - das Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Abstammung oder der Rasse im Sinne von Art. 3 Abs. 3 GG berührenden - dargelegten Einzelforderungen ergibt sich eine demütigende Ungleichbehandlung von Nichtdeutschen, die diese zum bloßen Objekt staatlichen Handelns macht und ihnen die Anerkennung als grundsätzlich gleichberechtigte Mitglieder der rechtlich verfassten Gemeinschaft verweigert.

647

bb) Dieses Programm muss die Antragsgegnerin gegen sich gelten lassen. Soweit sie behauptet, einer Verwertung des Programms stehe dessen mangelnde Quellenfreiheit aufgrund der - vom Antragsteller zugestandenen - Anwesenheit von neun V-Leuten auf dem Programmparteitag am 4./5. Juni 2010 entgegen, ist dem nicht zu folgen.

648

(1) Zwar trifft die Auffassung des Antragstellers, das Parteiprogramm entziehe sich einer Kategorisierung im Sinne der Antragsschrift, da es sich bei der Antragsgegnerin um eine juristische Person handele, der nicht wie einer natürlichen Person bestimmte Quellen zugerechnet werden könnten, nicht zu. Dies steht bereits im Widerspruch zu dem übrigen Vortrag des Antragstellers, in dem Beweismittel nicht nur natürlichen Personen, sondern auch Landesverbänden, Kreisverbänden oder sonstigen Teilorganisationen der Antragsgegnerin zugerechnet werden. Ebenso wenig kann der Antragsteller darauf verweisen, dass Parteitagsdelegierte nicht den Führungsebenen der Antragsgegnerin zuzurechnen seien, da es im vorliegenden Zusammenhang nicht auf die Frage der Staatsfreiheit (der Führungsebenen), sondern auf die Quellenfreiheit und damit Verwertbarkeit eines Beweismittels ankommt.

649

(2) Entscheidend ist vielmehr, dass das Parteiprogramm als Ausdruck eigenständiger unbeeinflusster Willensbildung der Antragsgegnerin anzusehen ist. Dem steht die vom Antragsteller zugestandene Anwesenheit von neun V-Leuten auf dem Programmparteitag der Antragsgegnerin am 4./5. Juni 2010 im Ergebnis nicht entgegen.

650

(a) Dafür spricht bereits, dass nach dem glaubhaften, durch Testate belegten Vortrag des Antragstellers der vorbereitenden Programmkommission und den Vorständen der das Programm besonders prägenden Landesverbände Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern im entscheidungserheblichen Zeitraum keine V-Leute angehört haben und ein prägender Einfluss einzelner Parteitagsdelegierter auf den Programminhalt weder ersichtlich noch von der Antragsgegnerin vorgetragen ist.

651

(b) Die Zurechenbarkeit und Verwertbarkeit des Parteiprogramms ergibt sich aber jedenfalls aus dessen inhaltlicher Bestätigung durch die maßgeblichen Führungspersonen der Antragsgegnerin. Das Parteiprogramm sowie dessen Änderungen sind gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 PartG dem Bundeswahlleiter mitzuteilen. Dieser weist auf seiner Homepage das von der Antragsgegnerin am 4./5. Juni 2010 in Bamberg beschlossene Programm als derzeit gültiges Parteiprogramm der Antragsgegnerin aus (Stand: 17. Juni 2016). Dieses Programm war demgemäß Grundlage der Arbeit der Antragsgegnerin in den vergangenen Jahren. Auch im vorliegenden Verfahren hat sie sich in ihrem schriftsätzlichen Vortrag immer wieder auf dieses Programm berufen und an keiner Stelle davon distanziert. In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende Franz die Gültigkeit des Programms und seine Übereinstimmung mit den Überzeugungen der Antragsgegnerin ausdrücklich bestätigt. Die Frage, ob es Bestrebungen gebe, das Programm zu ändern, hat er verneint.

652

Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin sich das auf dem Programmparteitag in Bamberg beschlossene Parteiprogramm jedenfalls in der Folgezeit zu eigen gemacht hat und dieses Ausdruck ihrer selbstbestimmten Willensbildung und tatsächlichen Überzeugung ist.

653

b) Die Unvereinbarkeit der von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele mit der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG wird auch durch ihr zurechenbare Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre bestätigt. Dabei wird deutlich, dass die Formulierungen des Parteiprogramms die von der Antragsgegnerin verfolgten Ziele nur zurückhaltend beschreiben beziehungsweise kaschieren. Das von ihr vertretene Konzept ethnischer Definition der "Volksgemeinschaft" (aa) hat das Bekenntnis zum Vorrang dieser Gemeinschaft als obersten Wert und die rassistische Ausgrenzung aller ethnisch Nichtdeutschen zur Folge (bb). Gleichzeitig beinhaltet die Programmatik der Antragsgegnerin auch das Ziel einer Rückführung eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund in ihre Herkunftsländer (cc).

654

aa) (1) Der von der Antragsgegnerin vertretene ethnische Volksbegriff wird in der vom Parteivorstand im April 2012 in 2. Auflage herausgegebenen Broschüre "Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger" in den Kapiteln 1.10 und 1.11 ("Wer ist für die NPD ein Deutscher? Was versteht die NPD unter Volk?" und "Für welches Staatsbürgerschaftsrecht tritt die NPD ein?") wie folgt beschrieben:

Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnischkulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. [...] Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind. [...] Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben. Sie mutieren durch die Verleihung eines Passes ja nicht zu Deutschen. […]

Deutscher ist, wer deutsche Eltern hat, also wer deutscher Abstammung ist. Deutsch ist eine ethnische Herkunftsbezeichnung und keine Bezeichnung des zufälligen Geburtsortes, momentanen Wohnortes oder des Passes. […] Deutscher ist man von Geburt - oder eben nicht; aber man wird es nicht durch Annahme der Staatsbürgerschaft. […] [D]ie Staatsbürgerschaft muß an die Volkszugehörigkeit gebunden sein. Wie sagt auch der Volksmund: Blut ist dicker als Tinte. [...]

Heute haben fast neun Millionen Nichtdeutsche die deutsche Staatsbürgerschaft und können so wirkungsvoll ihre Interessen gegen die Deutschen durchsetzen. […] "Deutsche afrikanischer Herkunft" oder "Afro-Deutsche" kann es sowenig geben wie schwangere Jungfrauen. Staatsangehörigkeit muß an Volkszugehörigkeit gebunden sein - für Europäer kann es Ausnahmen geben. (S. 18 ff.)

655

Demzufolge kann nach Auffassung der Antragsgegnerin ein Ausländer auch durch die Verleihung der Staatsbürgerschaft grundsätzlich nicht zum Mitglied der "deutschen Volksgemeinschaft" werden, "Deutscher ist man durch Herkunft, aber man wird es nicht durch Paßverleihung" (S. 45 der Broschüre "Wortgewandt"). Konsequenterweise werden eingebürgerte Deutsche als "Nichtdeutsche" (S. 20 der Broschüre "Wortgewandt") oder "Passdeutsche" bezeichnet.

656

(2) Die Antragsgegnerin muss sich diese Publikation des Parteivorstands zurechnen lassen. Sie ist von dem ehemaligen Parteivorstandsmitglied und sächsischen Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel verfasst und mit einem Vorwort des damaligen Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin versehen. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 11. April 2016 einen Parteivorstandsbeschluss mit Datum vom 5./6. April 2014 vorgelegt hat, wonach die Verbreitung der Broschüre gestoppt und deren inhaltliche Prüfung angeordnet worden sein soll. Bereits das Datum der angeblichen Beschlussfassung des Parteivorstands vier Monate nach Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht deutet darauf hin, dass es sich bei dem angeblichen Beschluss um eine prozesstaktisch motivierte Reaktion auf den Verbotsantrag des Antragstellers handelt. Auch erschließt sich nicht, warum die Antragsgegnerin diesen Vorstandsbeschluss erst zwei Jahre nach seiner Fassung und nach Ende der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat. Außerdem hat sie weder die Umsetzung des Beschlusses belegt noch erläutert, aus welchen Gründen die Verbreitung der Broschüre gestoppt wurde beziehungsweise welche Aussagen als fragwürdig oder mit der Haltung des jetzigen Parteivorstands möglicherweise unvereinbar angesehen wurden. Sie hat jedenfalls die vorstehend zitierte Passage auch nach dem angeblichen Vorstandsbeschluss auf ihrer Homepage weiter verbreitet. In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin weder die Richtigkeit des Zitats bestritten, noch eine inhaltliche Distanzierung durch Verweis auf den vorgenannten Vorstandsbeschluss oder in sonstiger Weise erkennen lassen.

657

(3) Dass die ethnische Definition der "deutschen Volksgemeinschaft" und der damit verbundene dauerhafte Ausschluss "ethnisch Nichtdeutscher" aus dieser Gemeinschaft eine Grundüberzeugung der Antragsgegnerin darstellt, wird durch weitere, ihr zurechenbare Aussagen bestätigt.

658

(a) So formuliert der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin:

Die NPD will eine Ordnung, in der das Recht auf Identität kraft Abstammung und Schicksal garantiert wird und jeder Deutsche mit seiner Persönlichkeit als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des deutschen Volkes mitwirkt.
(NPD-Landesverband Berlin: "Wir sagen, was Sie denken! Landesaktionsprogramm für ein deutsches Berlin", 2011)

659

(b) Der Landesverband Bayern kommentiert die Ankunft afrikanischer Flüchtlinge im Februar 2015 auf Facebook wie folgt:

Deutsch sein heißt zum deutschen Volk zu gehören und zwar nicht durch Einbürgerungsurkunde, sondern durch Geburt und Abstammung. Deutscher ist man durch sein Blut und durch nichts anderes!

Seid also dankbar und stolz, deutsche Frauen und deutsche Männer, daß ihr die Gnade der deutschen Geburt in die Wiege gelegt bekamt. Diese "Neudeutschen" können sich noch so anstrengen, niemals werden Deutsche aus ihnen werden können! Und das sieht man auch ganz deutlich!

660

bb) Die Überordnung der "Volksgemeinschaft" über den Einzelnen und deren rassenbezogene Fundierung sowie ihr exkludierender Charakter wird in Äußerungen der JN besonders deutlich (1) und durch weitere Einlassungen und Dokumente bestätigt (2).

661

(1) (a) So formuliert der Bundesschulungsleiter der JN D. in einem Artikel auf der Homepage der JN (www.aktion-widerstand.de) am 13. Januar 2011:

Die Gemeinschaft steht hier an oberster Stelle. […] Unsere Weltanschauung stellt das Volk in den Mittelpunkt allen Seins. Dieses Volk wird durch den Nationalstaat geschützt und begründet seine Kraft durch das Zusammenleben der darin lebenden Persönlichkeiten. […] Das Volk dagegen ist eine Schicksalsgemeinschaft, da wir schicksalhaft in dieses hineingeboren werden. Wir haben jedoch soweit Entscheidungsmacht über unser Schicksal, daß wir wählen können, ob wir Dienst an unserer Schicksalsgemeinschaft tun oder nicht.

662

(b) Im April 2013 veröffentlichten die JN auf ihrer Internetseite außerdem den Text "Gewissen und Gemeinschaft", in dem es unter anderem heißt:

"Allein gestellt sind wir nichts - in der Gemeinschaft jedoch ist jeder alles." Gemeinschaftsgebunden sind wir bereits durch die Geburt. Wir kommen aus der Gemeinschaft der Familie und fühlen uns durch die Nation unser Leben lang der Gemeinschaft - der Volksgemeinschaft - verbunden. Dieses Verbundenheitsgefühl wird umso stärker sein wenn die Nation nur ein Volk umschließt, denn die Gebundenheit zur eigenen Art ist stärker als die zur Nation - sie ist naturgesetzlich. […]

Das Gewissen sagt uns, dass wir Glied einer Gemeinschaft sind. Strebt der Einzelne nun Ziele an, die ihn selbst gegenüber der Gemeinschaft bevorzugen - und zwar auf Kosten anderer Glieder der Gemeinschaft - so vergeht er sich auf unnatürliche Weise an seinem Gewissen.

663

(c) In einem "Leitfaden - Politische Grundbegriffe", der in zwei Teilen von der Bundesführung der JN im Januar 2013 herausgegeben wurde, wird dargelegt:

Freiheit ist, den Sinn des Lebens zu verfolgen. Dies ist die Arterhaltung. Ist diese gefährdet, ist die Freiheit in Gefahr. […] Mit der Treue zu einem Volk, Reich, Land oder Herrscher fühlen wir uns frei. […] Merksatz: Freiheit bedeutet nicht, dass man tun und lassen kann, was man will, sondern dass man werden kann, was man soll. Sie bedeutet, dass jeder Einzelne seine Persönlichkeit im Sinne der Gemeinschaft entfalten kann. (Teil 2, S. 40)

664

Weiter wird in diesem Leitfaden grundlegend zum Konzept der "Volksgemeinschaft" ausgeführt:

Bei einem Volk handelt es sich in erster Linie um eine Großgruppe von Menschen, die organisch, d.h. natürlich gewachsen ist. [...] Völker unterscheiden sich jedoch nicht nur, wie oftmals fälschlich verbreitet, durch äußere Merkmale, sondern vor allem auf geistiger Ebene. […] Merksatz: Ein Volk ist eine organisch gewachsene Gemeinschaft gleichen Blutes, gleicher Geschichte, mit gleichem Lebensraum und gleicher Kultur. (Teil 1, S. 4 ff.)

665

Es folgt eine pejorative Klassifizierung verschiedener Rassen, wobei "Mischvölker" als Ursache für Dekadenz und Fettleibigkeit beschrieben werden:

Sie [die Zivilisation] ist mehr Erlerntes, nicht Form gewordenes Inneres wie Kultur. Zum Beispiel kann ein Affe zwar erlernen, einen Lichtschalter zu betätigen, doch wird er nie verstehen, warum das Licht an und aus geht. [...] Genauso können sich afrikanische oder asiatische Völker dem europäischen anpassen, indem sie Verhaltensweisen und Kleidung übernehmen. Dennoch werden sie nie zu Europäern, weil sie eben keine sind. [...] Zum Beispiel werden die USA als eine der führenden Zivilisationen bezeichnet. Diese haben über Jahrhunderte zwar Wissenschaft und Technik erschaffen, doch gehen unmittelbar ihrem eigenen Untergang entgegen. Hier haben sich von Anbeginn verschiedene Kulturen und Völker vermischt, die langfristig gesehen keine Überlebenschancen hatten, da sie alle ihre Kultur aufgegeben haben. [...]. Aus der Kulturvielfalt ist nun ein Einheitsbrei geworden. [...] So zeichnet sich jeder dritte Amerikaner durch Dekadenz und Fettleibigkeit aus. (Teil 2, S. 13 f.)

666

Die Vermischung von Völkern führe zum Verlust der "besten und edelsten Tugenden" und zum Untergang des jeweiligen Volkes:

Zum einen können wir beobachten, dass die Vermischung mit andersrassigen Völkern immer mit dem Niedergang einherging. Die Vermischung verschiedener Kulturen hat nie zu einer, heute so oft postulierten multikulturellen Gesellschaft geführt. Immer entstand ein Einheitsbrei, der im Untergang endete. Mit zunehmender Vermischung mit anderen Kulturen verloren die nordisch geprägten Völker (siehe Griechen und Römer) ihre besten und edelsten Tugenden. (Teil 2, S. 17)

667

Der Leitfaden betont daher die Bedeutung "genetischer und kultureller Identität" in Europa:

Merksatz: Europa ist der rechtmäßige Lebensraum und Ursprung aller europäisch-germanischen Völker. [...] Zwar unterscheiden sich die Mentalitäten der einzelnen europäischen Völker voneinander, doch sind sich diese untereinander wiederum ähnlicher als das identitäre Bewusstsein der negroiden (afrikanischstämmigen) oder mongoliden (asiatischen) Menschen im Vergleich zum europäischen Menschenschlag. [...] So stellen wir fest, dass Identität das entscheidende Merkmal unseres gesamten Lebens im Sinne der völkischen Gemeinschaft ist. Wir sind gekennzeichnet durch eine genetische als auch eine kulturelle Identität. (Teil 2, S. 23 ff.)

668

Die Ausführungen kulminieren in einer Auseinandersetzung mit dem Rassebegriff, der von den JN als "Naturgesetz" und elementarer Bestandteil ihres Weltbildes angesehen wird:

Nun wollen wir uns dem reizvollsten Begriff dieser Arbeit widmen und zugleich die Missverständnisse ausräumen, die mit diesem einhergehen. Das Wort "Rasse" ist heute in Deutschland, wenn auch nicht in unseren europäischen Nachbarvölkern verpönt und wird stetig als unwissenschaftlich verteufelt. Dennoch handelt es sich dabei um einen elementaren Begriff unserer Weltanschauung. Die Naturgesetze verlangen, dass wir uns mit den Menschenrassen beschäftigen. [...] Die europide Menschengruppe lässt sich wiederum in sechs Unterkategorien differenzieren: nordische, fälische, dinarische, westische (mediterrane), ostische (alpine), osteuropide (ostbaltische). Das deutsche Volk enthält im Vergleich zu anderen europäischen Völkern noch einen hohen Anteil des nordischen Menschen, der sich einst in den heutigen skandinavischen Ländern in einem Isolat entwickelte, welches von Gletscher- und Eismassen umrandet war. [...] Die Großrassen müssen in ihrem Bestehen gefördert werden. Die Vernichtung dieser wäre eine Absage an das Leben und der Natur. (Teil 2, S. 31 ff.)

669

(d) Diese Aussagen der JN sind der Antragsgegnerin zuzurechnen. Sie sind Ausdruck der bei der Antragsgegnerin vorhandenen Grundüberzeugung, dass der "deutschen Volksgemeinschaft" ein abstammungsbezogener exklusiver Charakter zukommt, diese vor einer Vermischung mit "andersrassigen Völkern" zu schützen ist und ihr gegenüber dem Einzelnen eine höherrangige Wertigkeit zukommt.

670

Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich weder darauf berufen, dass in dem mit Schriftsatz vom 11. April 2016 vorgelegten Beschluss des Parteivorstands vom 5./6. April 2014 angeordnet worden sei, den vorstehend zitierten Leitfaden der JN zu vernichten, noch, dass es sich bei den Aussagen des D. um Äußerungen eines für die Antragsgegnerin nicht repräsentativen "Hardliners" handele.

671

(aa) Hinsichtlich des angeblichen Beschlusses des Bundesvorstands der Antragsgegnerin vom 5./6. April 2014 sprechen gegen die Glaubhaftigkeit ihres Vorbringens - wie bereits hinsichtlich der Broschüre "Wortgewandt" dargelegt (vgl. Rn. 656) - das Datum der Beschlussfassung vier Monate nach Eingang des Verbotsantrags beim Bundesverfassungsgericht sowie seine Vorlage erst nach Ende der mündlichen Verhandlung. Auch hat die Antragsgegnerin weder Belege für die Umsetzung ihres Vorstandsbeschlusses vorgelegt noch näher erläutert, aus welchen Gründen der Parteivorstand erst mehr als ein Jahr nach Veröffentlichung des Leitfadens die behauptete Maßnahme eingeleitet haben will. Es fehlt darüber hinaus eine Darlegung der Gründe oder eine Bezeichnung und inhaltliche Auseinandersetzung mit den fragwürdigen Passagen des Leitfadens, die den Parteivorstand zu dessen angeblicher Rückziehung veranlasst haben sollen. Schließlich hat D. in einem Interview mit dem Nachrichtenportal FSN-TV am 27. April 2014 - also nach dem behaupteten Vorstandsbeschluss - die fortwährende Gültigkeit des Leitfadens ausdrücklich bestätigt.

672

(bb) Auch für eine die Zurechnung ausschließende Distanzierung der Antragsgegnerin von den Aussagen des D. fehlt es an ausreichenden Anhaltspunkten. Die bloße Qualifizierung des D. als "Hardliner" genügt wegen dessen langandauernder und führender Tätigkeit innerhalb der JN und seines Aufstiegs zu deren stellvertretendem Bundesvorsitzenden nicht. Solange die Antragsgegnerin sich von Äußerungen ihrer Funktionäre oder der Führungskräfte ihrer Teilorganisationen nicht in einem zeitlich engen Zusammenhang ausdrücklich distanziert oder Ordnungsmaßnahmen ergriffen hat, wofür nichts vorgetragen ist, muss sie sich diese zurechnen lassen.

673

(2) Darüber hinaus belegen weitere Dokumente die Vorstellung der Antragsgegnerin von einer abstammungsbezogenen Begrenzung der "deutschen Volksgemeinschaft" und der Notwendigkeit, diese vor einer Vermischung mit anderen Rassen zu schützen.

674

(a) Karl Richter (Stadtverordneter der Antragsgegnerin, ehemals stellvertretender Bundesvorsitzender, Landesvorsitzender in Bayern und Chefredakteur der "Deutschen Stimme") und Eckart Bräuniger (ehemaliger Landesvorsitzender und Bezirksverordneter, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied und Stadtverordneter der Antragsgegnerin) greifen 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2011, S. 22) zur Beschreibung der Idee der "Volksgemeinschaft" auf den Nationalsozialismus zurück:

Gerade auch der Blick auf den selbst öffentlich nicht länger wegzuleugnenden, sich stärker und schneller vollziehenden Austausch unseres angestammten Volkes gegen Angehörige fremder Kulturen und Religionen auf deutschem Territorium beweist, wie sehr die Souveränität eines Reichskörpers als Bollwerk und Schild von Nöten wäre. [...] Es blieb dem 20. Jahrhundert und der "Volksgemeinschaft" der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten, sozialpolitisch zu vollenden, wofür Bismarck den Weg gebahnt hatte.

675

(b) Der damalige Bundesvorsitzende der Antragsgegnerin und heutige Abgeordnete im Europäischen Parlament Udo Voigt beschreibt 2009 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 9/2009, S. 2) das völkische Denken der Antragsgegnerin wie folgt:

Wir wollen, daß jeder Deutsche in seiner Heimat Arbeit findet und diese Arbeit als etwas Wichtiges und Höheres begreift, welches den Fortbestand und die Weiterentwicklung seiner Familie, seines Volkes und seiner Nation durch seinen persönlichen Einsatz in einer Volksgemeinschaft garantiert. Solidarprinzip, soziale Gerechtigkeit, gemeinsame ethnische und kulturelle Entwicklung und eine raumorientierte Volkswirtschaft sind untrennbar mit den Vorstellungen einer Volksgemeinschaft verbunden.

676

(c) Jürgen Gansel erklärt 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 4/2011, S. 8), dass der "potentiell nationalrevolutionären Mehrheit im Volk" klar werden müsse, dass die "Volksgemeinschaft in der Globalisierungsära die einzig denkbare Schutz- und Solidargemeinschaft" sei. In der mündlichen Verhandlung hat er bestätigt, dass aus seiner Sicht ein Afrikaner, auch wenn er die deutsche Staatsangehörigkeit erwerbe, nicht Angehöriger des deutschen Volkes werden könne.

677

(d) In einer Rede des Kreisrats P. am 15. März 2015 in Tröglitz, die wegen eines Redeverbots aufgrund dessen früherer Verurteilung wegen Volksverhetzung verlesen wurde, heißt es:

Es gibt kein Land oder keine Stadt auf der Welt, wo Multi-Kulti und Rassenmischung irgendwie gut gegangen wäre. Im Gegenteil ist Südafrika zielsicher auf dem Weg ins Chaos seit Aufhebung der Rassentrennung. Und es wird weitergeh[e]n bis zur Vernichtung Europas!

678

Einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin steht nicht entgegen, dass P. kein Mitglied der Antragsgegnerin ist, da er 2013 auf der Liste der Antragsgegnerin zum Bundestag kandidiert hat und als ihr Kandidat in den Kreistag und im Januar 2015 in den Vorstand der KPV gewählt wurde. Holger Apfel hat in der mündlichen Verhandlung dazu ausgesagt, dass es ihm gegen die radikaleren Kräfte in der Partei nicht gelungen sei, eine Kandidatur des P. zu verhindern. P. ist damit als Funktionär der Antragsgegnerin anzusehen. Seine Aussagen bestätigen die rassistische Orientierung des Konzepts der "Volksgemeinschaft".

679

(e) Weiterhin erklärte der damalige Vorsitzende der Fraktion der Antragsgegnerin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und spätere Bundesvorsitzende Pastörs auf dem NPD-Schwabentag 2011 in Günzburg:

Das Menschenrecht besteht aber auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und wenn wir selbstbestimmt sagen, Europa ist das Land der weißen Rasse und es soll es auch bleiben, dann haben wir auch ein Recht darauf, das notfalls mit militärischer Gewalt sicherzustellen. Das ist meine Überzeugung.

680

(f) Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße bestätigte ein Versammlungsverbot gegen einen Kreisverband der Antragsgegnerin wegen zu erwartender Volksverhetzung aufgrund des Veranstaltungsmottos "Weiß ist nicht nur eine Trikotfarbe - für eine echte deutsche Nationalmannschaft". Das Versammlungsmotto könne - nach Wortlaut, sprachlichem Kontext und den konkreten Begleitumständen - hier nur so verstanden werden, dass der Begriff "weiß" für Angehörige einer "weißen Rasse" stehe und somit Deutsche anderer Hautfarbe beziehungsweise mit Migrationshintergrund in böswilliger und verächtlich machender Weise als nicht zur deutschen Nation gehörend ausgrenzen wolle (VG Neustadt an der Weinstraße, Beschluss vom 25. März 2011 - 5 L 266/11.NW -, juris, Rn. 3, 7).

681

cc) Konsequenz der ethnischen Definition und des exkludierenden Charakters der "deutschen Volksgemeinschaft" ist die Abwertung des rechtlichen Status aller, die dieser Gemeinschaft nicht angehören. Dass dies auch für Eingebürgerte mit Migrationshintergrund gilt und diesen insbesondere kein dauerhaftes Bleiberecht zugestanden wird, belegen weitere der Antragsgegnerin zurechenbare Äußerungen und Aktivitäten.

682

(1) Der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin verschickte im Bundestagswahlkampf 2009 ein als "nichtamtliche Bekanntmachung" deklariertes Schreiben an 22 Politiker mit Migrationshintergrund. Unter der Überschrift "Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter informiert" wurden die Adressaten unter Hinweis auf "den Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" der Antragsgegnerin angehalten, Vorkehrungen für ihre jeweilige "Heimreise" zu treffen:

Liebe ausländische Mitbürger,

gemäß dem Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung bin ich als Ausländerrückführungsbeauftragter der NPD angehalten, Sie mit den Einzelheiten Ihrer Heimreise vertraut zu machen.

1. Personen mit Migrationshintergrund, die straffällig geworden sind, kehren fristlos in ihre Heimat zurück.

2. Personen ohne Sonderaufenthaltserlaubnis und Personen ohne Arbeitserlaubnis oder den Nachweis eines Arbeitsplatzes verlassen Deutschland nach längstens drei Monaten.

3. Die übrigen Ausländer werden schrittweise in ihre Heimatländer zurückgeführt.

4. Ausländer werden aus dem deutschen Sozialversicherungssystem ausgegliedert [...].

Bitte kümmern Sie sich schon jetzt um Unterkunftsmöglichkeiten und Arbeit in Ihren Heimatländern. [...] Wir danken Ihnen für Ihre geleistete Arbeit und die kulturelle Bereicherung und wünschen Ihnen eine gute Heimreise. Ihr Ausländerrückführungsbeauftragter.

683

Im Bundestagswahlkampf 2013 versandte der Landesverband Berlin erneut ein ähnliches Rundschreiben an Kandidaten mit Migrationshintergrund, in dem diese aufgefordert wurden, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen, um einen Rücktransport in einer "Sie persönlich benachteiligenden Form" zu vermeiden. Die Behauptung der Antragsgegnerin, bei diesem Schreiben handele es sich lediglich um eine satirische Anregung zum Nachdenken über die Einwanderungspolitik, ändert nichts an der Tatsache, dass das an deutsche Staatsangehörige gerichtete und diese zum Verlassen des Landes auffordernde Schreiben als Bestätigung der Auffassung der Antragsgegnerin zu werten ist, wonach die Zugehörigkeit zur "deutschen Volksgemeinschaft" und der damit verbundene Rechtsstatus einschließlich eines dauerhaften Bleiberechts auch durch den "Erwerb bedruckten Papiers" nicht erreicht werden können.

684

(2) Dies bestätigt auch ein Fernsehinterview einer deutschen Journalistin mit Migrationshintergrund mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk. Auf die Frage, was er mit Menschen wie ihr, die eine andere Hautfarbe hätten, tun würde, antwortete er, dass sie einen Ausweisungsbescheid bekämen und Deutschland verlassen müssten. Mobile Güter könnten sie mitnehmen, der Rest würde ihnen ausbezahlt.

685

Die Antragsgegnerin verweist insoweit darauf, dass Zasowk sachlich argumentiert habe und nicht etwa aggressiv aufgetreten sei. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass ihr stellvertretender Bundesvorsitzender die Ausbürgerung eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund propagiert. Hierauf angesprochen, hat der Parteivorsitzende Franz in der mündlichen Verhandlung eine Distanzierung von dieser Aussage vermieden und lediglich auf die Möglichkeit direkter Befragung Zasowks verwiesen.

686

(3) Im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 erklärte der damalige Landesgeschäftsführer der Antragsgegnerin W. zur Kandidatur des farbigen Kommunalpolitikers S.:

Thüringen muss deutsch bleiben. Wir danken S. für seine Hilfe als Gastarbeiter in Thüringen. Heute wird er jedoch nicht mehr benötigt, weshalb wir ihn direkt dazu animieren wollen, in seiner Heimat Angola mit den hier eingezahlten Sozialversicherungsbeiträgen ein neues Leben zu beginnen. Angola braucht S. und hier gibt es mehr als 100.000 Thüringer, die S. Arbeitsplatz gut gebrauchen könnten.

687

Auch in diesem Fall wird die Rückkehrforderung ohne jegliche Differenzierung zwischen Ausländern und eingebürgerten Deutschen erhoben.

688

c) Die Antragsgegnerin vertritt also das Konzept einer ethnisch definierten Volksgemeinschaft und eines rechtlich abgewerteten und mit der Menschenwürdegarantie unvereinbaren Status aller, die dieser Gemeinschaft abstammungsmäßig nicht angehören. Dem steht auch nicht der Einwand der Antragsgegnerin entgegen, dass sie mit ihrem Volksbegriff auf dem Boden des Grundgesetzes stehe und lediglich die Rückkehr zu dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz propagiere.

689

aa) Das Konzept weitgehender Rechtlosstellung und entwürdigender Ungleichbehandlung dieser Personengruppe wird durch die Einlassungen der Antragsgegnerin zum Volksbegriff und zum Staatsangehörigkeitsrecht nicht tangiert. Die Antragsgegnerin macht zwar geltend, sie unterscheide lediglich konsequent zwischen Staatsangehörigen und Nichtstaatsangehörigen. Dem steht jedoch bereits entgegen, dass die von ihr vertretenen Ausgrenzungen und Rechtsverweigerungen, etwa bezogen auf die Rückführung ohne Rücksicht auf die Situation im Heimatland, das Recht auf Eigentumserwerb oder die Trennung von Ausländern und Deutschen im Schulunterricht, über die durch die Staatsangehörigkeit veranlassten Differenzierungen hinausgehen und keineswegs nur Bürgerrechte betreffen.

690

bb) (1) Der von der Antragsgegnerin vertretene Volksbegriff ist verfassungsrechtlich unhaltbar. Das Grundgesetz kennt einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht. Insoweit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG das Volk, von dem die Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland ausgeht, "von den deutschen Staatsangehörigen und den ihnen nach Art. 116 Abs. 1 gleichgestellten Personen" (BVerfGE 83, 37<51>) gebildet wird. Für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und den daraus sich ergebenden staatsbürgerlichen Status ist demgemäß die Staatsangehörigkeit von entscheidender Bedeutung. Dabei überlässt das Grundgesetz dem Gesetzgeber, wie sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 2 und Art. 116 Abs. 1 GG ergibt, die Regelung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit. Er kann insbesondere bei einer erheblichen Zunahme des Anteils der Ausländer an der Gesamtbevölkerung des Bundesgebietes dem Ziel einer Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer politischer Rechte und den dauerhaft staatlicher Herrschaft Unterworfenen durch eine Erleichterung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer, die sich rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, Rechnung tragen (vgl. BVerfGE 83, 37 <51 f.>). Die Auffassung der Antragsgegnerin, der Gesetzgeber sei bei der Konzeption des Staatsangehörigkeitsrechts streng an den Abstammungsgrundsatz gebunden, findet demgegenüber im Grundgesetz keine Stütze.

691

Demgemäß kommt bei der Bestimmung des "Volkes" im Sinne des Grundgesetzes ethnischen Zuordnungen keine exkludierende Bedeutung zu. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Diese verfassungsrechtliche Vorgabe steht in deutlichem Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin, nach deren Überzeugung der Erwerb der Staatsangehörigkeit nicht dazu führt, dass der Eingebürgerte Teil des deutschen Volkes wird.

692

Soweit der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung, zum Volksbegriff befragt, sich eingelassen hat, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, gehöre auch dem deutschen Volk an, gibt dies das Konzept der Antragsgegnerin erkennbar nicht zutreffend wieder. Die Aussage steht im Widerspruch zu allen diesbezüglichen schriftlichen Publikationen und Äußerungen führender Vertreter der Antragsgegnerin einschließlich der Einlassungen Jürgen Gansels in der mündlichen Verhandlung.

693

(2) Die Antragsgegnerin kann sich zur Begründung der Behauptung, einen verfassungsgemäßen Volksbegriff zu vertreten, auch nicht auf Art. 116 GG und den dazu ergangenen "Teso"-Beschluss des Zweiten Senats (BVerfGE 77, 137) berufen. Zwar erweitert Art. 116 GG als Ausdruck der Pflicht, die Einheit des deutschen Volkes als Träger des Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit zu bewahren (vgl. BVerfGE 77, 137 <151>), die Eigenschaft als Deutscher auf die sogenannten "Statusdeutschen" (vgl. BVerfGE 83, 37 <51>). Dies führt aber nicht dazu, dass der Volksbegriff des Grundgesetzes sich vor allem oder auch nur überwiegend nach ethnischen Zuordnungen bestimmt. Vielmehr erhält Art. 116 GG als Kriegsfolgenrecht erst dadurch Sinn, dass der Träger der deutschen Staatsgewalt im Ausgangspunkt durch die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen zu definieren ist (vgl. BVerfGE 83, 37 <51>). Im "Teso"-Beschluss hatte das Bundesverfassungsgericht darüber zu befinden, ob der Erwerb der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik durch eine Person, die von einem italienischen Vater abstammte, zugleich den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit im Sinne des Grundgesetzes zur Folge hatte. Dass das Bundesverfassungsgericht dies - unabhängig von der ethnischen Zuordnung - bejahte (vgl. BVerfGE 77, 137 <150 ff.>), dokumentiert die fehlende Ausschließlichkeit der ethnischen Herkunft für die Bestimmung der Zugehörigkeit zum deutschen Volk.

694

cc) Schließlich widerspricht die Behauptung der Antragsgegnerin, sie strebe lediglich eine Rückkehr zu dem bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht einschließlich der Eröffnung der Möglichkeit zur Ermessenseinbürgerung und der dauerhaften rechtlichen Gleichstellung von "Passdeutschen" und "Biodeutschen" an, den von ihr tatsächlich verfolgten Zielen. Zwar sieht das Parteiprogramm vor, dass das "ursprüngliche, auf dem Abstammungsprinzip fußende Staatsbürgerschaftsrecht wieder eingeführt" wird (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 12). Das politische Konzept der Antragsgegnerin geht aber weit über eine Rückkehr zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung hinaus.

695

(1) Die Berufung auf die Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung lässt bereits außer Acht, dass für derartige Einbürgerungen, wie sie in § 8 RuStAG vorgesehen waren, nach den Vorstellungen der Antragsgegnerin regelmäßig kein Raum sein soll. Ziel der Antragsgegnerin ist die "Einheit von Volk und Staat". Eine "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung" lehnt sie strikt ab (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Um eine Vermischung des deutschen Volkes mit andersrassigen Völkern zu vermeiden, gilt für die Antragsgegnerin: "Staatsangehörigkeit muß an Volkszugehörigkeit gebunden sein - für Europäer kann es Ausnahmen geben." (vgl. Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger, S. 20).

696

(2) Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin Ausbürgerungen ausschließt. Zwar ist eine derartige Forderung im Parteiprogramm nicht enthalten und ausdrücklich, soweit ersichtlich, bisher von Vertretern der Antragsgegnerin nicht erhoben worden. Sie liegt aber in der Konsequenz der strikten Ablehnung einer "Überfremdung" Deutschlands "mit oder ohne Einbürgerung". Können "Afrikaner, Asiate[n] oder Orientale[n]" auch durch Einbürgerung nicht zu Deutschen werden und sind aus Sicht der Antragsgegnerin fast neun Millionen Eingebürgerte als "Nichtdeutsche" anzusehen (vgl. Wortgewandt - Argumente für Mandats- und Funktionsträger, S. 19 f.), ist das Ziel einer Einheit von Volk und Staat ohne aufenthaltsbeendende Maßnahmen auch gegenüber eingebürgerten Menschen mit Migrationshintergrund nicht erreichbar. Dem entspricht es, dass die Forderung einer Rückkehrpflicht in die Heimatländer von der Antragsgegnerin nicht nur auf Ausländer, sondern auf alle "Fremde[n]" bezogen wird (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5). Die hierzu bereits dargestellten Äußerungen und Aktivitäten der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 681 ff.) belegen, dass sie auch Eingebürgerten mit Migrationshintergrund eine umfassende rechtliche Gleichstellung und vor allem ein dauerhaftes Bleiberecht nicht zugesteht.

697

(3) Vor diesem Hintergrund ist die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Schlussfolgerung des Sachverständigen Prof. Kailitz, die Antragsgegnerin trete auf der Basis ihres Weltbildes für eine millionenfache Vertreibung von Menschen aus Deutschland ein, nachvollziehbar. Jedenfalls spricht sie den - in ihrem Sinne - "Nichtdeutschen" das Bleiberecht in Deutschland ab und betont deren Rückkehrpflicht. Entsprechend hat der Landesverband Berlin der Antragsgegnerin im Bundestagswahlkampf 2009 dem an deutsche Politiker mit Migrationshintergrund versandten Schreiben einen "Fünf-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" beigefügt, in dem gefordert wird, "die menschenfeindliche Integrationspolitik [zu] beenden", und gesetzliche Lösungen zur Rückführung der "Ausländer" in ihre Heimatländer angekündigt worden sind.

698

d) Die aus der Vorstellung einer ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" sich ableitende Missachtung der Menschenwürde wird durch zahlreiche, der Antragsgegnerin zurechenbare Positionierungen gegenüber Ausländern (aa), Migranten (bb) und Minderheiten (cc) belegt.

699

aa) Neben der in dem Leitfaden "Politische Grundbegriffe" der JN enthaltenen Feststellung, dass sich jeder dritte Amerikaner durch Dekadenz und Fettleibigkeit auszeichne (Teil 2, S. 14; vgl. auch Rn. 665), belegen weitere Einlassungen die rassistische, durch völkisches Denken geprägte Grundhaltung der Antragsgegnerin.

700

(1) So erklärte der damalige Fraktionsvorsitzende der Antragsgegnerin im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und spätere Bundesvorsitzende Udo Pastörs auf dem NPD-Schwabentag am 19. März 2011:

Die Türme [des World Trade Centers] brannten noch, da zogen Tausende aus, um zu plündern und zu rauben in unserem Vorbildlande Vereinigte Staaten von Nordamerika. Da konnte man so richtig mal beobachten, das Ergebnis dieser multikulturellen Jauche an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Nordamerika. [...] In New York, da braucht nur einmal das Licht des Nachts für drei Stunden auszufallen und wie die multikulturellen Ratten, fällt dann dieses sog. amerikanische Volk über sich selbst her.

701

(2) Jürgen Rieger unterstellte als stellvertretender Bundesvorsitzender der Antragsgegnerin in einer Rede in Altenburg am 13. September 2008 dunkelhäutigen Menschen pauschal eine niedrigere Intelligenz:

Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegt vom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeutschen.

702

(3) Der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin warnt in einem Facebook-Eintrag im Mai 2015 deutsche Frauen vor einer Beziehung mit farbigen Männern:

Ist es nicht mehr als gerechtfertigt, von einer gezielten Invasion zu sprechen? In den Großstädten ist die Situation bereits so, daß man auf den Straßen auf Schritt und Tritt Schwarzafrikanern (Negern) begegnet. Nicht etwa arbeitend mit einem Besen in der Hand; nein sie gehen spazierengehen oder "shopping" oder "girls watching"!

Sie wurden geholt, um unser Volk, unsere Ethnie, endgültig zu zerstören! Deutsche Frauen und Mädchen, laßt euch nicht mit Negern ein! Ihr vergeht euch sonst auf das Schwerste an eurem Volk!

703

Soweit die Antragsgegnerin hiergegen einwendet, der Verfasser des Beitrags habe lediglich auf die explodierende Zahl von Asylbewerbern aufmerksam machen wollen, widerspricht dies dem objektiven Erklärungsinhalt der Aussage und lässt die bewusste Parallelität der Wortwahl zu nationalsozialistischen Parolen hinsichtlich des Umgangs mit Juden während der Zeit des Nationalsozialismus außer Acht.

704

(4) Des Weiteren verwendete die Antragsgegnerin bei der Bundestagswahl 2009 ein Plakat, auf dem im oberen Drittel auf rotem Hintergrund und weiß unterlegt drei schwarze Vögel mit weit geöffneten Augen zu sehen waren. Zwei der Vögel ragten mit ihren Schnäbeln über ein Bündel Euro-Geldscheine. Einer von ihnen pickte mit seinem Schnabel nach dem Geldbündel, der andere hielt seinen geöffneten Schnabel, dessen oberer Teil überdimensioniert und leicht gekrümmt war, über das Geldbündel. Aufgedruckt sind die Worte: "Polen - Invasion stoppen!".

705

Die zuständige Behörde ließ die Plakate abnehmen und untersagte der Antragsgegnerin die weitere Verwendung. Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern bestätigte die Entscheidung der Behörde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes letztinstanzlich mit der Begründung, dass das Plakat die Menschenwürde der in Deutschland lebenden polnischen Staatsangehörigen verletze, weil diese mit schwarzen Vögeln gleichgesetzt würden, die sich in der Art von Krähen oder vergleichbaren Vögeln über Geld hermachten. Der betroffene Personenkreis werde dadurch als raffgierig und sich ohne eigene Leistung bereichernd dargestellt. Insbesondere die auf einen objektiven Betrachter abstoßend wirkende Darstellung der Vögel habe zum Ziel, diese Bevölkerungsgruppe als minderwertig und verachtenswert zu charakterisieren. Ihnen werde das Menschsein abgesprochen und sie würden als unterwertig dargestellt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. September 2009 - 3 M 155/09 -, juris, Rn. 19, 24).

706

(5) Im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 versah die Antragsgegnerin ein Wahlplakat mit einem Foto des CDU-Politikers S. mit dem Untertitel "falscher Thüringer" und stellte dieses Foto einem mit "echte Thüringer" untertitelten Bild einer Bratwurst gegenüber. Für das Wahlplakat wurde der damalige Landesvorsitzende Schwerdt wegen Beleidigung rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.

707

bb) Insbesondere Asylbewerber und Migranten stehen im Zentrum menschenverachtender Äußerungen, die der Antragsgegnerin zuzurechnen sind. Sie sind vielfach durch pauschale Verdächtigungen und Herabwürdigungen geprägt.

708

(1) Belege hierfür ergeben sich bereits aus den parlamentarischen Aktivitäten der Antragsgegnerin.

709

(a) (aa) Im Sächsischen Landtag stellte die damalige Fraktion der Antragsgegnerin am 6. Dezember 2010 den Antrag "Strategiewechsel in der sächsischen Flüchtlings- und Asylpolitik - Rückkehrpflicht statt Aufenthaltsrecht", der auf eine Abschaffung des Asylrechts abzielt (LTDrucks 5/4279). Hierzu erklärte der ehemalige Fraktionsvorsitzende Apfel in der Debatte im Sächsischen Landtag:

Machen Sie endlich deutlich, dass Schluss mit der Liberalisierungswelle in der Ausländerpolitik ist. Stimmen Sie zu, schließen Sie die Einfallstore für muslimische Bombenleger, kriminelle Zigeunerbanden und Sozialschmarotzer aus aller Welt.
(Plenarprotokoll 5/27 vom 17. Dezember 2010, S. 2657)

710

(bb) Eine kleine Anfrage des Abgeordneten Apfel vom 4. Februar 2013 (LTDrucks 5/11244) an die Sächsische Staatsregierung enthielt die Frage, in welchem Umfang in von Migranten geschlossenen Verwandtenehen im Zeitraum von 2002 bis 2012 in Sachsen Kinder mit Behinderungen geboren wurden.

711

(cc) Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern verwendete Udo Pastörs in Bezug auf Asylbewerber den Begriff "entartete Menschen" (Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 98 f.). Zuvor hatte der Abgeordnete Tino Müller in derselben Debatte von einer "neunköpfigen Negerbande" (Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 97) gesprochen.

712

(b) Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, der ehemalige Fraktionsvorsitzende Pastörs habe seine Äußerung "entartete Menschen" nicht auf Asylbewerber bezogen, sondern nur auf Menschen, die Polizisten anspuckten, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr äußerte Pastörs in der Landtagsdebatte wörtlich: "Das ist für uns so anachronistisch, so etwas von krank, dass die Polizei genötigt wird, in die Unterkünfte zu gehen, um da eventuell interkulturell beglückt zu werden, dadurch dass die Fremden, dass die, ja, entarteten Menschen […] die entarteten Menschen […]". Nachdem er an dieser Stelle von der Landtagsvizepräsidentin unterbrochen worden war, äußerte er anschließend zwar: "Wenn ich Polizisten bespucke, ist das eine Entartung, ganz klar." Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die ursprüngliche Äußerung auf die in den "Unterkünften" befindlichen "Fremden" und nicht auf Menschen, die Polizisten anspucken, bezogen war.

713

(2) Auch außerhalb des parlamentarischen Handelns werden Asylbewerber und Migranten von der Antragsgegnerin regelmäßig diffamiert, pauschal als Kriminelle verdächtigt und zum Objekt von die Menschenwürde missachtenden Vorschlägen gemacht.

714

(a) (aa) So warb Jürgen Gansel auf seiner Facebook-Seite am 21. April 2015 für die schnelle Ausweisung von "Asylbetrügern, Moslem-Extremisten und kriminellen Ausländern" und sprach ganz allgemein von einer "Flut an Scheinasylanten". In einem weiteren Facebook-Eintrag vom 21. Mai 2015 äußerte er sich wie folgt:

Um diese Zeit begegnet man auf der Riesaer Goethestraße nicht mehr allzu vielen Leuten - eine Ausnahme bildete eben eine sechsköpfige Gruppe von lautstarken und alkoholisierten Asyl-Negern. Genau davor bin ich vor 14 Jahren aus Westdeutschland nach Riesa geflohen, um mir ein Stück deutsches Deutschland zu bewahren, und nun trollt sich dieses ... fast vor der eigenen Haustür. Ich kann gar nicht soviel fressen wie ich kotzen will!

715

(bb) In einer Rede des P., die am 15. März 2015 in Tröglitz von einem Dritten verlesen wurde, hieß es:

Ihr verteidigt euer Dorf, eure Heimat - gegen Überfremdung und Verlust der Gemeinschaft. [...] Sie werfen Rentner aus Altenheimen, Lehrlinge aus Wohnheimen, Schüler und Sportler aus Turnhallen, um weitere Hunderttausende Fremde nach Deutschland zu holen. Der jüngste Vorschlag war gar, den armen, notgeilen Asylanten sogar noch eine Flatrate im Bordell zu bezahlen. Sozusagen ein Puff-Vormittag, wenn dort eh nicht viel los ist. Weil sie natürlich Angst haben, daß vor allem unsre Frauen und Mädchen die Leidtragenden sind. So wie es überall auf der Welt mit Rassenvielfalt passiert.

716

(cc) Der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin warnt in einem Facebook-Eintrag vom 21. Mai 2015:"Vorsicht! Kommt den 'Flüchtlingen' nicht zu nahe! Ihr gefährdet eure Gesundheit! [...] Wobei Krätze, eine Hautinfektion mit Parasiten, noch das harmloseste ist, was man sich bei denen holen kann!"

717

(dd) Die Landesvorsitzende des RNF Berlin, Maria Frank, bezeichnete als Rednerin bei einer Demonstration der Antragsgegnerin im Juli 2013 Muslime und Schwarzafrikaner generell als Vergewaltiger, Drogenhändler und dreckig:

Die Muslime in unserem Land empfinde ich als noch größere Heuchler als unsere lügende Regierung. [...] Doch sind es nicht nur die Muslime. Schwarzafrikaner stehen an den Ecken und verkaufen verbotene Substanzen, vergewaltigen ebenfalls deutsche Frauen und verdrecken unsere schönen Städte. Die Kriminalität der hier lebenden Ausländer nimmt rasant zu. Die Geburtenrate wirklich deutscher Kinder sinkt und die Geburtenrate von weiteren Schmarotzern und vermischten Kindern steigt stetig. [...] Die ach so hilfebedürftigen Menschen lachen sich in ihre dreckigen Hände, wie blöd der Deutsche doch ist.

718

(ee) Zum Versuch afrikanischer Flüchtlinge, die spanische Enklave Melilla in Nordafrika zu erreichen, schrieb am 18. Februar 2014 der Kreisvorsitzende V. auf der Facebook-Seite des Kreisverbands Unna der Antragsgegnerin:

Mir stellt sich die Frage, wieso die Guardia civil mit Gummigeschossen schießt, wenn Fremde gewaltsam in das eigene Land eindringen wollen? Hatte sie keine scharfe Munition? Ich bin sicher nach zwei oder drei Attacken, die so abgewehrt worden wären, würden unsere Maximalpigmentierten es aufgeben.

719

Am 10. Juni 2014 heißt es dann auf der Facebook-Seite dieses Kreisverbands:"Die richtige Reihenfolge: Warnschuss und zum Abdrehen auffordern, wenn keine Reaktion erfolgt: Scharfer Schuss und das Schiff versenken, im Meer schwimmende Überlebende ab nach Afrika. Große Dinge sind oft recht einfach."

720

(ff) Der Kreisrat (Bautzen) der Antragsgegnerin K. wurde im August 2015 von Journalisten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung befragt, wie mit straffälligen Asylbewerbern umzugehen sei. Darauf antwortete er: "Nee, Gleis 17, Waggon 1, rein und ab." Auf Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald befindet sich ein Mahnmal, das an die Deportation von Juden in Konzentrationslager erinnert. Zudem sprach er sich gegen eine "Umvolkung" aus und äußerte sich wie folgt: "Ich sage jetzt bewusst: Die deutsche Rasse soll durch solche Dinge aufgemischt werden."

721

(b) (aa) Sämtliche Äußerungen sind darauf gerichtet, Asylbewerbern und Migranten ihre Menschenwürde abzusprechen. Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber geltend macht, da es Asyl-Betrüger, Moslem-Extremisten und kriminelle Ausländer gebe, sei es legitim, dies auch zu kritisieren, ignoriert sie die Pauschalität der Äußerungen, die sich gegen Asylbewerber und Migranten in ihrer Gesamtheit richten. Die Äußerungen überschreiten entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin auch die Grenze einer grundsätzlichen Kritik an der Einwanderungspolitik, da sie unmittelbar an die Migranten adressiert sind und diese verächtlich machen. Die Behauptung, es solle lediglich auf den täglich stattfindenden Asylbetrug hingewiesen werden, geht angesichts des eindeutigen Wortlauts der vorstehenden Erklärungen ins Leere.

722

(bb) Jede dieser Äußerungen ist der Antragsgegnerin zurechenbar und inhaltlich unmissverständlich.

723

(α) An der Tatsache, dass der Facebook-Eintrag des bayerischen Landesverbands der Antragsgegnerin von Flüchtlingen ausgehende Gesundheitsgefahren suggeriert, wobei Krätze noch das Harmloseste sei, ändert der Vortrag der Antragsgegnerin, man habe lediglich auf einen Zeitungsartikel verweisen wollen, nichts. Der Vortrag steht im Widerspruch zum Wortlaut des Eintrags. Soweit der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht hat, man sei gegen diesen Beitrag nicht vorgegangen, weil er nicht bekannt gewesen sei, steht dies einer Zurechnung nicht entgegen, da diese Kenntnis spätestens mit Zugang des Schriftsatzes vom 27. August 2015 bestand.

724

(β) Soweit die Antragsgegnerin sich von dem Facebook-Eintrag des Kreisverbands Unna mit Schriftsatz vom 2. März 2016 distanziert hat, bleibt sie eine Erklärung für die Tatsache schuldig, dass diese Einträge über einen Zeitraum von zwei Jahren unbeanstandet geblieben sind.

725

(γ) Nicht gefolgt werden kann der Behauptung der Antragsgegnerin, der Hinweis von K., straffällige Asylbewerber über "Gleis 17" auf die Heimreise zu schicken, enthalte lediglich die Aufforderung, geltendes Recht umzusetzen und kriminelle Asylbewerber ohne Bleiberecht abzuschieben. Eine Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen im Sinne einer Deportation lasse sich auch nicht aus dem Hinweis auf "Gleis 17" und "dort stehende Denkmäler" konstruieren. Es ist abwegig, dass der in der Region agierende Funktionär rein zufällig als Abschiebeort von Asylbewerbern das Gleis nennt, an dem ein Mahnmal an die Deportation von Juden in Konzentrationslager erinnert.

726

cc) Neben Asylbewerbern und Migranten richtet die Antragsgegnerin sich in vergleichbarer Weise gegen religiöse und gesellschaftliche Minderheiten und wendet sich dadurch gegen die Menschenwürde.

727

(1) Besondere Bedeutung misst sie dem Kampf gegen den Islam zu. Die Antragsgegnerin geht davon aus, die Auseinandersetzung mit dem Islam zu einer Popularisierung ihrer Forderung nach Ausländerrückführung instrumentalisieren zu können. Muslime werden dabei verächtlich gemacht; zugleich wird ihnen das Recht auf Religionsausübung und Aufenthalt abgesprochen.

728

(a) (aa) Jürgen Gansel formulierte 2009 in dem auf der Homepage der Antragsgegnerin abrufbaren "NPD - Dossier Minarettverbot" die Haltung der Partei zum Islam wie folgt:

Wir lehnen jede Form der Überfremdung durch kultur- und rassefremde Menschen entschieden ab. Deshalb beziehen wir auch eine klare Position gegen die Herausbildung orientalischer Parallelgesellschaften und die Islamisierung Deutschlands. […] Dort, wo der Islam historisch beheimatet ist und die Lebenstradition der Menschen prägt, hat er selbstverständlich sein Existenzrecht […]. In Mitteleuropa aber ist der Islam eine fremdkörperhafte Aggressionsreligion, die von einem Millionenheer fremdrassiger Menschen eingeschleppt wird. Die Siege über die Türken vor Wien 1529 und 1683 dürfen doch nicht umsonst gewesen sein! DIES IST UNSER LAND!

729

Dabei sieht Gansel in der Deutschen Stimme (Ausgabe 12/2010, S. 9) den Kampf gegen den Islam als strategisch besonders günstige Option für die Antragsgegnerin an:

Die NPD ist also wahltaktisch gut beraten, die Ausländerfrage auf die Moslemfrage zuzuspitzen (ohne sie freilich darauf zu beschränken) und die Moslems als Projektionsfläche für all das anzubieten, was den Durchschnittsdeutschen an Ausländern stört. […] Salopp formuliert: Man hat propagandistisch die Moslems zu schlagen, um noch ganz andere Ausländergruppen politisch zu treffen.

730

(bb) Noch deutlicher formuliert der bayerische Landesverband der Antragsgegnerin am 30. August 2014 auf seiner Facebook-Seite:

Das zentrale Thema dieses beginnenden 21. Jahrhunderts heißt: Kampf gegen den Islam! Unsere Heimat muß endlich von allen Feinden befreit werden, damit das deutsche Volk wieder in Frieden und Freiheit harmonisch leben kann, und die Güter der gemeinsamen Arbeit auch gerecht verteilt werden können. Dazu muß der Islam und ähnliche Ideologien aber aus ganz Europa vertrieben werden! Es läuft vielleicht auf einen neuen Kreuzzug hinaus, wenn die Angriffe der Moslems weiter zunehmen!

Kämpft für euer Leben und eure Freiheit und das Leben eurer Nachkommen. Nichts wird uns geschenkt werden! Aber kämpft!

Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land!

731

Dies kommentierte ein User am selben Tag mit den Worten: "niemals die kinderficker werden bei uns bis aufs blut bekämpft", was der Betreiber des Profils wiederum am gleichen Tag mit "Bravo!" beantwortete.

732

(cc) Der NPD-Landesverband Berlin forderte in seinem 2011 von seiner Homepage abgerufenen Landesaktionsprogramm den uneingeschränkten "Abriß aller Minarette".

733

(dd) Holger Apfel erklärte in einem Interview mit "ZUERST Deutsches Nachrichtenmagazin" im Oktober 2011:

Natürlich ist der Islam heute die deutlichste Erscheinungsform der Überfremdung, deshalb wenden wir uns auch entschieden gegen den Bau von Moscheen. Aber wir wollen die Muslime nicht missionieren. Auch wenn sich die Türken morgen taufen lassen, bleiben sie Türken und bleiben hier ethnisch-kulturelle Fremdkörper.

734

(ee) Udo Pastörs formulierte auf dem NPD-Schwabentag am 19. März 2011 in Günzburg:

Wichtig ist, dass wir einen Glauben haben, etwas Metaphysisches, denn daraus ziehen z.B. die Muselmanen unglaubliche Kraft. Sie sind so irrational, so irrational vergeistigt, dass sie mit Freuden in den Tod gehen, weil sie glauben, sie tun ganz genau das Richtige und deswegen sind sie auch ohne moderne Waffen so gefährlich. Am gefährlichsten und jetzt muss ich aufpassen, weil ich da schon einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten bin und verurteilt bin, sie sind deswegen so gefährlich, wenn sie ohne Waffen kommen. Ihre Waffe ist ihre Fruchtbarkeit und die tragen sie uns wie damals die feindliche Infanterie mitten ins Herz unseres Volkes hinein. Und dann springt die Geburtsmaschine an und dann werden wir übervölkert von innen heraus und können uns nicht zur Wehr setzen.

735

In seiner Aschermittwochsrede 2009 im Saarland bezeichnete Pastörs türkischstämmige Bürger als "Samenkanonen" und wurde deshalb wegen Volksverhetzung vom Landgericht Saarbrücken am 22. Februar 2013 (10 Ns 128/11) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die von Pastörs eingelegte Revision wurde durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 13. März 2014 (Ss 50/2013) als offensichtlich unbegründet verworfen. Die insoweit erhobene Verfassungsbeschwerde wurde von der 3. Kammer des Ersten Senats am 28. April 2016 (1 BvR 1966/11) mangels Rechtswegerschöpfung bezüglich der erhobenen Gehörsrüge nicht zur Entscheidung angenommen.

736

(b) Die damit zum Ausdruck kommende Missachtung der Menschen islamischen Glaubens entfällt nicht durch den Hinweis der Antragsgegnerin, dass das Existenzrecht des Islam nicht generell bestritten, sondern dort, wo der Islam beheimatet sei, ausdrücklich bejaht werde. Dies rechtfertigt die gegen Art. 3 Abs. 3 GG verstoßende Diskriminierung ebenso wenig wie die Instrumentalisierung der Muslime als Projektionsfläche für die gegen alle Ausländer gerichteten Rückführungsvorstellungen der Antragsgegnerin oder deren Verächtlichmachung als "Bombenleger" oder "Samenkanonen".

737

(2) Weiterhin belegen Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre eine antisemitische Grundhaltung der Antragsgegnerin.

738

(a) (aa) Im Jahr 2008 wurde der Versandkatalog der "Deutsche Stimme Verlags GmbH" wegen Verherrlichung des Nationalsozialismus und des Krieges durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgericht Köln (VG Köln, Urteil vom 12. Januar 2011 - 22 K 3151/08 -) bestätigt. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde zurückgewiesen (OVG Münster, Beschluss vom 28. September 2012 - 19 A 359/11 -).

739

In dem Katalog wurde unter der Rubrik "Gesinnungsknöpfe" ein Button "Keine Macht den Nasen" angeboten, auf dem eine Comic-Figur mit großer Nase abgebildet ist. Die Abbildung spielt auf die Darstellung jüdischer Mitmenschen im Nationalsozialismus an, die durch Hässlichkeit und als besonderes körperliches Merkmal durch eine große Nase geprägt war. Dies gilt in gleichem Maße für den angebotenen Aufnäher "Vorsicht bei Gesprächen! Feind hört mit!" mit dem Kopfbild eines hässlichen, geifernden, dunkelhaarigen Mannes mit großer Nase, welches das im Nationalsozialismus propagierte Feindbild des "Juden" schürt. Die Ausgrenzung und Missachtung jüdischer Mitbürger tritt auch in dem T-Shirt-Aufdruck "100 % unkosher" zutage.

740

(bb) Auch hochrangige Funktionäre der Antragsgegnerin haben sich in öffentlichen Äußerungen antisemitisch positioniert.

741

(α) So formuliert etwa Jürgen Gansel:

Seit 1930 war Adorno Assistent am Frankfurter Institut für Sozialforschung, dessen Gründung 1923 der jüdische Millionärssohn Felix Weil finanziert hatte. Zusammen mit Max Horkheimer, Herbert Marcuse und Friedrich Pollock, allesamt Söhne reicher Juden, machte Adorno das Institut schon zu Weimarer Zeiten zu einer neomarxistischen und neofreudianischen Denkschule. Deren "Kritische Theorie" verband in ihrer Gesellschaftstheorie sozioökonomische Auffassungen des Juden Karl Marx mit der Psychoanalyse des Juden Sigmund Freud. Mit scheinhumanitären Forderungen nach Demokratisierung, Emanzipation und Aufklärung rührten diese Köche eine ganz und gar nicht koschere Speise an: einen Giftfraß, der die inneren Organe und das Gehirn der deutschen Volksgemeinschaft anfressen sollte. […] Durch die Heranzüchtung des "demokratischen Menschen", der sich vom "falschen Bewußtsein" freimacht, sollte der Nährboden von Faschismus und Antisemitismus ausgetrocknet werden. Für Deutschland hieß das, einen totalen Bruch mit der nationalen Vergangenheit und die Diffamierung des deutschen Wesens ins Werk zu setzen, denn der demokratische Mensch sollte auch ein antinationaler Neurotiker sein. […] Mit diesem akademisch aufpolierten Neurotisierungsprogramm musste Adorno zum Säulenheiligen der Umerziehungsrepublik werden. Der giftspritzende Theoretiker starb vor 40 Jahren, sein Gift wirkt aber noch heute.

742

In der mündlichen Verhandlung auf diese Aussagen angesprochen, hat Gansel zwar erklärt, in der Formulierung "über das Ziel hinausgeschossen zu sein". Inhaltlich hat er sich aber von der Behauptung, jüdische Intellektuelle wollten das deutsche Gemeinwesen zersetzen, nicht distanziert.

743

(β) Karl Richter erklärte am 8. Januar 2015:

Ständig bemühen sich bestimmte Kreise mit ganz bestimmten Absichten, uns etwas vom "christlich-jüdischen Abendland" weiszumachen. Aber das ist eine historische Lüge:

Juden gab es im Abendland mindestens 1500 Jahre lang nur als Händler, Wucherer, Christusmörder und im Ghetto. 1500 Jahre lang hatten Juden im Abendland so gut wie nichts zu sagen.

Kurz und gut: MEIN Abendland ist christlich und zu mindestens gleichen Teilen germanisch. Das "jüdisch" brauche ich nicht in meinem Abendland, und - ich bin so frei - ich lege auch keinen Wert darauf.

744

(γ) Holger Apfel führte zum Antrag der Antragsgegnerin "Keine Zusammenarbeit mit 'Schurkenstaaten' - Sächsisch-israelische Partnerschaft beenden" im Sächsischen Landtag (Plenarprotokoll 5/18 vom 17. Juni 2010, S. 1519 ff.) aus:

Fakt ist: Mit dem aktuellen Überfall auf einen Hilfskonvoi hat sich Israel endgültig als Schurkenstaat entlarvt. […] Für die NPD ist der aktuelle Überfall kein Ausrutscher; Gewalt ist vielmehr eine historische Konstante des Zionistenstaates. [...]

Mit ihren Terrororganisationen wie der Irgun und der Hagana zieht sich die Blutspur des Zionismus wie ein roter Faden durch die Geschichte Palästinas. Doch bis zum heutigen Tage werden die blutigen Ursprünge verleugnet. Kein Wunder, gebärdet man sich doch seit über 3.000 Jahren als Opfer der Weltgeschichte, während die eigene Rolle als Tätervolk verschwiegen wird, […].

745

Ebenfalls im Sächsischen Landtag erklärte Apfel:

Mit diesem miesen Spiel der jüdischen und islamischen Lobby in diesem Land muss endlich Schluss sein. Lassen Sie sich, meine Damen und Herren, nicht länger vor den Karren reaktionärer ewig gestriger Zentralräte spannen! Hängen Sie nicht länger am Rockzipfel der jüdischen und islamischen Lobby!
(Plenarprotokoll 5/65 vom 18. Oktober 2012, S. 6565)

Solche Aussagen […] sind natürlich ganz im Sinne von Leuten, wie dem jüdischen Politoffizier der Bundeswehrhochschule in München, Prof. Michael Wolffsohn, der es gern sieht, dass deutsche Soldaten für Israel am Hindukusch die Kastanien aus dem Feuer holen […]. Schämen Sie sich, meine Damen und Herren, dafür, dass Sie längst nicht mehr deutsche Interessen im Auge haben, sondern nur noch willfährige Büttel des Zentralrates der Juden sind!
(Plenarprotokoll 5/14 vom 29. April 2010, S. 1089)

746

(δ) Der heutige Vorsitzende des Landesverbands Berlin der Antragsgegnerin, Sebastian Schmidtke, erklärte am 18. Februar 2011 bei einer Mahnwache unter dem Motto "Kriminelle Ausländer raus!":

Nicht der kleine eingeführte Ausländer ist der Hauptschuldige. Nein, die Schuld tragen die Wucherkapitalisten, die Globalisierer, die Hochfinanz, ihre Köpfe aus dem vorderasiatischen Raum und all ihre Marionetten, die den freien Völkern der Welt den Untergang bringen, indem sie die Völker zu hirnlosen, heimatlosen, identitätslosen Arbeitsmaschinen umfunktionieren.

747

Bereits zuvor war Schmidtke wegen des Tragens eines schwarzen T-Shirts mit der Aufschrift "All Jews are Bastards" wegen Beleidigung verurteilt worden (AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14. Mai 2008 - <274 Cs> 81 Js 1937/07 <343/07> -).

748

(ε) Der ehemalige Pressesprecher des Landesverbands Sachsen-Anhalt der Antragsgegnerin, G., äußerte sich am 30. Januar 2013 auf der Homepage des Landesverbands zur Forderung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, ein neues Verbotsverfahren anzustrengen, wie folgt:

Einmal mehr erweist sich Dieter Graumann, seines Zeichens Vorsitzender des "Zentralrats der Juden in Deutschland", als ein echter Vertreter seiner Art: "Steuergelder dürfen nicht mehr missbraucht werden, um braunes Gift zu finanzieren. Genug ist genug", fordert der freche Chefhebräer am 30. Januar 2013 in der Zeitung "Die Welt" und ist sich dabei nicht zu schade zu verheimlichen, wofür er denn die - wohl mehrheitlich von Deutschen ohne jüdischen Glauben - erbrachten Beiträge zum deutschen Staatshaushalt stattdessen viel lieber verwenden möchte. Vielleicht für die weitere Finanzierung (s)eines nahöstlichen Schurkenstaates, so wie in den vergangenen 65 Jahren und - wenn möglich - bis zum Sankt Nimmerleinstag? Oder für die Alimentierung raffgieriger Religionskörperschaften, wie beispielsweise der Magdeburger Synagogengemeinde?

749

(ζ) In der Deutschen Stimme (Ausgabe 9/2014, S. 23) forderte das Mitglied des Landesvorstands Sachsen der Antragsgegnerin, R., Juden nicht mehr durch deutsche Sicherheitsbehörden gegen islamistische Angriffe zu schützen:

Nicht deutsche Polizisten sollen daher mit ihrer Haut jüdische Einrichtungen schützen und sich bei Demonstrationen von Arabern mit Messern und Steinen traktieren lassen, das können jüdische Sicherheitsfirmen und Personenschützer besser. Und die Kosten dafür sollte auch der Jüdische Weltkongreß bezahlen und nicht der deutsche Steuerzahler.

750

(b) Dem in diesen Äußerungen zum Ausdruck kommenden Antisemitismus stehen die Einlassungen der Antragsgegnerin nicht entgegen. Soweit sie darauf verweist, dass legitime Kritik am Staat Israel zulässig sein müsse, verkennt sie, dass die dargestellten Äußerungen sich überhaupt nicht oder zumindest nicht vorrangig gegen den Staat Israel, sondern gegen Menschen jüdischen Glaubens richten, denen anknüpfend an nationalsozialistische Feindbilder negative Charaktereigenschaften in diffamierender Weise zugeschrieben werden. Ob diese Äußerungen von den Angehörigen der jüdischen Gemeinden obendrein als einschüchternd empfunden werden, ist dabei im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang.

751

Die Antragsgegnerin muss sich auch das Verhalten des Vorsitzenden des Landesverbands Berlin zurechnen lassen. Auch wenn er zum Zeitpunkt der zur Verurteilung wegen Beleidigung führenden Tat noch nicht Mitglied der Antragsgegnerin gewesen war, handelt es sich doch um einen Anhänger, der zwischenzeitlich mit einer Spitzenfunktion betraut wurde und dessen Verhalten gemeinsam mit den übrigen Äußerungen das Vorliegen einer antisemitischen Grundhaltung bei der Antragsgegnerin bestätigt. Dem widerspricht auch nicht, dass die Antragsgegnerin anhand weniger Beispiele einen differenzierten Umgang mit dem Judentum und der deutsch-jüdischen Geschichte darzulegen versucht. Dies vermag die aus den dargelegten Äußerungen sich ergebende antisemitische Grundtendenz bei der Antragsgegnerin nicht zu relativieren.

752

(3) Die Missachtung der Menschenwürde durch die Antragsgegnerin ist nicht auf die bereits benannten Gruppen beschränkt. Stellungnahmen gegenüber weiteren Gruppierungen lassen erkennen, dass sie den aus der Menschenwürde folgenden Achtungsanspruch der Person auch insoweit nicht respektiert.

753

(a) (aa) So erklärte Jürgen Gansel im Sächsischen Landtag:

Sexualität ist Privatsache, und in der Abgeschiedenheit ihrer vier Wände können auch Schwule und Lesben tun und lassen, was sie wollen - auch wenn es unappetitlich sein mag. In der Öffentlichkeit aber haben sie das Anstandsgefühl der übergroßen heterosexuellen Bevölkerungsmehrheit zu akzeptieren und eine Zurschaustellung ihrer sexuellen Neigungen zu unterlassen, wie sie etwa auf Schwulenparaden zelebriert werden.
(Plenarprotokoll 5/37 vom 26. Mai 2011, S. 3595)

754

(bb) Die Volksgruppen der Sinti und Roma beschrieb das damalige Landesvorstandsmitglied in Thüringen, K., in einer Zeitung der NPD-Erfurt aus dem Jahr 2011 (Bürgerstimme!, Jahrgang 3, Ausgabe 15, S. 3), wie folgt:

"Sinti und Roma", "mobile ethnische Minderheit" oder "Angehörige reisender Familien": [...] Doch wie immer man diese Gruppe auch nennen möge: Deren Angehörige eint oftmals der Hang zur Kriminalität, Verwahrlosung und Prostitution. [...] Doch mittlerweile überschwemmt die 2010 benannte "Kulturhauptstadt Europas" nicht das Wasser der Ruhr, sondern eine Zigeunerflut, gepaart mit dem ungezügelten Zuzug von Ausländern aus Anatolien und Afrika.

755

In den Jahren 2013 und 2014 setzte die Antragsgegnerin bei Wahlkämpfen auf Europa-, Bundes- und Landesebene ein Plakat mit dem Motto "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" ein.

756

Der Bundesschatzmeister der Antragsgegnerin Andreas Storr erklärte im Sächsischen Landtag:

[…] als wäre es nicht schon genug des nur uns Deutschen aufgezwungenen Sprachterrorismus, dass wir Zigeuner nicht mehr beim Namen nennen dürfen […]. Das ist […] eine Einladung an die Zigeuner, es sich hier ein paar Monate auf Kosten der Deutschen gutgehen zu lassen […]. Denn die im Hotel "Zum Kronprinzen" untergebrachten Sozialschmarotzer werden ihren Leuten die Netzseite ab-in-den-Urlaub.de zumailen, wo das herrliche Plüschzimmer des Hotels "Zum Kronprinzen" angepriesen wird, wahrlich eines Königs der Zigeuner würdig.
(Plenarprotokoll 5/69 vom 30. Januar 2013, S. 7194 f.)

757

(b) Der Versuch der Antragsgegnerin, die Aussage des K. als legitime Kritik an den Zuständen in Duisburg-Marxloh darzustellen, geht fehl, da Sinti und Roma pauschal ein Hang zur Kriminalität, Verwahrlosung und Prostitution unterstellt wird, die herabsetzende Bezeichnung Zigeuner mehrfach verwendet und von einem "Überschwemmen durch eine Zigeunerflut" gesprochen wird. Ebenso ist der Hinweis der Antragsgegnerin, das Verwaltungsgericht Kassel habe das Wahlplakat "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" nicht beanstandet, im vorliegenden Zusammenhang ohne Belang. Auch wenn das Plakat für sich genommen die Grenze der Strafbarkeit oder der Rechtswidrigkeit nicht überschreitet, offenbart es eine durchgängig geringschätzige Haltung gegenüber den Volksgruppen der Sinti und Roma, die in einer Gesamtschau mit den übrigen Äußerungen die Missachtung des Wert- und Achtungsanspruchs der Angehörigen dieser Gruppen erkennen lässt.

758

2. Die Antragsgegnerin missachtet die freiheitliche demokratische Grundordnung auch mit Blick auf das Demokratieprinzip. Zwar kann diese Haltung dem Parteiprogramm nicht in der erforderlichen Eindeutigkeit entnommen werden (a). Die Ablehnung der grundgesetzlichen Ausgestaltung freiheitlicher Demokratie ergibt sich aber unter Berücksichtigung sonstiger der Antragsgegnerin zurechenbarer Publikationen und Äußerungen führender Funktionäre (b). Aus ihnen ergibt sich, dass das politische Konzept der Antragsgegnerin dem aus Art. 20 Abs. 1 und 2 GG folgenden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung widerspricht. Außerdem missachtet die Antragsgegnerin den Grundsatz der Volkssouveränität, da sie die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am Prinzip der "Volksgemeinschaft" orientierten Nationalstaat fordert, ohne darzulegen, wie in diesem der notwendige Legitimationszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft gewährleistet werden soll.

759

a) In ihrem Parteiprogramm bezeichnet die Antragsgegnerin sich einerseits als (national-) "demokratische" Partei und beruft sich auf die Prinzipien der "Volksherrschaft" und der "Ablösung der Regierung durch demokratische Entscheidungen" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7). Außerdem spricht sie sich für die Direktwahl des Bundespräsidenten und die Stärkung plebiszitärer Elemente aus (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 8). Andererseits lässt sich dem Programm ein Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie, zum Grundsatz der Opposition oder zum Mehrparteiensystem nicht entnehmen. Stattdessen wird die Legitimität des Grundgesetzes bezweifelt und der nicht näher beschriebene "Nationalstaat" als notwendiger politischer Rahmen der Volksherrschaft bezeichnet (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 5). Erforderlich sei die "Einheit von Volk und Staat" (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). "Volksherrschaft" setze "Volksgemeinschaft" voraus (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7).

760

Demgemäß kann dem Parteiprogramm eine klare Positionierung zu den durch die freiheitliche demokratische Grundordnung geschützten Kernbestandteilen des grundgesetzlichen Demokratieprinzips nicht entnommen werden. Inwieweit das Konzept des "Nationalstaates" dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsbürger an der politischen Willensbildung Rechnung trägt, ist aus den Formulierungen des Parteiprogramms nicht erkennbar. Ebenso wenig ergibt sich aus dem Programm, inwieweit die Forderung nach der Einheit von Volk und Staat zu einer Beschränkung politischer Partizipationsmöglichkeiten von Eingebürgerten führen kann. Außerdem erschließt sich aus dem Parteiprogramm nicht, wie die demokratisch notwendige durchgängige Rückbindung der Staatsgewalt an das Volk stattfinden und welche Bedeutung dabei der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie zukommen soll.

761

b) Demgegenüber ergeben sich unter Berücksichtigung der sonstigen, insbesondere aus dem Konzept der "Volksgemeinschaft" folgenden Positionen der Antragsgegnerin eindeutige Befunde für deren Missachtung des Demokratieprinzips. Weder respektiert sie den Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung (aa), noch bekennt sie sich zum Prinzip der parlamentarischen Demokratie. Vielmehr tritt sie für dessen Abschaffung und Ersetzung durch einen Deutsches Reich genannten autoritären Nationalstaat ein (bb).

762

aa) Das politische Konzept der Antragsgegnerin ist mit dem Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung unvereinbar.

763

(1) (a) Wenn "Volksherrschaft" die "Volksgemeinschaft" voraussetzt, wie die Antragsgegnerin dies in ihrem Parteiprogramm ausdrücklich vertritt (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 7), und die "Volksgemeinschaft" ethnisch definiert ist, hat dies zwingend den Ausschluss derjenigen, die der "Volksgemeinschaft" aus ethnischen Gründen nicht angehören, aus dem demokratischen Prozess zur Folge. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat im Sinne der Antragsgegnerin ist für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung - unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit - grundsätzlich kein Raum. Vielmehr führt der exkludierende Charakter der "Volksgemeinschaft" zu einer mit Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung.

764

(b) Dieses Ergebnis hat der hierzu befragte Jürgen Gansel in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Er hat ausdrücklich zwischen Volksherrschaft und Bevölkerungsherrschaft unterschieden und ausgeführt, dass die Volksherrschaft an das ethnische Staatsvolk gebunden sei und daher in der Bundesrepublik Deutschland nur eingeschränkt bestehe. Auch wenn er die anschließende Frage, wie echte Volksherrschaft in Deutschland hergestellt werden könne, unbeantwortet ließ, dokumentiert dies, dass nach Auffassung der Antragsgegnerin der Anspruch auf demokratische Partizipation auf die Angehörigen der ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" beschränkt ist.

765

Einen eingeschränkten Demokratiebegriff propagiert auch Udo Pastörs, der ausweislich der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern am 13. März 2010 auf der Veranstaltung "Freiheit statt BRD" erklärte:

Wir fordern eine Demokratie im besten Sinne, in der alles am Prinzip Volkserhalt ausgerichtet ist.

766

(2) (a) Die Begrenzung politischer Partizipation auf die Angehörigen der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" widerspricht dem im menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips wurzelnden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Das von der Antragsgegnerin verfolgte politische Konzept schließt bereits Eingebürgerte wegen ihrer fehlenden Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" aus dem Kreis der zur "Volksherrschaft" Berufenen aus. Eine derartige Differenzierung nach ethnischen Kriterien verstößt gegen Art. 20 Abs. 1 und 2 GG, der das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung allen Staatsangehörigen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft garantiert (vgl. bereits Rn. 690 ff.).

767

(b) Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich auch im vorliegenden Zusammenhang nicht darauf berufen, dass sie die Möglichkeit der Ermessenseinbürgerung akzeptiere und Eingebürgerten die staatsbürgerlichen Rechte uneingeschränkt zuerkenne. Insoweit handelt es sich um eine reine Schutzbehauptung. Ermessenseinbürgerungen sollen nach dem Konzept der Antragsgegnerin allenfalls bei Europäern in seltenen Ausnahmefällen in Betracht kommen (vgl. Rn. 694 f.). Vor allem aber ist nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin bereit ist, bereits Eingebürgerten sämtliche mit der Staatsangehörigkeit verbundenen Rechte dauerhaft zuzuerkennen. Da es sich aus ihrer Sicht um grundsätzlich Rückkehrpflichtige handelt, die weder zur "Volksgemeinschaft" gehören, noch zur Volksherrschaft berufen sind, ist für die beständige Einräumung des Rechts auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung kein Raum.

768

bb) Daneben ergibt sich die Demokratiefeindlichkeit der Antragsgegnerin aus ihrer Negation des Prinzips der parlamentarischen Demokratie. Die Antragsgegnerin lehnt das bestehende parlamentarisch-repräsentative System ab und macht dieses verächtlich (1). Sie geht davon aus, dass die parlamentarische Demokratie der Verfolgung der Interessen der "Volksgemeinschaft" nachgeordnet ist (2). Vor diesem Hintergrund fordert sie die Ersetzung des bestehenden Systems durch einen an das Deutsche Reich anknüpfenden Nationalstaat (3). Damit will sie in den durch die freiheitliche demokratische Grundordnung geschützten Kernbestand der grundgesetzlichen Demokratie eingreifen (4).

769

(1) (a) Die grundsätzliche Ablehnung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems durch die Antragsgegnerin wird in einem Interview Holger Apfels mit der Deutschen Stimme deutlich (Ausgabe 12/2008, S. 3):

Das ist das bereits erwähnte Spiel der "parlamentarischen Demokratie": Alle paar Jahre wird gewählt, dann bilden sich Mehrheiten, und so wird dann die ganze Wahlperiode über abgestimmt, egal, welche Qualität die Initiativen der Opposition besitzen. [...] Das Parlament ist längst zu einer billigen Karikatur einer wirklichen Volksherrschaft verkommen.

770

(b) In vergleichbarer Weise äußerte sich der ehemalige Landesvorsitzende Sachsen-Anhalts, Matthias Heyder, auf dem Bamberger Programmparteitag 2010:

Das da draußen ist ein kaltes, zubetoniertes, volksfeindliches, asoziales System, das gehört nicht verändert, das gehört abgeschafft.

771

(c) Der damalige Beisitzer im Bundesvorstand der Antragsgegnerin, Thomas Wulff, beschreibt im Mai 2009 auf www.netzwerknord.com das politische System der Bundesrepublik Deutschland wie folgt:

Ein krankes System zittert in seinen morschen Knochen! Die Symptome der Fäulnis haben das Gefüge der Kriegsgewinnler von 1945 und ihrer deutschen Handlanger erfasst. [...] Ehrlose, korrupte Politiker und ihre Speichellecker in den Medien haben sich zusammengeschlossen mit antideutschen, volksfeindlichen Kräften. Sie üben gegenüber uns und unserem Volk eine "Diktatur der Unfreien" aus. Sie sind nichts weiter als Handlanger der Besatzungsmächte von 1945. Sie tun alles, um die Besatzung und Fremdherrschaft weiterhin als Befreiung zu kaschieren und bis heute zu sichern.

772

(d) Ähnlich abfällig äußert sich Jürgen Gansel 2009 in einem Internetbeitrag auf der Homepage der Antragsgegnerin mit dem Titel "Das Endstadium des Parlamentarismus", in dem er den "Persönlichkeits- und Charakterlosen" als bestimmenden Politikertypus beschreibt, die Bundesrepublik Deutschland als "politische[n] Swinger-Club" bezeichnet und eine "Herrschaft der Minderwertigen" behauptet. In einem weiteren Artikel aus dem Jahr 2010 unter der Überschrift "Die Systemkrise beginnt im kommunalen Unterbau" formuliert er:

Das alles ist systemimmanenter Volksbetrug! Hier hilft kein bloßer Politikerwechsel, weil durch den Austausch eines Volksbetrügers durch einen anderen nichts gewonnen ist, sondern nur ein radikaler, also an die Wurzel des Übels gehender Politikwechsel.

773

(e) Auch die nachfolgenden Äußerungen einzelner ehemaliger Abgeordneter in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern dokumentieren das Ziel, das bestehende parlamentarische System verächtlich zu machen:

Bonzokraten und Palaverbude.
(Udo Pastörs, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/54 vom 23. Oktober 2008, S. 58)

Datenschutzbeauftragter als Pausenclown […] Orgelparteien.
(Michael Andrejewski, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/60 vom 28. Januar 2009, S. 82)

In der mitteleuropäischen Bundesrepublik, zur Zeit noch Deutschland genannt, regieren Tanten und Tunten.
(Raimund Borrmann, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/81 vom 18. November 2009, S. 97)

Stimmvieh auf Befehl der EU-Kommissare.
(Udo Pastörs, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/96 vom 9. Juni 2010, S. 39)

Mieser Asozialenstaat.
(Michael Andrejewski, Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/109 vom 19. November 2010, S. 34)

[…] die Deutschen heutzutage von Abschaum regiert werden.
(Jürgen Gansel, Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/52 vom 8. März 2012, S. 5144, bezugnehmend auf den Rücktritt und Ehrensold des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff)

774

(2) Zugleich stellt die Antragsgegnerin die Idee der "Volksgemeinschaft" dem Demokratieprinzip gegenüber und relativiert dabei dessen Geltungsanspruch.

775

(a) Deutlich wird dies, wenn der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Bayern, W., schreibt:

Es ist mehr Volksherrschaft verwirklicht, wenn ein Volk auf allen Gebieten des Lebens von seinen fähigsten und tüchtigsten Angehörigen geleitet wird, als es von einer bloßen Majorität oder von gekauften Parlamentariern verwalten zu lassen.
(W., in "Volk in Bewegung - Der Reichsbote", Ausgabe 5/2011, S. 11)

776

(b) In vergleichbarer Weise fasst der in Jamel ansässige Lokalpolitiker der Antragsgegnerin, K., seine politische Zielvorstellung wie folgt zusammen:

Darum ist mein Ziel nicht die Demokratie der Kapitalisten und Halsabschneider, sondern die Volksgemeinschaft der Deutschen!
(K., in "De Meckelbörger Bote", Ausgabe 1/2011, S. 2)

777

(c) D. wendet sich in der Zeitschrift "Der Aktivist" (Ausgabe 2/2012, S. 20 f.) grundsätzlich gegen den Geltungsanspruch der Demokratie und des Mehrheitsprinzips:

Die Demokratie scheint zu einer Art Religion für die derzeitig Herrschenden geworden zu sein. So wie man noch in vorkopernikanischen Zeiten für die richtige Behauptung, die Erde sei rund, auf dem Scheiterhaufen endete, landet man heute im Kerker des Systems, wenn man sich gegen die "beste Herrschaftsform aller Zeiten" ausspricht. Alleine die stetige, gebetsmühlenartig sich wiederholende Behauptung, es handle sich hierbei tatsächlich um die "beste Gesellschaftsform", ist einfach nicht haltbar. Gerade wir als Nationalisten wissen, dass die Menschen unterschiedlich sind. Einem System, das sich auf Mehrheitsentscheidungen stützt, kann demnach auch keine Ewigkeitsgarantie ausgesprochen werden. […] Es gibt keine Formel für das perfekte Staatswesen, es gibt nur den inneren Einklang eines Volkes mit diesem.

778

(d) Udo Pastörs betonte 2011 auf dem NPD-Schwabentag in Günzburg:

Das, was vor uns liegt, ist die Reststrecke eines korrupten Systems, was beseitigt gehört, weil es den Volkserhalt gefährdet, liebe Freunde.

779

(3) Vor diesem Hintergrund erhebt die Antragsgegnerin einen fundamentaloppositionellen, revolutionären Anspruch (a), der auf die Abschaffung des bestehenden parlamentarischen Systems einschließlich der Bestrafung der hierfür Verantwortlichen (b) und der Ersetzung durch einen Deutsches Reich genannten autoritären Nationalstaat gerichtet ist (c).

780

(a) (aa) Die Antragsgegnerin hat ein sozialrevolutionäres Selbstverständnis. Sie beschränkt sich nicht auf die Kritik aus ihrer Sicht bestehender Missstände des parlamentarischen Systems, sondern fordert dessen Überwindung.

781

In einem Flugblatt des Landesverbands Sachsen aus dem Jahr 2009 dringt der damalige Spitzenkandidat Holger Apfel auf die Abschaffung des geltenden Systems und erklärt:

Ja, die NPD versteht sich als grundsätzliche Alternative zu den Versagerparteien und ihrem System, das das Volk politisch entmündigt und wirtschaftlich verarmen lässt.

782

Ebenso heißt es in der Informationsbroschüre "Heimat bewahren - Freiheit erkämpfen" des Landesverbands Sachsen, für die ebenfalls Holger Apfel presserechtlich verantwortlich zeichnete:

Die NPD stellt die Systemfrage, sie will den sozialen, demokratischen und nationalen Volksstaat schaffen und stellt dieses Ideal der etablierten "Demokratie-Karikatur" namens BRD entgegen. (S. 15)

783

Auch der Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen der Antragsgegnerin Claus Cremer betont 2010 in einem Artikel mit dem Titel "Dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht werden" auf der Homepage seines Landesverbands den revolutionären Anspruch der Antragsgegnerin:

Die NPD, als parlamentarischer Arm des Widerstandes, hat nun weiterhin Taten folgen zu lassen, um dem Anspruch einer sozialrevolutionären Partei gerecht zu werden.

784

(bb) Demzufolge wird die Beteiligung am parlamentarischen System von der Antragsgegnerin lediglich als zusätzliches Instrument zur Verfolgung der eigenen systemüberwindenden Ziele angesehen.

785

(α) Entsprechend erklärte der ehemalige Landesvorsitzende Sachsen-Anhalts, Matthias Heyder, auf dem Bamberger Programmparteitag 2010:

Wir haben ja nicht vor, in den Landtag einzuziehen, um Teil des Systems zu werden, um auch nur einen Millimeter von unseren Positionen abzurücken.

786

(β) Ähnlich äußerten sich die JN am 28. März 2011 auf der Internetseite ihres Bundesvorstands (www.jn-buvo.de):

Wahlen sind immer nur Mittel zum Zweck, niemals Selbstzweck. Parteipolitik und Wahlbeteiligungen müssen stets Instrument des Willens zur Veränderung sein und dürfen sich nicht auf bloße Teilhabe am parlamentarischen Zirkus beschränken.

787

(γ) Ebenso zur Instrumentalisierung des Parlamentarismus schrieb Karl Richter in "hier & jetzt" (Ausgabe 14, November 2009, S. 4 ff., insbes. S. 8):

Nota bene: in einem bundesdeutschen Länderparlament mitzuspielen und sich im Papierausstoß mit den Fraktionen der etablierten Parteien zu messen, ist für sich genommen kein Ruhmesblatt; und auch die konkreten politischen Gestaltungsmöglichkeiten halten sich in Grenzen, solange man nicht jenseits der 51 Prozent ist. Aber als Übungsgelände ist eine Parlamentsfraktion von unschätzbarem Wert.

788

(b) An der Notwendigkeit der Beseitigung des bestehenden parlamentarischen Systems (aa) und der Bestrafung der hierfür Verantwortlichen (bb) bestehen für die Antragsgegnerin keine Zweifel.

789

(aa) (α) Unmissverständlich erklärte der Vorsitzende des Landesverbands Hessen der Antragsgegnerin, Daniel Knebel, bei der Maikundgebung 2010:

Wir sind keine Schwätzer und wir sind auch keine Reformatoren, wir sind ausschließlich, und das mit voller Überzeugung, Revolutionäre. Wir wollen diesen Staat nicht ändern, wir wollen ihn abschaffen, wir wollen die Revolution, bringt dieses System endlich zu Fall, danke schön.

790

(β) Auch der Kreisverband Berlin-Pankow der Antragsgegnerin formuliert auf seiner Homepage am 24. Februar 2009:

Wir sind revolutionär, weil wir das ferngesteuerte System der BRD nicht reformieren, sondern überwinden wollen.

791

(γ) Ebenso bekennt sich der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern auf seiner Internetseite zum Ziel der Abschaffung des bestehenden politischen Systems:

Wir erheben demgegenüber den Anspruch, weder dieses absterbende System beerben zu wollen, sondern einen Volksstaat zu schaffen, in dem jeder Deutscher als Teil der Gemeinschaft mitarbeitet und gebraucht wird. Bündeln wir unsere Kraft, um diese morsche BRDDDR endlich zu überwinden!
(Beitrag "Bundesrepublikanischer Alltag: Ex-Stasispitzel weiterhin in Behörden tätig" vom 8. Juli 2009)

Stehen wir gemeinsam auf, gegen ein überlebtes, menschenfeindliches System. Kämpfen wir zusammen für unser Recht auf Arbeit und eine Zukunft für unser Volk. Die Losung lautet: Freiheit statt BRD!
(Beitrag "Heraus zum Tag der deutschen Arbeit" vom 12. März 2010)

792

(bb) Für den Fall der erfolgreichen Umsetzung ihres revolutionären Anspruchs sollen die bisherigen Entscheidungsträger zur Verantwortung gezogen werden. Dies geschieht teilweise in menschenverachtenden Formulierungen.

793

(α) So schreibt Udo Voigt in einem Beitrag mit dem Titel "Die Etablierten: Ein Leben mit der Angst im Nacken" auf der Homepage der Antragsgegnerin am 17. Juli 2008:

Wenn wir dereinst die Regierung stellen, werden wir natürlich Minister, Abgeordnete wie auch Beamte daraufhin überprüfen lassen, ob sie im Rahmen ihres Amtseides zum Wohl des deutschen Volkes gehandelt haben. Die Angst erwischt und eines schönen Tages vielleicht sogar bestraft zu werden ist also begründet und sollte uns schon bald Millionen neue Wähler zutreiben, die mit denen da oben noch eine Rechnung offen haben.

794

(β) Bei einer Demonstration der Antragsgegnerin "Gegen kinderfeindliche Bonzen" am 31. Juli 2010 in Anklam sagte Udo Pastörs:

Die Demokratur der BRD und ihre Apologeten, ihre Führungsschicht, sind nicht ideologisch verblendet und deswegen verdient diese Nomenklatura am Tag der Abrechnung auch keine Gnade, liebe Freunde.

795

Am 16. Juni 2007 äußerte sich Pastörs auf einer Demonstration in Rathenow gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm:

Und wenn wir zur Macht gelangen, dann besteht darin auch die Verpflichtung, jene einer gerechten Strafe zuzuführen, die für diese Ausplünderungspolitik unseres deutschen Volkes Verantwortung tragen und heute noch uns frech ins Gesicht grinsen. Also, liebe herrschende Klasse, seht euch vor, denn wer Wind sät, wird Sturm ernten. Lasst uns Sturm sein!

796

(γ) Der ehemalige sächsische Landtagsabgeordnete Andreas Storr wurde am 28. April 2010 auf der Homepage seiner Fraktion wie folgt zitiert:

Unser Volk wird die historische Schuld, die sich die politische Klasse in diesem Land aufgeladen hat, einmal erkennen und sich ihrer dann auch entledigen - ganz demokratisch! Die Stunde der Wahrheit wird die Stunde der Abrechnung sein.

797

(δ) Karl Richter schreibt in "hier & jetzt" (Ausgabe 15/2010, S. 4 ff. <7>) unter dem Titel "Wie meinten Sie das, Herr Homer? Ithaka in Bottrop - warum die 'Odyssee' eigentlich verboten gehört":

Wer mit der Fremdherrschaft ins Bett stieg, gehört weg, ohne viel Federlesens, Kroppzeug, das man ausmisten muß, will man verhindern, daß es wieder hoch kommt - weiß der Mythos.

798

(c) An die Stelle des bestehenden politischen Systems soll ausweislich des Parteiprogramms der Antragsgegnerin der "Nationalstaat" als "[d]ie politische Organisationsform eines Volkes" treten (vgl. Arbeit. Familie. Vaterland., a.a.O., S. 6). Dabei soll nach Auskunft ihres ehemaligen Parteivorsitzenden und Europaabgeordneten Voigt in der mündlichen Verhandlung auf den Begriff des Deutschen Reiches zurückgegriffen werden. Dem entsprechen weitere der Antragsgegnerin zurechenbare Aussagen.

799

(aa) Anknüpfend an Udo Voigt formuliert Claus Cremer in einem Internetbeitrag auf der Homepage des Landesverbands Nordrhein-Westfalen im Juni 2011:

Das Reich ist unser Ziel, die NPD unser Weg.

800

(bb) Vergleichbar forderten Karl Richter und Eckart Bräuniger 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2011, S. 22) nicht bloß einen "Nationalstaat" zu schaffen, sondern beide wollen offenbar ein Deutsches Reich (wieder-)beleben:

Integrieren wir die Reichsidee in die gegenwärtigen Themen und Herausforderungen, um den Fortbestand unseres verbliebenen Volkskörpers in kultureller Identität, sozialer Sicherheit und nationaler Souveränität zu sichern. Ja zu Deutschland - ja zum Reich!

801

(cc) Nicht nur die Neugründung des Deutschen Reiches, sondern die Wiederinkraftsetzung der am 23. Mai 1945 geltenden Verfassung und Gesetze des Deutschen Reiches, verbunden mit dem Verlust des Aufenthaltsrechts für alle Ausländer, auch solche mit deutschem Pass, und deren Rückführung unter Strafandrohung forderte der frühere niedersächsische Kommunalmandatsträger H. in der Zeitschrift "Volk in Bewegung - Der Reichsbote" (Ausgabe 1/2011, S. 18):

Unser Ziel muß die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches als unser völkerrechtlicher Nationalstaat sein. [...] Eine "Ordnende Reichsversammlung" aus den bewährten Kräften, wesentlich zusammengesetzt aus den Führungskräften des Netzwerkes, wird allgemeine Wahlen vorbereiten. [...] Als Sofortmaßnahmen stellt sie die Verfassung und die Gesetze des Deutschen Reiches mit Stand vom 23. Mai 1945 wieder her, [...], macht den Ausländern einschließlich solcher mit bundesdeutschem Paß klar, dass sie im Deutschen Reich kein Aufenthaltsrecht haben, womit sich jede Sozialversorgung selbsttätig erledigt, kündigt sämtliche Arbeitsverträge mit Ausländern und sorgt für deren Rückführung samt Sippen unter Strafandrohung binnen längstens eines Jahres, berichtigt das Geschichtsbild und stellt jene Leute vor Gericht, die sich vorsätzlich an deutschen Lebensanliegen und am Völkerrecht vergangen haben.

802

Einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin steht dessen fehlende Mitgliedschaft nicht entgegen, da H. 2006 und 2011 als ihr Kandidat in den Verdener Stadtrat und den Kreistag des Landkreises Verden einzog und dort bis Anfang 2012 tätig war.

803

(4) In der Gesamtschau wird durch die vorstehenden Aussagen eine bei der Antragsgegnerin vorhandene Grundtendenz hinreichend belegt, die bestehende parlamentarische Demokratie abzuschaffen und durch einen am Primat der ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" orientierten "Nationalstaat" zu ersetzen. Insoweit kann dahinstehen, ob sich die Negation des Parlamentarismus auch - wie vom Antragsteller vorgetragen - in Zahl und Gegenstand der gegen die Mitglieder der Antragsgegnerin ergangenen parlamentarischen Ordnungsrufe dokumentiert.

804

Jedenfalls reicht die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie durch die Antragsgegnerin entgegen ihrer Auffassung über eine bloße Kritik an der "herrschenden politischen Klasse" hinaus. Die Antragsgegnerin richtet sich gegen das parlamentarische System als solches und macht dieses verächtlich. Sie zielt nicht nur auf den Austausch handelnder Personen, sondern stellt die Systemfrage, ohne zugleich offenzulegen, auf welchem Weg der notwendige Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft in dem von ihr angestrebten "Nationalstaat" sichergestellt werden soll. Der bloße Hinweis auf den Ausbau der Volksgesetzgebung und die Direktwahl des Staatsoberhaupts genügt nicht, um das durch eine Abschaffung des parlamentarisch-repräsentativen Systems entstehende Demokratiedefizit zu kompensieren. Hinzu kommt, dass der Geltungsanspruch des Demokratieprinzips grundsätzlich relativiert wird und diesem die (vorrangigen) Interessen der "Volksgemeinschaft" gegenübergestellt werden. Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich auch nicht auf die von ihr geschilderten parlamentarischen Initiativen ihrer ehemaligen Landtagsfraktionen berufen, da diese - wie dargelegt - instrumentell angelegt sind (vgl. Rn. 784 ff.) und dem Anspruch auf Überwindung der parlamentarischen Demokratie nicht entgegenstehen.

805

3. Bei der Antragsgegnerin liegt eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vor. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen (a). Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Antragsgegnerin mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren (b). Ungeachtet struktureller Unterschiede zwischen der Antragsgegnerin und der NSDAP ergibt sich hieraus eine Bestätigung der Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Antragsgegnerin (c).

806

a) aa) Der Begriff und das Verständnis der "Volksgemeinschaft" stellen eine zentrale Gemeinsamkeit der politischen Konzepte der Antragsgegnerin und der NSDAP dar. Auch für den Nationalsozialismus stand die ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" im Zentrum der Politik. Das "Volk" war Ausgangspunkt aller Argumentationslinien (vgl. Weckenbrock, in: Pfahl-Traughber, Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung 2011/2012, Bd. I, 2012, S. 180 <197>). Punkt 4 des 25-Punkte-Programms der NSDAP lautete: "Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein". Abgesehen von der besonderen Hervorhebung der Exklusion jüdischer Menschen entspricht diese Definition der "Volksgemeinschaft" genau den Vorstellungen der Antragsgegnerin.

807

Die Parallelität der Konzepte der "Volksgemeinschaft" einschließlich signifikanter sprachlicher Übereinstimmungen spiegelt sich im Vergleich von Äußerungen Adolf Hitlers mit solchen der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 654, 662, 666) wider:

Es ist aber ein kaum faßlicher Denkfehler, zu glauben, daß, sagen wir, aus einem Neger oder einem Chinesen ein Germane wird, weil er Deutsch lernt und bereit ist, künftighin die deutsche Sprache zu sprechen und etwa einer deutschen politischen Partei seine Stimme zu geben. (vgl. Hitler, Mein Kampf, Zwei Bände in einem Band, 1938, S. 428)

Im Blute allein liegt sowohl die Kraft als auch die Schwäche des Menschen begründet. [...] Völker, die auf die Erhaltung ihrer rassischen Reinheit verzichten, leisten damit auch Verzicht auf die Einheit ihrer Seele in allen ihren Äußerungen. (vgl. Hitler, Mein Kampf, Zwei Bände in einem Band, 1938, S. 372)

Der einzelne ist nichts, die Gesamtheit alles. Menschen kommen und vergehen, aber wichtig ist, daß das Volk gesund erhalten bleibt. (vgl. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. IV/2, in: Hartmann , 1996, S. 180)

808

bb) Offensichtlich ist auch eine gemeinsame antisemitische Grundhaltung der Antragsgegnerin und der NSDAP. Dass die Antragsgegnerin dabei auf von den Nationalsozialisten verwandte Stereotype zurückgreift, wurde bereits dargelegt (vgl. Rn. 738 ff.). Auch insoweit sind sprachliche Überschneidungen evident, etwa wenn Hitler Juden als "Meister der internationalen Giftmischerei" bezeichnet (vgl. Hitler, Reden, Schriften, Anordnungen: Februar 1925 bis Januar 1933, Bd. II A, in: Weinberg/Hartmann/Lankheit , 1995, S. 23) und Jürgen Gansel in seinem "Nachruf" zum 40. Todestag von Theodor W. Adorno von dem "Giftfraß" spricht, den die jüdischen Mitglieder der Frankfurter Schule zur Zerstörung des deutschen Volkes angerührt hätten (vgl. Rn. 741).

809

cc) Schließlich stellt die Ablehnung und Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie eine weitere Gemeinsamkeit zwischen der Antragsgegnerin und dem Nationalsozialismus dar. Dabei findet sich das instrumentelle Verhältnis zum Parlamentarismus bereits bei der NSDAP wieder:

Wir sind doch eine antiparlamentarische Partei, lehnen aus guten Gründen die Weimarer Verfassung und die von ihr eingeführten republikanischen Institutionen ab, sind Gegner einer verfälschten Demokratie […]. Was also wollen wir im Reichstag? Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. (vgl. Joseph Goebbels, Was wollen wir im Reichstag?, 30. April 1928, abgedruckt in: ders., Der Angriff - Aufsätze aus der Kampfzeit, 1935, S. 71)

810

b) Die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus erfährt auch im Handeln der Antragsgegnerin in unterschiedlicher Weise Ausdruck:

811

aa) Dazu zählen zunächst glorifizierende Bezugnahmen auf Protagonisten des NS-Regimes durch führende Vertreter der Antragsgegnerin:

812

(1) So formulierte der damalige stellvertretende Vorsitzende des Landesverbands Hamburg Thomas Wulff in einer Stellungnahme auf der Internetseite www.altermedia-deutschland.info am 20. April 2013, dem Geburtstag Hitlers:

Möge dieser Parteitag am Wochenende des 20. April dem einen oder anderen Delegierten blitzartig ins Gedächtnis rufen, wozu der größte Sohn unseres Volkes - auch ohne Anfangs große Mittel zur Verfügung gehabt zu haben - in der Lage war. Es gelang ihm, weil er, unter Einsatz seiner ganzen Person, vollkommen selbstlos handelnd, unbestechlich und zu jedem persönlichen Opfer bereit, die Verkörperung der Hoffnung von Millionen selbst wurde! - und diese nie verraten hat.

813

Zwei Jahre später - ebenfalls am 20. April - postete er auf Facebook:

Es ragt dein Werk, so wie die Dome ragen!
Gebaut für eine deutsche Ewigkeit.
Wird es die Kunde dieser hohen Zeit
bis zu den Enkeln unsrer Enkel tragen.

In Qual Geknechtete hast du befreit;
Aus starrem Fels den klaren Quell geschlagen.
Schon raunt es über Grenzen wie von Sagen,
Und wie Legende, die dich benedeit.

Uns aber, die du aus der Dumpfheit pochtest,
Bis Herz um Herz nach deinem Willen schwang -
Uns scheint als schönster Kranz, den du dir flochtest,
Dass dir des freien Reiches Bau gelang.

814

Der Einwand der Antragsgegnerin, dem Gedicht komme kein objektiver Erklärungswert zu und es stelle keine Leugnung, Billigung oder Verharmlosung des Holocaust dar, vermag an der bewundernden Bezugnahme auf die Person Adolf Hitler nichts zu ändern. Ursprünglich wurde das Gedicht Heinrich Anackers unter dem Titel "Dem Führer" zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers veröffentlicht (in: Die deutsche Glocke, Volksbuch der deutschen Heimat, Bd. 1, Bayreuth 1939, S. 7).

815

(2) Der damalige Landtagsabgeordnete Tino Müller kommentierte einen Fackelmarsch in der Nacht zum 17. August 2008, dem 21. Todestag von Rudolf Heß, auf der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern der Antragsgegnerin wie folgt:

Obwohl mit aller Härte versucht wird, Gedenkveranstaltungen für Rudolf Heß zu unterbinden, ist es nationalen Aktivisten vielerorts gelungen, an den rätselhaften Tod des stellvertretenden Reichskanzlers und Friedensfliegers zu erinnern.

816

(3) Bei der am 1. Mai 2013 stattfindenden NPD-Demonstration unter dem Motto "Genug gezahlt - Wir sind keine Melkkuh Europas" zitierte die RNF-Vorsitzende, Maria Frank, Joseph Goebbels:

Ich möchte meine Rede mit einem Zitat einer weiteren ehrenvollen Person beenden: "Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! Bekränzt eure Häuser und die Straßen der Städte und Dörfer mit frischem Grün. Deutsche aller Stände, Stämme und Berufe, reicht euch die Hände! Geschlossen marschieren wir in die neue Zeit hinein.

817

(4) H., Kreisvorsitzender und Mitglied des Landesvorstands Baden-Württemberg der Antragsgegnerin, erklärte am 20. Oktober 2012 bei einer Kundgebung in Kirchardt:

Wir brauchen keine Schwätzer oder Stammtischproleten. Wir brauchen wieder Männer wie Albert Leo Schlageter, wir brauchen Revolutionäre.

818

bb) Die Anknüpfung an die nationalsozialistische Vergangenheit zeigt sich zudem im Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus.

819

(1) Exemplarisch hierfür steht der Artikel "Brandenburg - eine heroische Geschichte" von D. in der JN-Publikation "Der Aktivist" (Ausgabe 3/2012, S. 4 <5>), in dem der Autor auf den Fackelmarsch der Nationalsozialisten durch das Brandenburger Tor am 30. Januar 1933 Bezug nimmt:

Das Brandenburger Tor steht für die Standhaftigkeit und den Glauben eines Volkes, einst auch wieder eine Nation zu werden. Auf dem Boden Brandenburgs wurde eine Geschichte geschrieben, die vorbildhaft für das gesamte Reich stehen darf. […] Die JN in Brandenburg muss sich dessen bewusst sein, dass ihr große Fußstapfen hinterlassen wurden, die es nur schwer auszufüllen gelingen wird. Es wäre auch eine Anmaßung, sich mit jenen gleich zu stellen, die so einzigartig in der grausamen und immer mehr vereinheitlichten Welt sich hervorgetan haben. Dennoch leidet das Volk unter der Knechtschaft des Zinses und einer Politikerkaste, die es in den sicheren Tod regiert. Wir leben im Hier und Jetzt und müssen uns bewusst werden, dass wir die einzige Generation sind, die noch einmal für sich beanspruchen kann im Stande zu sein, das Unheil von unserem Volk abzuwenden. Wir als JN Brandenburg wollen von den Taten großer Männer und Frauen zehren, den Kameraden aus anderen Gauen die Hände reichen und einst auch wieder das Schicksal mit einem Fackelmarsch durch das geliebte Brandenburger Tor besiegeln. Hier wird sich auch einst entscheiden müssen, wer bleiben und wer gehen darf. So soll das Brandenburger Tor wieder einmal Symbol für ein Volk sein, das sich nach jahrzehntelanger Unterdrückung aus den Fesseln der Knechtschaft befreit hat.

820

(2) Jürgen Gansel betitelte seinen Facebook-Eintrag vom 12. Januar 2015 mit "Volk steh auf", eine Formulierung, die Goebbels in seiner sogenannten Sportpalastrede am 18. Februar 1943 verwendet hatte. Auch die JN Brandenburg bedienten sich in ihrem Facebook-Eintrag vom 28. November 2014 der sich ursprünglich in dem Gedicht von Theodor Körner "Männer und Buben" findenden Formulierung "Das Volk steht auf, der Sturm bricht los".

821

(3) In einem Beitrag auf der Internetseite des Kreisverbands Weimar/ Weimarer Land der Antragsgegnerin gab der Kreisvorsitzende M. am 31. Dezember 2012 folgendes Zitat des früheren NSDAP-Funktionärs und Reichsjugendführers Baldur von Schirach unter entsprechender Kenntlichmachung wieder:

Und würden wider uns verbünden
sich Himmel, Hölle und die Welt:
Wir blieben aufrecht stehn und stünden,
bis auch der letzte niederfällt!

822

Der Einwand der Antragsgegnerin, das Gedicht enthalte keine ideologische Aussage, steht der Feststellung nicht entgegen, dass die gezielte Verwendung des Zitats Ausdruck der Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus ist.

823

(4) Ebenso hat Udo Pastörs am 11. Dezember 2014 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit der Verwendung des Begriffs "entartete Menschen" auf nationalsozialistisches Vokabular zurückgegriffen (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 6/84 vom 11. Dezember 2014, S. 98 f.).

824

(5) Zu den wichtigsten nationalsozialistischen "Kernliedern", denen die Funktion eines politischen Führungsmittels zugewiesen wurde, gehörte "Ein junges Volk steht auf", das 1935 von dem Hitlerjugend (HJ)-Funktionär Werner Altendorf verfasst worden war. Dessen Verwendung stand im Mittelpunkt eines vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht bestätigten Verbots einer Versammlung der JN (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. April 2012 - 11 ME 113/12 -, juris).

825

(6) Den Kreisvorsitzenden Erlangen-Höchstadt P. verurteilte das Amtsgericht Forchheim mit Urteil vom 31. Oktober 2007 aufgrund des Tragens eines T-Shirts unter anderem mit der Aufschrift "die Fahnen hoch" wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. Mai 2009 - 2 BvR 2202/08 -, juris, Rn. 5). Hintergrund war die Ähnlichkeit der Aufschrift mit dem Beginn des gleichnamigen von Horst Wessel verfassten Liedes, das nach seinem Tod zur offiziellen Parteihymne der NSDAP wurde.

826

(7) Auch der am 23. April 2013 anlässlich der Neuwahl des Parteivorstands auf Facebook veröffentlichte Text der nordrhein-westfälischen JN bedient sich einer von den Nationalsozialisten geprägten Formulierung. Der Eintrag lautet:

Auch die Jungen Nationaldemokraten werden ihre Mutterpartei NPD nach Kräften unterstützen, denn wie heißt es doch so schön:

Mit unseren Fahnen ist der Sieg!

827

Von dieser Parole wurde während der Zeit des Nationalsozialismus etwa auf Propagandapostkarten Gebrauch gemacht.

828

(8) Der JN-Stützpunkt Muldental (Sachsen) stellte am 9. Dezember 2012 auf seiner Facebook-Seite ein von der NSDAP herausgegebenes Gedicht mit dem Titel "Weihnachten in der Familie" ein. Am 12. Mai 2013 wurde auf dessen Facebook-Profil das Bild einer Frau mit zwei Kindern veröffentlicht, das im Original aus dem Buch "Ewiges Deutschland. Ein deutsches Hausbuch", herausgegeben vom Winterhilfswerk des Deutschen Volkes im Jahr 1939, stammt und überschrieben ist mit einem Zitat von Adolf Hitler: "Die Arbeit ehrt die Frau wie den Mann / das Kind aber adelt die Mutter". Die Argumentation der Antragsgegnerin, dies sei im Verbotsverfahren solange irrelevant, wie die geposteten Inhalte nicht ihrerseits spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut wiedergäben, verkennt, dass der Rückgriff auf von den Nationalsozialisten benutzte Texte und Symbole die Identifikation mit deren Ideologie indiziert.

829

(9) Bei H., Kreisvorsitzender und Vorstandsmitglied im Landesverband Baden-Württemberg der Antragsgegnerin, wurden im Oktober 2012 - von der Antragsgegnerin unbestritten - neben diversen Waffen verschiedene NS-Devotionalien, wie die Reichskriegsflagge, Bildnisse von Adolf Hitler, Rudolf Heß und Horst Wessel sowie zahlreiche Symbole und Embleme (unter anderem Hakenkreuze und SS-Runen), sichergestellt. Dass es sich - wie die Antragsgegnerin behauptet - bei den vorgefundenen Waffen um Deko-Waffen beziehungsweise eine nicht mehr funktionsfähige Mauser 1918 gehandelt haben soll, ändert nichts an der Tatsache, dass eine glorifizierende Bezugnahme auf den Nationalsozialismus vorliegt.

830

(10) Karl Richter wurde durch rechtskräftiges (Berufungs-)Urteil des Landgerichts München I vom 2. Juli 2009 (18 Ns 112 Js 10817/08) wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Vorgenannte am 2. Mai 2008 bei der konstituierenden Sitzung des Münchener Stadtrates bei seiner Vereidigung die Erinnerung an den "Hitler-Gruß" wachrief. Der Vortrag der Antragsgegnerin, Richter habe den "Hitler-Gruß" nicht gezeigt, es habe sich vielmehr um eine Falschwahrnehmung des Belastungszeugen gehandelt, vermag die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts München I sowie des Amtsgerichts München (Urteil vom 21. August 2008 - 844 Ds 112 Js 10817/08 -) als Vorinstanz, die sich entgegen der Darstellung der Antragsgegnerin bei ihrer Entscheidungsfindung nicht nur auf einen, sondern auf drei Zeugen stützen konnten, nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen.

831

cc) Außerdem ist das Bestreben führender Vertreter der Antragsgegnerin feststellbar, den Nationalsozialismus zu verklären und seine Verbrechen zu relativieren.

832

(1) Entsprechend formulierte P. in seinem unter dem 26. September 2012 auf der Seite www.xxx.de veröffentlichten Artikel "Du sollst nicht falsch Zeugnis reden …":

Die historischen Wahrheiten werden verfolgt, als Revisionismus diskreditiert oder als Holocaustleugnung und Relativierung von Nazi-Verbrechen mit Kerker bestraft. Ist es deshalb, weil wir unsre Staatsdoktrin gegründet haben als Gegenentwurf zu Auschwitz, dem Vergasen in Deutschland, Katyn, Wannseeprotokoll, Erzählungen eines Eli Wiesel oder dem Tagebuch der Anne Frank? Wird deshalb nicht über die schon 2002 nachgewiesene 4-Millionen-Lüge von Auschwitz gesprochen, weil Fischer und Schröder sie zur Begründung des Krieges gegen Jugoslawien haben aufleben lassen? […] Warum hat ein Pastor Martin Niemöller erbärmlichst gelogen mit der Behauptung, in Dachau wären über 200.000 Juden vergast worden? […] Ein Blinder mit Krückstock kann die offensichtlichen Fälschungen oder Manipulationen im Wannsee-Protokoll oder im Anne-Frank-Tagebuch erkennen.

833

(2) Jürgen Gansel schreibt in einem Internetbeitrag "Alle deutschen Schüler ins Konzentrationslager?" vom 1. Juli 2008 auf der Homepage der Antragsgegnerin:

Wird für die, die nicht die bundesrepublikanische Staatsmode von Büßerhemd und Narrenkappe tragen wollen, wieder eine Baracke in Buchenwald oder Auschwitz aufgeschlossen? Vielleicht mit jungen "Migranten" als Aufsehern, die dann als Hövelmanns willige Vollstrecker jungen Deutschen ihre angebliche Erbschuld mit der Auschwitz-Keule einprügeln? In der Canossa-Republik ist jedenfalls vieles vorstellbar. Schließlich kommt ja auch die neue Studie zu dem Ergebnis, daß die NS-Vergangenheit für junge Menschen noch immer eine große Rolle spielt - im Positiven wie im Negativen. Will heißen: Die geschichtspornographisch eingefärbte Trauer- und Bewältigungsarbeit entscheidet über das Maß an andressiertem nationalen Selbsthaß, den in- und ausländische Mächte zur Durchsetzung ihrer deutschenfeindlichen Interessen ja unbedingt brauchen.

834

(3) Der derzeitige Kreisvorsitzende des Kreisverbands Böblingen-Calw N. bezeichnete auf der Homepage der NPD Region Stuttgart unter dem 28. Mai 2010 KZ-Häftlinge als "Kriegsgefangene" und führt aus:

Die "Holocaustindustrie" läßt grüßen! […] Zuletzt bleibt zu erwähnen, daß die in Hailfingen/Tailfingen untergebrachten Juden selbstverständlich auch genauso als "Kriegsgefangene" bezeichnet werden können, ebenso wie Hunderttausende deutsche Soldaten und Zivilisten, wie im Falle eines meiner Urgroßväter.

835

(4) In einer Presseerklärung der Antragsgegnerin vom 18. Januar 2010 erklärte Karl Richter, die nationale Opposition werde auch den bevorstehenden 65. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nicht als "rituelle Dauerstigmatisierung der Deutschen zum 'Tätervolk' hinnehmen":

Denn: der Holocaust hat viele Facetten und schließt die Verbrannten und Ermordeten von Dresden und Hiroshima, die Opfer des ukrainischen Hunger-Holocaust der dreißiger Jahre und die Vertreibungsopfer nach 1945 ebenfalls ein. Israel hat keine Exklusivrechte am Holocaust-Gedenken!

836

(5) Auch Äußerungen im parlamentarischen Raum belegen diese verklärende und relativierende Haltung der Antragsgegnerin. Jürgen Gansel diagnostizierte im Sächsischen Landtag "Geschichtspornografie in Gestalt von Holocaust-Gedenkritualen und anderen Formen des Nationalmasochismus" (vgl. Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/76 vom 15. Mai 2013, S. 7886). Udo Pastörs sprach im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern von "einseitigem Schuldkult" und "Auschwitzprojektionen" (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/88 vom 28. Januar 2010, S. 75). Dort bekundete auch Tino Müller:

Sie belügen unsere Jugend, weil Sie verschweigen, dass nicht das Deutsche Reich Großbritannien und Frankreich den Krieg erklärte, sondern die Engländer und Franzosen uns. Die Wahrheit tut manchmal weh, meine Damen und Herren von den Blockparteien, besonders wenn man die Lüge pflegt. (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern, Plenarprotokoll 5/93 vom 28. April 2010, S. 11)

837

Holger Apfel erklärte im Sächsischen Landtag:

66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges muss endlich Schluss sein, dass unser Volk durch die Auschwitzkeule in die Knechtschaft getrieben wird. 66 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist es an der Zeit, das Büßerhemd und die Narrenkappe endlich auszuziehen. Der Fahrkartenschalter nach Canossa, meine Damen und Herren, sollte ein für allemal geschlossen sein. (vgl. Sächsischer Landtag, Plenarprotokoll 5/28 vom 19. Januar 2011, S. 2753)

838

Einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern am 30. Januar 2013 blieben die damaligen Mitglieder der Landtagsfraktion der Antragsgegnerin demonstrativ fern.

839

c) Die vorstehenden Belege sind der Antragsgegnerin zurechenbar. Es handelt sich überwiegend um Erklärungen und Handlungen von Teilorganisationen oder führenden Parteifunktionären der Antragsgegnerin. Sie dokumentieren - ohne dass es des Rückgriffs auf das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte bedarf - in ausreichendem Maß die inhaltliche Verbundenheit relevanter Teile der Antragsgegnerin mit dem historischen Nationalsozialismus.

840

Auch der ehemalige Bundesvorsitzende der Antragsgegnerin Holger Apfel hat dies in der mündlichen Verhandlung bestätigt und darauf verwiesen, dass "zumindest Teile der Partei sich noch in vielen Punkten in der politischen Gedankenwelt des Dritten Reiches befinden". Der ehemalige Hamburger Landesvorsitzende Wulff bekenne sich öffentlich dazu, Nationalsozialist zu sein. Ein gegen ihn vor diesem Hintergrund eingeleitetes Parteiausschlussverfahren sei gescheitert.

841

Nach alledem ist vom Bestehen einer Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin mit dem Nationalsozialismus auszugehen. Dem steht auch der Hinweis der Antragsgegnerin nicht entgegen, sie sei nicht nach dem Führerprinzip aufgebaut und lehne einzelne von den Nationalsozialisten vertretene Prinzipien ab. Die Ablehnung einzelner inhaltlicher Grundsätze oder die fehlende Übernahme wesentlicher Organisationsprinzipien schließt die positive Anknüpfung an das Wirken einer Partei und die von ihr vertretene Ideologie in ihrer Gesamtheit nicht aus. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus bei der Antragsgegnerin einhellig geteilt wird. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer entsprechenden Grundtendenz bei der Antragsgegnerin, so dass die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus nicht als "Entgleisung" Einzelner angesehen werden kann.

842

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Hinweis der Antragsgegnerin auf sechs Fälle angestrebter Ordnungsmaßnahmen gegen einfache Parteimitglieder, die angeblich wegen befürwortender Stellungnahmen zum Nationalsozialismus ergriffen werden sollten. Abgesehen davon, dass einer dieser Fälle keinen Bezug zum Nationalsozialismus hat, ein weiterer Fall den Ausschluss von Parteimitgliedern wegen ihrer Kritik an der Arbeit und einzelnen Personen des Landesvorstands Nordrhein-Westfalen betraf und in den vier übrigen Fällen keine Ordnungsmaßnahmen angeordnet wurden, weil die Betroffenen aus der Antragsgegnerin ausgetreten sind, ändern die geschilderten Fälle nichts daran, dass die vorstehend dargestellten Beispiele positiver Bezugnahme auf den Nationalsozialismus durch Führungskräfte oder Teilorganisationen der Antragsgegnerin zuzurechnen sind und nicht als Entgleisungen einzelner Mitglieder angesehen werden können. Demgemäß belegen die inhaltlichen Übereinstimmungen, die Glorifizierung einzelner Repräsentanten, die Relativierung der Verbrechen sowie der Rückgriff auf Texte und Symbole des Nationalsozialismus die Wesensverwandtschaft der Antragsgegnerin mit diesem.

843

Damit bestätigt sich zugleich die Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Antragsgegnerin. Das nationalsozialistische Gewalt- und Terrorregime war geprägt durch Menschenverachtung und totalitäre Demokratiefeindlichkeit. Demgemäß zieht die bei der Antragsgegnerin feststellbare Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus deren Anerkennung der Menschenwürde und des Demokratieprinzips in Zweifel. Auch wenn dies für die Annahme, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolgt, allein nicht ausreicht, führt die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus zumindest zu einer Bestätigung des aus dem "Volksgemeinschafts- und Nationalstaatskonzepts" der Antragsgegnerin folgenden Befundes, dass sie politische Ziele verfolgt, die mit der Menschenwürdegarantie und dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes nicht vereinbar sind.

844

4. Nach alledem zielt die Antragsgegnerin auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären "Nationalstaat". Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen "Volksgemeinschaft" nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar. Damit strebt die Antragsgegnerin nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nicht nur eine Beeinträchtigung, sondern eine Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung an.

II.

845

Einem Verbot der Antragsgegnerin steht aber entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt ist. Die Antragsgegnerin bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll und mit hinreichender Intensität auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt (1.). Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln der Antragsgegnerin zum Erfolg führt (2.).

846

1. Die Antragsgegnerin arbeitet im Rahmen ihrer organisatorischen Möglichkeiten (a) und auf der Grundlage eines strategischen Konzepts (b) planmäßig auf die Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hin (c).

847

a) aa) Die Antragsgegnerin ist bundesweit organisiert. Sie verfügt neben regionalen Untergliederungen mit den JN über eine eigene Jugendorganisation (ca. 350 Mitglieder). Hinzu kommen als weitere Teilorganisationen seit 2003 die KPV und seit 2006 der RNF (ca. 100 Mitglieder).

848

Ausweislich des Rechenschaftsberichts für das Jahr 2013 hatte die Antragsgegnerin am 31. Dezember 2013 5.048 Mitglieder, am 31. Dezember 2014 waren es ausweislich des Rechenschaftsberichts für jenes Jahr 5.066 Mitglieder (vgl. BTDrucks 18/4301 und BTDrucks 18/8475, jeweils S. 120). In der mündlichen Verhandlung hat der Parteivorsitzende Franz erklärt, dass im Jahr 2015 vor dem Hintergrund der Asylpolitik der Bundesregierung erstmals seit Jahren ein Mitgliederzuwachs zu verzeichnen gewesen sei. Die Steigerungsrate habe etwa 8 % betragen. Hinsichtlich der regionalen Verteilung der Mitgliedschaft besteht eine überproportionale Konzentration in den neuen Bundesländern, in denen rund jedes dritte Mitglied der Antragsgegnerin wohnhaft ist.

849

Durch Schulungen und vergleichbare Maßnahmen versucht die Antragsgegnerin, ihre Anhänger für die politische Auseinandersetzung vorzubereiten. Der Antragsteller hat eine Reihe von Schulungsaktivitäten für Parteimitglieder dokumentiert, die teilweise weltanschaulich-inhaltlich ausgerichtet sind und teilweise Selbstverteidigungs- und Kampfsporttechniken zum Gegenstand haben. Dabei kommt dem 2005 gegründeten "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." besondere Bedeutung zu, dessen Vorsitzender der ehemalige Pressesprecher der Fraktion der Antragsgegnerin im Sächsischen Landtag, T., ist. Dieser beschreibt im Gespräch mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 7/2012, S. 3) das Bildungswerk als eine den Nationaldemokraten nahestehende politische Bildungsvereinigung.

850

bb) Die Antragsgegnerin ist im Europäischen Parlament mit einem Abgeordneten vertreten. Über Mandate auf Bundes- oder Landesebene verfügt sie nicht. Auf kommunaler Ebene gehören rund 350 Mandatsträger in 14 Ländern der Antragsgegnerin an. Der weit überwiegende Teil dieser Mandate entfällt dabei auf die neuen Länder.

851

cc) Die Öffentlichkeitsarbeit der Antragsgegnerin nutzt das gesamte Spektrum medialer Möglichkeiten. Zentrales Instrument ihrer Pressearbeit ist die "Deutsche Stimme Verlags GmbH", die die Parteizeitung "Deutsche Stimme" mit einer Auflagenhöhe von circa 25.000 Exemplaren herausgibt. Darüber hinaus verantwortet die Antragsgegnerin zahlreiche regionale Publikationen. Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern werden von ihr die ursprünglich aus dem neonazistischen Kameradschaftsspektrum stammenden "Boten" verteilt. Herausgegeben werden "De Meckelbörger Bote" von T. (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 2), "Der Anklamer Bote" von Michael Andrejewski (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 4) und W. (vgl. Ausgabe 1/2014, S. 4), "Der Insel Bote" von H. (vgl. Ausgabe 1/2012, S. 4) und "Der Uecker-Randow-Bote" von Tino Müller (vgl. Ausgabe 1/2013, S. 6).

852

Neben konventionellen Druckerzeugnissen nutzt die Antragsgegnerin intensiv das von ihr als "Weltnetz" bezeichnete Internet. Zur Bedeutung des Internets für die Arbeit der Antragsgegnerin schrieb A. 2011 in der Deutschen Stimme (Ausgabe 10-11/2011, S. 17), dass der Weltnetz-Aktivismus nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Die Information des Bürgers werde ebenso wie die Vernetzung von politisch Gleichdenkenden erleichtert. Gerade Jugendliche könnten auf diese Weise besser erreicht werden. Auch sei es im Weltnetz möglich, Anonymität zu wahren.

853

Mit "DS-TV" betreibt die Antragsgegnerin - auch unter dem Namen "offensiv.TV" - seit März 2009 einen professionellen Videokanal auf YouTube, der bisher rund 1.280.000 Mal aufgerufen wurde und 4.758 Abonnenten aufweist (Stand Oktober 2016). Die NPD Mecklenburg-Vorpommern ist seit Oktober 2010 mit "weiterdenken.tv" auf YouTube präsent. Dieser Kanal wurde bislang rund 779.000 Mal aufgerufen und hat 1.312 Abonnenten (Stand Oktober 2016).

854

dd) Die Antragsgegnerin behauptet, dass ihre politische Kampagnenfähigkeit durch erhebliche finanzielle Probleme eingeschränkt sei. Belege hierzu hat sie allerdings nicht vorgelegt. Der Rechenschaftsbericht für das Jahr 2013 weist 488.859,96 EUR (2014: 459.157,77 EUR) Mitgliedsbeiträge und knapp 804.000,- EUR (2014: 866.000,- EUR) Spenden aus, die zusammen rund 43,5 % (2014: 43,6 %) der Einnahmen der Gesamtpartei ausmachten (vgl. BTDrucks 18/4301, S. 109, BTDrucks 18/8475, S. 109).

855

b) Grundlage der politischen Arbeit der Antragsgegnerin ist ein geschlossenes strategisches Konzept, das sie als "Vier-Säulen-Strategie" bezeichnet und das der damalige Bundesvorsitzende Voigt auf dem Bundesparteitag der Antragsgegnerin am 30./31. Oktober 2004 in Leinefelde in seiner auf der Parteihomepage eingestellten Ansprache wie folgt beschrieb:

Der Kampf um die Köpfe

Der gerade erläuterte "Kampf um die Köpfe" wirkt sich in letzter Konsequenz auf jeder Ebene aus. Er führt beispielsweise dazu, daß Personen, denen die NPD bisher egal ist, eine gewisse Sympathie für die Ziele der NPD empfinden, wenn sie erst mit diesen vertraut gemacht werden. Wir haben in den letzten beiden Jahren bewußt verstärkt eine Personalisierung der Partei betrieben. Die Erkenntnis, daß Bürger keine drei Buchstaben oder bloße Programme wählen, sondern wissen wollen, wer dahinter steht, hat uns verstärkt mit eigenen "Köpfen" auf Plakaten werben lassen. Dies versetzt Personen, welche die NPD wählen und unterstützen in die Lage, in ihrem Umfeld mit "Köpfen", d.h. Repräsentanten besser Werbung für die Ziele der NPD zu machen. Daß dieser Weg richtig ist, beweisen die Diffamierungskampagnen der Medien nach den jüngsten Wahlerfolgen, die darauf abzielen, die von uns präsentierten "Köpfe" negativ darzustellen. […]

Der Kampf um die Straße

Der Kampf um die Straße führt u.a. gerade bei Jugendlichen dazu, sich wegen ihrer öffentlichen Aktivitäten an die NPD zu binden, sorgt aber auch im Rahmen des Kampfes um die Köpfe dafür, unsere Positionen zu verbreiten und vielfach die "Schweigespirale" zu durchbrechen! Er wird sicher auch weiterhin richtig und notwendig sein. Allerdings sollten wir hierbei auf Minidemonstrationen weitestgehend verzichten, bei denen der Gegner seine Überzahl allzu deutlich demonstrieren kann. Es ist sicherlich gut in einer kleinen Gemeinde oder Kleinstadt zu einem aktuellen Thema (Montagsdemo, Betriebsschließung, Kindermord usw.) eine Demonstration mit 100-250 Teilnehmern durchzuführen, doch wirkt diese Teilnehmerzahl in einer deutschen Großstadt eher lächerlich. […]

Der Kampf um die Parlamente

Im Kampf um die Parlamente geht es schließlich darum, so viele Menschen wie möglich zu bewegen, die NPD zu wählen, wobei mit entsprechender Wahlkampfführung wiederum alle Ebenen einbezogen werden. Unsere bisherigen Möglichkeiten erlaubten jedoch nur einen Erfolg bei Konzentration der Kräfte auf kommunaler Ebene, welche zudem durch bekannte Personen vor Ort verstärkt werden. Das Wahlergebnis zur Europawahl versetzte uns erstmalig in die Lage, die notwendigen finanziellen Mittel zu beschaffen, um unsere Wahlkampferfahrungen und Erkenntnisse auf Landesebene wirksam einsetzen zu können. Jetzt werden wir gemeinsam mit dem Bündnispartner DVU die Landtage erobern um dann 2006 gemeinsam in den Reichstag einzuziehen. Der erfolgreich eingeschlagene Weg wird unter meiner Führung fortgesetzt werden.

Der Kampf um den organisierten Willen

Der "Kampf um den organisierten Willen" gipfelt in der Erkenntnis, daß organisierter Wille Macht bedeutet. Mit dem "Leipziger Appell" begannen wir bereits kurz nach dem Ende des Verbotsverfahrens den Versuch der Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte. Das gute Abschneiden zur Europawahl ermöglichte, daß die Kontakte mit dem Vorsitzenden der Deutschen Volksunion, Dr. Gerhard Frey, intensiviert wurden. Das Ergebnis war dann die Wahlabsprache der NPD mit der DVU zugunsten der DVU in Brandenburg und zugunsten der NPD in Sachsen. Eine zwölfköpfige NPD-Fraktion in Sachsen und eine sechsköpfige DVU-Fraktion in Brandenburg sind hoffentlich nur der Anfang! Erfreulicherweise erfährt der "Kampf um den organisierten Willen" bereits nachhaltige Unterstützung aus den Reihen der Deutschen Partei, der Freien und ehemaliger Mitglieder der Republikaner. Wir hoffen, daß die Republikaner nach ihrem Bundesparteitag im November unsere ausgestreckte Hand nicht länger zurückschlagen werden. Schließlich geht es um mehr als Geld und Posten. Es geht um Volk und Vaterland.

856

c) Diese strategischen Vorgaben versucht die Antragsgegnerin planmäßig umzusetzen und dadurch auf die Verwirklichung ihres Konzepts einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und eines darauf gründenden "Nationalstaats" hinzuarbeiten.

857

aa) (1) Im Rahmen der ersten Säule dieser Strategie ("Kampf um die Köpfe") strebt sie an, durch "nationalrevolutionäre Graswurzelarbeit" und ein "Kümmerer-Image" ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu steigern. Dabei steht zunächst nicht die politische Botschaft im Vordergrund. Vielmehr soll Zustimmung zur Antragsgegnerin dadurch geschaffen werden, dass sie vor Ort als "Helfer" und "Kümmerer" auftritt und dabei vor allem die Interessen derjenigen vertritt, die (angeblich) vom Staat und den "etablierten Parteien" vergessen werden. Dies belegt ein mit Holger Apfel zu dessen Amtsantritt in der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2012, S. 3 f.) geführtes Interview, in dem er erklärte:

Es geht um eine zukunftsorientierte und volksnahe Ausrichtung der NPD. Es geht um die Profilierung als Kümmererpartei, um die Verständlichkeit unserer Botschaften und die Vermittlung von Identifikation. Wir dürfen keine Partei von Sektierern und keine Bürgerschrecktruppe sein, dürfen nicht durch Kleidung und Auftreten Selbstausgrenzung betreiben. Wir stehen für einen radikalen, an die Problemwurzel gehenden Politikwechsel, wir wollen volksnah und gegenwartsbezogen - dabei durchaus unkonventionell und frech - sein, dem medialen Zerrbild begegnen und so die Herzen unserer Landsleute gewinnen.

858

Ähnlich schreibt Jürgen Gansel in der Deutschen Stimme (Ausgabe 11/2012, S. 17):

Deshalb sind alle vernünftig auftretenden Nationalisten aufgefordert, sich in Sportvereinen, Elternvertretungen, Mietervereinen und Feuerwehren zu engagieren und sich darüberhinaus in Kneipen, Diskotheken und auf Stadtfesten zu zeigen.

859

Elemente dieser auf die Herstellung emotionaler Bindungen und gesellschaftlicher Verankerung angelegten Arbeit sind die Bereitschaft zur Übernahme kommunaler Ehrenämter, die Durchführung von Hartz-IV-Beratungen, die Veranstaltung von Kinderfesten und das Engagement auf Vereinsebene. Beispielhaft hierfür steht die Beteiligung der Antragsgegnerin an der Gründung des Sportvereins "Sportfreunde Griese Gegend e.V." in Lübtheen. Teil der Graswurzelarbeit ist die Einrichtung von Bürgerbüros, die als Ansprechpartner vor Ort und Anlaufstelle für alle national denkenden Menschen fungieren sollen.

860

(2) Nach Darstellung des Antragstellers verfolgt die Antragsgegnerin auf der Grundlage ihrer "Graswurzelpolitik" das Ziel der Herstellung kultureller Hegemonie in abgegrenzten Sozialräumen bis hin zur Schaffung sogenannter "national befreiter Zonen". Dazu erklärt das Mitglied des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern H. in einem Interview mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2008):

National befreite Zonen und Gebiete müssen daher in ihrer bereits bestehenden Infrastruktur fortwährend ausgebaut, gestärkt und gefestigt werden.

861

bb) Ziel des "Kampfes um die Straße" ist die Verbreitung und Durchsetzung der Ideologie der Antragsgegnerin. Dazu nutzt sie ihre medialen Möglichkeiten, die in Wahlkämpfen geführten Kampagnen und - soweit vorhanden - ihre parlamentarische Präsenz. Darüber hinaus versucht die Antragsgegnerin mit weiteren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten auf die politische Meinungsbildung einzuwirken und Zustimmung zu den von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Zielen zu gewinnen. Dabei richtet sie sich insbesondere an Jugendliche (1). Inhaltlicher Schwerpunkt sind die Asylproblematik (2) sowie sonstige gegen Migranten und Minderheiten gerichtete Aktivitäten (3). Im Rahmen der "Wortergreifungsstrategie" sucht die Antragsgegnerin die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner (4).

862

(1) Die Antragsgegnerin ist bestrebt, durch den Einsatz spezifisch jugend-orientierten Materials potentielle Wähler und Sympathisanten frühzeitig anzusprechen und mit ihren verfassungsfeindlichen Positionen vertraut zu machen.

863

Beispielsweise verteilte der Landesverband Berlin im Wahlkampf zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses 2011 auf Schulhöfen eine bewusst dafür gestaltete CD mit rechtsextremer Musik. Im Booklet der Schulhof-CD Berlin heißt es, dass sie vornehmlich an "Schülerinnen, Schüler und Erstwähler" gerichtet sei. Die CD wurde von der BPjM mit Beschluss vom 1. März 2012 (Entscheidung Nr. 5889, Bundesanzeiger Nr. 52) indiziert. Grund waren Textpassagen wie die Folgenden:

Die Knechtschaft hat ein Ende erst, wenn Stadt und Land befreit sind, Deutschland wieder deutsch ist, alles wieder Eins ist, vereint unter einem, dem Einen - es gibt keinen Zweiten wie ihn, für den in Reihe wir ziehen bis in die tiefsten Feindesgebiete.

Fast täglich werden in deutschen Haushalten Kinder von ihren Eltern vergewaltigt und missbraucht. Niemanden interessiert es. Nachbarn sehen weg, Jugendämter schalten sich erst ein, wenn alles zu spät ist. Weist die Pädophilen in ihre Schranken und das in allen Ländern. Todesstrafe für Kinderschänder.

Jetzt erkennst du das Problem: deine Haut ist viel zu hell, deine Augen blau, die Haare blond, bist intellektuell. Nach deinen Sätzen kommt kein "Alter", redest nicht im Türkenslang, schwörst nicht auf Allah, hast um dein' Hals kein Türkenkettchen hängen und deshalb hassen sie dich […]. Früher hat man so was [Schussgeräusch]! Jetzt toben sie sich bei uns aus, kriegen Zaster reingeschoben […], stechen junge Deutsche ab, während die Bullen danebenstehen und aus purer Angst so tun, als hätten sie nichts gesehen!

Dann wird sie schwanger, sagt der Kleine wär von dir, doch als das Baby dann zur Welt kommt, bist du etwas verwirrt. Schwarze Haare, braune Haut, dunkle Augen und erstaunt denkst du, der Kleine will dir jetzt schon auf die Fresse hauen. Das ist nicht dein Kind, das ist nur ein [Brechgeräusch], sie wird älter, kriminell und mit dem Messer in der Tasche geht sie dann auf Deutschenjagd. Aber hier und heute sag ich für jeden toten Deutschen [Schussgeräusch]!

864

Ähnliche Texte finden sich auf der ebenfalls von der BPjM indizierten Sampler-CD "Freiheit statt BRD" (Entscheidung Nr. VA 2/10 vom 8. September 2010, Bundesanzeiger Nr. 138), die seit dem 4. September 2010 vom Landesverband der Antragsgegnerin Mecklenburg-Vorpommern über das Internet und nach Angaben der Antragsgegnerin in einer ersten Auflage von 25.000 Stück kostenlos vor Schulhöfen verteilt worden ist.

865

Auch der Landesverband der JN Thüringen verteilte entsprechende Schulhof-CDs, wozu er am 18. August 2009 auf seiner Homepage mitteilte:

Die Musik ist der Zugang zur nationalen Jugendkultur, in welcher viele Jugendliche später politisiert werden und endlich beginnen, sich für ihr Land einzusetzen. Wir wollen die Thüringer Jugend mit unserer Jungwählerkampagne nicht nur dazu animieren, am 30. August national und damit Zukunft zu wählen, sondern aktiv ins Geschehen einzugreifen, hier zu bleiben und für Deutschland anzupacken.

866

Im Rahmen der - von Jürgen Gansel ausdrücklich unterstützten (vgl. Homepage des Landesverbands Sachsen, Beitrag vom 4. Juli 2014) - "Platzhirsch-Kampagne" des sächsischen JN-Landesverbands im Sommer 2014 besuchten JN-Mitglieder Schulen und verteilten dort Werbematerial. Parallel dazu wurde eine Publikation mit einer Auflage von 10.000 Stück unter dem Titel "Platzhirsch - Der Schülersprecher"an Jugendliche verteilt und im Internet zum Download angeboten. Im Zusammenhang mit dieser Publikation wurde der Staatsregierung und den "Antideutschen" ein auch über Facebook bekanntgemachtes "Zeugnis" ausgestellt, das für "Ausländerrückführung", "Sicherheit und Recht" sowie "Zukunftshoffnung" die Note 6 und unter anderem für "Schuldkult", "Falsche Toleranz", "Volkstod" und "Polizeiwillkür" die Note 1 vergibt.

867

(2) Schwerpunkt der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Antragsgegnerin ist die Asylthematik. Vertreter der Antragsgegnerin treten als Anmelder oder Organisatoren von Protestkundgebungen auf, die sich vor allem gegen Standortentscheidungen für Flüchtlingsunterkünfte richten (a). Hinzu kommen sonstige Aktionen, mit denen die Antragsgegnerin auf ihre Forderungen nach ersatzloser Streichung des Asylrechts, den Verzicht auf Integration und die Rückführung aller ethnisch Nichtdeutschen hinzuweisen sucht (b).

868

(a) (aa) Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragstellers wurden von der Antragsgegnerin im Jahr 2015 insgesamt 192 ihr unmittelbar zuzurechnende Veranstaltungen mit mehr als 20 Teilnehmern pro Veranstaltung und einer Gesamtzahl von 23.000 Teilnehmern durchgeführt. Hinzuzurechnen sind aus Sicht des Antragstellers weitere 95 Veranstaltungen mit einer Gesamtteilnehmerzahl von 20.000 Personen, da insbesondere Kundgebungen der MVGIDA und der THÜGIDA stark durch die Antragsgegnerin beeinflusst seien.

869

(bb) Die Aktivitäten der Antragsgegnerin sind vor allem auf Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern konzentriert. Beispielhaft für die gezielte Organisation von Protesten gegen die Standorte von Asylbewerberunterkünften in Sachsen stehen die durch das Kreistags- und Stadtratsmitglied der Antragsgegnerin T. angemeldeten "Abendspaziergänge" in Tröglitz, die durch den örtlichen Kreisvorsitzenden H. von Oktober 2013 bis Januar 2014 organisierten "Schneeberger Lichtelläufe" und die am 24. Juli 2015 in Dresden unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße" durchgeführte Kundgebung, in deren Nachgang es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam. Des Weiteren organisierte der Heidenauer Stadtrat R. die "Initiative Nein zum Heim", die an unterschiedlichen Orten in Sachsen Protestkundgebungen durchführte. Dazu zählte auch eine Demonstration am 21. August 2015 in Heidenau, bei der es anschließend zur Blockade einer Bundesstraße und gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, in deren Verlauf 31 Polizeibeamte verletzt wurden. Bei Demonstrationen in Rötha und Borna traten die Funktionsträger der Antragsgegnerin S., R. und T. als Redner auf. In Bautzen wandte die Antragsgegnerin sich mit Mahnwachen und Aufmärschen gegen die Nutzung eines Hotels als Flüchtlingsheim. Auch in Mecklenburg-Vorpommern wurden von ihr mehrere Anti-Asyl-Veranstaltungen durchgeführt. Dazu zählen Demonstrationen, Fackelmärsche und Mahnwachen in Güstrow, die von den Funktionsträger der Antragsgegnerin M. und K. gesteuert wurden.

870

(b) Neben Protestkundgebungen gehören Besuche von Asyleinrichtungen durch Landtagsabgeordnete und Stadträte der Antragsgegnerin sowie die in Mecklenburg-Vorpommern in der Zeit von 2013 bis 2015 jährlich durch die ehemalige Landtagsfraktion der Antragsgegnerin veranstalteten Kundgebungstouren zur Asylpolitik zu denjenigen Maßnahmen, mit denen die Antragsgegnerin versucht, das Thema Asyl für ihre Zwecke zu nutzen.

871

(3) Ergänzt wird die asylfeindliche Agitation der Antragsgegnerin durch weitere gegen Migranten und Minderheiten gerichtete Aktivitäten. Hierzu gehören die bereits geschilderten Rückkehraufforderungen an Politiker mit Migrationshintergrund in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 sowie im thüringischen Landtagswahlkampf 2009 (vgl. Rn. 682 ff.), die Plakatkampagne "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma", das Aufstellen eines - Udo Voigt auf einem Motorrad abbildenden - Wahlplakats mit dem Slogan "Gas geben" unter anderem vor dem jüdischen Museum in Berlin und der Protest gegen die Errichtung einer Moschee in Leipzig-Gohlis unter dem Motto "Maria statt Scharia - Islamisierung und Überfremdung stoppen".

872

(4) Der Versuch der Verbreitung der politischen Ideologie der Antragsgegnerin findet auf der Basis der sogenannten "Wortergreifungsstrategie" (vgl. Rn. 62 und 320) auch in der direkten Konfrontation mit politischen Wettbewerbern statt. So entrollten bei einer DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar Angehörige der JN trotz eines Platzverweises Transparente, verteilten Flugblätter und bemächtigten sich des Mikrofons, was zu tätlichen Auseinandersetzungen führte. Letzteres war auch der Fall am 6. Juli 2015, als unter der Führung des Kreisverbandsvorsitzenden Aschaffenburg S. bei einer Informationsveranstaltung über die anstehende Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach dazwischen gerufen, ein Banner mit der Aufschrift "Schluss mit der Flüchtlingslüge" entrollt und versucht wurde, Flyer mit der Aufschrift "Asylbetrug macht uns arm" zu verteilen. Weiterhin verteilten bei dem von einer Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus am 18. September 2010 in Lübtheen veranstalteten "Lindenfest" die Funktionäre Pastörs, T. (Stadtratsmitglied und früherer stellvertretender Leiter des Bundesordnungsdienstes der Antragsgegnerin) und K. (Landesgeschäftsführer der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern) Flugblätter und ließen NPD-Ballons aufsteigen. In Berlin-Schöneiche traten Anhänger der Antragsgegnerin in den Jahren 2007 bis 2009 bei dort stattfindenden jüdischen Festen auf. Zum "Besuch" des Laubhüttenfests am 5. Oktober 2007 erklärte die NPD Barnim auf ihrer Homepage:

Wir Nationaldemokraten haben es uns zum Ziel gesetzt, die deutsche Kultur zu fördern. Deshalb werden wir zukünftig bei solchen Veranstaltungen Gesicht und NPD-T-Hemd zeigen, um eine Diskussion mit den Teilnehmern über deutsche Kultur zu fördern. An diesem Beispiel sehen Sie, wo falsch verstandene Toleranz hinführt. Toleranz heißt Duldsamkeit. Heute erdulden wir das Laubhüttenfest und morgen gibt es gar keine deutschen Feste mehr.

873

cc) Auch den "Kampf um die Parlamente" nutzt die Antragsgegnerin, um mit Wahlkampagnen und parlamentarischer Arbeit für ihre verfassungsfeindlichen Ziele einzutreten und auf deren Verwirklichung hinzuarbeiten. Sie ist im Hinblick auf ihr instrumentelles Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie um ein möglichst hohes Maß an Präsenz in Parlamenten bemüht und nimmt daher regelmäßig an Wahlen auf den unterschiedlichen politischen Ebenen teil. Lediglich bei Kommunalwahlen ist dies - insbesondere in den alten Bundesländern - nicht flächendeckend der Fall.

874

Soweit es der Antragsgegnerin gelingt, parlamentarische Mandate zu erringen, nutzt sie diese (vgl. bereits Rn. 773), um ihren verfassungswidrigen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Dabei greift sie auch auf symbolische Handlungen zurück. So blieben die Mitglieder der ehemaligen NPD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern einer Gedenkminute für die Opfer des Nationalsozialismus am 30. Januar 2013 im Landtag fern und verließen den Plenarsaal, als der Landtag im Dezember 2012 der Mordopfer der NSU-Terrorzelle gedenken wollte. Dass die Antragsgegnerin die Teilnahme an Gedenkveranstaltungen als rechtlich bedeutungslos qualifiziert, ändert nichts daran, dass dieses Verhalten ihre Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus und ihre Missachtung der Opfer rechtsterroristischer Gewaltakte zutage treten lässt. Auch die vorgelegte Auflistung verfassungskonformer Beschlussanträge steht der Nutzung parlamentarischer Handlungsmöglichkeiten zur Verbreitung des politischen Konzepts der Antragsgegnerin nicht entgegen, da sie ein Abrücken von deren verfassungsfeindlichen Zielen nicht erkennen lässt.

875

Vertreter der Antragsgegnerin waren häufig von parlamentarischen Ordnungsmaßnahmen betroffen. Im 4. Sächsischen Landtag wurden gegen die Fraktion der Antragsgegnerin 58 der insgesamt 64 sitzungsleitenden Maßnahmen verhängt. Nach unbestrittener Auskunft der Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung betrafen in der 5. Wahlperiode (2006 bis 2011) 708 von 849 Ordnungsmaßnahmen Mitglieder der Fraktion der Antragsgegnerin. In der 6. Wahlperiode seien bis zum Termin der mündlichen Verhandlung 432 Ordnungsmaßnahmen verhängt worden, 382 davon hätten Mitglieder der Fraktion der Antragsgegnerin betroffen. Abgeordnete der Antragsgegnerin hätten insgesamt in 50 Fällen Einspruch erhoben. Alle Einsprüche seien vom Plenum abgewiesen worden. Nur in elf Fällen habe die Fraktion der Antragsgegnerin ein Verfahren vor dem Landesverfassungsgericht angestrengt. Lediglich in vier Fällen sei die Ordnungsmaßnahme als Verstoß gegen das Rederecht des Abgeordneten gewertet worden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin übersteigt daher die Anzahl der gegen ihre Abgeordneten ergangenen Ordnungsmaßnahmen das ansonsten übliche parlamentarische Maß und belegt jedenfalls die Bereitschaft, die parlamentarische Auseinandersetzung in aggressiver Weise zu führen.

876

Schließlich nutzt die Antragsgegnerin die mit der parlamentarischen Präsenz verbundenen finanziellen Ressourcen zur Intensivierung ihrer Verbindungen in das nicht parteigebundene rechtsextreme Spektrum. Nach dem unbestrittenen Vortrag des Antragstellers wurden seit 2004 zumindest 87 Personen als Mitarbeiter beziehungsweise Praktikanten der ehemaligen Landtagsfraktionen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, der einzelnen ehemaligen Landtagsabgeordneten der Partei sowie des Europaabgeordneten Udo Voigt beschäftigt. Bei insgesamt 37 dieser Personen liegt eine vorherige oder gleichzeitige Verbindung zu neonazistischen Organisationen vor.

877

dd) Im Rahmen des "Kampfes um den organisierten Willen" strebt die Antragsgegnerin ausgehend von bereits bestehenden personellen Verflechtungen (1) die Bildung einer "umfassenden nationalen Oppositionsbewegung" unter ihrer Führung an (2). Dem dienen regional unterschiedlich ausgeprägte Kooperationen mit der parteiungebundenen rechtsextremen Szene und die Bereitschaft zur Integration eintrittswilliger Mitglieder dieser Szene in die Antragsgegnerin (3). Zugleich bemüht sie sich um Kooperation und Einflussnahme auf die gegen eine angebliche "Islamisierung des Abendlandes" gerichteten Bewegungen (4).

878

(1) Auf den Führungsebenen der Antragsgegnerin sind in erheblichem Umfang Personen vertreten, die verbotenen rechtsextremen Organisationen angehörten. Dies gilt bereits für vier Angehörige des siebenköpfigen Parteipräsidiums, denen eine frühere Mitgliedschaft in neonazistischen Vereinigungen nachgewiesen werden kann: der am 22. Oktober 2016 verstorbene Frank Schwerdt ("Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." ), Stefan Köster ("Heimattreue deutsche Jugend e.V." und HNG), Klaus Beier ("Deutsche Alternative" ) und Sebastian Schmidtke (HNG). Frank Schwerdt und Andreas Storr waren außerdem führende Mitglieder des Vereins "Die Nationalen e.V.". Von den weiteren zehn gewählten Parteivorstandsmitgliedern war jedenfalls Jens Pühse ("Nationalistische Front" ) Mitglied in einer neonazistischen Vereinigung. Im 2010 gewählten Bundesvorstand galt dies für fünf Personen: Klaus Beier (DA), Jens Pühse (NF), Manfred Börm in der "Wiking-Jugend", Thomas Wulff (FAP, NL, HNG) und Thorsten Heise (FAP).

879

Der 1995 verbotenen FAP gehörten neben den bereits Genannten die Funktionäre der Antragsgegnerin B. und B. an. Mitglied der 2009 verbotenen HDJ waren außer Stefan Köster und Manfred Börm auch die Funktionsträger H., B., F., B., G., K., P., T. und P. Der 2011 verbotenen HNG gehörten außer den bereits Genannten H., David Petereit, S., R., D., J., Uwe Meenen, Safet Babic, H., L., P., S., C., D., K., W., W., B., M. und W. an.

880

Auch die früheren Landtagsabgeordneten der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern sind eng mit der neonazistischen Szene verbunden. Der ehemalige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Tino Müller war Mitglied der verbotenen HDJ und hat Führungsfunktionen im rechtsextremistischen "Kulturkreis Pommern" sowie im Kameradschaftsnetzwerk "Soziales und Nationales Bündnis Pommern" übernommen. Das ehemalige Fraktionsmitglied David Petereit gehörte nicht nur der HDJ und der HNG an, sondern betreibt den Szene-Versandhandel "Levensboom" und verantwortete - bis zu dessen Einstellung - den rechtsextremistischen Internetauftritt www.mupinfo.de.

881

(2) Hiervon ausgehend verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel einer "Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte".

882

Zu diesem "Volksfrontkonzept" der Antragsgegnerin äußerte sich der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Claus Cremer im Dezember 2010 auf der Homepage seines Landesverbands:

Doch nicht nur der Zusammenschluss mit der DVU oder die kommenden Wahlen werden zeigen, wie der Weg des nationalen Widerstandes in Zukunft weiter geht. Dies wäre zu kurzfristig gedacht und ausschließlich auf den parlamentarischen Flügel ausgerichtet, was einer umfassenden nationalen Oppositionsbewegung nicht gerecht wird. Ebenso wichtig wie der Weg hin zur nationalen Einheitspartei ist auch die weitere Zusammenarbeit mit den parteiungebundenen Kräften und die Stärkung der diversen Vorfeldorganisationen, denn nur gemeinsam werden wir dazu in der Lage sein, in den verschiedenen Lebensbereichen auch Akzente zu setzen.

883

Udo Pastörs sagte in seiner auf der Homepage der Antragsgegnerin eingestellten Ansprache auf dem Bundesparteitag 2008 in Bamberg:

Die NPD steht weiterhin zum Schulterschluß mit allen parteiunabhängigen Nationalisten, die ihrerseits zu einer konstruktiv-partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der NPD bereit sind. Viele gemeinsam gestaltete Aktionen mit parteifreien Kräften, aber auch übernommene Führungsverantwortung durch ehemals parteifreie Aktivisten innerhalb der NPD zeigen, daß es der NPD ernst ist mit der Einbindung und der Zusammenarbeit mit freien Nationalisten.

884

Die Bedeutung der Einbindung "Freier Kameradschaften" - auch durch die Vergabe von Parteiämtern - stellte Pastörs in einem am 14. November 2011 auf der Homepage des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern eingestellten Gespräch erneut heraus:

Für mich sind die freien Kameradschaften unabdingbarer Teil des gesamten nationalen Widerstandes. Es ist wichtig für die neue Parteiführung, den freien Strukturen klare Parteipositionen aufzuzeigen, die als Grundlage einer zukünftigen Zusammenarbeit gelten sollen. Das ist wichtig, damit die freien Strukturen wissen, woran sie sind. Freie Strukturen sind auch deshalb so wichtig, weil sie viel schneller und kreativer auf politische Ereignisse reagieren können, als ein doch viel schwerfälligerer Parteiapparat.

885

(3) Auf dieser Grundlage bemüht sich die Antragsgegnerin um eine Intensivierung ihrer Kontakte und der Zusammenarbeit mit dem parteiungebundenen rechten Spektrum.

886

(a) In Sachsen kommt dabei den JN besondere Bedeutung zu. Diese haben im Landkreis Nordsachsen und im Landkreis Leipzig im Jahr 2009 gezielt vier Stützpunkte errichtet, die nach einer Mitteilung auf der Internetseite der NPD-Nordsachsen (Abruf am 24. November 2009) eine Bindegliedfunktion zur Neonazi-Szene einnehmen sollen:

Die vier Stützpunktleiter bündeln nun nationale Kräfte, die bisher als Kameradschaften oder Einzelpersonen eher nebeneinander als miteinander politisch gearbeitet haben, und formen sie zu einer jugendlichen Gesinnungs- und Tatgemeinschaft unter dem Dach der NPD.

887

Die Vernetzung der JN Sachsen mit der neonazistischen Szene manifestierte sich in dem Parteieintritt der Führungskraft der "Freien Kräfte Dresden" M. und seiner Anhänger in den JN-Landesverband. Element der Zusammenarbeit sind gemeinsame Konzertveranstaltungen, wie zum Beispiel beim "JN-Sachsentag" im Juni 2010. Auf dieser JN-Veranstaltung mit etwa 400 Teilnehmern traten - wie sich aus einem Bericht auf der Homepage des JN-Bundesvorstands ergibt - zum einen Redner der Antragsgegnerin, der JN sowie der "Freien Kräfte" auf, zum anderen spielten rechtsextreme Musikgruppen wie "Last Pride", "Barbaren", "Conflict", "Brutal Attack" und "Frontalkraft". Weiteres Beispiel ist die Demonstration von "freien Kräften" mit dem Thema "Recht auf Zukunft" am 17. Oktober 2009 in Leipzig, deren "Demoaufruf" vom Landesverband Sachsen auf seiner Homepage am 6. Oktober 2009 mit dem Kommentar abgedruckt wurde, dass er diese Demonstration unterstütze. In dem Aufruf wird "völkisches Leben" und ein "Volksrecht" gefordert sowie zum Kampf für die neue Ordnung aufgerufen. Der Aufruf endet mit den Worten "Nationaler Sozialismus jetzt!". Auch der Bundesvorstand der JN unterstützte die Kampagne und schrieb anschließend auf seiner Homepage (Abruf am 21. Oktober 2009):

Im Vorfeld der Demonstration stand eine groß angelegte Mobilisierungskampagne mit nur einem Ziel, nämlich alle Strömungen des Nationalen Widerstandes zu vereinen. Bei uns zählten nicht Bezeichnungen wie Junge Nationaldemokraten, Freie Kräfte, völkische Deutsche oder Autonome Nationalisten, unser Ziel war es so viel wie möglich Nationale Sozialisten zu bündeln und das gelang uns definitiv.

888

Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf verweist, die Aufnahme vorbestrafter Jugendlicher aus der rechtsextremen Szene diene deren Resozialisierung und ihrer Integration in den demokratischen Prozess, steht dem entgegen, dass die Antragsgegnerin die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen will und daher von der behaupteten "Entradikalisierung der in die Partei integrierten Neonazis" nicht ausgegangen werden kann. Der Feststellung, dass die Antragsgegnerin bemüht ist, rechtsextreme Netzwerke unter ihrer Führung im Sinne des "Kampfes um den organisierten Willen" zu bilden, steht diese Einlassung im Übrigen nicht entgegen.

889

(b) (aa) Insbesondere in Mecklenburg-Vorpommern beurteilt die Antragsgegnerin ihre Zusammenarbeit mit parteiungebundenen Kräften der rechtsextremen Szene als erfolgreich. So erklärte Udo Pastörs auf der Homepage des Landesverbands (eingestellt am 14. November 2014):

Ja, es ist richtig. Bei uns hier in Mecklenburg-Vorpommern funktioniert das Ganze geräuschlos nach Innen und mit großer Propagandawirkung, nicht nur bei Wahlkämpfen, auch nach Außen.

890

Auch Stefan Köster bekannte sich als Landesvorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern im Gespräch mit der Deutschen Stimme (Ausgabe 1/2008, S. 3) zur Zusammenarbeit mit anderen "nationalen Aktivisten":

Die Kameraden in Mecklenburg und Pommern haben etwas vollzogen, was Vorbildfunktion hat. Alle wesentlichen und zuverlässigen nationalen Aktivisten haben unseren Wahlkampf getragen. Unsere Landesliste war (und ist) das beste Beispiel für ein gutes Miteinander Volkstreuer.

891

(bb) Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Antragsgegnerin und rechtsextremen Gruppen findet im Raum Waren (Müritz) statt. Die Stadtvertreterin der Antragsgegnerin Z. führte mehrere Veranstaltungen mit den "Nationalen Sozialisten Müritz" durch. So trat sie bei einer "Mahnwache gegen Kinderschänder" - laut behördlichem und unbestritten gebliebenem Informationsschreiben vom 3. Oktober 2014 - mit vier Personen der rechtsextremen Szene auf.

892

(cc) Zu einem "Fackelmarsch gegen Asylmissbrauch" im November 2012 in Wolgast riefen die Antragsgegnerin, die JN und die "Nationalen Sozialisten Mecklenburg und Pommern" gemeinsam auf, wie ein Plakat auf www.mupinfo.de (Abruf am 1. November 2012) belegt. Die "Nationalen Sozialisten Rostock" äußerten sich mit Blick auf Demonstrationen im Jahr 2011 auf www.info-rostock.org am 6. Oktober 2011 wie folgt:

Hat man jedoch einen Partner wie die NPD-MV an seiner Seite, die das komplette Demo-Know-How, von Lautsprecherwagen, Ordnerdienst bis zum Informationsmaterial mitbringt, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. [...] Während die Parteistrukturen also für landesweite Mobilisierung und das nötige drumherum am Demotag sorgten, konnten wir für ständige Präsenz in unserer Heimatstadt sorgen. Im gesamten Stadtgebiet wurden Plakate verklebt, Flugblattverteilungen fanden an belebten Orten statt und die flächendeckende Verteilung von Infomaterial wurde gewährleistet.

893

(c) Weitere Beispiele des Kooperationsstrebens der Antragsgegnerin mit rechtsextremen Organisationen sind die Vergabe des "Widerstandspreises" der Deutschen Stimme am 1./2. Juli 2011 an drei Initiativen des "parteiungebundenen nationalen Lagers" und die vom bayerischen Staatsminister des Innern in der mündlichen Verhandlung geschilderte Veranstaltung unter dem Motto "Schluss mit dem Asylwahnsinn. Wir sind das Volk", die im September 2015 am Hauptbahnhof in München stattfand. Die Unterstützung der Antragsgegnerin durch parteiungebundene Kräfte im Kommunalwahlkampf 2009 in Sachsen-Anhalt dokumentiert die Äußerung des dortigen Landesvorsitzenden Matthias Heyder auf der Internetseite www.npd-ins-rathaus.de (Abruf am 16. April 2009):

In gelebter Kameradschaft zwischen NPD-Mitgliedern, freien Nationalisten und den äußerst engagierten Mitgliedern der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), gelang es der nationalen Bewegung in Sachsen-Anhalt in den vergangenen Wochen mehr als 3.000 Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zu den bevorstehenden Kommunalwahlen zu sammeln.

894

(4) Die Antragsgegnerin strebt außerdem an, als relevanter Teil der Proteste gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes" wahrgenommen zu werden, da es sich nach ihrer Auffassung um eine ihr ideologisch nahestehende Bewegung handelt. So formuliert Holger Szymanski in der Deutschen Stimme (Ausgabe 2/2015, S. 11):

Während sich die Spitzen von PEGIDA noch nicht trauen, Kontakte mit der NPD zu pflegen, sieht das andernorts schon ganz anders aus. […] Immer wieder erleben wir das Phänomen, dass die Bürger Positionen vertreten, die mit denen der NPD übereinstimmen, diese Menschen aber bisher gar keine Kenntnis davon haben, was die NPD eigentlich vertritt.

895

Entsprechend hat die Antragsgegnerin regelmäßig zur Teilnahme an Kundgebungen der sogenannten "GIDA-Bewegung" aufgerufen, ihre Unterstützung der Proteste angeboten und Präsenz zu zeigen versucht. In Dresden unterstützte sie darüber hinaus die Kandidatur der PEGIDA-Kandidatin bei der Oberbürgermeisterwahl am 7. Juni 2015. Die in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführten Demonstrationen der MVGIDA waren stark durch den Landesverband der Antragsgegnerin beeinflusst. Ebenso kam dem Mitglied des Landesvorstands des Landesverbands Thüringen der Antragsgegnerin K. bei den Veranstaltungen der THÜGIDA eine maßgebliche Rolle zu.

896

2. Auch wenn die Antragsgegnerin sich nach alledem zu ihren verfassungsfeindlichen Zielen bekennt und planmäßig auf deren Verwirklichung hinarbeitet, erreicht ihr Handeln nicht die Qualität einer Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des "Darauf Ausgehens" (Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG). Es fehlen hinreichende Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen. Weder steht eine erfolgreiche Durchsetzung dieser Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht (a), noch ist der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der Antragsgegnerin zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar (b).

897

a) Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen. Im parlamentarischen Bereich verfügt die Antragsgegnerin weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen (aa). Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln außerhalb des parlamentarischen Handelns besteht in absehbarer Zeit für die Antragsgegnerin keine Möglichkeit erfolgreicher Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele (bb).

898

aa) Parlamentarische Mehrheiten zur Durchsetzung ihres politischen Konzepts sind für die Antragsgegnerin gegenwärtig weder durch Wahlen noch im Wege der Koalitionsbildung erreichbar.

899

(1) Auf überregionaler Ebene ist sie gegenwärtig lediglich mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Soweit sie in der Vergangenheit in den Landesparlamenten mehrerer alter Länder, Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns vertreten war, ist ihr eine Verstetigung ihrer parlamentarischen Präsenz nicht gelungen (vgl. bereits Rn. 2 ff.).

900

Die Wahlergebnisse bei Europa- und Bundestagswahlen stagnieren auf sehr niedrigem Niveau. Bei der letzten Bundestagswahl 2013 erzielte die Antragsgegnerin nach 1,6 % bei der Bundestagswahl 2005 und 1,5 % bei der Bundestagswahl 2009 ein Ergebnis von 1,3 % der abgegebenen gültigen Zweitstimmen. Die Antragsgegnerin war nie im Bundestag vertreten, vor den drei genannten Bundestagswahlen lag ihr Zweitstimmenanteil mehr als 30 Jahre lang bei deutlich unter 1 %. Bei der Europawahl 2014 erreichte sie ein Wahlergebnis von 1 % der abgegebenen gültigen Stimmen und ist damit erstmals mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten.

901

In den alten Ländern schwankten die Wahlergebnisse der Antragsgegnerin bei der jeweils letzten Landtagswahl zwischen 1,2 % (Saarland) und 0,2 % (Bremen) der abgegebenen gültigen Stimmen. Trotz des bereits niedrigen Niveaus musste sie bei den Landtagswahlen des Jahres 2016 weitere Stimmenverluste hinnehmen, die in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg durch Verluste von jeweils 0,6 Prozentpunkten zu einer Reduzierung ihres Stimmenanteils um mehr als die Hälfte führten. Auch bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin erzielte die Antragsgegnerin 2016 nur noch 0,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen und verlor damit im Vergleich zur Wahl von 2011 (2,1 % der abgegebenen gültigen Stimmen) 1,5 Prozentpunkte.

902

In den neuen Ländern ist ebenfalls - ausgehend von einem höheren Niveau - ein Rückgang der Ergebnisse der Antragsgegnerin bei Landtagswahlen festzustellen. In Sachsen reduzierte sich das Wahlergebnis der Antragsgegnerin von 9,2 % bei der Landtagswahl 2004 über 5,6 % bei der Landtagswahl 2009 auf 4,9 % bei der Landtagswahl 2014. In Sachsen-Anhalt verlor die Antragsgegnerin mit einem Wahlergebnis von 1,9 % der abgegebenen gültigen Stimmen bei der Landtagswahl 2016 im Vergleich zur Landtagswahl 2011 (4,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen) mehr als die Hälfte ihrer Wähler. In Mecklenburg-Vorpommern erzielte die Antragsgegnerin bei der Landtagswahl 2006 ein Ergebnis von 7,3 %, bei der Landtagswahl 2011 von 6,0 % und bei der Landtagswahl 2016 von nur noch 3,0 % der abgegebenen gültigen Stimmen.

903

Die Antragsgegnerin hat es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein. Anhaltspunkte für eine künftige Veränderung dieser Entwicklung liegen nicht vor. Hinzu kommt, dass die sonstigen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene vertretenen Parteien zu Koalitionen oder auch nur punktuellen Kooperationen mit der Antragsgegnerin bisher nicht bereit sind. Parlamentarische Mehrheiten für die Antragsgegnerin sind daher auf der Ebene des Europäischen Parlaments, des Bundestages und der Landtage auf absehbare Zeit ausgeschlossen.

904

(2) Etwas anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht für die kommunale Ebene. Selbst wenn die Antragsgegnerin bundesweit über etwa 350 kommunale Mandate verfügt und die Schwankungsbreite ihrer Kommunalwahlergebnisse im Vergleich zu überregionalen Wahlen deutlich höher ausfällt, ist sie von relevanten politischen Gestaltungsmöglichkeiten sehr weit entfernt. Dafür spricht bereits der Umstand, dass sich angesichts einer geschätzten Gesamtzahl von mehr als 200.000 Kommunalmandaten der Anteil der Antragsgegnerin bundesweit lediglich im Promillebereich bewegt.

905

Auch eine einzelfallbezogene Betrachtung führt nicht zu einer abweichenden Bewertung: Besonders schwach stellt sich die Vertretung der Antragsgegnerin auf kommunaler Ebene in den alten Ländern dar, auf die lediglich rund ein Fünftel der von ihr gehaltenen Kommunalmandate entfällt. Die geringe Präsenz der Antragsgegnerin wurde in der mündlichen Verhandlung durch den Hinweis des bayerischen Staatsministers des Innern bestätigt, dass die Antragsgegnerin bei den letzten bayerischen Kommunalwahlen lediglich in zwei bayerischen Städten mit jeweils einer Tarnliste angetreten sei. Anhaltspunkte für eine Veränderung dieser Situation sind nicht erkennbar. Zwar erzielte die Antragsgegnerin bei der hessischen Kommunalwahl am 6. März 2016 in einzelnen hessischen Gemeinden (möglicherweise begünstigt durch das jeweilige Nichtantreten der Partei "Alternative für Deutschland" ) zweistellige Wahlergebnisse (Leun 11,2 %, Büdingen 10,2 %, Altenstadt 10,0 %). Insgesamt ging der Stimmenanteil der Antragsgegnerin aber im Vergleich zur hessischen Kommunalwahl 2011 von 0,4 % auf 0,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen zurück. Bei der Kommunalwahl 2016 in Niedersachsen lag der Stimmenanteil bei 0,1 %. Soweit die Antragsgegnerin überhaupt in Kommunalparlamenten vertreten ist, stellt sie regelmäßig lediglich einen oder zwei Abgeordnete. Eigenständige Gestaltungsmöglichkeiten sind insoweit nicht gegeben. Auch über Kooperations- oder Koalitionsoptionen verfügt sie in den Kommunalparlamenten der alten Länder nicht.

906

In den neuen Ländern ist ein bestimmender Einfluss der Antragsgegnerin auf die politische Willensbildung in den kommunalen Vertretungskörperschaften ebenfalls weder gegeben noch zukünftig zu erwarten. Dies gilt selbst mit Blick auf die vom Antragsteller besonders hervorgehobenen Kommunen, in denen die Antragsgegnerin bei den Kommunalwahlen 2014 in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern deutlich überproportionale Wahlergebnisse bis hin zu 27,2 % der abgegebenen gültigen Stimmen in Blesewitz, 21 % in Neuenkirchen, 17,6 % in Groß Krams und 20,5 % in Reinhardtsdorf-Schöna erzielt hat.

907

Die ganz überwiegende Zahl der zitierten Gemeinden hat eine geringe vierstellige, zum Teil sogar nur dreistellige Einwohnerzahl (Blesewitz: 235 Einwohner, Neuenkirchen bei Anklam: 228 Einwohner, Groß Krams: 164 Einwohner , Reinhardtsdorf-Schöna: 1.358 Einwohner ), weshalb die hohen Ergebnisse im Einzelfall noch nicht einmal für einen Sitz der Antragsgegnerin in der betreffenden Gemeindevertretung ausgereicht haben. Anders als vom Antragsteller behauptet, kann auch in der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna angesichts der zwei Mandate der Antragsgegnerin im zwölf Sitze umfassenden Gemeinderat zumindest im Kommunalparlament nicht von einer "rechten Vorherrschaft" gesprochen werden. Auf der jeweiligen Kreisebene hat die Antragsgegnerin 2014 nirgendwo mehr als 7 % der Stimmen erzielt. Im Kreis Vorpommern-Greifswald, in dem die Mehrzahl der seitens des Antragstellers exemplarisch aufgeführten Gemeinden liegt, hat die Antragsgegnerin deutliche Verluste hinnehmen müssen und lediglich ein Ergebnis von 6,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht (vgl. Eckert/Müller, in: Nestler/Scheele , Die Kommunalwahlen 2014 in Mecklenburg-Vorpommern, S. 78 f.).

908

Insgesamt kann im Vergleich der letzten beiden Kommunalwahlen auch in den neuen Ländern ein positiver Trend zugunsten der Antragsgegnerin nicht festgestellt werden. Lediglich in Brandenburg ist es ihr bei den Kommunalwahlen 2014 auf Kreisebene gelungen, die Zahl ihrer Mandate von 16 auf 20 zu steigern. In den übrigen Bundesländern hat sie Mandate verloren. Dies gilt auch für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie auf Kreisebene bei den Kommunalwahlen 2014 jeweils neun Sitze abgegeben hat.

909

Über eigene Gestaltungsmehrheiten verfügt die Antragsgegnerin in den Kommunalparlamenten der neuen Länder mithin nicht. Anhaltspunkte für eine gegenteilige Prognose sind nicht erkennbar. Ferner stehen ihr Koalitionsoptionen ebenso wenig wie in den alten Ländern zur Verfügung. Diese Einschätzung wird auch nicht erschüttert durch den Hinweis des Antragstellers auf die Wahl der Gemeindevertreterin der Antragsgegnerin Z. zur stellvertretenden Stadtpräsidentin mit drei Ja-Stimmen und drei Enthaltungen sowie die in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten beschriebenen drei Fälle der Wahl von Kommunalvertretern der Antragsgegnerin in Ausschüsse der jeweiligen Kommunalparlamente (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 24) nicht entgegen. Es handelt sich insoweit um sehr vereinzelte Personalentscheidungen, die den Rückschluss auf weitere Zusammenarbeitsmöglichkeiten und eine Unterstützung der von der Antragsgegnerin verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht erlauben. Die von dem Sachverständigen Prof. Borstel in diesem Zusammenhang beschriebenen "Normalisierungserfolge" der Antragsgegnerin betreffen im Übrigen lediglich den persönlichen Umgang der Kommunalvertreter untereinander (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 24) und vermögen daher die Annahme inhaltlicher Kooperationsbereitschaft ebenfalls nicht zu begründen.

910

bb) Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung des auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichteten Konzepts der Antragsgegnerin mit demokratischen Mitteln jenseits der parlamentarischen Ebene möglich erscheinen lassen, liegen ebenfalls nicht vor. Vielmehr stehen einer nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die Antragsgegnerin deren niedriger und tendenziell rückläufiger Organisationsgrad (1) sowie ihre eingeschränkte Kampagnenfähigkeit und geringe Wirkkraft in die Gesellschaft (2) entgegen. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin in der Lage ist, diese Defizite durch die Bildung rechtsextremer Netzwerke oder auf anderem Wege zu kompensieren (3).

911

(1) Der Mitgliederbestand der Antragsgegnerin hat sich im Vergleich zu seinem Höchststand im Jahr 1969 mit 28.000 Mitgliedern deutlich reduziert. Zeitlich begrenzte Erholungsphasen ändern an der Grundtendenz rückläufiger Mitgliederzahlen nichts. Weder die Fusion der Antragsgegnerin mit der Deutschen Volksunion (DVU) noch die Öffnung zur Kameradschaftsszene und die Gründung eigener Landesverbände in den neuen Ländern vermochten den Mitgliederrückgang dauerhaft zu stoppen. Ende 2013 verfügte die Antragsgegnerin ausweislich ihres Rechenschaftsberichts nur noch über 5.048 Mitglieder, Ende 2014 über 5.066 Mitglieder. Soweit ihr Vorsitzender in der mündlichen Verhandlung auf einen einmaligen Mitgliederzuwachs in einer Größenordnung von 8 % in der jüngeren Vergangenheit hinwies, sah er die Ursache dafür in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Eine Gesamtzahl von weniger als 6.000 Mitgliedern führt zu einer erheblichen Beschränkung der Aktionsmöglichkeiten der Antragsgegnerin.

912

(2) Einer erfolgreichen Beteiligung der Antragsgegnerin an der politischen Willensbildung stehen deren eingeschränkter Mobilisierungsgrad (a) und ihre geringe Wirkkraft in die Gesellschaft (b) entgegen.

913

(a) Der Verfassungsschutzbericht des Bundes für das Jahr 2014 stellt eine anhaltende Krise der Antragsgegnerin fest. Obwohl sie weiterhin die wirkmächtigste rechtsextreme Partei sei, leide sie unter innerparteilichen Querelen, sinkenden Mitgliederzahlen, ungelösten strategischen Fragen, finanziellen Problemen und dem anhängigen Verbotsverfahren (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 40 ff.).

914

Insbesondere in den alten Ländern erscheint die politische Aktionsfähigkeit der Antragsgegnerin erheblich eingeschränkt. So wird beispielsweise den Landesverbänden Bremen und Hessen eine zunehmende Handlungsunfähigkeit attestiert (vgl. Senator für Inneres und Sport Bremen, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 26; Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen 2014, S. 33). Auch der niedersächsische Landesverband wird als kaum noch aktions- und kampagnenfähig angesehen (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2014, S. 42). In Schleswig-Holstein wird der Zustand der Antragsgegnerin als desolat beschrieben (vgl. Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 30).

915

Aber auch in den neuen Ländern sehen die Verfassungsschutzbehörden jedenfalls in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen die Kampagnenfähigkeit der Antragsgegnerin als stark eingeschränkt an. In Brandenburg unterhalte die Antragsgegnerin nur noch acht Kreisverbände. Die Aktivitäten und damit die öffentliche Wahrnehmbarkeit hänge an wenigen Protagonisten (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern und für Kommunales, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 29). Im Jahr 2013 seien alle Kampagnenversuche ins Leere gelaufen (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 149). In Sachsen-Anhalt wird dem Landesverband der Antragsgegnerin weitgehende Inaktivität bescheinigt. Auch von den Kreisverbänden seien lediglich vereinzelt regionale Aktionen durchgeführt worden (vgl. Sachsen-Anhalt, Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 78). Der Verfassungsschutzbericht 2013 des Freistaats Thüringen konstatiert eine erhebliche Beeinträchtigung der Aktions- und Mobilisierungsfähigkeit der Antragsgegnerin. Die Mehrzahl der Mitglieder vermittele den Eindruck, weder willens noch in der Lage zu sein, kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten (vgl. Freistaat Thüringen, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 22 f.).

916

(b) Nicht zuletzt aufgrund dieser strukturellen Defizite verfügt die Antragsgegnerin nur über eine geringe Wirkkraft in die Gesellschaft, die eine prägende Einflussnahme auf den Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln weitgehend ausschließt.

917

(aa) Der Sachverständige Prof. Jesse hat in diesem Zusammenhang in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, bei der Antragsgegnerin handele es sich um eine isolierte, geächtete Partei, deren Kampagnenfähigkeit - soweit man überhaupt davon reden könne - in den letzten Jahren abgenommen habe. Auch der Sachverständige Prof. Kailitz hat in der mündlichen Verhandlung geäußert, die Antragsgegnerin sei gegenwärtig nicht in der Lage, die bürgerliche Mitte anzusprechen. Selbst in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten zum Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern wird darauf verwiesen, dass angesichts großer Mobilisierungsprobleme für die Antragsgegnerin die Kooperation mit dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus existentiell sei (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 22). In der mündlichen Verhandlung erklärte der ehemalige Parteivorsitzende der Antragsgegnerin Holger Apfel, in der öffentlichen Wahrnehmung sei der Antragsgegnerin immer eine Bedeutung zugemessen worden, die der Wirklichkeit nicht entsprochen habe. Man habe in den Parlamenten bewusst Tabubrüche inszeniert, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen und den Eindruck einer schlagkräftigen, professionellen Organisation zu erwecken.

918

(bb) Der Befund geringer Wirkkraft in die Gesellschaft der Antragsgegnerin wird durch die Berichte der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bestätigt. Durchgängig weisen die Verfassungsschutzberichte der alten Länder für Veranstaltungen der Antragsgegnerin tendenziell rückläufige, unterhalb des dreistelligen Bereichs liegende Teilnehmerzahlen aus, während nicht selten die Zahl der Gegendemonstranten um ein Vielfaches höher gelegen habe (vgl. u.a. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 40; siehe auch: Verfassungsschutzbericht 2013, S. 86 f.; Innenministerium Baden-Württemberg, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 201; Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 99 f.; Senator für Inneres und Sport Bremen, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 26; Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2014, S. 93; Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 45 f.; Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 35; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 39). Es gelinge der Antragsgegnerin nicht, Personen außerhalb des eigenen Mitgliederpotentials zu erreichen (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 45; Schleswig-Holsteinischer Landtag, Verfassungsschutzbericht 2014, S. 31). In den neuen Ländern wird - abgesehen von den Anti-Asyl-Kampagnen der Antragsgegnerin (vgl. Rn. 924 ff.) - ebenfalls festgestellt, dass die Mitglieder der Antragsgegnerin bei Veranstaltungen häufig unter sich blieben (vgl. Land Brandenburg, Ministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 36) und das bürgerliche Spektrum nicht erreicht werde (vgl. Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 65).

919

Auf die Feststellungen der Verfassungsschutzbehörden in der mündlichen Verhandlung angesprochen, erklärte der bayerische Staatsminister des Innern, die Antragsgegnerin versuche dem anhaltenden Mitgliederschwund in Bayern durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremen Gruppierungen und eine erhöhte Präsenz im Internet zu begegnen. Der Innenminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern verwies darauf, dass die Antragsgegnerin dort, wo sie staatlich alimentiert werde, bestrebt sei, ihre Position in der Fläche auszubauen. Dies steht der Feststellung nicht entgegen, dass es der Antragsgegnerin an Handlungsfähigkeit und Reichweite fehlt, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele im Wege der Beteiligung an der politischen Willensbildung durchzusetzen.

920

(3) Die Antragsgegnerin ist auch nicht in der Lage, ihre strukturellen Defizite und ihre geringe Wirkkraft in die Gesellschaft anderweitig zu kompensieren. Dass ihr dies durch ihre Öffentlichkeitsarbeit (a), die Umsetzung der "Kümmerer-Strategie" (b), die Konzentration auf den Protest gegen die Asyl- und Ausländerpolitik (c) oder das Bemühen um eine Bündelung aller "national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung (d) gelingen könnte, ist nicht ersichtlich. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände besteht für die Antragsgegnerin keine realistische Möglichkeit einer Durchsetzung ihrer verfassungswidrigen Ziele im Prozess freier und selbstbestimmter politischer Willensbildung.

921

(a) Die Antragsgegnerin betreibt insbesondere unter Rückgriff auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Sie verfügt über eine beachtliche Präsenz im Bereich der sozialen Medien. Es ist jedoch nicht feststellbar, dass es ihr damit gelingt, zusätzliche Unterstützung für die von ihr verfolgten Ziele zu gewinnen und ihre Wirkkraft in die Gesellschaft relevant zu erhöhen. Dies gilt auch hinsichtlich der von der Antragsgegnerin verantworteten Presseerzeugnisse und des Versuchs, durch die Verteilung von Schulhof-CDs mit rechtsradikalen Inhalten und vergleichbaren Kampagnen insbesondere Jugendliche an sich zu binden. Die niedrige Zahl von etwa 350 Mitgliedern der JN spricht dagegen, dass die jugendbezogenen Bemühungen der Antragsgegnerin zu einer Erhöhung ihrer Attraktivität und Durchschlagskraft bei dieser Bevölkerungsgruppe geführt haben. Auch der Antragsteller hat hierzu nichts vorgetragen. Anhaltspunkte für eine Erhöhung der Wirkkraft in die Gesellschaft der Antragsgegnerin aufgrund ihrer Öffentlichkeitsarbeit bestehen nicht.

922

(b) Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass es der Antragsgegnerin gelingt, im Wege "nationalrevolutionärer Graswurzelarbeit" die Akzeptanz für die Durchsetzung ihres verfassungswidrigen Konzepts zu verbessern. Die im Rahmen des "Kampfes um die Köpfe" zum Aufbau eines "Kümmerer"-Images von der Antragsgegnerin vorgesehenen Maßnahmen sind für sich genommen nicht auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet. Die bloße Beteiligung am örtlichen Gemeinschaftsleben oder die Gewährung persönlicher Hilfestellung stellt keine Bekämpfung der Verfassungsordnung dar. Relevanz im Parteiverbotsverfahren kann diese Arbeit daher nur erlangen, wenn es der Antragsgegnerin gelänge, auf diesem Weg die Zustimmung zu den von ihr vertretenen verfassungswidrigen Zielen zu erhöhen.

923

Dass die Antragsgegnerin derartige "Hebelwirkungen" in relevantem Umfang herbeizuführen vermag, ist nicht ersichtlich. Der Antragsteller schildert lediglich wenige Einzelfälle eines dem "Kümmerer"-Ansatz entsprechenden Engagements der Antragsgegnerin. Dazu zählen der Hinweis auf die Durchführung von Kinderfesten, die Teilnahme an einem Festumzug und einem Bootskorso, Bewerbungen um ein Amt als Schöffe oder eine Tätigkeit als Volkszähler, das Angebot von Hartz-IV-Beratungen und die Beteiligung an der Gründung des Sportvereins "Griese Gegend e.V." in Lübtheen. Es erscheint vor diesem Hintergrund bereits zweifelhaft, ob das "Kümmerer"-Engagement überhaupt in einem solchen Umfang stattfindet, dass das damit angestrebte Maß an persönlicher Zustimmung zu den Vertretern der Antragsgegnerin erreichbar ist. Erst recht ist nicht ersichtlich, dass aufgrund dieses Engagements die vom Antragsteller behauptete "Infiltration" der Gesellschaft mit dem Gedankengut der Antragsgegnerin gelingt. Hinweise auf eine nachhaltige Verbesserung der gesellschaftlichen Verankerung der Antragsgegnerin fehlen. Die Behauptung des Antragstellers, seit Jahren erreiche die Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern eine bürgerliche Verankerung in weiten Teilen des Landes, wird durch das von ihm selbst vorgelegte Gutachten in dieser Allgemeinheit nicht gestützt. Die Darstellung ist vielmehr an der Beschreibung von Einzelfällen orientiert. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige Prof. Borstel den Fokus seiner Ausführungen ausdrücklich auf die Gemeinde Anklam und die umliegenden Dörfer beschränkt (vgl. Rn. 942 ff.). Selbst wenn im Einzelfall von einer erhöhten Zustimmung zu Vertretern der Antragsgegnerin auszugehen sein sollte, ist jedenfalls nicht erkennbar, dass damit die Akzeptanz ihres politischen Konzepts relevant erhöht wurde.

924

(c) Dies gilt im Ergebnis auch, soweit die Antragsgegnerin sich im Rahmen des "Kampfes um die Straße" auf gegen Asylbewerber und Minderheiten gerichtete Aktivitäten konzentriert. Dabei ist davon auszugehen, dass an den Protestkundgebungen der Antragsgegnerin auch Personen jenseits des Kreises ihrer Mitglieder und Anhänger in erheblicher Zahl teilgenommen haben. Dennoch kann auch unter Zugrundelegung des vom Antragsteller dargelegten Umfangs und der Teilnehmerzahl der Anti-Asyl-Veranstaltungen der Antragsgegnerin nicht ohne weiteres von einer Erhöhung der Zustimmung zu den von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Zielen und einer damit verbundenen Steigerung ihrer Wirkkraft in die Gesellschaft ausgegangen werden.

925

Vielmehr ist zwischen dem - im demokratischen Diskurs hinzunehmenden - (friedlichen) Protest gegen asylpolitische Entscheidungen oder gegen die Festlegung von Standorten für Flüchtlingsunterkünfte einerseits und der Unterstützung des von der Antragsgegnerin verfolgten Konzepts willkürlicher Diskriminierung aller ethnisch Nichtdeutschen andererseits zu unterscheiden. Zwar versucht die Antragsgegnerin, die Flüchtlings- und Asylproblematik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Allerdings agiert sie dabei häufig nicht im eigenen Namen, sondern unter dem Dach neutral erscheinender Organisationen wie der Bürgerinitiative "Nein zum Heim" in Sachsen. Tritt hingegen ihre Verantwortlichkeit für eine Veranstaltung offen zu Tage, sinken die Teilnehmerzahlen erheblich. So hat der Antragsteller selbst vorgetragen, dass, nachdem bei Veranstaltungen der MVGIDA die Dominanz der Antragsgegnerin nach außen erkennbar geworden sei, die Teilnehmerzahlen von circa 600 auf 120 (vgl. auch Rn. 931) gesunken seien. Ähnlich verhielt es sich bei den gegen ein örtliches Asylbewerberheim gerichteten "Schneeberger Lichtelläufen". Während an den ersten Veranstaltungen im Oktober/ November 2013 jeweils mehr als 1.500 Menschen teilnahmen, konnten für den vierten "Lichtellauf" am 25. Januar 2014, bei dem sich die Antragsgegnerin offensiver als Organisatorin in den Vordergrund stellte, nur noch rund 250 Teilnehmer mobilisiert werden, die zudem weitestgehend der Antragsgegnerin und ihrem Umfeld zuzuordnen waren (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2013, S. 97). Dies dokumentiert, dass die Anti-Asyl-Initiativen der Antragsgegnerin zwar im Einzelfall zu nicht unerheblichen Mobilisierungserfolgen führen können. Es ist nicht erkennbar, dass damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz steigt und die Möglichkeit eröffnet wird, ihre verfassungsfeindlichen Ziele im politischen Willensbildungsprozess mit demokratischen Mitteln durchzusetzen. Auch der Antragsteller hat keine Belege dafür angeboten, dass es der Antragsgegnerin gelingt, mit ihren asyl- und ausländerpolitischen Aktivitäten zusätzliche Unterstützung oder Zustimmung zu ihren verfassungsfeindlichen Absichten in relevantem Umfang zu gewinnen.

926

(d) Schließlich ist eine ausreichende Stärkung der Schlagkraft der Antragsgegnerin im politischen Willensbildungsprozess durch eine Zusammenarbeit mit parteiungebundenen Kräften nicht zu erwarten. Dies gilt sowohl mit Blick auf den bewegungsförmigen Rechtsextremismus (aa) als auch hinsichtlich der Bewegungen gegen die vermeintliche "Islamisierung des Abendlandes" (bb).

927

(aa) Die Antragsgegnerin arbeitet auf der Grundlage bereits bestehender personeller Verflechtungen (vgl. Rn. 877 ff.) in regional unterschiedlicher Intensität mit den Organisationen des parteiungebundenen Rechtsextremismus zusammen. Besonders intensiv stellt sich diese Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern und - vor allem vermittelt über die JN - in Sachsen dar (vgl. Rn. 886 ff.).

928

Dies allein rechtfertigt die Annahme eines erfolgreichen Bestehens des "Kampfes um den organisierten Willen" durch die Antragsgegnerin jedoch nicht. Vielmehr ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, eine "Bündelung aller national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung zu erreichen. Die Zusammenarbeit mit den freien Kräften erfolgt einzelfallbezogen und ist nicht organisatorisch verfestigt. Eine Führungsrolle gegenüber den rechten Kameradschaften und sonstigen Kräften der ungebundenen rechten Szene kommt der Antragsgegnerin nicht zu. Dies gilt auch für Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. In dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten wird sogar behauptet, die Antragsgegnerin werde in Mecklenburg-Vorpommern in weiten Teilen von Mitgliedern freier Netze und Kameradschaften dominiert und im Sinne der Systemüberwindung benutzt (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 44). Auch die Einbindung von Vertretern rechtsextremer Organisationen durch die Beschäftigung als Mitarbeiter von Abgeordneten oder Parlamentsfraktionen der Antragsgegnerin hat nicht zur Folge, dass diese als deren Vorfeldorganisationen angesehen werden können.

929

Der Sachverständige Prof. Jesse hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass aus seiner Sicht die freien Kameradschaften nicht auf die Antragsgegnerin angewiesen seien, wohl aber diese auf die freien Kameradschaften. Auch in dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten von Prof. Borstel werden für die Antragsgegnerin Kooperationen mit dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus als existentiell bewertet. Diese Kooperationen seien aber temporär und regional. Einer dauerhaften Einbindung der Kameradschaften und freien Netzwerke stünde deren Selbstverständnis als Gruppen des außerparlamentarischen Widerstands entgegen (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 22).

930

Unter ergänzender Berücksichtigung des Umstands, dass selbst im Bereich des parteigebundenen Rechtsextremismus der Antragsgegnerin mit der Etablierung von Organisationen wie "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" Wettbewerber entstanden sind, die insbesondere radikalere Kräfte ansprechen (vgl. Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen, Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2014, S. 69), ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin in der Lage ist, durch die Bildung rechtsextremer Netzwerke unter ihrer Führung ihre politische Reichweite in einem Umfang zu erhöhen, der eine Durchsetzung ihrer Ziele mit demokratischen Mitteln ermöglicht (zur Zurechnung strafbaren Handelns der freien Szene zur Antragsgegnerin vgl. Rn. 979).

931

(bb) Auch das Bestreben der Antragsgegnerin, als relevanter Teil des Protests gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes" wahrgenommen zu werden, eröffnet die Perspektive einer Umsetzung ihres verfassungsfeindlichen Konzepts mit demokratischen Mitteln nicht. Der Antragsteller selbst verweist darauf, dass es der Antragsgegnerin als Partei verwehrt sei, an den Veranstaltungen der PEGIDA in Dresden teilzunehmen, und dass im Übrigen ihre Partizipationsmöglichkeiten unterschiedlich ausfielen. Dass es der Antragsgegnerin durchgängig gelungen wäre, die Potentiale der GIDA-Bewegungen für sich zu nutzen, ist nicht ersichtlich. Dabei mag dahinstehen, ob ihr - wie vom Antragsteller behauptet - zumindest bei Veranstaltungen der THÜGIDA und der MVGIDA eine wesentliche Rolle zukommt. Daraus allein lässt sich eine hinreichende Erweiterung ihrer Wirkkraft in die Gesellschaft nicht ableiten, zumal der Antragsteller selbst darauf hingewiesen hat, dass, nachdem bei den Veranstaltungen der MVGIDA die Dominanz der Antragsgegnerin offenbar geworden sei, die Teilnehmerzahlen von circa 600 auf 120 gesunken seien (vgl. Rn. 925).

932

Insgesamt ist festzustellen, dass es der Antragsgegnerin nicht gelungen ist, den von ihr proklamierten "Kampf um den organisierten Willen" erfolgreich zu gestalten. Ihr kommt keine Führungsrolle gegenüber dem bewegungsförmigen Rechtsextremismus zu. Einer Bündelung der "national gesinnten Kräfte" unter ihrer Führung steht bereits das Selbstverständnis der parteiungebundenen Gruppierungen entgegen. Zusätzliche Mobilisierungsmöglichkeiten ergeben sich für die Antragsgegnerin daher nur in sehr begrenztem Umfang. Die Chance auf eine erfolgreiche Gestaltung des Prozesses demokratischer Willensbildung im Sinne der Antragsgegnerin wird auf diese Weise nicht eröffnet.

933

b) Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die darauf hindeuten, dass die Antragsgegnerin in einer das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" erfüllenden Weise die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes überschreitet (vgl. Rn. 588), liegen ebenfalls nicht vor. Die Antragsgegnerin vermag Dominanzansprüche in abgegrenzten Sozialräumen nicht in relevantem Umfang zu verwirklichen (aa). Auch ist die Annahme einer ihr zurechenbaren Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten nicht belegbar (bb). Schließlich fehlen hinreichende Anhaltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durch die Antragsgegnerin, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führt oder führen könnte (cc). Der Umstand, dass die Antragsgegnerin durch einschüchterndes oder kriminelles Verhalten von Mitgliedern und Anhängern punktuell eine nachvollziehbare Besorgnis um die Freiheit des politischen Prozesses oder gar Angst vor gewalttätigen Übergriffen auszulösen vermag, ist nicht zu verkennen, erreicht aber die durch Art. 21 Abs. 2 GG markierte Schwelle nicht (dd).

934

aa) Dass die Antragsgegnerin in relevantem Umfang räumliche Dominanzansprüche in einer die gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung ausschließenden Weise durchzusetzen vermag, ist nicht erkennbar. "National befreite Zonen" existieren nicht (1). Der Kleinstort Jamel stellt einen nicht übertragbaren Sonderfall dar (2). Ansonsten fehlt es an der Fähigkeit der Antragsgegnerin, ihr räumliches Dominanzstreben in einer demokratische Rechte verletzenden Weise umzusetzen (3).

935

(1) Entgegen seiner ursprünglichen Behauptung hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. August 2015 eingeräumt, dass es "vollständig national befreite Zonen" im Sinne der rechtsextremistischen Raumordnungstheorie in Deutschland nicht gebe. Stattdessen erfolge die Verwirklichung des räumlichen Dominanzanspruchs der Antragsgegnerin graduell unterschiedlich.

936

(2) Der Kleinstort Jamel stellt in diesem Zusammenhang einen Sonderfall dar, der nicht verallgemeinerungsfähig ist. Dabei ist es der Antragsgegnerin selbst in diesem Fall nicht gelungen, ihren Dominanzanspruch uneingeschränkt durchzusetzen.

937

Das bei Wismar am Ende einer Sackgasse gelegene Dorf Jamel hat nach Auskunft des Innenministers von Mecklenburg-Vorpommern in der mündlichen Verhandlung 47 Einwohner, davon 17 Kinder. Die Mehrheit der erwachsenen Einwohner sei dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Zentrale Figur des Ortes ist der Abbruchunternehmer und ehemalige Beisitzer des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern der Antragsgegnerin K. Dieser ist Eigentümer des "Thinghauses" in Grevesmühlen, in dem sich unter anderem ein "Bürgerbüro" der ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Köster befand, und auf dessen Gelände 2011 ein Holzkohlegrill mit der Aufschrift "Happy Holocaust" gesichtet wurde. Seine Frau K. ist ehemalige Landesvorsitzende des RNF. Ebenfalls in Jamel ansässig ist die Familie des ehemaligen Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin S. Insgesamt sollen unter sechs der zehn Anschriften rechtsextremistische Personen gemeldet sein.

938

Die Majorisierung des Ortes durch Rechtsextremisten findet Ausdruck im Dorfbild. Markant sind vor allem ein hölzerner Wegweiser, der unter anderem Richtung und Entfernung nach Braunau am Inn, dem Geburtsort Adolf Hitlers, und nach der mit dem Zusatz "Ostmark" versehenen Stadt Wien aufweist, sowie das Wandgemälde einer traditionell gekleideten Familie mit dem in Frakturschrift ausgeführten Schriftzug "Dorfgemeinschaft Jamel - frei-sozial-national". In Jamel werden rechtsextremistische Veranstaltungen und Konzerte mit überregionaler Beteiligung durchgeführt. So fand am 20. Juni 2015 das "11. nationale Kinderfest" mit anschließender Sonnwendfeier statt, an der circa 150 Rechtsextremisten, darunter die ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Petereit, der Landesvorsitzende Köster sowie die RNF-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern Antje Mentzel teilnahmen.

939

Auch in Jamel ansässig ist ein Ehepaar, das sich gegen neonazistisches Denken wendet und jährlich ein Musikfestival gegen rechts ("Jamel rockt den Förster") durchführt. Im Jahr 2010 kam es ausweislich des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Grevesmühlen vom 31. August 2011 (6 Ds 205/11) bei diesem Festival zu einem tätlichen Angriff, als der im Unternehmen des K. beschäftigte M. mit den Worten "Ich bin ein Nazi" einem Festivalteilnehmer mehrere Faustschläge versetzte. Darüber hinaus wurde in der Nacht vom 12. auf den 13. August 2015 die neben dem Wohnhaus des Ehepaars befindliche Scheune durch Brandstiftung zerstört (zur Zurechenbarkeit dieses Vorfalls zur Antragsgegnerin vgl. Rn. 960). Bereits 2011 soll der Vater des damaligen Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin S. das Ehepaar mit den Worten bedroht haben: "Sie sollten an mich verkaufen, so lange Sie noch können". Nach der Darstellung des Antragstellers ist das Ehepaar regelmäßigen anonymen Bedrohungs- und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt.

940

Insgesamt besteht kein Zweifel, dass es sich bei Jamel um einen durch rechtsextremes Denken geprägten Ort handelt. Allerdings liegt insoweit ein auf wenige Personen begrenzter, singulärer Sonderfall vor. Eine Übertragbarkeit der Verhältnisse in Jamel auf andere, insbesondere größere Ortschaften ist - wie auch der Sachverständige Prof. Jesse in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - nicht möglich. Daher ergibt sich - ungeachtet der Frage, inwieweit die Verhältnisse in Jamel der Antragsgegnerin zugerechnet werden können - hieraus kein ausreichender Beleg für die Möglichkeit der Antragsgegnerin, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch die Errichtung von Dominanzzonen in abgegrenzten Sozialräumen durchzusetzen.

941

(3) Weitere Beispiele erfolgreicher Umsetzung räumlicher Dominanzansprüche der Antragsgegnerin sind nicht bekannt.

942

(a) Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Hansestadt Anklam in Mecklenburg-Vorpommern um eine Zone kultureller Hegemonie der Antragsgegnerin handelt. Zwar bezeichnet der rechtsextreme Internetauftritt "Freies Pommern" Anklam in einem Beitrag vom 14. Juli 2010 sogar als "national befreite Zone". Tatsächlich fehlt es aber an belastbaren Anhaltspunkten, für die Annahme, dass in Anklam eine Dominanz der Antragsgegnerin vorliegt, die die Freiheit der politischen Willensbildung in einem relevanten Maß zu beeinträchtigen geeignet ist.

943

(aa) Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang auf eine im Eigentum der Mitglieder des Landesvorstands Mecklenburg-Vorpommern H. und W. stehende Immobilie verweist, die als "nationales Begegnungszentrum" Sitz des Landesverbands der Antragsgegnerin sowie überregionaler Anlaufpunkt für Rechtsextremisten sei und in welcher der Verfahrensbevollmächtigte zu 2. der Antragsgegnerin ein Bürgerbüro als ehemaliger Landtagsabgeordneter betreibe, kann daraus nicht auf die Durchsetzung von Dominanzansprüchen geschlossen werden. Dies gilt unabhängig davon, welche Veranstaltungen in diesem Begegnungszentrum angeboten werden, da für eine hiervon ausgehende, das gesellschaftliche oder politische Leben in Anklam beeinträchtigende Außenwirkung nichts ersichtlich ist.

944

(bb) Auch die Durchführung einer Demonstration am 31. Juli 2010 unter dem Motto "Gegen kinderfeindliche Bonzen - für eine lebenswerte Zukunft in unserer Heimat - Freiheit statt BRD", zu der die Antragsgegnerin gemeinsam mit den Organisationen "Nationale Sozialisten Mecklenburg" und "Freies Pommern" aufgerufen hat, belegt eine Dominanz der Antragsgegnerin in Anklam nicht. Der Antragsteller verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass in der vorhergehenden Nacht von der Stadt aufgestellte Schilder mit dem Text "Kein Ort für Neonazis" entfernt, rund zweihundert Plakate abgehängt, sechs Großaufsteller an den Zufahrtsstraßen zerstört und ein Transparent am Stadttor mit Farbbeuteln beworfen worden seien. In der Stadt habe sich niemand gefunden, der Anzeige erstattet hätte. Viele Geschäftsleute hätten zuvor Angst gehabt, Plakate gegen Rechtsextremisten in ihre Schaufenster zu hängen.

945

Diesem auf ein punktuelles Ereignis beschränkten Vortrag lässt sich eine Dominanz der Antragsgegnerin gleichwohl nicht entnehmen. Die nächtliche Beschädigung der von der Stadtverwaltung angebrachten Plakate rechtfertigt eine solche Annahme nicht, zumal nicht feststellbar ist, wer hierfür die Verantwortung trägt.

946

(cc) Einer dominierenden Stellung der Antragsgegnerin widerspricht im Übrigen, dass sie bei den Wahlen zur Stadtvertreterversammlung 2014 lediglich ein Ergebnis von 9,3 % der abgegebenen gültigen Stimmen erzielte und dementsprechend nur zwei von 25 Stadtverordneten stellt. Außerdem sind in Anklam mehrere gegen den Rechtsextremismus gerichtete Initiativen tätig. Dazu zählt etwa ein Büro des "Regionalzentrums für demokratische Kultur". Ergänzend hat die Antragsgegnerin auf einen durch die Zentrale für politische Bildung geförderten "Demokratieladen" und den vom Stadtjugendring Greifswald betriebenen "Demokratiebahnhof" verwiesen. Schließlich vermag auch der Hinweis des Sachverständigen Prof. Borstel in der mündlichen Verhandlung, dass die Normalisierung und Erfahrbarkeit des Rechtsextremismus im unmittelbaren Nahfeld zur Entstehung von subjektiven Angstphänomenen führen und Distanzierungen erschweren könnten, die Einschätzung nicht zu rechtfertigen, dass die Antragsgegnerin in Anklam über eine Position verfügt, die die gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung nicht mehr gewährleistet.

947

(b) Nichts anderes gilt für das vom Antragsteller als weiteres Beispiel einer Dominanzzone der Antragsgegnerin angeführte Lübtheen. Die Tatsache, dass aufgrund möglicherweise gezielter Zuzüge in Lübtheen mehrere führende Funktionäre der Antragsgegnerin - einschließlich der ehemaligen Landtagsabgeordneten Pastörs und Köster sowie des ehemaligen Geschäftsführers der Landtagsfraktion G. - wohnen und aktiv sind, genügt für die Annahme einer Dominanzsituation nicht. Gleiches gilt, soweit die Antragsgegnerin eine prominent im Ortszentrum gelegene Immobilie nutzt und ihre Vertreter bei Veranstaltungen auch dann Präsenz zeigen, wenn diese gegen den Rechtsextremismus gerichtet sind.

948

Der Antragsteller verweist insoweit auf ein Gebäude am Ernst-Thälmann-Platz, in dem sich die Bundesgeschäftsstelle der JN und ein Bürgerbüro befänden, sowie auf Vorträge zu Themen wie "Brauchtumspflege als Bestandteil des Volkstums!" am 28. September 2012 und "Europa am Abgrund!" am 30. Mai 2012. Weiterhin führt er aus, dass - ähnlich wie schon zur 650-Jahrfeier in Lübtheen - beim "Lindenfest" 2010 die Funktionäre der Antragsgegnerin Pastörs, T. und K. erschienen seien, Flugblätter verteilt hätten und NPD-Ballons hätten aufsteigen lassen. In einem Kommentar vom 18. September 2010 auf www.mupinfo.de habe es dazu geheißen:

Dies zeigt einmal mehr mit aller Deutlichkeit, daß die Nationalisten aus dem Stadtbild Lübtheens einfach nicht mehr wegzudenken sind und im wahrsten Sinne des Wortes aus der Mitte des VoIkes kommen.

949

All dies genügt jedoch nicht, um eine dominierende Stellung der Antragsgegnerin in Lübtheen zu begründen. Die bloße Präsenz einzelner Vertreter der Antragsgegnerin bei öffentlichen Veranstaltungen tangiert für sich genommen die Freiheit der politischen Willensbildung nicht. Gegen eine Dominanz der Antragsgegnerin spricht auch hier, dass sie bei der Kommunalwahl 2014 ein Ergebnis von 10,7 % der abgegebenen gültigen Stimmen erzielte und demgemäß nur über zwei von 17 Mandaten in der Stadtvertretung verfügt. Der Antragsteller räumt außerdem selbst ein, dass die Antragsgegnerin nicht zuletzt aufgrund einer von der Bürgermeisterin initiierten Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus ihren Dominanzanspruch nicht vollständig realisieren könne. Soweit er dabei geltend macht, die Antragsgegnerin sei in Lübtheen ein Stück Normalität geworden, und es bestünden Hemmungen, gegen Pastörs und seine Anhänger öffentlich etwas Negatives zu sagen, bleiben diese Ausführungen spekulativ. Soweit der Antragsteller darauf verweist, es sei auch zu aggressiven Einschüchterungsversuchen gekommen, wird dies nicht mit Tatsachen unterlegt.

950

(c) Hinsichtlich der Auflistung mehrerer Initiativen der JN, die sich gegen Kriminalität und Überfremdung richten und in Aufklebern und Demonstrationsaufrufen formulieren "Hol Dir Deine Stadt zurück!" beziehungsweise "Unser Kiez, unsere Stadt und unsere Regeln" kann dahinstehen, ob es sich dabei - wie der Antragsteller meint - um ein die Grenzen des politischen Meinungskampfes überschreitendes provokatives Auftreten handelt. Ein Eingriff in die Möglichkeit freier und selbstbestimmter Willensbildung ist damit jedenfalls nicht verbunden.

951

bb) Es gibt auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der Antragsgegnerin eine Grundtendenz besteht, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen. Weder kann der Antragsgegnerin die Gesamtentwicklung im Bereich ausländerfeindlicher Straftaten zur Last gelegt werden (1), noch ist aufgrund einer Gesamtschau des strafrechtlich relevanten Verhaltens ihrer Mitglieder die Bereitschaft der Antragsgegnerin hinreichend belegt, ihre verfassungsfeindlichen Ziele mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten zu verfolgen (2). Soweit einzelne Gewalttätigkeiten oder sonstige Straftaten von Mitgliedern der Antragsgegnerin belegbar sind, genügen diese nicht, um bei ihr eine Grundtendenz feststellen zu können, ihre verfassungsfeindlichen Absichten gezielt im Wege des Rechtsbruchs durchzusetzen (3).

952

(1) Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass die Antragsgegnerin sich in einem Gesamtmilieu bewege, das überdurchschnittliche Kriminalitätswerte aufweise, und dass mit 1.031 Straftaten (davon 177 Gewaltdelikte) im Jahr 2015 die Zahl der Übergriffe auf Asylunterkünfte einen Höchststand erreicht habe, kann dies der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Erforderlich für eine derartige Zurechnung wäre, dass sich das rechtswidrige Handeln als Teil der verfassungswidrigen Bemühungen der Antragsgegnerin darstellt (vgl. Rn. 565 f.). Dies setzt voraus, dass sie entweder zu den jeweiligen Straftaten beigetragen oder sich diese zumindest im Nachhinein zu eigen gemacht hat. Hierfür genügt es nicht, dass die Antragsgegnerin durch ihre menschenverachtende Agitation an der Schaffung eines ausländerfeindlichen Klimas beteiligt ist. Das verkennt der Antragsteller, wenn er hervorhebt, bei den "Übergriffen" auf Asylunterkünfte handele es sich um eine konsequente Umsetzung der fremdenfeindlichen Ideologie der Antragsgegnerin. Zwar entspricht die Ausgrenzung von Asylbewerbern ihrer politischen Programmatik. Damit allein lässt sich jedoch nicht ohne weiteres belegen, dass sie Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte als geeignete Mittel zur Durchsetzung dieser Forderungen ansieht oder in sonstiger Weise billigt. Erforderlich wären vielmehr konkrete Umstände, aus denen sich eine solche Billigung von Anschlägen auf Flüchtlingseinrichtungen durch die Antragsgegnerin ergibt. Eine pauschale Zurechnung ausländerfeindlicher Straftaten zur Antragsgegnerin kommt nicht in Betracht.

953

(2) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ergibt sich die Bereitschaft der Antragsgegnerin zur Anwendung von Gewalt oder zur Begehung von Straftaten als Mittel zur Durchsetzung ihrer verfassungswidrigen Ziele auch nicht aus einer allgemein mangelhaften Rechtstreue ihrer Anhänger. Dem steht bereits entgegen, dass die vorliegenden Belege nicht ausreichen, um die Behauptung einer grundsätzlichen, das Handeln der Antragsgegnerin insgesamt prägenden Missachtung strafrechtlicher Verbote und des staatlichen Gewaltmonopols zu belegen.

954

(a) Unverwertbar ist in diesem Zusammenhang die vom Antragsteller vorgelegte anonymisierte Statistik des Bundesamts für Verfassungsschutz zur Straffälligkeit der Vorstandsmitglieder der Antragsgegnerin und ihrer Teilorganisationen. Der Untersuchung ist nicht zu entnehmen, inwieweit die aufgeführten Delikte politisch motiviert waren und als Ausdruck des Parteiwillens angesehen werden können.

955

(b) Soweit der Antragsteller auf den Hinweis der Unverwertbarkeit der vorgenannten Statistik reagiert und insgesamt 57 strafrechtliche Verurteilungen von Funktionären der Antragsgegnerin aufgelistet hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ein erheblicher Teil dieser Verurteilungen hatte - wie sich aus den beigezogenen Akten ergibt - keinen politischen Hintergrund und ist daher nicht als Teil der verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Antragsgegnerin anzusehen. Bei einer Reihe weiterer Straftaten ist dieser politische Hintergrund zumindest zweifelhaft. Worin etwa das im vorliegenden Zusammenhang relevante "spezifische Gewaltpotential" beispielsweise bei einer versuchten Körperverletzung am Rande eines Fußballspiels (AG Hannover, Urteil vom 10. November 2000 - 248 Ds 123 b Js 49546/00 -) oder bei einer tätlichen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall (AG Wanzleben, Urteil vom 13. Oktober 1997 - 6 Ds 753 Js 39724/96 -) liegen soll, erschließt sich nicht. Hinzu kommt, dass die Verurteilungen einen Zeitraum von 25 Jahren umfassen, zu einem erheblichen Teil reine Propagandadelikte betreffen, teilweise nach Jugendstrafrecht erfolgten und überwiegend der leichten Kriminalität zuzuordnen sind. Zahl, Gegenstand und Schwere der aufgelisteten Straftaten einzelner Mitglieder der Antragsgegnerin genügen daher nicht, um ihr die Absicht einer Durchsetzung ihrer politischen Ziele mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten unterstellen zu können.

956

(3) Auch die vom Antragsteller im Einzelnen dargestellten Ereignisse und Sachverhalte reichen nicht aus, um eine das Tatbestandsmerkmal des "Darauf Ausgehens" im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfüllende Gewaltbereitschaft oder mangelnde Rechtstreue der Antragsgegnerin annehmen zu können. Soweit eine Berücksichtigung nicht bereits mangels Rechtswidrigkeit (a) oder Zurechenbarkeit (b) der Sachverhalte ausscheidet, genügen die verbleibenden Einzelfälle nicht, um eine Grundtendenz der Antragsgegnerin zur Anwendung von Gewalt oder zur Begehung von Straftaten als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu bejahen (c).

957

(a) (aa) Von vornherein außer Betracht zu bleiben haben die Aufrufe einzelner Führungspersönlichkeiten der Antragsgegnerin zur revolutionären Überwindung des bestehenden parlamentarischen Systems und zum Rückgriff auf das Widerstandsrecht. Sie sind allgemein gehalten und nicht mit der Aufforderung zur Begehung konkreter Straftaten verbunden. Dies gilt auch für den Brief, den der Parteivorsitzende der Antragsgegnerin im Februar 2016 an öffentlich Bedienstete gerichtet hat. Dieser mag ein abwegiges Verständnis des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG offenbaren. Eine Aufforderung zur Begehung konkreter Straftaten und damit ein Indiz dafür, dass die Antragsgegnerin auf diesem Weg ihre verfassungswidrigen Absichten durchzusetzen vermag, enthält er aber nicht.

958

(bb) Das auf "Bürgerwehren" bezogene Engagement der Antragsgegnerin überschreitet bisher die rechtlich vorgegebenen Grenzen nicht. Zwar wird die Forderung nach der Einrichtung von Bürgerwehren teilweise in fremdenfeindlicher und menschenverachtender Weise begründet. Dass sich diese Bürgerwehren ihnen nicht zustehende Befugnisse anmaßen oder nach dem Willen der Antragsgegnerin anmaßen sollen, ist jedoch nicht ersichtlich. Dies gilt auch für die vom Antragsteller besonders hervorgehobene "Bürgerwehr Güstrow". Dass Teilnehmer an diesen Streifengängen anderweitig strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden, ist insoweit ohne Belang. Daher kann aus den "Bürgerwehr"-Aktivitäten der Antragsgegnerin jedenfalls bisher nicht auf ihre Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt oder zu rechtswidrigem Vorgehen geschlossen werden. Ebenso wenig ergibt sich dies aus dem Angebot von sogenannten Nervendruckseminaren durch die Antragsgegnerin.

959

(b) Die vom Antragsteller geschilderten tätlichen Auseinandersetzungen und sonstigen Straftaten können der Antragsgegnerin nicht uneingeschränkt zugerechnet werden.

960

(aa) Da die Verursacher der Brandanschläge auf die Scheune in Jamel und eine als Notunterkunft für Asylbewerber geplante Turnhalle in Nauen bislang nicht ermittelt werden konnten und die Antragsgegnerin sich auch nicht zustimmend zu diesen Vorfällen verhalten hat, kommt eine Berücksichtigung dieser Vorfälle zu ihren Lasten nicht in Betracht. Gleiches gilt für die Beschädigung und Entfernung von Plakaten im Vorfeld der Demonstration vom 31. Juli 2010 in Anklam. Der tätliche Angriff auf einen Teilnehmer des Festivals "Jamel rockt den Förster" im Jahr 2010 kann der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zugerechnet werden, da nicht erkennbar ist, dass es sich bei dem Täter um ein Mitglied oder einen Anhänger der Antragsgegnerin gehandelt hat.

961

Soweit der Antragsteller schildert, in Güstrow sei die Leiterin einer soziokulturellen Begegnungsstätte, die sich engagiert gegen Rechtsextremismus einsetze, nicht nur regelmäßig bedroht worden, sondern es sei auch zu Sachbeschädigungen wie dem Aufbrechen der Tür ihres Wohnhauses und Vandalismus innerhalb der Räume der "Villa Kunterbündnis" gekommen, so dass die Polizei eine Schutzmaßnahme angeordnet habe, ist nicht erkennbar, dass diese Taten durch Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin begangen wurden. Insbesondere für eine Beteiligung des Stadtvertreters der Antragsgegnerin M. an strafrechtlich relevantem Verhalten gegenüber der Leiterin der Begegnungsstätte fehlen belastbare Anhaltspunkte. Der Hinweis des Antragstellers, M. sei in einem anderen Zusammenhang wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden und wirke am Aufbau von Drohkulissen sowie herabwürdigenden Kampagnen gegen die Leiterin der Begegnungsstätte mit, vermag eine Beteiligung an konkret gegen sie gerichteten Straftaten nicht zu belegen. Dies kann allenfalls bei der Frage, ob es der Antragsgegnerin gelingt, unabhängig von strafrechtlich relevantem Verhalten ein "Klima der Angst" zu schaffen und dadurch die freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung zu beeinträchtigen, berücksichtigt werden (vgl. dazu sogleich Rn. 1004).

962

Ebenfalls nicht feststellbar ist eine Beteiligung der Antragsgegnerin am Besprühen beziehungsweise Beschmieren von zur Erinnerung an jüdische Mitbürger verlegten sogenannten "Stolpersteinen" in Demmin am 19. August 2010 und in Ueckermünde am 20. August 2010. Die gleichzeitig in Ueckermünde geklebten Plakate sprechen eher für eine Aktion aus dem Bereich des bewegungsförmigen Rechtsextremismus. Jedenfalls fehlt es, selbst wenn in Demmin ein Tatverdächtiger angab, seit 2006 Mitglied der Antragsgegnerin zu sein, an einer rechtskräftigen Feststellung der Täterschaft und damit an der Möglichkeit der Zurechnung zur Antragsgegnerin.

963

Ebenso wenig können die Ausschreitungen vom 11. Januar 2016 in Leipzig-Connewitz der Antragsgegnerin zugerechnet werden. Eine Beteiligung ihrer Mitglieder oder Anhänger an diesen Ausschreitungen ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht behauptet. Soweit er demgegenüber darauf verweist, der Vorsitzende des Kreisverbands Leipzig der Antragsgegnerin habe diese Vorfälle positiv kommentiert und dadurch die Situation angeheizt, steht einer Zurechnung dieser Äußerung zur Antragsgegnerin entgegen, dass der Kreisvorsitzende nach deren unwidersprochenem Vortrag unmittelbar im Anschluss an diesen Vorgang seines Amts enthoben worden sei und die Partei sodann freiwillig verlassen habe. Da nicht feststellbar ist, dass es sich dabei um ein rein prozesstaktisches Verhalten handelt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin sich - vermittelt durch die Äußerungen des damaligen Kreisvorsitzenden - die Gewalttätigkeiten vom 11. Januar 2016 nachträglich zu eigen gemacht hat.

964

(bb) Auch eine Zurechnung der Krawalle im Anschluss an die Demonstrationen der Antragsgegnerin vom 24. Juli 2015 in Dresden und vom 21. August 2015 in Heidenau scheidet aus.

965

(α) Die in Dresden am 24. Juli 2015 veranstaltete Demonstration unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße!" wurde durch ein Mitglied der Antragsgegnerin angemeldet und als Veranstaltung der Partei beworben. An der Kundgebung nahmen etwa 180 Personen teil, denen etwa 250 Gegendemonstranten gegenüberstanden (vgl. Nattke, in: Lichdi , Darf die NPD wegen Taten parteiloser Neonazis verboten werden?, 2016, S. 64). Im Nachgang zu dieser Demonstration kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf drei Gegendemonstranten verletzt, 15 Asylbefürworter attackiert und Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes angegriffen wurden. Nach Darstellung des Antragstellers waren der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau und ein weiterer Anhänger der Antragsgegnerin sowie drei weitere Demonstrationsteilnehmer an den Ausschreitungen beteiligt.

966

Dies allein genügt jedoch nicht, um die Ausschreitungen in ihrer Gesamtheit der Antragsgegnerin zuzurechnen. Die Gewalttätigkeiten fanden nicht im Rahmen der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstration, sondern erst nach deren Abschluss statt. Dass die Antragsgegnerin zu diesen Auseinandersetzungen aufgerufen oder sie in sonstiger Weise herbeigeführt hat, ist nicht ersichtlich. Sie hat die Krawalle auch im Nachhinein nicht gebilligt. Die Personen, die für die Gewaltausübung verantwortlich waren und deren Taten am 24. Juli 2015 einen vorläufigen Höhepunkt erreichten, sollen weder in der Antragsgegnerin organisiert, noch von dieser steuerbar gewesen sein (vgl. Nattke, a.a.O., S. 65). Demgemäß kommt eine Zurechnung zur Antragsgegnerin nicht bezogen auf die Ausschreitungen als solche in Betracht, sondern allenfalls bezogen auf das Verhalten ihrer beiden Anhänger im Rahmen der Ausschreitungen (vgl. Rn. 975), da die Antragsgegnerin sich davon nicht ausdrücklich distanziert hat.

967

(β) Nichts anderes gilt hinsichtlich der Krawalle, die sich nach der Protestkundgebung der Antragsgegnerin am 21. August 2015 in Heidenau ereigneten und in deren Verlauf unter anderem 31 Polizeibeamte verletzt wurden. Auch hier fanden die Ausschreitungen nicht im Rahmen der von R. angemeldeten Kundgebung, sondern erst nach deren Abschluss statt. Ebenso ist eine Herbeiführung der Krawalle durch die Antragsgegnerin nicht ersichtlich. Der Antragsteller behauptet zwar, innerhalb des von R. geleiteten Aufzugs seien Zettel mit der Information verteilt worden, sich eine halbe Stunde nach Versammlungsende in Kleingruppen in Richtung Erstaufnahmeeinrichtung zu begeben, um eine Blockade durchzuführen. Dafür legt er jedoch keine Belege vor, so dass diese Behauptung nicht verifiziert werden kann. Es bleibt unklar, ob diese Handzettel überhaupt verteilt wurden, wer dafür verantwortlich war und inwieweit die Antragsgegnerin dies hätte verhindern können. An den Ausschreitungen selbst waren - soweit ersichtlich - keine Mitglieder der Antragsgegnerin beteiligt. Die Protagonisten der Gewalttätigkeiten sind in der Vergangenheit vielmehr als Hooligans von Dynamo Dresden in Erscheinung getreten (vgl. Nattke, a.a.O., S. 71). Anhaltspunkte für eine Lenkung der Ausschreitungen durch die Antragsgegnerin fehlen. Die Krawalle können ihr daher nicht zugerechnet werden.

968

(cc) Auch eine Zurechnung der Angriffe gegen Wahlkreisbüros anderer Parteien in Mecklenburg-Vorpommern scheidet aus. Da die Täter dieser Anschläge nicht ermittelt werden konnten, kann nicht unterstellt werden, dass Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin an der Ausführung dieser Anschläge beteiligt waren. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin sich diese Anschläge zu eigen gemacht hat.

969

Zwar wurde am 18. April 2010 auf der von David Petereit verantworteten Internetseite www.mupinfo.de ein Artikel unter der Überschrift "Demokraten gibt es auch in Deiner Stadt" veröffentlicht, der Bezug auf vorausgegangene Anschläge auf Bürgerbüros der SPD nahm, eine Auflistung sämtlicher Bürgerbüros der CDU, FDP und SPD sowie der Partei DIE LINKE in Mecklenburg-Vorpommern einschließlich der vollständigen Büroanschriften enthielt und explizit zum Besuch der Bürgerbüros aufrief, da diese nicht flächendeckend geschützt werden könnten. Selbst wenn dieser Aufruf - wie der Antragsteller behauptet - ironisch zu verstehen ist, genügt dies nicht, um darin zweifelsfrei eine versteckte Aufforderung zur Begehung weiterer Anschläge sehen zu können. Ferner kann im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin diese Anschläge nachträglich gebilligt hat. Die Berichterstattung über diese Anschläge auf www.mupinfo.de und in dem von der Antragsgegnerin verantworteten "Uecker-Randow-Boten" vermögen dies jedenfalls nicht zweifelsfrei zu belegen. Auch wenn diese Berichte durch eine unangemessene Wortwahl geprägt sind (www.mupinfo.de vom 11. Mai 2010: "Entglasung"; 27. Mai 2010: "Einzelwertung", "Mannschaftswertung" bezogen auf die Zahl der Anschläge; 31. Mai 2010: "Jammergestalten"), enthalten sie durchgängig eine Distanzierung "von Tätern und Opfern gleichermaßen" (vgl. www.mupinfo.de vom 23. Mai und 7. Juni 2010). Ebenso wenig kann der den Landtagsabgeordneten Dahlemann verhöhnende Artikel im "Uecker-Randow-Boten" (Ausgabe Frühling 2014, S. 4) zweifelsfrei als Aufforderung zu dem Anschlag vom 5. Mai 2014 angesehen werden, bei dem unbekannte Täter mit Steinen zwei Fenster des Bürgerbüros einwarfen. Die bloße Berichterstattung über diesen Anschlag auf www.mupinfo.de am 6. Mai 2014 reicht für die Annahme seiner Billigung durch die Antragsgegnerin nicht aus.

970

(c) Es verbleibt damit lediglich eine begrenzte Zahl von Gewalttaten unter Beteiligung von Mitgliedern und Anhängern der Antragsgegnerin (aa), die aber nicht ausreichen, um ihr eine Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten nachweisen zu können (bb).

971

(aa) (α) Hierzu zählt der Angriff von JN-Funktionären auf eine DGB-Kundgebung am 1. Mai 2015 in Weimar. Laut einer LKA-Erkenntnisanfrage vom selben Tag kam es zu einer überfallartigen Situation mit tätlichen Übergriffen auf die sonstigen Veranstaltungsteilnehmer. Gegen insgesamt 34 Personen wurden Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Unter den vorläufig festgenommenen 27 Tatverdächtigen befanden sich der stellvertretende JN-Bundesvorsitzende G., der stellvertretende JN-Landesvorsitzende Hessen H. und der Landesvorsitzende der JN-Sachsen R.

972

Führende Vertreter der Antragsgegnerin haben den Anschlag nachträglich gebilligt. So bezeichnete der Bundespressesprecher der Antragsgegnerin Klaus Beier. den Vorfall auf der Facebook-Seite der Antragsgegnerin am 3. Mai 2015 den Vorfall als "legitime Protestaktion gegen den globalen Kapitalismus". Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter führte auf der Facebook-Seite der JN unter der Überschrift "Solidarität ist eine Waffe!" aus, "geschlossen hinter den JN-Aktivisten" zu stehen, "welche in Weimar für ihr Recht auf die Straße gegangen sind". Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber behauptet, die JN-Aktivisten hätten lediglich auf aggressives Verhalten der sonstigen Teilnehmer der DGB-Kundgebung reagiert, ändert dies nichts an der Tatsache, dass die JN die Veranstaltung gezielt gestört und die nachfolgenden Eskalationen durch ihr Verhalten provoziert haben.

973

(β) Darüber hinaus liegen insgesamt zwölf rechtskräftige Verurteilungen von Mitgliedern und Anhängern der Antragsgegnerin wegen Gewaltdelikten mit politischen Bezügen vor. Dazu gehören die Verurteilung des ehemaligen Geschäftsführers der Landtagsfraktion der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern G. wegen Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten vor dem Hintergrund des Angriffs auf Gegendemonstranten und Unbeteiligte in einem Zug auf dem Weg zu einer Veranstaltung der Antragsgegnerin (vgl. LG Rostock, Urteil vom 3. Mai 2012 - 13 KLs 125/11 <14> -) sowie die Verurteilungen des stellvertretenden rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden der Antragsgegnerin Safet Babic zu sieben Monaten Freiheitsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung aufgrund einer Schlägerei im Zusammenhang mit der Zerstörung von Wahlplakaten der Antragsgegnerin (vgl. LG Trier, Urteil vom 22. Dezember 2010 - 8033 Js 11972/09.5 KLs -) und des JN-Mitglieds W. zu elf Monaten Freiheitsstrafe wegen gemeinschaftlicher schwerer Körperverletzung aufgrund eines Angriffs auf Gegendemonstranten bei einer Veranstaltung der Antragsgegnerin gegen einen Moscheeneubau in Berlin (vgl. AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 14. August 2007 - <216> 81 Js 2057/07 <26/07> -). Der Kommunalvertreter der Antragsgegnerin O. wurde wegen Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er sich am 15. August 2013 an einem Angriff auf ein alternatives Wohnprojekt beteiligte, indem er die Scheibe der Eingangstür mit einem Kantholz einwarf (vgl. AG Greifswald, Urteil vom 30. Juni 2014 - 33 Ls 1557/13 -). Bei den übrigen Fällen handelt es sich um vergleichbare, mehrheitlich zufällig entstandene tätliche Auseinandersetzungen mit teilweise deutlich geringerem politischen Bezug.

974

(γ) Außerdem verweist der Antragsteller auf weitere Fälle der Anwendung von Gewalt durch die Antragsgegnerin. Eine besondere Rolle komme dabei ihrem Ordnungsdienst zu. Abgesehen von der bedrohlichen Wirkung, die von diesem ausgehe (vgl. Rn. 1006), sei er für zwei Übergriffe auf Gegendemonstranten bei Veranstaltungen der Antragsgegnerin in Lingen und Aschaffenburg im Jahr 2013 verantwortlich. Die sachkundige Dritte Röpke hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung über weitere Gewalttätigkeiten des Ordnungsdienstes berichtet. Im Einzelnen schilderte sie Körperverletzungshandlungen gegenüber einem IG-Metall-Mitglied in Niedersachsen, einem Kameramann des NDR beim Wahlkampfauftakt 2006 in Mecklenburg-Vorpommern und einen Angriff auf Gegendemonstranten bei einer Veranstaltung der Antragsgegnerin im Dezember 2004 in Steinfurt.

975

Des Weiteren behauptet der Antragsteller, bei einer Informationsveranstaltung zur Unterbringung von Asylbewerbern in Goldbach am 6. Juli 2015 habe der dortige Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin S. einem Teilnehmer mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Bei den Krawallen im Anschluss an die Demonstration vom 24. Juli 2015 in Dresden habe sich der Vorsitzende der Ortsgruppe Heidenau N. innerhalb der Gruppe der gewaltbereiten Teilnehmer aufgehalten. Der bei dieser Demonstration als Ordner tätige Anhänger der Antragsgegnerin K. habe eine Warnbake in Richtung der Gegendemonstranten quer über die Straße geworfen. Die Antragsgegnerin hat die Behauptungen des Antragstellers bestritten und insbesondere darauf verwiesen, dass die Tätlichkeiten nicht von ihren Anhängern ausgegangen seien.

976

(bb) Insgesamt genügen die dargestellten Sachverhalte - ihre Wahrheit unterstellt - nicht, um die Feststellung zu tragen, dass die Antragsgegnerin ihre verfassungswidrigen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten umzusetzen sucht und dadurch in einer für ein "Darauf Ausgehen" im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG ausreichenden Weise in den Prozess freier und gleichberechtigter politischer Willensbildung eingreift. Unter Berücksichtigung der vom Antragsteller und der sachkundigen Dritten Röpke geschilderten Ereignisse handelt es sich um insgesamt 20 selbstständige Sachverhalte, die sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstrecken. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle liegt dabei nicht ein geplanter und gezielter Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele vor; vielmehr handelt es sich um zufällige tätliche Auseinandersetzungen am Rande oder im Vorfeld politischer Veranstaltungen. Zwar bewegen sich die Angriffe auf die DGB-Kundgebung in Weimar am 1. Mai 2015 und auf das alternative Wohnprojekt in Greifswald am 15. August 2013 im Bereich eines gezielten Einsatzes von Gewalt zu politischen Zwecken. Aus diesen punktuellen Ereignissen kann aber nicht geschlossen werden, dass für die Antragsgegnerin die Anwendung von Gewalt oder die Begehung von Straftaten Teil ihres planmäßigen Vorgehens gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ist. Eine Grundtendenz der Antragsgegnerin zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten kann den geschilderten Einzelfällen (noch) nicht entnommen werden.

977

cc) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das Handeln der Antragsgegnerin zu einer Atmosphäre der Angst führt, die zu einer relevanten Beeinträchtigung des Rechts auf freie und gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung geeignet ist. Dies ist zwar durch ein Handeln unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz grundsätzlich denkbar. Soweit die in diesem Zusammenhang vom Antragsteller aufgeführten Sachverhalte der Antragsgegnerin überhaupt zurechenbar sind (1), fehlt es jedoch in beträchtlichem Umfang an der objektiven Eignung zur Herstellung einer bedrohlichen Atmosphäre und einer damit verbundenen Einschränkung der Freiheit zur politischen Willensbildung (2). Die verbleibenden Sachverhalte stellen sich nicht als Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dar, die ein Erreichen der von der Antragsgegnerin verfolgten verfassungswidrigen Ziele zumindest möglich erscheinen lassen (3).

978

(1) (a) Zur Begründung der Schaffung einer Atmosphäre der Angst durch die Antragsgegnerin kann nicht auf die vom Antragsteller vorgelegte "Liste mit freien Angaben zu Bedrohungserfahrungen" der Psychologin Anette Hiemisch zurückgegriffen werden. Diese beruht auf der Befragung von 37 Personen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, von denen 30 Personen angaben, Bedrohungserfahrungen gemacht zu haben. Der Liste ist im Einzelnen aber nicht zu entnehmen, von welcher Organisation die jeweilige Bedrohung, die zudem nach Ort, Datum und handelnden Personen nicht näher konkretisiert wird, ausgegangen ist. Hinzu kommt, dass es sich um anonyme Angaben handelt. Dies schließt eine Zurechnung der erfragten Aussagen zur Antragsgegnerin aus.

979

(b) Der Auffassung des Antragstellers, dass Bedrohungen und Einschüchterungen durch Mitglieder von Kameradschaften und anderen "freien Gruppen" der Antragsgegnerin grundsätzlich zuzurechnen seien, kann nicht gefolgt werden. Soweit er meint, dies ergebe sich bereits aus dem Begriff des "Anhängers" und aus der Existenz des bestehenden Netzwerks rechtsextremer Gruppierungen, steht dem entgegen, dass - wie bereits dargestellt (vgl. Rn. 927 ff.) - die Antragsgegnerin und die Kräfte des parteiungebundenen Rechtsextremismus zwar (mit regional unterschiedlicher Intensität) einzelfallbezogen zusammenarbeiten. Dabei kommt aber der Antragsgegnerin keine Führungsrolle zu. Kameradschaften und sonstige Gruppen der freien Szene stellen sich nicht als "verlängerter Arm" der Antragsgegnerin dar, sondern agieren autonom. Demgemäß kommt eine Zurechnung ihres Handelns zur Antragsgegnerin nur in Betracht, wenn diese das Handeln herbeigeführt oder sich in sonstiger Weise zu eigen gemacht hat. Es bedarf also auch hinsichtlich des Handelns der parteiungebundenen rechtsextremen Szene jeweils eines spezifischen Zurechnungszusammenhangs, um dieses als Teil der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der Antragsgegnerin ansehen zu können.

980

(c) Außer Betracht bleiben muss die Darstellung des Sachverständigen Prof. Borstel, im Kommunalwahlkampf 2009 sei in Bargischow ein auf der Liste der CDU angetretener parteiloser Kandidat, der sich gegen die rechtsextreme Nutzung des Jugendclubs positioniert habe, erheblichen Schmähungen und Bedrohungen ausgesetzt gewesen (vgl. Borstel, Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern unter besonderer Berücksichtigung der NPD, S. 32), da es an Hinweisen auf die Täter fehlt und daher eine Zurechnung dieses Sachverhalts zur Antragsgegnerin ausscheidet.

981

(d) Auch die Ereignisse im Anschluss an eine von der Bürgerinitiative "Schneeberg wehrt sich" im Oktober 2013 veranstaltete Demonstration können der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden. Bei dieser Demonstration hatte auch der Kreisvorsitzende der Antragsgegnerin H. gesprochen. Im Anschluss an die Demonstration zogen 30 bis 50 mit Fackeln ausgestattete Veranstaltungsteilnehmer vor das Privathaus des Bürgermeisters. Der Antragsteller trägt vor, der Bürgermeister habe sich bedroht gefühlt, insbesondere weil ein Aktivist sein Grundstück betreten habe. Seine Ehefrau und die Nachbarn seien ebenfalls entsetzt und verängstigt gewesen. Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin diese Abläufe veranlasst oder sich in sonstiger Weise zu eigen gemacht hat. Ein Aufruf oder ein sonstiger Beitrag des Kreisvorsitzenden der Antragsgegnerin dazu, dass die Versammlung sich in Richtung des Hauses des Bürgermeisters in Bewegung setzte, ist nicht ersichtlich und vom Antragsteller nicht beweiskräftig dargelegt.

982

(e) Die vom Antragsteller dargestellten Bedrohungen des Ehepaars in Jamel können der Antragsgegnerin ebenfalls nicht zugerechnet werden, da diese anonym erfolgten.

983

(2) Die Feststellung einer durch die Antragsgegnerin herbeigeführten Atmosphäre der Angst oder Bedrohung kommt nur in Betracht, wenn das ihr zurechenbare Handeln objektiv geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung zu beeinträchtigen (vgl. Rn. 588).

984

(a) Unberücksichtigt bleiben muss daher die bloße Teilnahme der Antragsgegnerin am politischen Meinungskampf. Soweit diese die Grenzen des im demokratischen Diskurs Zulässigen nicht überschreitet, führt dies - ungeachtet möglicher weitergehender Intentionen der Antragsgegnerin und subjektiver Gefühle einzelner Betroffener - nicht zu einer Einschränkung Dritter bei der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte.

985

(aa) Dementsprechend kann die Beteiligung der Antragsgegnerin an Protestkundgebungen im Bereich der Asyl- und Flüchtlingspolitik für sich genommen nicht als Beitrag zur Schaffung einer Atmosphäre der Angst angesehen werden. Unbeachtlich sind im vorliegenden Zusammenhang daher sowohl der Vortrag des Antragstellers zur Gesamtzahl der von der Antragsgegnerin veranstalteten Demonstrationen als auch die Hinweise auf einzelne Kundgebungen, da insoweit eine der Antragsgegnerin zurechenbare Überschreitung der Grenzen des politischen Meinungskampfes nicht dargelegt ist.

986

Hinsichtlich der vom Antragsteller geschilderten Aktivitäten in Sachsen ist festzustellen, dass die Eskalationen nach den Demonstrationen am 24. Juli 2015 in Dresden und am 21. August 2015 in Heidenau der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden können (vgl. Rn. 964 ff.). Im Übrigen ist nicht nachgewiesen, dass die Antragsgegnerin bei den vom Antragsteller gesondert aufgeführten Demonstrationen im Raum Sächsische Schweiz, im Landkreis Leipzig oder in Schneeberg in einer Weise agiert hat, die objektiv geeignet ist, ein Klima der Angst oder Bedrohung entstehen zu lassen. Auch das von der Antragsgegnerin in Mecklenburg-Vorpommern zu verantwortende Demonstrationsgeschehen überschreitet - soweit erkennbar - die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes jedenfalls nicht in einer Weise, die die Möglichkeit freier und gleichberechtigter Teilnahme am Prozess der politischen Willensbildung einzuschränken geeignet ist. Das bloße Zeigen von Transparenten mit fremdenfeindlichen Aufschriften und Sprechchöre mit entsprechendem Inhalt genügen insoweit nicht. Die Kundgebungstouren der ehemaligen Landtagsfraktion der Antragsgegnerin in den Jahren 2014 und 2015 rechtfertigen keine andere Bewertung.

987

(bb) Hinsichtlich des Rücktritts des Ortsbürgermeisters von Tröglitz erscheint ein Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes durch die Antragsgegnerin ebenfalls zweifelhaft. Zwar hat die Antragsgegnerin als Reaktion auf eine geplante Unterbringung von 40 Flüchtlingen in einem Wohnhaus insgesamt zehn sogenannte "Lichterspaziergänge" durchgeführt. Die Route eines Spaziergangs sollte gezielt am Haus des Ortsbürgermeisters vorbeiführen, um diesen zu einer Stellungnahme zu den Protesten zu veranlassen. Nach Billigung dieser Route durch die Versammlungsbehörde trat der Bürgermeister mit der Begründung zurück, er sehe den Demonstrationszug als Bedrohung für seine von behördlicher Seite nicht ausreichend geschützte Familie. Die Antragsgegnerin hat den Rücktritt des Bürgermeisters als Erfolg begrüßt. Der Bundesvorsitzende Franz äußerte in Bezug auf die Medienschlagzeile "NPD jagt CDU-Bürgermeister aus dem Amt - weil er sich für Flüchtlinge engagierte" auf seiner Facebook-Seite: "Die Presse verdreht zwar die Tatsachen total, aber solche Titel könnte es öfter geben".

988

Auch wenn der Ortsbürgermeister von Tröglitz den geplanten Vorbeizug der von dem NPD-Kreistagsmitglied T. angemeldeten Demonstration an seinem Haus subjektiv als Bedrohung für sich und seine Familie empfunden haben mag, kann die bloße Durchführung eines angemeldeten Aufzuges auf einer gebilligten Route aber für sich noch keinen Eingriff in den Prozess freier und gleichberechtigter Teilhabe an der politischen Willensbildung darstellen.

989

(cc) Auch die Proteste gegen die Nutzung des Spreehotels in Bautzen überschreiten die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes noch nicht. Soweit Jürgen Gansel in einem am 29. März 2014 auf der Homepage des Sächsischen Landesverbands eingestellten Brief "die Ausschöpfung aller friedlich-legalen Protestformen von der Flugblattverteilung bis zur Mahnwache und Demonstration" ankündigt, ist dies im demokratischen Meinungsbildungsprozess ebenso hinzunehmen wie der Besuch des umgewidmeten Hotels durch eine Abgeordnetendelegation der Antragsgegnerin im Juli 2014 und die Durchführung mehrerer Mahnwachen. Zur Begründung einer Atmosphäre der Angst sind diese Aktivitäten nicht geeignet.

990

(dd) Dies gilt auch für den Protest und den Aufruf zu einer Demonstration gegen die Moschee in Leipzig-Gohlis unter dem Motto "Maria statt Scharia! Islamisierung und Überfremdung stoppen" am 17. August 2013. Die Antragsgegnerin dokumentiert dadurch zwar ihre Islamfeindlichkeit. Dies rechtfertigt aber trotz des Umstandes, dass die Demonstration unmittelbar vor der Moschee stattfand, die Annahme nicht, dass hierdurch in Überschreitung der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes eine Atmosphäre der Angst geschaffen wurde. Gleiches gilt für die auf dem Baugrundstück der geplanten Moschee im August 2014 von Mitgliedern der Antragsgegnerin und der JN durchgeführte, nicht angemeldete öffentliche Versammlung.

991

(b) Weitere Aktivitäten der Antragsgegnerin dürften aufgrund ihres diffamierenden Charakters die Grenzen zulässiger politischer Meinungsbildung überschreiten. Gleichwohl kann für einzelne Fälle nicht davon ausgegangen werden, dass diese objektiv geeignet sind, eine generelle Atmosphäre der Angst herbeizuführen, die der Wahrnehmung demokratischer Rechte entgegensteht.

992

(aa) Dies gilt insbesondere für einzelne Wahlkampfaktivitäten der Antragsgegnerin. Sowohl die Verwendung des Wahlplakats "Geld für die Oma statt für Sinti & Roma" als auch des Wahlplakats "Gas geben" und dessen Platzierung unter anderem vor dem Jüdischen Museum in Berlin belegen zwar eine eklatante Missachtung ethnischer Minderheiten durch die Antragsgegnerin. Auch ist es nachvollziehbar, dass - wie der Antragsteller dargelegt hat - die aggressive Rhetorik der Antragsgegnerin bei den Betroffenen subjektive Bedrohungsgefühle auslösen kann. Es erscheint jedoch bereits zweifelhaft, ob die Häufigkeit und Dichte der von der Antragsgegnerin verbreiteten minderheitenfeindlichen Parolen ausreichen, um objektiv von der Herbeiführung einer Atmosphäre der Angst ausgehen zu können. Eine Beeinträchtigung der Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung resultiert daraus jedenfalls nicht. Ebenso wenig ist belegt, dass die in den Bundestagswahlkämpfen 2009 und 2013 vom Landesverband Berlin versandten Rundschreiben, in denen Kandidaten mit Migrationshintergrund zur Ausreise aufgefordert wurden, die Möglichkeit der Wahrnehmung demokratischer Teilhaberechte eingeschränkt haben. Gleiches gilt für die an den thüringischen Kommunalpolitiker S. gerichteten Aufforderungen.

993

(bb) Die durch Landtagsabgeordnete und Kommunalvertreter der Antragsgegnerin durchgeführten Besuche in Flüchtlingsheimen und Asylunterkünften sind Teil der fremdenfeindlichen Agitation der Antragsgegnerin. So nutzte der Münchener Stadtrat Karl Richter den Besuch in einer Asylunterkunft am 4. März 2014, um gemeinsame Fotos mit Flüchtlingen zu machen, zugleich aber in einem Kommentar auf Facebook vom 13. März 2014 von "vergleichsweise stark pigmentierten Heimbewohnern" zu sprechen. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang behauptet, die Fotos legten die Vermutung nahe, die Bewohner hätten den Besuch als angenehm empfunden, steht dem der Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 27. Oktober 2014 (Cs 112 Js 136147/14) wegen Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz in drei tateinheitlichen Fällen - auf Strafanzeige und Strafantrag der abgebildeten Asylbewerber - entgegen.

994

In vergleichbarer Weise suchten Mitglieder der ehemaligen Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern im Dezember 2014 das Gelände eines zu einer Asylunterkunft umfunktionierten Ferienlagers in Plöwen (Landkreis Vorpommern-Greifswald) auf. In einem hierbei angefertigten, im Internet abrufbaren Video unter der Überschrift "Offenes Tor für NPD-Besuch im Asylanten-Ferienlager Plöwen" schildert Michael Andrejewski eine privilegierte Unterbringung der Flüchtlinge und entwirft Bedrohungsszenarien für die einheimische Bevölkerung. Diese müsse damit rechnen, dass angesichts des Ansturms von Migranten zukünftig Privatwohnungen direkt beschlagnahmt werden könnten.

995

Gleichwohl ist nicht ersichtlich, dass hierdurch eine Atmosphäre der Angst geschaffen wird, die die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung einschränkt. Die Besuche der Flüchtlingsunterkünfte können sich noch als zulässige Wahrnehmung parlamentarischer Kontrollrechte darstellen. Die damit verbundene ausländerfeindliche Agitation enthält zumindest kein ausreichendes Bedrohungspotential, um von einer dauerhaften Einschränkung demokratischer Mitwirkungsmöglichkeiten ausgehen zu können. Es ist nachvollziehbar, dass diese Maßnahmen bei den Betroffenen Unbehagen erzeugen oder auch Gefühle der Angst, aber sie sind nicht geeignet, eine generelle Atmosphäre der Angst zu schaffen.

996

(cc) Ebenso wenig ergibt sich dies aus der Behauptung des Antragstellers, in Löcknitz habe eine Gruppe um einen Gemeindevertreter der Antragsgegnerin eine Versammlung der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie gestört und beleidigende Parolen wie "alles Parasiten" und "polnischer Pöbel" gerufen. Polizeikräfte verwiesen die Personen des Gebäudes und stellten ihre Identität fest. Eine Bedrohungssituation in Bezug auf die Ausübung demokratischer Beteiligungsrechte ist damit nicht dargetan.

997

(c) Auch die Behauptungen des Antragstellers zum Versuch der Einschüchterung von Einzelpersonen durch die Antragsgegnerin überzeugen in einzelnen dargestellten Fällen nicht.

998

(aa) Zwar führte der Kreisverband Berlin-Pankow der Antragsgegnerin am 21. Januar 2015 unter dem Motto "Den Feind erkennen - den Feind benennen" eine gegen den Pankower Bezirksbürgermeister K. gerichtete Kundgebung mit - nach Darstellung des Antragstellers - circa zehn Teilnehmern durch, von denen zwei versuchten, in dessen gleichzeitig stattfindende Bürgersprechstunde zu gelangen. Das damit verbundene Bedrohungspotential erscheint indes gering. Von einer ernsthaften Gefährdung des betroffenen Bezirksbürgermeisters und einer relevanten Beeinträchtigung der Wahrnehmung seines Amts oder seines Anspruchs auf Teilhabe an der politischen Willensbildung kann nicht ausgegangen werden.

999

(bb) Gleiches gilt hinsichtlich der vom Antragsteller geschilderten Vorfälle aus den Jahren 2007 bis 2009 in Schöneiche bei Berlin. Soweit der Antragsteller darlegt, dass Funktionäre der Antragsgegnerin jüdische Feste gestört hätten, ergibt sich allein daraus kein Hinweis auf eine Bedrohungssituation für die Anwesenden. Auch die Behauptung, beim Heimatfest 2009 hätten zwei Männer aus einer Gruppe um den Ortsverbandsvorsitzenden der Antragsgegnerin aggressiv auf den Bürgermeister eingeredet, rechtfertigt den Rückschluss auf eine Beeinträchtigung seines Anspruchs auf freie und gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung nicht. Soweit der Antragsteller darauf verweist, dass es am 27. Oktober 2008 zu einer Bedrohung des Bürgermeisters durch drei vermummte Personen auf dessen privatem Grundstück gekommen sei, kann dieser Vorfall der Antragsgegnerin nicht zugerechnet werden, da keine Täter ermittelt werden konnten. Daran ändern auch befürwortende Kommentare auf der Internetseite Altermedia nichts, da auch diese nicht unmittelbar der Antragsgegnerin zugerechnet werden können.

1000

(cc) Das von dem Antragsteller in Bezug genommene Interview, das eine in Deutschland geborene Moderatorin mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Antragsgegnerin Ronny Zasowk im ZDF geführt hat, belegt zwar, dass die Antragsgegnerin das Bleiberecht eingebürgerter Deutscher mit Migrationshintergrund bestreitet. Dass damit aber eine die Freiheit der politischen Willensbildung beeinträchtigende Bedrohungssituation herbeigeführt wurde, ist nicht feststellbar.

1001

(d) Schließlich sind die Aktivitäten der Antragsgegnerin zur Gründung von Bürgerwehren und der Durchführung von Patrouillengängen nicht geeignet, die Herbeiführung einer Atmosphäre der Angst objektiv zu begründen, da eine Überschreitung rechtlicher Grenzen und der unzulässige Eingriff in die Rechte Dritter bisher - soweit erkennbar - nicht stattgefunden haben. Dies gilt auch für die zwei von der Antragsgegnerin gesondert geschilderten Patrouillengänge der Bürgerwehr Güstrow am 4. und 8. April 2015. Dass es dabei zu Rechtsverstößen oder einem in sonstiger Weise objektiv bedrohlichen Vorgehen kam, behauptet der Antragsteller nicht. Daher kann auch die Beteiligung des anderweitig vorbestraften Stadtvertreters der Antragsgegnerin M. an der Gründung und den Aktivitäten der Bürgerwehr nichts daran ändern, dass die Durchführung der beiden Patrouillengänge für die Annahme der Herbeiführung einer demokratische Beteiligungsrechte einschränkenden Atmosphäre der Angst nicht ausreicht.

1002

(3) Soweit darüber hinaus einzelne Sachverhalte verbleiben, bei denen ein die Freiheit der politischen Willensbildung beeinträchtigendes Bedrohungspotential vorhanden ist oder zumindest nicht ausgeschlossen werden kann (a), genügen diese nicht, um bei der Antragsgegnerin eine Grundtendenz zur Verfolgung ihrer politischen Ziele durch die Herstellung einer Atmosphäre der Angst feststellen zu können (b).

1003

(a) (aa) Den von den Mitgliedern der Antragsgegnerin begangenen Gewalttaten wohnt hinsichtlich des jeweiligen Einzelfalls ein beträchtliches Einschüchterungs- und Bedrohungspotential inne. Dies gilt auch für die vom Antragsteller im vorliegenden Zusammenhang gesondert aufgeführte Körperverletzung und Beleidigung einer aus Kenia stammenden Frau durch den Vorsitzenden des Kreisverbands Zwickau-Westsachsen G., der wegen dieser Tat zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde (vgl. AG Hohenstein-Ernstthal vom 30. März 2015 - 1 Ds 120 Js 2411/15 -). Wie aber bereits dargestellt (vgl. Rn. 976), handelt es sich insoweit um meist zufällig zustande gekommene Einzeltaten, die in der Gesamtschau noch nicht als Ausdruck einer der Antragsgegnerin zurechenbaren Grundtendenz zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele mit Gewalt oder der Drohung mit Gewalt und einer damit verbundenen Schaffung einer Atmosphäre der Angst angesehen werden können. Dies gilt auch, soweit bei einer Durchsuchung der Wohnräume des K. Fotos prominenter Politiker und Personen jüdischen Glaubens aufgefunden wurden, die als Zielscheibe gefertigt waren und Einschusslöcher von Luftdruckwaffen aufwiesen.

1004

(bb) Auch wenn eine Beteiligung des Stadtvertreters M. oder sonstiger Mitglieder der Antragsgegnerin an den die Leiterin einer multikulturellen Begegnungsstätte in Güstrow betreffenden Straftaten nicht feststellbar ist, kann doch zumindest von der Mitwirkung am Aufbau einer gegen diese gerichteten Drohkulisse ausgegangen werden. Dies ergibt sich sowohl aus dem Umstand, dass auf der M. zurechenbaren Facebook-Seite der Initiative "Güstrow wehrt sich gegen Asylmissbrauch" in aggressiver und beleidigender Form über die Leiterin der Begegnungsstätte berichtet wird, als auch aus der durch den Antragsteller dargestellten Beobachtung eines Treffens mit einem Zeitungsreporter im April 2015 durch eine Gruppe um M. Dieses Verhalten ist - auch wenn es im Ergebnis nicht zum Erfolg geführt hat - erkennbar darauf gerichtet, Druck auf die Leiterin der Begegnungsstätte auszuüben, um diese zu veranlassen, ihr Engagement gegen Rechtsextremismus zu beenden.

1005

(cc) Ebenso auf die Herstellung einer Drohkulisse ausgerichtet war - ungeachtet der strafrechtlichen Beurteilung - die Versammlung von zwölf Aktivisten der Antragsgegnerin unter Führung von David Petereit vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters von Lalendorf und die Verteilung von Flugblättern mit dem Text, das Handeln des Bürgermeisters sei mit einem "Stalinorden für Demokratieerhalt" durch das "Ministerium für Gemeindesicherheit Lalendorf" zu belohnen, nachdem dieser sich geweigert hatte, einer rechtsextremistischen Familie die Patenurkunde des Bundespräsidenten zur Geburt des siebten Kindes zu überreichen. Diese Aktion kann entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin schon deshalb nicht mehr als "politischer Schlagabtausch innerhalb der Auseinandersetzung zwischen politischen Gegnern" gewertet werden, weil einige der Anwesenden das Grundstück des Bürgermeisters unerlaubt betreten haben.

1006

(dd) Schließlich hat der Antragsteller zwar behauptet, dass der Ordnungsdienst der Antragsgegnerin in einschüchternder Weise gegen politische Gegner auftrete. Die sachkundige Dritte Röpke hat dies bekräftigt. Dabei kann allerdings der Antragsgegnerin nicht bereits die Tatsache zur Last gelegt werden, dass sie zur Gewährleistung der störungsfreien Durchführung von Kundgebungen überhaupt über einen Ordnungsdienst verfügt. Hinsichtlich des angeblich einschüchternden Auftretens des Ordnungsdienstes werden lediglich wenige Einzelbeispiele im Umfeld einzelner Veranstaltungen der Antragsgegnerin benannt (vgl. Rn. 974), die von dieser bestritten werden.

1007

(b) Letztlich kann der Ablauf dieser Einzelbeispiele dahinstehen, da die beschriebenen Sachverhalte insgesamt nicht ausreichen, um festzustellen, dass die Antragsgegnerin ihre verfassungsfeindlichen Absichten planvoll durch den Aufbau von Drohkulissen und die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durchzusetzen versucht. Ebenso wie die begangenen Straftaten stellt sich das Vorgehen einzelner Mitglieder der Antragsgegnerin gegen die Leiterin der multikulturellen Begegnungsstätte in Güstrow und gegen den Bürgermeister von Lalendorf als Einzelfallgeschehen dar, das nicht zu Lasten der Antragsgegnerin verallgemeinert werden kann. Dies gilt auch für die Hinweise zum Vorgehen des Ordnungsdienstes der Antragsgegnerin. Die Anordnung eines Parteiverbots rechtfertigen die beschriebenen Sachverhalte noch nicht. Ihre Anzahl und Qualität genügen nicht, um davon ausgehen zu können, dass eine Grundtendenz der Antragsgegnerin besteht, ihre verfassungsfeindlichen Absichten durch die Schaffung einer Atmosphäre der Angst durchzusetzen.

1008

dd) Der Senat verkennt nicht, dass die von einem einschüchternden, gezielt provokativen oder die Grenzen der Strafbarkeit überschreitenden Verhalten der Mitglieder oder Anhänger der Antragsgegnerin Betroffenen sich in ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungs- und Handlungsfreiheit schwer und nachhaltig beeinträchtigt sehen können. Ausmaß, Intensität und Dichte derartiger Vorfälle überschreiten nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung die aus den dargelegten Gründen (vgl. Rn. 523 ff.) hohe Schwelle eines Parteiverbots nach Art. 21 Abs. 2 GG jedoch nicht, da die Antragsgegnerin zu einer prägenden Einflussnahme auf den politischen Prozess nicht in der Lage ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Präsenz der Antragsgegnerin und damit die vom Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger ausgehende einschüchternde Wirkung lokale oder - seltener - einige wenige regionale Schwerpunkte aufweist. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der Antragsgegnerin Betroffene wirkungsvoll zu schützen.

E.

1009

Die Entscheidung über die Nichterstattung der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG. Danach kommt eine Auslagenerstattung im Parteiverbotsverfahren nur ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. BVerfGE 20, 119 <133 f.>; 49, 70 <89>; 96, 66 <67>; 110, 407 <409>). Solche Gründe sind hier nicht ersichtlich. Zwar hat das Verfahren im Ergebnis nicht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Antragsgegnerin geführt. Entgegen ihrer Auffassung standen dem Verfahren aber weder unüberwindliche Verfahrenshindernisse noch sonstige Zulässigkeitserfordernisse entgegen. Nach der materiellen Prozesslage war festzustellen, dass das Handeln der Antragsgegnerin planmäßig auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist und ihm lediglich wegen mangelnder Potentialität die Qualität eines "Darauf Ausgehens" im Sinne des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG fehlt. Daher ist eine Auslagenerstattung trotz des im Ergebnis erfolglosen Verbotsantrags nicht angezeigt.

F.

1010

Die Entscheidung ist einstimmig ergangen.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.

(2) In den Fällen des § 13 Nr. 6, 6a, 11, 12 und 14 hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Gesetzeskraft. Das gilt auch in den Fällen des § 13 Nr. 8a, wenn das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt. Soweit ein Gesetz als mit dem Grundgesetz oder sonstigem Bundesrecht vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt wird, ist die Entscheidungsformel durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Entsprechendes gilt für die Entscheidungsformel in den Fällen des § 13 Nr. 12 und 14.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) In das Beamtenverhältnis darf berufen werden, wer

1.
Deutsche oder Deutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes ist oder die Staatsangehörigkeit
a)
eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder
b)
eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder
c)
eines Drittstaates, dem die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Union vertraglich einen entsprechenden Anspruch auf Anerkennung der Berufsqualifikationen eingeräumt haben,
besitzt,
2.
die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, und
3.
a)
die für die entsprechende Laufbahn vorgeschriebene Vorbildung besitzt oder
b)
die erforderliche Befähigung durch Lebens- und Berufserfahrung erworben hat.
In das Beamtenverhältnis darf nicht berufen werden, wer unveränderliche Merkmale des Erscheinungsbilds aufweist, die mit der Erfüllung der Pflichten nach § 61 Absatz 2 nicht vereinbar sind.

(2) Wenn die Aufgaben es erfordern, darf nur eine Deutsche oder ein Deutscher im Sinne des Artikels 116 Absatz 1 des Grundgesetzes in ein Beamtenverhältnis berufen werden.

(3) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat kann Ausnahmen von Absatz 1 Nr. 1 und Absatz 2 zulassen, wenn für die Berufung der Beamtin oder des Beamten ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht.

Ein Mitglied des Bundestages, das entgeltlich mit einem Gegenstand beschäftigt ist, der in einem Ausschuss des Bundestages zur Beratung ansteht, hat als Mitglied dieses Ausschusses vor einer Wortmeldung eine Interessenverknüpfung offenzulegen. Ein Mitglied des Bundestages, das in einem Ausschuss die Berichterstattung übernommen hat, hat vor der Beratung eine konkrete Interessenverknüpfung offenzulegen; diese Angaben werden in der Beschlussempfehlung des Ausschusses angemerkt.

(1) Die Übermittlung von Daten einer Mehrzahl von Ausländern, die in einem Übermittlungsersuchen nicht mit vollständigen Grundpersonalien bezeichnet sind und die auf Grund im Register gespeicherter und im Übermittlungsersuchen angegebener gemeinsamer Merkmale zu einer Gruppe gehören (Gruppenauskunft), darf nur zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der in den §§ 15 bis 17 und 20 bezeichneten öffentlichen Stellen erfolgen. Sie ist zulässig, soweit sie

1.
im besonderen Interesse der betroffenen Personen liegt oder
2.
erforderlich und angemessen ist
a)
zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder
b)
zur Verfolgung eines Verbrechens oder einer anderen erheblichen Straftat, von der auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß sie gewerbs- oder gewohnheitsmäßig, von einem Bandenmitglied oder in anderer Weise organisiert begangen wird,
und die Daten auf andere Weise nicht, nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder nicht rechtzeitig erlangt werden können,
3.
unter den in § 2 Abs. 1 Nr. 4 des BND-Gesetzes genannten Voraussetzungen erforderlich ist, um im Ausland Gefahren der in § 5 Abs. 1 Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Art rechtzeitig zu erkennen und einer solchen Gefahr zu begegnen.

(1a) Bei einer Gruppenauskunft ist die Übermittlung der Daten nach § 3 Absatz 3 zu Ausländern nach § 2 Absatz 1a Nummer 1 und Absatz 2 Nummer 1 sowie die Übermittlung der Daten von Unionsbürgern, bei denen eine Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts des Freizügigkeitsrechts nicht vorliegt, nicht zulässig.

(2) Das Ersuchen ist schriftlich zu stellen, zu begründen und bedarf der Zustimmung des Leiters der ersuchenden Behörde oder eines von ihm für solche Zustimmungen bestellten Vertreters in leitender Stellung. Ein Abruf im automatisierten Verfahren ist unzulässig. Die ersuchende Stelle hat die Daten, die sie nicht oder nicht mehr zur Aufgabenerfüllung benötigt, zu vernichten.

(3) Die Registerbehörde hat nach Erteilung einer Gruppenauskunft die Bundesbeauftragte oder den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit und, soweit die Daten an eine öffentliche Stelle eines Landes übermittelt worden sind, den Datenschutzbeauftragten des Landes zu unterrichten.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.

(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.

(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.

(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 4. April 2007 - 5 K 2170/06 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000.- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 04.04.2007, mit dem sein Antrag abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts Breisgau-Hochschwarzwald vom 21.11.2006 anzuordnen, ist zwar fristgerecht eingelegt (§ 147 Abs. 1 VwGO) und begründet worden (§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die von dem Antragsteller vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung sich das Beschwerdeverfahren grundsätzlich zu beschränken hat (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gebieten keine andere Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Denn die am 07.12.2006 von dem Antragsteller mit Widerspruch rechtzeitig angefochtene Verfügung vom 21.11.2006 ist voraussichtlich rechtmäßig, so dass dem öffentlichen Interesse an deren sofortiger Vollziehung zutreffend Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung des bestehenden Zustandes eingeräumt wurde. Auch der Senat vermag bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angezeigten und allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen seiner Prüfungsbefugnis die behaupteten Rechts- bzw. Ermessensfehler nicht zu erkennen.
Das Verwaltungsgericht hat überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller sowohl zum Zeitpunkt der erstmaligen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am 09.07.1998 als auch zum Zeitpunkt der unbefristeten Verlängerung derselben am 04.07.2001 in Doppelehe mit der libanesischen Staatsangehörigen Frau D. (seit 05.05.1992) und mit der deutschen Staatsangehörigen Frau B. (seit 05.12.1997) verheiratet war. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Antragsteller laut Heiratsurkunde des Ja’afaritischen Religionsgerichts Beirut erstmals am 05.05.1992 mit Frau D. religiös geschlossene und dort auf persönlichen Antrag der beiden Eheleute am 04.01.1993 bestätigte sowie später registrierte Ehe, für die gemäß Art. 13 Abs.1 EGBGB libanesisches Familienrecht Anwendung findet, in Deutschland unwirksam oder unbeachtlich gewesen sein könnte, bestehen nicht. Auch der Antragsteller selbst ist offenbar von der Wirksamkeit dieser Ehe ausgegangen; anderenfalls hätte er sich - wohl zur Verschleierung der Ehe zum Zwecke des Nachzuges von Frau D. und den beiden gemeinsamen Kinder nach Deutschland - nicht am 14.02.2005 vor dem Ja’afaritischen Religionsgerichts Nabatieh von Frau D. scheiden lassen, um diese sodann am 24.05.2005 erneut und in offenbar gleicher Weise wie am 05.05.1992 zu heiraten. Insbesondere der Vortrag des Antragstellers, er sei davon ausgegangen, bei der religiösen Eheschließung am 05.05.1992 habe es sich nur um ein Verlöbnis gehandelt, ist offenkundig eine Schutzbehauptung, wie das Verwaltungsgericht umfangreich und detailliert dargelegt hat. Dem muss nichts hinzugefügt werden.
Aufgrund des Vorliegens einer Doppelehe ist die Aufenthaltserlaubnis dem Antragsteller voraussichtlich im Sinne des § 48 Abs. 1 LVwVfG am 09.07.1998 gemäß §§ 17 Abs. 1, 23 Abs. 1 Nr. 1 AuslG rechtswidrig erteilt und am 04.07.2001 rechtswidrig unbefristet verlängert worden. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 17 Abs. 1 AuslG soll der Ehegattennachzug nur in dem durch Art. 6 GG gebotenen Umfang erfolgen. Art. 6 GG jedoch schützt die Doppelehe grundsätzlich nicht. Nach der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes zu § 17 AuslG hat der Hinweis auf Art. 6 GG begrenzende Funktion, um eine Nachzugsberechtigung von Familienangehörigen aus einer Mehrehe auszuschließen (vgl. BT-Drs. 11/6321, S. 60). Dies gilt unabhängig von dem Umstand, dass es nach internationalem Privatrecht möglich sein kann, die Mehrehe eines Ausländers zivilrechtlich als gültig anzusehen (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.03.2004 - 10 A 11717/03 - juris). Denn das Prinzip der Einehe gehört zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland und damit auch zu den auch ausländergesetzlichen Regelungen vorgegebenen verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 - BVerfGE 62, 323; BVerwG, Urteil vom 30.04.1985 - 1 C 33.81 - BVerwGE 71, 228; Niedersächs. OVG, Urteil vom 06.07.1992 - 7 L 3634/91 - juris).
Daran ändert der Grundsatz des - bis zum Inkrafttreten des Eheschließungsrechtsgesetzes (BGBl 1998 I 833) am 01.07.1998 gültigen - § 23 EheG nichts, wonach sich niemand auf die Nichtigkeit etwa einer Doppelehe berufen kann, solange diese nicht durch gerichtliches Urteil für nichtig erklärt worden ist. Denn dieser Grundsatz modifizierte nicht etwa das in den §§ 5, 20 EheG geregelt gewesene bzw. seit 01.07.1998 in § 1306 BGB geregelte Verbot der Doppelehe. Das Verbot der Doppelehe wird vielmehr durch das Rechtsinstitut der Nichtigkeit bzw. Aufhebbarkeit der Ehe umgesetzt, gilt zweiseitig auch gegenüber dem Ledigen und ist nicht befreiungstauglich. Die gesetzlich gewollte Durchsetzungskraft dieses Verbotes zeigt sich weiter an seiner Strafbewehrtheit gemäß § 171 StGB sowie der eng begrenzten Möglichkeit des Ausschlusses der Aufhebung einer Doppelehe nach §§ 1314 Abs. 1, 1315 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Das Ausländerrecht ist im Einklang mit diesem Verbot auszulegen. Wenn die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wegen Verstoßes gegen das Verbot der Doppelehe abgelehnt wird, wird sich damit nicht im Sinne des früheren § 23 EheG auf die Nichtigkeit der Ehe berufen, vielmehr werden die ausländerrechtlichen Normen verfassungskonform angewendet. Im Übrigen war § 23 EheG bereits im Zeitpunkt der Ersterteilung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers am 09.07.1998 außer Kraft getreten.
Dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 LVwVfG im vorliegenden Fall die Rücknahme der rechtswidrigen Verwaltungsakte voraussichtlich nicht hindert, ergibt sich schon aus Satz 2 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 3 Nr. 1 dieser Norm. Wer, wie der Antragsteller, durch Vorlage einer gefälschten oder jedenfalls inhaltlich falschen Ledigkeitsbescheinigung die Eheschließung im Bundesgebiet sowie daran anknüpfend die Aufenthaltserlaubnis und deren Verlängerung gewissermaßen erschleicht, täuscht arglistig und kann sich nicht auf Vertrauen oder Verwirkung berufen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl., § 48 Rn. 132, m.w.N.).
Der Senat vermag schließlich die geltend gemachten Ermessensfehler im Rahmen der Ausweisung gemäß § 55 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 bzw. § 55 Abs. 1 AufenthG nicht zu erkennen. Wie dargelegt kann voraussichtlich nicht angenommen werden, dass die Ausländerbehörde von falschen Tatsachen ausgegangen ist oder nur unzureichende libanesische Rechtskenntnisse besaß. Sie hat ihrer Ausweisungsentscheidung vielmehr zutreffend zugrunde gelegt, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Erteilung und Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis neben Frau B. auch mit Frau D. verheiratet war, und dass die mit Frau D. nach libanesischem Familienrecht geschlossene Ehe in Deutschland als rechtswirksam anzusehen war. Die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 16.01.2007 hat die Vorgänge allein strafrechtlich bewertet und wirkt sich damit hier nicht entscheidungserheblich aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
10 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit

1.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,
2.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3.
bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4.
bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen,
5.
bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. Bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zur sicherheitsmäßigen Bewertung der Angaben der nichtöffentlichen Stelle unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder befugt. Sofern es im Einzelfall erforderlich erscheint, können bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 zusätzlich die Nachrichtendienste des Bundes sowie ausländische öffentliche Stellen um Übermittlung und Bewertung vorhandener Erkenntnisse und um Bewertung übermittelter Erkenntnisse ersucht werden.

(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Gründe

Oberlandesgericht München

Az.: 34 Wx 311/14

Beschluss

vom 3.7.2015

3465 a E - 186/2014 Der Präsident des OLG München

34. Zivilsenat

Leitsatz:

In dem gerichtlichen Verfahren auf Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Ehesachen

Beteiligte:

1) E.

- Antragstellerin

Verfahrensbevollmächtigte: ...

2) S.

- Antragsgegner

Verfahrensbevollmächtigter: ...

hier: Anerkennung einer äthiopischen Entscheidung zur Feststellung des Bestehens einer Ehe,

erlässt das Oberlandesgericht München - 34. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lorbacher, die Richterin am Oberlandesgericht Paintner und den Richter am Oberlandesgericht Kramer am 03.07.2015 folgenden

Beschluss

Der Antrag auf Abänderung der Entscheidung des Präsidenten des Oberlandesgerichts München vom 10. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Das Verfahren richtet sich auf die Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung eines äthiopischen Gerichts über das Bestehen einer Ehe im Inland vorliegen.

Der in München wohnhafte Antragsgegner, ein deutscher Staatsangehöriger, hatte am ...1999 ebendort mit M. die Ehe geschlossen. Die Ehe wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom ...2009 geschieden. Bereits am ...2006 ging der Antragsgegner mit der nun in Kempten (Allgäu) wohnhaften Antragstellerin, einer äthiopischen Staatsangehörigen, in Addis Abeba/Äthiopien nach islamischem Recht die Ehe ein. Am selben Tag wurde auf Antrag beider Beteiligter die Eheschließung durch das Bundesschariaobergericht (Federal Higher Sheria Court) in Addis Abeba (File No. 350/99) anerkannt.

Die Antragstellerin hat am 24.2.2014 um Anerkennung der Entscheidung des Bundesschariaobergerichts vom 24.10.2006 nachgesucht.

In einem unter den Beteiligten anhängigen familiengerichtlichen Verfahren wegen Trennungsunterhalts erklärte der Antragsgegner, die Ehe sei nur zum Schein eingegangen und im Übrigen als Doppelehe unwirksam geschlossen.

Den Antrag auf Feststellung, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung der Entscheidung vom 24.10.2006 gegeben sind, mit dem das Bestehen der Ehe unter den Beteiligten festgestellt wird, hat der Präsident des Oberlandesgerichts München am 10.6.2014 zurückgewiesen. Die urkundlichen Unterlagen seien zwar ebenso wie die Rechtskraft des bezeichneten Urteils nicht anzuzweifeln; aus Gründen des materiell-rechtlichen ordre public, nämlich des Verstoßes gegen das strafbewehrte Verbot der Mehrehe, könne die Entscheidung im Inland jedoch nicht anerkannt werden.

Gegen diese am 17.6.2014 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag vom 15.7.2014. Sie begehrt, die Entscheidung aufzuheben und auszusprechen, dass die Anerkennungsvoraussetzungen für die bezeichnete ausländische Entscheidung vom 24.10.2006 vorliegen. Die Anerkennung könne nicht unter Berufung auf den deutschen ordre public verweigert werden. Der deutsche Gesetzgeber halte Doppelehen nicht mehr für nichtig, sondern nur noch für aufhebbar.

Auch ein deutsches Gericht hätte bei Kenntnis des Umstands, dass eine Doppelehe vorliege, nur aussprechen können, dass diese Ehe (noch) gültig sei.

Die Behörde hat nicht abgeholfen.

Der Senat hat gemäß Beschluss vom 5.11.2014 ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. W. erholt, das dieser unter dem 5.5.2015 vorgelegt hat. Die Beteiligten hatten Gelegenheit, sich hierzu zu äußern.

II.

Der Antrag auf Entscheidung durch das nach § 107 Abs. 7 Satz 1 FamFG zuständige Oberlandesgericht ist statthaft (§ 107 Abs. 5 FamFG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht gestellt. In der Sache bleibt er ohne Erfolg.

1. Gemäß § 107 Abs. 2 und 3 FamFG i. V. m. § 5 GZVJu (i. d. F. v. 1.10.2009, GVBl S. 523) war der Präsident des Oberlandesgerichts München als Behörde der Landesjustizverwaltung zur Anerkennung zuständig, weil beide Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben.

2. Es liegt eine Entscheidung im Sinne von § 107 Abs. 1 Satz 1 FamFG vor, nämlich die Feststellung des Bestehens einer Ehe zwischen den Beteiligten. Das Bundesschariaobergericht ist zwar ein religiöses Gericht; dessen Tätigkeit auf dem Gebiet des Eherechts ist jedoch staatlicherseits anerkannt (dazu MüKo/Rauscher FamFG 3. Aufl. § 107 Rn. 19). Ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (§ 107 Abs. 4 Satz 2 FamFG) ist, wenn der Antrag von einem betroffenen Ehegatten gestellt wird, regelmäßig nicht in Zweifel zu ziehen. Das gilt auch für die ausländische Entscheidung über das Bestehen der Ehe. Denn die Anerkennung oder Nichtanerkennung kann sich auf den familienrechtlichen Status der Eheleute auswirken.

3. Der Präsident des Oberlandesgerichts München hat zutreffend festgestellt, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht gegeben sind.

Der Anerkennungsmaßstab bestimmt sich nach § 109 FamFG.

a) Die internationale Zuständigkeit des äthiopischen Gerichts war für die Entscheidung gegeben (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG). Maßgeblich für die Anwendung des sogenannten Spiegelbildprinzips (Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 109 Rn. 3) ist das zum Zeitpunkt der Einleitung des ausländischen Verfahrens maßgebliche Recht; insoweit sind die im Oktober 2006 noch geltenden Bestimmungen der ZPO zum Verfahren in Ehesachen (§ 606a Abs. 1 Nr. 1, § 632 ZPO a. F.) heranzuziehen. Wenn das (damalige) deutsche Recht dort - in Äthiopien - zur Anwendung käme, müsste die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts gegeben sein. Die Antragstellerin war und ist äthiopische Staatsangehörige, so dass entsprechend § 606a Abs. 1 Nr. 1 ZPO (a. F.) auch die internationale Zuständigkeit des Entscheidungsstaats bestanden hat.

b) Der Antragsgegner war an dem Verfahren vor dem Bundesschariaobergericht auch beteiligt (§ 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). Das ergibt sich aus dem Protokoll zur Entscheidung vom 24.10.2006 und wird im Übrigen von keiner Seite in Frage gestellt. Eine Kollision im Sinne von § 109 Abs. 1 Nr. 3 FamFG ist nicht ersichtlich.

c) Nach § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG ist die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Die unverzichtbaren Erfordernisse der materiell-verfahrensrechtlichen und materiell-privatrechtlichen Gerechtigkeit müssen gewahrt sein (BGH NJW 1983, 2775/2777 f.; Keidel/Zimmermann § 109 Rn. 18 m. w. N.). Bei einem Inlandsbezug sind die inländischen Wertvorstellungen maßgeblich (Keidel/Zimmermann a. a. O.). Verfahrensrecht ist beispielsweise berührt, wenn eine Entscheidung betrügerisch oder kollusiv erlangt ist (BSG NJW-RR 1997, 1433), materielle Rechtsgrundsätze sind tangiert, wenn etwa ein Verstoß gegen Grundrechte gegeben ist oder die Entscheidung im konkreten Fall sonst untragbar erscheint, weil sie zu einem Grundgedanken der deutschen Regelungen in Widerspruch steht (vgl. BGHZ 118, 312/330; BGH NJW 1998, 2358).

(1) Das Prinzip der Einehe gehört zu den prägenden Wertvorstellungen des deutschen Rechts (Palandt/Brudermüller BGB 74. Aufl. Einf v § 1353 Rn. 1 und 3) wie auch das dieses Prinzip schützende Verbot der Doppelehe in § 1306 BGB (Palandt/Brudermüller § 1306 Rn. 1), wonach eine Ehe nicht geschlossen werden darf, wenn zwischen einem der beiden Partner, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe besteht. Das Verbot der Doppelehe ist zweiseitig, es richtet sich auch gegen denjenigen Teil, der nicht verheiratet ist; ein Dispens ist nicht möglich (MüKo/Wellenhofer BGB 6. Aufl. § 1306 Rn. 1). Die Bedeutung dieses Eheverbots wird unterstrichen durch die strafrechtliche Sanktion in § 172 StGB. Daher steht der ordrepublic der Unaufhebbarkeit der Ehe nach dem ausländischen Recht jedenfalls bei Inlandsbezug entgegen (vgl. AG Hanau FamRZ 2004, 949/950). Gleiches gilt für das Eingehen einer polygamen Ehe in Deutschland oder die Klage auf Herstellung einer solchen; denn die deutschen Standesämter und Gerichte sind durch Art. 6 Abs. 1 GG dem Prinzip der Einehe verpflichtet (Staudinger/Peter Mankowski BGB 13. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 252).

Andererseits scheidet die Anerkennung einer bigamischen Ehe nicht von vorneherein immer aus; denn auch das seit dem 1.7.1998 geltende Eheschließungsrecht sieht eine in Deutschland geschlossene Doppelehe nicht als Nichtehe oder nichtige Ehe, sondern als aufhebbare Ehe an (vgl. §§ 1306, 1314 Abs. 1 BGB). Anzuerkennen wäre daher nicht nur die vom Heimatrecht der beiden Ehegatten gestattete polygame Ehe (vgl. VG Gelsenkirchen FamRZ 1975, 338), sondern auch die Zweitehe eines in monogamer Ehe nach deutschem Recht verheirateten Ehegatten, die dieser eingeht, wenn die Zweitehe -wie eine in Deutschland eingegangene Doppelehe - auf Antrag der deutschen Ehefrau aufhebbar ist (MüKo/Coester BGB 5. Aufl. Art. 13 EGBGB Rn. 69). Eine solche Wertung trifft grundsätzlich auch das äthiopische Recht, das in Art. 33 Rev. FamGB die Ehe auf Antrag für aufhebbar erklärt (Bergmann/Ferid/Henrich Ehe- und Kindschaftsrecht Stand: Juli 2014 Äthiopien S. 41).

(2) Abzustellen ist bei der Frage, ob der inländische ordre public einer Anerkennung entgegensteht, jedoch nicht auf die Aufhebbarkeit der bigamischen Ehe nach dem Recht des ausländischen Staates an sich, sondern darauf, ob die anzuerkennende ausländische Entscheidung die bigamische Ehe nur als aufhebbare bestätigt oder doch darüber hinausgehende Wirkung entfaltet. Denn die mit der Anerkennung verbundene Wirkungserstreckung verleiht der ausländischen Entscheidung die Wirkungen, die das fremde Forum nach seinem Recht seinem Urteil beilegt (MüKo/Gottwald ZPO 4. Aufl. § 328 Rn. 4). Eine ausländische Entscheidung, die einer Doppelehe als solche Wirksamkeit verleiht, würde den Wertvorstellungen des deutschen Rechts widersprechen. Hat die gerichtliche Anerkennung der bigamischen Ehe zur Folge, dass sie deswegen nicht mehr aufhebbar ist, so würde der verfassungsrechtliche Schutz der ersten Ehe einer Anerkennung der Entscheidung entgegenstehen. Denn damit bestünde die Gefahr, dass die zweite Ehe auch nach deutschem Recht nicht mehr als Mehrehe aufgehoben werden könnte. Der Senat erkennt in der vorgelegten ausländischen Entscheidung eine derartig weitreichende Wirkung, so dass ihr die Anerkennung im Inland versagt bleiben muss. Es kann dahinstehen, ob der ordre-public-Verstoß in einem anderen Licht zu würdigen wäre, wenn ausnahmsweise auch im Inland die Aufhebung der Doppelehe ausgeschlossen wäre; dafür bestehen nämlich keine Anhaltspunkte.

(3) Das vom Senat erholte Gutachten des Sachverständigen Dr. W. legt dar, dass zwar -wie schon dargestellt - grundsätzlich die bigamische Ehe auch nach äthiopischem Recht auflösbar ist. Indessen könne sich das staatliche Bigamieverbot gegenüber der rechtskräftigen Feststellung eines Schariagerichts über die gültige Eheschließung selbst für den Fall nicht durchsetzen, dass dem Gericht die bigamische Ehe bekannt ist. Folglich würde der Antrag von Parteien auf Auflösung einer vom Schariagericht anerkannten Mehrehe daran scheitern, dass Bigamie für das Schariagericht keinen Eheauflösungsgrund darstellt. Gegenstand des Verfahrens der Parteien zur Auflösung der Mehrehe wäre nämlich die mangelnde Gültigkeit der bigamischen Ehe nach islamischem Recht; das Verfahren hätte damit jedoch denselben Streitgegenstand, den das Schariagericht bei Anerkennung schon behandelt hat, so dass der Antrag am Einwand der res iudicata scheitern würde (Art. 5 Äthiop. ZPO von 1965; siehe unter V.2. S. 25 f. des Gutachtens). Den Parteien - auch dem Staatsanwalt - wäre es folglich verwehrt, sich auf den Auflösungsgrund der Bigamie zu berufen.

Der Senat schließt sich den nachvollziehbaren und detailliert begründeten Ausführungen des Sachverständigen an. An dessen Sachkunde bestehen keine Zweifel. Er hat mangels einschlägiger Gerichtsentscheidungen auf in der Literatur geäußerte Ansichten, die nicht als Einzelmeinung erscheinen, abgestellt und diese mit ausführlichen Nachweisen belegt. Auch die Beteiligten haben gegen die Richtigkeit der Ausführungen des Sachverständigen keine Einwände erhoben.

d) Auf die Frage, ob zudem eine Scheinehe, wie vom Beteiligten zu 2 im unterhaltsrechtlichen Verfahren behauptet, geschlossen worden sei, kommt es daher nicht mehr an.

e) Es kann dann auch dahinstehen, ob die am Tag der Eheschließung ergangene Entscheidung des Shariagerichts dafür sprechen könnte, dass sie kollusiv erwirkt war und dann wohl ebenfalls nicht anerkannt werden könnte (vgl. BSG NJW-RR 1997, 1433).

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Zwar wird der gerichtliche Antrag zum Oberlandesgericht gemäß § 107 Abs. 7 Satz 3 FamFG wie eine Beschwerde behandelt (Keidel/Zimmermann § 107 Rn. 48). Dennoch handelt es sich in der Sache um den ersten Zugang zum Gericht, weshalb es sachnäher erscheint, für die Kostenerhebung auf die flexibleren Regeln für das erstinstanzliche Verfahren, also insbesondere auf § 81 FamFG, abzustellen (so auch MüKo/Rauscher § 107 FamFG Rn. 59). Insoweit ist nach billigem Ermessen zu entscheiden. Hier entspricht es wegen der Schwierigkeit der Rechtslage der Billigkeit, dass eine Erstattung nicht angeordnet wird.

Die Gebühr für das gerichtliche Verfahren selbst ist aus Nr. 1714 KVFamGKG zu entnehmen. Sie ist von der Antragstellerin zu entrichten, weil sie (vgl. § 22 Abs. 1 GNotKG) das gerichtliche Verfahren veranlasst hat. Dies muss nicht gesondert ausgesprochen werden.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (vgl. § 70 Abs. 2 FamFG) liegen nicht vor. Denn die maßgeblichen vom Senat entschiedenen Fragen wurzeln in der Einordnung und Bewertung der ausländischen Entscheidung auf der Grundlage ihrer Rechtsordnung. Vom Grundsatz, dass eine bigamische Ehe auch im deutschen Recht als solche wirksam und nur aufhebbar ist, geht auch der Senat aus.

(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

(2) Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist.

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt und

1.
mit einer dritten Person eine Ehe schließt oder
2.
gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit einer dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.
Ebenso wird bestraft, wer mit einer dritten Person, die verheiratet ist oder eine Lebenspartnerschaft führt, die Ehe schließt oder gemäß § 1 Absatz 1 des Lebenspartnerschaftsgesetzes gegenüber der für die Begründung der Lebenspartnerschaft zuständigen Stelle erklärt, mit dieser dritten Person eine Lebenspartnerschaft führen zu wollen.

Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht.

(1) Eine Ehe kann aufgehoben werden, wenn sie

1.
entgegen § 1303 Satz 1 mit einem Minderjährigen geschlossen worden ist, der im Zeitpunkt der Eheschließung das 16. Lebensjahr vollendet hatte, oder
2.
entgegen den §§ 1304, 1306, 1307, 1311 geschlossen worden ist.

(2) Eine Ehe kann ferner aufgehoben werden, wenn

1.
ein Ehegatte sich bei der Eheschließung im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befand;
2.
ein Ehegatte bei der Eheschließung nicht gewusst hat, dass es sich um eine Eheschließung handelt;
3.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche Umstände bestimmt worden ist, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe von der Eingehung der Ehe abgehalten hätten; dies gilt nicht, wenn die Täuschung Vermögensverhältnisse betrifft oder von einem Dritten ohne Wissen des anderen Ehegatten verübt worden ist;
4.
ein Ehegatte zur Eingehung der Ehe widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist;
5.
beide Ehegatten sich bei der Eheschließung darüber einig waren, dass sie keine Verpflichtung gemäß § 1353 Abs. 1 begründen wollen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über

1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.

(2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit

1.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können,
2.
bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen,
3.
bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte,
4.
bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen,
5.
bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land.
Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. Bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zur sicherheitsmäßigen Bewertung der Angaben der nichtöffentlichen Stelle unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder befugt. Sofern es im Einzelfall erforderlich erscheint, können bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummer 5 zusätzlich die Nachrichtendienste des Bundes sowie ausländische öffentliche Stellen um Übermittlung und Bewertung vorhandener Erkenntnisse und um Bewertung übermittelter Erkenntnisse ersucht werden.

(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes).

(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind

a)
Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen;
b)
Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen;
c)
Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, ziel- und zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen.
Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Bestrebungen im Sinne des § 3 Absatz 1 können auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln. In diesem Fall gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die Verhaltensweise der Einzelperson darauf gerichtet sein muss, die dort genannten Ziele zu verwirklichen. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des § 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte.

(2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:

a)
das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
b)
die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
c)
das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
d)
die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
e)
die Unabhängigkeit der Gerichte,
f)
der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
g)
die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

1. Der Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 werden aufgehoben und die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung.
Der am … 1956 in Teheran/Iran geborene Kläger reiste 1977 in das Bundesgebiet zum Zwecke des Studiums ein. An der Fakultät für Elektrotechnik der Universität Karlsruhe schloss er 1986 mit der Verleihung des Akademischen Grades „Diplom-Ingenieur“ ab. Seither ist er in Deutschland berufstätig.
Laut der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde schloss er 1980 in Dänemark mit der deutschen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1950 in Landau, die Ehe. Diese Ehe blieb kinderlos. Sie wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bad ... vom 13.11.2006 geschieden. Ausweislich der in den Akten befindlichen Heiratsurkunde (AS 33) schloss der Kläger darüber hinaus am 03.03.1999 in Teheran die Ehe mit der iranischen Staatsangehörigen ..., geboren am … 1973. Aus dieser Ehe gingen zwei (1999 und 2012) geborene Kinder hervor.
Am 05.10.2009 beantragte der Kläger beim Bürgermeisteramt P. seine Einbürgerung in den deutschen Staatenverband. Dazu legte er u.a. das Scheidungsurteil und eine Übersetzung der Heiratsurkunde seiner 1999 geschlossenen Ehe vor.
Mit Schreiben vom 17.03.2010 wies das Landratsamt Karlsruhe den Kläger darauf hin, dass er im Jahr 1999 die Ehe mit einer iranischen Staatsangehörigen geschlossen hat, obwohl er in Deutschland noch mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet war. Durch das Eingehen der Zweitehe habe er gezeigt, dass er die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung, zu denen das Prinzip der Einehe zähle, nicht hinreichend akzeptiert habe. Das von ihm unterschriebene Bekenntnis vom 30.09.2009 sei deshalb nicht wirksam abgegeben. Es sei beabsichtigt, seine Einbürgerung abzulehnen. Dem hielt der Kläger durch Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15.04.2010 entgegen, dass die angeführte Begründung keineswegs die Ablehnung der beantragten Einbürgerung rechtfertige. Er habe mit seiner iranischen Frau ... während seiner Geschäftstätigkeit im Iran ein Verhältnis gehabt. Die Eltern der Frau hätten dies herausbekommen und ihm im Iran mit einer Anklage gedroht. Die außereheliche Beziehung stehe im Iran unter Strafe. Zur Vermeidung einer strafrechtlichen Verurteilung sei er gezwungen gewesen, seine jetzige Ehefrau zu heiraten. Nach den iranischen Gesetzen habe diese zweite Ehe geschlossen werden können. Die Ehe mit seiner deutschen Ehefrau sei am 13.11.2006 geschieden worden. Mittlerweile sei er nur noch mit Frau ... verheiratet. Er sei kein Jurist und habe die Rechtsprechung, dass nur die Einehe geschützt sei, nicht kennen müssen. Im Übrigen könne aus der Tatsache, dass er vor annähernd 11 Jahren eine Zweitehe geschlossen habe nicht darauf geschlossen werden, dass er aktuell die Grundzüge der in Deutschland geltenden sozialen und rechtlichen Ordnung nicht akzeptiere.
Mit Bescheid vom 02.07.2010 lehnte das Landratsamt Karlsruhe den Einbürgerungsantrag ab. Dagegen legte der Kläger am 19.07.2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er mit Schriftsatz vom 31.08.2010 ergänzend vortragen ließ, er habe die Existenz dieser Ehe nie verheimlicht und sie sei in Einklang mit den iranischen Gesetzen gestanden. Mit der Argumentation der Behörde würde jeder Ehebrecher in Deutschland nicht die Gewähr dafür bieten, dass er die soziale und rechtliche Ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiere. Selbst amtierende Ministerpräsidenten oder Minister seien in der Vergangenheit in einer Vielzahl von Fällen durch Ehebrüche in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, ohne dass ernsthaft behauptet werde, dass diese hierdurch gezeigt hätten, dass sie gegen die in der Bundesrepublik geltende soziale und rechtliche Grundordnung verstoßen hätten und sie diese Grundordnung nicht akzeptieren würden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.10.2010 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch gegen die Entscheidung des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 als unbegründet zurück. Darin ist unter anderem ausgeführt, das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung müsse auch inhaltlich zutreffen. Durch sein Verhalten in der Vergangenheit habe der Kläger deutlich gemacht, dass er im Kollisionsfall die nach seinem Heimatrecht geltenden Grundsätze über die des Grundgesetzes stelle. So habe er am „03.03.1989“ (gemeint ist 1999) im Iran eine Zweitehe geschlossen, obwohl er seit 1980 bereits verheiratet gewesen sei. Der Einwand, er habe als Nichtjurist nicht wissen können, dass Art. 6 GG lediglich die Einehe schütze, werfe ein bedenkliches Licht auf seine Integration. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe er sich seit 22 Jahren in Deutschland aufgehalten, ein Studium absolviert und sei 19 Jahre deutsch verheiratet gewesen. Auch ohne Jurist zu sein, dürfe von ihm erwartet werden, dass er das Prinzip der Einehe in Deutschland kenne. Soweit er ausführe, er sei die Ehe eingegangen, um im Iran einer strafrechtlichen Verurteilung zu entgehen, dokumentiere dies gerade, dass er sich im Zweifel nicht am Grundgesetz, sondern an seinem Heimatrecht orientiert habe. Im Übrigen habe er seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt und sei daher nicht schutzlos der iranischen Strafverfolgung ausgesetzt gewesen. Die Doppelehe habe er bis zur Scheidung seiner Ehefrau im Jahr 2006, also bis vor vier Jahren tatsächlich geführt. Der Widerspruchsbescheid wurde am 03.11.2010 zugestellt.
Am 08.10.2010 hat der Kläger Klage erhoben; er beantragt,
den Bescheid des Landratsamtes Karlsruhe vom 02.07.2010 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 29.10.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihn in den deutschen Staatsverbund einzubürgern.
10 
Zur Begründung trägt er ergänzend zu den bisherigen Ausführungen vor: Er habe in einer Ausnahmesituation im Jahr 1999 seine iranische Frau geheiratet, weil sie damals schwanger gewesen sei und ihr im Iran deswegen die Steinigung habe drohen können. Nach Auffassung seiner Vertreters sei die iranische Ehe hier unwirksam. Er, der Kläger, habe seine deutsche Ehefrau darüber informiert, auch seine iranische Ehefrau habe bei der Heirat von der deutschen Frau gewusst. Seine erste (deutsche) Ehefrau habe sich nicht scheiden lassen wollen, er habe die finanziellen Voraussetzungen für die Scheidung geschaffen, indem er seiner deutschen Frau Zeit gelassen habe, bis sie selbst habe Geld verdienen können. Die Ehe habe eigentlich seit Langem nicht mehr bestanden, er sei beruflich oft unterwegs gewesen, meistens im Iran. Von der Einehe habe er erstmals im Einbürgerungsantragsformular erfahren. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Kläger, erstmals mit dem Einbürgerungstest habe er vom Grundsatz der Einehe in Deutschland erfahren. Bei Abschluss seiner Ehe im Iran habe er sich keine bzw. wenig Gedanken darüber gemacht, ob sie im Bundesgebiet wirksam sei. Er könne und wolle nur mit einer Frau zusammenleben.
11 
Der Beklagte beantragt,
12 
die Klage abzuweisen.
13 
Er verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und ist der Ansicht, der Kläger halte sich nicht an die Rechtsordnung. Geschützt sei nur die Einehe, an die sich der Kläger nicht gehalten habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass er die Ehe mit seiner ersten Frau in Dänemark geschlossen habe.
14 
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung der Berichterstatterin anstelle der Kammer einverstanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die dem Gericht vorliegenden Akten (2 Hefte) sowie auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

Gründe

 
15 
Die zulässige Klage ist begründet. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten und des Regierungspräsidiums Karlsruhe sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie waren dementsprechend aufzuheben und das beklagte Land zu verpflichten, den Kläger in den deutschen Staatenverbund einzubürgern (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
16 
Die Frage, ob dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.08.1996 - 1 B 82.95 -, InfAuslR 1996, 399 und VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.07.2002 - 13 S 1111/01 -, ). Für den am 05.10.2009 gestellten Einbürgerungsantrag gilt § 10 Abs. 1 Satz 1 Staatsangehörigkeitsgesetz in der ab 01.08.2012 gültigen Fassung vom 01.06.2012 - StAG -.
17 
Der Kläger erfüllt im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Anforderungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 StAG, insbesondere sind die Voraussetzungen der Nrn. 2 bis 7 unstreitig gegeben. Er hat seit acht Jahren seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Kläger war ab 31.10.1984 im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis, ab 22.08.1989 hatte er Aufenthaltsberechtigung. Nach Aktenlage erhielt er am 17.09.1993 eine bis 17.09.1996 gültige Aufenthaltsberechtigung, die ab 05.07.2001 als Niederlassungserlaubnis übertragen wurde. Ob die Ausländerbehörde die ihm erteilte Aufenthaltsberechtigung wegen der von 1999 bis 2006 geführten Doppelehe hätte zurücknehmen können, bedarf hier keiner Entscheidung (vgl. z.B. Bay.VGH, Beschl. v. 20.09.2012 - 19 ZB 12.1396 -, ; OVG NW, Urt. v. 03.12.2009 - 18 A 1787/06 -, ; OVG Saarland, Urt. v. 11.03.2010 - 2 A 491/09 -, ).
18 
Zur Klarstellung weist das Gericht hinsichtlich der Wirksamkeit und Strafbarkeit (s. § 10 Abs. 1 Nr. 5 STAG) der von 1999 bis 2006 existent gewesenen Doppelehe des Klägers mit einer deutschen und (ab 1999) iranischen Staatsangehörigen auf Folgendes hin: Die am 03.03.1999 im Iran geschlossene Ehe zwischen dem Kläger und einer iranischen Staatsangehörigen ist nach iranischem und deutschem Recht wirksam und berührt nicht § 10 Abs. 1 Nr. 2 bis 7 StAG. Dabei ist der Anwendungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens für eine Eheschließung zweier iranischer Staatsangehöriger im Iran nicht eröffnet (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010 - 31 Wx 37/09, 31 Wx 037/09 -, m.w.N.). Für die Frage der Formgültigkeit einer Ehe wird das anwendbare Recht für eine Heirat im Ausland durch Art. 11 EGBGB bestimmt, der auch die Eheschließung umfasst (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 3 EGBGB für eine Eheschließung im Bundesgebiet). Danach ist eine Ehe formgültig, wenn sie entweder die Formerfordernisse des inhaltlich maßgeblichen Rechts (Geschäftsrecht) oder die Formerfordernisse des Rechts am Ort der Vornahme (Ortsrecht) erfüllt (s. OLG München, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.; Kaiser, FamRZ 2013, 77 ff., 80). In der Praxis erfolgen im Iran die Eheschließung und die Registrierung zeitgleich vor den amtlichen Eheschließungs- und Ehescheidungsbüros, deren Beamte die Eheschließung durch die Ehegatten beurkunden und sie in einem standardisierten amtlichen Trauschein registrieren (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 Iranisches Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931 in: Bergmann/Ferid/Heinrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Iran, S. 23 ff., 148 f; Yassari, FamRZ 2011, 1 ff.). Die beim „Heiratsnotariat Nr. 450 zu Teheran“ am 03.03.1999 geschlossene Ehe ist hiernach rechtsgültig. Eine im Iran nach dortigem Recht formgültig geschlossene Ehe ist gemäß Art. 11 Abs. 1 EGBGB auch nach deutschem Recht wirksam (BayOLG, Beschl. v. 01.02.2010, a.a.O., m.w.N.).
19 
Die Einbürgerung in den deutschen Staatenverbund ist dem Kläger nicht gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 5 StAG zu versagen. Der Kläger ist ausweislich des Bundeszentralregisterauszugs nicht vorbestraft. Wegen der Doppelehe konnte er nicht nach deutschem Recht bestraft werden, weil die Mehrehe nach iranischem Recht erlaubt ist. Für einen Deutschen, der eine Doppelehe im Ausland schließt, gilt das deutsche Strafrecht nur, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 StGB), dann also nicht, wenn das betreffende Auslandsrecht die weitere Eheschließung zulässt (Dippel/Leipziger, Kommentar zum StGB, § 172 Rn. 8 unter Hinweis auf Fischer, StGB, 59. Aufl., § 172 StGB Rn. 4). Strafbar macht sich also nicht, wer in einem Staat eine wirksame Zweitehe abschließt, die dort erlaubt ist, wie es für den Iran der Fall ist (z.B. Yassari, FamRZ 2011, 1 ff., 2 f und Fußnote 20, 24; zum Iranischen Eheschließungsgesetz v. 15.08.1931: Bergmann/Ferid/Heinrich, a.a.O., Iran, S. 23 ff., 148 f).
20 
Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG sind mit dem erfolgreich abgelegten Einbürgerungstest belegt.
21 
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ebenfalls erfüllt, weil sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung überzeugend zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere zur Einehe, bekannt und sich von der Führung einer Doppelehe abgewandt hat. Der Umstand, dass der Kläger die von 1999 bis zur Scheidung von seiner deutschen Ehefrau am 13.11.2006 wirksam gewesene Doppelehe und zwei daraus hervorgegangene Kinder bis zum Einbürgerungsantrag gegenüber der Ausländerbehörde verschwiegen hat, verstößt nicht gegen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG (i. Erg. ebenso. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.12.2007 - 2 M 303/07 -, zum Verschweigen von ehelichen Kindern; s. auch Hess. VGH, Urt. v. 28.05.1998 - 12 UE 1542/98 -, ). Dem Kläger oblag nach Erhalt der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw. Niederlassungserlaubnis keine Auskunftspflicht nach § 82 AufenthG über seine familiären Verhältnisse, die verletzt sein könnte und deshalb die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erfüllt wären.
22 
Selbst wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die 1999 geschlossene Zweitehe und die Aufrechterhaltung der Doppelehe bis zum 13.11.2006 berührt wäre, hat sich der Kläger jedenfalls von einer möglicherweise in der Vergangenheit innegehabten nicht in Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Einstellung bezüglich einer Doppelehe abgewandt und eindeutig zur Einehe und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt.
23 
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf Antrag einzubürgern, wenn er sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, oder wenn er glaubhaft macht, dass er sich von einer früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat (Abs. 1 Satz 1 Nr. 1). In engem Zusammenhang mit dieser Einbürgerungsvoraussetzung steht der Versagungsgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG, wonach die Einbürgerung ausgeschlossen ist, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einzubürgernde Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, „es sei denn, der Ausländer macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat“ (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, u. Urt. v. 20.02.2008 - 13 S 1169/07 -, m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschl. v. 08.12.2008 - 5 B 58/08 -, ). Bei der Feststellung zu § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG ist einerseits eine wertende Betrachtungsweise vorzunehmen, bei der auch die Ausländern zustehenden Grundrechte (etwa Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen sind. Andererseits können grundsätzlich auch legale Betätigungen herangezogen werden. Mit § 11 StAG wird der Sicherheitsschutz im Einbürgerungsrecht mithin weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (BayVGH, Urt. v. 27.02.2013 - 5 B 11.2418 -, m.w.N.; BVerwG, Urt. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, ).
24 
Der Zweck des Erfordernisses eines Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist darin zu sehen, die Einbürgerung von Verfassungsfeinden und die daraus herrührende Gefahr für die staatliche Ordnung zu verhindern. Die persönlich abzugebende Erklärung soll dem Einbürgerungsbewerber die Notwendigkeit einer glaubhaften Hinwendung zu den Grundprinzipien der deutschen Verfassungsordnung unmittelbar vor seiner Aufnahme in den deutschen Staatsverband vor Augen führen. Deshalb werden ihm über die Erfüllung sonstiger Integrationszeichen hinaus sowohl ein aktives persönliches Bekenntnis als auch die Bestätigung eines nicht verfassungsgefährdenden Verhaltens in der Vergangenheit und Gegenwart abverlangt (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 12.12.2005 - 13 S 2948/04 -, ). Ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit zumindest einfache Grundkenntnisse besitzt und den Inhalt der von ihm abgegebenen sog. Loyalitätserklärung verstanden hat (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.2008, a.a.O., m.w.N.; i. Erg. ebenso BayVGH, Urt. v. 19.01.2012 - 5 B 11.732 -, ). Bei Erfüllung aller tatbestandlichen Einbürgerungsvoraussetzungen hat der Ausländer einen strikten subjektiv-öffentlich-rechtlichen Einbürgerungsanspruch. Ein Ermessen steht der Einbürgerungsbehörde nicht zu (Berlit, GK-StAG, § 10 Rn. 39 m.w.N.).
25 
Der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG stellt mit dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung klar, dass damit nicht die gesamte deutsche Rechtsordnung gemeint ist und dass im Unterschied zur Ermessenseinbürgerung gemäß § 9 StAG für § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG nicht erforderlich ist, dass gewährleistet ist, dass sich der Einbürgerungsbewerber in die „deutschen Lebensverhältnisse“ einordnen wird (s. auch BT-Drucksache 16/5107 S. 1 und 14). Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG ist im Hinblick auf dessen verfassungsrechtliche Bedeutung auszulegen. Im Grundgesetz taucht dieser Begriff mehrfach auf, in den Artikeln 21 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, 18 und 87 a Abs. 4 GG (s. Dollinger/Heusch, VBlBW 2006, 216 ff., 218 f. m.w.N.). Zu Art. 21 Abs. 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht (Urt. v. 23.10.1952 - 1 BvB 1/51 -, SRP-Verbot) Folgendes ausgeführt: „So lässt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“ In dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts sind Grundrechte nur insofern angesprochen, als es um die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte geht (Urt. v. 23.10.1952, a.a.O., s. auch BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/09, 2 BvR 571/10, 2 BvR 740/10, 2 Bv2 BvR 1152/10 -, BVerfGE 128, 326 ff. Rn. 90; BVerwG, Urt. v. 13.04.1999 - 1 A 3/94 -, DVBL 1999, 1743 ff.).
26 
In einfachgesetzlichen Regelungen findet sich der Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung z.B. in § 54 Nr. 5a AufenthG 2004 (OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 08.10.2009 - 7 A 10165/09 -, ) bzw. ehemals in § 10 Abs. 1 Nr. 11 AuslG sowie in § 8 Soldatengesetz. Wegen der unterschiedlichen Schutz- und Zielrichtung von Spezialgesetzen muss dieser Begriff aber nicht zwingend identisch ausgelegt werden. Die Literatur versteht die freiheitlich demokratische Grundordnung i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG u.a. in der Weise, dass damit die in § 4 Abs. 2 BVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze gemeint sind (Berlit, a.a.O., § 11 Rn. 108 ff.). Zu den in § 4 Abs. 2 Buchst. g) BVerfSchG genannten Menschenrechten zählen insbesondere die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) sowie das Recht auf Gleichbehandlung (Art. 3 GG) (OVG NW, Urt. v. 12.02.2008 - 5 A 130/05 -, Rn. 283 ff. m.w.N.). Diese als nicht abschließend zu verstehende Aufzählung lässt offen, ob und welche Grundrechte zu den Menschenrechten im vorgenannten Sinne rechnen. Nicht ausreichend für einen Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG ist deshalb der Hinweis darauf, dass die Einehe zu den grundlegenden kulturellen Wertvorstellungen in der Bundesrepublik Deutschland rechnet (s. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 21.08.2007 - 11 S 995/07 -, ) bzw. zur deutschen Rechtsordnung, worauf die angefochtenen Bescheide abstellen.
27 
Ob die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Einehe (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O., unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982 - 1 BvR 818/81 -, BVerfGE 62, 323, 330; BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971 - 1 BvR 636/68 -, BVerfGE 31, 58 ff. Spanier-Entscheidung; vgl. ferner BVerfG, Beschl. v. 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 -, BVerfGE 76, 1, 41 ff.) zur freiheitlich demokratischen Grundordnung (so z. B. VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ; wohl auch VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -, S. 11, 2. Absatz) gehört oder als Menschenrecht im vorgenannten Sinne anzusehen ist, gegen das die Doppelehe verstößt, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil sich der Kläger, worauf noch eingegangen wird, mit dem Loyalitätstest und ergänzend in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und zur Einehe bekannt hat.
28 
Offenbleiben kann deshalb auch, ob ein polygame Ehe in jeder Hinsicht außerhalb des Schutzbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG steht oder nicht, weil Art. 6 Abs. 1 GG nämlich neben der Ehe auch die Familie schützt (BVerwG, Urt. v. 30.04.1985, a.a.O.), also auch die aus einer Zweitehe hervorgegangenen Kinder und deren Beziehung zu ihren Eltern. Klarstellend sei angemerkt, dass allerdings anders als einige Grundrechtsbestimmungen Art. 6 Abs. 1 GG keine Beschränkung auf Deutsche enthält, zudem betrifft das Grundrecht einen für alle Menschen bedeutsamen Bereich der persönlichsten Lebensgestaltung (BVerfG, Entsch. v. 04.05.1971, a.a.O.). Dies und die mit dem Grundrecht verbundene Institutsgarantie (BVerfG, Beschl. v. 30.11.1982, a.a.O., m.w.N.) lassen sich für eine Qualifizierung als Menschenrecht im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG anführen.
29 
Ebenfalls nicht entschieden werden muss, ob der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unter Art. 1 Abs. 2 GG fällt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln; er verpflichtet dazu, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Verschiedenheit und Eigenart ungleich zu behandeln. Er ist verletzt, wenn die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte mit Gesetzlichkeiten, die in der Natur der Sache selbst liegen, und mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht mehr vereinbar ist, wenn also bezogen auf den jeweils in Rede stehenden Sachbereich und seine Eigenart ein vernünftiger, einleuchtender Grund für die Regelung fehlt (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 20.09.2007 - 2 BvR 855/06 -, Rn. 18 m.w.N.). Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könnte darin gesehen werden, dass die Mehrehe nach Iranischem Recht nur für Männer gilt, nicht auch für Frauen (Bergmann/Ferid, a.a.O., S 43 unter Hinweis auf § 1050 ZGB; einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bejahen: VG Freiburg, Urt. v. 25.03.2010 - 6 K 630/09 -; VG Gießen, Urt. v. 07.06.2004 - 10 E 2666/03 -, ).
30 
Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts zur freiheitlich demokratischen Grundordnung bekannt, indem er glaubhaft erklärte, dass er nur in einer Einehe leben wolle und könne. Der Umstand, dass er von 1999 bis zu seiner Scheidung von seiner deutschen Ehefrau in einer Mehrehe gelebt hat, hindert das Gericht aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Kläger sowie seinen glaubhaften Erklärungen nicht daran, ihm darin zu folgen, dass sein Bekenntnis zur Einehe kein reines Lippenbekenntnis ist, sondern seiner mittlerweile gefestigten Überzeugung vom Zusammenleben von Mann und Frau entspricht. Er hat offen bekundet, dass er das Prinzip der Einehe erstmals im Einbürgerungstest gelernt habe. Anlass für die Eheschließung im Jahr 1999 im Iran war, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf informatorische Befragung seitens des Gerichts glaubhaft erklärte, dass seine damalige iranische Lebensgefährtin von ihm ein Kind erwartete. Weil eine Schwangerschaft einer ledigen Frau im Iran möglicherweise zu drakonischen Strafen führen kann, heiratete er sie alsbald nachdem ihm die Schwangerschaft bekannt war. Diese Befürchtung des Klägers war nicht von der Hand zu weisen. Insoweit ist zu beachten, dass unerlaubter (also auch außerehelicher) Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau nach Art. 63 IranStGB verboten ist und die Hadd-Strafe der Steinigung nach sich ziehen kann. Die Anforderungen an Beweise, Zeugenaussagen und Geständnisse sind aber derart hoch (Art. 68-79 IranStGB), dass sie kaum zu erfüllen sind. Weiterhin gibt es eine Reihe von Ausnahmeregelungen (Art. 64-67, 86), die die Verhängung der Hadd-Strafe verhindern. Üblicherweise wird eine Tazir-Strafe nach Art. 637 IranStGB von bis zu 99 Peitschenhieben wegen unzüchtigen Verhaltens verhängt, die meist durch eine Geldbuße abgelöst wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Gutachten vom 04.11.1998 an VG Augsburg). Selbst wenn hiernach davon ausgegangen werden könnte, dass eine Körperstrafe durch Zahlung einer Geldstrafe möglicherweise hätte abgewendet werden können, existierte für den Kläger und seine iranische Frau sowie deren Verwandtschaft und soziales Umfeld die Befürchtung, dass ihr eine Körperstrafe drohen könnte. Vor diesem Hintergrund ist die Erklärung des Klägers, er habe seine damals mit dem ersten gemeinsamen Kind schwanger gewesene iranische Freundin im Iran geheiratet, um eine Steinigung oder andere Strafen von ihr abzuwenden, plausibel und glaubhaft und als solche geeignet, festzustellen, dass sein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist. Dass der Kläger trotz seiner bestehenden Ehe mit seiner deutschen Ehefrau unter diesen Vorgaben eine Zweitehe im Iran einging, ist auch deshalb verständlich, weil er aufgrund seiner Herkunft aus dem Iran mit der Vorstellung einer Mehrehe vertraut war und sich deshalb mit seinen Worten „keine oder nicht viel Gedanken“ gemacht hat, ob seine im Iran geschlossene Ehe im Bundesgebiet „akzeptiert“ werde bzw. wirksam ist. Dies mag zwar bei Eingehen der Zweitehe in moralischer Hinsicht bedenklich gewesen sein, sein diesbezüglicher Einwand vermag aber im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine Zweifel mehr an der Wahrhaftigkeit und Glaubhaftigkeit seines Bekenntnisses zur Einehe mehr begründen. Nicht entscheidend ins Gewicht fällt auch seine Aussage, unter „Persern“, wozu er gehört, sei eine Mehrehe weniger gebräuchlich, dagegen sei eine Mehrehe von bis zu vier Frauen bei arabisch stämmigen Iranern üblich. Denn das iranische Recht trennt bei der Zulässigkeit und Wirksamkeit einer Mehrehe nicht nach der Volkszugehörigkeit, also nicht nach persischer oder arabischer Herkunft. Im Zeitpunkt seiner zweiten Eheschließung war seine erste Ehe mit seinen Worten eigentlich beendet. Seine erste (deutsche) Ehefrau willigte aber nicht unmittelbar, nachdem sie vom Kläger über die Zweitehe informiert worden ist, in die Scheidung ein. Nach den glaubhaften Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhalf er ihr in den folgenden Jahren dazu, erst die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie selbst Geld verdienen konnte. Dass er seit 1977 im Bundesgebiet gelebt hat und ihm hier nicht entgangen sein kann, dass im Bundesgebiet nur die Einehe geschützt ist, steht der Glaubhaftigkeit seiner in der mündlichen Verhandlung gemachten Erklärung, dass er nur mit einer Frau zusammenleben könne und wolle, also seinem ausdrücklichen Bekenntnis zur Einehe, nicht entgegen. Der Kläger hat plausibel erklärt, dass für ihn seine erste Ehe seit Langem nicht mehr bestanden habe und dass er beruflich viel unterwegs gewesen sei, meistens im Iran, wo er seine zweite Frau kennen gelernt habe. Dass er die Scheidung von seiner ersten Frau rechtlich nicht früher durchgesetzt hat, ist ihm nach der Überzeugung des Gerichts aufgrund der aufgezeigten Besonderheiten des Falles, auch der fehlenden Einwilligung in die Scheidung, nicht, jedenfalls nicht mit ausschlaggebendem Gewicht, nachteilig anzulasten. Das Gericht ist deshalb aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Gesamteindrucks vom Kläger überzeugt, dass seine Angaben zur Einehe glaubhaft sind.
31 
Ebenso wenig ist der Hinweis der Vertreter des beklagten Landes darauf, dass seine erste Ehe in Dänemark geschlossen wurde, geeignet, sein jetziges Bekenntnis zur Einehe in Frage zu stellen. Der dahinter stehende Vorwurf, der Kläger habe damals in Dänemark geheiratet, damit er möglichst unbürokratisch in den Genuss einer von seiner deutschen Ehefrau ableitbaren Aufenthaltserlaubnis gelangen konnte, vermag selbst dann, wenn er zutreffen würde, keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Richtigkeit seines in der mündlichen Verhandlung überzeugend zum Ausdruck gebrachten Bekenntnisses zur Einehe und damit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufkommen lassen. Von seiner ehemals innegehabten Einstellung zur Mehrehe hat er sich glaubhaft abgewandt (§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG). Hiernach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr dafür vor, die Zweifel aufwerfen könnten, ob das Bekenntnis des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG glaubhaft ist.
32 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Berufung ist gemäß § 124 a Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Frage, ob eine zeitweise existierende Mehrehe (hier über ca. 6 Jahre) eines Ausländers (hier: eines Iraners) mit seiner (ersten) deutschen Frau und einer iranischen Frau gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) verstößt und eine plausible und glaubhafte Erklärung des Klägers in der mündlichen Verhandlung, mit der er sich zur Einehe bekennt, den Anforderungen an ein „Bekenntnis“ entsprechen und die Voraussetzung erfüllen kann, dass er sich „abgewandt“ hat im Sinne des §§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
34 
Beschluss
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 42.1 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf EUR 10.000.-- festgesetzt.
36 
Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner Deutscher sollen unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 eingebürgert werden, wenn sie seit drei Jahren ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit zwei Jahren besteht. Die Aufenthaltsdauer nach Satz 1 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses verkürzt werden, wenn die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft seit drei Jahren besteht. Minderjährige Kinder von Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern Deutscher können unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit drei Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten. § 10 Absatz 3a, 4, 5 und 6 gilt entsprechend.

(2) Die Regelung des Absatzes 1 gilt auch, wenn die Einbürgerung bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod des deutschen Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners oder nach der Rechtskraft des die Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft beendenden Beschlusses beantragt wird und der Antragsteller als sorgeberechtigter Elternteil mit einem minderjährigen Kind aus der Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft in einer familiären Gemeinschaft lebt, das bereits die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, kann auf seinen Antrag eingebürgert werden, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist,
2.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
3.
eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen gefunden hat,
4.
sich und seine Angehörigen zu ernähren imstande ist und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet ist.

(2) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 2 und 4 kann aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

(1) Eine rechtswidrige Einbürgerung oder eine rechtswidrige Genehmigung zur Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit kann nur zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben, die wesentlich für seinen Erlass gewesen sind, erwirkt worden ist.

(2) Dieser Rücknahme steht in der Regel nicht entgegen, dass der Betroffene dadurch staatenlos wird.

(3) Die Rücknahme darf nur bis zum Ablauf von zehn Jahren nach der Bekanntgabe der Einbürgerung oder Beibehaltungsgenehmigung erfolgen.

(4) Die Rücknahme erfolgt mit Wirkung für die Vergangenheit.

(5) Hat die Rücknahme Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten nach diesem Gesetz gegenüber Dritten, so ist für jede betroffene Person eine selbständige Ermessensentscheidung zu treffen. Dabei ist insbesondere eine Beteiligung des Dritten an der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung oder an den vorsätzlich unrichtigen oder unvollständigen Angaben gegen seine schutzwürdigen Belange, insbesondere auch unter Beachtung des Kindeswohls, abzuwägen.

(1) Ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 oder gesetzlich vertreten ist, ist auf Antrag einzubürgern, wenn seine Identität und Staatsangehörigkeit geklärt sind und er

1.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt und erklärt, dass er keine Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die
a)
gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder
b)
eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder
c)
durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
oder glaubhaft macht, dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat,
2.
ein unbefristetes Aufenthaltsrecht oder als Staatsangehöriger der Schweiz oder dessen Familienangehöriger eine Aufenthaltserlaubnis auf Grund des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, eine Blaue Karte EU oder eine Aufenthaltserlaubnis für andere als die in den §§ 16a, 16b, 16d, 16e, 16f, 17, 18d, 18f, 19, 19b, 19e, 20, 22, 23 Absatz 1, den §§ 23a, 24, 25 Absatz 3 bis 5 und § 104c des Aufenthaltsgesetzes aufgeführten Aufenthaltszwecke besitzt,
3.
den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Familienangehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestreiten kann oder deren Inanspruchnahme nicht zu vertreten hat,
4.
seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert,
5.
weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist,
6.
über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt,
7.
über Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse in Deutschland verfügt und
seine Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse gewährleistet, insbesondere er nicht gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist. Die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 und 7 müssen Ausländer nicht erfüllen, die nicht handlungsfähig nach § 37 Absatz 1 Satz 1 sind.

(2) Der Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner und die minderjährigen Kinder des Ausländers können nach Maßgabe des Absatzes 1 mit eingebürgert werden, auch wenn sie sich noch nicht seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhalten.

(3) Weist ein Ausländer durch die Bescheinigung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs nach, wird die Frist nach Absatz 1 auf sieben Jahre verkürzt. Bei Vorliegen besonderer Integrationsleistungen, insbesondere beim Nachweis von Sprachkenntnissen, die die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6 übersteigen, von besonders guten schulischen, berufsqualifizierenden oder beruflichen Leistungen oder von bürgerschaftlichem Engagement, kann sie auf bis zu sechs Jahre verkürzt werden.

(3a) Lässt das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit erst nach der Einbürgerung oder nach dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters zu, wird die Einbürgerung abweichend von Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorgenommen und mit einer Auflage versehen, in der der Ausländer verpflichtet wird, die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen unverzüglich nach der Einbürgerung oder nach Erreichen des maßgeblichen Lebensalters vorzunehmen. Die Auflage ist aufzuheben, wenn nach der Einbürgerung ein Grund nach § 12 für die dauernde Hinnahme von Mehrstaatigkeit entstanden ist.

(4) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 liegen vor, wenn der Ausländer die Anforderungen einer Sprachprüfung der Stufe B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen erfüllt. Bei einem minderjährigen Kind, das im Zeitpunkt der Einbürgerung das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sind die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 bei einer altersgemäßen Sprachentwicklung erfüllt.

(5) Die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 7 sind in der Regel durch einen erfolgreichen Einbürgerungstest nachgewiesen. Zur Vorbereitung darauf werden Einbürgerungskurse angeboten; die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend.

(6) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 und 7 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder altersbedingt nicht erfüllen kann.

(7) Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wird ermächtigt, die Prüfungs- und Nachweismodalitäten des Einbürgerungstests sowie die Grundstruktur und die Lerninhalte des Einbürgerungskurses nach Absatz 5 auf der Basis der Themen des Orientierungskurses nach § 43 Abs. 3 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zu regeln.

Die Einbürgerung wird wirksam mit der Aushändigung der von der zuständigen Verwaltungsbehörde ausgefertigten Einbürgerungsurkunde. Vor der Aushändigung ist folgendes feierliches Bekenntnis abzugeben: "Ich erkläre feierlich, dass ich das Grundgesetz und die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland achten und alles unterlassen werde, was ihr schaden könnte."; § 10 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist

1.
der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat,
2.
der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält.

(2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend.

(1) Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden. Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.

(2) Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.