Finanzgericht Münster Urteil, 03. März 2016 - 1 K 2243/12 L
Tenor
Der Haftungsbescheid des Beklagten vom 28.05.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 Abgabeordnung (AO), mit dem das beklagte Finanzamt den Kläger als Geschäftsführer für Lohnsteuerschulden nebst Annexabgaben der Firma A-KG in Anspruch genommen hat.
3Die A-KG in XXX war Teil eines Unternehmens in der XXX-Branche unter dem Dach der A-GmbH in YYY. Das Unternehmen unterhielt am Hauptstandort in YYY, am Standort der KG in XXX sowie im Ausland mehrere Produktionsstätten und beschäftigte alleine im Inland mehrere Tausend Mitarbeiter.
4Die A-KG schuldet dem Land Nordrhein-Westfalen nach aktuellem Stand Lohnsteuer und Annexabgaben für den Zeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR (Stand der letzten Berechnung des Beklagten über Lohnsteuer und Annexabgaben vom 15.11.2012; vom Insolvenzverwalter wurden dagegen zuletzt lediglich 9XX.XXX,- EUR angemeldet [Einspruchsverfahren des Insolvenzverwalters ist noch anhängig]).
5Über das Vermögen der A-GmbH in YYY sowie über das Vermögen der A-KG in XXX wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellten die Geschäftsführer am 08.04.2009. Am gleichen Tage bestellte das Amtsgericht YYY einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Insolvenzordnung – InsO). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschloss das Amtsgericht YYY am 29.06.2009.
6Der Kläger war gemeinsam mit Herrn A Geschäftsführer der AA-GmbH, die wiederum zu 100% an der A-Verwaltungs-GmbH in XXX beteiligt war. Letztere war Komplementärin der A-KG. Zugleich waren der Kläger und Herr A zusammen mit Herrn C Geschäftsführer der A-GmbH in YYY.
7Die A-KG hatte ihren Geschäftsbetrieb mit Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 an die A-GmbH in YYY verpachtet. Aufgrund eines Betriebsführungsvertrages selben Datums übertrug die A-GmbH die Betriebsführung für den gepachteten Betrieb an die A-KG zurück. Gemäß § 2 Abs. 3 dieses Vertrages nahm die A-KG die Arbeitgeberfunktion wahr. Die Betriebsführung erfolgte im Namen der A-KG, jedoch auf Rechnung der A-GmbH. Sämtlich Kosten im Zusammenhang mit der Betriebsführung wurden der A-KG durch die A-GmbH erstattet (§ 3 des Vertrages).
8Die A-GmbH verfügte über mehrere Bankkonten, u.a. bei der D-Bank und bei der P-Bank. Das Konto bei der D-Bank war das zentrale Firmenkonto. Hinsichtlich der Transaktionen und der Entwicklung der Tagessalden im Zeitraum vom 25.03. bis zum 15.04.2009 wird auf die in der Gerichtsakte sowie in den Verwaltungsakten befindlichen Kontoauszüge verwiesen.
9Am 26.03.2009 zahlte die A-KG in XXX die Gehälter an ihre Angestellten für März 2009 in voller Höhe aus (die Löhne der „Arbeiter“ sollten erst später ausgezahlt werden). Mit Lohnsteueranmeldung vom 07.04.2009 meldete die A-KG für den Zeitraum März 2009 Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR an. Die Lohnsteueranmeldung ging am 08.04.2009 beim Beklagten ein. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter mehrfach korrigierte Lohnsteueranmeldungen für den Streitzeitraum ab.
10Die Geschehnisse in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung lassen sich nach dem (vom Beklagten nicht bestrittenen) Vortrag des Klägers unter Bezugnahme auf ein Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 wie folgt zusammen fassen:
11Am 06.04.2009 fand eine Geschäftsführersitzung bei der A-GmbH statt. Daran nahmen neben den Geschäftsführern (Kläger, Herr A und Herr C) der Prokurist Herr Dr. Z (Leiter Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern), dessen Mitarbeiter Herr M und Herr S (Treasury / Kasse), Frau L (Sachbearbeiterin Personal) sowie Herr O (anwaltlicher Berater aus der Kanzlei Dr. W und Partner) teil. Im Rahmen der Geschäftsführersitzung verschafften sich die Teilnehmer zunächst einen Überblick über die Liquiditätssituation des Unternehmens. Sodann wiesen die Geschäftsführer Herrn Dr. Z an, alle Mittel bei der D-Bank „aus Sicherheitsgründen“ auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und dort zu deponieren. Ferner fassten die Geschäftsführer den Entschluss, „auf jeden Fall“ die auf die bereits am 26.03.2009 ausgezahlten Gehälter der „Angestellten“ in XXX entfallende Lohnsteuer der A-KG zu zahlen. Die Entscheidung, ob darüber hinaus auch die Löhne für den Monat März 2009 an die „Arbeiter“ der Standorte YYY und XXX nebst darauf entfallender Lohnsteuer ausgezahlt oder „Kasse für den Insolvenzverwalter gehalten“ werden sollte, wurde auf den nächsten Tag (07.04.2009) verschoben.
12Noch am 06.04.2009 wurde ein Betrag i.H. von 4.200.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
13Am 07.04.2009 wurde ein weiterer Betrag i.H. von 450.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
14Ebenfalls am 07.04.2009 gegen 14.30 Uhr wies die Geschäftsführung den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern (Herrn Dr. Z) an, folgende Überweisungen vorzunehmen:
15Löhne A-GmbH YYY 3.XXX.XXX,- EUR
16Löhne A-KG XXX „Arbeiter“ 5XX.XXX,- EUR
17Lohnsteuer A-KG XXX 1.XXX.XXX,- EUR
18Zahlung „…“ 3XX.XXX,- EUR
19Zahlung „…“ 3XX.XXX,- EUR
205.8XX.XXX,- EUR
21Am späten Nachmittag des 07.04.2009 (16.15 Uhr) ordneten Herr Dr. Z und sein Mitarbeiter, Herr M, ohne Rücksprache mit bzw. Information der Geschäftsführung an, das bei der P-Bank vorhandene Guthaben i.H. von 4.650.000,- EUR wieder auf das Konto bei der D-Bank zurück zu überweisen. Der Betrag ist am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank gutgeschrieben worden. Hintergrund dieser Rückübertragung soll gewesen sein, dass die Überweisung der Löhne technisch vom Konto der D-Bank habe wesentlich einfacher bewerkstelligt werden können, und zwar durch Nutzung einer nur dort bestehenden elektronischen Zahlungsverkehrsverbindung in Gestalt eines SAP-Entgeltabrechnungs- und Überweisungsverfahrens (die Lohnauszahlung machte zahlreiche Einzelüberweisungen nötig, etwa in Form der Löhne an die Arbeitnehmer, der Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsträger und vermögenswirksamer Leistungen an die Bankinstitute).
22Am Morgen des 08.04.2009 (8.14 Uhr) erteilte Herr S (Mitarbeiter der A-GmbH in dem von Herrn Dr. Z geleiteten Bereich Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, zuständig für den Zahlungsverkehr [„Treasury“]) der D-Bank den Auftrag, die Lohnsteuer für März 2009 i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zugunsten des beklagten Finanzamts zu überweisen. Ferner wurde die D-Bank angewiesen, die von der Geschäftsführung angeordneten weiteren Überweisungsvorgänge auszuführen (Löhne XXX und YYY, Zahlungen an Auslandsunternehmen). Der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank belief sich zu Beginn des Tages auf 2.2XX.XXX,- EUR. Nach dem Eingang des vom P-Bank-Konto überwiesenen Betrages i.H. von 4.650.000,- EUR und weiteren Zugängen betrug der Habensaldo am Schluss des Tages 7.9XX.XXX,- EUR. In einer E-Mail vom 08.04.2009 übersandte Herr S der Controlling-Abteilung der A-GmbH eine aktuelle Liquiditätsübersicht und unterrichtete die Controlling-Abteilung über die der D-Bank zuvor von ihm erteilten Überweisungsaufträge.
23Die D-Bank führte ab dem 08.04.2009 keine Überweisungen mehr aus, auch nicht den erteilten Auftrag zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer. Sie hielt das auf dem Konto befindliche Guthaben zurück und leitete die Angelegenheit an die interne Abteilung „Risk Management“ weiter, um die Absicherung etwaiger eigener Ansprüche gegen die A-GmbH zu prüfen. Nach erfolgter Überprüfung stellte die D-Bank einen Großteil des Kapitals dem Unternehmen später wieder zur Verfügung; sie transferierte am 01.07.2009 einen Betrag i.H. von 5.5XX.000,- EUR auf das Konto des vorläufigen Insolvenzverwalters.
24Ebenfalls am 08.04.2009 widerrief die A-KG nach telefonischer Vorankündigung vom selben Tage gegenüber dem beklagten Finanzamt die bisher für Betriebssteuern gültigen Einzugsermächtigungen und bat um schriftliche Bestätigung.
25Am 08.04.2009 stellten der Kläger und seine Mitgeschäftsführer beim Amtsgericht YYY Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die A-GmbH in YYY sowie für die A-KG in XXX. Um 9.50 Uhr (A-GmbH) und um 11.00 Uhr (A-KG) ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Insolvenzschuldnerinnen an und bestellte insofern einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Gleichzeitig ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten.
26Nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den Insolvenzverwalter zunächst mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer März 2009 gebeten hatten, forderten sie ihn am 04.05.2009 schriftlich auf, die rückständige Lohnsteuer nebst Annexabgaben an das beklagte Finanzamt zu zahlen. Mit Schreiben vom 12.05.2009 lehnte der Insolvenzverwalter eine Zahlung mit der Begründung ab, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum vor Insolvenzeröffnung liege, es sich bei der Lohnsteuer damit um eine „normale Insolvenzforderung“ handele und er sich im Falle einer Zahlung möglicherweise wegen Gläubigerbenachteiligung strafbar machen würde.
27Nach erfolgter Anhörung erließ der Beklagte mit Datum vom 28.05.2010 jeweils einen Haftungsbescheid i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber dessen Mitgeschäftsführer. Beide Geschäftsführer wurden in Bezug auf die zum Fälligkeitstag am 14.04.2009 durch die A-KG nicht entrichtete Lohnsteuer nebst Annexabgaben für den Voranmeldungszeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR zuzüglich Säumniszuschlägen i.H. von 1XX.XXX,- EUR persönlich und unbeschränkt in Haftung genommen.
28Zur Begründung des Haftungsbescheides führte der Beklagte aus, dass Personen i.S. der §§ 34 und 35 AO gemäß § 69 S. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könnten, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt würden. Als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX habe den Kläger die Pflicht getroffen, für die rechtzeitige Anmeldung und Abführung der Lohnsteuern der A-KG als Arbeitgeberin Sorge zu tragen. Die Lohnsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2009 sei zwar fristgerecht bis zum 14.04.2009 angemeldet, nicht jedoch abgeführt worden. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A-KG sei mit einer Entrichtung der Lohnsteuer durch bzw. für die A-KG nicht mehr zu rechnen.
29Der Kläger habe seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer zum einen dadurch verletzt, dass er nicht für eine wirksame und rechtzeitige Entrichtung der Lohnsteuer gesorgt habe. Zahlungsschwierigkeiten einer Gesellschaft änderten grundsätzlich weder etwas an der Pflicht des Geschäftsführers zur Abführung der Lohnsteuer noch schlössen sie ein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten aus. Reichten die zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne einschließlich des enthaltenen Steueranteils nicht aus, so dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und müsse aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten Nettolöhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Bereits das Unterlassen, die auf die auszuzahlenden Löhne entfallende Lohnsteuer durch eine entsprechend Kürzung der Löhne einzubehalten und den gekürzten Betrag für die Errichtung zum Fälligkeitszeitpunkt bereitzuhalten, könne eine eigenständige Pflichtverletzung darstellen und den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO auslösen.
30Zwar habe die A-GmbH im Lohnzahlungszeitpunkt noch über liquide Mittel verfügt, die der Höhe nach auch zur Begleichung der Lohnsteuer für die A-KG ausgereicht hätten und zu diesem Zweck verwendet werden sollten. Alleine diese Tatsache könne den Kläger aber nicht von der Haftung befreien. Da sich die Gesellschaft nur wenige Tage vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit bereits seit Längerem in der Krise befunden habe, hätten die Geschäftsführer in Bezug auf die Lohnsteuerentrichtung erhöhte Sorgfaltspflichten getroffen. Sie hätten bereits zum Lohnzahlungszeitpunkt, also zum 26.03.2009, sicherstellen müssen, dass die auf die ausgezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer tatsächlich pünktlich an das Finanzamt gezahlt werde. Dies hätten die Geschäftsführer etwa durch vorherige Gespräche mit Verantwortlichen der überweisenden Bank bewirken können. Aufgrund der bestehenden finanziellen Krisensituation und der im Raum stehenden Insolvenz hätten sich die Geschäftsführer nicht einfach darauf verlassen dürfen, dass die Banken einen Überweisungsauftrag wenige Stunden vor der Insolvenzantragsstellung noch ausführen werden.
31Eine weitere Pflichtverletzung des Klägers sei darin zu sehen, dass dieser nicht auf die D-Bank eingewirkt und auf die Ausführung des Überweisungsauftrags bestanden habe. Der Überweisungsauftrag sei mit Zugang bei der Bank und damit vor der Insolvenzantragsstellung wirksam geworden (vgl. § 676a Abs. 1 S. 1 alte Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB a.F.). Die Voraussetzungen für eine Kündigung des Überweisungsauftrags durch die Bank hätten nicht vorgelegen. Gemäß § 676a Abs. 3 BGB a.F. dürfe ein Auftrag nach Beginn der Überweisungsfrist i.S. des § 676a Abs. 2 BGB a.F. nur gekündigt werden, wenn das Insolvenzverfahren bereits eröffnet worden sei. Der Überweisungsauftrag sei über § 116 S. 3 InsO auch insolvenzbeständig gewesen. Demzufolge hätte der Kläger auf die D-Bank einwirken und auf die Durchführung des rechtswirksam und insolvenzbeständig erteilten Überweisungsauftrags bestehen müssen. Das Unterlassen einer solchen Einwirkung sei als Pflichtverletzung zu werten. Bei dem Einwirken habe es sich nicht um eine Verfügung gehandelt, die nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich gewesen wäre. Im Übrigen bleibe die Verpflichtung der Geschäftsführer, die Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag zu entrichten, auch nach der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich bestehen.
32Sein Ermessen beim Erlass des Haftungsbescheides begründete der Beklagte wie folgt: Eine vorherige Inanspruchnahme der Arbeitnehmer als Steuerschuldner sei unbillig, weil die Steuerabzugsbeträge bei der Auszahlung der Gehälter von der A-KG einbehalten worden seien. Die Inanspruchnahme der A-KG sei nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erfolgversprechend. Es sei ermessensgerecht, sowohl den Kläger als auch den weiteren Mitgeschäftsführer der Komplementärin der A-KG als für die Nichtzahlung der Lohnsteuer jeweils verantwortliche Personen in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Die Haftung umfasse auch die infolge der Pflichtverletzung entstandenen Säumniszuschläge.
33Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger am 22.06.2010 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer verletzt habe. In der ungekürzten Auszahlung der Gehälter sei keine Pflichtverletzung zu erkennen. Die ungekürzte Auszahlung von Löhnen stelle nur dann eine Pflichtverletzung dar, wenn der Geschäftsführer befürchten müsse, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht genügend Mittel zur Begleichung der Lohnsteuer vorhanden seien. Vorliegend hätten aber sowohl im Zeitpunkt der Lohnauszahlung als auch bei Insolvenzantragsstellung und auch noch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld bereit gestanden. Zunächst sei entsprechendes Kapital auf das P-Bank-Konto transferiert und von der Geschäftsführung u.a. zur Begleichung der Lohnsteuer vorgesehen worden. Auch bei Erteilung des Zahlungsauftrags an die D-Bank am Morgen des 08.04.2009 sei genügend Liquidität vorhanden gewesen. Der Kontostand bei der D-Bank habe sich immerhin auf über 7.XXX.XXX,- EUR belaufen. Ihren Mittelvorsorge- und Sorgfaltspflichten seien die Geschäftsführer also ausreichend nachgekommen. Für eine gekürzte Auszahlung der Gehälter im März 2009 habe daher keine Veranlassung bestanden.
34Der Kläger führte weiter aus, dass ihm auch die Nichtzahlung der Lohnsteuer im Fälligkeitszeitpunkt nicht vorgeworfen werden dürfe. Dieser Umstand beruhe nicht auf einem Fehlverhalten seinerseits, sondern zum einen auf der Nichtausführung des erteilten Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie zum anderen auf der späteren Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dem damit verbundenen Verlust der freien Verfügungsbefugnis über das Vermögen der A-GmbH. Die Geschäftsführer hätten noch deutlich vor Fälligkeit und im Hinblick auf die drohende Bestellung eines Insolvenzverwalters alles daran gesetzt, die vorhandene Liquidität zur Entrichtung der Lohnsteuer einzusetzen. Dass der gegenüber der D-Bank noch vor Stellung des Insolvenzantrags erteilte Überweisungsauftrag nicht ausgeführt worden sei, könne ihnen nicht angelastet werden. Die D-Bank habe diesem Auftrag, wie sich später herausgestellt habe, zu Unrecht die Ausführung versagt. Die bankinterne Abteilung „Risk Management“ habe entschieden, den Überweisungsauftrag nicht auszuführen und stattdessen etwaige Zurückbehaltungsansprüche in Bezug auf das vorhandene Kapital geprüft. Später habe sich durch die Rücküberweisung der Beträge an den Insolvenzverwalter gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Dieses Verschulden der D-Bank könne aber nicht den Geschäftsführern angelastet werden; eine entsprechende Zurechnung von Drittverschulden finde im Anwendungsbereich des § 69 AO gerade nicht statt. Auch sei für die Geschäftsführung nicht vorhersehbar gewesen, dass die D-Bank den Überweisungsauftrag nicht ausführen werde. Nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters seien eigenmächtige Verfügungen für die Geschäftsführer nicht mehr möglich gewesen. Die steuerliche Pflichtenstellung habe sich insofern auf ein Einwirken auf den Insolvenzverwalter beschränkt. Dieser Verpflichtung seien die Geschäftsführer nachgekommen, indem sie den Insolvenzverwalter zur Zahlung der Lohnsteuer aufgefordert hätten. Dieses Zahlungsverlangen habe der Insolvenzverwalter aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung aber abgelehnt.
35Der im Haftungsbescheid enthaltene Hinweis des Finanzamts, die Geschäftsführer hätten angesichts der Auszahlung der vollen Löhne frühzeitig eine Vereinbarung mit der Bank über die sichere Ausführung eines Überweisungsauftrags zur Entrichtung der Lohnsteuer treffen müssen, sei nicht zielführend. Sowohl zur P-Bank als auch zur D-Bank habe ein ganz normales Geschäftsbesorgungsverhältnis (Kontoführungsvertrag) bestanden. In Anbetracht dessen sei nicht davon auszugehen, dass sich die Banken überhaupt auf eine Vereinbarung dergestalt eingelassen hätten. Es sei nicht zu erwarten, dass irgendeine Bank entsprechende Vereinbarungen zu eigenen Lasten treffe. Denn die Banken hätten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Insolvenzantragsstellung damit rechnen müssen, dass die Belastung des Kontos später an der erforderlichen Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters gescheitert wäre. Insofern hätte auch ein Gespräch mit Vertretern der Bank nicht weiter geführt.
36Darüber hinaus verneinte der Kläger auch ein schuldhaftes Handeln i.S. des Haftungstatbestandes. Dabei wies er ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) hin, wonach den Geschäftsführern einer GmbH die Kontosperrung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter nicht haftungsbegründend anzulasten sei. Gemessen an den dort niedergelegten Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hätten sich die Geschäftsführer im Streitfall sogar überobligatorisch verhalten, indem sie noch vor Fälligkeit und vor Insolvenzantragsstellung die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer erteilt hätten.
37Schließlich führte der Kläger aus, dass es auch an der für eine Haftung notwendigen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden fehle. Der BFH habe im Urteil vom 17.11.1992 (VII R 13/92, juris) festgestellt, dass die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers in dem Fall, dass noch vor dem Fälligkeitstag ein starker Insolvenzverwalter bestellt werde, nicht mehr kausal für den Steuerausfall sei. Im vorliegenden Fall sei zwar zunächst kein starker Insolvenzverwalter bestellt worden. Der Zustimmungsvorbehalt des schwachen Insolvenzverwalters habe aber de facto die gleiche Wirkung. Die fristgerechte Zahlung sei den Geschäftsführern seit der Bestellung des schwachen Insolvenzverwalters verwehrt gewesen, eine etwaige Pflichtverletzung für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei daher nicht mehr kausal.
38Der Beklagte half dem Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 teilweise ab, indem die Säumniszuschläge um die Hälfte von 1XX.XXX,- EUR auf 6X.XXX,- EUR reduziert wurden. Im Übrigen (in Bezug auf die eigentliche Haftungsschuld) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
39Zur Herabsetzung der Säumniszuschläge führte der Beklagte aus, insofern sei eine Teilrücknahme des Haftungsbescheides gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 AO geboten. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die Heranziehung eines Steuerschuldners ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit teilweise unzulässig (Verweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Daraus folge für den Streitfall, dass die Haftung insoweit aufzuheben sei, als sie den Zeitraum zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (29.06.2009) und dem Erlass des Haftungsbescheides (28.05.2010) beträfe. Aus diesem Grunde werde die Haftungssumme um die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge reduziert.
40Im Übrigen sei der Haftungsbescheid aber rechtmäßig und damit aufrecht zu erhalten. Den Kläger habe aufgrund seiner gesetzlichen Stellung als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX die Pflicht getroffen, für die Abführung der auf die im März 2009 durch die A-KG ausgezahlten Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben zu sorgen (vgl. § 34 Abs. 1 AO i.V. mit § 41a Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz – EStG). Dieser Pflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. Die entsprechenden Steuerschulden seien bis zum heutigen Tage nicht entrichtet worden.
41Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung stelle die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine, wenn nicht vorsätzliche, so zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers dar. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziere den Schuldvorwurf (Hinweis auf BFH, Urteil v. 04.12.2007, VII R 18/06, juris; Beschluss v. 25.07.2003, VII B 240/03, juris). Durch die Auszahlung des Bruttolohnes nehme der Geschäftsführer ein Haftungsrisiko auf sich, mit der Folge, dass bei Ausbleiben der Erfüllung seiner auf die entsprechende Lohnsteuer bezogenen Entrichtungsschuld die Haftungsfolge des § 69 S. 1 AO eintrete. Diesen strengen Verschuldensmaßstab leite die Rechtsprechung aus den einkommensteuerrechtlichen Regelungen zum Lohnsteuerabzug her (§ 38 Abs. 2 und Abs. 3, § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG). Danach fungiere der Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner. Für den Arbeitgeber handele es sich insoweit um eine fremde Schuld. Ihn treffe kraft Gesetzes die Pflicht, die Lohnsteuer treuhänderisch zu verwalten und für ihre Entrichtung aus den verwalteten Mitteln der Gesellschaft Sorge zu tragen (Verweis auf BFH, Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris). Diese steuerrechtliche Verpflichtung sei eine „Grundpflicht“ bzw. „Garantenpflicht“ des Geschäftsführers. Dieser gebe mit voller Auszahlung der Löhne quasi eine „Garantie“ ab, die darauf entfallende Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag auch tatsächlich zu entrichten. Die eingegangene Verpflichtung beinhalte – da es sich bei der Lohnsteuer um fremde Gelder handele – nicht nur, dass der Geschäftsführer für eine entsprechende Kontodeckung am Fälligkeitstag zu sorgen habe. Darüber hinaus müsse der Geschäftsführer einen wirksamen Zahlungsauftrag erteilen und damit letztlich sicherstellen, dass die Lohnsteuer auch tatsächlich beim Finanzamt ankomme, mithin dass eine Entrichtung (Erfüllung) der Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO bis zum Fälligkeitstag erfolge (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
42Der Umstand, dass vor dem Fälligkeitstag ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werde, ändere an den besagten Mittelvorsorge- und Garantiepflichten eines Geschäftsführers nichts. Gleiches gelte für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Dadurch werde der Geschäftsführer nicht in seiner Verfügungsbefugnis eingeschränkt; er sei rechtlich nicht daran gehindert, Steuern für die Gesellschaft zu entrichten. Die Verpflichtung eines Geschäftsführers zur Abführung einbehaltener Lohnsteuer bestehe solange fort, bis ihm die Verfügungsbefugnis endgültig entzogen werde (Verweis auf BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris).
43Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sei der Kläger seinen Pflichten als Geschäftsführer in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen. Zum einen habe er gegen die Mittelvorsorge- und Garantiepflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer verstoßen. Die Gehälter für die Angestellten am Standort der A-KG in XXX seien auf Veranlassung des Klägers am 26.03.2009 in voller Höhe ausgezahlt worden. Damit habe der Kläger sich verpflichtet, die einbehaltene Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger hätte also dafür Sorge tragen müssen, wirksame Maßnahmen zur Tilgung (Erfüllung) der Lohnsteuer zu ergreifen. Derartige Maßnahmen seien vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer aber nicht getroffen worden. Die Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter, entsprechende Mittel auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und von dort aus eine Überweisung der Lohnsteuer an das Finanzamt vorzunehmen, sei lediglich geeignet gewesen, potentiell eine pünktliche Zahlung zu bewirken (§ 224 Abs. 2 AO). Die Erfüllung der Steuerschuld sei dadurch aber nicht eingetreten. Gleiches gelte für den wenige Stunden vor Insolvenzantragsstellung gegenüber der D-Bank abgegebenen Überweisungsauftrag. Beide Maßnahmen hätten letztlich nicht zu einer erfolgreichen Tilgung der Lohnsteuer geführt.
44Darüber hinaus sei der Kläger seinen Überwachungsaufgaben als Geschäftsführer nicht hinreichend nachgekommen. Die hundertprozentige Auszahlung der Löhne gehe mit gesteigerten Überwachungspflichten einher. Der Kläger habe die Erfüllung der Steuerschuld durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherstellen müssen. Gerade aufgrund des Umstandes, dass der Kläger mit dem Eingang seines Insolvenzantrages und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 08.04.2009 habe rechnen müssen, sei er zu einer gesteigerten Überwachung aufgerufen gewesen. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der zunächst erfolgten Überweisung der Gelder vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank sowie bei dem weiteren Plan, die Lohnsteuer dann von dort aus an das Finanzamt abzuführen, um eine „außergewöhnliche Vorgehensweise“ gehandelt habe (abweichend von der bisherigen Übung der Steuerentrichtung im Lastschrifteinzugsverfahren). In Anbetracht dessen hätte der Kläger die Umsetzung der erteilten Aufträge besonders sorgfältig überwachen müssen. Dies habe er offensichtlich nicht getan. Der Vortrag des Klägers, er habe den Leiter der Finanzabteilung nicht kontrollieren müssen, weil es sich bei Herrn Dr. Z um eine stets zuverlässige Person gehandelt habe, die ihren Aufgaben in der Vergangenheit immer zur Zufriedenheit der Geschäftsführung nachgekommen sei, könne weder als Rechtfertigungs- noch als Entschuldigungsgrund herangezogen werden. Wenn der Kläger einen typischen Arbeitsauftrag erteilt hätte, dann habe er davon ausgehen können, dass die beauftragten Personen diesen gewohnt zuverlässig erledigen werden. Im Streitfall gelte aber etwas anderes. Vorliegend sei ein atypischer Zahlungsweg gewählt worden. Angesichts der drohenden Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sei zudem alles davon abhängig gewesen, dass den Banken noch vor dem 08.04.2009 ein wirksamer Zahlungsauftrag erteilt werde. Diese Besonderheiten hätten es erforderlich gemacht, die beauftragten Mitarbeiter genau zu überwachen und damit für die Erfüllung des Zahlungsauftrags Sorge zu tragen. Auch der BFH gehe davon aus, dass an die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers umso größere Anforderungen gestellt werden müssten, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil bilden könne, ob hinzugezogene Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erfüllung steuerlicher Angelegenheiten der Gesellschaft bieten würden (Verweis auf BFH, Beschluss v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris). Bei Anwendung dieser Grundsätze habe der Kläger die Ausführung des Auftrags zur Überweisung der Lohnsteuer durch seine Mitarbeiter im Streitfall intensiver überwachen müssen, denn er habe keine Kenntnisse darüber gehabt, ob seine Mitarbeiter der Ausnahmesituation (atypische Zahlungsweise und drohende Insolvenz) gewachsen gewesen seien.
45Die gleichzeitige Inanspruchnahme des Klägers und seines Mitgeschäftsführers sei auch ermessensgerecht. Dagegen sei der dritte Geschäftsführer der A-GmbH, Herr C, nicht in Haftung genommen worden, weil er nicht auch gleichzeitig Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX und damit nicht zur Abführung der Lohnsteuer der A-KG verpflichtet gewesen sei.
46Der Kläger hat am 04.07.2012 die vorliegende Klage erhoben und begehrt weiter die Aufhebung des streitgegenständlichen Haftungsbescheides. Das parallele Klageverfahren des Mitgeschäftsführers wird unter dem Aktenzeichen 1 K 2245/12 L geführt.
47Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger wie folgt aus: Seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer habe er nicht verletzt. Die ungekürzte Auszahlung der Gehälter für den streitbefangenen Zeitraum stelle keine Pflichtverletzung dar, denn zum Zeitpunkt der Gehaltsauszahlung sei hinreichend Liquidität für die Begleichung der Lohnsteuer März 2009 vorhanden gewesen. Eine Pflichtverletzung bestehe nach der Rechtsprechung des BFH nur, wenn zu befürchten sei, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr genügend Mittel zur Begleichung der Steuerschuld vorhanden seien (Hinweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris). Es habe also gar keine Veranlassung zu einer Kürzung der Löhne bestanden. Auch zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer habe die A-GmbH noch über ausreichend Liquidität verfügt. Die Nichtzahlung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei nicht auf eine Pflichtverletzung der Geschäftsführung (etwa zur Mittelvorsorge), sondern auf die nicht vorhersehbare Ablehnung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie die Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und den damit verbundenen Verlust der Verfügungsmacht der Geschäftsführer zurückzuführen. Ursächlich für den Steuerausfall seien letztlich alleine die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dessen verweigerte Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer gewesen. Das Unvermögen eines Geschäftsführers, am Fälligkeitstag die Lohnsteuerschulden ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters zu begleichen, begründe keine Pflichtverletzung (Hinweis auf BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris). Auch unter dem Aspekt des Verschuldens scheide insofern eine Haftung aus (Hinweis auf BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris). Unter den gegebenen Umständen sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass ein Einwirken auf die D-Bank, den erteilten Überweisungsauftrag durchzuführen, erfolgreich gewesen wäre. Ohne die spätere Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Belastung des Kontos hätte die Bank eine Belastungsbuchung sowieso gar nicht vornehmen dürfen (Hinweis auf BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris).
48Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, eine Pflichtverletzung scheide bereits aus dem Grund aus, dass die Lohnsteuer am 08.04.2009 (bei Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters) noch gar nicht fällig gewesen sei. Es habe demnach bis zu diesem Tage noch gar keine Pflicht zur Zahlung der Lohnsteuer bestanden. Demzufolge könne ihm auch nicht der Vorwurf einer (Überwachungs-)Pflichtverletzung gemacht werden. Der Kläger führt weiter aus, er habe sich sogar überobligatorisch verhalten, indem er gegenüber seinen Mitarbeitern veranlasst habe, dass die Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitstag an das Finanzamt überwiesen werden sollte. Bei der angedachten Abwicklung über das P-Bank-Konto habe es sich insofern um eine zusätzliche „Vorsichtsmaßnahme“ gehandelt, die weit über das hinausgegangen sei, was von einem Geschäftsführer berechtigterweise zu erwarten sei. Dass die D-Bank die Überweisung letztendlich nicht ausgeführt habe, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Er dürfe insofern nicht schlechter stehen, als er stünde, wenn überhaupt kein Versuch zur vorzeitigen Entrichtung der Lohnsteuer unternommen worden wäre.
49Der Kläger meint in diesem Zusammenhang weiter: Die Ansicht des Beklagten, die Lohnsteuer sei jedenfalls so rechtzeitig zu zahlen, dass die Erfüllung am 14.04.2009 in jedem Fall gewährleistet gewesen wäre, gehe fehl. Zwar sei es grundsätzlich richtig, dass der Geschäftsführer für die pünktliche Abführung der Lohnsteuer verantwortlich zeichne. Der Beklagte verkenne jedoch den Unterschied zwischen der gesetzlich angeordneten „Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Lohnsteuer“ einerseits und einer „Garantiehaftung“ andererseits. Die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung und in den im finanzgerichtlichen Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen liefen darauf hinaus, dass mit jeder Lohnauszahlung eine verschuldensunabhängige Garantenpflicht für die Abführung der Lohnsteuer übernommen werde. Eine solche Auslegung finde jedoch im Gesetz keine Stütze, sondern verkehre den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO in sein Gegenteil. Er (der Kläger) sei damit weder am 08.04.2009 noch an einem sonstigen vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegenden Tage verpflichtet gewesen, die Lohnsteuer an das Finanzamt zu überweisen. Die Tatsache, dass die Geschäftsführer dies gleichwohl versucht hätten, könne ihnen im Nachhinein unter keinen Umständen als schuldhafte Pflichtverletzung vorgehalten werden.
50Weiter führt der Kläger aus, dass eine Haftung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung des Verhaltens der D-Bank oder der Mitarbeiter der A-GmbH in Betracht komme. Im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO finde eine Zurechnung von Drittverschulden nicht statt (Hinweis auf BFH, Urteile v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 30.06.1995, VII R 85/94, juris).
51Im Übrigen hätten sich in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Mitarbeiter keine Bedenken ergeben. Anlass zu der Vermutung, dass die Mitarbeiter die Lohnsteuer nicht (wie besprochen) vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt überweisen und damit von den eindeutigen Anweisungen der Geschäftsführung abweichen würden, habe nicht bestanden. Die für die Überweisung zuständigen Mitarbeiter seien im Rahmen dieser Geschäftsführersitzung anwesend gewesen und hätten die Anweisungen der Geschäftsführer bestätigt. Bei dem mit der Überweisung beauftragten Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern, Herrn Dr. Z, habe es sich zudem um einen kompetenten und berufserfahrenen Mitarbeiter gehandelt, der selbst mehrere Jahre in einer Großbank tätig gewesen sei. Der Vorwurf des Beklagten, es habe sich bei der Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank um einen derart komplexen Vorgang gehandelt, dass die Geschäftsführer ihre Mitarbeiter bei der Ausführung quasi hätten begleiten müssen, sei insofern entschieden zurückzuweisen. Zum einen sei die Anweisung einer Überweisung ein ganz alltäglicher Vorgang. Zum anderen verkenne der Beklagte bei seiner Argumentation, dass es sich bei der A-Unternehmensgruppe um einen Großkonzern und nicht um einen Kleinbetrieb gehandelt habe. Die vom Beklagten eingeforderte persönliche Kontrolle der Mitarbeiter durch die Geschäftsführung sei weder angemessen noch realitätsgerecht. Erst Recht seien die Geschäftsführer eines Konzernunternehmens nicht verpflichtet, entsprechende Überweisungen selbst auszuführen. Im Übrigen merkt der Kläger noch an, dass er sich im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung der besonderen Sachkunde einer renommierten Sanierungs- und Insolvenzkanzlei bedient habe. Insgesamt hätten er und sein Mitgeschäftsführer „alles Menschenmögliche“ getan, um die Überweisung der streitbefangenen Lohnsteuer sicherzustellen.
52Der Kläger vertritt die Ansicht, dass sich seine steuerlichen Pflichten alleine darauf beschränkt hätten, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen um die Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten. Dieser Pflicht seien die Geschäftsführer nachgekommen. Dass der Insolvenzverwalter der Aufforderung letztlich nicht gefolgt sei, falle nicht in die Pflichtensphäre der Geschäftsführer. Rechtliche Schritte der Geschäftsführer gegenüber dem Insolvenzverwalter seien nicht zu erwarten gewesen (Hinweis auf BFH, Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris).
53Schließlich macht der Kläger geltend, dass selbst bei der vom Beklagten eingeforderten Überwachung der Mitarbeiter und bei einer erfolgten Entrichtung der Lohnsteuer ebenfalls ein Schaden entstanden wäre. Denn es sei davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter die Zahlung gemäß § 130 Abs. 1 InsO angefochten hätte. Folglich wäre eine unterstellte Pflichtverletzung der Geschäftsführer für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer nicht ursächlich geworden.
54Was die Höhe der Haftungsschuld angeht, so trägt der Kläger wie folgt vor: Der in der Lohnsteueranmeldung ausgewiesene Betrag i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR berücksichtige neben der Lohnsteuer, die auf die am 26.09.2009 ausgezahlten Gehälter der Angestellten entfalle, auch die Lohnsteuer, die für die Nettolöhne der Arbeiter einzubehalten und abzuführen gewesen wäre. Da diese Gehälter aber gar nicht mehr ausgezahlt worden seien, scheide eine Haftung von vorneherein aus.
55Schließlich führt der Kläger hilfsweise aus, dass die Reduzierung der Säumniszuschläge auf den hälftigen Betrag rechtswidrig sei. Die Säumniszuschläge hätten aufgrund der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der A-KG bzw. der A-GmbH ihren Zweck als Druckmittel verloren. Dementsprechend seien sie in voller Höhe aus Gründen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen. Dies gelte nicht nur für die Hauptschuld, sondern aufgrund der Akzessorietät auch für die Haftungsschuld. Darüber hinaus gelte für die Säumniszuschläge der Grundsatz der anteiligen Tilgung. Die allgemeine Tilgungsquote bei der A-GmbH bzw. bei der A-KG liege jedoch keinesfalls bei 100%.
56Der Kläger beantragt,
57den Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 aufzuheben,
58hilfsweise die Revision zuzulassen.
59Der Beklagte beantragt,
60die Klage abzuweisen,
61hilfsweise die Revision zuzulassen.
62Der Beklagte nimmt im Rahmen seiner Gegenäußerung Bezug auf die Einspruchsentscheidung. Vertiefend und ergänzend weist er darauf hin, dass der Kläger sich nicht lediglich darauf berufen könne, entsprechende Mittel zur Begleichung der streitbefangenen Lohnsteuer bereit gehalten zu haben. Vielmehr habe eine faktische Entrichtungsverpflichtung bestanden. Gerade der erfolglose Zahlungsversuch vom 08.04.2009 zeige, dass der Kläger für die besondere Krisensituation eben keine hinreichenden Vorkehrungen zur Erfüllung der Lohnsteuerschuld getroffen habe. Die Geschäftsführer hätten es beispielsweise versäumt, die für die Lohnsteuerzahlung eingeplanten und auf das Konto bei der P-Bank transferierten Gelder mit einer entsprechenden Verfügungsbeschränkung zu versehen und von den anderen Geldern zu trennen.
63Der Kläger könne sich auch nicht mit dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiter entschuldigen. Durch die unterlassene fortgesetzte Kontrolle seiner Mitarbeiter habe sich der Kläger pflichtwidrig verhalten. Dies gelte umso mehr, als es im Streitfall entscheidend darauf angekommen sei, dass bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung gezahlt werde. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er aufgrund des selbst gestellten Insolvenzantrages nur bis spätestens zum 08.04.2009 die alleinige Verfügungsmacht über die Konten der A-GmbH inne gehabt habe. Um die Erfüllung der Lohnsteuerschuld bis zu diesem Zeitpunkt zu gewährleisten, hätte der Zahlungsvorgang deshalb in besonderem Maße überwacht und begleitet werden müssen. Die Geschäftsführer dagegen seien am Morgen des 08.04.2009 mit der festen Überzeugung zum Insolvenzgericht gegangen, dass die Lohnsteuer bereits am 07.04.2009 vom „sicheren“ P-Bank-Konto entrichtet worden sei. Diese Überzeugung hätten sie aber nur haben dürfen, wenn die Einhaltung der erteilten Weisung zur Lohnsteuerzahlung zuvor kontrolliert worden wäre. Die Geschäftsführer hätten den Insolvenzantrag also letztlich gestellt, ohne die tatsächliche Zahlung der Lohnsteuer zuvor geprüft zu haben. Gerade darin sei die Pflichtverletzung zu sehen. In diesem Zusammenhang führt der Beklagte nochmals explizit aus, dass grundsätzlich zwar keine Pflicht zur Leistung von Steuerschulden vor dem gesetzlichen Fälligkeitstermin bestehe. Im Streitfall hätten die Geschäftsführer der A-GmbH den Fälligkeitszeitpunkt jedoch selbst bewusst „vorverlegt“, indem sie den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätten. Durch den damit verbundenen Verlust der alleinigen Verfügungsmacht über das Vermögen der Gesellschaft sei es den Geschäftsführern nunmehr nicht mehr möglich gewesen, ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen. Über die Pflichterfüllung in Form der Lohnsteuerzahlung hätten sie sich vorher Gewissheit verschaffen müssen. Im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei insofern anerkannt, dass die gesetzlich ohnehin bestehende Lohnsteuerentrichtungspflicht in Zeiten wirtschaftlicher Krisen nochmals mit einer besonderen (gesteigerten) Sorgfaltspflicht einhergehe (Verweis auf BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 11.11.2008, VII R 19/08, juris).
64Im Zusammenhang mit dem Verhalten der Geschäftsführer rund um den P-Bank-Überweisungsauftrag weist der Beklagte ferner auf einen weiteren Aspekt hin: Die Anweisung der Mitarbeiter, von dem P-Bank-Konto insgesamt die streitgegenständliche Lohnsteuer, die Löhne der Arbeiter in YYY und XXX sowie jeweils 3XX.XXX,- EUR an verbundene ausländische Unternehmen zu zahlen, hätte insgesamt ein Kapital von 5.8XX.XXX,- EUR erforderlich gemacht. Auf dem Konto bei der P-Bank hätten sich aufgrund der beiden Transfers vom 06. und 07.04.2009 aber nur 4.650.000,- EUR befunden. Bereits in der untauglichen Zahlungsanweisung sei eine Pflichtverletzung der Geschäftsführer zu sehen. Die Geschäftsführer wären in der außergewöhnlichen Situation aber verpflichtet gewesen, durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass jedenfalls die streitbefangene Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung aus den bei der P-Bank deponierten Mitteln beglichen werde. Da sie die konkrete Umsetzung des untauglichen Auftrags anderen Personen überließen, seien sie bewusst das Risiko der Nichterfüllung des Auftrags eingegangen. Die späteren Bemühungen der Geschäftsführer, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen zur Zahlung der Lohnsteuer aufzufordern, seien insofern nicht mehr erheblich.
65Der erkennende Senat hat am 03.03.2016 mündlich in der Sache verhandelt. Dabei ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen Dr. Z. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des übrigen Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
66Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
67Entscheidungsgründe:
68Die Klage ist zulässig und begründet.
69Der Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Der Haftungsbescheid war daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
70Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind bereits deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte dem Grunde nach zu Unrecht von einer Haftung des Klägers auf der Grundlage des § 69 S. 1 AO ausgegangen ist (dazu nachfolgend unter I.).
71Darüber hinaus sind die Ausführungen des Beklagten im Hinblick auf die Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner unvollständig. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens i.S. des § 191 Abs. 1 S. 1 AO werden insoweit nicht erfüllt. Aufgrund dieses Begründungsmangels ist der Haftungsbescheid (formell) rechtswidrig und ebenfalls aufzuheben (dazu nachfolgend unter II.).
72Schließlich ist der Haftungsbescheid noch in Bezug auf die erhobenen Säumniszuschläge rechtswidrig (dazu nachfolgend unter III.)
73I. Die materiellen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers gemäß § 69 S. 1 i.V. mit § 34 Abs. 1 AO liegen schon dem Grunde nach nicht vor. Der Kläger hat in seiner Funktion als gesetzlicher Vertreter der A-KG weder die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer nebst Annexabgaben schuldhaft verletzt (dazu näher unter 1.) noch gegen die Verpflichtung zur sog. Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen (dazu näher unter 2.). Ob der Kläger über die reine Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abführung der Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung und damit vor dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu ergreifen, braucht der erkennende Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn der Kläger hat aus der Sicht des Gerichts entsprechende Maßnahmen eingeleitet und sich auch insofern nicht pflichtwidrig verhalten (dazu näher unter 3.). Dem Kläger kann auch nicht der Vorwurf einer unterlassenen oder pflichtwidrigen Überwachung seiner Mitarbeiter gemacht werden. Im Übrigen wäre eine Überwachungspflichtverletzung auch nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden (dazu unter 4.). Schließlich kann dem Kläger auch ansonsten kein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten angelastet werden, etwa in Form eines unterlassenen Einwirkens auf die D-Bank (dazu unter 5.).
741. Den Kläger traf als gesetzlicher Vertreter der A-KG zwar grundsätzlich die Pflicht, die von der Gesellschaft als Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 geschuldete Lohnsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln spätestens bis zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu entrichten. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit ist dem Kläger aber in subjektiver Hinsicht nicht vorzuwerfen. Er hat in Bezug auf die Nichtabführung der Lohnsteuer im Streitfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig und damit insgesamt nicht schuldhaft gehandelt.
75a. Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 S. 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu den potentiellen Haftungsschuldner gehören u.a. die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen (§ 34 Abs. 1 AO). Die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft werden grundsätzlich durch die Komplementär-GmbH geführt. Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbHG). Im Falle einer mit der Geschäftsführung betrauten Komplementär-GmbH ist der Geschäftsführer in dieser Funktion auch dazu verpflichtet, die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 27.06.1989, VIII R 73/84, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, München 2014, § 34 AO Rz. 8).
76Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO haben sie insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Bezogen auf das Lohnsteuerabzugsverfahren bedeutet dies, dass der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH diejenigen lohnsteuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen hat, die der von ihm vertretenen KG als Arbeitgeberin obliegen, insbesondere die auf § 38 Abs. 3 und § 41a Abs. 1 EStG beruhende Pflicht, bei jeder Lohn- und Gehaltszahlung die darauf entfallende Lohnsteuer für die Arbeitnehmer und Angestellten der Gesellschaft einzubehalten und zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen.
77Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO setzt neben einem (für den eingetretenen Haftungsschaden ursächlichen) objektiv pflichtwidrigen Verhalten der in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen in subjektiver Hinsicht entweder Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit voraus. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Eine Haftung kommt demnach nur bei „gravierenden Sorgfaltspflichtverletzungen“ in Betracht (vgl. BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04 juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 23 ff., 26 m.w.N.; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 32).
78Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers dar. Die in der Nichtabführung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung indiziert im Allgemeinen den subjektiven Schuldvorwurf (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 27.02.2007, VII R 67/05, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 25.07.2003, VII B 240/02, juris; FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 40).
79Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit ändern nach dieser Rechtsprechung weder etwas an der Pflicht des gesetzlichen Vertreters zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung dieser steuerlichen Pflichten aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne und Gehälter einschließlich des darin enthaltenen Steueranteils nicht aus, so darf der gesetzliche Vertreter die Löhne und Gehälter nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne bzw. (Netto-)Gehälter entfallende Lohnsteuer an den Fiskus abführen (vgl. BFH, Urteile v. 20.04.1982, VII R 96/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 71 ff.).
80Die bloße Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, vermag den gesetzlichen Vertreter nicht von seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Lohnsteuerentrichtung bzw. von dem Erfordernis einer entsprechenden Lohn- und Gehaltskürzung zu befreien. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht insofern zum Ausschluss eines Verschuldens nicht aus. Allenfalls eine plötzliche und unvorhersehbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft kann im Einzelfall zu einer Exkulpation des gesetzlichen Vertreters führen (vgl. BFH, Beschlüsse v. 01.02.2000, VII B 256/99, juris; v. 24.03.2004, VII B 317/03, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris).
81Nach alledem ist der gesetzliche Vertreter einer KG auch bzw. gerade während des Bestehens einer wirtschaftlichen Krise (bei Liquiditätsschwierigkeiten) verpflichtet, die aus einer Lohn- und Gehaltsauszahlung resultierenden Steuern und Annexabgaben pünktlich an die Staatskasse zu entrichten. Die Pflicht erschöpft sich dabei nicht in der bloßen Hingabe eines Schecks oder der Erteilung einer Einzugsermächtigung. Vielmehr hat der gesetzliche Vertreter darüber hinaus auch sicherzustellen, dass ein hingegebener Scheck tatsächlich eingelöst bzw. die Steuerschuld aufgrund einer Einzugsermächtigung tatsächlich eingezogen werden kann; er hat mithin regelmäßig dafür Sorge zu tragen, dass die Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO de facto getilgt wird (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
82Diesen strengen Haftungsmaßstab leitet der BFH zu Recht aus den einkommensteuerlichen Regelungen zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs her. Die Pflicht zum Einbehalt und zur Abführung der Lohnsteuer obliegt dem Arbeitgeber, im Streitfall also der A-KG. Sowohl aus der Sicht der A-KG als Arbeitgeber als auch aus der Sicht des geschäftsführenden Klägers handelt es sich bei dem einbehaltenen Anteil des Bruttoarbeitslohns um eine fremde Schuld, für deren treuhänderische Verwaltung und spätere ordnungsgemäße Abführung Sorge zu tragen ist (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris; v. 12.07.1988, VII R 108-109/87, juris; Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar, § 69 AO Rz. 71).
83Der aufgezeigte strenge Haftungsmaßstab bei der Lohnsteuer schließt es jedoch nicht aus, dass besondere, vom gesetzlichen Vertreter glaubhaft zu machende Gründe die in der Nichtentrichtung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen können. Dies folgt schon aus dem gesetzlichen Charakter des § 69 S. 1 AO, der keinen Erfüllungstatbestand, sondern lediglich einen Haftungstatbestand darstellt. Die Haftung setzt in subjektiver Hinsicht die schuldhafte Verletzung einer steuergesetzlich definierten Pflicht voraus, d.h. der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO kann sich im Einzelfall exkulpieren (vgl. BFH, Urteile v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris).
84b. Gemessen an diesen Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Kläger nach Ansicht des erkennenden Senats mit der Nichtabführung der Lohnsteuer zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zwar objektiv eine Pflichtverletzung begangen, allerdings subjektiv nicht schuldhaft gehandelt.
85Der Kläger war in seiner Funktion als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX (Komplementärin der KG) im Grundsatz dazu verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten der KG zu besorgen und die Steuern für die Gesellschaft aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten. Der zwischen der A-KG und der A-GmbH in YYY geschlossene Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 hat im Ergebnis keinen negativen Einfluss auf diese grundsätzliche Pflichtenstellung des Klägers. Denn gleichzeitig mit der Verpachtung des Betriebes der A-KG an die A-GmbH ist mit Betriebsführungsvertrag vom selben Tage die Betriebsführung an die A-KG zurück übertragen worden (folglich übte die A-KG gegenüber den in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberfunktion aus). Die zur Betriebsführung notwendigen Aufwendungen waren der A-KG von der A-GmbH (an deren Geschäftsführung der Kläger ebenfalls beteiligt war) zu erstatten. Demnach hätte der Kläger als (mit-)verantwortlicher Geschäftsführer der A-KG nötigenfalls auf die A-GmbH tatsächlich und rechtlich einwirken müssen, um seiner Verpflichtung zur Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG ordnungsgemäß nachzukommen.
86Der Kläger war insbesondere dazu verpflichtet, die auf die Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 durch die A-KG als Arbeitgeberin entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben bis zum 14.04.2009 als gesetzlichem Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen (der eigentliche gesetzliche Fälligkeitstermin am 10.04.2009 fiel auf den Karfreitag, die Frist des § 41a Abs. 1 S. 1 EStG endete daher erst am Dienstag, den 14.04.2009, als dem nächstfolgendem Werktag, vgl. § 108 Abs. 3 AO).
87Dieser Verpflichtung ist der Kläger objektiv weder fristgerecht noch überhaupt nachgekommen. Die streitgegenständliche Lohnsteuer ist weiterhin offen. Die Nichtabführung der Lohnsteuer durch den Kläger erfolgte jedoch nicht schuldhaft. Sie beruht vielmehr auf zwei äußeren Umständen tatsächlicher bzw. rechtlicher Natur, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte bzw. die ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zugerechnet werden können. Dies sind zum einen die Nichtausführung des vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor Insolvenzantragsstellung veranlassten Auftrags zur (fristgerechten) Überweisung der Lohnsteuer durch die D-Bank am 08.04.2009 (dazu weiter unter aa.) sowie zum anderen der Umstand, dass der am selben Tage eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, aufgrund dessen Bestellung der Kläger seine Befugnis, über das Vermögen der A-KG und der A-GmbH uneingeschränkt zu verfügen, verloren hatte, einer Abführung der Lohnsteuer in der Folgezeit widersprochen hat (dazu weiter unter bb.).
88aa. Seiner Pflicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer wollte der Kläger dadurch nachkommen, dass er den Mitarbeitern des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH die Anweisung erteilte, die Lohnsteuer aus vorhandenen Mitteln der A-GmbH noch vor der Stellung des Insolvenzantrags an das Finanzamt zu überweisen. Der genaue Inhalt der Anweisung (Überweisung vom P-Bank-Konto, Überweisung vom Konto bei der D-Bank oder Überweisung ohne nähere Bestimmung) ist für die (Vor-)Frage, ob der Kläger in subjektiver Hinsicht überhaupt die Bereitschaft hatte, die arbeitgeberrechtlichen Pflichten der A-KG im Lohnsteuerabzugsverfahren zu erfüllen, nicht entscheidend (zur Frage der Geeignetheit der klägerischen Anweisung vgl. Gliederungspunkt I.3.). Die Mitarbeiter der A-GmbH haben der klägerischen Anweisung dem Grunde nach Folge geleistet und der D-Bank am Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr (mithin noch vor der Stellung des Insolvenzantrags) einen konkreten Überweisungsauftrag zur Zahlung der Lohnsteuer erteilt. Hätte die D-Bank diesen Auftrag weisungsgemäß ausgeführt, wäre es zu einer rechtzeitigen Tilgung der Lohnsteuerschulden gekommen. Der Kläger durfte auch davon ausgehen, dass eine solche Tilgung eintreten wird, denn die A-GmbH verfügte im Anweisungszeitpunkt über die entsprechenden Mittel zur Lohnsteuerzahlung und konnte – jedenfalls bis zur Insolvenzantragsstellung – in rechtlicher Hinsicht auch noch uneingeschränkt über diese Mittel verfügen (die Guthaben auf den Konten bei der P-Bank und bei der D-Bank beliefen sich am Abend des 07.04.2009 addiert auf ca. 7.XXX.XXX,- EUR). Dass es letztlich nicht zu der beabsichtigten Entrichtung der Lohnsteuer kam, hat seinen Grund in der Entscheidung der D-Bank, den durch die A-GmbH erteilten Überweisungsauftrag nicht (mehr) auszuführen. Die Anweisung des Klägers zur Zahlung der Lohnsteuer ist damit zunächst durch äußere Umstände, hier das tatsächliche Verhalten eines Dritten (der D-Bank), vereitelt worden. Für das Handeln dritter Personen (Hilfspersonen) muss der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO aber nicht ohne weiteres einstehen. Es ist ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zuzurechnen. Auf den Rechtsgedanke des § 278 BGB kann im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO nicht zurückgegriffen werden (zutreffendLoose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27).
89Von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank verbunden mit der gleichzeitigen „Einziehung des Guthabens“ durch die bankinterne Abteilung „Risk Management“ hat der Kläger nach seinem glaubhaftem und seitens des Beklagten nicht bestrittenen Vortrag erst nach der Stellung des Insolvenzantrages erfahren (bei der Rückkehr vom Insolvenzgericht in das Unternehmen im Laufe des 08.04.2009). Zu diesem Zeitpunkt hatte das Insolvenzgericht allerdings bereits die vorläufige Verwaltung des Vermögens der A-KG und der A-GmbH angeordnet und bestimmt, dass Verfügungen beider Gesellschaften nur noch mit Zustimmung des mit sofortiger Wirkung bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
90bb. Ab dem Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters war der Kläger sodann durch eine rechtliche Barriere an der Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer gehindert. Zwar hat das Insolvenzgericht bezogen auf die A-KG und die A-GmbH kein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen, wodurch die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen wäre (Fall des sog. „starken Insolvenzverwalters“). Das Insolvenzgericht hat aber einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (sog. „schwacher Insolvenzverwalter“). Diesen vorläufigen Insolvenzverwalter hat es im Wege der Einzelanordnung mit einem sog. Zustimmungsvorbehalt ausgestattet (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Gleichzeitig hat es weitere Maßnahmen ergriffen und den vorläufigen Insolvenzverwalter etwa zur Einziehung von Forderungen, zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens sowie zur Fortführung des Unternehmens (gemeinsam mit den Antragstellern) ermächtigt (§ 22 Abs. 2 InsO). Die Wirksamkeit von Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen (A-KG und A-GmbH) war von diesem Zeitpunkt an von der Zustimmung eben dieses vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig. Durch die diversen Einzelanordnungen des Insolvenzgerichts ist die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers in seiner Funktion als Geschäftsführer bezogen sowohl auf die A-KG als auch auf die A-GmbH erheblich eingeschränkt worden. Praktisch wurde die Verwaltungs- und Verfügungsmacht im Hinblick auf den Geschäftsbetrieb und das Vermögen der beiden Gesellschaften auf den Insolvenzverwalter übertragen, denn dem Insolvenzverwalter war eine Stellung eingeräumt, die ihn in die Lage versetzte, die Zugriffsmöglichkeiten der Geschäftsführer auf noch vorhandene Mittel der Gesellschaften wesentlich einzuschränken (Form des sog. „halbstarken Insolvenzverwalters“). Folgerichtig wird ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters dem allgemeinen Verfügungsverbot in der zivilrechtlichen Praxis weitgehend gleichgestellt (vgl. Uhlenbrock, Insolvenzordnung14, München 2015, § 21 InsO Rz. 24).
91Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist vor allem berechtigt, die Genehmigung von Überweisungsaufträgen und von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern (vgl. BGH, Urteil v. 04.11.2004, IX ZR 22/03, juris; v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Von dieser Befugnis hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch im Streitfall Gebrauch gemacht. Der mehrfachen Aufforderung des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zur Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer ist er nicht nachgekommen. Die Bemühungen der beiden Geschäftsführer, den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten, sind im Ergebnis erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Senats kann dem Kläger in dieser Situation nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe die Abführung der Lohnsteuer grob fahrlässig unterlassen. Denn auch wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des gesetzlichen Vertreters einer KG bzw. einer GmbH nicht vollständig einschränken, wären entsprechende Überweisungsaufträge des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zum Zwecke der Entrichtung der offenen Lohnsteuer nach dem Ergehen der Beschlüsse des Insolvenzgerichts in Anbetracht des Zustimmungsvorbehalts zunächst schwebend und ab dem Zeitpunkt der endgültigen Verweigerung der Zustimmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter dann absolut unwirksam gewesen. Angesichts dieser rechtlichen Wirkungen ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Haftung des Geschäftsführer einer GmbH für rückständige Lohnsteuern i.S. des § 69 S. 1 AO nicht nur in Fällen eines allgemeinen Verfügungsverbotes ausgeschlossen ist (vgl. dazu BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris), sondern jedenfalls auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Verfügungen der von ihm vertretenen Gesellschaft unter dem Vorbehalt der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters stehen und Letzterer einer entsprechenden Anweisung zur Zahlung der Lohnsteuer durch den Geschäftsführer nicht zustimmt (vgl. BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; FG Schleswig Holstein, Beschluss v. 25.05.2004, 5 V 85/04, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 12 und 43a).
92Aus der Sicht des Senats kann dem Kläger auch nicht der Vorwurf gemacht werden, den vorläufigen Insolvenzverwalter schriftlich erst am 24.05.2009 und damit nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer aufgefordert zu haben. Denn zum einen haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter zuvor bereits mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer gebeten (davon geht auch das beklagte Finanzamt aus, vgl. Aktenvermerk v. 24.05.2011 und vom 07.06.2011, Bl. 120 ff. und 129 ff. der Rechtsbehelfsakte). Zum anderen hat der vorläufige Insolvenzverwalter das schriftliche Ersuchen der Geschäftsführer mit Schreiben vom 12.05.2009 mit Nachdruck abgelehnt (und zwar mit dem Argument, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum März 2009 vor der Insolvenzantragsstellung liege und er sich im Falle der Zustimmung der Gläubigerbegünstigung strafbar machen würde). In Anbetracht dessen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass auch eine vor dem Fälligkeitszeitpunkt erteilte schriftliche Aufforderung der Geschäftsführer zur Lohnsteuerzahlung durch den Insolvenzverwalter negativ beschieden worden wäre. Ein entsprechendes pflichtwidriges Verhalten des Klägers wäre insofern jedenfalls nicht kausal für den Eintritt des Haftungsschadens.
93Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, nicht weiter auf den vorläufigen Insolvenzverwalter eingewirkt bzw. keine rechtlichen Schritte ihm gegenüber ergriffen zu haben. Der gesetzliche Vertreter, der eine durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Zustimmungsverweigerung (zunächst) akzeptiert, verletzt nach der Rechtsprechung des BFH seine Pflichten im Regelfall gerade nicht grob fahrlässig (vgl. BFH, Urteil v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; Beschluss v. 19.10.2010, VII B 190/09, juris; s.a. FG Münster, Urteil v. 02.07.2009, 10 K 1549/08, juris). Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters offensichtlich geltendem Recht widerspricht. Dafür bietet der Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte.
94Ein anderes Ergebnis folgt schließlich auch nicht aus den Entscheidungen des BFH vom 23.09.2008 (VII R 27/07, juris) und des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 (10 K 2954/10, juris). Zwar wird in den Leitsätzen beider Entscheidungen ausdrücklich betont, dass alleine der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt den Geschäftsführer einer GmbH nicht von der Lohnsteuerhaftung befreien. Bei genauer Betrachtung sind die entschiedenen Sachverhalte aber mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Dem Urteil des BFH vom 23.09.2008 lag zugrunde, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst am Tag der Fälligkeit der Lohnsteuer gestellt und der vorläufige Insolvenzverwalter erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (einen Monat später) bestellt worden ist. Folgerichtig musste der Geschäftsführer im Urteilsfall haften, da ihm die Verfügungsmacht über die Mittel der Gesellschaft bis zum Fälligkeitstermin gerade nicht entzogen war. In der Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 war der vorläufige Insolvenzverwalter bereits zum Zeitpunkt der Lohnzahlung bestellt worden, so dass dem Geschäftsführer jedenfalls der Vorwurf zu machen war, er habe unter diesen Umständen gar keine Löhne mehr auszahlen dürfen.
95c. Das beklagte Finanzamt scheint dagegen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens von einer „faktischen Entrichtungspflicht“ des Klägers in Bezug auf die rückständige Lohnsteuer der A-KG für März 2009 auszugehen. Dies wird aus der argumentativen Verwendung von Begriffen wie „Grundpflicht“, „Garantenstellung“, „Garantenpflicht“ und „Garantiepflicht“ sowie aus dem Umstand deutlich, dass dem Kläger vorgehalten worden ist, er habe gerade keinen „wirksamen Zahlungsauftrag“ erteilt und „alleine die Vorsorge für eine Kontodeckung am Fälligkeitstag reiche nicht aus, wenn die Erfüllung der Pflicht nicht zur Tilgung der Steuerschuld führe“. Aus der Sicht des Senats verkennt das Finanzamt insofern den rechtlichen Charakter des Haftungstatbestandes. Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO knüpft nicht an den objektiv fehlenden Erfolgseintritt (die Nichtentrichtung einer Steuer), sondern an eine subjektiv vorwerfbare Pflichtverletzung an. Der Haftungstatbestand ist seinem Wesen nach gerade nicht als „Garantiehaftung“, sondern verschuldensabhängig ausgestaltet. Nichts anderes folgt aus der seitens des Beklagten mehrfach in Bezug genommenen Entscheidung des BFH vom 19.03.1999 (VII B 158/98, juris). Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weicht schon insofern ganz entscheidend vom Streitfall ab, als die Fälligkeit der rückständigen Lohnsteuer im Urteilsfall bereits vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens lag. Der Geschäftsführer musste im Urteilsfall haften, weil er schon seiner Verpflichtung zur pünktlichen Entrichtung der Lohnsteuer nicht nachgekommen war. Dass darüber hinaus der hingegebene Scheck später „platzte“, mithin endgültig nicht zu einer Befriedigung des Finanzamts geführt hat, kam ergänzend hinzu. Im vorliegenden Fall dagegen war die rückständige Lohnsteuer erst zum 14.04.2009 fällig. Der Verlust der alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers durch die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten. Daher kann dem Kläger in Bezug auf die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt kein Verschulden zur Last gelegt werden.
962. Der Kläger ist seiner allgemein anerkannten Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge in ausreichendem Umfang nachgekommen. Ein haftungsbegründendes Verhalten ist aus der Sicht des Senats insoweit nicht erkennbar.
97a. Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen haben gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO für die fristgerechte Entrichtung von Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln Sorge zu tragen. Sie trifft insofern zwar keine „echte Garantie“ zur Erfüllung des staatlichen Steueranspruchs, aber eine sog. Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung kann von den gesetzlichen Vertretern bereits vor Fälligkeit einer Steuer verlangt werden, vorausschauend zu planen und - insbesondere in Zeiten der Krise – die notwendigen finanziellen Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereitzuhalten (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 28.06.2005, I R 2/04, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 11.11.2015, VII B 74/15, juris; FG Berlin, Beschluss v. 12.09.2003, 9 B 9470/02, juris; FG Münster, Urteil v. 03.05.2000, 5 K 2907/99, juris; FG Köln, Urteil v. 17.06.2009, 11 K 3017/05, juris; FG Saarland, Urteil v. 14.12.2011, 2 K 1564/09, juris; FG München, Urteile v. 22.05.2012, 2 K 3459/09, juris; v. 22.02.2010, 14 K 3114/08, juris; FG Hamburg, Urteil v. 16.07.2014, 3 K 240/13, juris; Sächsisches FG, Urteil v. 24.09.2014, 8 K 1883/12, juris; aus dem Schrifttum: Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 34 ff., 37 und 40; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 f.).
98Die Pflicht zur Vermögens- und Mittelvorsorge hat im Lohnsteuerrecht eine besondere Ausprägung gefunden. Die gesetzlichen Vertreter haben grundsätzlich (mit Ausnahmen besonderer, nicht vorhersehbarer bzw. nicht verschuldeter Ereignisse) dafür Sorge zu tragen, dass die auf ausgezahlte Löhne und Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben aus treuhänderisch verwalteten Mitteln der von ihnen vertretenen Arbeitgeber spätestens im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet werden. Die gesetzliche Konstruktion des Lohnsteuerabzugsverfahrens, die darin besteht, die Lohnsteuer bereits mit der Auszahlung der Löhne und Gehälter einzubehalten und erst später - zum gesetzlichen Fälligkeitstermin - an das Finanzamt abzuführen ist (zeitliches Auseinanderfallen zwischen Einbehaltung und Abführung), sowie der besondere Umstand, dass es sich bei dem vom Arbeitslohn einbehaltene Steueranteil um fremdes Kapital der Arbeitnehmer handelt, lassen die Anforderungen an die Vermögens- und Mittelvorsorge steigen. Daher bemisst sich die Haftungsquote bei der Lohnsteuer nicht nach dem möglichen Umfang einer anteiligen Befriedigung aller Gläubiger (Grundsatz der anteiligen Tilgung), sondern nach der auf die tatsächlich ausgezahlten (Netto-)Löhne und (Netto-)Gehälter entfallenden Lohnsteuer (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 55 ff., 71).
99Von den gesetzlichen Vertretern der Arbeitgeber kann daher im Einzelfall eine realistische Prognoseentscheidung sowie eine darauf basierende treuhänderische Vermögensverwaltung dahingehend erwartet werden, ob und dass ihnen ausreichende Mittel für die Abführung der mit den ausgezahlten Löhnen und Gehältern korrespondierenden Lohnsteuer und Annexabgaben im Fälligkeitszeitpunkt zur Verfügung stehen werden. Fällt diese Prognose negativ aus, dürfen die Löhne und Gehälter nur anteilig ausgezahlt werden. Dabei wird man gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise (Liquiditätsschwierigkeiten, Zahlungsengpässe, drohende Zahlungsunfähigkeit, bevorstehende Insolvenz etc.) erhöhte Anforderungen an die Begründetheit einer solchen Finanzplanung (Prognose und Mittelvorsorge) stellen müssen.
100b. Im Streitfall sind aus der Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer gegen die skizzierte Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen haben. Die A-GmbH, die der A-KG auf der Grundlage des Betriebsführungsvertrages vom 24.09.1998 zum Ausgleich ihrer Aufwendungen verpflichtet war, verfügte ausweislich der Gerichts- und Verwaltungsakten sowohl im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 an die Angestellten der A-KG (26.03.2009) als auch im Folgezeitraum bis zur Stellung des Insolvenzantrags (08.04.2009) und sogar im gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (14.04.2009) noch über die erforderlichen Mittel, um die gegenüber dem Finanzamt angemeldete Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zu entrichten (Verweis auf die Kontoauszüge der D-Bank, Bl. 87 ff. der Haftungsakte). Am Tage der Insolvenzantragsstellung belief sich der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank auf über 7.9XX.XXX,- EUR. Gleiches gilt für den Habensaldo am Tage der Fälligkeit der Lohnsteuer. Nicht erforderlich ist nach Auffassung des Senats dagegen, dass entsprechende Mittel für die Lohnsteuerzahlung zu jeder Zeit zwischen der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 und dem Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 hätten vorhanden sein müssen. Insofern ist es unschädlich, dass die Habensalden auf dem Konto bei der D-Bank an einzelnen Tagen dieses Zeitraums die Lohnsteuerschuld nicht abgedeckt hätten. Entscheidend ist lediglich, dass im Zeitpunkt der Zahlungsanweisung durch die Geschäftsführung (erfolgloser Zahlungsversuch) und im Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Mittel zur Tilgung der Lohnsteuerschuld vorhanden waren. Denn daraus lässt sich ableiten, dass die von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer in Bezug auf die Auszahlung der Gehälter März 2009 sowie die Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer ursprünglich (im Auszahlungszeitpunkt) angestellte Prognoseentscheidung realistisch war und dass die Finanzplanung (Mittelvorsorge, geplante Entrichtung der Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt) abgesehen von in tatsächlicher Hinsicht unvorhersehbaren Ereignissen (Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank vor Insolvenzantragsstellung) sowie bei in rechtlicher Hinsicht fortbestehender uneingeschränkter Verwaltungs- und Verfügungsmacht (ohne die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt und dessen ausdrücklicher Weigerung zur Zahlung der Lohnsteuer) im positiven Sinne aufgegangen wäre. In Anbetracht dessen kann dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer auch nicht der Vorwurf gemacht werden, die Gehälter der Angestellten der A-KG für März 2009 ungekürzt ausgezahlt zu haben. Vielmehr deckten die im Unternehmensverbund vorhandenen Mittel auch in der Folgezeit (bis zum Fälligkeitszeitpunkt) die auf die volle Gehaltsauszahlung entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben ab.
1013. Ob der Kläger bereits vor der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - also noch unter der Ägide seiner unbeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis - verpflichtet war, nicht nur adäquate Vermögens- und Mittelvorsorge zu betreiben, sondern darüber hinaus auch geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die eigentlich erst später fällig werdende Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, braucht der Senat im Ergebnis nicht zu entscheiden. Denn der Kläger hat solche Maßnahmen im Rahmen des rechtlich Zumutbaren tatsächlich ergriffen. Dass die entsprechenden Bemühungen letztlich nicht zum Erfolg (Entrichtung der Lohnsteuer) geführt haben, kann dem Kläger nicht als schuldhaftes Handeln vorgehalten werden.
102a. Die Pflicht der gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und der Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen zur Entrichtung von Steuern aus von ihnen zu verwaltenden Mitteln wird in temporärer Hinsicht regelmäßig durch die gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte konkretisiert. Im Grundsatz besteht keine Verpflichtung zu einer Steuerentrichtung vor Fälligkeit. Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Einzelsteuergesetze (§ 220 Abs. 1 AO). Für die Lohnsteuer ist insofern in § 41a Abs. 1 EStG normiert, dass der Arbeitgeber sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums an das Finanzamt abzuführen hat. Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die Lohnsteuer für März 2009 erst am 14.04.2009 fällig war.
103Da die gesetzlichen Vertreter der A-KG nach der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung und im Anschluss an die vom Insolvenzgericht ergriffenen Maßnahmen bereits ab dem 08.04.2009 in ihrer Verwaltungs- und Verfügungsmacht erheblich beschränkt waren und der vorläufige Insolvenzverwalter seine Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer in der Folgezeit auch ausdrücklich verweigerte, kann die Nichtentrichtung der Lohnsteuer dem Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht (mehr) als schuldhaftes Verhalten zugerechnet werden. Eine weitergehende Pflichtverletzung des Klägers und damit eine Haftungsinanspruchnahme i.S. des § 69 S. 1 AO kämen dann nur noch in Betracht, wenn man den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter im Streitfall dahingehend definieren (erweitern) würde, dass sie bereits vor der Insolvenzantragsstellung und damit auch vor dem genannten Fälligkeitstermin geeignete Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer hätten ergreifen müssen, was de facto allerdings einer Vorverlagerung des gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkts gleichkäme.
104Das beklagte Finanzamt geht im Streitfall von einer entsprechenden Verpflichtung des Klägers zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer bereits vor Insolvenzantragsstellung und damit vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin aus. Es führt insofern aus, der Kläger und sein Mitgeschäftsführer seien mit der Gehaltsauszahlung eine abschließende Verpflichtung eingegangen, die korrespondierende Lohnsteuer spätestens bis zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Aufgrund des Umstandes, dass die Geschäftsführer der A-KG und der A-GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selber beantragt hätten, sei die Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht aus ihrer Sicht nicht etwa überraschend gekommen, sondern absehbar gewesen. Aufgrund dieser Besonderheit sei es im Streitfall gerechtfertigt, den Geschäftsführern über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus weitergehende Pflichten aufzuerlegen, d.h. die Einleitung von adäquaten Maßnahmen mit Blick auf eine wirksame Tilgung der Lohnsteuer spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt einzufordern.
105Der Kläger tritt diesem Standpunkt des Finanzamts entschieden entgegen und sieht darin eine unzulässige Erweiterung seines Pflichtenkreises als gesetzlicher Vertreter der A-KG. Er bezeichnet Maßnahmen, die über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehen, als „überobligatorisch“. Die Ansicht des beklagten Finanzamts führe zu einer unzulässigen Vorverlagerung der gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte. Ferner laufe sie auf eine Art „Garantiehaftung“ hinaus, die mit dem Charakter des § 69 S. 1 AO und auch mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) im Ergebnis nicht vereinbar sei.
106Gemäß § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen ganz allgemein die steuerlichen Pflichten der Vertretenen zu erfüllen und insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Die Frage, welche konkreten Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Vertretenen einzufordern sind, beantwortet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BFH, Urteile v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46).
107In der Rechtsprechung ist jedenfalls dem Grunde nach anerkannt, dass die Pflicht der gesetzlichen Vertreter, Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln zu entrichten, in temporärer Hinsicht nicht erst bei Fälligkeit besteht, sondern darüber hinaus auch ein bestimmtes (pflichtgemäßes) Verhalten schon für vorgelagerte Zeiträume erforderlich machen kann (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris). Gerade der in der Rechtsprechung herausgebildete Grundsatz der Vermögens- und Mittelvorsorge basiert auf dem Gedanken, dass die spätere Tilgung der Steuern im Fälligkeitszeitpunkt bereits im Vorfeld mit gewissen Anforderungen (Vorkehrungen) einhergeht, mithin der Pflichtenkreis der gesetzlicher Vertreter auch Zeiträume vor Fälligkeit erfasst (Verweis auf die unter I.2.a. zitierte Rechtsprechung). In besonderen Konstellationen kann ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten der gesetzlichen Vertreter sogar noch früher, nämlich schon vor der Entstehung des Steueranspruchs an sich geboten sein (vgl. BFH, Urteile v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46 ff. mit Beispielen).
108Was die inhaltliche Ausgestaltung des Pflichtenkreises angeht, so wird in singulären Entscheidungen zudem angedeutet, dass sich die Pflichten der gesetzlichen Vertreter vor Fälligkeit nicht nur auf die Vermögens- und Mittelvorsorge beschränken, sondern auch darüber hinaus gehen können (vgl. etwa BFH, Beschluss v. 18.02.2008, VII B 97/07, juris: Vergewisserung, ob die Bank einen an das Finanzamt gerichteten Überweisungsauftrag auch tatsächlich durchführen wird; BFH, Urteil v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris: Geschäftsführer einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen GmbH hat Lohnsteuer zum Zwecke der fristgerechten Befriedigung des Finanzamts bereitzuhalten und abzusondern).
109Mit der Frage, welche über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht hinausgehenden Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter erwartet werden können, wenn die Stellung eines Insolvenzantrags unmittelbar bevorsteht und mit einer Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht in absehbarer Zeit zu rechnen ist, hatte sich der BFH in seinem Urteil vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) zu befassen. Dort führte das Gericht aus, der GmbH-Geschäftsführer sei nicht verpflichtet, für eine Abführung von Lohnsteuer noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu sorgen und es hieße, seine Pflichten zu überspannen, wollte man von ihm verlangen, den zu erwartenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts vorausschauend entgegenzuwirken. Diese Entscheidung deutet darauf hin, den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter in entsprechenden Konstellationen eher restriktiv zu definieren und weitestgehend auf die reine Vermögens- und Mittelvorsorge zu beschränken, zumal die Insolvenzantragsstellung im Urteilsfall erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt erfolgte. Allerdings lag dem Urteilsfall im Vergleich zum Streitfall auch insofern ein abweichender Sachverhalt zugrunde, als im Zeitpunkt der Fälligkeit eine Einzugsermächtigung vorlag, so dass der Geschäftsführer davon ausgehen durfte, das Finanzamt werde davon Gebrauch machen und die offene Lohnsteuer auch ohne ein weiteres Zutun seinerseits einziehen.
110Aus der Sicht des Senats bietet der Streitfall durchaus Anhaltspunkte, die dafür sprechen, den Pflichtenkreis des Klägers dahingehend zu definieren, dass bereits vor der Insolvenzantragsstellung und des damit verbundenen Verlusts der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht sowie über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus geeignete Maßnahmen zu ergreifen gewesen wären, um auf die Entrichtung der streitbefangenen Lohnsteuer noch vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin hinzuwirken. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Größe und Bedeutung des Unternehmensverbundes unmittelbar nach der Stellung des Insolvenzantrages damit zu rechnen war, dass das Insolvenzgericht Maßnahmen ergreifen wird, die die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers und seines Mitgeschäftsführers jedenfalls erheblich einschränken werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die gesetzlichen Vertreter den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst gestellt haben und damit den Zeitpunkt des voraussichtlichen Verlustes der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis jedenfalls in einem gewissen Maß noch beeinflussen konnten. Vor allem aber sind hier die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens und in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Situation sowohl der A-KG als auch der A-GmbH zu berücksichtigen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sind mit der (vollen) Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 die Verpflichtung und damit auch das Risiko eingegangen, die darauf entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Nach eigenen Aussagen des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in der mündlichen Verhandlung befanden sich die A-KG und die A-GmbH bereits seit längerer Zeit in einer wirtschaftlich schwierigen Situation (Krise hatte bereits im Jahr 2007 begonnen). Dafür spricht auch, dass die Unternehmen seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft von auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Fachkräften unterstützt worden sind. Zwar stand eine Zahlungsunfähigkeit möglicherweise nicht unmittelbar bevor, zumal sich die Geschäftsführung noch in (aus ihrer Sicht erfolgversprechenden) Gesprächen mit potentiellen Investoren und Auftragsgebern befand. Eine latente Insolvenzgefahr bestand aber bereits seit geraumer Zeit, denn nach der Aussage des Zeugen Dr. Z in der mündlichen Verhandlung gab es bereits seit mehreren Wochen den Plan, im Falle einer Insolvenz ein gewisses „Startkapital“ für den Insolvenzverwalter bereit zu halten. Darüber hinaus war die finanzielle Lage des Unternehmensverbundes nach Aussage des Klägers und seines Mitgeschäftsführers bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 jedenfalls so prekär, dass die Frage, ob die Gehälter überhaupt ausgezahlt werden sollten, im Unternehmen intensiv diskutiert worden ist. Neben dieser kritischen Ausgangssituation ist der weitere Verlauf des Geschehens zu berücksichtigen. Die Hoffnungen der Geschäftsführung, die Fortführung der Unternehmen durch neue Aufträge, potentielle Geldgeber und Investoren bzw. eine Landesbürgschaft sichern zu können, haben sich in den folgenden Tagen immer mehr zerschlagen. Die wirtschaftliche Situation wurde zunehmend schwieriger. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wurde größer und die damit verbundene Notwendigkeit einer eigenen Insolvenzantragsstellung wurde immer wahrscheinlicher. In entsprechendem Maße stieg auch das mit der Auszahlung der Gehälter ursprünglich seitens der Geschäftsführung eingegangene Risiko, die Lohnsteuer nicht nur fristgerecht, sondern überhaupt noch ordnungsgemäß an den Fiskus abführen zu können. Dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer war dieses Risiko durchaus bewusst (das folgt bereits aus dem Gedächtnisprotokoll v. 09.04.2009 über die Geschäftsführersitzung am 06.04.2009; zudem hat der Zeuge Dr. Z glaubhaft ausgesagt, es habe mehrere Hinweise in Bezug auf das Haftungsrisiko durch den auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Berater, Herrn Rechtsanwalt O, gegeben). Sie konnten mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es trotz einer bis zum jetzigen Zeitpunkt ausreichenden Vermögens- und Mittelvorsorge mit der Insolvenzantragsstellung zu einem Steuerausfall kommen wird, wenn nicht zuvor geeignete Maßnahmen zur (vorzeitigen) Abführung der Lohnsteuer ergriffen werden. In einer solchen Situation spricht gerade der Umstand, dass noch ausreichendes Kapital zur Entrichtung der Lohnsteuer der A-KG bei der A-GmbH vorhanden war, dafür, vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor der drohenden Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch vor der eigentlichen Fälligkeit der Lohnsteuer entsprechende Maßnahmen zur Tilgung der Steuerschuld einzufordern. Mit einer solchen Sichtweise wäre entgegen der Ansicht des Klägers keine unzulässige Erweiterung des Haftungstatbestandes oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verbunden. Vielmehr dürfte es sich um eine die konkreten Umstände des Einzelfalles beachtende vertretbare Definition bzw. Ausdeutung des Pflichtenkreises der gesetzlichen Vertreter auf der Grundlage anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze handeln.
111Letztlich kann der Senat die aufgeworfene Frage, ob die gesetzlichen Vertreter der A-KG bereits im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung überhaupt dazu verpflichtet waren, über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus gehende Maßnahmen zur vorzeitigen Zahlung der streitbefangenen Lohnsteuer zu ergreifen, aber dahinstehen lassen. Denn aus der Sicht des Gerichts haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer entsprechende Maßnahmen im Streitfall tatsächlich ergriffen. Im Ergebnis sind sie damit ihren Geschäftsführerpflichten in ausreichendem Maße nachgekommen.
112b. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass an die Beurteilung der Geeignetheit von über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehenden Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitszeitpunkt kein allzu hoher Maßstab angelegt werden darf. Dies folgt bereits aus dem Wesen des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängigem Haftungstatbestand, der gerade keine „Garantiehaftung“ (Haftung bei ausbleibendem Erfolg = Steuerentrichtung) statuiert, sondern eine Inanspruchnahme gesetzlicher Vertreter nur und erst ab der Schwelle der grob fahrlässigen Pflichtverletzung, mithin bei gravierenden Verstößen gegen die persönlichen Sorgfaltspflichten vorsieht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die situationsbedingte Definition (Ausdeutung) des Pflichtenkreises über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus bereits mit erhöhten Anforderungen an die persönliche Sorgfalt der Geschäftsführer im Einzelfall einhergeht. In Anbetracht dessen kann es aus der Sicht des Gerichts lediglich darauf ankommen, ob die von den gesetzlichen Vertretern der A-KG bzw. der A-GmbH zum damaligen Zeitpunkt ergriffenen Maßnahmen unter normalen Umständen (bei typischem Verlauf der Dinge) potentiell geeignet waren, die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer zu bewirken. Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein alternatives Vorgehen möglicherweise „besser“ geeignet gewesen wäre, also mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer Entrichtung der Lohnsteuer geführt hätte. Eine entsprechende (Vergleichs-)Betrachtung, erst Recht aus nachträglicher Sicht (ex post) und unter Einbeziehung jetziger Erkenntnisse, würde die Reichweite des Haftungstatbestandes deutlich überspannen.
113c. Auf der Grundlage des aufgezeigten Maßstabs kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren gesteigerten Pflichten über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus hinreichend nachgekommen sind. Der Vorwurf eines grob fahrlässigen Handelns kann ihnen auch im Zeitpunkt vor der Insolvenzantragsstellung in Bezug auf die Abführung der Lohnsteuer nicht gemacht werden.
114aa. Der Senat hat zunächst aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sehr wohl den Willen hatten, die streitbehaftete Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung zu entrichten. Das Handeln des Klägers war subjektiv zweifelsohne auf eine ordnungsgemäße Pflichterfüllung gerichtet. Der Kläger war sich bereits im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 über seine Verpflichtung zur Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer bewusst. Von dem in das operative Geschäft der A-GmbH eingebundenen Berater für Sanierungen und Insolvenzen, Herrn Rechtsanwalt O, ist der Kläger mehrfach auf das mit der vollen Auszahlung der Gehälter verbundene Haftungsrisiko hingewiesen worden. Die Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer war zwischen dem Tag der Gehaltsauszahlung (26.03.2009) und dem Tag des Antrags auf Insolvenzeröffnung (08.04.2009) mehrfach Gegenstand von unternehmensinternen Besprechungen (etwa der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 sowie dem Gespräch der Geschäftsführer mit dem Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, dem Zeugen Dr. Z, am 07.04.2009). Ausweislich des von den drei Geschäftsführern der A-GmbH erstellten Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 genoss die Tilgung der Lohnsteuer im Rahmen der Finanzplanung einen prioritären Status. Die Liquiditätsplanung der A-KG bzw. der A-GmbH war darauf ausgerichtet, die Lohnsteuer an das Finanzamt pflichtgemäß abzuführen (vgl. nur Ziffern 1., 2c. und 3. des Gedächtnisprotokolls). Auch der Zeuge Dr. Z hat im Rahmen seiner Aussage den Willen der Geschäftsführer zur Entrichtung der Lohnsteuer mehrfach betont und glaubhaft versichert. Schließlich belegt auch das Verhalten der Geschäftsführer nach der Stellung des Insolvenzantrags in Gestalt des Einwirkens auf den vorläufigen Insolvenzverwalter die grundsätzliche Bereitschaft zur Abführung der Lohnsteuer. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass die Geschäftsführung etwaige Vorteile aus der Nichtentrichtung der Lohnsteuer hatte (das Geld kam letztlich der Insolvenzmasse zu Gute).
115bb. Auch in objektiver Hinsicht haben die gesetzlichen Vertreter der A-KG zur Überzeugung des Senats geeignete und damit ausreichende Maßnahmen ergriffen, um die streitgegenständliche Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer tragen insofern vor, die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank angewiesen zu haben. Dieser Vortrag wird vom beklagten Finanzamt nicht bestritten. Auch der Beklagte geht nach Aktenlage davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihre Mitarbeiter mit der Überweisung der Lohnsteuer vom P-Bank-Konto beauftragt haben.
116Ein entsprechender Auftrag war auch potentiell geeignet, für eine Tilgung der offenen Lohnsteuer zu sorgen. Auf dem Konto bei der P-Bank befanden sich am 07.04.2009 insgesamt 4.650.000,- EUR (nachdem am 06.04.2009 zunächst 4.200.000,- und am Morgen des 07.04.2009 dann nochmals 450.000,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank transferiert wurden). Dass dieses Geld ursprünglich mit einem anderen Verwendungszweck belegt war und als „Startkapital“ bzw. „Kasse“ für den Insolvenzverwalter dienen sollte, ist nicht entscheidungserheblich. Ausweislich des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 stand bereits im Rahmen der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 dem Grunde nach fest, dass jedenfalls die offene Lohnsteuer noch aus diesem bei der P-Bank „deponierten“ Kapital entrichtet werden sollte. Die Entscheidung über die Anweisung weiterer Zahlungen war dagegen abhängig von der kurzfristigen Liquiditätsentwicklung und wurde auf den darauffolgenden Tag verschoben (vgl. Ziffern 1. u. 2c. des Gedächtnisprotokolls). Am frühen Nachmittag des 07.04.2009 haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer dem Zeugen Dr. Z als Leiter der zuständigen Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern dann die konkrete Anweisung zur Lohnsteuerzahlung sowie weitere Zahlungsanweisungen erteilt (in der Besprechung um 14.30 Uhr, vgl. Ziffer 3. des Gedächtnisprotokolls).
117Hätten die Mitarbeiter der A-GmbH den Auftrag weisungsgemäß ausgeführt und insbesondere die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abgeführt, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Tilgung der Steuerschuld noch vor der Insolvenzantragsstellung gekommen. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Rücktransfer des Kapitals vom Konto bei der P-Bank auf das Konto bei der D-Bank sowie die weitere Ausführung der erteilten Zahlungsanweisungen (u.a. Überweisung der Lohnsteuer) von dort aus erfolgten nach dem Inhalt der Akten und dem Prozessstoff aus der mündlichen Verhandlung gerade nicht auf Veranlassung der Geschäftsführung, sondern eigenmächtig durch den Leiter und die Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern. Unabhängig von der Frage, ob es für den Rücktransfer des Kapitals zur D-Bank sachliche Gründe gab (der Zeuge Dr. Z hat insofern vorgetragen, dass insbesondere die technischen Gegebenheiten in Bezug auf die angedachten Lohnauszahlungen sowie Vereinfachungsaspekte ausschlaggebend für die Rücküberweisung der Gelder gewesen wären), kann ein im Ergebnis weisungswidriges Vorgehen der Mitarbeiter den Geschäftsführern letztlich nicht als schuldhaftes Handeln zugerechnet werden.
118cc. Der Senat sieht hilfsweise aber auch eine solche Anweisung der Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern als objektiv geeignete Maßnahme zur Lohnsteuerabführung an, bei der die Geschäftsführung eine direkte Überweisung vom Konto bei der D-Bank angeordnet oder alternativ offen gelassen hätte, ob die Zahlung vom Konto bei der P-Bank oder vom Konto bei der D-Bank erfolgen soll. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die gesetzlichen Vertreter bei Erteilung der Anweisung nicht mehr davon ausgehen durften, dass die D-Bank eine entsprechende Überweisung vor Insolvenzantragsstellung überhaupt noch ausführen würde. Der Senat sieht dafür aber weder hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte noch hält er eine Haftungsinanspruchnahme unter diesem Gesichtspunkt für rechtlich zulässig.
119Schon in tatsächlicher Hinsicht dürfte fraglich sein, ob der Kläger und sein Mitgeschäftsführer davon ausgehen mussten, dass die D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung Überweisungsaufträge nicht mehr ausführen und stattdessen vorhandene Guthaben „einfrieren“ werde (wie letztlich durch die Weigerung zur Durchführung der Überweisungsaufträge und die Weiterleitung von Geldmitteln an die Abteilung „Risk Management“ am 08.04.2009 geschehen). Zwar war die D-Bank als „Hausbank“ und Gläubigerin über die finanzielle Situation der Unternehmensgruppe im Bilde (das wird auch vom Kläger nicht bestritten). Auch dürfte sie insofern von der bevorstehenden Insolvenz gewusst haben (selbst wenn die Geschäftsführung die D-Bank über den genauen Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung nach eigener Aussage nicht informiert hatte). Ferner war es in der letzten Zeit zu einer Beschränkung der zuvor bestehenden Kreditlinie der A-GmbH gekommen (vgl. dazu das in der mündlichen Verhandlung überreichte Schreiben vom 05.03.2009). Dennoch reichen diese Aspekte zur Überzeugung des Senats nicht aus, um in tatsächlicher Hinsicht von einem hinreichenden Verdacht der gesetzlichen Vertreter der A-KG bzw. der A-GmbH in Bezug auf ein Einziehen („Konfiszieren“) von Guthaben durch die D-Bank auszugehen. Ein entsprechendes Verhalten war aus der Sicht der Geschäftsführung schon deshalb nicht zu befürchten, weil die D-Bank in der Vergangenheit sämtliche Überweisungsaufträge auftragsgemäß ausgeführt hatte, nicht zuletzt auch noch am 06.04. und am 07.04.2009 (vgl. etwa die Überweisungen von 4.200.000,- EUR und 450.000,- EUR an die P-Bank, die Ausführung einer Lastschrift i.H. von 11.XXX,- EUR und die Einlösung eines Barschecks von 5X.XXX,- EUR). Darüber hinaus hat der Zeuge Dr. Z im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass jedenfalls aus der Sicht der von ihm geleiteten Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern keinerlei Veranlassung bestanden habe, einen Zugriff der D-Bank auf die liquiden Mittel der A-GmbH zu befürchten. Genau zu dieser Frage habe man sich auch sehr intensiv durch Herrn Rechtsanwalt O als auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisiertem Fachmann beraten lassen. Ferner dürfte für den Fall, dass die Geschäftsführung tatsächlich ernsthafte Anhaltspunkte für einen Zugriff der D-Bank auf die Guthaben der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung gehabt hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass eine entsprechende Vermutung innerhalb des Unternehmens dann auch gegenüber allen Entscheidungsträgern kommuniziert worden wäre (jedenfalls bis in die untere Leitungsebene). Unter dieser Prämisse ist es aber erst Recht unverständlich, dass sowohl der Leiter als auch mehrere Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern ohne entsprechendes Problembewusstsein eine Rücküberweisung der bei der P-Bank abgesonderten Gelder zur D-Bank veranlasst und vollzogen haben. In diesem Kontext ist schließlich auch die am 08.04.2009 versuchte abermalige Rücküberweisung eines Betrages von 1.XXX.XXX,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank in den Blick zu nehmen. Wäre eine Beschränkung des Zahlungsverkehrs ernsthaft befürchtet worden, hätten die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern das bei der P-Bank vermeintlich sicher „geparkte“ Kapital wohl nicht erst wieder an die D-Bank überwiesen, um dann einen Tag später den Versuch zu unternehmen, einen Teil des Geldes erneut zur P-Bank zu transferieren.
120Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Separierung des Kapitals auf dem Konto bei der P-Bank nach eigener Aussage der Geschäftsführung „aus Sicherheitsgründen“ erfolgt ist (vgl. Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009, Ziffer 2c.). Welche Sachverhalte im Einzelnen von dieser Formulierung erfasst waren, lässt sich zur vollen Überzeugung des Gerichts nicht sagen. Mit dem Begriff können mehrere unterschiedliche Szenarien verbunden gewesen sein. Ein unmittelbarer Bezug zu einem Verhalten der D-Bank lässt sich den Aussagen der Geschäftsführung jedenfalls nicht entnehmen. Erst Recht haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer nicht die konkrete Vermutung geäußert, die D-Bank würde Überweisungen nicht mehr ausführen oder sogar vorhandene Guthaben „konfiszieren“. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben beide Geschäftsführer vielmehr glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass sie das Verhältnis zur D-Bank als „vertrauensvoll“ eingestuft haben und von dem Verhalten der D-Bank letztlich überrascht worden sind.
121Erst Recht mussten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber in rechtlicher Hinsicht nicht mit dem in Rede stehenden Verhalten der D-Bank (Einzug des Guthabens der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung) rechnen und es in ihre Handlungsoptionen im Rahmen der Abführung der Lohnsteuer einbeziehen. Unabhängig von der teilweisen Existenz aufrechenbarer Gegenansprüche zu Gunsten der D-Bank ist der Großteil des „eingefrorenen“ Kapitals (mehr als 5.000.000,- EUR) später an den Insolvenzverwalter der A-GmbH wieder ausgezahlt worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Einziehung der Guthaben noch vor der Insolvenzantragsstellung jedenfalls überwiegend zivilrechtlich unbegründet war. Zwar war die D-Bank rechtlich nicht verpflichtet, die am 08.04.2009 erteilten Überweisungsaufträge durchzuführen, denn dazu bedurfte es ihrer Zustimmung zu einem entsprechenden Überweisungsvertrag (vgl. dazu noch unter Gliederungspunkt I.5.). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wem die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das auf dem Konto bei der D-Bank vorhandene Guthaben zustand. Jedenfalls bis zur Einleitung von verfügungsbeschränkenden Maßnahmen durch das Insolvenzgericht lag die Verwaltungs- und Verfügungsmacht bei der A-GmbH als Kontoinhaberin. Die D-Bank dagegen war zur Einziehung der Guthaben – wie die spätere Freigabe der Guthaben gegenüber dem Insolvenzverwalter zeigt – im Wesentlichen nicht berechtigt. Ein entsprechendes rechtlich zweifelhaftes Verhalten brauchten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber nicht vorhersehen. Keinesfalls kann ihnen insofern aus der Sicht des Senats der Vorwurf grob fahrlässigen Handelns gemacht werden.
122Der Umstand, dass die gesetzlichen Vertreter der A-KG weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eine Beschränkung in Bezug auf die Verwendung des bei der D-Bank vorhandenen Kapitals befürchten mussten, hat folgende weitere Konsequenzen für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes:
123Es kommt zum einen nicht darauf an, ob das Gericht der Aussage des Zeugen Dr. Z Glauben schenkt, die Geschäftsführung habe ihn und seine Mitarbeiter lediglich zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer angewiesen, darüber hinaus aber nicht ausdrücklich bestimmt, dass diese Überweisung von dem bei der P-Bank separierten Kapital erfolgen sollte. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann dahingestellt bleiben, denn auch ein der D-Bank vor Insolvenzantragsstellung erteilter Auftrag hätte nach dem vorstehend Gesagten eine objektiv geeignete Maßnahme zur Abführung der Lohnsteuer dargestellt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er die Aussage des Zeugen Dr. Z in diesem Punkt als bloße Schutzbehauptung wertet. Denn im Falle des ausdrücklichen Eingeständnisses eines eigenen Fehlverhaltens (nicht ordnungsgemäße Ausführung der seitens der Geschäftsführung ausdrücklich erteilten Anweisung, die Überweisung der Lohnsteuer direkt vom P-Bank-Konto vorzunehmen) hätte sich der Zeuge möglicherweise selbst etwaigen Haftungs- und/oder Schadenersatzansprüchen ausgesetzt.
124Zum anderen ist es nicht entscheidungserheblich, dass das am 07.04.2009 seitens der Geschäftsführung erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen in einem Gesamtvolumen von 5.8XX.XXX,- EUR (Löhne YYY und XXX = 4.XXX.XXX,- EUR, offene Lohnsteuer Gehälter A-KG = 1.XXX.XXX,- EUR, Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR und Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR) nicht vollständig aus den bei der P-Bank „geparkten“ Mitteln i.H. von 4.650.000,- EUR hätte beglichen werden können. Denn der erforderliche Differenzbetrag stand als Guthaben auf dem Konto bei der D-Bank zur Verfügung und eine Einziehung („Konfiszierung“) des Guthabens vor Insolvenzantragsstellung war – wie erläutert – weder aus der Sicht des Klägers tatsächlich zu befürchten und vor allem rechtlich nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang aber auch zu berücksichtigen, dass die Begleichung der offenen Lohnsteuer (in Bezug auf die bereits ausgezahlten Gehälter in XXX) nach dem eindeutigen Willen der Geschäftsführung Priorität genießen sollte. Dieser Aspekt ist mehrfach gegenüber den Mitarbeitern der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern kommuniziert worden (vgl. etwa Ziffer 2c. des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009; „… wobei auf jeden Fall Lohnsteuer für die am 26.03.2009 gezahlten Gehälter XXX bezahlt werden sollte.“). Nach der Aussage des Zeugen Dr. Z hatten die Mitarbeiter der A-KG bzw. der A-GmbH die Bedeutung der Lohnsteuerzahlung aus der Sicht der Geschäftsführung angesichts des damit verbundenen Haftungsrisikos sehr wohl verinnerlicht. Insofern war auch die Sammelanweisung der Geschäftsführung bei objektiver Betrachtung dahingehend zu verstehen, dass der Lohnsteuerzahlung vom P-Bank-Konto jedenfalls der Vorrang hätte eingeräumt werden müssen.
125dd. Aus der Sicht des Senats kommt es schließlich nicht darauf an, dass es für den Kläger und seinen Mitgeschäftsführer auch andere (gegebenenfalls sogar besser geeignete) Wege gegeben hätte, um die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer tatsächlich zu bewirken. Ob – wie der Beklagte meint – insofern die Einrichtung eines Treuhandkontos wirksamer gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Denn auch ein solches Treuhandkonto hätte nach der Insolvenzantragsstellung der durch den vorläufigen Insolvenzverwalter beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht unterlegen (Zurechnung zur Insolvenzmasse). Allenfalls durch eine in zeitlicher Hinsicht frühere Zahlungsanweisung hätten die Geschäftsführer die tatsächliche Abführung der offenen Lohnsteuer mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad bewirken können (etwa durch die Entrichtung der Lohnsteuer unmittelbar mit oder kurz nach Auszahlung der Gehälter). Dies würde aber eine unzulässige Verengung der aus objektiver Sicht bestehenden Alternativen für ein potentiell pflichtgemäßen Handelns der gesetzlichen Vertreter auf ganz bestimmte (ex post betrachtet wirksame) Maßnahmen und damit letztlich einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Geschäftsbetrieb der Steuerschuldnerin bzw. in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Geschäftsführer bedeuten. Im Übrigen lässt der Charakter des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängiger Haftungstatbestand, der eine Haftung erst ab dem erhöhten Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit vorsieht, eine solche Betrachtung nicht zu.
1264. Der Kläger hat auch seine im Zusammenhang mit der Überwachung von Mitarbeitern bestehenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Ihn trifft aus der Sicht des Gerichts kein sog. Überwachungsverschulden. Dafür sind folgende Gründe ausschlaggebend:
127a. Der Senat weist zunächst darauf hin, dass ein Überwachungsverschulden bezogen auf die Einschaltung von Mitarbeitern in den Vorgang der Lohnsteuerabführung ohnehin lediglich dann in Betracht käme, wenn der Kläger überhaupt verpflichtet gewesen wäre, die Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung (bis zum Verlust der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) an das Finanzamt zu entrichten. Nur unter der Bedingung, dass die Pflichten des gesetzlichen Vertreters inhaltlich über den Grundsatz der reinen Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus definiert sowie in temporärer Hinsicht auf den Zeitpunkt vor Insolvenzantragsstellung (und damit auch vor Fälligkeit) vorverlagert werden, stellt sich das Problem einer Überwachungspflichtverletzung. Der Senat braucht die aufgeworfenen Fragen zur Reichweite des Pflichtenkreises aber auch an dieser Stelle nicht zu entscheiden, da eine etwaige vorwerfbare Verletzung von Überwachungspflichten durch den Kläger bereits an weiteren Aspekten scheitert.
128b. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aus tatsächlichen, vor allem aber aus rechtlichen Gründen nicht davon ausgehen mussten, in der Verwendung von Guthaben der A-GmbH sowohl bei der P-Bank als auch bei der D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung überhaupt beschränkt zu sein. Vielmehr konnten die gesetzlichen Vertreter darauf vertrauen, bis zur Anordnung konkreter Maßnahmen durch das Insolvenzgericht, die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das Vermögen der A-KG bzw. der A-GmbH uneingeschränkt ausüben zu können (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter Gliederungspunkt I.3.c.). Vor diesem Hintergrund war das geplante Verhalten der Geschäftsführung, Gelder auf dem Konto bei der P-Bank zu separieren, um von dort aus die noch offene Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten gar nicht erforderlich, sondern überobligatorisch. Konsequenter Weise darf dem Kläger dann aber nicht der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung von Überwachungspflichten gemacht werden, denn durch ein überobligatorisches Handeln kann ein gesetzlicher Vertreter die in §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO normierten Pflichten nach Auffassung des Gerichts gerade nicht verletzen.
129c. Der Senat vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass eine etwaige Verletzung von Überwachungspflichten nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden war. Auch wenn sich die Geschäftsführer der A-KG zeitnah (also noch am selben Nachmittag) darüber vergewissert hätten, ob der von ihnen am 07.04.2009 um 14.30 Uhr gegenüber dem Zeugen Dr. Z erteilte Auftrag, die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abzuführen, weisungsgemäß ausgeführt wurde, wäre es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zum Steuerausfall gekommen. Denn dann hätten die Geschäftsführer feststellen müssen, dass das auf dem P-Bank-Konto separierte Kapital weisungswidrig auf das Konto bei der D-Bank zurück transferiert worden war. Ihnen wäre also selbst nur die Möglichkeit verblieben, den Eingang des Geldes bei der D-Bank abzuwarten und die Abführung der Lohnsteuer nun von diesem Konto aus anzuweisen. Eine entsprechende Anweisung hätte die D-Bank aber mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht mehr ausgeführt (ähnlich dem durch die Mitarbeiter der A-GmbH am frühen Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr erfolglos erteilten Überweisungsauftrag). Da die zurücktransferierten Gelder erst am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank eingingen, wäre die Entrichtung der Lohnsteuer auch bei entsprechend enger Überwachung der Mitarbeiter durch die Geschäftsführer nicht mehr, erst Recht nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen. Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass die Geschäftsführer die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechungslegung und Steuern nicht aktiv kontrolliert, sondern von ihnen eine Bestätigung der weisungsgerechten Ausführung des erteilten Zahlungsauftrags eingefordert hätten. Da sich die Gelder nach der durch den Zeugen Dr. Z und seinen Mitarbeiter, Herrn M, veranlassten Rücküberweisung nicht mehr auf dem P-Bank-Konto befanden, wäre auch in diesem Fall letztlich nur eine Überweisung der Gelder vom Konto bei der D-Bank möglich gewesen, und zwar nach deren dortigem Eingang. Eine solche Überweisung ist jedoch am Morgen des 08.04.2009 gerade gescheitert. Im Ergebnis hätten die Geschäftsführer also auch bei entsprechend zeitnaher Überwachung keine Chance mehr gehabt, das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter erfolgreich zu korrigieren.
130d. Schließlich geht der Senat davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren Überwachungspflichten auch inhaltlich zutreffend nachgekommen sind.
131In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO nicht verpflichtet sind, die steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen selbst zu erledigen. Vielmehr sind sie berechtigt und bei mangelnder Sachkunde sogar verpflichtet, die vollständige oder teilweise Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auch anderen Personen (Dritten) zu übertragen. Für ein Fehlverhalten der beauftragten Hilfspersonen müssen die gesetzlichen Vertreter nicht ohne weiteres einstehen. Der allgemeine Rechtsgedanke der verschuldensunabhängigen Zurechnung fremden Handelns (wie er etwa in § 278 BGB zum Ausdruck kommt) ist im Rahmen der Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO gerade nicht anwendbar (vgl. BFH, Urteil v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris in Abgrenzung zum FG München, Urteil v. 18.03.1992, 3 K 3164/87, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 m.w.N.).
132Allerdings sind die gesetzlichen Vertreter stets verpflichtet, diejenigen Personen, denen sie die Erledigung der ihnen als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen haben, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfts gerechnet werden kann bzw. dass ihnen ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch dritte Personen darf nicht blind vertraut werden. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen stellt regelmäßig eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar („Überwachungsverschulden“). Welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten Mitarbeitern überträgt, ist dabei weitgehend von den Umständen des Einzelfalles abhängig (vgl. BFH, Urteile v. 05.03.1985, VII R 134/80, juris; v. 16.04.1985, VII R 132/80, juris; v. 07.05.1985, VII R 111/78, juris; v. 11.11.1986, VII R 201/83, juris; v. 02.07.1987, VII R 162/84, juris; v. 10.05.1988, VII R 24/85, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris; v. 21.08.2000, VII B 260/99, juris).
133Gesteigerte Überwachungspflichten bestehen immer dann, wenn entweder die besondere Situation der Gesellschaft oder die handelnden Personen zu einer intensiveren Kontrolle Anlass geben. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise befindet, mithin bei Liquiditätsschwierigkeiten, sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit oder einem bevorstehendem Insolvenzantrag (vgl. BFH, Urteil v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 04.03.1986, VII S 33/85, juris; 21.08.2000, VII B 260/99, juris; v. 12.05.2009, VII B 266/08, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; v. 20.04.2006, VII B 280/05, juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.12.2013, 3 K 1632/12, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 31 u. 32).
134Eine grob fahrlässige Überwachungspflichtverletzung zu Lasten des Klägers kann das Gericht anhand der soeben skizzierten allgemeinen Maßstäbe im Streitfall nicht erkennen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für ein etwaiges (Personal-)Auswahlverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in Bezug auf die von ihnen beauftragten Mitarbeiter bietet. Bei den in die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG und der A-GmbH eingeschalteten Personen handelte es sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens um gut ausgebildetes und sehr erfahrenes Personal. Dies gilt vor allem für den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, den Zeugen Dr. Z, der aufgrund seiner juristischen Ausbildung, seiner langjährigen Tätigkeit im Bankensektor und seinen diversen Einsätzen in der freien Wirtschaft (u.a. bei Großunternehmen) sowie in Anbetracht seiner steuerrechtlichen Kenntnisse als hoch qualifizierter Mitarbeiter einzustufen war.
135Auch für ein Organisationsverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers gibt der Streitfall letztlich nichts her. Innerhalb der mit der Abführung der streitbefangenen Lohnsteuer beauftragten Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH wurde der Zahlungsverkehr von mehreren Mitarbeitern untereinander überwacht (sog. Zwei- oder Mehr-Augenprinzip). So erfolgte beispielsweise die Überweisung der zunächst bei der P-Bank separierten Gelder zurück auf das Konto bei der D-Bank auf Anweisung (mit Unterschrift) sowohl des Leiters der Abteilung als auch eines weiteren Mitarbeiters (der Überweisungsträger wurde von Herrn Dr. Z und von Herrn M unterzeichnet). Darüber hinaus verfügte die A-GmbH über eine eigene Controlling-Abteilung, die ebenfalls mit in die Überwachung des Zahlungsverkehrs eingeschaltet war. Das von den Geschäftsführern am 07.04.2009 erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen ist nach dem Eingang des notwendigen Kapitals bei der D-Bank unmittelbar am frühen Morgen des 08.04.2009 ausgeführt worden. Der Vollzug der Aufträge ist der Controlling-Abteilung kurze Zeit später (noch am selben Tag) bestätigt worden.
136Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass sich der Unternehmensverbund A seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft durch auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierte Fachleute hat beraten und unterstützen lassen. Sowohl aus dem Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 als auch auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Dr. Z ergibt sich, dass der im operativen Geschäft tätige Berater (Herr Rechtsanwalt O) nicht nur sehr eng in die Liquiditäts- und Finanzplanung des Unternehmens eingebunden, sondern auch mit der Frage der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten durch die Geschäftsführung befasst war (in dieser Eigenschaft hat er mehrfach auf die Notwendigkeit der Lohnsteuerabführung und das damit zusammenhängende Haftungsrisiko hingewiesen).
137Was die konkrete Überwachung der Umsetzung des am 07.04.2009 durch die Geschäftsführung erteilten Bündels an Überweisungsaufträgen inklusive der Lohnsteuerzahlung angeht, so weist der Senat auf Folgendes hin: Es geht dabei nicht um die Erledigung von steuerlichen Angelegenheiten im Allgemeinen, die dem Grunde nach von der Geschäftsführung zu überwachen war und de facto auch überwacht worden ist (so haben die Geschäftsführer in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung im Beisein ihrer Mitarbeiter mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zahlung der offenen Lohnsteuer aus ihrer Sicht hohe Priorität genießt; außerdem haben die Geschäftsführer noch die Abgabe einer entsprechenden Lohnsteuervoranmeldung für den Monat März 2009 veranlasst; schließlich haben die Geschäftsführer für die notwendige Vermögens- und Mittelvorsorge zur Abführung der Lohnsteuer ausreichend Sorge getragen). Es geht vielmehr um die Ausführung einer durch die Geschäftsführung erteilten singulären Zahlungsanweisung mit wenigen Unterpositionen (Löhne XXX und YYY, Lohnsteuer Gehälter XXX, Zahlung „…“ und Zahlung“…“) und damit lediglich um die technische Umsetzung der dem Grunde nach beabsichtigten steuerlichen Pflichterfüllung. Die Ausführung einer solchen Zahlungsanweisung ist gemessen am Maßstab des allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrs ein normaler, eher einfacher Vorgang, erst Recht wenn man bedenkt, dass mit der Anweisung mehrere Mitarbeiter eines Großunternehmens betraut waren, welches über eine eigene Abteilung „Finanzen, Rechnungslegung und Steuern“ mit funktionierenden Kontrollmechanismen verfügte. Angesichts dessen konnten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer zur Überzeugung des Gerichts erwarten, dass die erteilte Zahlungsanweisung - auch ohne eine weitere Überwachung des Überweisungsvorgangs durch die Geschäftsführer selbst - erfolgreich ausgeführt wird. Der gegenteiligen Auffassung des beklagten Finanzamts, es handele sich insbesondere aufgrund der zeitlichen Nähe zum Insolvenzantrag und aufgrund der Abweichung vom bisherigen Lastschrifteneinzugsverfahren um einen „atypischen Vorgang“, der besondere (gesteigerte) Überwachungspflichten ausgelöst habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Umsetzung einer entsprechenden Zahlungsanweisung durch geschulte und erfahrene Mitarbeiter ist auch unter einem verstärkten zeitlichen Druck nicht außergewöhnlich, sondern reines Alltagsgeschäft. Im Zusammenhang mit den an den Kläger und dessen Mitgeschäftsführer gestellten Überwachungsanforderungen sind auch die Struktur und die Größe des Unternehmens sowie die besondere Situation, in der sich der Unternehmensverbund zur damaligen Zeit befand, zu berücksichtigen. Die Geschäftsführer waren wegen der wirtschaftlichen Krise und der bevorstehenden Insolvenz verstärkt dazu aufgerufen, den Bestand des Unternehmens überhaupt zu retten. Zu diesem Zweck fanden in viele Richtungen Gespräche mit potentiellen Auftraggebern und Investoren, mit Gläubigern und auch mit der öffentlichen Hand (in Bezug auf eine Landesbürgschaft) statt. Diese äußeren Gegebenheiten entbinden die Geschäftsführung zwar nicht von der grundlegenden Verpflichtung, für eine ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen Unternehmen zu sorgen. Dennoch ist es aus der Sicht des Senats unter den gegebenen Umständen aber praxisfern, unzumutbar und im Ergebnis nicht gerechtfertigt, von den Geschäftsführern eine derart intensive und genaue, mitunter sogar pedantische Überwachung der technischen (nicht rechtlichen) Umsetzung einzelner Zahlungsanweisungen zu verlangen, wie dies letztlich vom beklagten Finanzamt einfordert wird.
138d. Der Senat folgt auch nicht dem Vortrag des Beklagten aus der mündlichen Verhandlung, dass die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer bereits ausdrücklich und unbedingt am 06.04.2009 erfolgt sei und sich die gesetzlichen Vertreter damit spätestens ab dem Mittag des nächsten Tages (07.04.2009) zu einer verstärkten Überwachung hätten aufgefordert fühlen müssen, nachdem der Überweisungsauftrag bis zu diesem Zeitpunkt durch die Mitarbeiter offensichtlich noch nicht ausgeführt worden war. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass der endgültige Auftrag zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank bereits am 06.04.2009 erteilt worden ist. Aus dem Inhalt des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 lässt sich vielmehr schließen, dass die Entscheidung zur Zahlung der Lohnsteuer aus dem bei der P-Bank „geparkten“ Kapital zwar bereits während der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 angedacht und auch dem Grunde nach gefallen war, die konkrete Zahlungsanweisung aber erst am darauf folgenden Tag in der Besprechung der Geschäftsführung mit dem Zeugen Dr. Z erteilt wurde, und zwar zusammen mit den bis dato aufgeschobenen weiteren Mittelverwendungsentscheidungen. Darüber hinaus hat der Kläger eine vermeintlich widersprechende Darstellung seiner im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens eingereichten Schriftsätze im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals klar gestellt.
1395. Dem Kläger kann unter keinem anderen Gesichtspunkt eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten als gesetzlicher Vertreter der A-KG vorgeworfen werden. Insbesondere war er entgegen den anders lautenden Ausführungen in der Begründung des Haftungsbescheides nicht verpflichtet, auf die D-Bank einzuwirken und ihr gegenüber die Ausführung des noch vor Insolvenzantragsstellung erteilten Auftrags zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer an das Finanzamt durchzusetzen.
140a. Eine entsprechende Pflicht zur Einwirkung auf die D-Bank scheitert schon daran, dass diese die Ausführung des von der A-GmbH erteilten Überweisungsauftrags rechtlich betrachtet ablehnen durfte (davon zu unterscheiden ist die Frage der rechtlichen Befugnis zur Einziehung von Guthaben). Bei dem Überweisungsauftrag handelt es sich um das Angebot zum Abschluss eines sog. Überweisungsvertrages. Eine korrespondierende Annahme hat die D-Bank aber weder ausdrücklich noch konkludent erklärt (§§ 145 ff. BGB). Sie hat vielmehr noch am selben Tage die Kreditlinie der A-GmbH gekündigt und damit zumindest konkludent zu erkennen gegeben, dass sie weitere Überweisungen nicht ausführen wird.
141Im Übrigen konnte ein Kreditinstitut nach der damaligen Fassung des § 676a Abs. 3 S. 1 BGB einen Überweisungsauftrag auch ohne die Angabe von Gründen kündigen, solange die Ausführungsfrist noch nicht begonnen hatte. Die Ausführungsfrist begann gemäß § 676a Abs. 2 S. 3 BGB a.F. grundsätzlich (soweit nichts anderes vereinbart war) mit Ablauf des Tages, an dem der Name des Begünstigten, sein Konto, sein Kreditinstitut und die sonst zur Ausführung des Überweisungsauftrags erforderlichen Angaben dem überweisenden Kreditinstitut vorlagen und ein zur Ausführung der Überweisung ausreichendes Guthaben vorhanden oder ein ausreichender Kredit eingeräumt war. Da der Überweisungsauftrag erst am frühen Morgen des 08.04.2009 (um 8.14 Uhr) bei der D-Bank eingegangen war, lief die Ausführungsfrist noch bis zum Ablauf eben dieses Tages. Die D-Bank konnte die Ausführung des Überweisungsauftrags also auch unter diesem Aspekt noch verweigern.
142b. Ein Einwirken des Klägers auf die D-Bank unter dem Gesichtspunkt, dass diese die Guthaben der A-GmbH größtenteils unberechtigter Weise eingezogen („eingefroren“) hatte, hätte ebenfalls nicht zur Abführung der Lohnsteuer geführt. Denn unmittelbar nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer Kenntnis von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags erlangt hatten, bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, so dass den Geschäftsführern nunmehr die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsmacht entzogen war. Zwar hätten sie möglicherweise die Bank noch zu einer Auskehrung der Guthaben veranlassen können. Die Bank hätte bei einer entsprechenden Verwendungsbestimmung die Guthaben aber nur noch zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters auszahlen dürfen (vgl. entsprechend dem Rechtsgedanken des BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Dieser hatte die Überweisung der noch offenen Lohnsteuer aber gerade verweigert.
143c. Wie der Senat im Laufe der Urteilsgründe bereits ausgeführt hat, kann eine grob fahrlässige Pflichtverletzung zu Lasten des Klägers auch nicht durch das bloße Hervorheben von alternativen Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer begründet werden, etwa der Einrichtung eines Treuhandkontos, dem Verhängen einer Verfügungsbeschränkung, der Schließung von auf die Überweisung der Lohnsteuer gerichteten Vereinbarungen mit den Banken oder der Zahlung der Lohnsteuer zu früheren Zeitpunkten. Die Diskussion entsprechender Alternativmaßnahmen zur Lohnsteuertilgung bedeutet einen unzulässigen Eingriff in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der für die A-KG sowie die A-GmbH handelnden gesetzlichen Vertreter und führt zu einer Umdeutung der verschuldensabhängigen Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO in eine Erfüllungs- bzw. Garantiehaftung. Auch eine zeitliche Verschiebung („Hinauszögern“) der Insolvenzantragsstellung durfte man von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer aus entgegenstehenden zivilrechtlichen (Gläubigerbevorzugung) und strafrechtlichen Aspekten (Insolvenzverschleppung) nicht erwarten.
144II. Der Haftungsbescheid ist darüber hinaus rechtswidrig, weil die Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen nicht eingehalten worden sind.
1451. Bei der Inanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters nach den §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 S. 1 AO), die vom Gericht nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob das Finanzamt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (§ 121 Abs. 1 i.V. mit § 126 Abs. 1 und 2 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen – die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners – aus der Entscheidung erkennbar sein (vgl. BFH, Urteile v. 13.04.1978, V R 109/75, juris; v. 03.02.1981, VII R 86/78, juris; v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris). Dies gilt im Übrigen nicht nur aus dem Blickwinkel des Gerichts, sondern vor allem auch aus der Perspektive des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners. Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) muss der Haftungsschuldner spätestens mit der Einspruchsentscheidung die Gründe kennen, von denen sich das Finanzamt bei der Entscheidung über den Erlass des Haftungsbescheides hat leiten lassen, um diese Gründe prüfen und etwaige Rechtsschutzüberlegungen daran ausrichten zu können.
146Im Rahmen der Begründung ihrer Ermessensentscheidung muss die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Diese Begründungspflicht besteht nicht erst dann, wenn tatsächlich und rechtlich sicher feststeht, ob weitere Haftungsschuldner in Betracht kommen, sondern bereits dann, wenn die Inanspruchnahme weitere potentieller Haftungsschuldner nur möglich erscheint. Fehlt eine entsprechende Begründung, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt überhaupt keine Erwägungen zur Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner angestellt und damit wesentliche Umstände des Sach- und Streitstandes außer Acht gelassen hat (vgl. BFH, Urteil v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 191 AO Rz. 58).
1472. Den soeben skizzierten Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen genügen der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nicht. Der Beklagte hat es versäumt, im Rahmen des Auswahlermessens auf eine mögliche Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z einzugehen.
148Der Zeuge Dr. Z war im Zeitpunkt der haftungsbegründenden Ereignisse als Prokurist für die A-GmbH tätig. Er war in der jüngeren Vergangenheit auch als Prokurist der A-KG in XXX bestellt. Darüber hinaus war der Zeuge Dr. Z als Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH im Innen- und Außenverhältnis mit den steuerlichen Angelegenheiten des Unternehmensverbundes betraut. Gegenüber dem beklagten Finanzamt ist er in seiner Eigenschaft als Prokurist und Leiter der Steuerabteilung in der Vergangenheit auch mehrfach in Erscheinung getreten (sowohl schriftlich als auch fernmündlich).
149Aufgrund dieses Sachverhaltes geht das Gericht davon aus, dass eine Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z jedenfalls potentiell möglich war und hätte geprüft werden müssen. Der Prokurist eines Unternehmens kommt grundsätzlich neben den gesetzlichen Vertretern i.S. des § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Betracht, vgl. § 35 AO (zu den Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme eines Prokuristen s.a. BFH, Beschluss v. 23.04.2007, VII B 92/06, juris). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Zeuge Dr. Z rein tatsächlich betrachtet in entscheidendem Maße in den haftungsbegründenden Sachverhalt involviert war (u.a. in den Geldtransfer zwischen der D-Bank und der P-Bank sowie in die Entscheidung, die streitgegenständliche Lohnsteuer nicht vom Konto bei der P-Bank, sondern vom Konto bei der D-Bank an das Finanzamt abzuführen). In Anbetracht dieser Umstände wäre der Beklagte jedenfalls verpflichtet gewesen, eine Haftungsinanspruchnahme (auch) des Zeugen Dr. Z zu erwägen und das Ergebnis seiner Prüfung im Rahmen des Auswahlermessens darzulegen. Dabei ist unerheblich, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Haftung letztlich vorgelegen haben oder nicht (etwa weil die Prokura des Zeugen Dr. Z bezogen auf die A-KG bereits im Jahr 2008 erloschen war). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter des beklagten Finanzamts selbst zugestanden, sich Gedanken über eine entsprechende Inanspruchnahme des Zeugen Dr. Z als Haftungsschuldner gemacht zu haben. Wenn aber der Beklagte selbst von der (dem Grunde nach nicht fernliegenden) Möglichkeit der Existenz weitere Haftungsschuldner ausgeht, erscheint es aus der Sicht des Gerichts notwendig, diesen Überlegungen auch im Rahmen der Ermessensentscheidung Ausdruck zu verleihen, nicht zuletzt um die Rechtsschutzmöglichkeiten der tatsächlich in Anspruch genommenen Haftungsschuldner nicht unangemessen zu verkürzen.
150Dafür spricht auch das weitere Vorgehen des Beklagten, der in der Einspruchsentscheidung Ausführungen zu einer potentiellen Haftung (auch) des dritten Geschäftsführers der A-GmbH (Herr C) gemacht und eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner mit der Begründung verneint hat, dieser sei nicht zugleich auch Geschäftsführer der A-KG und damit schon gar nicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer verpflichtet gewesen. Auch insofern hat also lediglich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme ausgereicht, um den Beklagten zu einer entsprechenden Prüfung und zu einer Verschriftlichung seines Prüfungsergebnisses zu veranlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verständlich, warum dies in Bezug auf die Person des ehemaligen Prokuristen Dr. Z anders gehandhabt wurde.
151III. Der Haftungsbescheid ist schließlich insofern rechtswidrig, als die Haftung des Klägers für Säumniszuschläge betroffen ist (§ 69 S. 2 AO).
1521. Der Senat hat in Bezug auf die Säumniszuschläge schon Bedenken an der inhaltlichen Bestimmtheit des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung.
153Der Haftungsbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Haftungsbescheides sind aus § 191 Abs. 1 AO herzuleiten. Danach müssen nicht nur die erlassende Finanzbehörde, der Haftungsschuldner und der zu zahlende Gesamtbetrag erkennbar sein, sondern auch für welche Steuer und Nebenabgaben der Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird. Die Finanzbehörde muss die Steuer und folglich auch die Nebenabgaben nach Art, Schuldner und Erhebungszeitraum angeben (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 83 ff.). Für den erkennenden Senat folgt daraus, dass auch in Bezug auf die Nebenabgaben ein Erhebungszeitraum anzugeben ist. Bei einer Haftung für Säumniszuschläge setzt dies voraus, dass der Zeitraum der Säumnis genau zu bezeichnen ist (§ 240 Abs. 1 AO).
154Entsprechende Angaben fehlen sowohl im Haftungsbescheid als auch in der Einspruchsentscheidung. Die Säumniszuschläge bezogen auf die Hauptschuld (Lohnsteuer 2009) sind dort lediglich in einer Summe ausgewiesen. Die Berechnungsgrundlagen, insbesondere der Zeitraum der Säumnis, werden nicht angegeben.
1552. Darüber hinaus enthält die Einspruchsentscheidung in Bezug auf die Reduzierung der Säumniszuschläge ebenfalls ein Ermessensdefizit.
156Der Beklagte hat die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge i.H. von 1XX.XXX,- EUR im Rahmen der Einspruchsentscheidung um die Hälfte reduziert. Er hat sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH zum Erlass von Säumniszuschlägen im Falle der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit berufen, die grundsätzlich auch auf Haftungsschuldner anwendbar ist (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Danach ist die Erhebung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Darüber hinaus sind Säumniszuschläge nach den Wertungen des Gesetzgebers aber auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit anzusehen und dienen zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes (der Beklagte spricht dagegen missverständlich davon, dass der Säumniszuschlag den Schuldner zur künftig pünktlichen Zahlung anregen soll).
157In Anbetracht dieser gesetzgeberischen Wertungen kommt bei Säumniszuschlägen, wenn sie ihren eigentlichen Zweck als Druckmittel verloren haben, im Fall der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit in der Regel nur ein Teilerlass in Betracht (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris; kritisch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 36 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der BFH geht aber davon aus, dass im Einzelfall auch ein weitergehender Erlass von Säumniszuschlägen nicht ausgeschlossen ist. Der Erlass der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen i.S. des § 234 Abs. 2 AO erfüllt gewesen wären (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris). Zu einer entsprechenden Unbilligkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen im Streitfall (weitergehender Erlass) verhält sich die Einspruchsentscheidung nicht. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte diesen weiteren Erlassgesichtspunkt nicht gesehen und sein Ermessen insoweit gar nicht ausgeübt hat.
1583. Schließlich hat der Beklagte im Zusammenhang mit der Haftung des Klägers für Säumniszuschläge nicht dazu Stellung genommen, inwieweit der Höhe nach eine uneingeschränkte oder mit Blick auf den Grundsatz der anteiligen Tilgung nur eine beschränkte Haftung in Betracht kommt (vgl. dazu BFH, Urteil v. 01.08.2001, VII R 110/99, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 15 f.). Auch insoweit leiden der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nach Ansicht des Senats an einem Begründungs- und damit Ermessenausfall.
159IV. Da dem Antrag des Klägers auf Aufhebung des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung bereits aus den oben genannten Gründen stattzugeben war, brauchte der Senat sich mit etwaigen Fragen zur Höhe der Haftungsschuld nicht zu befassen (etwa in Bezug auf die Entscheidung des FG Niedersachsen, Urteil v. 15.01.2015, 14 K 91/13, juris). Insofern war es auch unerheblich, dass in Bezug auf die Hauptschuld (Lohnsteuer März 2009) noch ein Einspruchsverfahren beim beklagten Finanzamt anhängig ist.
160V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
161VI. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze und Maßstäbe.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Münster Urteil, 03. März 2016 - 1 K 2243/12 L
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(1) Das Insolvenzgericht hat alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Gegen die Anordnung der Maßnahme steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Das Gericht kann insbesondere
- 1.
einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, für den § 8 Absatz 3 und die §§ 56 bis 56b, 58 bis 66 und 269a entsprechend gelten; - 1a.
einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, für den § 67 Absatz 2, 3 und die §§ 69 bis 73 entsprechend gelten; zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden; - 2.
dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, daß Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind; - 3.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; - 4.
eine vorläufige Postsperre anordnen, für die die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 entsprechend gelten; - 5.
anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.
(3) Reichen andere Maßnahmen nicht aus, so kann das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so gilt entsprechendes für seine organschaftlichen Vertreter. Für die Anordnung von Haft gilt § 98 Abs. 3 entsprechend.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Liegt die Ursache für die Haftung eines Zahlungsdienstleisters gemäß den §§ 675u, 675y und 675z im Verantwortungsbereich eines anderen Zahlungsdienstleisters, eines Zahlungsauslösedienstleisters oder einer zwischengeschalteten Stelle, so kann der Zahlungsdienstleister von dem anderen Zahlungsdienstleister, dem Zahlungsauslösedienstleister oder der zwischengeschalteten Stelle den Ersatz des Schadens verlangen, der ihm aus der Erfüllung der Ansprüche eines Zahlungsdienstnutzers gemäß den §§ 675u, 675y und 675z entsteht.
(2) Ist zwischen dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers und einem Zahlungsauslösedienstleister streitig, ob ein ausgeführter Zahlungsvorgang autorisiert wurde, muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass in seinem Verantwortungsbereich eine Authentifizierung erfolgt ist und der Zahlungsvorgang ordnungsgemäß aufgezeichnet sowie nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde.
(3) Ist zwischen dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers und einem Zahlungsauslösedienstleister streitig, ob ein Zahlungsvorgang ordnungsgemäß ausgeführt wurde, muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass
- 1.
der Zahlungsauftrag dem kontoführenden Zahlungsdienstleister gemäß § 675n zugegangen ist und - 2.
der Zahlungsvorgang im Verantwortungsbereich des Zahlungsauslösedienstleisters ordnungsgemäß aufgezeichnet sowie nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde.
Hat sich jemand durch einen Dienst- oder Werkvertrag mit dem Schuldner verpflichtet, ein Geschäft für diesen zu besorgen, so gilt § 115 entsprechend. Dabei gelten die Vorschriften für die Ersatzansprüche aus der Fortsetzung der Geschäftsbesorgung auch für die Vergütungsansprüche. Satz 1 findet keine Anwendung auf Zahlungsaufträge sowie auf Aufträge zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen und Aufträge zur Übertragung von Wertpapieren; diese bestehen mit Wirkung für die Masse fort.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
(2) Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur dann zurückgenommen werden, wenn
- 1.
er von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist, - 2.
er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist, - 3.
ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren, - 4.
seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war.
(3) Erhält die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Fall des Absatzes 2 Nr. 2.
(4) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die nach den Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zuständige Finanzbehörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Finanzbehörde erlassen worden ist; § 26 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1)1Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), soweit der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der
- 1.
im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter im Sinne der §§ 8 bis 13 der Abgabenordnung hat (inländischer Arbeitgeber) oder - 2.
einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung im Inland überlässt, ohne inländischer Arbeitgeber zu sein (ausländischer Verleiher).
(2)1Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer.2Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.
(3)1Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten.2Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts hat die öffentliche Kasse, die den Arbeitslohn zahlt, die Pflichten des Arbeitgebers.3In den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch an die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben hat die Deutsche Rentenversicherung Bund bei Inanspruchnahme des Wertguthabens die Pflichten des Arbeitgebers.
(3a)1Soweit sich aus einem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis tarifvertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn unmittelbar gegen einen Dritten mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland richten und von diesem durch die Zahlung von Geld erfüllt werden, hat der Dritte die Pflichten des Arbeitgebers.2In anderen Fällen kann das Finanzamt zulassen, dass ein Dritter mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland die Pflichten des Arbeitgebers im eigenen Namen erfüllt.3Voraussetzung ist, dass der Dritte
- 1.
sich hierzu gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet hat, - 2.
den Lohn auszahlt oder er nur Arbeitgeberpflichten für von ihm vermittelte Arbeitnehmer übernimmt und - 3.
die Steuererhebung nicht beeinträchtigt wird.
(4)1Wenn der vom Arbeitgeber geschuldete Barlohn zur Deckung der Lohnsteuer nicht ausreicht, hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen oder der Arbeitgeber einen entsprechenden Teil der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten.2Soweit der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nicht nachkommt und der Arbeitgeber den Fehlbetrag nicht durch Zurückbehaltung von anderen Bezügen des Arbeitnehmers aufbringen kann, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt (§ 41a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) anzuzeigen.3Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber die von einem Dritten gewährten Bezüge (Absatz 1 Satz 3) am Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums anzugeben; wenn der Arbeitnehmer keine Angabe oder eine erkennbar unrichtige Angabe macht, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen.4Das Finanzamt hat die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern.
(1)1Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
- 1.
dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Absatz 2) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung), - 2.
die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen.
(2)1Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat.2Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1 080 Euro, aber nicht mehr als 5 000 Euro betragen hat; Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalenderjahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1 080 Euro betragen hat.3Hat die Betriebsstätte nicht während des ganzen vorangegangenen Kalenderjahres bestanden, so ist die für das vorangegangene Kalenderjahr abzuführende Lohnsteuer für die Feststellung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums auf einen Jahresbetrag umzurechnen.4Wenn die Betriebsstätte im vorangegangenen Kalenderjahr noch nicht bestanden hat, ist die auf einen Jahresbetrag umgerechnete für den ersten vollen Kalendermonat nach der Eröffnung der Betriebsstätte abzuführende Lohnsteuer maßgebend.
(3)1Die oberste Finanzbehörde des Landes kann bestimmen, dass die Lohnsteuer nicht dem Betriebsstättenfinanzamt, sondern einer anderen öffentlichen Kasse anzumelden und an diese abzuführen ist; die Kasse erhält insoweit die Stellung einer Landesfinanzbehörde.2Das Betriebsstättenfinanzamt oder die zuständige andere öffentliche Kasse können anordnen, dass die Lohnsteuer abweichend von dem nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt anzumelden und abzuführen ist, wenn die Abführung der Lohnsteuer nicht gesichert erscheint.
(4)1Arbeitgeber, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben, dürfen die anzumeldende und abzuführende Lohnsteuer abziehen und einbehalten, die auf den Arbeitslohn entfällt, der an die Besatzungsmitglieder für die Beschäftigungszeiten auf diesen Schiffen gezahlt wird.2Die Handelsschiffe müssen in einem Seeschiffsregister eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, eingetragen sein, die Flagge eines dieser Staaten führen und zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See betrieben werden.3Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn Seeschiffe im Wirtschaftsjahr überwiegend außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zum Schleppen, Bergen oder zur Aufsuchung von Bodenschätzen oder zur Vermessung von Energielagerstätten unter dem Meeresboden eingesetzt werden.4Bei Besatzungsmitgliedern, die auf Schiffen, einschließlich Ro-Ro-Fahrgastschiffen, arbeiten, die im regelmäßigen Personenbeförderungsdienst zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingesetzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn die Besatzungsmitglieder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates sind, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist.5Bei Seeschiffen, die für Schlepp- und Baggerarbeiten genutzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn es sich um seetüchtige Schlepper und Baggerschiffe mit Eigenantrieb handelt und die Schiffe während mindestens 50 Prozent ihrer Betriebszeit für Tätigkeiten auf See eingesetzt werden.6Ist für den Lohnsteuerabzug die Lohnsteuer nach der Steuerklasse V oder VI zu ermitteln, bemisst sich der Betrag nach Satz 1 nach der Lohnsteuer der Steuerklasse I.
(1) Zahlungen an Finanzbehörden sind an die zuständige Kasse zu entrichten. Außerhalb des Kassenraums können Zahlungsmittel nur einem Amtsträger übergeben werden, der zur Annahme von Zahlungsmitteln außerhalb des Kassenraums besonders ermächtigt worden ist und sich hierüber ausweisen kann.
(2) Eine wirksam geleistete Zahlung gilt als entrichtet:
- 1.
bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks jedoch drei Tage nach dem Tag des Eingangs, - 2.
bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird,
- 3.
bei Vorliegen eines SEPA-Lastschriftmandats am Fälligkeitstag.
(3) Zahlungen der Finanzbehörden sind unbar zu leisten. Das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden können für ihre Geschäftsbereiche Ausnahmen zulassen. Als Tag der Zahlung gilt bei Überweisung oder Zahlungsanweisung der dritte Tag nach der Hingabe oder Absendung des Auftrags an das Kreditinstitut oder, wenn der Betrag nicht sofort abgebucht werden soll, der dritte Tag nach der Abbuchung.
(4) Die zuständige Kasse kann für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung geschlossen werden. Absatz 2 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn bei der Schließung von Kassen nach Satz 1 am Ort der Kasse eine oder mehrere Zweiganstalten der Deutschen Bundesbank oder, falls solche am Ort der Kasse nicht bestehen, ein oder mehrere Kreditinstitute ermächtigt werden, für die Kasse Zahlungsmittel gegen Quittung anzunehmen.
Tenor
Der Haftungsbescheid des Beklagten vom 28.05.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs abwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 Abgabeordnung (AO), mit dem das beklagte Finanzamt den Kläger als Geschäftsführer für Lohnsteuerschulden nebst Annexabgaben der Firma A-KG in Anspruch genommen hat.
3Die A-KG in XXX war Teil eines Unternehmens in der XXX-Branche unter dem Dach der A-GmbH in YYY. Das Unternehmen unterhielt am Hauptstandort in YYY, am Standort der KG in XXX sowie im Ausland mehrere Produktionsstätten und beschäftigte alleine im Inland mehrere Tausend Mitarbeiter.
4Die A-KG schuldet dem Land Nordrhein-Westfalen nach aktuellem Stand Lohnsteuer und Annexabgaben für den Zeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR (Stand der letzten Berechnung des Beklagten über Lohnsteuer und Annexabgaben vom 15.11.2012; vom Insolvenzverwalter wurden dagegen zuletzt lediglich 9XX.XXX,- EUR angemeldet [Einspruchsverfahren des Insolvenzverwalters ist noch anhängig]).
5Über das Vermögen der A-GmbH in YYY sowie über das Vermögen der A-KG in XXX wurde im Jahr 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellten die Geschäftsführer am 08.04.2009. Am gleichen Tage bestellte das Amtsgericht YYY einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Insolvenzordnung – InsO). Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschloss das Amtsgericht YYY am 29.06.2009.
6Der Kläger war gemeinsam mit Herrn A Geschäftsführer der AA-GmbH, die wiederum zu 100% an der A-Verwaltungs-GmbH in XXX beteiligt war. Letztere war Komplementärin der A-KG. Zugleich waren der Kläger und Herr A zusammen mit Herrn C Geschäftsführer der A-GmbH in YYY.
7Die A-KG hatte ihren Geschäftsbetrieb mit Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 an die A-GmbH in YYY verpachtet. Aufgrund eines Betriebsführungsvertrages selben Datums übertrug die A-GmbH die Betriebsführung für den gepachteten Betrieb an die A-KG zurück. Gemäß § 2 Abs. 3 dieses Vertrages nahm die A-KG die Arbeitgeberfunktion wahr. Die Betriebsführung erfolgte im Namen der A-KG, jedoch auf Rechnung der A-GmbH. Sämtlich Kosten im Zusammenhang mit der Betriebsführung wurden der A-KG durch die A-GmbH erstattet (§ 3 des Vertrages).
8Die A-GmbH verfügte über mehrere Bankkonten, u.a. bei der D-Bank und bei der P-Bank. Das Konto bei der D-Bank war das zentrale Firmenkonto. Hinsichtlich der Transaktionen und der Entwicklung der Tagessalden im Zeitraum vom 25.03. bis zum 15.04.2009 wird auf die in der Gerichtsakte sowie in den Verwaltungsakten befindlichen Kontoauszüge verwiesen.
9Am 26.03.2009 zahlte die A-KG in XXX die Gehälter an ihre Angestellten für März 2009 in voller Höhe aus (die Löhne der „Arbeiter“ sollten erst später ausgezahlt werden). Mit Lohnsteueranmeldung vom 07.04.2009 meldete die A-KG für den Zeitraum März 2009 Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR an. Die Lohnsteueranmeldung ging am 08.04.2009 beim Beklagten ein. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gab der Insolvenzverwalter mehrfach korrigierte Lohnsteueranmeldungen für den Streitzeitraum ab.
10Die Geschehnisse in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung lassen sich nach dem (vom Beklagten nicht bestrittenen) Vortrag des Klägers unter Bezugnahme auf ein Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 wie folgt zusammen fassen:
11Am 06.04.2009 fand eine Geschäftsführersitzung bei der A-GmbH statt. Daran nahmen neben den Geschäftsführern (Kläger, Herr A und Herr C) der Prokurist Herr Dr. Z (Leiter Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern), dessen Mitarbeiter Herr M und Herr S (Treasury / Kasse), Frau L (Sachbearbeiterin Personal) sowie Herr O (anwaltlicher Berater aus der Kanzlei Dr. W und Partner) teil. Im Rahmen der Geschäftsführersitzung verschafften sich die Teilnehmer zunächst einen Überblick über die Liquiditätssituation des Unternehmens. Sodann wiesen die Geschäftsführer Herrn Dr. Z an, alle Mittel bei der D-Bank „aus Sicherheitsgründen“ auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und dort zu deponieren. Ferner fassten die Geschäftsführer den Entschluss, „auf jeden Fall“ die auf die bereits am 26.03.2009 ausgezahlten Gehälter der „Angestellten“ in XXX entfallende Lohnsteuer der A-KG zu zahlen. Die Entscheidung, ob darüber hinaus auch die Löhne für den Monat März 2009 an die „Arbeiter“ der Standorte YYY und XXX nebst darauf entfallender Lohnsteuer ausgezahlt oder „Kasse für den Insolvenzverwalter gehalten“ werden sollte, wurde auf den nächsten Tag (07.04.2009) verschoben.
12Noch am 06.04.2009 wurde ein Betrag i.H. von 4.200.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
13Am 07.04.2009 wurde ein weiterer Betrag i.H. von 450.000,- EUR vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank überwiesen.
14Ebenfalls am 07.04.2009 gegen 14.30 Uhr wies die Geschäftsführung den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern (Herrn Dr. Z) an, folgende Überweisungen vorzunehmen:
15Löhne A-GmbH YYY 3.XXX.XXX,- EUR
16Löhne A-KG XXX „Arbeiter“ 5XX.XXX,- EUR
17Lohnsteuer A-KG XXX 1.XXX.XXX,- EUR
18Zahlung „…“ 3XX.XXX,- EUR
19Zahlung „…“ 3XX.XXX,- EUR
205.8XX.XXX,- EUR
21Am späten Nachmittag des 07.04.2009 (16.15 Uhr) ordneten Herr Dr. Z und sein Mitarbeiter, Herr M, ohne Rücksprache mit bzw. Information der Geschäftsführung an, das bei der P-Bank vorhandene Guthaben i.H. von 4.650.000,- EUR wieder auf das Konto bei der D-Bank zurück zu überweisen. Der Betrag ist am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank gutgeschrieben worden. Hintergrund dieser Rückübertragung soll gewesen sein, dass die Überweisung der Löhne technisch vom Konto der D-Bank habe wesentlich einfacher bewerkstelligt werden können, und zwar durch Nutzung einer nur dort bestehenden elektronischen Zahlungsverkehrsverbindung in Gestalt eines SAP-Entgeltabrechnungs- und Überweisungsverfahrens (die Lohnauszahlung machte zahlreiche Einzelüberweisungen nötig, etwa in Form der Löhne an die Arbeitnehmer, der Sozialversicherungsbeiträge an die Sozialversicherungsträger und vermögenswirksamer Leistungen an die Bankinstitute).
22Am Morgen des 08.04.2009 (8.14 Uhr) erteilte Herr S (Mitarbeiter der A-GmbH in dem von Herrn Dr. Z geleiteten Bereich Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, zuständig für den Zahlungsverkehr [„Treasury“]) der D-Bank den Auftrag, die Lohnsteuer für März 2009 i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zugunsten des beklagten Finanzamts zu überweisen. Ferner wurde die D-Bank angewiesen, die von der Geschäftsführung angeordneten weiteren Überweisungsvorgänge auszuführen (Löhne XXX und YYY, Zahlungen an Auslandsunternehmen). Der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank belief sich zu Beginn des Tages auf 2.2XX.XXX,- EUR. Nach dem Eingang des vom P-Bank-Konto überwiesenen Betrages i.H. von 4.650.000,- EUR und weiteren Zugängen betrug der Habensaldo am Schluss des Tages 7.9XX.XXX,- EUR. In einer E-Mail vom 08.04.2009 übersandte Herr S der Controlling-Abteilung der A-GmbH eine aktuelle Liquiditätsübersicht und unterrichtete die Controlling-Abteilung über die der D-Bank zuvor von ihm erteilten Überweisungsaufträge.
23Die D-Bank führte ab dem 08.04.2009 keine Überweisungen mehr aus, auch nicht den erteilten Auftrag zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer. Sie hielt das auf dem Konto befindliche Guthaben zurück und leitete die Angelegenheit an die interne Abteilung „Risk Management“ weiter, um die Absicherung etwaiger eigener Ansprüche gegen die A-GmbH zu prüfen. Nach erfolgter Überprüfung stellte die D-Bank einen Großteil des Kapitals dem Unternehmen später wieder zur Verfügung; sie transferierte am 01.07.2009 einen Betrag i.H. von 5.5XX.000,- EUR auf das Konto des vorläufigen Insolvenzverwalters.
24Ebenfalls am 08.04.2009 widerrief die A-KG nach telefonischer Vorankündigung vom selben Tage gegenüber dem beklagten Finanzamt die bisher für Betriebssteuern gültigen Einzugsermächtigungen und bat um schriftliche Bestätigung.
25Am 08.04.2009 stellten der Kläger und seine Mitgeschäftsführer beim Amtsgericht YYY Anträge auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die A-GmbH in YYY sowie für die A-KG in XXX. Um 9.50 Uhr (A-GmbH) und um 11.00 Uhr (A-KG) ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Insolvenzschuldnerinnen an und bestellte insofern einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Gleichzeitig ordnete das Gericht an, dass Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen nur noch mit dessen Zustimmung wirksam erfolgen konnten.
26Nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den Insolvenzverwalter zunächst mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer März 2009 gebeten hatten, forderten sie ihn am 04.05.2009 schriftlich auf, die rückständige Lohnsteuer nebst Annexabgaben an das beklagte Finanzamt zu zahlen. Mit Schreiben vom 12.05.2009 lehnte der Insolvenzverwalter eine Zahlung mit der Begründung ab, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum vor Insolvenzeröffnung liege, es sich bei der Lohnsteuer damit um eine „normale Insolvenzforderung“ handele und er sich im Falle einer Zahlung möglicherweise wegen Gläubigerbenachteiligung strafbar machen würde.
27Nach erfolgter Anhörung erließ der Beklagte mit Datum vom 28.05.2010 jeweils einen Haftungsbescheid i.S. des § 191 Abs. 1 i.V. mit §§ 69 S. 1, 34 Abs. 1 AO sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegenüber dessen Mitgeschäftsführer. Beide Geschäftsführer wurden in Bezug auf die zum Fälligkeitstag am 14.04.2009 durch die A-KG nicht entrichtete Lohnsteuer nebst Annexabgaben für den Voranmeldungszeitraum März 2009 i.H. von insgesamt 1.XXX.XXX,- EUR zuzüglich Säumniszuschlägen i.H. von 1XX.XXX,- EUR persönlich und unbeschränkt in Haftung genommen.
28Zur Begründung des Haftungsbescheides führte der Beklagte aus, dass Personen i.S. der §§ 34 und 35 AO gemäß § 69 S. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könnten, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Sorgfaltspflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt würden. Als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX habe den Kläger die Pflicht getroffen, für die rechtzeitige Anmeldung und Abführung der Lohnsteuern der A-KG als Arbeitgeberin Sorge zu tragen. Die Lohnsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2009 sei zwar fristgerecht bis zum 14.04.2009 angemeldet, nicht jedoch abgeführt worden. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A-KG sei mit einer Entrichtung der Lohnsteuer durch bzw. für die A-KG nicht mehr zu rechnen.
29Der Kläger habe seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer zum einen dadurch verletzt, dass er nicht für eine wirksame und rechtzeitige Entrichtung der Lohnsteuer gesorgt habe. Zahlungsschwierigkeiten einer Gesellschaft änderten grundsätzlich weder etwas an der Pflicht des Geschäftsführers zur Abführung der Lohnsteuer noch schlössen sie ein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten aus. Reichten die zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne einschließlich des enthaltenen Steueranteils nicht aus, so dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur entsprechend gekürzt auszahlen und müsse aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten Nettolöhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Bereits das Unterlassen, die auf die auszuzahlenden Löhne entfallende Lohnsteuer durch eine entsprechend Kürzung der Löhne einzubehalten und den gekürzten Betrag für die Errichtung zum Fälligkeitszeitpunkt bereitzuhalten, könne eine eigenständige Pflichtverletzung darstellen und den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO auslösen.
30Zwar habe die A-GmbH im Lohnzahlungszeitpunkt noch über liquide Mittel verfügt, die der Höhe nach auch zur Begleichung der Lohnsteuer für die A-KG ausgereicht hätten und zu diesem Zweck verwendet werden sollten. Alleine diese Tatsache könne den Kläger aber nicht von der Haftung befreien. Da sich die Gesellschaft nur wenige Tage vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit bereits seit Längerem in der Krise befunden habe, hätten die Geschäftsführer in Bezug auf die Lohnsteuerentrichtung erhöhte Sorgfaltspflichten getroffen. Sie hätten bereits zum Lohnzahlungszeitpunkt, also zum 26.03.2009, sicherstellen müssen, dass die auf die ausgezahlten Löhne entfallende Lohnsteuer tatsächlich pünktlich an das Finanzamt gezahlt werde. Dies hätten die Geschäftsführer etwa durch vorherige Gespräche mit Verantwortlichen der überweisenden Bank bewirken können. Aufgrund der bestehenden finanziellen Krisensituation und der im Raum stehenden Insolvenz hätten sich die Geschäftsführer nicht einfach darauf verlassen dürfen, dass die Banken einen Überweisungsauftrag wenige Stunden vor der Insolvenzantragsstellung noch ausführen werden.
31Eine weitere Pflichtverletzung des Klägers sei darin zu sehen, dass dieser nicht auf die D-Bank eingewirkt und auf die Ausführung des Überweisungsauftrags bestanden habe. Der Überweisungsauftrag sei mit Zugang bei der Bank und damit vor der Insolvenzantragsstellung wirksam geworden (vgl. § 676a Abs. 1 S. 1 alte Fassung des Bürgerlichen Gesetzbuches – BGB a.F.). Die Voraussetzungen für eine Kündigung des Überweisungsauftrags durch die Bank hätten nicht vorgelegen. Gemäß § 676a Abs. 3 BGB a.F. dürfe ein Auftrag nach Beginn der Überweisungsfrist i.S. des § 676a Abs. 2 BGB a.F. nur gekündigt werden, wenn das Insolvenzverfahren bereits eröffnet worden sei. Der Überweisungsauftrag sei über § 116 S. 3 InsO auch insolvenzbeständig gewesen. Demzufolge hätte der Kläger auf die D-Bank einwirken und auf die Durchführung des rechtswirksam und insolvenzbeständig erteilten Überweisungsauftrags bestehen müssen. Das Unterlassen einer solchen Einwirkung sei als Pflichtverletzung zu werten. Bei dem Einwirken habe es sich nicht um eine Verfügung gehandelt, die nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters möglich gewesen wäre. Im Übrigen bleibe die Verpflichtung der Geschäftsführer, die Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag zu entrichten, auch nach der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich bestehen.
32Sein Ermessen beim Erlass des Haftungsbescheides begründete der Beklagte wie folgt: Eine vorherige Inanspruchnahme der Arbeitnehmer als Steuerschuldner sei unbillig, weil die Steuerabzugsbeträge bei der Auszahlung der Gehälter von der A-KG einbehalten worden seien. Die Inanspruchnahme der A-KG sei nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erfolgversprechend. Es sei ermessensgerecht, sowohl den Kläger als auch den weiteren Mitgeschäftsführer der Komplementärin der A-KG als für die Nichtzahlung der Lohnsteuer jeweils verantwortliche Personen in voller Höhe in Anspruch zu nehmen. Die Haftung umfasse auch die infolge der Pflichtverletzung entstandenen Säumniszuschläge.
33Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger am 22.06.2010 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer verletzt habe. In der ungekürzten Auszahlung der Gehälter sei keine Pflichtverletzung zu erkennen. Die ungekürzte Auszahlung von Löhnen stelle nur dann eine Pflichtverletzung dar, wenn der Geschäftsführer befürchten müsse, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht genügend Mittel zur Begleichung der Lohnsteuer vorhanden seien. Vorliegend hätten aber sowohl im Zeitpunkt der Lohnauszahlung als auch bei Insolvenzantragsstellung und auch noch im Zeitpunkt der Fälligkeit der Lohnsteuer ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld bereit gestanden. Zunächst sei entsprechendes Kapital auf das P-Bank-Konto transferiert und von der Geschäftsführung u.a. zur Begleichung der Lohnsteuer vorgesehen worden. Auch bei Erteilung des Zahlungsauftrags an die D-Bank am Morgen des 08.04.2009 sei genügend Liquidität vorhanden gewesen. Der Kontostand bei der D-Bank habe sich immerhin auf über 7.XXX.XXX,- EUR belaufen. Ihren Mittelvorsorge- und Sorgfaltspflichten seien die Geschäftsführer also ausreichend nachgekommen. Für eine gekürzte Auszahlung der Gehälter im März 2009 habe daher keine Veranlassung bestanden.
34Der Kläger führte weiter aus, dass ihm auch die Nichtzahlung der Lohnsteuer im Fälligkeitszeitpunkt nicht vorgeworfen werden dürfe. Dieser Umstand beruhe nicht auf einem Fehlverhalten seinerseits, sondern zum einen auf der Nichtausführung des erteilten Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie zum anderen auf der späteren Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dem damit verbundenen Verlust der freien Verfügungsbefugnis über das Vermögen der A-GmbH. Die Geschäftsführer hätten noch deutlich vor Fälligkeit und im Hinblick auf die drohende Bestellung eines Insolvenzverwalters alles daran gesetzt, die vorhandene Liquidität zur Entrichtung der Lohnsteuer einzusetzen. Dass der gegenüber der D-Bank noch vor Stellung des Insolvenzantrags erteilte Überweisungsauftrag nicht ausgeführt worden sei, könne ihnen nicht angelastet werden. Die D-Bank habe diesem Auftrag, wie sich später herausgestellt habe, zu Unrecht die Ausführung versagt. Die bankinterne Abteilung „Risk Management“ habe entschieden, den Überweisungsauftrag nicht auszuführen und stattdessen etwaige Zurückbehaltungsansprüche in Bezug auf das vorhandene Kapital geprüft. Später habe sich durch die Rücküberweisung der Beträge an den Insolvenzverwalter gezeigt, dass dieses Vorgehen nicht gerechtfertigt gewesen sei. Dieses Verschulden der D-Bank könne aber nicht den Geschäftsführern angelastet werden; eine entsprechende Zurechnung von Drittverschulden finde im Anwendungsbereich des § 69 AO gerade nicht statt. Auch sei für die Geschäftsführung nicht vorhersehbar gewesen, dass die D-Bank den Überweisungsauftrag nicht ausführen werde. Nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters seien eigenmächtige Verfügungen für die Geschäftsführer nicht mehr möglich gewesen. Die steuerliche Pflichtenstellung habe sich insofern auf ein Einwirken auf den Insolvenzverwalter beschränkt. Dieser Verpflichtung seien die Geschäftsführer nachgekommen, indem sie den Insolvenzverwalter zur Zahlung der Lohnsteuer aufgefordert hätten. Dieses Zahlungsverlangen habe der Insolvenzverwalter aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung aber abgelehnt.
35Der im Haftungsbescheid enthaltene Hinweis des Finanzamts, die Geschäftsführer hätten angesichts der Auszahlung der vollen Löhne frühzeitig eine Vereinbarung mit der Bank über die sichere Ausführung eines Überweisungsauftrags zur Entrichtung der Lohnsteuer treffen müssen, sei nicht zielführend. Sowohl zur P-Bank als auch zur D-Bank habe ein ganz normales Geschäftsbesorgungsverhältnis (Kontoführungsvertrag) bestanden. In Anbetracht dessen sei nicht davon auszugehen, dass sich die Banken überhaupt auf eine Vereinbarung dergestalt eingelassen hätten. Es sei nicht zu erwarten, dass irgendeine Bank entsprechende Vereinbarungen zu eigenen Lasten treffe. Denn die Banken hätten für den Fall der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Insolvenzantragsstellung damit rechnen müssen, dass die Belastung des Kontos später an der erforderlichen Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters gescheitert wäre. Insofern hätte auch ein Gespräch mit Vertretern der Bank nicht weiter geführt.
36Darüber hinaus verneinte der Kläger auch ein schuldhaftes Handeln i.S. des Haftungstatbestandes. Dabei wies er ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) hin, wonach den Geschäftsführern einer GmbH die Kontosperrung durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter nicht haftungsbegründend anzulasten sei. Gemessen an den dort niedergelegten Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hätten sich die Geschäftsführer im Streitfall sogar überobligatorisch verhalten, indem sie noch vor Fälligkeit und vor Insolvenzantragsstellung die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer erteilt hätten.
37Schließlich führte der Kläger aus, dass es auch an der für eine Haftung notwendigen Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden fehle. Der BFH habe im Urteil vom 17.11.1992 (VII R 13/92, juris) festgestellt, dass die Inanspruchnahme eines Geschäftsführers in dem Fall, dass noch vor dem Fälligkeitstag ein starker Insolvenzverwalter bestellt werde, nicht mehr kausal für den Steuerausfall sei. Im vorliegenden Fall sei zwar zunächst kein starker Insolvenzverwalter bestellt worden. Der Zustimmungsvorbehalt des schwachen Insolvenzverwalters habe aber de facto die gleiche Wirkung. Die fristgerechte Zahlung sei den Geschäftsführern seit der Bestellung des schwachen Insolvenzverwalters verwehrt gewesen, eine etwaige Pflichtverletzung für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei daher nicht mehr kausal.
38Der Beklagte half dem Einspruch des Klägers mit Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 teilweise ab, indem die Säumniszuschläge um die Hälfte von 1XX.XXX,- EUR auf 6X.XXX,- EUR reduziert wurden. Im Übrigen (in Bezug auf die eigentliche Haftungsschuld) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
39Zur Herabsetzung der Säumniszuschläge führte der Beklagte aus, insofern sei eine Teilrücknahme des Haftungsbescheides gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 AO geboten. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sei die Heranziehung eines Steuerschuldners ab dem Zeitpunkt des Eintritts der nachweislichen Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit teilweise unzulässig (Verweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Daraus folge für den Streitfall, dass die Haftung insoweit aufzuheben sei, als sie den Zeitraum zwischen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (29.06.2009) und dem Erlass des Haftungsbescheides (28.05.2010) beträfe. Aus diesem Grunde werde die Haftungssumme um die Hälfte der verwirkten Säumniszuschläge reduziert.
40Im Übrigen sei der Haftungsbescheid aber rechtmäßig und damit aufrecht zu erhalten. Den Kläger habe aufgrund seiner gesetzlichen Stellung als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX die Pflicht getroffen, für die Abführung der auf die im März 2009 durch die A-KG ausgezahlten Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben zu sorgen (vgl. § 34 Abs. 1 AO i.V. mit § 41a Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz – EStG). Dieser Pflicht sei der Kläger nicht nachgekommen. Die entsprechenden Steuerschulden seien bis zum heutigen Tage nicht entrichtet worden.
41Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung stelle die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine, wenn nicht vorsätzliche, so zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers dar. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziere den Schuldvorwurf (Hinweis auf BFH, Urteil v. 04.12.2007, VII R 18/06, juris; Beschluss v. 25.07.2003, VII B 240/03, juris). Durch die Auszahlung des Bruttolohnes nehme der Geschäftsführer ein Haftungsrisiko auf sich, mit der Folge, dass bei Ausbleiben der Erfüllung seiner auf die entsprechende Lohnsteuer bezogenen Entrichtungsschuld die Haftungsfolge des § 69 S. 1 AO eintrete. Diesen strengen Verschuldensmaßstab leite die Rechtsprechung aus den einkommensteuerrechtlichen Regelungen zum Lohnsteuerabzug her (§ 38 Abs. 2 und Abs. 3, § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG). Danach fungiere der Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner. Für den Arbeitgeber handele es sich insoweit um eine fremde Schuld. Ihn treffe kraft Gesetzes die Pflicht, die Lohnsteuer treuhänderisch zu verwalten und für ihre Entrichtung aus den verwalteten Mitteln der Gesellschaft Sorge zu tragen (Verweis auf BFH, Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris). Diese steuerrechtliche Verpflichtung sei eine „Grundpflicht“ bzw. „Garantenpflicht“ des Geschäftsführers. Dieser gebe mit voller Auszahlung der Löhne quasi eine „Garantie“ ab, die darauf entfallende Lohnsteuer bis zum Fälligkeitstag auch tatsächlich zu entrichten. Die eingegangene Verpflichtung beinhalte – da es sich bei der Lohnsteuer um fremde Gelder handele – nicht nur, dass der Geschäftsführer für eine entsprechende Kontodeckung am Fälligkeitstag zu sorgen habe. Darüber hinaus müsse der Geschäftsführer einen wirksamen Zahlungsauftrag erteilen und damit letztlich sicherstellen, dass die Lohnsteuer auch tatsächlich beim Finanzamt ankomme, mithin dass eine Entrichtung (Erfüllung) der Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO bis zum Fälligkeitstag erfolge (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
42Der Umstand, dass vor dem Fälligkeitstag ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt werde, ändere an den besagten Mittelvorsorge- und Garantiepflichten eines Geschäftsführers nichts. Gleiches gelte für die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters. Dadurch werde der Geschäftsführer nicht in seiner Verfügungsbefugnis eingeschränkt; er sei rechtlich nicht daran gehindert, Steuern für die Gesellschaft zu entrichten. Die Verpflichtung eines Geschäftsführers zur Abführung einbehaltener Lohnsteuer bestehe solange fort, bis ihm die Verfügungsbefugnis endgültig entzogen werde (Verweis auf BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris).
43Auf der Grundlage dieser Maßstäbe sei der Kläger seinen Pflichten als Geschäftsführer in mehrfacher Hinsicht nicht nachgekommen. Zum einen habe er gegen die Mittelvorsorge- und Garantiepflicht zur Entrichtung der Lohnsteuer verstoßen. Die Gehälter für die Angestellten am Standort der A-KG in XXX seien auf Veranlassung des Klägers am 26.03.2009 in voller Höhe ausgezahlt worden. Damit habe der Kläger sich verpflichtet, die einbehaltene Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger hätte also dafür Sorge tragen müssen, wirksame Maßnahmen zur Tilgung (Erfüllung) der Lohnsteuer zu ergreifen. Derartige Maßnahmen seien vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer aber nicht getroffen worden. Die Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter, entsprechende Mittel auf das Konto bei der P-Bank zu überweisen und von dort aus eine Überweisung der Lohnsteuer an das Finanzamt vorzunehmen, sei lediglich geeignet gewesen, potentiell eine pünktliche Zahlung zu bewirken (§ 224 Abs. 2 AO). Die Erfüllung der Steuerschuld sei dadurch aber nicht eingetreten. Gleiches gelte für den wenige Stunden vor Insolvenzantragsstellung gegenüber der D-Bank abgegebenen Überweisungsauftrag. Beide Maßnahmen hätten letztlich nicht zu einer erfolgreichen Tilgung der Lohnsteuer geführt.
44Darüber hinaus sei der Kläger seinen Überwachungsaufgaben als Geschäftsführer nicht hinreichend nachgekommen. Die hundertprozentige Auszahlung der Löhne gehe mit gesteigerten Überwachungspflichten einher. Der Kläger habe die Erfüllung der Steuerschuld durch geeignete Überwachungsmaßnahmen sicherstellen müssen. Gerade aufgrund des Umstandes, dass der Kläger mit dem Eingang seines Insolvenzantrages und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 08.04.2009 habe rechnen müssen, sei er zu einer gesteigerten Überwachung aufgerufen gewesen. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der zunächst erfolgten Überweisung der Gelder vom Konto der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank sowie bei dem weiteren Plan, die Lohnsteuer dann von dort aus an das Finanzamt abzuführen, um eine „außergewöhnliche Vorgehensweise“ gehandelt habe (abweichend von der bisherigen Übung der Steuerentrichtung im Lastschrifteinzugsverfahren). In Anbetracht dessen hätte der Kläger die Umsetzung der erteilten Aufträge besonders sorgfältig überwachen müssen. Dies habe er offensichtlich nicht getan. Der Vortrag des Klägers, er habe den Leiter der Finanzabteilung nicht kontrollieren müssen, weil es sich bei Herrn Dr. Z um eine stets zuverlässige Person gehandelt habe, die ihren Aufgaben in der Vergangenheit immer zur Zufriedenheit der Geschäftsführung nachgekommen sei, könne weder als Rechtfertigungs- noch als Entschuldigungsgrund herangezogen werden. Wenn der Kläger einen typischen Arbeitsauftrag erteilt hätte, dann habe er davon ausgehen können, dass die beauftragten Personen diesen gewohnt zuverlässig erledigen werden. Im Streitfall gelte aber etwas anderes. Vorliegend sei ein atypischer Zahlungsweg gewählt worden. Angesichts der drohenden Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters sei zudem alles davon abhängig gewesen, dass den Banken noch vor dem 08.04.2009 ein wirksamer Zahlungsauftrag erteilt werde. Diese Besonderheiten hätten es erforderlich gemacht, die beauftragten Mitarbeiter genau zu überwachen und damit für die Erfüllung des Zahlungsauftrags Sorge zu tragen. Auch der BFH gehe davon aus, dass an die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers umso größere Anforderungen gestellt werden müssten, je weniger dieser sich ein auf Tatsachen gegründetes Urteil bilden könne, ob hinzugezogene Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erfüllung steuerlicher Angelegenheiten der Gesellschaft bieten würden (Verweis auf BFH, Beschluss v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris). Bei Anwendung dieser Grundsätze habe der Kläger die Ausführung des Auftrags zur Überweisung der Lohnsteuer durch seine Mitarbeiter im Streitfall intensiver überwachen müssen, denn er habe keine Kenntnisse darüber gehabt, ob seine Mitarbeiter der Ausnahmesituation (atypische Zahlungsweise und drohende Insolvenz) gewachsen gewesen seien.
45Die gleichzeitige Inanspruchnahme des Klägers und seines Mitgeschäftsführers sei auch ermessensgerecht. Dagegen sei der dritte Geschäftsführer der A-GmbH, Herr C, nicht in Haftung genommen worden, weil er nicht auch gleichzeitig Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX und damit nicht zur Abführung der Lohnsteuer der A-KG verpflichtet gewesen sei.
46Der Kläger hat am 04.07.2012 die vorliegende Klage erhoben und begehrt weiter die Aufhebung des streitgegenständlichen Haftungsbescheides. Das parallele Klageverfahren des Mitgeschäftsführers wird unter dem Aktenzeichen 1 K 2245/12 L geführt.
47Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger wie folgt aus: Seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer habe er nicht verletzt. Die ungekürzte Auszahlung der Gehälter für den streitbefangenen Zeitraum stelle keine Pflichtverletzung dar, denn zum Zeitpunkt der Gehaltsauszahlung sei hinreichend Liquidität für die Begleichung der Lohnsteuer März 2009 vorhanden gewesen. Eine Pflichtverletzung bestehe nach der Rechtsprechung des BFH nur, wenn zu befürchten sei, dass zum Fälligkeitszeitpunkt nicht mehr genügend Mittel zur Begleichung der Steuerschuld vorhanden seien (Hinweis auf BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris). Es habe also gar keine Veranlassung zu einer Kürzung der Löhne bestanden. Auch zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer habe die A-GmbH noch über ausreichend Liquidität verfügt. Die Nichtzahlung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt sei nicht auf eine Pflichtverletzung der Geschäftsführung (etwa zur Mittelvorsorge), sondern auf die nicht vorhersehbare Ablehnung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank sowie die Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters und den damit verbundenen Verlust der Verfügungsmacht der Geschäftsführer zurückzuführen. Ursächlich für den Steuerausfall seien letztlich alleine die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters und dessen verweigerte Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer gewesen. Das Unvermögen eines Geschäftsführers, am Fälligkeitstag die Lohnsteuerschulden ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters zu begleichen, begründe keine Pflichtverletzung (Hinweis auf BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris). Auch unter dem Aspekt des Verschuldens scheide insofern eine Haftung aus (Hinweis auf BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris). Unter den gegebenen Umständen sei auch nicht zu erwarten gewesen, dass ein Einwirken auf die D-Bank, den erteilten Überweisungsauftrag durchzuführen, erfolgreich gewesen wäre. Ohne die spätere Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters zur Belastung des Kontos hätte die Bank eine Belastungsbuchung sowieso gar nicht vornehmen dürfen (Hinweis auf BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris).
48Darüber hinaus ist der Kläger der Ansicht, eine Pflichtverletzung scheide bereits aus dem Grund aus, dass die Lohnsteuer am 08.04.2009 (bei Einsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters) noch gar nicht fällig gewesen sei. Es habe demnach bis zu diesem Tage noch gar keine Pflicht zur Zahlung der Lohnsteuer bestanden. Demzufolge könne ihm auch nicht der Vorwurf einer (Überwachungs-)Pflichtverletzung gemacht werden. Der Kläger führt weiter aus, er habe sich sogar überobligatorisch verhalten, indem er gegenüber seinen Mitarbeitern veranlasst habe, dass die Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitstag an das Finanzamt überwiesen werden sollte. Bei der angedachten Abwicklung über das P-Bank-Konto habe es sich insofern um eine zusätzliche „Vorsichtsmaßnahme“ gehandelt, die weit über das hinausgegangen sei, was von einem Geschäftsführer berechtigterweise zu erwarten sei. Dass die D-Bank die Überweisung letztendlich nicht ausgeführt habe, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Er dürfe insofern nicht schlechter stehen, als er stünde, wenn überhaupt kein Versuch zur vorzeitigen Entrichtung der Lohnsteuer unternommen worden wäre.
49Der Kläger meint in diesem Zusammenhang weiter: Die Ansicht des Beklagten, die Lohnsteuer sei jedenfalls so rechtzeitig zu zahlen, dass die Erfüllung am 14.04.2009 in jedem Fall gewährleistet gewesen wäre, gehe fehl. Zwar sei es grundsätzlich richtig, dass der Geschäftsführer für die pünktliche Abführung der Lohnsteuer verantwortlich zeichne. Der Beklagte verkenne jedoch den Unterschied zwischen der gesetzlich angeordneten „Haftung für schuldhaft nicht abgeführte Lohnsteuer“ einerseits und einer „Garantiehaftung“ andererseits. Die Ausführungen des Beklagten in der Einspruchsentscheidung und in den im finanzgerichtlichen Verfahren ausgetauschten Schriftsätzen liefen darauf hinaus, dass mit jeder Lohnauszahlung eine verschuldensunabhängige Garantenpflicht für die Abführung der Lohnsteuer übernommen werde. Eine solche Auslegung finde jedoch im Gesetz keine Stütze, sondern verkehre den Haftungstatbestand des § 69 S. 1 AO in sein Gegenteil. Er (der Kläger) sei damit weder am 08.04.2009 noch an einem sonstigen vor dem Fälligkeitszeitpunkt liegenden Tage verpflichtet gewesen, die Lohnsteuer an das Finanzamt zu überweisen. Die Tatsache, dass die Geschäftsführer dies gleichwohl versucht hätten, könne ihnen im Nachhinein unter keinen Umständen als schuldhafte Pflichtverletzung vorgehalten werden.
50Weiter führt der Kläger aus, dass eine Haftung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Zurechnung des Verhaltens der D-Bank oder der Mitarbeiter der A-GmbH in Betracht komme. Im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO finde eine Zurechnung von Drittverschulden nicht statt (Hinweis auf BFH, Urteile v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 30.06.1995, VII R 85/94, juris).
51Im Übrigen hätten sich in Bezug auf die Zuverlässigkeit der Mitarbeiter keine Bedenken ergeben. Anlass zu der Vermutung, dass die Mitarbeiter die Lohnsteuer nicht (wie besprochen) vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt überweisen und damit von den eindeutigen Anweisungen der Geschäftsführung abweichen würden, habe nicht bestanden. Die für die Überweisung zuständigen Mitarbeiter seien im Rahmen dieser Geschäftsführersitzung anwesend gewesen und hätten die Anweisungen der Geschäftsführer bestätigt. Bei dem mit der Überweisung beauftragten Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern, Herrn Dr. Z, habe es sich zudem um einen kompetenten und berufserfahrenen Mitarbeiter gehandelt, der selbst mehrere Jahre in einer Großbank tätig gewesen sei. Der Vorwurf des Beklagten, es habe sich bei der Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank um einen derart komplexen Vorgang gehandelt, dass die Geschäftsführer ihre Mitarbeiter bei der Ausführung quasi hätten begleiten müssen, sei insofern entschieden zurückzuweisen. Zum einen sei die Anweisung einer Überweisung ein ganz alltäglicher Vorgang. Zum anderen verkenne der Beklagte bei seiner Argumentation, dass es sich bei der A-Unternehmensgruppe um einen Großkonzern und nicht um einen Kleinbetrieb gehandelt habe. Die vom Beklagten eingeforderte persönliche Kontrolle der Mitarbeiter durch die Geschäftsführung sei weder angemessen noch realitätsgerecht. Erst Recht seien die Geschäftsführer eines Konzernunternehmens nicht verpflichtet, entsprechende Überweisungen selbst auszuführen. Im Übrigen merkt der Kläger noch an, dass er sich im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung der besonderen Sachkunde einer renommierten Sanierungs- und Insolvenzkanzlei bedient habe. Insgesamt hätten er und sein Mitgeschäftsführer „alles Menschenmögliche“ getan, um die Überweisung der streitbefangenen Lohnsteuer sicherzustellen.
52Der Kläger vertritt die Ansicht, dass sich seine steuerlichen Pflichten alleine darauf beschränkt hätten, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen um die Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten. Dieser Pflicht seien die Geschäftsführer nachgekommen. Dass der Insolvenzverwalter der Aufforderung letztlich nicht gefolgt sei, falle nicht in die Pflichtensphäre der Geschäftsführer. Rechtliche Schritte der Geschäftsführer gegenüber dem Insolvenzverwalter seien nicht zu erwarten gewesen (Hinweis auf BFH, Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris).
53Schließlich macht der Kläger geltend, dass selbst bei der vom Beklagten eingeforderten Überwachung der Mitarbeiter und bei einer erfolgten Entrichtung der Lohnsteuer ebenfalls ein Schaden entstanden wäre. Denn es sei davon auszugehen, dass der Insolvenzverwalter die Zahlung gemäß § 130 Abs. 1 InsO angefochten hätte. Folglich wäre eine unterstellte Pflichtverletzung der Geschäftsführer für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer nicht ursächlich geworden.
54Was die Höhe der Haftungsschuld angeht, so trägt der Kläger wie folgt vor: Der in der Lohnsteueranmeldung ausgewiesene Betrag i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR berücksichtige neben der Lohnsteuer, die auf die am 26.09.2009 ausgezahlten Gehälter der Angestellten entfalle, auch die Lohnsteuer, die für die Nettolöhne der Arbeiter einzubehalten und abzuführen gewesen wäre. Da diese Gehälter aber gar nicht mehr ausgezahlt worden seien, scheide eine Haftung von vorneherein aus.
55Schließlich führt der Kläger hilfsweise aus, dass die Reduzierung der Säumniszuschläge auf den hälftigen Betrag rechtswidrig sei. Die Säumniszuschläge hätten aufgrund der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der A-KG bzw. der A-GmbH ihren Zweck als Druckmittel verloren. Dementsprechend seien sie in voller Höhe aus Gründen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen. Dies gelte nicht nur für die Hauptschuld, sondern aufgrund der Akzessorietät auch für die Haftungsschuld. Darüber hinaus gelte für die Säumniszuschläge der Grundsatz der anteiligen Tilgung. Die allgemeine Tilgungsquote bei der A-GmbH bzw. bei der A-KG liege jedoch keinesfalls bei 100%.
56Der Kläger beantragt,
57den Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 aufzuheben,
58hilfsweise die Revision zuzulassen.
59Der Beklagte beantragt,
60die Klage abzuweisen,
61hilfsweise die Revision zuzulassen.
62Der Beklagte nimmt im Rahmen seiner Gegenäußerung Bezug auf die Einspruchsentscheidung. Vertiefend und ergänzend weist er darauf hin, dass der Kläger sich nicht lediglich darauf berufen könne, entsprechende Mittel zur Begleichung der streitbefangenen Lohnsteuer bereit gehalten zu haben. Vielmehr habe eine faktische Entrichtungsverpflichtung bestanden. Gerade der erfolglose Zahlungsversuch vom 08.04.2009 zeige, dass der Kläger für die besondere Krisensituation eben keine hinreichenden Vorkehrungen zur Erfüllung der Lohnsteuerschuld getroffen habe. Die Geschäftsführer hätten es beispielsweise versäumt, die für die Lohnsteuerzahlung eingeplanten und auf das Konto bei der P-Bank transferierten Gelder mit einer entsprechenden Verfügungsbeschränkung zu versehen und von den anderen Geldern zu trennen.
63Der Kläger könne sich auch nicht mit dem Fehlverhalten seiner Mitarbeiter entschuldigen. Durch die unterlassene fortgesetzte Kontrolle seiner Mitarbeiter habe sich der Kläger pflichtwidrig verhalten. Dies gelte umso mehr, als es im Streitfall entscheidend darauf angekommen sei, dass bis zum Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung gezahlt werde. Dem Kläger sei bewusst gewesen, dass er aufgrund des selbst gestellten Insolvenzantrages nur bis spätestens zum 08.04.2009 die alleinige Verfügungsmacht über die Konten der A-GmbH inne gehabt habe. Um die Erfüllung der Lohnsteuerschuld bis zu diesem Zeitpunkt zu gewährleisten, hätte der Zahlungsvorgang deshalb in besonderem Maße überwacht und begleitet werden müssen. Die Geschäftsführer dagegen seien am Morgen des 08.04.2009 mit der festen Überzeugung zum Insolvenzgericht gegangen, dass die Lohnsteuer bereits am 07.04.2009 vom „sicheren“ P-Bank-Konto entrichtet worden sei. Diese Überzeugung hätten sie aber nur haben dürfen, wenn die Einhaltung der erteilten Weisung zur Lohnsteuerzahlung zuvor kontrolliert worden wäre. Die Geschäftsführer hätten den Insolvenzantrag also letztlich gestellt, ohne die tatsächliche Zahlung der Lohnsteuer zuvor geprüft zu haben. Gerade darin sei die Pflichtverletzung zu sehen. In diesem Zusammenhang führt der Beklagte nochmals explizit aus, dass grundsätzlich zwar keine Pflicht zur Leistung von Steuerschulden vor dem gesetzlichen Fälligkeitstermin bestehe. Im Streitfall hätten die Geschäftsführer der A-GmbH den Fälligkeitszeitpunkt jedoch selbst bewusst „vorverlegt“, indem sie den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hätten. Durch den damit verbundenen Verlust der alleinigen Verfügungsmacht über das Vermögen der Gesellschaft sei es den Geschäftsführern nunmehr nicht mehr möglich gewesen, ihren steuerlichen Pflichten nachzukommen. Über die Pflichterfüllung in Form der Lohnsteuerzahlung hätten sie sich vorher Gewissheit verschaffen müssen. Im Rahmen der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei insofern anerkannt, dass die gesetzlich ohnehin bestehende Lohnsteuerentrichtungspflicht in Zeiten wirtschaftlicher Krisen nochmals mit einer besonderen (gesteigerten) Sorgfaltspflicht einhergehe (Verweis auf BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 11.11.2008, VII R 19/08, juris).
64Im Zusammenhang mit dem Verhalten der Geschäftsführer rund um den P-Bank-Überweisungsauftrag weist der Beklagte ferner auf einen weiteren Aspekt hin: Die Anweisung der Mitarbeiter, von dem P-Bank-Konto insgesamt die streitgegenständliche Lohnsteuer, die Löhne der Arbeiter in YYY und XXX sowie jeweils 3XX.XXX,- EUR an verbundene ausländische Unternehmen zu zahlen, hätte insgesamt ein Kapital von 5.8XX.XXX,- EUR erforderlich gemacht. Auf dem Konto bei der P-Bank hätten sich aufgrund der beiden Transfers vom 06. und 07.04.2009 aber nur 4.650.000,- EUR befunden. Bereits in der untauglichen Zahlungsanweisung sei eine Pflichtverletzung der Geschäftsführer zu sehen. Die Geschäftsführer wären in der außergewöhnlichen Situation aber verpflichtet gewesen, durch konkrete Maßnahmen sicherzustellen, dass jedenfalls die streitbefangene Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung aus den bei der P-Bank deponierten Mitteln beglichen werde. Da sie die konkrete Umsetzung des untauglichen Auftrags anderen Personen überließen, seien sie bewusst das Risiko der Nichterfüllung des Auftrags eingegangen. Die späteren Bemühungen der Geschäftsführer, auf den vorläufigen Insolvenzverwalter einzuwirken und diesen zur Zahlung der Lohnsteuer aufzufordern, seien insofern nicht mehr erheblich.
65Der erkennende Senat hat am 03.03.2016 mündlich in der Sache verhandelt. Dabei ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen Dr. Z. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des übrigen Inhalts der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
66Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
67Entscheidungsgründe:
68Die Klage ist zulässig und begründet.
69Der Haftungsbescheid vom 28.05.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.06.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in dessen Rechten. Der Haftungsbescheid war daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
70Der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung sind bereits deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte dem Grunde nach zu Unrecht von einer Haftung des Klägers auf der Grundlage des § 69 S. 1 AO ausgegangen ist (dazu nachfolgend unter I.).
71Darüber hinaus sind die Ausführungen des Beklagten im Hinblick auf die Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner unvollständig. Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ausübung des Auswahlermessens i.S. des § 191 Abs. 1 S. 1 AO werden insoweit nicht erfüllt. Aufgrund dieses Begründungsmangels ist der Haftungsbescheid (formell) rechtswidrig und ebenfalls aufzuheben (dazu nachfolgend unter II.).
72Schließlich ist der Haftungsbescheid noch in Bezug auf die erhobenen Säumniszuschläge rechtswidrig (dazu nachfolgend unter III.)
73I. Die materiellen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Klägers gemäß § 69 S. 1 i.V. mit § 34 Abs. 1 AO liegen schon dem Grunde nach nicht vor. Der Kläger hat in seiner Funktion als gesetzlicher Vertreter der A-KG weder die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer nebst Annexabgaben schuldhaft verletzt (dazu näher unter 1.) noch gegen die Verpflichtung zur sog. Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen (dazu näher unter 2.). Ob der Kläger über die reine Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus verpflichtet war, geeignete Maßnahmen zur Abführung der Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung und damit vor dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu ergreifen, braucht der erkennende Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn der Kläger hat aus der Sicht des Gerichts entsprechende Maßnahmen eingeleitet und sich auch insofern nicht pflichtwidrig verhalten (dazu näher unter 3.). Dem Kläger kann auch nicht der Vorwurf einer unterlassenen oder pflichtwidrigen Überwachung seiner Mitarbeiter gemacht werden. Im Übrigen wäre eine Überwachungspflichtverletzung auch nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden (dazu unter 4.). Schließlich kann dem Kläger auch ansonsten kein schuldhaftes pflichtwidriges Verhalten angelastet werden, etwa in Form eines unterlassenen Einwirkens auf die D-Bank (dazu unter 5.).
741. Den Kläger traf als gesetzlicher Vertreter der A-KG zwar grundsätzlich die Pflicht, die von der Gesellschaft als Arbeitgeberin im Zusammenhang mit der Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 geschuldete Lohnsteuer aus den von ihm verwalteten Mitteln spätestens bis zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zu entrichten. Die in der Nichtentrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit ist dem Kläger aber in subjektiver Hinsicht nicht vorzuwerfen. Er hat in Bezug auf die Nichtabführung der Lohnsteuer im Streitfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig und damit insgesamt nicht schuldhaft gehandelt.
75a. Gemäß § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß § 69 S. 1 AO haften die in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Zu den potentiellen Haftungsschuldner gehören u.a. die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen (§ 34 Abs. 1 AO). Die Geschäfte einer Kommanditgesellschaft werden grundsätzlich durch die Komplementär-GmbH geführt. Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbHG). Im Falle einer mit der Geschäftsführung betrauten Komplementär-GmbH ist der Geschäftsführer in dieser Funktion auch dazu verpflichtet, die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 27.06.1989, VIII R 73/84, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, München 2014, § 34 AO Rz. 8).
76Gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO haben sie insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Bezogen auf das Lohnsteuerabzugsverfahren bedeutet dies, dass der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH diejenigen lohnsteuerrechtlichen Pflichten zu erfüllen hat, die der von ihm vertretenen KG als Arbeitgeberin obliegen, insbesondere die auf § 38 Abs. 3 und § 41a Abs. 1 EStG beruhende Pflicht, bei jeder Lohn- und Gehaltszahlung die darauf entfallende Lohnsteuer für die Arbeitnehmer und Angestellten der Gesellschaft einzubehalten und zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen.
77Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO setzt neben einem (für den eingetretenen Haftungsschaden ursächlichen) objektiv pflichtwidrigen Verhalten der in den §§ 34 und 35 AO genannten Personen in subjektiver Hinsicht entweder Vorsatz oder zumindest grobe Fahrlässigkeit voraus. Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen oder die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt. Eine Haftung kommt demnach nur bei „gravierenden Sorgfaltspflichtverletzungen“ in Betracht (vgl. BFH, Urteil v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04 juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 23 ff., 26 m.w.N.; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 32).
78Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und abzuführender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines GmbH-Geschäftsführers dar. Die in der Nichtabführung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung indiziert im Allgemeinen den subjektiven Schuldvorwurf (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 27.02.2007, VII R 67/05, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 25.07.2003, VII B 240/02, juris; FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 40).
79Zahlungsschwierigkeiten oder Zahlungsunfähigkeit ändern nach dieser Rechtsprechung weder etwas an der Pflicht des gesetzlichen Vertreters zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung dieser steuerlichen Pflichten aus. Reichen die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der arbeitsrechtlich geschuldeten Löhne und Gehälter einschließlich des darin enthaltenen Steueranteils nicht aus, so darf der gesetzliche Vertreter die Löhne und Gehälter nur entsprechend gekürzt auszahlen und muss aus den dadurch übrig bleibenden Mitteln die auf die gekürzten (Netto-)Löhne bzw. (Netto-)Gehälter entfallende Lohnsteuer an den Fiskus abführen (vgl. BFH, Urteile v. 20.04.1982, VII R 96/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschluss v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 71 ff.).
80Die bloße Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, vermag den gesetzlichen Vertreter nicht von seiner grundsätzlichen Verpflichtung zur Lohnsteuerentrichtung bzw. von dem Erfordernis einer entsprechenden Lohn- und Gehaltskürzung zu befreien. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht insofern zum Ausschluss eines Verschuldens nicht aus. Allenfalls eine plötzliche und unvorhersehbare Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft kann im Einzelfall zu einer Exkulpation des gesetzlichen Vertreters führen (vgl. BFH, Beschlüsse v. 01.02.2000, VII B 256/99, juris; v. 24.03.2004, VII B 317/03, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris; FG München, Urteil v. 15.12.2008, 15 K 4118/07, juris).
81Nach alledem ist der gesetzliche Vertreter einer KG auch bzw. gerade während des Bestehens einer wirtschaftlichen Krise (bei Liquiditätsschwierigkeiten) verpflichtet, die aus einer Lohn- und Gehaltsauszahlung resultierenden Steuern und Annexabgaben pünktlich an die Staatskasse zu entrichten. Die Pflicht erschöpft sich dabei nicht in der bloßen Hingabe eines Schecks oder der Erteilung einer Einzugsermächtigung. Vielmehr hat der gesetzliche Vertreter darüber hinaus auch sicherzustellen, dass ein hingegebener Scheck tatsächlich eingelöst bzw. die Steuerschuld aufgrund einer Einzugsermächtigung tatsächlich eingezogen werden kann; er hat mithin regelmäßig dafür Sorge zu tragen, dass die Steuerschuld i.S. des § 224 Abs. 1 AO de facto getilgt wird (vgl. BFH, Beschluss v. 19.03.1999, VII B 158/98, juris).
82Diesen strengen Haftungsmaßstab leitet der BFH zu Recht aus den einkommensteuerlichen Regelungen zur Vornahme des Lohnsteuerabzugs her. Die Pflicht zum Einbehalt und zur Abführung der Lohnsteuer obliegt dem Arbeitgeber, im Streitfall also der A-KG. Sowohl aus der Sicht der A-KG als Arbeitgeber als auch aus der Sicht des geschäftsführenden Klägers handelt es sich bei dem einbehaltenen Anteil des Bruttoarbeitslohns um eine fremde Schuld, für deren treuhänderische Verwaltung und spätere ordnungsgemäße Abführung Sorge zu tragen ist (vgl. BFH, Urteile v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 15.04.1987, VII R 160/83, juris; v. 12.07.1988, VII R 108-109/87, juris; Beschlüsse v. 08.05.2001, VII B 252/00, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar, § 69 AO Rz. 71).
83Der aufgezeigte strenge Haftungsmaßstab bei der Lohnsteuer schließt es jedoch nicht aus, dass besondere, vom gesetzlichen Vertreter glaubhaft zu machende Gründe die in der Nichtentrichtung der Lohnsteuer liegende objektive Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen können. Dies folgt schon aus dem gesetzlichen Charakter des § 69 S. 1 AO, der keinen Erfüllungstatbestand, sondern lediglich einen Haftungstatbestand darstellt. Die Haftung setzt in subjektiver Hinsicht die schuldhafte Verletzung einer steuergesetzlich definierten Pflicht voraus, d.h. der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO kann sich im Einzelfall exkulpieren (vgl. BFH, Urteile v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris; v. 23.09.2008, VII R 27/07, juris; Beschlüsse v. 21.12.1998, VII B 175/98, juris; v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; s.a. FG Köln, Urteil v. 25.02.2014, 10 K 2954/10, juris).
84b. Gemessen an diesen Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Kläger nach Ansicht des erkennenden Senats mit der Nichtabführung der Lohnsteuer zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zwar objektiv eine Pflichtverletzung begangen, allerdings subjektiv nicht schuldhaft gehandelt.
85Der Kläger war in seiner Funktion als Geschäftsführer der A-Verwaltungs-GmbH in XXX (Komplementärin der KG) im Grundsatz dazu verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten der KG zu besorgen und die Steuern für die Gesellschaft aus den von ihm verwalteten Mitteln zu entrichten. Der zwischen der A-KG und der A-GmbH in YYY geschlossene Betriebspachtvertrag vom 24.09.1998 hat im Ergebnis keinen negativen Einfluss auf diese grundsätzliche Pflichtenstellung des Klägers. Denn gleichzeitig mit der Verpachtung des Betriebes der A-KG an die A-GmbH ist mit Betriebsführungsvertrag vom selben Tage die Betriebsführung an die A-KG zurück übertragen worden (folglich übte die A-KG gegenüber den in ihrem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberfunktion aus). Die zur Betriebsführung notwendigen Aufwendungen waren der A-KG von der A-GmbH (an deren Geschäftsführung der Kläger ebenfalls beteiligt war) zu erstatten. Demnach hätte der Kläger als (mit-)verantwortlicher Geschäftsführer der A-KG nötigenfalls auf die A-GmbH tatsächlich und rechtlich einwirken müssen, um seiner Verpflichtung zur Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG ordnungsgemäß nachzukommen.
86Der Kläger war insbesondere dazu verpflichtet, die auf die Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 durch die A-KG als Arbeitgeberin entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben bis zum 14.04.2009 als gesetzlichem Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen (der eigentliche gesetzliche Fälligkeitstermin am 10.04.2009 fiel auf den Karfreitag, die Frist des § 41a Abs. 1 S. 1 EStG endete daher erst am Dienstag, den 14.04.2009, als dem nächstfolgendem Werktag, vgl. § 108 Abs. 3 AO).
87Dieser Verpflichtung ist der Kläger objektiv weder fristgerecht noch überhaupt nachgekommen. Die streitgegenständliche Lohnsteuer ist weiterhin offen. Die Nichtabführung der Lohnsteuer durch den Kläger erfolgte jedoch nicht schuldhaft. Sie beruht vielmehr auf zwei äußeren Umständen tatsächlicher bzw. rechtlicher Natur, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte bzw. die ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zugerechnet werden können. Dies sind zum einen die Nichtausführung des vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor Insolvenzantragsstellung veranlassten Auftrags zur (fristgerechten) Überweisung der Lohnsteuer durch die D-Bank am 08.04.2009 (dazu weiter unter aa.) sowie zum anderen der Umstand, dass der am selben Tage eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, aufgrund dessen Bestellung der Kläger seine Befugnis, über das Vermögen der A-KG und der A-GmbH uneingeschränkt zu verfügen, verloren hatte, einer Abführung der Lohnsteuer in der Folgezeit widersprochen hat (dazu weiter unter bb.).
88aa. Seiner Pflicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer wollte der Kläger dadurch nachkommen, dass er den Mitarbeitern des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH die Anweisung erteilte, die Lohnsteuer aus vorhandenen Mitteln der A-GmbH noch vor der Stellung des Insolvenzantrags an das Finanzamt zu überweisen. Der genaue Inhalt der Anweisung (Überweisung vom P-Bank-Konto, Überweisung vom Konto bei der D-Bank oder Überweisung ohne nähere Bestimmung) ist für die (Vor-)Frage, ob der Kläger in subjektiver Hinsicht überhaupt die Bereitschaft hatte, die arbeitgeberrechtlichen Pflichten der A-KG im Lohnsteuerabzugsverfahren zu erfüllen, nicht entscheidend (zur Frage der Geeignetheit der klägerischen Anweisung vgl. Gliederungspunkt I.3.). Die Mitarbeiter der A-GmbH haben der klägerischen Anweisung dem Grunde nach Folge geleistet und der D-Bank am Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr (mithin noch vor der Stellung des Insolvenzantrags) einen konkreten Überweisungsauftrag zur Zahlung der Lohnsteuer erteilt. Hätte die D-Bank diesen Auftrag weisungsgemäß ausgeführt, wäre es zu einer rechtzeitigen Tilgung der Lohnsteuerschulden gekommen. Der Kläger durfte auch davon ausgehen, dass eine solche Tilgung eintreten wird, denn die A-GmbH verfügte im Anweisungszeitpunkt über die entsprechenden Mittel zur Lohnsteuerzahlung und konnte – jedenfalls bis zur Insolvenzantragsstellung – in rechtlicher Hinsicht auch noch uneingeschränkt über diese Mittel verfügen (die Guthaben auf den Konten bei der P-Bank und bei der D-Bank beliefen sich am Abend des 07.04.2009 addiert auf ca. 7.XXX.XXX,- EUR). Dass es letztlich nicht zu der beabsichtigten Entrichtung der Lohnsteuer kam, hat seinen Grund in der Entscheidung der D-Bank, den durch die A-GmbH erteilten Überweisungsauftrag nicht (mehr) auszuführen. Die Anweisung des Klägers zur Zahlung der Lohnsteuer ist damit zunächst durch äußere Umstände, hier das tatsächliche Verhalten eines Dritten (der D-Bank), vereitelt worden. Für das Handeln dritter Personen (Hilfspersonen) muss der gesetzliche Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO aber nicht ohne weiteres einstehen. Es ist ihm unter dem Aspekt des Verschuldens nicht zuzurechnen. Auf den Rechtsgedanke des § 278 BGB kann im Anwendungsbereich des § 69 S. 1 AO nicht zurückgegriffen werden (zutreffendLoose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27).
89Von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank verbunden mit der gleichzeitigen „Einziehung des Guthabens“ durch die bankinterne Abteilung „Risk Management“ hat der Kläger nach seinem glaubhaftem und seitens des Beklagten nicht bestrittenen Vortrag erst nach der Stellung des Insolvenzantrages erfahren (bei der Rückkehr vom Insolvenzgericht in das Unternehmen im Laufe des 08.04.2009). Zu diesem Zeitpunkt hatte das Insolvenzgericht allerdings bereits die vorläufige Verwaltung des Vermögens der A-KG und der A-GmbH angeordnet und bestimmt, dass Verfügungen beider Gesellschaften nur noch mit Zustimmung des mit sofortiger Wirkung bestellten vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
90bb. Ab dem Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters war der Kläger sodann durch eine rechtliche Barriere an der Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer gehindert. Zwar hat das Insolvenzgericht bezogen auf die A-KG und die A-GmbH kein allgemeines Verfügungsverbot ausgesprochen, wodurch die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter übergegangen wäre (Fall des sog. „starken Insolvenzverwalters“). Das Insolvenzgericht hat aber einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt (sog. „schwacher Insolvenzverwalter“). Diesen vorläufigen Insolvenzverwalter hat es im Wege der Einzelanordnung mit einem sog. Zustimmungsvorbehalt ausgestattet (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Gleichzeitig hat es weitere Maßnahmen ergriffen und den vorläufigen Insolvenzverwalter etwa zur Einziehung von Forderungen, zur Sicherung und Erhaltung des Vermögens sowie zur Fortführung des Unternehmens (gemeinsam mit den Antragstellern) ermächtigt (§ 22 Abs. 2 InsO). Die Wirksamkeit von Verfügungen der Insolvenzschuldnerinnen (A-KG und A-GmbH) war von diesem Zeitpunkt an von der Zustimmung eben dieses vorläufigen Insolvenzverwalters abhängig. Durch die diversen Einzelanordnungen des Insolvenzgerichts ist die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers in seiner Funktion als Geschäftsführer bezogen sowohl auf die A-KG als auch auf die A-GmbH erheblich eingeschränkt worden. Praktisch wurde die Verwaltungs- und Verfügungsmacht im Hinblick auf den Geschäftsbetrieb und das Vermögen der beiden Gesellschaften auf den Insolvenzverwalter übertragen, denn dem Insolvenzverwalter war eine Stellung eingeräumt, die ihn in die Lage versetzte, die Zugriffsmöglichkeiten der Geschäftsführer auf noch vorhandene Mittel der Gesellschaften wesentlich einzuschränken (Form des sog. „halbstarken Insolvenzverwalters“). Folgerichtig wird ein entsprechender Zustimmungsvorbehalt des vorläufigen Insolvenzverwalters dem allgemeinen Verfügungsverbot in der zivilrechtlichen Praxis weitgehend gleichgestellt (vgl. Uhlenbrock, Insolvenzordnung14, München 2015, § 21 InsO Rz. 24).
91Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist vor allem berechtigt, die Genehmigung von Überweisungsaufträgen und von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu verhindern (vgl. BGH, Urteil v. 04.11.2004, IX ZR 22/03, juris; v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Von dieser Befugnis hat der vorläufige Insolvenzverwalter auch im Streitfall Gebrauch gemacht. Der mehrfachen Aufforderung des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zur Entrichtung der streitgegenständlichen Lohnsteuer ist er nicht nachgekommen. Die Bemühungen der beiden Geschäftsführer, den vorläufigen Insolvenzverwalter zur Zahlung der offenen Lohnsteuer anzuhalten, sind im Ergebnis erfolglos geblieben. Nach Auffassung des Senats kann dem Kläger in dieser Situation nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe die Abführung der Lohnsteuer grob fahrlässig unterlassen. Denn auch wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des gesetzlichen Vertreters einer KG bzw. einer GmbH nicht vollständig einschränken, wären entsprechende Überweisungsaufträge des Klägers und seines Mitgeschäftsführers zum Zwecke der Entrichtung der offenen Lohnsteuer nach dem Ergehen der Beschlüsse des Insolvenzgerichts in Anbetracht des Zustimmungsvorbehalts zunächst schwebend und ab dem Zeitpunkt der endgültigen Verweigerung der Zustimmung durch den vorläufigen Insolvenzverwalter dann absolut unwirksam gewesen. Angesichts dieser rechtlichen Wirkungen ist in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass die Haftung des Geschäftsführer einer GmbH für rückständige Lohnsteuern i.S. des § 69 S. 1 AO nicht nur in Fällen eines allgemeinen Verfügungsverbotes ausgeschlossen ist (vgl. dazu BFH, Urteil v. 17.11.1992, VII R 13/92, juris), sondern jedenfalls auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Verfügungen der von ihm vertretenen Gesellschaft unter dem Vorbehalt der Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters stehen und Letzterer einer entsprechenden Anweisung zur Zahlung der Lohnsteuer durch den Geschäftsführer nicht zustimmt (vgl. BFH, Urteil v. 05.06.2007, VII R 19/06, juris; Beschluss v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; FG Schleswig Holstein, Beschluss v. 25.05.2004, 5 V 85/04, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 12 und 43a).
92Aus der Sicht des Senats kann dem Kläger auch nicht der Vorwurf gemacht werden, den vorläufigen Insolvenzverwalter schriftlich erst am 24.05.2009 und damit nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer aufgefordert zu haben. Denn zum einen haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer den vorläufigen Insolvenzverwalter zuvor bereits mündlich erfolglos um Überweisung der Lohnsteuer gebeten (davon geht auch das beklagte Finanzamt aus, vgl. Aktenvermerk v. 24.05.2011 und vom 07.06.2011, Bl. 120 ff. und 129 ff. der Rechtsbehelfsakte). Zum anderen hat der vorläufige Insolvenzverwalter das schriftliche Ersuchen der Geschäftsführer mit Schreiben vom 12.05.2009 mit Nachdruck abgelehnt (und zwar mit dem Argument, dass der Lohnsteueranmeldungszeitraum März 2009 vor der Insolvenzantragsstellung liege und er sich im Falle der Zustimmung der Gläubigerbegünstigung strafbar machen würde). In Anbetracht dessen muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass auch eine vor dem Fälligkeitszeitpunkt erteilte schriftliche Aufforderung der Geschäftsführer zur Lohnsteuerzahlung durch den Insolvenzverwalter negativ beschieden worden wäre. Ein entsprechendes pflichtwidriges Verhalten des Klägers wäre insofern jedenfalls nicht kausal für den Eintritt des Haftungsschadens.
93Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, nicht weiter auf den vorläufigen Insolvenzverwalter eingewirkt bzw. keine rechtlichen Schritte ihm gegenüber ergriffen zu haben. Der gesetzliche Vertreter, der eine durch den vorläufigen Insolvenzverwalter ausgesprochene Zustimmungsverweigerung (zunächst) akzeptiert, verletzt nach der Rechtsprechung des BFH seine Pflichten im Regelfall gerade nicht grob fahrlässig (vgl. BFH, Urteil v. 03.12.2004, VII B 178/04, juris; Beschluss v. 19.10.2010, VII B 190/09, juris; s.a. FG Münster, Urteil v. 02.07.2009, 10 K 1549/08, juris). Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Verhalten des vorläufigen Insolvenzverwalters offensichtlich geltendem Recht widerspricht. Dafür bietet der Streitfall jedoch keine Anhaltspunkte.
94Ein anderes Ergebnis folgt schließlich auch nicht aus den Entscheidungen des BFH vom 23.09.2008 (VII R 27/07, juris) und des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 (10 K 2954/10, juris). Zwar wird in den Leitsätzen beider Entscheidungen ausdrücklich betont, dass alleine der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt den Geschäftsführer einer GmbH nicht von der Lohnsteuerhaftung befreien. Bei genauer Betrachtung sind die entschiedenen Sachverhalte aber mit dem Streitfall nicht vergleichbar. Dem Urteil des BFH vom 23.09.2008 lag zugrunde, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erst am Tag der Fälligkeit der Lohnsteuer gestellt und der vorläufige Insolvenzverwalter erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (einen Monat später) bestellt worden ist. Folgerichtig musste der Geschäftsführer im Urteilsfall haften, da ihm die Verfügungsmacht über die Mittel der Gesellschaft bis zum Fälligkeitstermin gerade nicht entzogen war. In der Entscheidung des Finanzgerichts Köln vom 25.02.2014 war der vorläufige Insolvenzverwalter bereits zum Zeitpunkt der Lohnzahlung bestellt worden, so dass dem Geschäftsführer jedenfalls der Vorwurf zu machen war, er habe unter diesen Umständen gar keine Löhne mehr auszahlen dürfen.
95c. Das beklagte Finanzamt scheint dagegen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens von einer „faktischen Entrichtungspflicht“ des Klägers in Bezug auf die rückständige Lohnsteuer der A-KG für März 2009 auszugehen. Dies wird aus der argumentativen Verwendung von Begriffen wie „Grundpflicht“, „Garantenstellung“, „Garantenpflicht“ und „Garantiepflicht“ sowie aus dem Umstand deutlich, dass dem Kläger vorgehalten worden ist, er habe gerade keinen „wirksamen Zahlungsauftrag“ erteilt und „alleine die Vorsorge für eine Kontodeckung am Fälligkeitstag reiche nicht aus, wenn die Erfüllung der Pflicht nicht zur Tilgung der Steuerschuld führe“. Aus der Sicht des Senats verkennt das Finanzamt insofern den rechtlichen Charakter des Haftungstatbestandes. Die Haftung gemäß § 69 S. 1 AO knüpft nicht an den objektiv fehlenden Erfolgseintritt (die Nichtentrichtung einer Steuer), sondern an eine subjektiv vorwerfbare Pflichtverletzung an. Der Haftungstatbestand ist seinem Wesen nach gerade nicht als „Garantiehaftung“, sondern verschuldensabhängig ausgestaltet. Nichts anderes folgt aus der seitens des Beklagten mehrfach in Bezug genommenen Entscheidung des BFH vom 19.03.1999 (VII B 158/98, juris). Der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt weicht schon insofern ganz entscheidend vom Streitfall ab, als die Fälligkeit der rückständigen Lohnsteuer im Urteilsfall bereits vor dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens lag. Der Geschäftsführer musste im Urteilsfall haften, weil er schon seiner Verpflichtung zur pünktlichen Entrichtung der Lohnsteuer nicht nachgekommen war. Dass darüber hinaus der hingegebene Scheck später „platzte“, mithin endgültig nicht zu einer Befriedigung des Finanzamts geführt hat, kam ergänzend hinzu. Im vorliegenden Fall dagegen war die rückständige Lohnsteuer erst zum 14.04.2009 fällig. Der Verlust der alleinigen Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers durch die Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt ist bereits zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten. Daher kann dem Kläger in Bezug auf die Nichtentrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitszeitpunkt kein Verschulden zur Last gelegt werden.
962. Der Kläger ist seiner allgemein anerkannten Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge in ausreichendem Umfang nachgekommen. Ein haftungsbegründendes Verhalten ist aus der Sicht des Senats insoweit nicht erkennbar.
97a. Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen haben gemäß § 34 Abs. 1 S. 2 AO für die fristgerechte Entrichtung von Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln Sorge zu tragen. Sie trifft insofern zwar keine „echte Garantie“ zur Erfüllung des staatlichen Steueranspruchs, aber eine sog. Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht. Nach ständiger Rechtsprechung kann von den gesetzlichen Vertretern bereits vor Fälligkeit einer Steuer verlangt werden, vorausschauend zu planen und - insbesondere in Zeiten der Krise – die notwendigen finanziellen Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereitzuhalten (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 28.06.2005, I R 2/04, juris; v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 11.11.2015, VII B 74/15, juris; FG Berlin, Beschluss v. 12.09.2003, 9 B 9470/02, juris; FG Münster, Urteil v. 03.05.2000, 5 K 2907/99, juris; FG Köln, Urteil v. 17.06.2009, 11 K 3017/05, juris; FG Saarland, Urteil v. 14.12.2011, 2 K 1564/09, juris; FG München, Urteile v. 22.05.2012, 2 K 3459/09, juris; v. 22.02.2010, 14 K 3114/08, juris; FG Hamburg, Urteil v. 16.07.2014, 3 K 240/13, juris; Sächsisches FG, Urteil v. 24.09.2014, 8 K 1883/12, juris; aus dem Schrifttum: Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 34 ff., 37 und 40; Jatzke in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 f.).
98Die Pflicht zur Vermögens- und Mittelvorsorge hat im Lohnsteuerrecht eine besondere Ausprägung gefunden. Die gesetzlichen Vertreter haben grundsätzlich (mit Ausnahmen besonderer, nicht vorhersehbarer bzw. nicht verschuldeter Ereignisse) dafür Sorge zu tragen, dass die auf ausgezahlte Löhne und Gehälter entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben aus treuhänderisch verwalteten Mitteln der von ihnen vertretenen Arbeitgeber spätestens im Fälligkeitszeitpunkt entrichtet werden. Die gesetzliche Konstruktion des Lohnsteuerabzugsverfahrens, die darin besteht, die Lohnsteuer bereits mit der Auszahlung der Löhne und Gehälter einzubehalten und erst später - zum gesetzlichen Fälligkeitstermin - an das Finanzamt abzuführen ist (zeitliches Auseinanderfallen zwischen Einbehaltung und Abführung), sowie der besondere Umstand, dass es sich bei dem vom Arbeitslohn einbehaltene Steueranteil um fremdes Kapital der Arbeitnehmer handelt, lassen die Anforderungen an die Vermögens- und Mittelvorsorge steigen. Daher bemisst sich die Haftungsquote bei der Lohnsteuer nicht nach dem möglichen Umfang einer anteiligen Befriedigung aller Gläubiger (Grundsatz der anteiligen Tilgung), sondern nach der auf die tatsächlich ausgezahlten (Netto-)Löhne und (Netto-)Gehälter entfallenden Lohnsteuer (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 55 ff., 71).
99Von den gesetzlichen Vertretern der Arbeitgeber kann daher im Einzelfall eine realistische Prognoseentscheidung sowie eine darauf basierende treuhänderische Vermögensverwaltung dahingehend erwartet werden, ob und dass ihnen ausreichende Mittel für die Abführung der mit den ausgezahlten Löhnen und Gehältern korrespondierenden Lohnsteuer und Annexabgaben im Fälligkeitszeitpunkt zur Verfügung stehen werden. Fällt diese Prognose negativ aus, dürfen die Löhne und Gehälter nur anteilig ausgezahlt werden. Dabei wird man gerade in Zeiten der wirtschaftlichen Krise (Liquiditätsschwierigkeiten, Zahlungsengpässe, drohende Zahlungsunfähigkeit, bevorstehende Insolvenz etc.) erhöhte Anforderungen an die Begründetheit einer solchen Finanzplanung (Prognose und Mittelvorsorge) stellen müssen.
100b. Im Streitfall sind aus der Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer gegen die skizzierte Verpflichtung zur Vermögens- und Mittelvorsorge verstoßen haben. Die A-GmbH, die der A-KG auf der Grundlage des Betriebsführungsvertrages vom 24.09.1998 zum Ausgleich ihrer Aufwendungen verpflichtet war, verfügte ausweislich der Gerichts- und Verwaltungsakten sowohl im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 an die Angestellten der A-KG (26.03.2009) als auch im Folgezeitraum bis zur Stellung des Insolvenzantrags (08.04.2009) und sogar im gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt (14.04.2009) noch über die erforderlichen Mittel, um die gegenüber dem Finanzamt angemeldete Lohnsteuer nebst Annexabgaben i.H. von 1.XXX.XXX,- EUR zu entrichten (Verweis auf die Kontoauszüge der D-Bank, Bl. 87 ff. der Haftungsakte). Am Tage der Insolvenzantragsstellung belief sich der Habensaldo auf dem Konto bei der D-Bank auf über 7.9XX.XXX,- EUR. Gleiches gilt für den Habensaldo am Tage der Fälligkeit der Lohnsteuer. Nicht erforderlich ist nach Auffassung des Senats dagegen, dass entsprechende Mittel für die Lohnsteuerzahlung zu jeder Zeit zwischen der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 und dem Fälligkeitszeitpunkt am 14.04.2009 hätten vorhanden sein müssen. Insofern ist es unschädlich, dass die Habensalden auf dem Konto bei der D-Bank an einzelnen Tagen dieses Zeitraums die Lohnsteuerschuld nicht abgedeckt hätten. Entscheidend ist lediglich, dass im Zeitpunkt der Zahlungsanweisung durch die Geschäftsführung (erfolgloser Zahlungsversuch) und im Fälligkeitszeitpunkt ausreichende Mittel zur Tilgung der Lohnsteuerschuld vorhanden waren. Denn daraus lässt sich ableiten, dass die von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer in Bezug auf die Auszahlung der Gehälter März 2009 sowie die Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer ursprünglich (im Auszahlungszeitpunkt) angestellte Prognoseentscheidung realistisch war und dass die Finanzplanung (Mittelvorsorge, geplante Entrichtung der Lohnsteuer bis zum Fälligkeitszeitpunkt) abgesehen von in tatsächlicher Hinsicht unvorhersehbaren Ereignissen (Nichtausführung des Überweisungsauftrags durch die D-Bank vor Insolvenzantragsstellung) sowie bei in rechtlicher Hinsicht fortbestehender uneingeschränkter Verwaltungs- und Verfügungsmacht (ohne die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt und dessen ausdrücklicher Weigerung zur Zahlung der Lohnsteuer) im positiven Sinne aufgegangen wäre. In Anbetracht dessen kann dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer auch nicht der Vorwurf gemacht werden, die Gehälter der Angestellten der A-KG für März 2009 ungekürzt ausgezahlt zu haben. Vielmehr deckten die im Unternehmensverbund vorhandenen Mittel auch in der Folgezeit (bis zum Fälligkeitszeitpunkt) die auf die volle Gehaltsauszahlung entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben ab.
1013. Ob der Kläger bereits vor der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens - also noch unter der Ägide seiner unbeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis - verpflichtet war, nicht nur adäquate Vermögens- und Mittelvorsorge zu betreiben, sondern darüber hinaus auch geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die eigentlich erst später fällig werdende Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, braucht der Senat im Ergebnis nicht zu entscheiden. Denn der Kläger hat solche Maßnahmen im Rahmen des rechtlich Zumutbaren tatsächlich ergriffen. Dass die entsprechenden Bemühungen letztlich nicht zum Erfolg (Entrichtung der Lohnsteuer) geführt haben, kann dem Kläger nicht als schuldhaftes Handeln vorgehalten werden.
102a. Die Pflicht der gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und der Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen zur Entrichtung von Steuern aus von ihnen zu verwaltenden Mitteln wird in temporärer Hinsicht regelmäßig durch die gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte konkretisiert. Im Grundsatz besteht keine Verpflichtung zu einer Steuerentrichtung vor Fälligkeit. Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Einzelsteuergesetze (§ 220 Abs. 1 AO). Für die Lohnsteuer ist insofern in § 41a Abs. 1 EStG normiert, dass der Arbeitgeber sie spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums an das Finanzamt abzuführen hat. Bezogen auf den Streitfall bedeutet dies, dass die Lohnsteuer für März 2009 erst am 14.04.2009 fällig war.
103Da die gesetzlichen Vertreter der A-KG nach der Stellung des Antrags auf Insolvenzeröffnung und im Anschluss an die vom Insolvenzgericht ergriffenen Maßnahmen bereits ab dem 08.04.2009 in ihrer Verwaltungs- und Verfügungsmacht erheblich beschränkt waren und der vorläufige Insolvenzverwalter seine Zustimmung zur Zahlung der Lohnsteuer in der Folgezeit auch ausdrücklich verweigerte, kann die Nichtentrichtung der Lohnsteuer dem Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt nicht (mehr) als schuldhaftes Verhalten zugerechnet werden. Eine weitergehende Pflichtverletzung des Klägers und damit eine Haftungsinanspruchnahme i.S. des § 69 S. 1 AO kämen dann nur noch in Betracht, wenn man den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter im Streitfall dahingehend definieren (erweitern) würde, dass sie bereits vor der Insolvenzantragsstellung und damit auch vor dem genannten Fälligkeitstermin geeignete Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer hätten ergreifen müssen, was de facto allerdings einer Vorverlagerung des gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkts gleichkäme.
104Das beklagte Finanzamt geht im Streitfall von einer entsprechenden Verpflichtung des Klägers zur Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Tilgung der streitgegenständlichen Lohnsteuer bereits vor Insolvenzantragsstellung und damit vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin aus. Es führt insofern aus, der Kläger und sein Mitgeschäftsführer seien mit der Gehaltsauszahlung eine abschließende Verpflichtung eingegangen, die korrespondierende Lohnsteuer spätestens bis zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Aufgrund des Umstandes, dass die Geschäftsführer der A-KG und der A-GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selber beantragt hätten, sei die Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht aus ihrer Sicht nicht etwa überraschend gekommen, sondern absehbar gewesen. Aufgrund dieser Besonderheit sei es im Streitfall gerechtfertigt, den Geschäftsführern über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus weitergehende Pflichten aufzuerlegen, d.h. die Einleitung von adäquaten Maßnahmen mit Blick auf eine wirksame Tilgung der Lohnsteuer spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt einzufordern.
105Der Kläger tritt diesem Standpunkt des Finanzamts entschieden entgegen und sieht darin eine unzulässige Erweiterung seines Pflichtenkreises als gesetzlicher Vertreter der A-KG. Er bezeichnet Maßnahmen, die über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehen, als „überobligatorisch“. Die Ansicht des beklagten Finanzamts führe zu einer unzulässigen Vorverlagerung der gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkte. Ferner laufe sie auf eine Art „Garantiehaftung“ hinaus, die mit dem Charakter des § 69 S. 1 AO und auch mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO) im Ergebnis nicht vereinbar sei.
106Gemäß § 34 Abs. 1 AO haben die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen sowie die Geschäftsführer nichtrechtsfähiger Personenvereinigungen ganz allgemein die steuerlichen Pflichten der Vertretenen zu erfüllen und insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass Steuern aus von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden. Die Frage, welche konkreten Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Vertretenen einzufordern sind, beantwortet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. BFH, Urteile v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46).
107In der Rechtsprechung ist jedenfalls dem Grunde nach anerkannt, dass die Pflicht der gesetzlichen Vertreter, Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln zu entrichten, in temporärer Hinsicht nicht erst bei Fälligkeit besteht, sondern darüber hinaus auch ein bestimmtes (pflichtgemäßes) Verhalten schon für vorgelagerte Zeiträume erforderlich machen kann (vgl. BFH, Urteile v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris). Gerade der in der Rechtsprechung herausgebildete Grundsatz der Vermögens- und Mittelvorsorge basiert auf dem Gedanken, dass die spätere Tilgung der Steuern im Fälligkeitszeitpunkt bereits im Vorfeld mit gewissen Anforderungen (Vorkehrungen) einhergeht, mithin der Pflichtenkreis der gesetzlicher Vertreter auch Zeiträume vor Fälligkeit erfasst (Verweis auf die unter I.2.a. zitierte Rechtsprechung). In besonderen Konstellationen kann ein bestimmtes pflichtgemäßes Verhalten der gesetzlichen Vertreter sogar noch früher, nämlich schon vor der Entstehung des Steueranspruchs an sich geboten sein (vgl. BFH, Urteile v. 09.01.1997, VII R 51/96, juris; v. 11.03.2004, VII R 19/02, juris; v. 20.05.2014, VII R 12/12, juris; Beschluss v. 25.04.2013, VII B 245/12, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 46 ff. mit Beispielen).
108Was die inhaltliche Ausgestaltung des Pflichtenkreises angeht, so wird in singulären Entscheidungen zudem angedeutet, dass sich die Pflichten der gesetzlichen Vertreter vor Fälligkeit nicht nur auf die Vermögens- und Mittelvorsorge beschränken, sondern auch darüber hinaus gehen können (vgl. etwa BFH, Beschluss v. 18.02.2008, VII B 97/07, juris: Vergewisserung, ob die Bank einen an das Finanzamt gerichteten Überweisungsauftrag auch tatsächlich durchführen wird; BFH, Urteil v. 19.09.2007, VII R 39/05, juris: Geschäftsführer einer in Zahlungsschwierigkeiten geratenen GmbH hat Lohnsteuer zum Zwecke der fristgerechten Befriedigung des Finanzamts bereitzuhalten und abzusondern).
109Mit der Frage, welche über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorgepflicht hinausgehenden Maßnahmen von einem gesetzlichen Vertreter erwartet werden können, wenn die Stellung eines Insolvenzantrags unmittelbar bevorsteht und mit einer Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsmacht in absehbarer Zeit zu rechnen ist, hatte sich der BFH in seinem Urteil vom 05.06.2007 (VII R 19/06, juris) zu befassen. Dort führte das Gericht aus, der GmbH-Geschäftsführer sei nicht verpflichtet, für eine Abführung von Lohnsteuer noch vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu sorgen und es hieße, seine Pflichten zu überspannen, wollte man von ihm verlangen, den zu erwartenden Maßnahmen des Insolvenzgerichts vorausschauend entgegenzuwirken. Diese Entscheidung deutet darauf hin, den Pflichtenkreis der gesetzlichen Vertreter in entsprechenden Konstellationen eher restriktiv zu definieren und weitestgehend auf die reine Vermögens- und Mittelvorsorge zu beschränken, zumal die Insolvenzantragsstellung im Urteilsfall erst nach dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt erfolgte. Allerdings lag dem Urteilsfall im Vergleich zum Streitfall auch insofern ein abweichender Sachverhalt zugrunde, als im Zeitpunkt der Fälligkeit eine Einzugsermächtigung vorlag, so dass der Geschäftsführer davon ausgehen durfte, das Finanzamt werde davon Gebrauch machen und die offene Lohnsteuer auch ohne ein weiteres Zutun seinerseits einziehen.
110Aus der Sicht des Senats bietet der Streitfall durchaus Anhaltspunkte, die dafür sprechen, den Pflichtenkreis des Klägers dahingehend zu definieren, dass bereits vor der Insolvenzantragsstellung und des damit verbundenen Verlusts der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht sowie über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus geeignete Maßnahmen zu ergreifen gewesen wären, um auf die Entrichtung der streitbefangenen Lohnsteuer noch vor dem eigentlichen Fälligkeitstermin hinzuwirken. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass angesichts der Größe und Bedeutung des Unternehmensverbundes unmittelbar nach der Stellung des Insolvenzantrages damit zu rechnen war, dass das Insolvenzgericht Maßnahmen ergreifen wird, die die Verwaltungs- und Verfügungsmacht des Klägers und seines Mitgeschäftsführers jedenfalls erheblich einschränken werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die gesetzlichen Vertreter den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst gestellt haben und damit den Zeitpunkt des voraussichtlichen Verlustes der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis jedenfalls in einem gewissen Maß noch beeinflussen konnten. Vor allem aber sind hier die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens und in diesem Zusammenhang die wirtschaftliche Situation sowohl der A-KG als auch der A-GmbH zu berücksichtigen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sind mit der (vollen) Auszahlung der Gehälter für den Monat März 2009 die Verpflichtung und damit auch das Risiko eingegangen, die darauf entfallende Lohnsteuer nebst Annexabgaben spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen. Nach eigenen Aussagen des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in der mündlichen Verhandlung befanden sich die A-KG und die A-GmbH bereits seit längerer Zeit in einer wirtschaftlich schwierigen Situation (Krise hatte bereits im Jahr 2007 begonnen). Dafür spricht auch, dass die Unternehmen seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft von auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Fachkräften unterstützt worden sind. Zwar stand eine Zahlungsunfähigkeit möglicherweise nicht unmittelbar bevor, zumal sich die Geschäftsführung noch in (aus ihrer Sicht erfolgversprechenden) Gesprächen mit potentiellen Investoren und Auftragsgebern befand. Eine latente Insolvenzgefahr bestand aber bereits seit geraumer Zeit, denn nach der Aussage des Zeugen Dr. Z in der mündlichen Verhandlung gab es bereits seit mehreren Wochen den Plan, im Falle einer Insolvenz ein gewisses „Startkapital“ für den Insolvenzverwalter bereit zu halten. Darüber hinaus war die finanzielle Lage des Unternehmensverbundes nach Aussage des Klägers und seines Mitgeschäftsführers bereits zum Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter am 26.03.2009 jedenfalls so prekär, dass die Frage, ob die Gehälter überhaupt ausgezahlt werden sollten, im Unternehmen intensiv diskutiert worden ist. Neben dieser kritischen Ausgangssituation ist der weitere Verlauf des Geschehens zu berücksichtigen. Die Hoffnungen der Geschäftsführung, die Fortführung der Unternehmen durch neue Aufträge, potentielle Geldgeber und Investoren bzw. eine Landesbürgschaft sichern zu können, haben sich in den folgenden Tagen immer mehr zerschlagen. Die wirtschaftliche Situation wurde zunehmend schwieriger. Die Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wurde größer und die damit verbundene Notwendigkeit einer eigenen Insolvenzantragsstellung wurde immer wahrscheinlicher. In entsprechendem Maße stieg auch das mit der Auszahlung der Gehälter ursprünglich seitens der Geschäftsführung eingegangene Risiko, die Lohnsteuer nicht nur fristgerecht, sondern überhaupt noch ordnungsgemäß an den Fiskus abführen zu können. Dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer war dieses Risiko durchaus bewusst (das folgt bereits aus dem Gedächtnisprotokoll v. 09.04.2009 über die Geschäftsführersitzung am 06.04.2009; zudem hat der Zeuge Dr. Z glaubhaft ausgesagt, es habe mehrere Hinweise in Bezug auf das Haftungsrisiko durch den auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierten Berater, Herrn Rechtsanwalt O, gegeben). Sie konnten mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es trotz einer bis zum jetzigen Zeitpunkt ausreichenden Vermögens- und Mittelvorsorge mit der Insolvenzantragsstellung zu einem Steuerausfall kommen wird, wenn nicht zuvor geeignete Maßnahmen zur (vorzeitigen) Abführung der Lohnsteuer ergriffen werden. In einer solchen Situation spricht gerade der Umstand, dass noch ausreichendes Kapital zur Entrichtung der Lohnsteuer der A-KG bei der A-GmbH vorhanden war, dafür, vom Kläger und dessen Mitgeschäftsführer vor der drohenden Beschränkung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis und damit auch vor der eigentlichen Fälligkeit der Lohnsteuer entsprechende Maßnahmen zur Tilgung der Steuerschuld einzufordern. Mit einer solchen Sichtweise wäre entgegen der Ansicht des Klägers keine unzulässige Erweiterung des Haftungstatbestandes oder ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung verbunden. Vielmehr dürfte es sich um eine die konkreten Umstände des Einzelfalles beachtende vertretbare Definition bzw. Ausdeutung des Pflichtenkreises der gesetzlichen Vertreter auf der Grundlage anerkannter Rechtsprechungsgrundsätze handeln.
111Letztlich kann der Senat die aufgeworfene Frage, ob die gesetzlichen Vertreter der A-KG bereits im Vorfeld der Insolvenzantragsstellung überhaupt dazu verpflichtet waren, über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus gehende Maßnahmen zur vorzeitigen Zahlung der streitbefangenen Lohnsteuer zu ergreifen, aber dahinstehen lassen. Denn aus der Sicht des Gerichts haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer entsprechende Maßnahmen im Streitfall tatsächlich ergriffen. Im Ergebnis sind sie damit ihren Geschäftsführerpflichten in ausreichendem Maße nachgekommen.
112b. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass an die Beurteilung der Geeignetheit von über die Vermögens- und Mittelvorsorge hinausgehenden Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer noch vor dem Fälligkeitszeitpunkt kein allzu hoher Maßstab angelegt werden darf. Dies folgt bereits aus dem Wesen des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängigem Haftungstatbestand, der gerade keine „Garantiehaftung“ (Haftung bei ausbleibendem Erfolg = Steuerentrichtung) statuiert, sondern eine Inanspruchnahme gesetzlicher Vertreter nur und erst ab der Schwelle der grob fahrlässigen Pflichtverletzung, mithin bei gravierenden Verstößen gegen die persönlichen Sorgfaltspflichten vorsieht. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die situationsbedingte Definition (Ausdeutung) des Pflichtenkreises über eine bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus bereits mit erhöhten Anforderungen an die persönliche Sorgfalt der Geschäftsführer im Einzelfall einhergeht. In Anbetracht dessen kann es aus der Sicht des Gerichts lediglich darauf ankommen, ob die von den gesetzlichen Vertretern der A-KG bzw. der A-GmbH zum damaligen Zeitpunkt ergriffenen Maßnahmen unter normalen Umständen (bei typischem Verlauf der Dinge) potentiell geeignet waren, die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer zu bewirken. Nicht entscheidend ist dagegen, ob ein alternatives Vorgehen möglicherweise „besser“ geeignet gewesen wäre, also mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer Entrichtung der Lohnsteuer geführt hätte. Eine entsprechende (Vergleichs-)Betrachtung, erst Recht aus nachträglicher Sicht (ex post) und unter Einbeziehung jetziger Erkenntnisse, würde die Reichweite des Haftungstatbestandes deutlich überspannen.
113c. Auf der Grundlage des aufgezeigten Maßstabs kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren gesteigerten Pflichten über die bloße Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus hinreichend nachgekommen sind. Der Vorwurf eines grob fahrlässigen Handelns kann ihnen auch im Zeitpunkt vor der Insolvenzantragsstellung in Bezug auf die Abführung der Lohnsteuer nicht gemacht werden.
114aa. Der Senat hat zunächst aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer sehr wohl den Willen hatten, die streitbehaftete Lohnsteuer noch vor der Insolvenzantragsstellung zu entrichten. Das Handeln des Klägers war subjektiv zweifelsohne auf eine ordnungsgemäße Pflichterfüllung gerichtet. Der Kläger war sich bereits im Zeitpunkt der Auszahlung der Gehälter für März 2009 über seine Verpflichtung zur Abführung der korrespondierenden Lohnsteuer bewusst. Von dem in das operative Geschäft der A-GmbH eingebundenen Berater für Sanierungen und Insolvenzen, Herrn Rechtsanwalt O, ist der Kläger mehrfach auf das mit der vollen Auszahlung der Gehälter verbundene Haftungsrisiko hingewiesen worden. Die Verpflichtung zur Zahlung der Lohnsteuer war zwischen dem Tag der Gehaltsauszahlung (26.03.2009) und dem Tag des Antrags auf Insolvenzeröffnung (08.04.2009) mehrfach Gegenstand von unternehmensinternen Besprechungen (etwa der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 sowie dem Gespräch der Geschäftsführer mit dem Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, dem Zeugen Dr. Z, am 07.04.2009). Ausweislich des von den drei Geschäftsführern der A-GmbH erstellten Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 genoss die Tilgung der Lohnsteuer im Rahmen der Finanzplanung einen prioritären Status. Die Liquiditätsplanung der A-KG bzw. der A-GmbH war darauf ausgerichtet, die Lohnsteuer an das Finanzamt pflichtgemäß abzuführen (vgl. nur Ziffern 1., 2c. und 3. des Gedächtnisprotokolls). Auch der Zeuge Dr. Z hat im Rahmen seiner Aussage den Willen der Geschäftsführer zur Entrichtung der Lohnsteuer mehrfach betont und glaubhaft versichert. Schließlich belegt auch das Verhalten der Geschäftsführer nach der Stellung des Insolvenzantrags in Gestalt des Einwirkens auf den vorläufigen Insolvenzverwalter die grundsätzliche Bereitschaft zur Abführung der Lohnsteuer. Im Übrigen ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass die Geschäftsführung etwaige Vorteile aus der Nichtentrichtung der Lohnsteuer hatte (das Geld kam letztlich der Insolvenzmasse zu Gute).
115bb. Auch in objektiver Hinsicht haben die gesetzlichen Vertreter der A-KG zur Überzeugung des Senats geeignete und damit ausreichende Maßnahmen ergriffen, um die streitgegenständliche Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung an das Finanzamt abzuführen. Der Kläger und sein Mitgeschäftsführer tragen insofern vor, die zuständigen Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank angewiesen zu haben. Dieser Vortrag wird vom beklagten Finanzamt nicht bestritten. Auch der Beklagte geht nach Aktenlage davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihre Mitarbeiter mit der Überweisung der Lohnsteuer vom P-Bank-Konto beauftragt haben.
116Ein entsprechender Auftrag war auch potentiell geeignet, für eine Tilgung der offenen Lohnsteuer zu sorgen. Auf dem Konto bei der P-Bank befanden sich am 07.04.2009 insgesamt 4.650.000,- EUR (nachdem am 06.04.2009 zunächst 4.200.000,- und am Morgen des 07.04.2009 dann nochmals 450.000,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank transferiert wurden). Dass dieses Geld ursprünglich mit einem anderen Verwendungszweck belegt war und als „Startkapital“ bzw. „Kasse“ für den Insolvenzverwalter dienen sollte, ist nicht entscheidungserheblich. Ausweislich des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 stand bereits im Rahmen der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 dem Grunde nach fest, dass jedenfalls die offene Lohnsteuer noch aus diesem bei der P-Bank „deponierten“ Kapital entrichtet werden sollte. Die Entscheidung über die Anweisung weiterer Zahlungen war dagegen abhängig von der kurzfristigen Liquiditätsentwicklung und wurde auf den darauffolgenden Tag verschoben (vgl. Ziffern 1. u. 2c. des Gedächtnisprotokolls). Am frühen Nachmittag des 07.04.2009 haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer dem Zeugen Dr. Z als Leiter der zuständigen Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern dann die konkrete Anweisung zur Lohnsteuerzahlung sowie weitere Zahlungsanweisungen erteilt (in der Besprechung um 14.30 Uhr, vgl. Ziffer 3. des Gedächtnisprotokolls).
117Hätten die Mitarbeiter der A-GmbH den Auftrag weisungsgemäß ausgeführt und insbesondere die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abgeführt, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Tilgung der Steuerschuld noch vor der Insolvenzantragsstellung gekommen. Dies wird auch vom Beklagten nicht in Frage gestellt. Der Rücktransfer des Kapitals vom Konto bei der P-Bank auf das Konto bei der D-Bank sowie die weitere Ausführung der erteilten Zahlungsanweisungen (u.a. Überweisung der Lohnsteuer) von dort aus erfolgten nach dem Inhalt der Akten und dem Prozessstoff aus der mündlichen Verhandlung gerade nicht auf Veranlassung der Geschäftsführung, sondern eigenmächtig durch den Leiter und die Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern. Unabhängig von der Frage, ob es für den Rücktransfer des Kapitals zur D-Bank sachliche Gründe gab (der Zeuge Dr. Z hat insofern vorgetragen, dass insbesondere die technischen Gegebenheiten in Bezug auf die angedachten Lohnauszahlungen sowie Vereinfachungsaspekte ausschlaggebend für die Rücküberweisung der Gelder gewesen wären), kann ein im Ergebnis weisungswidriges Vorgehen der Mitarbeiter den Geschäftsführern letztlich nicht als schuldhaftes Handeln zugerechnet werden.
118cc. Der Senat sieht hilfsweise aber auch eine solche Anweisung der Mitarbeiter des Bereichs Finanzen, Rechnungswesen und Steuern als objektiv geeignete Maßnahme zur Lohnsteuerabführung an, bei der die Geschäftsführung eine direkte Überweisung vom Konto bei der D-Bank angeordnet oder alternativ offen gelassen hätte, ob die Zahlung vom Konto bei der P-Bank oder vom Konto bei der D-Bank erfolgen soll. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die gesetzlichen Vertreter bei Erteilung der Anweisung nicht mehr davon ausgehen durften, dass die D-Bank eine entsprechende Überweisung vor Insolvenzantragsstellung überhaupt noch ausführen würde. Der Senat sieht dafür aber weder hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte noch hält er eine Haftungsinanspruchnahme unter diesem Gesichtspunkt für rechtlich zulässig.
119Schon in tatsächlicher Hinsicht dürfte fraglich sein, ob der Kläger und sein Mitgeschäftsführer davon ausgehen mussten, dass die D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung Überweisungsaufträge nicht mehr ausführen und stattdessen vorhandene Guthaben „einfrieren“ werde (wie letztlich durch die Weigerung zur Durchführung der Überweisungsaufträge und die Weiterleitung von Geldmitteln an die Abteilung „Risk Management“ am 08.04.2009 geschehen). Zwar war die D-Bank als „Hausbank“ und Gläubigerin über die finanzielle Situation der Unternehmensgruppe im Bilde (das wird auch vom Kläger nicht bestritten). Auch dürfte sie insofern von der bevorstehenden Insolvenz gewusst haben (selbst wenn die Geschäftsführung die D-Bank über den genauen Zeitpunkt der Insolvenzantragsstellung nach eigener Aussage nicht informiert hatte). Ferner war es in der letzten Zeit zu einer Beschränkung der zuvor bestehenden Kreditlinie der A-GmbH gekommen (vgl. dazu das in der mündlichen Verhandlung überreichte Schreiben vom 05.03.2009). Dennoch reichen diese Aspekte zur Überzeugung des Senats nicht aus, um in tatsächlicher Hinsicht von einem hinreichenden Verdacht der gesetzlichen Vertreter der A-KG bzw. der A-GmbH in Bezug auf ein Einziehen („Konfiszieren“) von Guthaben durch die D-Bank auszugehen. Ein entsprechendes Verhalten war aus der Sicht der Geschäftsführung schon deshalb nicht zu befürchten, weil die D-Bank in der Vergangenheit sämtliche Überweisungsaufträge auftragsgemäß ausgeführt hatte, nicht zuletzt auch noch am 06.04. und am 07.04.2009 (vgl. etwa die Überweisungen von 4.200.000,- EUR und 450.000,- EUR an die P-Bank, die Ausführung einer Lastschrift i.H. von 11.XXX,- EUR und die Einlösung eines Barschecks von 5X.XXX,- EUR). Darüber hinaus hat der Zeuge Dr. Z im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass jedenfalls aus der Sicht der von ihm geleiteten Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern keinerlei Veranlassung bestanden habe, einen Zugriff der D-Bank auf die liquiden Mittel der A-GmbH zu befürchten. Genau zu dieser Frage habe man sich auch sehr intensiv durch Herrn Rechtsanwalt O als auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisiertem Fachmann beraten lassen. Ferner dürfte für den Fall, dass die Geschäftsführung tatsächlich ernsthafte Anhaltspunkte für einen Zugriff der D-Bank auf die Guthaben der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung gehabt hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sein, dass eine entsprechende Vermutung innerhalb des Unternehmens dann auch gegenüber allen Entscheidungsträgern kommuniziert worden wäre (jedenfalls bis in die untere Leitungsebene). Unter dieser Prämisse ist es aber erst Recht unverständlich, dass sowohl der Leiter als auch mehrere Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern ohne entsprechendes Problembewusstsein eine Rücküberweisung der bei der P-Bank abgesonderten Gelder zur D-Bank veranlasst und vollzogen haben. In diesem Kontext ist schließlich auch die am 08.04.2009 versuchte abermalige Rücküberweisung eines Betrages von 1.XXX.XXX,- EUR vom Konto bei der D-Bank auf das Konto bei der P-Bank in den Blick zu nehmen. Wäre eine Beschränkung des Zahlungsverkehrs ernsthaft befürchtet worden, hätten die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern das bei der P-Bank vermeintlich sicher „geparkte“ Kapital wohl nicht erst wieder an die D-Bank überwiesen, um dann einen Tag später den Versuch zu unternehmen, einen Teil des Geldes erneut zur P-Bank zu transferieren.
120Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass die Separierung des Kapitals auf dem Konto bei der P-Bank nach eigener Aussage der Geschäftsführung „aus Sicherheitsgründen“ erfolgt ist (vgl. Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009, Ziffer 2c.). Welche Sachverhalte im Einzelnen von dieser Formulierung erfasst waren, lässt sich zur vollen Überzeugung des Gerichts nicht sagen. Mit dem Begriff können mehrere unterschiedliche Szenarien verbunden gewesen sein. Ein unmittelbarer Bezug zu einem Verhalten der D-Bank lässt sich den Aussagen der Geschäftsführung jedenfalls nicht entnehmen. Erst Recht haben der Kläger und sein Mitgeschäftsführer nicht die konkrete Vermutung geäußert, die D-Bank würde Überweisungen nicht mehr ausführen oder sogar vorhandene Guthaben „konfiszieren“. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben beide Geschäftsführer vielmehr glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass sie das Verhältnis zur D-Bank als „vertrauensvoll“ eingestuft haben und von dem Verhalten der D-Bank letztlich überrascht worden sind.
121Erst Recht mussten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber in rechtlicher Hinsicht nicht mit dem in Rede stehenden Verhalten der D-Bank (Einzug des Guthabens der A-GmbH noch vor Insolvenzantragsstellung) rechnen und es in ihre Handlungsoptionen im Rahmen der Abführung der Lohnsteuer einbeziehen. Unabhängig von der teilweisen Existenz aufrechenbarer Gegenansprüche zu Gunsten der D-Bank ist der Großteil des „eingefrorenen“ Kapitals (mehr als 5.000.000,- EUR) später an den Insolvenzverwalter der A-GmbH wieder ausgezahlt worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die Einziehung der Guthaben noch vor der Insolvenzantragsstellung jedenfalls überwiegend zivilrechtlich unbegründet war. Zwar war die D-Bank rechtlich nicht verpflichtet, die am 08.04.2009 erteilten Überweisungsaufträge durchzuführen, denn dazu bedurfte es ihrer Zustimmung zu einem entsprechenden Überweisungsvertrag (vgl. dazu noch unter Gliederungspunkt I.5.). Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, wem die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das auf dem Konto bei der D-Bank vorhandene Guthaben zustand. Jedenfalls bis zur Einleitung von verfügungsbeschränkenden Maßnahmen durch das Insolvenzgericht lag die Verwaltungs- und Verfügungsmacht bei der A-GmbH als Kontoinhaberin. Die D-Bank dagegen war zur Einziehung der Guthaben – wie die spätere Freigabe der Guthaben gegenüber dem Insolvenzverwalter zeigt – im Wesentlichen nicht berechtigt. Ein entsprechendes rechtlich zweifelhaftes Verhalten brauchten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aber nicht vorhersehen. Keinesfalls kann ihnen insofern aus der Sicht des Senats der Vorwurf grob fahrlässigen Handelns gemacht werden.
122Der Umstand, dass die gesetzlichen Vertreter der A-KG weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eine Beschränkung in Bezug auf die Verwendung des bei der D-Bank vorhandenen Kapitals befürchten mussten, hat folgende weitere Konsequenzen für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes:
123Es kommt zum einen nicht darauf an, ob das Gericht der Aussage des Zeugen Dr. Z Glauben schenkt, die Geschäftsführung habe ihn und seine Mitarbeiter lediglich zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer angewiesen, darüber hinaus aber nicht ausdrücklich bestimmt, dass diese Überweisung von dem bei der P-Bank separierten Kapital erfolgen sollte. Die Richtigkeit dieser Behauptung kann dahingestellt bleiben, denn auch ein der D-Bank vor Insolvenzantragsstellung erteilter Auftrag hätte nach dem vorstehend Gesagten eine objektiv geeignete Maßnahme zur Abführung der Lohnsteuer dargestellt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er die Aussage des Zeugen Dr. Z in diesem Punkt als bloße Schutzbehauptung wertet. Denn im Falle des ausdrücklichen Eingeständnisses eines eigenen Fehlverhaltens (nicht ordnungsgemäße Ausführung der seitens der Geschäftsführung ausdrücklich erteilten Anweisung, die Überweisung der Lohnsteuer direkt vom P-Bank-Konto vorzunehmen) hätte sich der Zeuge möglicherweise selbst etwaigen Haftungs- und/oder Schadenersatzansprüchen ausgesetzt.
124Zum anderen ist es nicht entscheidungserheblich, dass das am 07.04.2009 seitens der Geschäftsführung erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen in einem Gesamtvolumen von 5.8XX.XXX,- EUR (Löhne YYY und XXX = 4.XXX.XXX,- EUR, offene Lohnsteuer Gehälter A-KG = 1.XXX.XXX,- EUR, Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR und Zahlung „…“= 3XX.XXX,- EUR) nicht vollständig aus den bei der P-Bank „geparkten“ Mitteln i.H. von 4.650.000,- EUR hätte beglichen werden können. Denn der erforderliche Differenzbetrag stand als Guthaben auf dem Konto bei der D-Bank zur Verfügung und eine Einziehung („Konfiszierung“) des Guthabens vor Insolvenzantragsstellung war – wie erläutert – weder aus der Sicht des Klägers tatsächlich zu befürchten und vor allem rechtlich nicht gerechtfertigt. Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang aber auch zu berücksichtigen, dass die Begleichung der offenen Lohnsteuer (in Bezug auf die bereits ausgezahlten Gehälter in XXX) nach dem eindeutigen Willen der Geschäftsführung Priorität genießen sollte. Dieser Aspekt ist mehrfach gegenüber den Mitarbeitern der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern kommuniziert worden (vgl. etwa Ziffer 2c. des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009; „… wobei auf jeden Fall Lohnsteuer für die am 26.03.2009 gezahlten Gehälter XXX bezahlt werden sollte.“). Nach der Aussage des Zeugen Dr. Z hatten die Mitarbeiter der A-KG bzw. der A-GmbH die Bedeutung der Lohnsteuerzahlung aus der Sicht der Geschäftsführung angesichts des damit verbundenen Haftungsrisikos sehr wohl verinnerlicht. Insofern war auch die Sammelanweisung der Geschäftsführung bei objektiver Betrachtung dahingehend zu verstehen, dass der Lohnsteuerzahlung vom P-Bank-Konto jedenfalls der Vorrang hätte eingeräumt werden müssen.
125dd. Aus der Sicht des Senats kommt es schließlich nicht darauf an, dass es für den Kläger und seinen Mitgeschäftsführer auch andere (gegebenenfalls sogar besser geeignete) Wege gegeben hätte, um die Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer tatsächlich zu bewirken. Ob – wie der Beklagte meint – insofern die Einrichtung eines Treuhandkontos wirksamer gewesen wäre, darf bezweifelt werden. Denn auch ein solches Treuhandkonto hätte nach der Insolvenzantragsstellung der durch den vorläufigen Insolvenzverwalter beschränkten Verwaltungs- und Verfügungsmacht unterlegen (Zurechnung zur Insolvenzmasse). Allenfalls durch eine in zeitlicher Hinsicht frühere Zahlungsanweisung hätten die Geschäftsführer die tatsächliche Abführung der offenen Lohnsteuer mit einem höheren Wahrscheinlichkeitsgrad bewirken können (etwa durch die Entrichtung der Lohnsteuer unmittelbar mit oder kurz nach Auszahlung der Gehälter). Dies würde aber eine unzulässige Verengung der aus objektiver Sicht bestehenden Alternativen für ein potentiell pflichtgemäßen Handelns der gesetzlichen Vertreter auf ganz bestimmte (ex post betrachtet wirksame) Maßnahmen und damit letztlich einen unverhältnismäßigen Eingriff in den Geschäftsbetrieb der Steuerschuldnerin bzw. in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Geschäftsführer bedeuten. Im Übrigen lässt der Charakter des § 69 S. 1 AO als verschuldensabhängiger Haftungstatbestand, der eine Haftung erst ab dem erhöhten Verschuldensmaßstab der groben Fahrlässigkeit vorsieht, eine solche Betrachtung nicht zu.
1264. Der Kläger hat auch seine im Zusammenhang mit der Überwachung von Mitarbeitern bestehenden Pflichten ordnungsgemäß erfüllt. Ihn trifft aus der Sicht des Gerichts kein sog. Überwachungsverschulden. Dafür sind folgende Gründe ausschlaggebend:
127a. Der Senat weist zunächst darauf hin, dass ein Überwachungsverschulden bezogen auf die Einschaltung von Mitarbeitern in den Vorgang der Lohnsteuerabführung ohnehin lediglich dann in Betracht käme, wenn der Kläger überhaupt verpflichtet gewesen wäre, die Lohnsteuer bereits vor der Insolvenzantragsstellung (bis zum Verlust der uneingeschränkten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis) an das Finanzamt zu entrichten. Nur unter der Bedingung, dass die Pflichten des gesetzlichen Vertreters inhaltlich über den Grundsatz der reinen Vermögens- und Mittelvorsorge hinaus definiert sowie in temporärer Hinsicht auf den Zeitpunkt vor Insolvenzantragsstellung (und damit auch vor Fälligkeit) vorverlagert werden, stellt sich das Problem einer Überwachungspflichtverletzung. Der Senat braucht die aufgeworfenen Fragen zur Reichweite des Pflichtenkreises aber auch an dieser Stelle nicht zu entscheiden, da eine etwaige vorwerfbare Verletzung von Überwachungspflichten durch den Kläger bereits an weiteren Aspekten scheitert.
128b. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer aus tatsächlichen, vor allem aber aus rechtlichen Gründen nicht davon ausgehen mussten, in der Verwendung von Guthaben der A-GmbH sowohl bei der P-Bank als auch bei der D-Bank noch vor der Insolvenzantragsstellung überhaupt beschränkt zu sein. Vielmehr konnten die gesetzlichen Vertreter darauf vertrauen, bis zur Anordnung konkreter Maßnahmen durch das Insolvenzgericht, die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das Vermögen der A-KG bzw. der A-GmbH uneingeschränkt ausüben zu können (vgl. dazu bereits die Ausführungen unter Gliederungspunkt I.3.c.). Vor diesem Hintergrund war das geplante Verhalten der Geschäftsführung, Gelder auf dem Konto bei der P-Bank zu separieren, um von dort aus die noch offene Lohnsteuer an das Finanzamt abzuführen, zur ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Pflichten gar nicht erforderlich, sondern überobligatorisch. Konsequenter Weise darf dem Kläger dann aber nicht der Vorwurf einer schuldhaften Verletzung von Überwachungspflichten gemacht werden, denn durch ein überobligatorisches Handeln kann ein gesetzlicher Vertreter die in §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO normierten Pflichten nach Auffassung des Gerichts gerade nicht verletzen.
129c. Der Senat vertritt darüber hinaus die Ansicht, dass eine etwaige Verletzung von Überwachungspflichten nicht kausal für den eingetretenen Haftungsschaden war. Auch wenn sich die Geschäftsführer der A-KG zeitnah (also noch am selben Nachmittag) darüber vergewissert hätten, ob der von ihnen am 07.04.2009 um 14.30 Uhr gegenüber dem Zeugen Dr. Z erteilte Auftrag, die Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank an das Finanzamt abzuführen, weisungsgemäß ausgeführt wurde, wäre es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls zum Steuerausfall gekommen. Denn dann hätten die Geschäftsführer feststellen müssen, dass das auf dem P-Bank-Konto separierte Kapital weisungswidrig auf das Konto bei der D-Bank zurück transferiert worden war. Ihnen wäre also selbst nur die Möglichkeit verblieben, den Eingang des Geldes bei der D-Bank abzuwarten und die Abführung der Lohnsteuer nun von diesem Konto aus anzuweisen. Eine entsprechende Anweisung hätte die D-Bank aber mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls nicht mehr ausgeführt (ähnlich dem durch die Mitarbeiter der A-GmbH am frühen Morgen des 08.04.2009 um 8.14 Uhr erfolglos erteilten Überweisungsauftrag). Da die zurücktransferierten Gelder erst am 08.04.2009 auf dem Konto bei der D-Bank eingingen, wäre die Entrichtung der Lohnsteuer auch bei entsprechend enger Überwachung der Mitarbeiter durch die Geschäftsführer nicht mehr, erst Recht nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen. Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass die Geschäftsführer die Mitarbeiter der Abteilung Finanzen, Rechungslegung und Steuern nicht aktiv kontrolliert, sondern von ihnen eine Bestätigung der weisungsgerechten Ausführung des erteilten Zahlungsauftrags eingefordert hätten. Da sich die Gelder nach der durch den Zeugen Dr. Z und seinen Mitarbeiter, Herrn M, veranlassten Rücküberweisung nicht mehr auf dem P-Bank-Konto befanden, wäre auch in diesem Fall letztlich nur eine Überweisung der Gelder vom Konto bei der D-Bank möglich gewesen, und zwar nach deren dortigem Eingang. Eine solche Überweisung ist jedoch am Morgen des 08.04.2009 gerade gescheitert. Im Ergebnis hätten die Geschäftsführer also auch bei entsprechend zeitnaher Überwachung keine Chance mehr gehabt, das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter erfolgreich zu korrigieren.
130d. Schließlich geht der Senat davon aus, dass der Kläger und sein Mitgeschäftsführer ihren Überwachungspflichten auch inhaltlich zutreffend nachgekommen sind.
131In ständiger Rechtsprechung ist anerkannt, dass die gesetzlichen Vertreter i.S. des § 34 Abs. 1 AO nicht verpflichtet sind, die steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen natürlichen und juristischen Personen sowie Personenvereinigungen selbst zu erledigen. Vielmehr sind sie berechtigt und bei mangelnder Sachkunde sogar verpflichtet, die vollständige oder teilweise Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auch anderen Personen (Dritten) zu übertragen. Für ein Fehlverhalten der beauftragten Hilfspersonen müssen die gesetzlichen Vertreter nicht ohne weiteres einstehen. Der allgemeine Rechtsgedanke der verschuldensunabhängigen Zurechnung fremden Handelns (wie er etwa in § 278 BGB zum Ausdruck kommt) ist im Rahmen der Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO gerade nicht anwendbar (vgl. BFH, Urteil v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris in Abgrenzung zum FG München, Urteil v. 18.03.1992, 3 K 3164/87, juris; s.a. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 27 m.w.N.).
132Allerdings sind die gesetzlichen Vertreter stets verpflichtet, diejenigen Personen, denen sie die Erledigung der ihnen als Vertreter des Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten übertragen haben, laufend und sorgfältig zu überwachen, insbesondere sich so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfts gerechnet werden kann bzw. dass ihnen ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch dritte Personen darf nicht blind vertraut werden. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen stellt regelmäßig eine grob fahrlässige Pflichtverletzung dar („Überwachungsverschulden“). Welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten Mitarbeitern überträgt, ist dabei weitgehend von den Umständen des Einzelfalles abhängig (vgl. BFH, Urteile v. 05.03.1985, VII R 134/80, juris; v. 16.04.1985, VII R 132/80, juris; v. 07.05.1985, VII R 111/78, juris; v. 11.11.1986, VII R 201/83, juris; v. 02.07.1987, VII R 162/84, juris; v. 10.05.1988, VII R 24/85, juris; v. 29.05.1990, VII R 81/89, juris; v. 30.08.1994, VII R 101/92, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 05.03.1998, VII B 36/97, juris; v. 21.08.2000, VII B 260/99, juris).
133Gesteigerte Überwachungspflichten bestehen immer dann, wenn entweder die besondere Situation der Gesellschaft oder die handelnden Personen zu einer intensiveren Kontrolle Anlass geben. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Gesellschaft in einer wirtschaftlichen Krise befindet, mithin bei Liquiditätsschwierigkeiten, sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit oder einem bevorstehendem Insolvenzantrag (vgl. BFH, Urteil v. 26.04.1984, V R 128/79, juris; v. 23.06.1998, VII R 4/98, juris; Beschlüsse v. 04.03.1986, VII S 33/85, juris; 21.08.2000, VII B 260/99, juris; v. 12.05.2009, VII B 266/08, juris; v. 06.07.2005, VII B 296/04, juris; v. 20.04.2006, VII B 280/05, juris; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 10.12.2013, 3 K 1632/12, juris; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 31 u. 32).
134Eine grob fahrlässige Überwachungspflichtverletzung zu Lasten des Klägers kann das Gericht anhand der soeben skizzierten allgemeinen Maßstäbe im Streitfall nicht erkennen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für ein etwaiges (Personal-)Auswahlverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers in Bezug auf die von ihnen beauftragten Mitarbeiter bietet. Bei den in die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der A-KG und der A-GmbH eingeschalteten Personen handelte es sich nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens um gut ausgebildetes und sehr erfahrenes Personal. Dies gilt vor allem für den Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern, den Zeugen Dr. Z, der aufgrund seiner juristischen Ausbildung, seiner langjährigen Tätigkeit im Bankensektor und seinen diversen Einsätzen in der freien Wirtschaft (u.a. bei Großunternehmen) sowie in Anbetracht seiner steuerrechtlichen Kenntnisse als hoch qualifizierter Mitarbeiter einzustufen war.
135Auch für ein Organisationsverschulden des Klägers und seines Mitgeschäftsführers gibt der Streitfall letztlich nichts her. Innerhalb der mit der Abführung der streitbefangenen Lohnsteuer beauftragten Abteilung Finanzen, Rechnungswesen und Steuern der A-GmbH wurde der Zahlungsverkehr von mehreren Mitarbeitern untereinander überwacht (sog. Zwei- oder Mehr-Augenprinzip). So erfolgte beispielsweise die Überweisung der zunächst bei der P-Bank separierten Gelder zurück auf das Konto bei der D-Bank auf Anweisung (mit Unterschrift) sowohl des Leiters der Abteilung als auch eines weiteren Mitarbeiters (der Überweisungsträger wurde von Herrn Dr. Z und von Herrn M unterzeichnet). Darüber hinaus verfügte die A-GmbH über eine eigene Controlling-Abteilung, die ebenfalls mit in die Überwachung des Zahlungsverkehrs eingeschaltet war. Das von den Geschäftsführern am 07.04.2009 erteilte Bündel an Zahlungsanweisungen ist nach dem Eingang des notwendigen Kapitals bei der D-Bank unmittelbar am frühen Morgen des 08.04.2009 ausgeführt worden. Der Vollzug der Aufträge ist der Controlling-Abteilung kurze Zeit später (noch am selben Tag) bestätigt worden.
136Darüber hinaus weist der Senat darauf hin, dass sich der Unternehmensverbund A seit geraumer Zeit sowohl im Aufsichtsrat als auch im operativen Geschäft durch auf Sanierungen und Insolvenzen spezialisierte Fachleute hat beraten und unterstützen lassen. Sowohl aus dem Gedächtnisprotokoll vom 09.04.2009 als auch auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Dr. Z ergibt sich, dass der im operativen Geschäft tätige Berater (Herr Rechtsanwalt O) nicht nur sehr eng in die Liquiditäts- und Finanzplanung des Unternehmens eingebunden, sondern auch mit der Frage der ordnungsgemäßen Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten durch die Geschäftsführung befasst war (in dieser Eigenschaft hat er mehrfach auf die Notwendigkeit der Lohnsteuerabführung und das damit zusammenhängende Haftungsrisiko hingewiesen).
137Was die konkrete Überwachung der Umsetzung des am 07.04.2009 durch die Geschäftsführung erteilten Bündels an Überweisungsaufträgen inklusive der Lohnsteuerzahlung angeht, so weist der Senat auf Folgendes hin: Es geht dabei nicht um die Erledigung von steuerlichen Angelegenheiten im Allgemeinen, die dem Grunde nach von der Geschäftsführung zu überwachen war und de facto auch überwacht worden ist (so haben die Geschäftsführer in den letzten Tagen vor der Insolvenzantragsstellung im Beisein ihrer Mitarbeiter mehrfach darauf hingewiesen, dass die Zahlung der offenen Lohnsteuer aus ihrer Sicht hohe Priorität genießt; außerdem haben die Geschäftsführer noch die Abgabe einer entsprechenden Lohnsteuervoranmeldung für den Monat März 2009 veranlasst; schließlich haben die Geschäftsführer für die notwendige Vermögens- und Mittelvorsorge zur Abführung der Lohnsteuer ausreichend Sorge getragen). Es geht vielmehr um die Ausführung einer durch die Geschäftsführung erteilten singulären Zahlungsanweisung mit wenigen Unterpositionen (Löhne XXX und YYY, Lohnsteuer Gehälter XXX, Zahlung „…“ und Zahlung“…“) und damit lediglich um die technische Umsetzung der dem Grunde nach beabsichtigten steuerlichen Pflichterfüllung. Die Ausführung einer solchen Zahlungsanweisung ist gemessen am Maßstab des allgemeinen wirtschaftlichen Verkehrs ein normaler, eher einfacher Vorgang, erst Recht wenn man bedenkt, dass mit der Anweisung mehrere Mitarbeiter eines Großunternehmens betraut waren, welches über eine eigene Abteilung „Finanzen, Rechnungslegung und Steuern“ mit funktionierenden Kontrollmechanismen verfügte. Angesichts dessen konnten der Kläger und sein Mitgeschäftsführer zur Überzeugung des Gerichts erwarten, dass die erteilte Zahlungsanweisung - auch ohne eine weitere Überwachung des Überweisungsvorgangs durch die Geschäftsführer selbst - erfolgreich ausgeführt wird. Der gegenteiligen Auffassung des beklagten Finanzamts, es handele sich insbesondere aufgrund der zeitlichen Nähe zum Insolvenzantrag und aufgrund der Abweichung vom bisherigen Lastschrifteneinzugsverfahren um einen „atypischen Vorgang“, der besondere (gesteigerte) Überwachungspflichten ausgelöst habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Die Umsetzung einer entsprechenden Zahlungsanweisung durch geschulte und erfahrene Mitarbeiter ist auch unter einem verstärkten zeitlichen Druck nicht außergewöhnlich, sondern reines Alltagsgeschäft. Im Zusammenhang mit den an den Kläger und dessen Mitgeschäftsführer gestellten Überwachungsanforderungen sind auch die Struktur und die Größe des Unternehmens sowie die besondere Situation, in der sich der Unternehmensverbund zur damaligen Zeit befand, zu berücksichtigen. Die Geschäftsführer waren wegen der wirtschaftlichen Krise und der bevorstehenden Insolvenz verstärkt dazu aufgerufen, den Bestand des Unternehmens überhaupt zu retten. Zu diesem Zweck fanden in viele Richtungen Gespräche mit potentiellen Auftraggebern und Investoren, mit Gläubigern und auch mit der öffentlichen Hand (in Bezug auf eine Landesbürgschaft) statt. Diese äußeren Gegebenheiten entbinden die Geschäftsführung zwar nicht von der grundlegenden Verpflichtung, für eine ordnungsgemäße Erfüllung der steuerlichen Angelegenheiten der von ihnen vertretenen Unternehmen zu sorgen. Dennoch ist es aus der Sicht des Senats unter den gegebenen Umständen aber praxisfern, unzumutbar und im Ergebnis nicht gerechtfertigt, von den Geschäftsführern eine derart intensive und genaue, mitunter sogar pedantische Überwachung der technischen (nicht rechtlichen) Umsetzung einzelner Zahlungsanweisungen zu verlangen, wie dies letztlich vom beklagten Finanzamt einfordert wird.
138d. Der Senat folgt auch nicht dem Vortrag des Beklagten aus der mündlichen Verhandlung, dass die Anweisung zur Überweisung der Lohnsteuer bereits ausdrücklich und unbedingt am 06.04.2009 erfolgt sei und sich die gesetzlichen Vertreter damit spätestens ab dem Mittag des nächsten Tages (07.04.2009) zu einer verstärkten Überwachung hätten aufgefordert fühlen müssen, nachdem der Überweisungsauftrag bis zu diesem Zeitpunkt durch die Mitarbeiter offensichtlich noch nicht ausgeführt worden war. Nach Aktenlage ist nicht ersichtlich, dass der endgültige Auftrag zur Überweisung der Lohnsteuer vom Konto bei der P-Bank bereits am 06.04.2009 erteilt worden ist. Aus dem Inhalt des Gedächtnisprotokolls vom 09.04.2009 lässt sich vielmehr schließen, dass die Entscheidung zur Zahlung der Lohnsteuer aus dem bei der P-Bank „geparkten“ Kapital zwar bereits während der Geschäftsführersitzung am 06.04.2009 angedacht und auch dem Grunde nach gefallen war, die konkrete Zahlungsanweisung aber erst am darauf folgenden Tag in der Besprechung der Geschäftsführung mit dem Zeugen Dr. Z erteilt wurde, und zwar zusammen mit den bis dato aufgeschobenen weiteren Mittelverwendungsentscheidungen. Darüber hinaus hat der Kläger eine vermeintlich widersprechende Darstellung seiner im Laufe des finanzgerichtlichen Verfahrens eingereichten Schriftsätze im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals klar gestellt.
1395. Dem Kläger kann unter keinem anderen Gesichtspunkt eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten als gesetzlicher Vertreter der A-KG vorgeworfen werden. Insbesondere war er entgegen den anders lautenden Ausführungen in der Begründung des Haftungsbescheides nicht verpflichtet, auf die D-Bank einzuwirken und ihr gegenüber die Ausführung des noch vor Insolvenzantragsstellung erteilten Auftrags zur Überweisung der streitgegenständlichen Lohnsteuer an das Finanzamt durchzusetzen.
140a. Eine entsprechende Pflicht zur Einwirkung auf die D-Bank scheitert schon daran, dass diese die Ausführung des von der A-GmbH erteilten Überweisungsauftrags rechtlich betrachtet ablehnen durfte (davon zu unterscheiden ist die Frage der rechtlichen Befugnis zur Einziehung von Guthaben). Bei dem Überweisungsauftrag handelt es sich um das Angebot zum Abschluss eines sog. Überweisungsvertrages. Eine korrespondierende Annahme hat die D-Bank aber weder ausdrücklich noch konkludent erklärt (§§ 145 ff. BGB). Sie hat vielmehr noch am selben Tage die Kreditlinie der A-GmbH gekündigt und damit zumindest konkludent zu erkennen gegeben, dass sie weitere Überweisungen nicht ausführen wird.
141Im Übrigen konnte ein Kreditinstitut nach der damaligen Fassung des § 676a Abs. 3 S. 1 BGB einen Überweisungsauftrag auch ohne die Angabe von Gründen kündigen, solange die Ausführungsfrist noch nicht begonnen hatte. Die Ausführungsfrist begann gemäß § 676a Abs. 2 S. 3 BGB a.F. grundsätzlich (soweit nichts anderes vereinbart war) mit Ablauf des Tages, an dem der Name des Begünstigten, sein Konto, sein Kreditinstitut und die sonst zur Ausführung des Überweisungsauftrags erforderlichen Angaben dem überweisenden Kreditinstitut vorlagen und ein zur Ausführung der Überweisung ausreichendes Guthaben vorhanden oder ein ausreichender Kredit eingeräumt war. Da der Überweisungsauftrag erst am frühen Morgen des 08.04.2009 (um 8.14 Uhr) bei der D-Bank eingegangen war, lief die Ausführungsfrist noch bis zum Ablauf eben dieses Tages. Die D-Bank konnte die Ausführung des Überweisungsauftrags also auch unter diesem Aspekt noch verweigern.
142b. Ein Einwirken des Klägers auf die D-Bank unter dem Gesichtspunkt, dass diese die Guthaben der A-GmbH größtenteils unberechtigter Weise eingezogen („eingefroren“) hatte, hätte ebenfalls nicht zur Abführung der Lohnsteuer geführt. Denn unmittelbar nachdem der Kläger und sein Mitgeschäftsführer Kenntnis von der Nichtausführung des Überweisungsauftrags erlangt hatten, bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt, so dass den Geschäftsführern nunmehr die uneingeschränkte Verwaltungs- und Verfügungsmacht entzogen war. Zwar hätten sie möglicherweise die Bank noch zu einer Auskehrung der Guthaben veranlassen können. Die Bank hätte bei einer entsprechenden Verwendungsbestimmung die Guthaben aber nur noch zu Gunsten des vorläufigen Insolvenzverwalters auszahlen dürfen (vgl. entsprechend dem Rechtsgedanken des BGH, Urteil v. 05.02.2009, IX ZR 78/07, juris). Dieser hatte die Überweisung der noch offenen Lohnsteuer aber gerade verweigert.
143c. Wie der Senat im Laufe der Urteilsgründe bereits ausgeführt hat, kann eine grob fahrlässige Pflichtverletzung zu Lasten des Klägers auch nicht durch das bloße Hervorheben von alternativen Maßnahmen zur Tilgung der Lohnsteuer begründet werden, etwa der Einrichtung eines Treuhandkontos, dem Verhängen einer Verfügungsbeschränkung, der Schließung von auf die Überweisung der Lohnsteuer gerichteten Vereinbarungen mit den Banken oder der Zahlung der Lohnsteuer zu früheren Zeitpunkten. Die Diskussion entsprechender Alternativmaßnahmen zur Lohnsteuertilgung bedeutet einen unzulässigen Eingriff in die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der für die A-KG sowie die A-GmbH handelnden gesetzlichen Vertreter und führt zu einer Umdeutung der verschuldensabhängigen Vertreter-Haftung des § 69 S. 1 AO in eine Erfüllungs- bzw. Garantiehaftung. Auch eine zeitliche Verschiebung („Hinauszögern“) der Insolvenzantragsstellung durfte man von dem Kläger und seinem Mitgeschäftsführer aus entgegenstehenden zivilrechtlichen (Gläubigerbevorzugung) und strafrechtlichen Aspekten (Insolvenzverschleppung) nicht erwarten.
144II. Der Haftungsbescheid ist darüber hinaus rechtswidrig, weil die Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen nicht eingehalten worden sind.
1451. Bei der Inanspruchnahme eines gesetzlichen Vertreters nach den §§ 69 S. 1 i.V. mit 34 Abs. 1 AO handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 S. 1 AO), die vom Gericht nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob das Finanzamt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden (§ 121 Abs. 1 i.V. mit § 126 Abs. 1 und 2 AO). Dabei müssen die bei der Ausübung des Verwaltungsermessens angestellten Erwägungen – die Abwägung des Für und Wider der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners – aus der Entscheidung erkennbar sein (vgl. BFH, Urteile v. 13.04.1978, V R 109/75, juris; v. 03.02.1981, VII R 86/78, juris; v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris). Dies gilt im Übrigen nicht nur aus dem Blickwinkel des Gerichts, sondern vor allem auch aus der Perspektive des in Anspruch genommenen Haftungsschuldners. Mit Blick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und den Grundsatz effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) muss der Haftungsschuldner spätestens mit der Einspruchsentscheidung die Gründe kennen, von denen sich das Finanzamt bei der Entscheidung über den Erlass des Haftungsbescheides hat leiten lassen, um diese Gründe prüfen und etwaige Rechtsschutzüberlegungen daran ausrichten zu können.
146Im Rahmen der Begründung ihrer Ermessensentscheidung muss die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt (sog. Auswahlermessen). Diese Begründungspflicht besteht nicht erst dann, wenn tatsächlich und rechtlich sicher feststeht, ob weitere Haftungsschuldner in Betracht kommen, sondern bereits dann, wenn die Inanspruchnahme weitere potentieller Haftungsschuldner nur möglich erscheint. Fehlt eine entsprechende Begründung, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Finanzamt überhaupt keine Erwägungen zur Inanspruchnahme weiterer potentieller Haftungsschuldner angestellt und damit wesentliche Umstände des Sach- und Streitstandes außer Acht gelassen hat (vgl. BFH, Urteil v. 07.04.1992, VII R 104/90, juris; s.a. Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 191 AO Rz. 58).
1472. Den soeben skizzierten Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen genügen der angefochtene Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nicht. Der Beklagte hat es versäumt, im Rahmen des Auswahlermessens auf eine mögliche Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z einzugehen.
148Der Zeuge Dr. Z war im Zeitpunkt der haftungsbegründenden Ereignisse als Prokurist für die A-GmbH tätig. Er war in der jüngeren Vergangenheit auch als Prokurist der A-KG in XXX bestellt. Darüber hinaus war der Zeuge Dr. Z als Leiter der Abteilung Finanzen, Rechnungslegung und Steuern der A-GmbH im Innen- und Außenverhältnis mit den steuerlichen Angelegenheiten des Unternehmensverbundes betraut. Gegenüber dem beklagten Finanzamt ist er in seiner Eigenschaft als Prokurist und Leiter der Steuerabteilung in der Vergangenheit auch mehrfach in Erscheinung getreten (sowohl schriftlich als auch fernmündlich).
149Aufgrund dieses Sachverhaltes geht das Gericht davon aus, dass eine Haftungsinanspruchnahme des Zeugen Dr. Z jedenfalls potentiell möglich war und hätte geprüft werden müssen. Der Prokurist eines Unternehmens kommt grundsätzlich neben den gesetzlichen Vertretern i.S. des § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Betracht, vgl. § 35 AO (zu den Voraussetzungen der Haftungsinanspruchnahme eines Prokuristen s.a. BFH, Beschluss v. 23.04.2007, VII B 92/06, juris). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Zeuge Dr. Z rein tatsächlich betrachtet in entscheidendem Maße in den haftungsbegründenden Sachverhalt involviert war (u.a. in den Geldtransfer zwischen der D-Bank und der P-Bank sowie in die Entscheidung, die streitgegenständliche Lohnsteuer nicht vom Konto bei der P-Bank, sondern vom Konto bei der D-Bank an das Finanzamt abzuführen). In Anbetracht dieser Umstände wäre der Beklagte jedenfalls verpflichtet gewesen, eine Haftungsinanspruchnahme (auch) des Zeugen Dr. Z zu erwägen und das Ergebnis seiner Prüfung im Rahmen des Auswahlermessens darzulegen. Dabei ist unerheblich, ob die materiellen Voraussetzungen für eine Haftung letztlich vorgelegen haben oder nicht (etwa weil die Prokura des Zeugen Dr. Z bezogen auf die A-KG bereits im Jahr 2008 erloschen war). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter des beklagten Finanzamts selbst zugestanden, sich Gedanken über eine entsprechende Inanspruchnahme des Zeugen Dr. Z als Haftungsschuldner gemacht zu haben. Wenn aber der Beklagte selbst von der (dem Grunde nach nicht fernliegenden) Möglichkeit der Existenz weitere Haftungsschuldner ausgeht, erscheint es aus der Sicht des Gerichts notwendig, diesen Überlegungen auch im Rahmen der Ermessensentscheidung Ausdruck zu verleihen, nicht zuletzt um die Rechtsschutzmöglichkeiten der tatsächlich in Anspruch genommenen Haftungsschuldner nicht unangemessen zu verkürzen.
150Dafür spricht auch das weitere Vorgehen des Beklagten, der in der Einspruchsentscheidung Ausführungen zu einer potentiellen Haftung (auch) des dritten Geschäftsführers der A-GmbH (Herr C) gemacht und eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner mit der Begründung verneint hat, dieser sei nicht zugleich auch Geschäftsführer der A-KG und damit schon gar nicht zur Abführung der streitgegenständlichen Lohnsteuer verpflichtet gewesen. Auch insofern hat also lediglich die Möglichkeit einer Inanspruchnahme ausgereicht, um den Beklagten zu einer entsprechenden Prüfung und zu einer Verschriftlichung seines Prüfungsergebnisses zu veranlassen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verständlich, warum dies in Bezug auf die Person des ehemaligen Prokuristen Dr. Z anders gehandhabt wurde.
151III. Der Haftungsbescheid ist schließlich insofern rechtswidrig, als die Haftung des Klägers für Säumniszuschläge betroffen ist (§ 69 S. 2 AO).
1521. Der Senat hat in Bezug auf die Säumniszuschläge schon Bedenken an der inhaltlichen Bestimmtheit des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung.
153Der Haftungsbescheid muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (§ 119 Abs. 1 AO). Die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Haftungsbescheides sind aus § 191 Abs. 1 AO herzuleiten. Danach müssen nicht nur die erlassende Finanzbehörde, der Haftungsschuldner und der zu zahlende Gesamtbetrag erkennbar sein, sondern auch für welche Steuer und Nebenabgaben der Haftungsschuldner in Anspruch genommen wird. Die Finanzbehörde muss die Steuer und folglich auch die Nebenabgaben nach Art, Schuldner und Erhebungszeitraum angeben (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 191 AO Tz. 83 ff.). Für den erkennenden Senat folgt daraus, dass auch in Bezug auf die Nebenabgaben ein Erhebungszeitraum anzugeben ist. Bei einer Haftung für Säumniszuschläge setzt dies voraus, dass der Zeitraum der Säumnis genau zu bezeichnen ist (§ 240 Abs. 1 AO).
154Entsprechende Angaben fehlen sowohl im Haftungsbescheid als auch in der Einspruchsentscheidung. Die Säumniszuschläge bezogen auf die Hauptschuld (Lohnsteuer 2009) sind dort lediglich in einer Summe ausgewiesen. Die Berechnungsgrundlagen, insbesondere der Zeitraum der Säumnis, werden nicht angegeben.
1552. Darüber hinaus enthält die Einspruchsentscheidung in Bezug auf die Reduzierung der Säumniszuschläge ebenfalls ein Ermessensdefizit.
156Der Beklagte hat die im Haftungsbescheid ausgewiesenen Säumniszuschläge i.H. von 1XX.XXX,- EUR im Rahmen der Einspruchsentscheidung um die Hälfte reduziert. Er hat sich dabei auf die Rechtsprechung des BFH zum Erlass von Säumniszuschlägen im Falle der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit berufen, die grundsätzlich auch auf Haftungsschuldner anwendbar ist (vgl. BFH, Urteil v. 26.07.1988, VII R 83/87, juris). Danach ist die Erhebung von Säumniszuschlägen sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Darüber hinaus sind Säumniszuschläge nach den Wertungen des Gesetzgebers aber auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit anzusehen und dienen zur Abgeltung des Verwaltungsaufwandes (der Beklagte spricht dagegen missverständlich davon, dass der Säumniszuschlag den Schuldner zur künftig pünktlichen Zahlung anregen soll).
157In Anbetracht dieser gesetzgeberischen Wertungen kommt bei Säumniszuschlägen, wenn sie ihren eigentlichen Zweck als Druckmittel verloren haben, im Fall der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit in der Regel nur ein Teilerlass in Betracht (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris; kritisch Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Tz. 36 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der BFH geht aber davon aus, dass im Einzelfall auch ein weitergehender Erlass von Säumniszuschlägen nicht ausgeschlossen ist. Der Erlass der vollen Säumniszuschläge kann insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen dann gerechtfertigt sein, wenn die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Festsetzung von Stundungszinsen i.S. des § 234 Abs. 2 AO erfüllt gewesen wären (vgl. BFH Urteil v. 16.07.1997, XI R 32/96, juris). Zu einer entsprechenden Unbilligkeit der Erhebung von Säumniszuschlägen im Streitfall (weitergehender Erlass) verhält sich die Einspruchsentscheidung nicht. Vor diesem Hintergrund kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte diesen weiteren Erlassgesichtspunkt nicht gesehen und sein Ermessen insoweit gar nicht ausgeübt hat.
1583. Schließlich hat der Beklagte im Zusammenhang mit der Haftung des Klägers für Säumniszuschläge nicht dazu Stellung genommen, inwieweit der Höhe nach eine uneingeschränkte oder mit Blick auf den Grundsatz der anteiligen Tilgung nur eine beschränkte Haftung in Betracht kommt (vgl. dazu BFH, Urteil v. 01.08.2001, VII R 110/99, juris; Rüsken in Klein, AO-Kommentar12, § 69 AO Rz. 15 f.). Auch insoweit leiden der Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung nach Ansicht des Senats an einem Begründungs- und damit Ermessenausfall.
159IV. Da dem Antrag des Klägers auf Aufhebung des Haftungsbescheides und der Einspruchsentscheidung bereits aus den oben genannten Gründen stattzugeben war, brauchte der Senat sich mit etwaigen Fragen zur Höhe der Haftungsschuld nicht zu befassen (etwa in Bezug auf die Entscheidung des FG Niedersachsen, Urteil v. 15.01.2015, 14 K 91/13, juris). Insofern war es auch unerheblich, dass in Bezug auf die Hauptschuld (Lohnsteuer März 2009) noch ein Einspruchsverfahren beim beklagten Finanzamt anhängig ist.
160V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
161VI. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs. Es handelt sich vielmehr um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze und Maßstäbe.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung im Übrigen - das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 13. April 2006 teilweise abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.879,37 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Februar 2004 zu bezahlen.
Die Sache wird an das Berufungsgericht - auch zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens - zurückverwiesen, soweit die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 10.545,10 € verfolgt.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin war seit dem 22. März 2002 vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt und ist seit dem 29. Mai 2002 Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin).
- 2
- Die Schuldnerin, die sich mit dem Ankauf, der Bebauung und anschließenden Veräußerung von Grundstücken befasste, hatte in A. verschiedene Grundstücke erworben, die zugunsten der beklagten S. als Darlehensgeberin mit Grundpfandrechten belastet waren. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, die Grundstücke in der Weise zu verwerten, dass die Beklagte Erwerbsinteressenten sucht und die zwischen ihnen und der Klägerin zu schließenden Kaufverträge im Einzelnen aushandelt und entwirft. Die Klägerin beanstandete nach Vorlage des ersten Kaufvertrags durch Schreiben vom 17. September 2002 gegenüber der Beklagten, dass der Vertragsentwurf - etwa hinsichtlich etwaiger Erschließungsbeträge - Verpflichtungen des Verkäufers enthalte, die sie nicht übernehmen könne. Die Beklagte stellte die Klägerin daraufhin im Innenverhältnis von diesen Verpflichtungen frei. Auf der Grundlage dieser Übereinkunft wurden in der Folgezeit diverse Grundstücke veräußert.
- 3
- Im Zuge eines Umlegungsverfahrens belastete die Gemeinde ein Grundstück der Schuldnerin mit einem Geldausgleich in Höhe von 40.532,66 €. In dem Vertrag über den Verkauf dieses Grundstücks vom 11. August 2003 wurden die Kosten aus dem Umlegungsverfahren der Klägerin als Verkäuferin auferlegt. Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 25. August 2003 die Klägerin von den mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei. Nach Inanspruchnahme durch die Gemeinde verlangt die Klägerin mit ihrer Klage Erstattung der von ihr geleisteten Zahlung von 40.532,66 € durch die Beklagte.
- 4
- Die Schuldnerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, dessen Sollsaldo sich am 22. März 2002 auf 31.644,72 € belief. Die in der Folgezeit auf dem Konto durch Überweisungen und Lastschriftrückbuchungen eingegangenen Zahlungen von 301.116,67 € erstattete die Beklagte der Klägerin am 2. Juli 2002. Vor Ausführung dieser Überweisung wies das Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 € auf; infolge der Überweisung und am 2. Juli 2002 eingegangener Lastschriften betrug der Sollsaldo am Ende dieses Tages 70.253,09 €. Mit ihrer Widerklage verlangt die Beklagte von der Klägerin Zahlung dieses Betrages. Vorab rechnet die Beklagte mit der Widerklageforderung hilfsweise gegen den Klageanspruch auf.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin, die den mit der Widerklage verfolgten Kontenausgleich teilweise als anfechtbar erachtet, hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von 3.202,12 € zugesprochen und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre abgewiesene Klageforderung weiter. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg. Demgegenüber ist die Anschlussrevision der Beklagten unbegründet.
I.
- 7
- Das Oberlandesgericht meint, der Beklagten habe es oblegen, die Klägerin von sämtlichen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen freizustellen. Die Klägerin sei ihrerseits verpflichtet gewesen, den Käufern von Kosten aus dem Umlageverfahren freies Eigentum zu verschaffen. Die Freistellungsverpflichtung der Beklagten erfasse die als eigene Verbindlichkeit der Schuldnerin entstandene Ausgleichszahlung. Die Beklagte habe gewusst, dass es die Klägerin abgelehnt habe, die Masse durch den Verkauf der Grundstücke mit Forderungen zu belasten. Deswegen habe die Klägerin die Freistellungserklärung der Beklagten nur im Sinne einer Übernahme der Ausgleichszahlungsverpflichtung verstehen dürfen.
- 8
- auf Die § 812 BGB beruhende Widerklageforderung sei überwiegend begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Auszahlung des Betrages zurückgerufener Lastschriften, weil es sich dabei um reine Korrekturbuchungen handele. Die Klägerin könne lediglich bestehende Forderungen der Insolvenzschuldnerin einziehen. Darunter falle das auf dem Girokonto befindliche Guthaben der Schuldnerin über 238.221,54 €, so dass die Masse durch die Zahlung von 301.116,67 € um den Differenzbetrag von 62.895,13 € ungerechtfertigt bereichert sei. Soweit die Beklagte widerklagend einen höheren Betrag beanspruche , beruhe dies auf der Einlösung von Lastschriften, die keinen Anspruch gegen die Masse begründe. Die Widerklageforderung ermäßige sich infolge einer Anfechtung durch die Klägerin um 25.564,59 €, weil es sich dabei um eine nach Stellung des Insolvenzantrags durch die Befriedigung eines Gläubigers entstandene Regressforderung der Beklagten handele. Die Belastung des Kontos mit Darlehenskosten von 2.479,77 € und 197,48 € sei nach Insolvenzeröffnung vorgenommen worden. Der Senat sei bei der Urteilsverkündung davon ausge- gangen, dass die Beklagte insoweit nur Zahlstelle gewesen sei und sich Bereicherungsansprüche deshalb nicht gegen die Beklagte richteten. Erst bei der Absetzung der Gründe sei erkannt worden, dass die Beklagte selbst das Darlehen ausgereicht habe. Dies habe aber nicht mehr berücksichtigt werden können. Eine weitere Kürzung des Anspruchs der Beklagten sei nicht wegen der Vornahme einer Überweisung von 10.545,10 € gerechtfertigt. Fehle es an einer Genehmigung dieser Zahlung durch die Klägerin, so richte sich deren etwaiger Bereicherungsanspruch gegen die Firma R. als Empfängerin der Leistung.
II.
- 9
- Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. Die Klageforderung ist bereits jetzt in Höhe von 5.879,37 € begründet ; im Blick auf eine weitere Forderung der Klägerin über 10.545,10 € ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Demgegenüber bleibt die Anschlussrevision der Beklagten ohne Erfolg.
- 10
- 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht von einer Klageforderung in Höhe von 40.532,66 € aus, die ihre Grundlage in der von der Beklagten übernommenen Freistellungsverpflichtung findet. Die gegen diese Würdigung gerichteten Angriffe der Anschlussrevision bleiben ohne Erfolg.
- 11
- Die Klägerin hat entsprechend dem von der Beklagten gefertigten Vertragsentwurf am 11. August 2003 ein Grundstück veräußert und dabei die Kosten aus dem Umlegungsverfahren übernommen. Die Beklagte stellte die Klägerin nach Erhalt einer Abschrift des notariellen Vertrages durch Schreiben vom 25. August 2003 "von allen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei". Bei dieser Sachlage kann die Klägerin nach dem Inhalt der Parteiabrede Erstattung der von ihr zugunsten des Käufers ausgeglichenen Kosten aus dem Umlegungsverfahren verlangen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der auf der Erklärung der Beklagten basierenden Übereinkunft ist für die von der Anschlussrevision befürwortete korrigierende Auslegung von vornherein kein Raum. Insbesondere scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, weil die Einigung der Parteien vollständig ist und keine offene, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke aufweist (vgl. BGHZ 9, 273, 277; 127, 138, 142). Mithin kann der Senat nicht in die Prüfung eintreten, ob die Klägerin ohne die Einigung von der Beklagten Erstattung der Umlegungskosten beanspruchen könnte.
- 12
- 2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den von der Beklagten der Klageforderung im Wege der Aufrechnung und der Widerklage entgegengesetzten , auf ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) beruhenden Zahlungsanspruch im Ausgangspunkt mit 62.895,13 € bemessen. Soweit die Anschlussrevision die Gegenforderung auf 70.253,09 € veranschlagt , kann ihr nicht gefolgt werden.
- 13
- a) Im Zeitpunkt der Überweisung von 301.116,67 € befand sich auf dem Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 €. Folglich beläuft sich der Bereicherungsanspruch der Beklagten infolge der das Guthaben übersteigenden Zahlung auf 62.895,13 €. Insoweit kann die Klägerin - entgegen ihrem Revisionsvorbringen - nicht deshalb Erstattung beanspruchen, weil sie Lastschriften widersprochen hat. Ein Zahlungsanspruch besteht - hier nicht, weil sich das Konto nach Rückbuchung einer Lastschrift - im Debet befand. In einem solchen Fall beschränkt sich der Anspruch auf die Korrektur der ungenehmigten Belas- tung (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 - IX ZR 125/02, WM 2002, 2408, 2409). Die Revision kann mit dem Vorbringen, die der Schuldnerin von der Beklagten eingeräumte Kreditlinie sei nicht ausgeschöpft gewesen, keine Beachtung finden , weil sie es versäumt hat, die gegenteiligen tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit Hilfe eines Tatbestandsberichtigungsantrags (§ 320 ZPO) anzugreifen (vgl. BGH, Urt. v. 8. Januar 2007 - II ZR 334/04, NJW-RR 2007, 1434, 1435 Rn. 11 m.w.N.).
- 14
- b) Die nach der Überweisung am 2. Juli 2002 ausgeführten Lastschriften von insgesamt 7.357,96 € sind - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht zugunsten der Beklagten forderungserhöhend zu berücksichtigen. Eine Genehmigung dieser Lastschriften durch die Klägerin im Wege der Nutzung des Kontos (BGHZ 174, 84, 97 Rn. 34 ff) ist entgegen der Darstellung der Anschlussrevision in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen worden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen der Nr. 7 Abs. 4 AGB-Sparkassen.
- 15
- 3. Dem Berufungsgericht ist entgegen der Auffassung der Anschlussrevision auch beizutreten, soweit es die Anfechtung der Klägerin im Blick auf eine von der Beklagten im Wege des Bürgenregresses am 3. Mai 2002 in das Konto eingestellte Forderung über 25.564,59 € als begründet erachtet und folglich die Widerklageforderung entsprechend reduziert hat.
- 16
- Die Belastung des Kontos eines Schuldners durch seine Bank mit der Rückgriffsforderung aus der Inanspruchnahme einer Bürgschaft stellt keine der Anfechtung entzogene Bardeckung (§ 142 InsO) dar, weil es sich um eine eigene Forderung der Bank handelt (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Urt. v. 11. Oktober 2007 - IX ZR 195/04, WM 2008, 222, 223 Rn. 6). Liegen die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor, kann sich der Verwalter unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Verrechnung berufen (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008 - IX ZR 148/07, WM 2008, 1606, 1607 Rn. 8 m.w.N.). Die Beklagte wurde nach ihrem eigenen Vorbringen aus der für die Schuldnerin erteilten Bürgschaft durch Schreiben des Gläubigers vom 5. April 2002 - und damit nach der am 22. März 2002 erfolgten Antragstellung - in Anspruch genommen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte bereits am 25. März 2002 seitens der Klägerin von der Stellung des Insolvenzantrags und ihrer Einsetzung als vorläufige Insolvenzverwalterin unterrichtet worden war. Eine Gläubigerbenachteiligung scheidet nicht deswegen aus, weil die Beklagte an den Forderungseingängen der Schuldnerin nach Nr. 21 AGB-Sparkassen ein Pfandrecht erlangt hat. Da sämtliche Überweisungen an die Schuldnerin nach der Antragstellung vom 22. März 2002 eingingen, sind die Pfandrechte der Beklagten innerhalb der kritischen Zeit entstanden. Es handelt sich somit nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO jeweils um anfechtbare inkongruente Deckungen, weil der Pfandgegenstand nicht bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung konkretisiert war (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008, aaO S. 1607 f Rn. 15 f m.w.N.). Aus demselben Grund ist es unerheblich, ob vor der Inanspruchnahme des verklagten Bürgen ein sicherungsfähiger Freistellungsanspruch bestand.
- 17
- 4. Erfolg hat demgegenüber die Revision der Klägerin, soweit die Beklagte das Konto der Schuldnerin aus Überweisungen vom 14. Juni 2002 mit 2.479,77 € und 197,48 € belastet hat.
- 18
- a) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der zwischen dem Schuldner und der Bank bestehende Girovertrag (§ 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO). Ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossener Überwei- sungsvertrag besteht dagegen mit Wirkung für die Masse fort (§ 116 Satz 3 InsO ). Demgemäß hat die Bank die im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens vertraglich vereinbarten Überweisungen grundsätzlich zum Nachteil der Masse durchzuführen (MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. § 82 Rn. 21). Ein erst nach Insolvenzeröffnung zustande gekommener Überweisungsvertrag (§ 676a BGB) ist unwirksam (vgl. MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, aaO § 81 Rn. 12b, § 82 Rn. 21). Führt die Bank die Überweisung trotz Kenntnis der Insolvenzeröffnung aus, erwirbt sie - gleich ob das Konto kreditorisch oder debitorisch geführt wurde - keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Masse (MünchKommInsO /Ott/Vuia, aaO § 82 Rn. 21; Braun/Kroth, InsO 3. Aufl. § 82 Rn. 13; FKInsO /App, 5. Aufl. § 82 Rn. 7a; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 2. Aufl. § 82 Rn. 9; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 3.30 f; HK-InsO/ Kayser, 5. Aufl. § 82 Rn. 24).
- 19
- b) Bei dieser Sachlage sind beide Überweisungsverträge unwirksam, weil sie nach der am 29. Mai 2002 erfolgten und der Beklagten am 5. Juni 2002 mitgeteilten Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 14. Juni 2002 abgeschlossen wurden. In diesem Fall hat die Bank mangels eines wirksamen Vertrages lediglich einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger der Leistung (MünchKomm -InsO/Ott, aaO Rn. 22; Obermüller, aaO Rn. 3.31; vgl. BGHZ 167, 171, 173 Rn. 9). Überdies war die Beklagte - wie das Oberlandesgericht nachträglich zutreffend erkannt hat - nicht bloße Zahlstelle, sondern selbst Begünstigte der Überweisung und ist damit auch wegen der Unwirksamkeit der von der Schuldnerin getroffenen Verfügung (§ 81 InsO) einem Rückforderungsanspruch ausgesetzt (HmbKomm-InsO/Kuleisa aaO § 81 Rn. 6).
- 20
- 5. Die Revision ist außerdem begründet, soweit die Klägerin eine Kürzung des Bereicherungsanspruchs wegen der am 30. April 2002 durchgeführten Überweisung von 10.545,10 € begehrt.
- 21
- Zum Zeitpunkt der Überweisung war eine Sicherungsmaßnahme durch die Bestellung der Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt getroffen worden. Entsprechend dem für die Neufassung der §§ 676a ff BGB maßgeblichen Verständnis bildet der Überweisungsvertrag kein Verfügungs-, sondern ein Verpflichtungsgeschäft. Da die Klägerin lediglich mitbestimmende vorläufige Verwalterin war (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) und nur bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 InsO), war die Schuldnerin grundsätzlich nicht in ihrer Fähigkeit, Überweisungsverträge zu schließen, beschränkt (BGHZ 165, 283, 287; Obermüller, aaO Rn. 3.12 a; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 24 Rn. 10). Der Verwalter kann Überweisungsaufträge des Schuldners auch nicht widerrufen (Obermüller, aaO Rn. 3.19, 3.19a). Danach ist die Bank grundsätzlich berechtigt, trotz der Einsetzung eines schwachen vorläufigen Verwalters mit dem (späteren) Schuldner einen Überweisungsvertrag zu schließen (Obermüller, aaO, Rn. 3.12a; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz 2002 Rn. 159). Führt die Bank - wie hier - in Kenntnis des Zustimmungsvorbehalts (§§ 24, 82 InsO) einen Überweisungsvertrag aus, so kann sie jedoch den Überweisungsbetrag nicht in das Kontokorrent einstellen, weil die Belastung des Kontos an der fehlenden Genehmigung scheitert (Bork aaO Rn. 146; Obermüller aaO Rn. 3.12a; Peschke, Die Insolvenz des Girokontoinhabers 2005 S. 159).
- 22
- 6. Keinen Erfolg hat hingegen die Revision, soweit sie die restliche Forderung (24.198,19 €) im Wege der Anfechtung von Lastschriften verfolgt.
- 23
- Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist berechtigt , die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu versagen (BGHZ 161, 49, 52 ff.; 174, 84, 87 Rn. 11). Diese Befugnis hat die Klägerin hier mit der Folge der Rückbuchung von Lastschriften ausgeübt. Bei einem - leer wie im Streitfall - debitorisch geführten Konto geht - entsprechend den Ausführungen unter 2 a) - der Anspruch nur auf Korrektur der ungenehmigten Belastung. Weitergehende Rechte stehen dem Kontoinhaber nicht zu; insbesondere ein Zahlungsanspruch ist nicht entstanden (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 aaO). Mit dem Widerspruch wird, weil es mangels Genehmigung nicht zu einer wirksamen Lastschrift gekommen ist, lediglich der zutreffende Kontostand wieder hergestellt. Es fehlt folglich an einer die Masse beeinträchtigenden Rechtshandlung des Schuldners (§ 129 InsO). Daher geht die Anfechtung ins Leere (Bork EWiR 2002, 1097, 1098). Die Anfechtung hat der Senat lediglich für den Fall einer Genehmigung der Belastungsbuchung erwogen (BGHZ 161, 49, 56), an der es vorliegend gerade fehlt.
III.
- 24
- Soweit Entscheidungsreife gegeben ist, hat der Senat in der Sache entschieden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist lediglich im Blick auf die Forderung der Klägerin über 10.545,10 € an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), weil sich die Beklagte unter Benennung von Zeugen darauf berufen hat, die Überweisung im Einverständnis mit der Klägerin durchgeführt zu haben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien die notwendigen Feststellungen zu treffen.
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Siegen, Entscheidung vom 13.04.2006 - 5 O 27/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.02.2007 - 25 U 63/06 -
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat,
- 1.
wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, wenn zur Zeit der Handlung der Schuldner zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder - 2.
wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
(2) Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit oder des Eröffnungsantrags steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen.
(3) Gegenüber einer Person, die dem Schuldner zur Zeit der Handlung nahestand (§ 138), wird vermutet, daß sie die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte.
BUNDESFINANZHOF
Urteil vom 11.11.2008
Az.: VII R 19/08
1. Die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden richtet sich wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie.
2. Die erfolgreiche Insolvenzanfechtung einer erst nach Fälligkeit abgeführten Lohnsteuer unterbricht den Kausalverlauf zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt jedenfalls dann nicht, wenn der Fälligkeitszeitpunkt vor dem Beginn der Anfechtungsfrist lag.
3. Die Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit ist dem Geschäftsführer nach § 34 Abs. 1 AO, § 41a EStG nicht allein zur Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls auferlegt, sondern soll auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit sicherstellen.
4. Der Zurechnungszusammenhang zwischen einer pflichtwidrig verspäteten Lohnsteuerzahlung und dem eingetretenen Schaden (Steuerausfall) ergibt sich daraus, dass dieser Schaden vom Schutzzweck der verletzten Pflicht zur fristgemäßen Lohnsteuerabführung erfasst wird.
Gründe
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Er reichte die Lohnsteueranmeldungen für die GmbH für den Zeitraum April bis Juni 2003 fristgerecht beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) ein. Die angemeldete Steuerschuld wurde durch Zahlung an den Vollziehungsbeamten des FA am 19. September 2003 beglichen.
Wegen anderer Steuerschulden beantragte das FA am 22. Oktober 2003 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 16. Januar 2004 eröffnet.
Die Zahlung an den Vollziehungsbeamten focht die Insolvenzverwalterin nach § 131 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) an. Daraufhin erstattete das FA diesen Betrag an die Insolvenzmasse. Wegen der demzufolge wieder offenen Steuerschulden aus den Lohnsteueranmeldungen April bis Juni 2003 sowie der Säumniszuschläge hierzu nahm das FA den Kläger mit Haftungsbescheid vom 7. April 2005 in Anspruch.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 998 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht, nämlich von § 69 der Abgabenordnung (AO). Der Kläger habe die ihm als Geschäftsführer obliegenden steuerlichen Pflichten dadurch verletzt, dass er die Lohnsteuer nicht zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten abgeführt habe. Diese Pflichtverletzung sei nach der insoweit maßgeblichen Adäquanztheorie auch kausal für den Steuerausfall gewesen. Weder der Insolvenzantrag des FA noch die Anfechtung des Insolvenzverwalters hätten nach der allgemeinen Lebenserfahrung außerhalb der Wahrscheinlichkeit gelegen. Der Geschäftsführer einer zahlungsunfähigen GmbH müsse jederzeit damit rechnen, dass ein Gläubiger "von der Antragsmöglichkeit des § 17 InsO" Gebrauch mache. An der Kausalität fehle es auch deshalb nicht, weil die pflichtgemäße Zahlung der Lohnsteuern zum Fälligkeitszeitpunkt vor dem dreimonatigen Anfechtungszeitraum des § 130 Abs. 1 InsO erfolgt wäre. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 5. Juni 2007 VII R 30/06 (BFH/NV 2008, 1) sei entgegen der Darstellung des Klägers zu entnehmen, dass die Kausalität der pflichtwidrigen Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge für den Steuerschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände beseitigt werden könne.
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Entscheidung kann nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO ergehen.
Das FA hat den Kläger zu Recht gemäß § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen.
1. Als Geschäftsführer hatte der Kläger in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter der GmbH i.S. von § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur Einbehaltung und fristgerechten Abführung der im Haftungszeitraum von der GmbH angemeldeten Lohnsteuerabzugsbeträge (§ 38 Abs. 3 Satz 1 und § 41a des Einkommensteuergesetzes --EStG--). Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den Senat bindenden Feststellungen des FG hat der Kläger für die Monate April bis Juni 2003 zwar fristgerecht Lohnsteueranmeldungen abgegeben, zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt aber die angemeldeten Beträge nicht entrichtet. Die in der nicht fristgerechten Entrichtung liegende objektive Pflichtwidrigkeit indiziert den gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf (Senatsbeschluss vom 25. Juli 2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540, m.w.N.).
2. Diese schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers ist auch kausal für den Eintritt des Vermögensschadens beim Fiskus.
Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, dass sich die erforderliche Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem mit der Haftung geltend gemachten Schaden wegen des Schadensersatzcharakters der Haftung nach § 69 AO wie bei zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen nach der Adäquanztheorie richtet. Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein oder erfahrungsgemäß geeignet sind, den Erfolg zu verursachen. Sofern --wie im Streitfall-- ein Unterlassen in Betracht kommt, muss, um die Ursächlichkeit bejahen zu können, ein Hinzudenken der unterbliebenen Handlung zu dem Ergebnis führen, dass der Schaden ohne das Unterlassen nicht eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts des Erfolgs genügen dazu nicht (Senatsurteil vom 25. April 1995 VII R 100/94, BFH/NV 1996, 97, m.w.N.).
Hätte der Kläger die angemeldeten Lohnsteuern bis spätestens zum Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer für Juni 2003 (nach den unbestrittenen Angaben des FA am 15. Juli 2003) gezahlt, wäre es nicht zu dem Steuerausfall beim Fiskus gekommen, denn der Dreimonatszeitraum vor dem Antrag auf Insolvenzeröffnung, in dem nach § 130 Abs. 1 InsO Zahlungen des Schuldners anfechtbar sind (Anfechtungszeitraum), begann erst am 22. Juli 2003.
Der Senat vermag der Argumentation des FG nicht zu folgen, dass der Steuerausfall nicht mehr adäquat kausal auf der nicht fristgerechten Abführung der angemeldeten Lohnsteuern beruht, weil diese Kausalkette mit der --wenn auch verspäteten-- Zahlung der Steuerbeträge an den Vollziehungsbeamten beendet worden sei. Zwar ist richtig, dass im Streitfall der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb der Anfechtungsfrist und die erfolgreiche Anfechtung durch die Insolvenzverwalterin zur Pflichtverletzung des Klägers hinzutreten mussten, um den Steuerausfall beim Fiskus herbeizuführen. Diese weiteren Voraussetzungen für den Schadenseintritt ändern aber nichts an der Ursächlichkeit auch des Verhaltens des Klägers. Sie haben nicht einmal ein "neues" Steuerschuldverhältnis entstehen lassen.
Zwar führt die Zahlung der Steuerschuld regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses. Bei Steuerfälligkeiten, die in insolvenzreife Zeit fallen, bleibt dieses Steuerschuldverhältnis aber selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe. Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt gemäß § 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt (Kreft in Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 4. Aufl., § 144 Rz 3, m.w.N.). Die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt.
Die Möglichkeit des Schadenseintritts beim Fiskus trotz geleisteter Zahlung ist deshalb entgegen der Ansicht des FG wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtung jedenfalls kein untypischer Geschehensablauf.
3. Der Senat hat erwogen, ob die Haftung des Klägers im Streitfall deshalb ausscheidet, weil der Zurechnungszusammenhang zwischen der nicht fristgerechten Lohnsteuerentrichtung des Klägers und dem Steuerausfall beim Fiskus fehlt. In Fällen, in denen ein Schaden auf mehreren Ursachen beruht, hat der Bundesgerichtshof (BGH) für das zivile Schadensersatz- bzw. Haftungsrecht ausnahmsweise eine Zurechnungsbegrenzung des adäquat verursachten Schadens angenommen, wenn der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der Pflichtverletzung steht (BGH-Urteil vom 15. November 2007 IX ZR 44/04, BGHZ 174, 205, m.w.N.). Ein solcher innerer Zusammenhang wird verneint, wenn der eingetretene Schaden nicht in den Schutzbereich der nicht beachteten Norm fällt. Mit anderen Worten ist Voraussetzung für die Schadenszurechnung, dass der geltend gemachte Schaden nach Sinn und Tragweite der verletzten Norm durch diese verhütet werden sollte.
Der Senat kann offenlassen, ob diese zivilrechtlichen Erwägungen --anders als jene zur Berücksichtigung eines hypothetischen Kausalverlaufs (vgl. Senatsurteile vom 5. Juni 2007 VII R 65/05, BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273; in BFH/NV 2008, 1; vom 19. September 2007 VII R 39/05, BFH/NV 2008, 18; vom 4. Dezember 2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521) oder zur Anwendung der Mitverschuldensregelung des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2000 VII B 217/99, BFH/NV 2000, 1442; vom 2. November 2001 VII B 75/01, BFH/NV 2002, 310)-- uneingeschränkt auf die steuerrechtliche Haftung nach § 69 AO übertragen werden können, weil sie auch im Zivilrecht nicht auf das Deliktsrecht beschränkt, sondern für Schadensersatzansprüche aller Art anerkannt sind (vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., Vorbem. v. § 249 Rz 63 f.; zur Steuerberaterhaftung BGH-Urteil vom 18. Januar 2007 IX ZR 122/04, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 701; zur Anwaltshaftung BGH-Urteil in BGHZ 174, 205). Die dem Geschäftsführer nach § 34 AO, § 41a EStG auferlegte Pflicht zur Begleichung der Steuerschuld der GmbH im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit steht nämlich bei der gebotenen wertenden Betrachtung in einem inneren Zusammenhang mit dem Steuerausfall infolge einer späteren Insolvenzanfechtung.
Vom Normzweck erfasst wird nicht nur die Vermeidung eines durch eine verspätete Zahlung eintretenden Zinsausfalls, sondern auch die Erfüllung der Steuerschuld nach den rechtlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Fälligkeit. Die Pflicht zur pünktlichen Steuerzahlung dient nicht nur der Vermeidung des Verzugsschadens beim Fiskus. Denn dieser Schaden wäre bereits durch Verzugszinsen auszugleichen. Wenn der Gesetzgeber darüber hinaus mit den kraft Gesetzes verwirkten Säumniszuschlägen zusätzlich ein besonderes Druckmittel für die Fälle geschaffen hat, in denen die rechtzeitige Zahlung noch nicht wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 7. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV 2000, 161), so zeigt das, dass er den Steuerpflichtigen auch zur Vermeidung sonstiger Schadensrisiken --wie etwa verminderter Leistungsfähigkeit-- zur rechtzeitigen Steuerzahlung anhalten wollte. Gerade in Zeiten der Krise kommt der Pflicht zur pünktlichen Zahlung der Steuer erhöhte Bedeutung zu. Sie soll den Fiskus nicht nur davor schützen, dass der Steuerschuldner zahlungsunfähig wird, bevor er (verspätet) bereit ist, seine Steuerschulden zu begleichen, sondern auch vor allen sonstigen Risiken verspäteter Zahlungsbereitschaft, wie sie sich z.B. im Streitfall realisiert haben.
4. Auch unter dem Gesichtspunkt eines Mitverschuldens des FA lässt sich im Streitfall ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht begründen. Selbst wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens innerhalb der Anfechtungsfrist der Steuerzahlung dem FA als Mitverschulden an dem Schadenseintritt anzulasten wäre, würde dieses Mitverschulden die Haftung des Klägers nicht beschränken. Nach der Rechtsprechung des Senats ist auf öffentlich-rechtliche Steuerhaftungsansprüche § 254 BGB nicht (entsprechend) anwendbar; anders als bei zivilrechtlichen Ersatzleistungen spielt also ein Mitverschulden des FA für das Entstehen bzw. den Umfang eines Steuerhaftungsanspruchs keine Rolle. Mitwirkendes Verschulden des FA am Entstehen eines Steuerausfalls kann allenfalls die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners ermessensfehlerhaft machen (Senatsbeschluss in BFH/NV 2000, 1442, m.w.N.). Im Streitfall jedoch kommt die Berücksichtigung eines etwaigen finanzbehördlichen Fehlverhaltens schon deshalb nicht in Betracht, weil es gegenüber dem Verschulden des Klägers keinesfalls entscheidend ins Gewicht fällt (vgl. Senatsurteil vom 30. August 2005 VII R 61/04, BFH/NV 2006, 232, m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass das FA im Streitfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zu dem von ihm gewählten Zeitpunkt hätte beantragen dürfen, sind weder vorgetragen noch --insbesondere angesichts der Eröffnung des Verfahrens drei Monate nach Antragstellung-- sonst ersichtlich.
(1) Soweit ein angefochtener Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und die etwaige Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf auf; die Finanzbehörde ist an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der Aufhebung zugrunde liegt, an die tatsächliche so weit, als nicht neu bekannt werdende Tatsachen und Beweismittel eine andere Beurteilung rechtfertigen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, dass und wie die Finanzbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Satz 1 gilt nicht, soweit der Steuerpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht nachgekommen ist und deshalb die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlass des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, dass Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluss kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
(1) Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben.
(2) Geschäftsführer kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Geschäftsführer kann nicht sein, wer
- 1.
als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1825 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, - 2.
aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder einer vollziehbaren Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig nicht ausüben darf, sofern der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt, - 3.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten - a)
des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung), - b)
nach den §§ 283 bis 283d des Strafgesetzbuchs (Insolvenzstraftaten), - c)
der falschen Angaben nach § 82 dieses Gesetzes oder § 399 des Aktiengesetzes, - d)
der unrichtigen Darstellung nach § 400 des Aktiengesetzes, § 331 des Handelsgesetzbuchs, § 346 des Umwandlungsgesetzes oder § 17 des Publizitätsgesetzes oder - e)
nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr
verurteilt worden ist; dieser Ausschluss gilt für die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils, wobei die Zeit nicht eingerechnet wird, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist.
(3) Zu Geschäftsführern können Gesellschafter oder andere Personen bestellt werden. Die Bestellung erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrag oder nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts.
(4) Ist im Gesellschaftsvertrag bestimmt, daß sämtliche Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt sein sollen, so gelten nur die der Gesellschaft bei Festsetzung dieser Bestimmung angehörenden Personen als die bestellten Geschäftsführer.
(5) Gesellschafter, die vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person, die nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen, haften der Gesellschaft solidarisch für den Schaden, der dadurch entsteht, dass diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzt.
(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten.
(2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1. An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 10 Abs. 2 Satz 2 erfolgen.
(3) Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters oder daneben in der Hand der Gesellschaft und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so ist auf seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Rechtsgeschäfte zwischen ihm und der von ihm vertretenen Gesellschaft sind, auch wenn er nicht alleiniger Geschäftsführer ist, unverzüglich nach ihrer Vornahme in eine Niederschrift aufzunehmen.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
(1)1Bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer), soweit der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der
- 1.
im Inland einen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter im Sinne der §§ 8 bis 13 der Abgabenordnung hat (inländischer Arbeitgeber) oder - 2.
einem Dritten (Entleiher) Arbeitnehmer gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung im Inland überlässt, ohne inländischer Arbeitgeber zu sein (ausländischer Verleiher).
(2)1Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer.2Die Lohnsteuer entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt.
(3)1Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten.2Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts hat die öffentliche Kasse, die den Arbeitslohn zahlt, die Pflichten des Arbeitgebers.3In den Fällen der nach § 7f Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch an die Deutsche Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben hat die Deutsche Rentenversicherung Bund bei Inanspruchnahme des Wertguthabens die Pflichten des Arbeitgebers.
(3a)1Soweit sich aus einem Dienstverhältnis oder einem früheren Dienstverhältnis tarifvertragliche Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitslohn unmittelbar gegen einen Dritten mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland richten und von diesem durch die Zahlung von Geld erfüllt werden, hat der Dritte die Pflichten des Arbeitgebers.2In anderen Fällen kann das Finanzamt zulassen, dass ein Dritter mit Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland die Pflichten des Arbeitgebers im eigenen Namen erfüllt.3Voraussetzung ist, dass der Dritte
- 1.
sich hierzu gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet hat, - 2.
den Lohn auszahlt oder er nur Arbeitgeberpflichten für von ihm vermittelte Arbeitnehmer übernimmt und - 3.
die Steuererhebung nicht beeinträchtigt wird.
(4)1Wenn der vom Arbeitgeber geschuldete Barlohn zur Deckung der Lohnsteuer nicht ausreicht, hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den Fehlbetrag zur Verfügung zu stellen oder der Arbeitgeber einen entsprechenden Teil der anderen Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten.2Soweit der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung nicht nachkommt und der Arbeitgeber den Fehlbetrag nicht durch Zurückbehaltung von anderen Bezügen des Arbeitnehmers aufbringen kann, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt (§ 41a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) anzuzeigen.3Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber die von einem Dritten gewährten Bezüge (Absatz 1 Satz 3) am Ende des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums anzugeben; wenn der Arbeitnehmer keine Angabe oder eine erkennbar unrichtige Angabe macht, hat der Arbeitgeber dies dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen.4Das Finanzamt hat die zu wenig erhobene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern.
(1)1Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
- 1.
dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Absatz 2) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung), - 2.
die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen.
(2)1Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat.2Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1 080 Euro, aber nicht mehr als 5 000 Euro betragen hat; Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalenderjahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1 080 Euro betragen hat.3Hat die Betriebsstätte nicht während des ganzen vorangegangenen Kalenderjahres bestanden, so ist die für das vorangegangene Kalenderjahr abzuführende Lohnsteuer für die Feststellung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums auf einen Jahresbetrag umzurechnen.4Wenn die Betriebsstätte im vorangegangenen Kalenderjahr noch nicht bestanden hat, ist die auf einen Jahresbetrag umgerechnete für den ersten vollen Kalendermonat nach der Eröffnung der Betriebsstätte abzuführende Lohnsteuer maßgebend.
(3)1Die oberste Finanzbehörde des Landes kann bestimmen, dass die Lohnsteuer nicht dem Betriebsstättenfinanzamt, sondern einer anderen öffentlichen Kasse anzumelden und an diese abzuführen ist; die Kasse erhält insoweit die Stellung einer Landesfinanzbehörde.2Das Betriebsstättenfinanzamt oder die zuständige andere öffentliche Kasse können anordnen, dass die Lohnsteuer abweichend von dem nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt anzumelden und abzuführen ist, wenn die Abführung der Lohnsteuer nicht gesichert erscheint.
(4)1Arbeitgeber, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben, dürfen die anzumeldende und abzuführende Lohnsteuer abziehen und einbehalten, die auf den Arbeitslohn entfällt, der an die Besatzungsmitglieder für die Beschäftigungszeiten auf diesen Schiffen gezahlt wird.2Die Handelsschiffe müssen in einem Seeschiffsregister eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, eingetragen sein, die Flagge eines dieser Staaten führen und zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See betrieben werden.3Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn Seeschiffe im Wirtschaftsjahr überwiegend außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zum Schleppen, Bergen oder zur Aufsuchung von Bodenschätzen oder zur Vermessung von Energielagerstätten unter dem Meeresboden eingesetzt werden.4Bei Besatzungsmitgliedern, die auf Schiffen, einschließlich Ro-Ro-Fahrgastschiffen, arbeiten, die im regelmäßigen Personenbeförderungsdienst zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingesetzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn die Besatzungsmitglieder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates sind, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist.5Bei Seeschiffen, die für Schlepp- und Baggerarbeiten genutzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn es sich um seetüchtige Schlepper und Baggerschiffe mit Eigenantrieb handelt und die Schiffe während mindestens 50 Prozent ihrer Betriebszeit für Tätigkeiten auf See eingesetzt werden.6Ist für den Lohnsteuerabzug die Lohnsteuer nach der Steuerklasse V oder VI zu ermitteln, bemisst sich der Betrag nach Satz 1 nach der Lohnsteuer der Steuerklasse I.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
BUNDESFINANZHOF
Urteil vom 29.05.1990
Az.: VII R 81/89
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Er beantragte . . ., über das Vermögen dieser Gesellschaft das Konkursverfahren zu eröffnen. Das zuständige Amtsgericht lehnte den Konkursantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab; die GmbH wurde daraufhin aufgelöst. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger nach vorheriger Anhörung . . . wegen rückständiger Lohnsteuer der GmbH für den Zeitraum von .... bis sowie wegen Säumniszuschlägen und Verspätungszuschlägen zur Lohnsteuer gemäß §§ 34, 69, 191 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Der ohne Begründung eigelegte Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Die Klage führte zu einer Herabsetzung der Haftungssummen wegen der Lohnsteuer um . . . DM auf . . . DM, der Verspätungszuschläge auf . . . DM und der Säumniszuschläge auf. . . DM (Berechnung bis zum Zeitpunkt des Konkursantrags). Im übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit folgender Begründung ab:
Der Haftungsbescheid sei nicht wegen einer Ermessungsüberschreitung oder eines Ermessensfehlgebrauchs rechtswidrig. Das FA habe zwar nicht dazu Stellung genommen, welcher Schuldvorwurf (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) dem Kläger zu machen sei und aus welchen Ermessenserwägungen er in Anspruch genommen werde. Da die Anwendung des § 69 AO 1977 mindestens grobe Fahrlässigkeit voraussetze, sei aber davon auszugehen, daß das FA von dieser Schuldform ausgegangen sei. Diese Beurteilung sei auch zutreffend.
Im vorliegenden Fall sei der Mangel an mitgeteilten Ermessenserwägungen, soweit er überhaupt - im Hinblick auf die vorliegende Verschuldensform - rechtlich erheblich wäre, nicht schwerwiegend, weil das FA kein Auswahlermessen, sondern allenfalls Entschließungsermessen gehabt habe. Neben dem Kläger seien andere Personen als Haftende nicht in Betracht gekommen. Das FA habe auch die Arbeitnehmer nicht als Steuerschuldner in Anspruch nehmen können, denn hinsichtlich der Abzugssteuern hätten die Voraussetzungen des § 42d Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgelegen. Soweit der Haftungsbescheid die Lohnsteuernachforderung wegen unzulässiger Pauschalierung betreffe, habe das FA die Arbeitnehmer schon deshalb nicht heranziehen können, weil es die Namen und Anschriften der teilzeitbeschäftigten Aushilfskräfte nicht gekannt habe. In bezug auf Säumniszuschläge und Verspätungszuschläge käme eine Haftung anderer Personen ebenfalls nicht in Frage. Da das FA dem Kläger den Erlaß eines Haftungsbescheids im voraus angekündigt und damit seine Entscheidung in gewisser Weise auch vom Verhalten des Klägers selbst abhängig gemacht habe, seien an die Darlegung des dem FA verbleibenden Entschließungsermessens keine besonderen Anforderungen zu stellen.
Wenn im Streitfall in der GmbH die Buchhalterin für die Abführung der Lohnsteuer zuständig gewesen sei, sei das grob fahrlässige Verhalten des Klägers darin zu sehen, daß er deren Tätigkeit nicht überwacht habe. Die Überwachungsverpflichtung beinhalte auch, sich anhand der Bankkonten davon zu überzeugen, daß die Steuern an das FA überwiesen bzw. vom Konto abgebucht seien. Im vorliegenden Fall hätte es dem Kläger auffallen müssen, daß über einen Zeitraum von einem Jahr zwar Löhne gezahlt, Steuern aber nicht entrichtet wurden.
Grobe Fahrlässigkeit sei auch im Hinblick auf die Lohnsteuern anzunehmen, die auf die Aushilfslöhne entfielen und vom FA im Anschluß an die im Jahre . . . durchgeführte Betriebsprüfung nachgefordert worden seien. Denn bereits bei einer im Jahre . . . durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung sei festgestellt worden, daß die GmbH Löhne zu 10 v. H. pauschal versteuert habe, ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt gewesen seien. Der Kläger hätte deshalb Veranlassung gehabt, in der nachfolgenden Zeit auf die richtige Versteuerung der Aushilfslöhne zu achten.
Die Verspätungszuschläge seien ebenfalls durch mangelhafte Erfüllung der dem Kläger obliegenden (Überwachungs-) Pflichten entstanden. Da die Zuschläge schon ein Jahr vor Stellung des Konkursantrags festgesetzt worden seien, müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger noch über Mittel verfügt habe, mit denen er die Zuschläge hätte bezahlten können.
Die Haftung für die geschätzten Lohnsteuerabzugsbeträge der Monate . . . in Höhe von je . . . DM müsse bestehen bleiben, weil in diesen Monaten noch Löhne gezahlt, aber nicht angemeldet worden seien. Der Kläger hätte, falls die Schätzung unzutreffend sei, durch nachträgliche Anmeldung der Lohnsteuer diese in zutreffender Höhe berichtigen lassen können. Daß die Schätzungen erst nach Konkursantrag erfolgt seien, sei unerheblich, denn die Lohnsteuer sei schon vor Stellung des Konkursantrags zu entrichten gewesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision wendet sich der Kläger im wesentlichen gegen die Bestätigung der Ermessensentscheidung des FA durch die Vorentscheidung. Er meint, der Haftungsbescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil das FA sein Ermessen, ihn als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung begründet habe. Das FG gehe rechtsfehlerhaft davon aus, daß die Ermessensentscheidung des FA auch im Falle des grob fahrlässigen Verhaltens des Haftungsschuldners, das es im Streitfall - zu Unrecht - unterstelle, vorgeprägt sei und deshalb nicht begründet zu werden brauche. Diese Auffassung sei im Urteil des Senats vom 8. November 1988 VII R 141/85 (BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219) für die Rechtslage nach der AO 1977 aufgegeben worden.
Im übrigen werde die Haftungsvorschrift des § 69 AO 1977 dadurch verletzt, daß er für Lohnsteuerbeträge 1978 bis 1980 in Anspruch genommen werde, bei denen es sich nicht um angemeldete oder nicht abgeführte Lohnsteuer, sondern um Nachforderungen auf Grund einer Betriebsprüfung handele. Diese falsche Lohnsteuerberechnung hätte nicht er (der Kläger), sondern die für die Lohnsteuer zuständige Buchhalterin sowie der Steuerberater zu vertreten. Auch fehle insoweit eine überprüfbare Ermessensentscheidung, da das FA sich bei der Nacherhebung der Lohnsteuer zunächst an die Arbeitnehmer hätte wenden sollen. Weil er im Vertrauen auf die Buchhalterin von einer ordnungsgemäßen und fristgerechten Abgabe der Erklärungen habe ausgehen können, könne ihm keine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Das FG hätte über die Frage seiner Verantwortlichkeit zumindest eine Beweiserhebung durchführen müssen. Die Vernehmung der Buchhalterin als Zeugin hätte ergeben, daß er seinen Überwachungspflichten nachgekommen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist wie das FA zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO 1977 verwirklicht hat. Die von der Revision gegen die Vorentscheidung erhobenen Einwendungen, insbesondere gegen die Annahme einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers, greifen nicht durch. Das FA hat zwar die ihm hinsichtlich der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach § 191 Abs. 1 AO 1977 obliegende Ermessensentscheidung nicht begründet. Auf eine ausdrückliche Darlegung der Ermessenserwägungen konnte jedoch nach den besonderen Umständen des Falles - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - verzichtet werden.
1. a.
Der angefochtene Haftungsbescheid betrifft für die Haftungszeiträume . . . Lohnsteuern, die von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer der GmbH einbehalten, aber entgegen der dem Geschäftsführer obliegenden gesetzlichen Verpflichtung (§§ 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG, 34 Abs. 1 AO 1977, 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) nicht an das FA abgeführt worden sind. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Nichtabführung der einbehaltenen und angemeldeten Lohnsteuern zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine - wenn nicht vorsätzliche - zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des GmbH-Geschäftsführers i. S. des § 69 AO 1977 darstellt. Die Umstände des Streitfalles und das Vorbringen des Klägers rechtfertigen keine hiervon abweichende Beurteilung.
Das FG hat zu Recht ausgeführt, daß sich der Kläger hinsichtlich der Nichtabführung der Lohnsteuer nicht auf die interne Zuständigkeit der Buchhalterin für die Steuerangelegenheiten der GmbH und deren Versäumnis berufen kann. Den Kläger trifft die vom Gesetz vorausgesetzte Verschuldensform zumindest deshalb, weil er als verantwortlicher Geschäftsführer der GmbH die Erfüllung deren steuerlichen Verpflichtungen durch die Buchhalterin - wie sich aus dem Sachverhalt offensichtlich ergibt - nicht ausreichend überwacht hat. Wäre er seiner Überwachungspflicht gegenüber der Angestellten der GmbH nachgekommen, so hätte ihm nicht unbemerkt bleiben können, daß über einen Zeitraum von etwa einem Jahr die einbehaltene Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß an das FA abgeführt worden ist. Es bedurfte deshalb zu der Feststellung des FG, daß der Kläger seine Überwachungspflicht grob fahrlässig verletzt habe, keiner weiteren Beweiserhebung durch die Vorinstanz. Die insoweit von der Revision erhobene Verfahrensrüge - mangelnde Vernehmung der Buchhalterin als Zeugin - entspricht im übrigen nicht der in § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordung (FGO) vorgeschriebenen Form und ist deshalb unzulässig. Der Kläger hat weder dargelegt, daß das FG von ihm angebotene Beweismittel nicht erhoben habe, noch daß sich dem Gericht auch ohne Beweisantritt zur Frage der Überwachung durch den Kläger die Vernehmung der Buchhalterin von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (vgl. Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdz. 170, 171).
b.
Die vorstehenden Ausführungen zum Verschulden des Klägers gelten entsprechend hinsichtlich der Lohnsteuer für . . ., bei der es bereits an der vorgeschriebenen Anmeldung gegenüber dem FA (§ 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG) fehlt - nicht (rechtzeitig) festgesetzt i. S. des § 69 Satz 1 AO 1977 -, und die deshalb geschätzt werden mußte. Der Kläger hat für diese Zeiträume weder Lohnsteueranmeldungen noch substantiierte Einwendungen gegen die Höhe der Schätzung und Steuerfestsetzung durch das FA erhoben.
Wegen der Verwirklichung des Haftungstatbestands für die im Haftungsbescheid festgesetzten Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge - soweit diese nicht bereits vom FG herabgesetzt worden sind - verweist der Senat auf die Vorentscheidung, gegen die die Revision insoweit keine Einwendungen erhoben hat.
c.
Soweit der Kläger noch für Lohnsteuer . . . in Anspruch genommen wird, handelt es sich nach den Feststellungen des FG um Nachforderungen gegenüber der GmbH auf Grund einer Betriebsprüfung wegen unzulässiger Pauschalierung von Aushilfslöhnen. Hier trifft den Kläger der Vorwurf grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht wegen der Nichtabführung einbehaltener Lohnsteuer - der Nachforderungsbetrag ist nach den Angaben im Haftungsbescheid erst nach dem Konkursantrag fällig geworden -, sondern wegen der materiell-rechtlich fehlerhaften Versteuerung der Aushilfslöhne. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf eigene Unkenntnis oder auf eine fehlerhafte Steuerberechnung durch die Buchhalterin und den Steuerberater der GmbH berufen. Denn nach den Feststellungen des FG war die fehlerhafte Versteuerung der Aushilfslöhne durch die GmbH bereits bei der vorangegangenen Lohnsteueraußenprüfung im Jahre . . . festgestellt und beanstandet worden. Der Kläger hätte dafür Sorge tragen müssen, daß für den nachfolgenden Zeitraum die Aushilfslöhne zutreffend versteuert würden. Er hätte zu diesem Zweck die Buchhalterin entsprechend unterrichten und beaufsichtigen müssen. Das FG hat deshalb auch insoweit zu Recht die Erfüllung des Haftungstatbestandes durch den Kläger bejaht.
2.
Im Ergebnis zutreffend hat das FG auch entschieden, daß die Ermessensentscheidung des FA, den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, nicht zu beanstanden ist und daß die Ermessensentscheidung nicht an einem Begründungsmangel leidet.
a.
Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 34, 69 AO 1977 Haftenden handelt es sich gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 um eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508, und Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behörlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen läßt, trifft die Auffassung der Revision grundsätzlich zu, daß die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden muß (vgl. § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977), anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist. Dabei muß die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt - Auswahlermessen - (vgl. Urteil des Senats vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176). Entgegen der Auffassung der Revision konnte aber im Streitfall aus den nachstehenden Gründen auf eine ausdrückliche Begründung der Ermessensentscheidung des FA in den angefochtenen Verwaltungsakten verzichtet werden.
b.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, bedurfte es keiner besonderen Begründung zum Auswahlermessen des FA, weil andere Personen als der Kläger für eine Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner nicht in Betracht kamen.
Der Kläger war der alleinige Geschäftsführer der GmbH. Diese konnte - wie dem Kläger bekannt war (vgl. § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) - neben ihm nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg als Haftungsschuldner für die Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 EStG) herangezogen werden, nachdem ihr Konkursantrag mangels Masse abgelehnt worden war. Eine Heranziehung der Arbeitnehmer als Steuerschuldner für die einbehaltene, aber nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer war rechtlich nicht möglich. Denn nach § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG kann der Arbeitnehmer im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft (mit dem Arbeitgeber) nur in Anspruch genommen werden, (1.) wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, (2.) wenn der Arbeitnehmer weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, soweit er dies nicht unverzüglich dem FA mitgeteilt hat. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall hinsichtlich der von den Arbeitslöhnen einbehaltenen und dem FA angemeldeten Lohnsteuer nicht vor. Aus der Sicht der Arbeitnehmer, denen nur die Nettolöhne ausgezahlt worden sind, war damit die Lohnsteuer entrichtet. Soweit der Haftungsbescheid Lohnsteuernachforderungen . . . wegen unzulässiger Pauschalierung betrifft, konnte das FA, wie das FG ebenfalls zutreffend festgestellt hat, die Arbeitnehmer - falls diese überhaupt noch Steuerschuldner waren (vgl. § 40 Abs. 3 EStG) - schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil es die Namen und Anschriften der teilzeitbeschäftigten Aushilfskräfte nicht kannte. Dies wußte auch der Kläger, so daß Ausführungen im Haftungsbescheid insoweit nicht geboten waren (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).
c.
Die vorstehend dargestellte Sachlage, wonach eine Realisierung der rückständigen Lohnsteuer und der damit zusammenhängenden steuerrechtlichen Nebenleistungen (Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge) allein beim Kläger möglich ist, hat auch Auswirkungen auf die Begründungsanforderungen, die an das Entschließungsermessen, nämlich die Entscheidung des FA, seinen Haftungsanspruch aus § 69 AO 1977 gegen den Kläger geltend zu machen, gestellt werden. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176, 178 ausgeführt hat, könnte im Hinblick auf die dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegende Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben (§ 85 AO 1977), der Erlaß eines Haftungsbescheids bei Uneinbringlichkeit der Erstschuld nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Das FA braucht deshalb im Regelfall, wenn solche außergewöhnlichen Umstände nicht vorgetragen und nicht ersichtlich sind, seine Entschließung, den Haftenden in Anspruch zu nehmen, jedenfalls dann nicht besonders zu begründen, wenn eine anderweitige Realisierung des Steueranspruchs - beim Steuerschuldner oder bei einem anderen Haftungsschuldner - nicht möglich ist. Da im Streitfall für das FA allein die Inanspruchnahme des Klägers in Betracht kam und besondere Umstände, die es hätten veranlassen können, von der Geltendmachung des Haftungsanspruchs abzusehen, nicht vorlagen und auch von der Revision nicht vorgetragen worden sind, konnte somit auf eine nähere Darlegung des Entschließungsermessens im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung verzichtet werden.
Wie aus der vorstehend zitierten Entscheidung ersichtlich ist, gilt dies jedenfalls dann, wenn erkennbar ist, daß sich das FA des Umstandes bewußt war, daß es mit der Heranziehung des Haftungsschuldners eine Ermessensentscheidung gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 zu treffen hatte. Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, obwohl entsprechende Ausführungen im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung fehlen. Die Vorentscheidung verweist insoweit zu Recht auf das von ihr in Bezug genommene Schreiben des FA vom . . ., mit dem dem Kläger der Erlaß eines Haftungsbescheids angekündigt und er zur Stellungnahme zu dem geltend gemachten Haftungsanspruch aufgefordert worden ist. In der angeforderten Stellungnahme sollten nach dem Schreiben des FA auch "Gesichtspunkte und Billigkeitsgründe, die gegen seine Inanspruchnahme sprechen könnten (z. B. angespannte wirtschaftliche Verhältnisse bzw. Vermögenslage)" mitgeteilt werden. Daraus ergibt sich, daß sich das FA bewußt war, mit dem Erlaß des Haftungsbescheids eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen und daß es diese von dem Vorbringen des Klägers abhängig machen wollte. Da der Kläger keine außergewöhnlichen Umstände vorgetragen hat, die seine Heranziehung als Haftungsschuldner unbillig erscheinen ließen, und sein Einspruch ohne Begründung geblieben ist, brauchte das FA in den angefochtenen Verwaltungsakten auf diese Gesichtspunkte nicht mehr einzugehen.
Das FG hat damit zu Recht unter Berücksichtigung des Schreibens des FA vom . . . dessen Ermessensentscheidung für ausreichend begründet angesehen. Die Vorentscheidung steht nicht - wie die Revision meint - im Widerspruch zum Urteil des Senats in BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219, wonach die Ermessensentscheidung durch die bei der Prüfung der Haftungsvoraussetzung im Rahmen des § 69 AO 1977 bejahte grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeprägt wird. Das FG hat zwar in den Urteilsgründen diese Frage angesprochen, seine Entscheidung aber nicht auf eine Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Tatbestandsverwirklichung in einer bestimmten Verschuldensform gestützt. Der Streitfall unterscheidet sich von der zitierten Entscheidung ferner dadurch, daß hier - wie oben ausgeführt - ein Auswahlermessen zwischen mehreren Haftungsschuldnern deshalb nicht ausgeübt werden brauchte, weil der Kläger alleiniger Geschäftsführer der GmbH war.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für Lohnsteuerschulden der Firma A GmbH & Co KG i. I. (KG) haftet.
3Der Kläger führte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch die Geschäfte der KG. Am ....02.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG. Noch am selben Tag wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am ....06.2010 eröffnet (...IN ..).
4Mit Haftungsbescheid vom 30.06.2010 bzw. Teil-Änderungsbescheid vom 16.08.2010 wurde der Kläger für Lohn- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag der KG für die Monate Januar und Februar 2010 i.H.v. 32.494,05 € gemäß §§ 34, 69 AO in Anspruch genommen; ebenso verfuhr der Beklagte mit dem zweiten Geschäftsführer der GmbH.
5Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aus: Die Liquiditätsschwierigkeiten der KG befreiten den Kläger nicht von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer. Bei nicht ausreichenden Mitteln dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt oder als Teilbetrag auszahlen und müsse aus den übrigen Mitteln das FA befriedigen. Der Kläger habe demgegenüber während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer auszahlen lassen, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Die Lohnsteuer 1/2010 sei zum 10.02.2010 und damit vor dem Insolvenzantrag fällig gewesen. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn der Kläger wie vorgetragen davon ausgegangen wäre, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung bei Fälligkeit ermöglicht hätte.
6Die Lohnsteuer 2/2010 sei am 10.03.2010 fällig geworden. Auch bei diesem Verfahrensstand sei der Kläger von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer nicht befreit gewesen, da im Streitfall kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur ein Zustimmungsvorbehalt beschlossen worden sei. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts die Lohnsteuerabführung verweigere, habe der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
7Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem BFH-Beschluss vom 19.02.2010 – VII B 190/09. Diese Entscheidung wäre nur dann einschlägig, wenn der Kläger alles ihm Mögliche für die Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit getan habe, der vorläufige Insolvenzverwalter aber (etwa durch Stornierung von Überweisungsaufträgen oder von Einzugsermächtigungen) in den Zahlungsverkehr der KG eingegriffen hätte. Der Kläger habe jedoch erst gar keine Zahlungen an das FA veranlasst, sondern lediglich darauf vertraut, dass die Lohnsteuer bei einem erfolgreichen Abschluss der Verkaufsverhandlungen würde abgeführt werden können. Würden solche Erwartungen später enttäuscht, so lägen diese Umstände in seiner Risikosphäre.
8Neben dem Kläger sei auch der zweite Geschäftsführer der GmbH durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Beide hafteten gemäß § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner und schulden jeder für sich die gesamte Leistung.
9Der Kläger macht unter Hinweis auf das Insolvenzverfahren geltend, keine Verantwortung für die Nichterfüllung der Lohnsteuer zu tragen; er beruft sich dazu auf den BFH‑Beschluss vom 19.02.2010 - VII B 190/09. Danach bestehe für den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH keine allgemeine rechtliche Verpflichtung, gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter vorzugehen, der in den Zahlungsverkehr der GmbH eingreife. Der Insolvenzverwalter habe keine Freigabe für die Bezahlung der Lohnsteuer erteilt. Außerdem habe dieser eine Zahlung nach §§ 129 ff. InsO anfechten können. Dies gelte auch für die vor dem Insolvenzantrag fällige Lohnsteuer 1/2010, bei der nach der Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen worden sei, dass sie hätte abgeführt werden können. Die Löhne für Februar seien nach dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden.
10Der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid vom 30.06.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte bezieht sich dazu im Wesentlichen auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist unbegründet. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Lohnsteuer-Haftung.
151. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Den Kläger traf als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – u.a. – die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der KG geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (bis zum 10.Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums = Kalendermonat; § 34 Abs.1 AO, § 41a Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs. 2 Satz 1 EStG).
162. Weder durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....02. 2010 über das Vermögen der KG noch durch die am selben Tag erfolgte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO; Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....06.2010) war der Kläger rechtlich gehindert, die vorliegend streitige Lohnsteuer 1/2010 (fällig zum 10.02.2010) bzw. Lohnsteuer 2/2010 (fällig zum 10.03.2010) abzuführen. Allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein.
17a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Zahlungsschwierigkeiten der Gesellschaft ändern weder etwas an der Abführungspflicht des Geschäftsführers, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der KG aus (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
18b) Sind im Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
19c) Die Pflichtverletzung des Klägers war auch kausal für den Steuerausfall. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass ausreichende Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer nicht vorhanden waren (vgl. dazu BFH-Urteile vom 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348 und vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Dies ergibt sich trotz des am ....02.2010 gestellten Antrag auf Insolvenzeröffnung für die Lohnsteuer 1/2010 bereits daraus, dass der Kläger die Januar-Löhne zum Ende des Monats in Kenntnis des Fälligkeitszeitpunkts für die Lohnsteuer 1/2010 zum 10.02.2010 noch ungekürzt ausgezahlt hat. Daran ändert sich auch nichts durch den unsubstantiierten Vortrag des Klägers, nach seiner Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen zu sein, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung der Lohnsteuer 1/2010 bei Fälligkeit ermöglicht hätte. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht zum Ausschluss des Verschuldens i.S. § 69 AO nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermag die Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, den Vertreter in der Liquiditätskrise von seiner Pflicht zur entsprechenden Kürzung der Löhne und zur Abführung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht zu entlasten. Allenfalls könnte es an dem Verschulden des Vertreters fehlen, wenn er aufgrund einer verbindlichen Zusage fest mit dem Eingang zusätzlicher Mittel gerechnet hat (BFH-Beschluss vom 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753), was im Streitfall allerdings weder vorgetragen noch ersichtlich ist; ebenso wenig ist vorgetragen oder nachgewiesen, dass sich die Liquiditätslage in der Zeit vom 10.02.2010 bis zum 22.02.2010 plötzlich und unabsehbar derart verschlechtert hat, dass eine entsprechende Annahme des Klägers gerechtfertigt gewesen wäre.
20Auch für die Lohnsteuer 2/2010, die am 10.03.2010, also nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden ist, ist vom Vorhandensein ausreichender Zahlungsmittel auszugehen. Denn der Kläger hat die Februar-Löhne in Kenntnis der offenkundig schlechten Liquiditätslage am Ende des Monats Februar 2010 bzw. zu Anfang des Folgemonats ungekürzt ausgezahlt, obwohl von ihm zu erwarten war, durch entsprechende Vorsorge bzw. Rücklagenbildung die Lohnsteuer-Abführung sicherzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, DB 1988, 2238). Dies gilt auch dann, wenn die Februar-Löhne entsprechend dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden wären. Denn die Verpflichtung des Klägers zu Lohnsteuerabführung bestand solange, wie er die Verfügungsbefugnis über die liquiden Mittel der KG innehatte. Diese Verfügungsbefugnis war ihm im Streitfall nicht durch die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters entzogen worden, da das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt beschlossen hatte (sog. schwacher Insolvenzverwalter). Soweit sich der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts geweigert hat, Lohnsteuerzahlungen zu ermöglichen, hätte der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
21c) Die Haftung des Geschäftsführers entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Entrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Denn die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101, m.w.N). Seit dem BFH-Urteil vom 05.06.2007 – VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273) ist geklärt, dass die Kausalität der Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden kann. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (erneut bestätigt durch BFH-Beschluss vom 22.04.2009 - VII B 225/08, nicht veröffentlicht).
22d) Der BFH hat erwogen, ob die Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers mit der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte. So hatte der BFH noch in seinem Urteil vom 27.02.2007 – VII R 67/05 (BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348) entschieden, dass das zivilrechtliche Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist ausschließe, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt sei. Denn dies könne im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" auch eine dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflicht in Fällen nahelegen, in denen der Geschäftsführer den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit "freiwillig" gestellt habe. Inzwischen bejaht der BFH eine Haftung allerdings ausdrücklich auch dann, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101 in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242: Keine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist).
233. Die zumindest grobe Fahrlässigkeit als subjektive Voraussetzung der Haftung nach § 69 AO ist regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden. Denn die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf, weil der Geschäftsführer durch die Nichtabführung der Lohnsteuer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101; vgl. ferner Beschluss vom 18. Januar 2008 VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754, m.w.N.). Das schließt es zwar nicht aus, dass besondere, vom Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen. Solche Gründe sind im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Jedenfalls im Streitfall bestand eine Pflichtenkollision zwischen Massesicherung und Steuerzahlung, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch Nichtabführung der Lohnsteuer ausschließen könnte, nicht mehr, seit der BGH mit Urteil vom 14.05. 2007 – II ZR 48/06 (DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242) eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist abgelehnt hatte, dem nicht angesonnen werden könne, fällige Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu erbringen und sich dadurch einer persönlichen Haftung aus §§ 34, 69 AO auszusetzen. Daher konnte sich der Kläger jedenfalls im Streitzeitraum nicht mehr auf unterschiedliche Normbefehle und eine daraus folgende unabwendbare Haftungsdrohung berufen, die eine grobe Fahrlässigkeit bei Nichterfüllung der Pflicht zur Lohnsteuerabführung hätte ausschließen können (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
244. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
255. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für Lohnsteuerschulden der Firma A GmbH & Co KG i. I. (KG) haftet.
3Der Kläger führte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch die Geschäfte der KG. Am ....02.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG. Noch am selben Tag wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am ....06.2010 eröffnet (...IN ..).
4Mit Haftungsbescheid vom 30.06.2010 bzw. Teil-Änderungsbescheid vom 16.08.2010 wurde der Kläger für Lohn- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag der KG für die Monate Januar und Februar 2010 i.H.v. 32.494,05 € gemäß §§ 34, 69 AO in Anspruch genommen; ebenso verfuhr der Beklagte mit dem zweiten Geschäftsführer der GmbH.
5Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aus: Die Liquiditätsschwierigkeiten der KG befreiten den Kläger nicht von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer. Bei nicht ausreichenden Mitteln dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt oder als Teilbetrag auszahlen und müsse aus den übrigen Mitteln das FA befriedigen. Der Kläger habe demgegenüber während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer auszahlen lassen, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Die Lohnsteuer 1/2010 sei zum 10.02.2010 und damit vor dem Insolvenzantrag fällig gewesen. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn der Kläger wie vorgetragen davon ausgegangen wäre, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung bei Fälligkeit ermöglicht hätte.
6Die Lohnsteuer 2/2010 sei am 10.03.2010 fällig geworden. Auch bei diesem Verfahrensstand sei der Kläger von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer nicht befreit gewesen, da im Streitfall kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur ein Zustimmungsvorbehalt beschlossen worden sei. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts die Lohnsteuerabführung verweigere, habe der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
7Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem BFH-Beschluss vom 19.02.2010 – VII B 190/09. Diese Entscheidung wäre nur dann einschlägig, wenn der Kläger alles ihm Mögliche für die Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit getan habe, der vorläufige Insolvenzverwalter aber (etwa durch Stornierung von Überweisungsaufträgen oder von Einzugsermächtigungen) in den Zahlungsverkehr der KG eingegriffen hätte. Der Kläger habe jedoch erst gar keine Zahlungen an das FA veranlasst, sondern lediglich darauf vertraut, dass die Lohnsteuer bei einem erfolgreichen Abschluss der Verkaufsverhandlungen würde abgeführt werden können. Würden solche Erwartungen später enttäuscht, so lägen diese Umstände in seiner Risikosphäre.
8Neben dem Kläger sei auch der zweite Geschäftsführer der GmbH durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Beide hafteten gemäß § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner und schulden jeder für sich die gesamte Leistung.
9Der Kläger macht unter Hinweis auf das Insolvenzverfahren geltend, keine Verantwortung für die Nichterfüllung der Lohnsteuer zu tragen; er beruft sich dazu auf den BFH‑Beschluss vom 19.02.2010 - VII B 190/09. Danach bestehe für den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH keine allgemeine rechtliche Verpflichtung, gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter vorzugehen, der in den Zahlungsverkehr der GmbH eingreife. Der Insolvenzverwalter habe keine Freigabe für die Bezahlung der Lohnsteuer erteilt. Außerdem habe dieser eine Zahlung nach §§ 129 ff. InsO anfechten können. Dies gelte auch für die vor dem Insolvenzantrag fällige Lohnsteuer 1/2010, bei der nach der Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen worden sei, dass sie hätte abgeführt werden können. Die Löhne für Februar seien nach dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden.
10Der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid vom 30.06.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte bezieht sich dazu im Wesentlichen auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist unbegründet. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Lohnsteuer-Haftung.
151. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Den Kläger traf als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – u.a. – die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der KG geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (bis zum 10.Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums = Kalendermonat; § 34 Abs.1 AO, § 41a Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs. 2 Satz 1 EStG).
162. Weder durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....02. 2010 über das Vermögen der KG noch durch die am selben Tag erfolgte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO; Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....06.2010) war der Kläger rechtlich gehindert, die vorliegend streitige Lohnsteuer 1/2010 (fällig zum 10.02.2010) bzw. Lohnsteuer 2/2010 (fällig zum 10.03.2010) abzuführen. Allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein.
17a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Zahlungsschwierigkeiten der Gesellschaft ändern weder etwas an der Abführungspflicht des Geschäftsführers, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der KG aus (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
18b) Sind im Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
19c) Die Pflichtverletzung des Klägers war auch kausal für den Steuerausfall. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass ausreichende Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer nicht vorhanden waren (vgl. dazu BFH-Urteile vom 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348 und vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Dies ergibt sich trotz des am ....02.2010 gestellten Antrag auf Insolvenzeröffnung für die Lohnsteuer 1/2010 bereits daraus, dass der Kläger die Januar-Löhne zum Ende des Monats in Kenntnis des Fälligkeitszeitpunkts für die Lohnsteuer 1/2010 zum 10.02.2010 noch ungekürzt ausgezahlt hat. Daran ändert sich auch nichts durch den unsubstantiierten Vortrag des Klägers, nach seiner Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen zu sein, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung der Lohnsteuer 1/2010 bei Fälligkeit ermöglicht hätte. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht zum Ausschluss des Verschuldens i.S. § 69 AO nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermag die Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, den Vertreter in der Liquiditätskrise von seiner Pflicht zur entsprechenden Kürzung der Löhne und zur Abführung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht zu entlasten. Allenfalls könnte es an dem Verschulden des Vertreters fehlen, wenn er aufgrund einer verbindlichen Zusage fest mit dem Eingang zusätzlicher Mittel gerechnet hat (BFH-Beschluss vom 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753), was im Streitfall allerdings weder vorgetragen noch ersichtlich ist; ebenso wenig ist vorgetragen oder nachgewiesen, dass sich die Liquiditätslage in der Zeit vom 10.02.2010 bis zum 22.02.2010 plötzlich und unabsehbar derart verschlechtert hat, dass eine entsprechende Annahme des Klägers gerechtfertigt gewesen wäre.
20Auch für die Lohnsteuer 2/2010, die am 10.03.2010, also nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden ist, ist vom Vorhandensein ausreichender Zahlungsmittel auszugehen. Denn der Kläger hat die Februar-Löhne in Kenntnis der offenkundig schlechten Liquiditätslage am Ende des Monats Februar 2010 bzw. zu Anfang des Folgemonats ungekürzt ausgezahlt, obwohl von ihm zu erwarten war, durch entsprechende Vorsorge bzw. Rücklagenbildung die Lohnsteuer-Abführung sicherzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, DB 1988, 2238). Dies gilt auch dann, wenn die Februar-Löhne entsprechend dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden wären. Denn die Verpflichtung des Klägers zu Lohnsteuerabführung bestand solange, wie er die Verfügungsbefugnis über die liquiden Mittel der KG innehatte. Diese Verfügungsbefugnis war ihm im Streitfall nicht durch die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters entzogen worden, da das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt beschlossen hatte (sog. schwacher Insolvenzverwalter). Soweit sich der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts geweigert hat, Lohnsteuerzahlungen zu ermöglichen, hätte der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
21c) Die Haftung des Geschäftsführers entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Entrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Denn die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101, m.w.N). Seit dem BFH-Urteil vom 05.06.2007 – VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273) ist geklärt, dass die Kausalität der Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden kann. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (erneut bestätigt durch BFH-Beschluss vom 22.04.2009 - VII B 225/08, nicht veröffentlicht).
22d) Der BFH hat erwogen, ob die Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers mit der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte. So hatte der BFH noch in seinem Urteil vom 27.02.2007 – VII R 67/05 (BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348) entschieden, dass das zivilrechtliche Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist ausschließe, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt sei. Denn dies könne im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" auch eine dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflicht in Fällen nahelegen, in denen der Geschäftsführer den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit "freiwillig" gestellt habe. Inzwischen bejaht der BFH eine Haftung allerdings ausdrücklich auch dann, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101 in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242: Keine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist).
233. Die zumindest grobe Fahrlässigkeit als subjektive Voraussetzung der Haftung nach § 69 AO ist regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden. Denn die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf, weil der Geschäftsführer durch die Nichtabführung der Lohnsteuer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101; vgl. ferner Beschluss vom 18. Januar 2008 VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754, m.w.N.). Das schließt es zwar nicht aus, dass besondere, vom Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen. Solche Gründe sind im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Jedenfalls im Streitfall bestand eine Pflichtenkollision zwischen Massesicherung und Steuerzahlung, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch Nichtabführung der Lohnsteuer ausschließen könnte, nicht mehr, seit der BGH mit Urteil vom 14.05. 2007 – II ZR 48/06 (DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242) eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist abgelehnt hatte, dem nicht angesonnen werden könne, fällige Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu erbringen und sich dadurch einer persönlichen Haftung aus §§ 34, 69 AO auszusetzen. Daher konnte sich der Kläger jedenfalls im Streitzeitraum nicht mehr auf unterschiedliche Normbefehle und eine daraus folgende unabwendbare Haftungsdrohung berufen, die eine grobe Fahrlässigkeit bei Nichterfüllung der Pflicht zur Lohnsteuerabführung hätte ausschließen können (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
244. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
255. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
(1) Zahlungen an Finanzbehörden sind an die zuständige Kasse zu entrichten. Außerhalb des Kassenraums können Zahlungsmittel nur einem Amtsträger übergeben werden, der zur Annahme von Zahlungsmitteln außerhalb des Kassenraums besonders ermächtigt worden ist und sich hierüber ausweisen kann.
(2) Eine wirksam geleistete Zahlung gilt als entrichtet:
- 1.
bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs, bei Hingabe oder Übersendung von Schecks jedoch drei Tage nach dem Tag des Eingangs, - 2.
bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird,
- 3.
bei Vorliegen eines SEPA-Lastschriftmandats am Fälligkeitstag.
(3) Zahlungen der Finanzbehörden sind unbar zu leisten. Das Bundesministerium der Finanzen und die für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörden können für ihre Geschäftsbereiche Ausnahmen zulassen. Als Tag der Zahlung gilt bei Überweisung oder Zahlungsanweisung der dritte Tag nach der Hingabe oder Absendung des Auftrags an das Kreditinstitut oder, wenn der Betrag nicht sofort abgebucht werden soll, der dritte Tag nach der Abbuchung.
(4) Die zuständige Kasse kann für die Übergabe von Zahlungsmitteln gegen Quittung geschlossen werden. Absatz 2 Nr. 1 gilt entsprechend, wenn bei der Schließung von Kassen nach Satz 1 am Ort der Kasse eine oder mehrere Zweiganstalten der Deutschen Bundesbank oder, falls solche am Ort der Kasse nicht bestehen, ein oder mehrere Kreditinstitute ermächtigt werden, für die Kasse Zahlungsmittel gegen Quittung anzunehmen.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für Lohnsteuerschulden der Firma A GmbH & Co KG i. I. (KG) haftet.
3Der Kläger führte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch die Geschäfte der KG. Am ....02.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG. Noch am selben Tag wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am ....06.2010 eröffnet (...IN ..).
4Mit Haftungsbescheid vom 30.06.2010 bzw. Teil-Änderungsbescheid vom 16.08.2010 wurde der Kläger für Lohn- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag der KG für die Monate Januar und Februar 2010 i.H.v. 32.494,05 € gemäß §§ 34, 69 AO in Anspruch genommen; ebenso verfuhr der Beklagte mit dem zweiten Geschäftsführer der GmbH.
5Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aus: Die Liquiditätsschwierigkeiten der KG befreiten den Kläger nicht von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer. Bei nicht ausreichenden Mitteln dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt oder als Teilbetrag auszahlen und müsse aus den übrigen Mitteln das FA befriedigen. Der Kläger habe demgegenüber während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer auszahlen lassen, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Die Lohnsteuer 1/2010 sei zum 10.02.2010 und damit vor dem Insolvenzantrag fällig gewesen. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn der Kläger wie vorgetragen davon ausgegangen wäre, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung bei Fälligkeit ermöglicht hätte.
6Die Lohnsteuer 2/2010 sei am 10.03.2010 fällig geworden. Auch bei diesem Verfahrensstand sei der Kläger von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer nicht befreit gewesen, da im Streitfall kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur ein Zustimmungsvorbehalt beschlossen worden sei. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts die Lohnsteuerabführung verweigere, habe der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
7Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem BFH-Beschluss vom 19.02.2010 – VII B 190/09. Diese Entscheidung wäre nur dann einschlägig, wenn der Kläger alles ihm Mögliche für die Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit getan habe, der vorläufige Insolvenzverwalter aber (etwa durch Stornierung von Überweisungsaufträgen oder von Einzugsermächtigungen) in den Zahlungsverkehr der KG eingegriffen hätte. Der Kläger habe jedoch erst gar keine Zahlungen an das FA veranlasst, sondern lediglich darauf vertraut, dass die Lohnsteuer bei einem erfolgreichen Abschluss der Verkaufsverhandlungen würde abgeführt werden können. Würden solche Erwartungen später enttäuscht, so lägen diese Umstände in seiner Risikosphäre.
8Neben dem Kläger sei auch der zweite Geschäftsführer der GmbH durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Beide hafteten gemäß § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner und schulden jeder für sich die gesamte Leistung.
9Der Kläger macht unter Hinweis auf das Insolvenzverfahren geltend, keine Verantwortung für die Nichterfüllung der Lohnsteuer zu tragen; er beruft sich dazu auf den BFH‑Beschluss vom 19.02.2010 - VII B 190/09. Danach bestehe für den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH keine allgemeine rechtliche Verpflichtung, gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter vorzugehen, der in den Zahlungsverkehr der GmbH eingreife. Der Insolvenzverwalter habe keine Freigabe für die Bezahlung der Lohnsteuer erteilt. Außerdem habe dieser eine Zahlung nach §§ 129 ff. InsO anfechten können. Dies gelte auch für die vor dem Insolvenzantrag fällige Lohnsteuer 1/2010, bei der nach der Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen worden sei, dass sie hätte abgeführt werden können. Die Löhne für Februar seien nach dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden.
10Der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid vom 30.06.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte bezieht sich dazu im Wesentlichen auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist unbegründet. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Lohnsteuer-Haftung.
151. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Den Kläger traf als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – u.a. – die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der KG geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (bis zum 10.Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums = Kalendermonat; § 34 Abs.1 AO, § 41a Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs. 2 Satz 1 EStG).
162. Weder durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....02. 2010 über das Vermögen der KG noch durch die am selben Tag erfolgte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO; Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....06.2010) war der Kläger rechtlich gehindert, die vorliegend streitige Lohnsteuer 1/2010 (fällig zum 10.02.2010) bzw. Lohnsteuer 2/2010 (fällig zum 10.03.2010) abzuführen. Allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein.
17a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Zahlungsschwierigkeiten der Gesellschaft ändern weder etwas an der Abführungspflicht des Geschäftsführers, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der KG aus (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
18b) Sind im Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
19c) Die Pflichtverletzung des Klägers war auch kausal für den Steuerausfall. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass ausreichende Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer nicht vorhanden waren (vgl. dazu BFH-Urteile vom 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348 und vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Dies ergibt sich trotz des am ....02.2010 gestellten Antrag auf Insolvenzeröffnung für die Lohnsteuer 1/2010 bereits daraus, dass der Kläger die Januar-Löhne zum Ende des Monats in Kenntnis des Fälligkeitszeitpunkts für die Lohnsteuer 1/2010 zum 10.02.2010 noch ungekürzt ausgezahlt hat. Daran ändert sich auch nichts durch den unsubstantiierten Vortrag des Klägers, nach seiner Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen zu sein, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung der Lohnsteuer 1/2010 bei Fälligkeit ermöglicht hätte. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht zum Ausschluss des Verschuldens i.S. § 69 AO nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermag die Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, den Vertreter in der Liquiditätskrise von seiner Pflicht zur entsprechenden Kürzung der Löhne und zur Abführung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht zu entlasten. Allenfalls könnte es an dem Verschulden des Vertreters fehlen, wenn er aufgrund einer verbindlichen Zusage fest mit dem Eingang zusätzlicher Mittel gerechnet hat (BFH-Beschluss vom 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753), was im Streitfall allerdings weder vorgetragen noch ersichtlich ist; ebenso wenig ist vorgetragen oder nachgewiesen, dass sich die Liquiditätslage in der Zeit vom 10.02.2010 bis zum 22.02.2010 plötzlich und unabsehbar derart verschlechtert hat, dass eine entsprechende Annahme des Klägers gerechtfertigt gewesen wäre.
20Auch für die Lohnsteuer 2/2010, die am 10.03.2010, also nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden ist, ist vom Vorhandensein ausreichender Zahlungsmittel auszugehen. Denn der Kläger hat die Februar-Löhne in Kenntnis der offenkundig schlechten Liquiditätslage am Ende des Monats Februar 2010 bzw. zu Anfang des Folgemonats ungekürzt ausgezahlt, obwohl von ihm zu erwarten war, durch entsprechende Vorsorge bzw. Rücklagenbildung die Lohnsteuer-Abführung sicherzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, DB 1988, 2238). Dies gilt auch dann, wenn die Februar-Löhne entsprechend dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden wären. Denn die Verpflichtung des Klägers zu Lohnsteuerabführung bestand solange, wie er die Verfügungsbefugnis über die liquiden Mittel der KG innehatte. Diese Verfügungsbefugnis war ihm im Streitfall nicht durch die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters entzogen worden, da das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt beschlossen hatte (sog. schwacher Insolvenzverwalter). Soweit sich der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts geweigert hat, Lohnsteuerzahlungen zu ermöglichen, hätte der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
21c) Die Haftung des Geschäftsführers entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Entrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Denn die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101, m.w.N). Seit dem BFH-Urteil vom 05.06.2007 – VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273) ist geklärt, dass die Kausalität der Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden kann. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (erneut bestätigt durch BFH-Beschluss vom 22.04.2009 - VII B 225/08, nicht veröffentlicht).
22d) Der BFH hat erwogen, ob die Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers mit der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte. So hatte der BFH noch in seinem Urteil vom 27.02.2007 – VII R 67/05 (BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348) entschieden, dass das zivilrechtliche Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist ausschließe, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt sei. Denn dies könne im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" auch eine dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflicht in Fällen nahelegen, in denen der Geschäftsführer den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit "freiwillig" gestellt habe. Inzwischen bejaht der BFH eine Haftung allerdings ausdrücklich auch dann, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101 in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242: Keine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist).
233. Die zumindest grobe Fahrlässigkeit als subjektive Voraussetzung der Haftung nach § 69 AO ist regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden. Denn die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf, weil der Geschäftsführer durch die Nichtabführung der Lohnsteuer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101; vgl. ferner Beschluss vom 18. Januar 2008 VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754, m.w.N.). Das schließt es zwar nicht aus, dass besondere, vom Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen. Solche Gründe sind im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Jedenfalls im Streitfall bestand eine Pflichtenkollision zwischen Massesicherung und Steuerzahlung, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch Nichtabführung der Lohnsteuer ausschließen könnte, nicht mehr, seit der BGH mit Urteil vom 14.05. 2007 – II ZR 48/06 (DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242) eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist abgelehnt hatte, dem nicht angesonnen werden könne, fällige Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu erbringen und sich dadurch einer persönlichen Haftung aus §§ 34, 69 AO auszusetzen. Daher konnte sich der Kläger jedenfalls im Streitzeitraum nicht mehr auf unterschiedliche Normbefehle und eine daraus folgende unabwendbare Haftungsdrohung berufen, die eine grobe Fahrlässigkeit bei Nichterfüllung der Pflicht zur Lohnsteuerabführung hätte ausschließen können (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
244. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
255. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
(1)1Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
- 1.
dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Absatz 2) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung), - 2.
die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen.
(2)1Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat.2Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1 080 Euro, aber nicht mehr als 5 000 Euro betragen hat; Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalenderjahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1 080 Euro betragen hat.3Hat die Betriebsstätte nicht während des ganzen vorangegangenen Kalenderjahres bestanden, so ist die für das vorangegangene Kalenderjahr abzuführende Lohnsteuer für die Feststellung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums auf einen Jahresbetrag umzurechnen.4Wenn die Betriebsstätte im vorangegangenen Kalenderjahr noch nicht bestanden hat, ist die auf einen Jahresbetrag umgerechnete für den ersten vollen Kalendermonat nach der Eröffnung der Betriebsstätte abzuführende Lohnsteuer maßgebend.
(3)1Die oberste Finanzbehörde des Landes kann bestimmen, dass die Lohnsteuer nicht dem Betriebsstättenfinanzamt, sondern einer anderen öffentlichen Kasse anzumelden und an diese abzuführen ist; die Kasse erhält insoweit die Stellung einer Landesfinanzbehörde.2Das Betriebsstättenfinanzamt oder die zuständige andere öffentliche Kasse können anordnen, dass die Lohnsteuer abweichend von dem nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt anzumelden und abzuführen ist, wenn die Abführung der Lohnsteuer nicht gesichert erscheint.
(4)1Arbeitgeber, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben, dürfen die anzumeldende und abzuführende Lohnsteuer abziehen und einbehalten, die auf den Arbeitslohn entfällt, der an die Besatzungsmitglieder für die Beschäftigungszeiten auf diesen Schiffen gezahlt wird.2Die Handelsschiffe müssen in einem Seeschiffsregister eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, eingetragen sein, die Flagge eines dieser Staaten führen und zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See betrieben werden.3Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn Seeschiffe im Wirtschaftsjahr überwiegend außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zum Schleppen, Bergen oder zur Aufsuchung von Bodenschätzen oder zur Vermessung von Energielagerstätten unter dem Meeresboden eingesetzt werden.4Bei Besatzungsmitgliedern, die auf Schiffen, einschließlich Ro-Ro-Fahrgastschiffen, arbeiten, die im regelmäßigen Personenbeförderungsdienst zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingesetzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn die Besatzungsmitglieder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates sind, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist.5Bei Seeschiffen, die für Schlepp- und Baggerarbeiten genutzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn es sich um seetüchtige Schlepper und Baggerschiffe mit Eigenantrieb handelt und die Schiffe während mindestens 50 Prozent ihrer Betriebszeit für Tätigkeiten auf See eingesetzt werden.6Ist für den Lohnsteuerabzug die Lohnsteuer nach der Steuerklasse V oder VI zu ermitteln, bemisst sich der Betrag nach Satz 1 nach der Lohnsteuer der Steuerklasse I.
(1) Für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen gelten die §§ 187 bis 193 des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend, soweit nicht durch die Absätze 2 bis 5 etwas anderes bestimmt ist.
(2) Der Lauf einer Frist, die von einer Behörde gesetzt wird, beginnt mit dem Tag, der auf die Bekanntgabe der Frist folgt, außer wenn der betroffenen Person etwas anderes mitgeteilt wird.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit dem Ablauf des nächstfolgenden Werktags.
(4) Hat eine Behörde Leistungen nur für einen bestimmten Zeitraum zu erbringen, so endet dieser Zeitraum auch dann mit dem Ablauf seines letzten Tages, wenn dieser auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend fällt.
(5) Der von einer Behörde gesetzte Termin ist auch dann einzuhalten, wenn er auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend fällt.
(6) Ist eine Frist nach Stunden bestimmt, so werden Sonntage, gesetzliche Feiertage oder Sonnabende mitgerechnet.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Das Insolvenzgericht hat alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Gegen die Anordnung der Maßnahme steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Das Gericht kann insbesondere
- 1.
einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, für den § 8 Absatz 3 und die §§ 56 bis 56b, 58 bis 66 und 269a entsprechend gelten; - 1a.
einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, für den § 67 Absatz 2, 3 und die §§ 69 bis 73 entsprechend gelten; zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden; - 2.
dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, daß Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind; - 3.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; - 4.
eine vorläufige Postsperre anordnen, für die die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 entsprechend gelten; - 5.
anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.
(3) Reichen andere Maßnahmen nicht aus, so kann das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so gilt entsprechendes für seine organschaftlichen Vertreter. Für die Anordnung von Haft gilt § 98 Abs. 3 entsprechend.
(1) Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt, so geht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter über. In diesem Fall hat der vorläufige Insolvenzverwalter:
- 1.
das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten; - 2.
ein Unternehmen, das der Schuldner betreibt, bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fortzuführen, soweit nicht das Insolvenzgericht einer Stillegung zustimmt, um eine erhebliche Verminderung des Vermögens zu vermeiden; - 3.
zu prüfen, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird; das Gericht kann ihn zusätzlich beauftragen, als Sachverständiger zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt und welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens des Schuldners bestehen.
(2) Wird ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ohne daß dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird, so bestimmt das Gericht die Pflichten des vorläufigen Insolvenzverwalters. Sie dürfen nicht über die Pflichten nach Absatz 1 Satz 2 hinausgehen.
(3) Der vorläufige Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Geschäftsräume des Schuldners zu betreten und dort Nachforschungen anzustellen. Der Schuldner hat dem vorläufigen Insolvenzverwalter Einsicht in seine Bücher und Geschäftspapiere zu gestatten. Er hat ihm alle erforderlichen Auskünfte zu erteilen und ihn bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen; die §§ 97, 98, 101 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 2 gelten entsprechend.
(1) Das Insolvenzgericht hat alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Gegen die Anordnung der Maßnahme steht dem Schuldner die sofortige Beschwerde zu.
(2) Das Gericht kann insbesondere
- 1.
einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, für den § 8 Absatz 3 und die §§ 56 bis 56b, 58 bis 66 und 269a entsprechend gelten; - 1a.
einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, für den § 67 Absatz 2, 3 und die §§ 69 bis 73 entsprechend gelten; zu Mitgliedern des Gläubigerausschusses können auch Personen bestellt werden, die erst mit Eröffnung des Verfahrens Gläubiger werden; - 2.
dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen oder anordnen, daß Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind; - 3.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind; - 4.
eine vorläufige Postsperre anordnen, für die die §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 entsprechend gelten; - 5.
anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens von § 166 erfasst würden oder deren Aussonderung verlangt werden könnte, vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind; § 169 Satz 2 und 3 gilt entsprechend; ein durch die Nutzung eingetretener Wertverlust ist durch laufende Zahlungen an den Gläubiger auszugleichen. Die Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen besteht nur, soweit der durch die Nutzung entstehende Wertverlust die Sicherung des absonderungsberechtigten Gläubigers beeinträchtigt. Zieht der vorläufige Insolvenzverwalter eine zur Sicherung eines Anspruchs abgetretene Forderung anstelle des Gläubigers ein, so gelten die §§ 170, 171 entsprechend.
(3) Reichen andere Maßnahmen nicht aus, so kann das Gericht den Schuldner zwangsweise vorführen und nach Anhörung in Haft nehmen lassen. Ist der Schuldner keine natürliche Person, so gilt entsprechendes für seine organschaftlichen Vertreter. Für die Anordnung von Haft gilt § 98 Abs. 3 entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 5. Dezember 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin lieferte Kraftstoffe an die R. GmbH (fortan: Insolvenzschuldnerin) und zog die in Rechnung gestellten Beträge aufgrund einer ihr erteilten Einzugsermächtigung von einem (debitorisch geführten ) Bankkonto der Insolvenzschuldnerin ein. Am 7. August 2000 stellte diese Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Noch am selben Tage wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt;
zugleich ordnete das Insolvenzgericht an, daß Verfügungen der Insolvenzschuldnerin nur mit Zustimmung des Beklagten wirksam sind (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Tags darauf versagte die Insolvenzschuldnerin mit Zustimmung des Beklagten die Genehmigung aller Lastschriften. Einwendungen gegen die zugrunde liegenden Rechnungen wurden nicht erhoben. Zugunsten der Klägerin war das Konto der Insolvenzschuldnerin am 19., 21. und 25. Juli 2000 mit insgesamt 45.255,49 DM (= 23.138,76 €) belastet worden; infolge der versagten Genehmigung gab die Bank diese Lastschriften zurück. Am 29. September 2000 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin wird mit ihren Forderungen voraussichtlich ausfallen.
Die Klägerin hat den Beklagten in Höhe der Rücklastschri ften auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben. Mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, durch den Widerruf der Lastschriften habe die Insolvenzschuldnerin der Klägerin vorsätzlich und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise Schaden zugefügt (§ 826 BGB). Es sei sittenwidrig, wenn der Schuldner wegen im Einzugsermächtigungsverfahren erhobener Beträge den Kontobelastungen ohne sachlichen Grund widerspreche. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Zudem habe die Insolvenzschuldnerin bezweckt, bei Insolvenzreife einen anderen Gläubiger - ihre Bank - zu begünstigen, dem sie die Rücklastschriftbeträge zugeschanzt habe. Es habe keinen speziellen Grund gegeben, ausgerechnet die Lastschriften der Klägerin zu widerrufen. Für das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes sei nicht einmal ansatzweise vorgetragen. Auch scheide eine Geschäftsführerhaftung als Widerrufsgrund aus. Als Motiv komme ersichtlich allein das Bestreben in Betracht, den Sollstand auf dem Geschäftskonto zurückzuführen. Profitiert habe davon allein die Bank. Die künftige Insolvenzmasse sei dadurch nicht vergrößert worden. Der Beklagte stehe einem Mittäter gleich (§ 830 Abs. 2 BGB).
II.
Diese Begründung hält einer rechtlichen Überprüfung i n wesentlichen Punkten nicht stand.
1. Vorab ist klarzustellen, daß der Beklagte persönlich - und nicht, wie es im Rubrum des Berufungsurteil heißt, "als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der R. GmbH" - verklagt ist. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß im Tatbestand des Berufungsurteils ausdrücklich erwähnt ist, der Beklagte werde persönlich in Anspruch genommen.
Darauf läßt zum andern die Anspruchsgrundlage (§ 826 BGB) schließen, auf welche die Klägerin ihr Begehren gestützt hat.
2. Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der vorläufige Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 und 2 InsO) die Genehmigung von Kontobelastungen im Einzugsermächtigungsverfahren verhindern darf, ist bislang ungeklärt. Unter der Geltung der Konkursordnung ist in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, ein Konkursverwalter, der Kontobelastungen widerspreche, um den Debetsaldo des Gemeinschuldners zu verringern , sei dem Gläubiger zum Schadensersatz verpflichtet (OLG Hamm NJW 1985, 865, 866 f). Im Schrifttum war die Frage umstritten (bejahend Bauer WM 1981, 1186, 1198; Buck KTS 1980, 97, 100; Häuser WuB I D 2. Lastschriftverkehr 7.85; Remmerbach, Auswirkungen des Konkurses des Bankkunden auf den Überweisungs- und Lastschriftverkehr Diss. Münster 1987 S. 156; Rottnauer WM 1995, 272, 278; Sandberger JZ 1977, 285, 288; Westermann, Festschrift für Heinz Hübner 1984 S. 697, 704 ff; verneinend Denck ZHR 144 (1980), 171, 190 f; Jacob, Die zivilrechtliche Beurteilung des Lastschriftverfahrens 1995 S. 96 f; Skrotzki KTS 1974, 136, 138; Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, KO 9. Aufl. § 23 Rn. 5; ebenso - als Kritik zur von ihm abgelehnten Genehmigungstheorie - Canaris WM 1980, 354, 363). Nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung hat sich der Meinungsstreit fortgesetzt (für Schadensersatzpflicht OLG Hamm ZIP 2004, 814, 815; LG Erfurt WM 2003, 1857; Baumbach/Hopt, HGB 31. Aufl. Zweiter Teil (7) Bankgeschäfte Rn. D/8; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz 2002, Rn. 247, 250, 256 f; ders. EWiR 2004, 237; ders., Festschrift für Walter Gerhardt 2004 S. 69 ff; Cartano WuB I D 2. Lastschriftverkehr 1.04; Fischer/ Klanten, Bankrecht 3. Aufl. Rn. 6.101; van Gelder, in: Schimansky/Bunte/
Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl. § 59 Rn. 11; Hess, in: Hess/Weis/ Wienberg, InsO 2. Aufl. § 82 Rn. 65 f; Kling DZWIR 2004, 54; Knees/Fischer ZInsO 2004, 5; Krepold, in: BuB Rn. 6/427; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 6. Aufl. Rn. 3.452; ders. ZInsO 1998, 252, 258; ders. WuB VI B. § 30 Nr. 2 KO 2.90; Ott, in: MünchKomm-InsO, § 82 Rn. 25; wohl auch Uhlenbruck , InsO 12. Aufl. § 82 Rn. 24; a.A. LG Berlin DZWIR 2004, 255; Fehl DZWIR 2004, 257, 259; G. Fischer, Festschrift für Walter Gerhardt 2004 S. 223 ff; Rattunde/Berner DZWIR 2003, 185; Rendels INDat Report 2004,
18).
3. Der Senat ist der Auffassung, daß ein vorläufiger I nsolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt grundsätzlich berechtigt ist, einer Belastung, die der Schuldner noch nicht genehmigt hat, zu widersprechen.
a) Allerdings hat ein Schuldner außerhalb der Insolven z anerkennenswerte Gründe für einen Widerspruch gegen eine auf eine Einzugsermächtigung gestützte Belastungsbuchung grundsätzlich nur dann, wenn er keine Einzugsermächtigung erteilt hat oder der Anspruch des Gläubigers unbegründet oder zwar an sich begründet ist, der Schuldner aber in dem Zeitpunkt, in dem ihm der Kontoauszug mit der Belastungsanzeige zugeht, zu Recht Leistungsverweigerungs -, Zurückbehaltungs- oder Aufrechnungsrechte geltend machen will. Ein Schuldner, welcher der Belastung seines Girokontos im Einzugsermächtigungsverfahren zu dem Zwecke widerspricht, Zahlungen auf begründete und von seiner Einziehungsermächtigung gedeckte Gläubigeransprüche rückgängig zu machen, die er, wenn er sie überwiesen hätte, durch einen Widerruf der Überweisung nicht mehr hätte rückgängig machen können, nutzt grundsätzlich die ihm seiner Bank gegenüber zustehende Widerspruchsmöglichkeit zweck-
fremd aus. Gegebenenfalls handelt er, wenn er damit vorsätzlich das Ausfallrisiko der ersten Inkassostelle zuschiebt, dieser gegenüber sittenwidrig (BGHZ 74, 300, 306 = WM 1985, 82; BGH, Urt. v. 28. Mai 1979 - II ZR 85/78, WM 1979, 689, 690). Desgleichen handelt er sittenwidrig, wenn er die Widerspruchsmöglichkeit zu dem Zweck einsetzt, einen einzelnen Gläubiger zu begünstigen , indem er dessen Insolvenzrisiko auf den Lastschriftgläubiger überträgt (BGHZ 101, 153, 156 f = NJW 1987, 2370; BGH, Urt. v. 29. Mai 2001 - VI ZR 114/00, NJW 2001, 2632, 2633).
Ob ein Schuldner gegenüber dem Lastschriftgläubiger au ch dann sittenwidrig handelt, wenn der Widerspruch gegen die Belastung seines Girokontos nicht einen einzelnen Gläubiger begünstigen, sondern unmittelbar vor dem Insolvenzantrag die künftige Masse "zusammenhalten" soll, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden (vgl. hierzu OLG Schleswig NZI 2001, 428, 429). Auch im vorliegenden Fall bedarf es dazu keiner Stellungnahme.
b) Denn ein Insolvenzverwalter, auch ein vorläufiger, ha t weitergehende Rechte zum Widerspruch, als sie zuvor der Schuldner hatte. Die verbreitete Ansicht, daß jenem das Widerspruchsrecht nur in dem Umfang zustehe, in dem es bei Stellung des Eröffnungsantrags der Schuldner gehabt habe, ist unzutreffend.
aa) Zwar ist der Insolvenzverwalter grundsätzlich an die vo m Schuldner getroffenen Abreden gebunden. Er tritt in die bei Verfahrenseröffnung bestehende Rechtslage ein (BGHZ 44, 1, 4; OLG Hamm NJW 1985, 865, 866; ZIP 2004, 814, 815).
Indem der Schuldner seinem Gläubiger eine Einziehungse rmächtigung erteilt, verschafft er diesem jedoch nicht das Recht, über sein Konto zu verfügen. Daher bedarf die Belastungsbuchung, um rechtlich wirksam zu sein, der Genehmigung des Schuldners (BGHZ 69, 82, 85; 144, 349, 353; BGH, Urt. v. 14. Februar 1989 - XI ZR 141/88, WM 1989, 520, 521). Solange er die Belastungsbuchung nicht ausdrücklich oder konkludent genehmigt hat, kann der Schuldner die Lastschrift durch seinen Widerspruch rückgängig machen (BGHZ 144, 349, 354; BGH, Urt. v. 19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, WM 2003, 524, 526). Der Widerspruch besagt im Grunde nichts anderes, als daß die Genehmigung versagt wird. Grundsätzlich gilt das Schweigen auf etwa zugegangene Rechungsabschlüsse nicht als Genehmigung (vgl. BGHZ 144, 349, 356). Über den Einfluß der neuen Nr. 7 Abs. 3 AGB-Banken - wonach die Belastungsbuchungen sechs Wochen nach dem Zugang entsprechender Mitteilungen als genehmigt gelten - ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Diese Bestimmung wurde erst zum 1. April 2002 eingeführt. Auf den vorliegenden Fall ist sie nicht anwendbar.
Bevor der Schuldner die Genehmigung nicht erklärt hat, ist die zur Einziehung gegebene Forderung nicht erfüllt (van Gelder, aaO § 58 Rn. 175 f; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht 2. Aufl. Rn. 4.360, 4.418; a.A. Canaris, Bankvertragsrecht 3. Aufl. Rn. 636; Staudinger/Olzen, BGB 14. Aufl. vor § 362 Rn. 75; Bork, Festschrift für Walter Gerhardt S. 69, 76). Dies wäre nur dann anders, wenn die dem Gläubiger nach Einlösung der Lastschrift durch die Zahlstelle erteilte Gutschrift als durch die Widerspruchsmöglichkeit des Schuldners auflösend bedingt anzusehen wäre (so etwa Bauer aaO S. 1194; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz Rn. 254; Canaris, Bankvertragsrecht 4. Aufl. Rn. 636; Engel, Rechtsprobleme um das Lastschriftverfahren 1966 S. 54; Fall-
scheer/Schlegel, Das Lastschriftverfahren - Entwicklung und Rechtsprobleme 1977 S. 34 f). Die Annahme einer auflösenden Bedingung ist jedoch mit der vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertretenen (vgl. BGHZ 144, 349, 353; BGH, Urt. v. 14. Februar 1989 - XI ZR 141/88, NJW 1989, 1672, 1673; v. 10. Januar 1996 - XII ZR 271/94, WM 1996, 335, 337; offen gelassen im Urteil v. 19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99 aaO) Genehmigungstheorie nicht vereinbar. Danach wird die Belastung des Schuldnerkontos erst durch die Genehmigung des Schuldners wirksam (van Gelder, aaO Rn. 172, 175).
Deshalb hat der Gläubiger auch nach der Gutschrift auf seinem Konto und der Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto immer noch lediglich den schuldrechtlichen Anspruch auf Erfüllung seiner Forderung. Dieser Anspruch ist nunmehr darauf gerichtet, daß der Schuldner die Belastungsbuchung genehmigt. An der Natur des Anspruchs ändert dies nichts. Der Ansicht, der Gläubiger habe im Lastschriftverfahren bereits eine "verfestigte Rechtsposition" oder "Schutzrechte gegenüber dem Schuldner erworben", aufgrund derer er darauf vertrauen dürfe, daß es nicht zu einer Rückbuchung komme (Rottnauer aaO S. 279; Kling aaO S. 58), ist nicht zu folgen, falls damit insolvenzfeste Rechte gemeint sein sollten. Eine solche Rechtsposition erhält der Gläubiger erst mit der Genehmigung der Lastschriftbuchung.
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht eine dem Schul dner zustehende Möglichkeit des Widerspruchs gegen im Einzugsermächtigungsverfahren vorgenommene Belastungsbuchungen auf den Insolvenzverwalter über (BGHZ 144, 349, 351). Nach Insolvenzeröffnung kann eine Zahlung, die bis dahin noch nicht erfolgt ist, nicht mehr wirksam werden (§ 81 Abs. 1 Satz 1
InsO). Demgemäß darf der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung grundsätzlich keine Belastungsbuchung mehr genehmigen.
Da weder die Abrede über die Einziehungsermächtigung noch die Ausübung der daraus folgenden Befugnisse die Rechtsstellung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner verbessert, gibt es keinen Grund, ihn insolvenzrechtlich vor Erteilung der Genehmigung besser zu stellen als solche Gläubiger , deren Forderung auf herkömmlichem Wege erfüllt werden sollen und welche die geschuldete Zahlung noch nicht erhalten haben. In jedem Falle haben die Gläubiger lediglich nicht erfüllte schuldrechtliche Ansprüche, die mit Verfahrenseröffnung zu Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO werden. Ebensowenig wie der Gläubiger einer vom Schuldner nicht bezahlten Forderung Ansprüche gegen die Masse hat, weil das Unterbleiben der Zahlung als positive Forderungsverletzung oder als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung anzusehen sei, kann er vom Insolvenzverwalter die Genehmigung einer im Einziehungsermächtigungsverfahren erfolgten Belastungsbuchung mit der Begründung verlangen, das Unterlassen der Genehmigung sei rechtsmißbräuchlich. Vielmehr ist das Gegenteil richtig: Da dem Gläubiger nur eine ungesicherte Insolvenzforderung zusteht, darf der Insolvenzverwalter nicht durch Erteilung der Genehmigung deren Erfüllung bewirken. Dies wäre ebenso insolvenzzweckwidrig wie die Zahlung an einen einzelnen Insolvenzgläubiger außerhalb des gesetzlich vorgeschriebenen Verteilungsverfahrens.
bb) Aufgrund der ihm gesetzlich obliegenden Aufgaben ist auch der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt zum Widerspruch berechtigt.
(1) Zunächst gelten für ihn die Ausführungen unter aa ) entsprechend. Der vorläufige Insolvenzverwalter hat, falls dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wurde, die künftige Masse zu sichern und zu erhalten (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO). Daraus folgt, daß er Forderungen einzelner Gläubiger nur erfüllen - und somit das Schuldnervermögen nur vermindern - darf, wenn dies im Einzelfall zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben, etwa zur Fortführung des Schuldnerunternehmens, im Interesse der Gläubigergesamtheit erforderlich oder wenigstens zweckmäßig erscheint (vgl. BGHZ 118, 374, 379; 146, 165, 172 f). An diesem Ziel hat sich grundsätzlich auch der vorläufige Insolvenzverwalter zu orientieren, der lediglich mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, § 22 Abs. 2 Satz 1 InsO; vgl. Uhlenbruck, aaO § 22 Rn. 13 a.E.; HK-InsO/Kirchhof, 3. Aufl. § 22 Rn. 31). Da der vorläufige Insolvenzverwalter in beiden Erscheinungsformen die künftige Masse zu sichern und zu erhalten hat, kann es nicht seine Sache sein, eine vor dem Eröffnungsantrag unvollständig erfüllte Verbindlichkeit des Schuldners vollständig zu erfüllen oder einer Erfüllungshandlung des Schuldners durch seine Zustimmung Wirksamkeit zu verleihen, falls dies nicht im Interesse aller Gläubiger liegt. Vielmehr darf er die Rechtsfolge des § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO durch einen Widerspruch oder die Verweigerung der Zustimmung zu einer Genehmigung des Schuldners vorwegnehmen.
Soweit "wegen der Pflicht zur Vermeidung und Vermind erung von Masseverbindlichkeiten" aus § 22 Abs. 1 Satz 2 InsO geradezu eine Verpflichtung abgeleitet wird, rechtsmißbräuchliche Widersprüche gegen Belastungsbuchungen zu unterlassen, weil diese zu Masseverbindlichkeiten führten (Kling aaO S. 56), beruht diese Auffassung auf einem Zirkelschluß.
(2) Die Richtigkeit der vorstehenden Überlegungen erwe ist sich auch daran, daß die Lage für den Gläubiger dann, wenn der Widerspruch unterbliebe , nach Insolvenzeröffnung kaum günstiger wäre, weil die Erfüllung der Gläubigerforderung durch Genehmigung der Belastungsbuchung nach Insolvenzeröffnung anfechtbar sein kann (vgl. Bork, Festschrift für Walter Gerhardt S. 69, 86 f; Knees/Fischer aaO S. 12).
Anfechtbare Rechtshandlungen darf ein "starker" vorläufi ger Insolvenzverwalter nicht vornehmen, und ein "schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt darf dem auf seine Zustimmung angewiesenen Schuldner dazu nicht die Hand reichen. Die Genehmigung der Belastungsbuchung ist eine Rechtshandlung des Schuldners, der damit einen mehraktigen Zahlungsvorgang abschließt (vgl. BGH, Urt. v. 19. Dezember 2002 aaO S. 529). Durch den nunmehr "endgültigen" Abfluß des entsprechenden Geldbetrages wird die Gläubigergesamtheit benachteiligt. Genehmigt für den Schuldner der "starke" vorläufige Insolvenzverwalter oder der Schuldner mit der offengelegten Zustimmung des "schwachen" (aber mit Zustimmungsvorbehalt ausgestatteten) vorläufigen Insolvenzverwalters, hat der Gläubiger zwangsläufig Kenntnis von dem Eröffnungsantrag. Insoweit liegen die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO vor.
Selbst die erst im Zeitpunkt der Genehmigung vorliegen de Kenntnis von dem Eröffnungsantrag ist für den Gläubiger schädlich. Da die Belastung des Schuldnerkontos nicht etwa bedingt, sondern bis zur Genehmigung ohne materielle Wirkung ist, fällt dies nicht unter den dritten, sondern unter den ersten Absatz des § 140 InsO (Christiansen KTS 2003, 353, 382; G. Fischer ZIP 2004, 1679, 1682).
cc) Die dargestellte Rechtsfolge benachteiligt Gläubiger , die sich einer Einziehungsermächtigung bedienen, nicht unbillig.
Daß der Gläubiger durch den Widerspruch des (vorläufige n) Insolvenzverwalters in der Stellung eines bloßes Insolvenzschuldners verbleibt (ungenau insofern Skrotzki aaO und Denck aaO S. 190: Der Gläubiger wird nicht "zurückversetzt" , weil er nie eine andere Stellung innehatte), hängt mit der Schwäche seiner Position als Lastschriftgläubiger zusammen. Für eine Entlastung des Gläubigers vom Insolvenzrisiko des Schuldners bietet das Einziehungsermächtigungsverfahren keinen Anhalt. Durch die berechtigte Einziehung ist dem Gläubiger noch keine insolvenzfeste Rechtsstellung zugewachsen. Auf der anderen Seite zieht der Gläubiger aus dem La stschriftverfahren großen Nutzen (zum Folgenden vgl. van Gelder, aaO § 56 Rn. 58-61): Er hat die Initiative beim Zahlungseinzug und kann den für ihn günstigsten Zeitpunkt einheitlich bestimmen. Er kann die Inanspruchnahme von Krediten zur Zwischenfinanzierung vermeiden und hat dadurch Liquiditätsvorteile. Die Zahlungsüberwachung wird vereinfacht. Die innerbetriebliche Buchhaltung des Gläubigers und die Mahnabteilung, die sich nur noch mit Rückbelastungen befassen muß, werden entlastet.
Es mag zwar zutreffen, daß das Einzugsermächtigungsverfahre n massenhaft angewendet wird und gerade den kleinen bis mittleren Zahlungsverkehr erleichtert. Daß das freie Widerrufsrecht des Insolvenzverwalters den "wegen seiner Schnelligkeit und Kostenvorteilen stark genutzten Lastschriftverkehr voraussichtlich übermäßig behindern oder sogar gänzlich zum Erliegen
bringen würde" (Cartano aaO), ist jedoch nicht zu befürchten, weil zwischen den Beteiligten eine Befristung vereinbart werden kann. Gläubigern, die das mit dem Einzugsermächtigungsverfahren verbundene Insolvenzrisiko dennoch scheuen, mögen von diesem Verfahren Abstand nehmen oder sich Sicherheiten geben lassen. Soweit es sich bei den Gläubigern um Lieferanten handelt, können sie beispielsweise einen verlängerten und/oder erweiterten Eigentumsvorbehalt ausbedingen.
dd) Der Ansicht, das in dem "Abkommen über den Lastschrif tverkehr" (Lastschriftabkommen, abgeschlossen von den im Zentralen Kreditausschuss zusammengefassten Spitzenverbänden des Kreditgewerbes) vorgesehene Regulierungssystem müsse im Verhältnis der Banken untereinander und im Valutaverhältnis funktionsfähig bleiben und dürfe nicht durch die Insolvenz eines Beteiligten gestört werden (so Sandberger aaO), ist nicht zu folgen. Das Lastschriftabkommen kann das Insolvenzrecht nicht außer Kraft setzen. Im übrigen füllt es den Inhalt des zwischen der ersten Inkassostelle und der Zahlstelle bestehenden Auftragsverhältnisses aus, betrifft somit allein den Verkehr zwischen den beteiligten Banken. Auch im Interbankenverhältnis ist eine Befristung der Rückverrechnungsmöglichkeit vorgesehen (Abschn. III Nr. 2 Satz 1 des Lastschriftabkommens ). Damit ist das Insolvenzrisiko der ersten Inkassostelle im Verhältnis zum Einreicher der Lastschrift begrenzt.
b) Sittenwidrig könnte der "pauschale" Widerspruch des ( vorläufigen) Insolvenzverwalters gegen die Belastungsbuchung dann sein, wenn er nicht der künftigen Insolvenzmasse, sondern - von vornherein gewollt - allein der Schuldnerbank zugute käme (BGHZ 101, 153, 157 = NJW 1987, 2370). Davon ist das Berufungsgericht ausgegangen.
Indes kann der Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagt e habe durch den mit der Schuldnerin abgestimmten Widerspruch die deren Konto belasteten Beträge der kontoführenden Bank "zugeschanzt", nicht gefolgt werden. Ob das Berufungsgericht durch das unstreitige Parteivorbringen, diese Beträge befänden sich nunmehr in der Insolvenzmasse, gebunden war, mag dahinstehen. Es kann sogar davon ausgegangen werden, daß durch die Rücklastschriften kein Auszahlungsanspruch zugunsten der künftigen Insolvenzmasse entstanden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 - IX ZR 125/02, ZIP 2002, 2184, 2185; OLG Köln WM 1991, 28, 29; LG Karlsruhe WM 1987, 605; LG Aachen WM 1990, 1042, 1044). Jedenfalls hatte die kontoführende Bank durch den Widerspruch des Beklagten keinen rechtserheblichen Vorteil. Soweit Belastungsbuchungen nicht genehmigt worden sind, hatte die Bank zu keiner Zeit einen Aufwendungsersatzanspruch nach § 670 BGB. Die Wiedergutschrift erfolgte im Wege einer Berichtigung einer Buchung. Eine Verrechnung oder Aufrechnung lag darin nicht (Bork, Festschrift für Walter Gerhardt S. 69, 78; vgl. ferner BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 aaO; a.A. OLG Bremen ZIP 1980, 358; Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 82 Rn. 34 a.E.).
c) Ob der Widerspruch sittenwidrig sein könnte, wenn der Insolvenzmasse dadurch keinerlei Vorteil erwachsen wäre, bedarf keiner abschließenden Entscheidung.
Allerdings war der Widerspruch zunächst einmal ohne Einf luß auf die Passivmasse. Er bewirkte, daß es bei der Forderung der Klägerin verblieb. Wäre der Widerspruch unterlassen - und die Belastungsbuchung genehmigt - worden, wäre die Forderung der Klägerin erloschen; dafür wäre der Schuldner-
bank eine Forderung aus § 670 BGB in gleicher Höhe entstanden. Indes hat ein vorläufiger Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 und 2 InsO), der sein Amt antritt und sich erst einen Überblick über die erfahrungsgemäß oft ungeordneten rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners verschaffen muß, ein rechtlich geschütztes Interesse daran, zunächst einmal jede Veränderung dieser Verhältnisse zu unterbinden, also den "status quo" zu bewahren. Dazu gehört auch, daß er Zahlungen des Schuldners, die noch nicht wirksam erfolgt sind, "einfriert". Denn er ist regelmäßig nicht in der Lage, etwa vorliegende unerledigte Rechnungen rasch und zuverlässig auf ihre Berechtigung zu überprüfen. Hinzu kommt, daß Abflüsse von dem Schuldnerkonto , um Forderungen von (Alt-)Gläubigern zu befriedigen, selbst dann, wenn sie (weil das Schuldnerkonto debitorisch ist) lediglich zu einer Umschuldung führen , in mehrfacher Hinsicht nachteilig sind. Zum einen wird dadurch die Liquidität des Schuldnerunternehmens geschmälert. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn das Schuldnerkonto debitorisch ist, weil möglicherweise ein noch nicht ausgeschöpftes Kreditlimit eingeräumt ist. Die Liquidität kann für die Fortführung des Schuldnerunternehmens unerläßlich sein. Zum andern wird es für die Insolvenzmasse vielfach günstiger sein, wenn eine Schuld bei einem (Insolvenz -) Gläubiger nicht durch eine Schuld bei der Bank abgelöst worden ist. Denn regelmäßig hat sich die Bank für ihr Kreditengagement Sicherheiten bestellen lassen. Der erfolgreiche Widerspruch gegen eine Lastschrift kann deshalb dazu führen, daß Sicherheiten nicht in Anspruch genommen werden. Dies verbessert die Aussichten einer Sanierung des Schuldnerunternehmens.
d) Da der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvor behalt berechtigt ist, einer im Einzugsermächtigungsverfahren erfolgten Kontobelastung
zu widersprechen, liegt weder eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB noch eine schuldhafte Pflichtverletzung gemäß § 60 InsO vor.
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und durch Zurückweisung der Berufung das erstinstanzliche Urteil wiederherstellen.
Ganter Raebel Kayser
Cierniak Lohmann
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung im Übrigen - das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 13. April 2006 teilweise abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.879,37 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Februar 2004 zu bezahlen.
Die Sache wird an das Berufungsgericht - auch zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens - zurückverwiesen, soweit die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 10.545,10 € verfolgt.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin war seit dem 22. März 2002 vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt und ist seit dem 29. Mai 2002 Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin).
- 2
- Die Schuldnerin, die sich mit dem Ankauf, der Bebauung und anschließenden Veräußerung von Grundstücken befasste, hatte in A. verschiedene Grundstücke erworben, die zugunsten der beklagten S. als Darlehensgeberin mit Grundpfandrechten belastet waren. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, die Grundstücke in der Weise zu verwerten, dass die Beklagte Erwerbsinteressenten sucht und die zwischen ihnen und der Klägerin zu schließenden Kaufverträge im Einzelnen aushandelt und entwirft. Die Klägerin beanstandete nach Vorlage des ersten Kaufvertrags durch Schreiben vom 17. September 2002 gegenüber der Beklagten, dass der Vertragsentwurf - etwa hinsichtlich etwaiger Erschließungsbeträge - Verpflichtungen des Verkäufers enthalte, die sie nicht übernehmen könne. Die Beklagte stellte die Klägerin daraufhin im Innenverhältnis von diesen Verpflichtungen frei. Auf der Grundlage dieser Übereinkunft wurden in der Folgezeit diverse Grundstücke veräußert.
- 3
- Im Zuge eines Umlegungsverfahrens belastete die Gemeinde ein Grundstück der Schuldnerin mit einem Geldausgleich in Höhe von 40.532,66 €. In dem Vertrag über den Verkauf dieses Grundstücks vom 11. August 2003 wurden die Kosten aus dem Umlegungsverfahren der Klägerin als Verkäuferin auferlegt. Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 25. August 2003 die Klägerin von den mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei. Nach Inanspruchnahme durch die Gemeinde verlangt die Klägerin mit ihrer Klage Erstattung der von ihr geleisteten Zahlung von 40.532,66 € durch die Beklagte.
- 4
- Die Schuldnerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, dessen Sollsaldo sich am 22. März 2002 auf 31.644,72 € belief. Die in der Folgezeit auf dem Konto durch Überweisungen und Lastschriftrückbuchungen eingegangenen Zahlungen von 301.116,67 € erstattete die Beklagte der Klägerin am 2. Juli 2002. Vor Ausführung dieser Überweisung wies das Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 € auf; infolge der Überweisung und am 2. Juli 2002 eingegangener Lastschriften betrug der Sollsaldo am Ende dieses Tages 70.253,09 €. Mit ihrer Widerklage verlangt die Beklagte von der Klägerin Zahlung dieses Betrages. Vorab rechnet die Beklagte mit der Widerklageforderung hilfsweise gegen den Klageanspruch auf.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin, die den mit der Widerklage verfolgten Kontenausgleich teilweise als anfechtbar erachtet, hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von 3.202,12 € zugesprochen und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre abgewiesene Klageforderung weiter. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg. Demgegenüber ist die Anschlussrevision der Beklagten unbegründet.
I.
- 7
- Das Oberlandesgericht meint, der Beklagten habe es oblegen, die Klägerin von sämtlichen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen freizustellen. Die Klägerin sei ihrerseits verpflichtet gewesen, den Käufern von Kosten aus dem Umlageverfahren freies Eigentum zu verschaffen. Die Freistellungsverpflichtung der Beklagten erfasse die als eigene Verbindlichkeit der Schuldnerin entstandene Ausgleichszahlung. Die Beklagte habe gewusst, dass es die Klägerin abgelehnt habe, die Masse durch den Verkauf der Grundstücke mit Forderungen zu belasten. Deswegen habe die Klägerin die Freistellungserklärung der Beklagten nur im Sinne einer Übernahme der Ausgleichszahlungsverpflichtung verstehen dürfen.
- 8
- auf Die § 812 BGB beruhende Widerklageforderung sei überwiegend begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Auszahlung des Betrages zurückgerufener Lastschriften, weil es sich dabei um reine Korrekturbuchungen handele. Die Klägerin könne lediglich bestehende Forderungen der Insolvenzschuldnerin einziehen. Darunter falle das auf dem Girokonto befindliche Guthaben der Schuldnerin über 238.221,54 €, so dass die Masse durch die Zahlung von 301.116,67 € um den Differenzbetrag von 62.895,13 € ungerechtfertigt bereichert sei. Soweit die Beklagte widerklagend einen höheren Betrag beanspruche , beruhe dies auf der Einlösung von Lastschriften, die keinen Anspruch gegen die Masse begründe. Die Widerklageforderung ermäßige sich infolge einer Anfechtung durch die Klägerin um 25.564,59 €, weil es sich dabei um eine nach Stellung des Insolvenzantrags durch die Befriedigung eines Gläubigers entstandene Regressforderung der Beklagten handele. Die Belastung des Kontos mit Darlehenskosten von 2.479,77 € und 197,48 € sei nach Insolvenzeröffnung vorgenommen worden. Der Senat sei bei der Urteilsverkündung davon ausge- gangen, dass die Beklagte insoweit nur Zahlstelle gewesen sei und sich Bereicherungsansprüche deshalb nicht gegen die Beklagte richteten. Erst bei der Absetzung der Gründe sei erkannt worden, dass die Beklagte selbst das Darlehen ausgereicht habe. Dies habe aber nicht mehr berücksichtigt werden können. Eine weitere Kürzung des Anspruchs der Beklagten sei nicht wegen der Vornahme einer Überweisung von 10.545,10 € gerechtfertigt. Fehle es an einer Genehmigung dieser Zahlung durch die Klägerin, so richte sich deren etwaiger Bereicherungsanspruch gegen die Firma R. als Empfängerin der Leistung.
II.
- 9
- Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. Die Klageforderung ist bereits jetzt in Höhe von 5.879,37 € begründet ; im Blick auf eine weitere Forderung der Klägerin über 10.545,10 € ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Demgegenüber bleibt die Anschlussrevision der Beklagten ohne Erfolg.
- 10
- 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht von einer Klageforderung in Höhe von 40.532,66 € aus, die ihre Grundlage in der von der Beklagten übernommenen Freistellungsverpflichtung findet. Die gegen diese Würdigung gerichteten Angriffe der Anschlussrevision bleiben ohne Erfolg.
- 11
- Die Klägerin hat entsprechend dem von der Beklagten gefertigten Vertragsentwurf am 11. August 2003 ein Grundstück veräußert und dabei die Kosten aus dem Umlegungsverfahren übernommen. Die Beklagte stellte die Klägerin nach Erhalt einer Abschrift des notariellen Vertrages durch Schreiben vom 25. August 2003 "von allen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei". Bei dieser Sachlage kann die Klägerin nach dem Inhalt der Parteiabrede Erstattung der von ihr zugunsten des Käufers ausgeglichenen Kosten aus dem Umlegungsverfahren verlangen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der auf der Erklärung der Beklagten basierenden Übereinkunft ist für die von der Anschlussrevision befürwortete korrigierende Auslegung von vornherein kein Raum. Insbesondere scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, weil die Einigung der Parteien vollständig ist und keine offene, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke aufweist (vgl. BGHZ 9, 273, 277; 127, 138, 142). Mithin kann der Senat nicht in die Prüfung eintreten, ob die Klägerin ohne die Einigung von der Beklagten Erstattung der Umlegungskosten beanspruchen könnte.
- 12
- 2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den von der Beklagten der Klageforderung im Wege der Aufrechnung und der Widerklage entgegengesetzten , auf ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) beruhenden Zahlungsanspruch im Ausgangspunkt mit 62.895,13 € bemessen. Soweit die Anschlussrevision die Gegenforderung auf 70.253,09 € veranschlagt , kann ihr nicht gefolgt werden.
- 13
- a) Im Zeitpunkt der Überweisung von 301.116,67 € befand sich auf dem Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 €. Folglich beläuft sich der Bereicherungsanspruch der Beklagten infolge der das Guthaben übersteigenden Zahlung auf 62.895,13 €. Insoweit kann die Klägerin - entgegen ihrem Revisionsvorbringen - nicht deshalb Erstattung beanspruchen, weil sie Lastschriften widersprochen hat. Ein Zahlungsanspruch besteht - hier nicht, weil sich das Konto nach Rückbuchung einer Lastschrift - im Debet befand. In einem solchen Fall beschränkt sich der Anspruch auf die Korrektur der ungenehmigten Belas- tung (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 - IX ZR 125/02, WM 2002, 2408, 2409). Die Revision kann mit dem Vorbringen, die der Schuldnerin von der Beklagten eingeräumte Kreditlinie sei nicht ausgeschöpft gewesen, keine Beachtung finden , weil sie es versäumt hat, die gegenteiligen tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit Hilfe eines Tatbestandsberichtigungsantrags (§ 320 ZPO) anzugreifen (vgl. BGH, Urt. v. 8. Januar 2007 - II ZR 334/04, NJW-RR 2007, 1434, 1435 Rn. 11 m.w.N.).
- 14
- b) Die nach der Überweisung am 2. Juli 2002 ausgeführten Lastschriften von insgesamt 7.357,96 € sind - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht zugunsten der Beklagten forderungserhöhend zu berücksichtigen. Eine Genehmigung dieser Lastschriften durch die Klägerin im Wege der Nutzung des Kontos (BGHZ 174, 84, 97 Rn. 34 ff) ist entgegen der Darstellung der Anschlussrevision in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen worden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen der Nr. 7 Abs. 4 AGB-Sparkassen.
- 15
- 3. Dem Berufungsgericht ist entgegen der Auffassung der Anschlussrevision auch beizutreten, soweit es die Anfechtung der Klägerin im Blick auf eine von der Beklagten im Wege des Bürgenregresses am 3. Mai 2002 in das Konto eingestellte Forderung über 25.564,59 € als begründet erachtet und folglich die Widerklageforderung entsprechend reduziert hat.
- 16
- Die Belastung des Kontos eines Schuldners durch seine Bank mit der Rückgriffsforderung aus der Inanspruchnahme einer Bürgschaft stellt keine der Anfechtung entzogene Bardeckung (§ 142 InsO) dar, weil es sich um eine eigene Forderung der Bank handelt (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Urt. v. 11. Oktober 2007 - IX ZR 195/04, WM 2008, 222, 223 Rn. 6). Liegen die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor, kann sich der Verwalter unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Verrechnung berufen (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008 - IX ZR 148/07, WM 2008, 1606, 1607 Rn. 8 m.w.N.). Die Beklagte wurde nach ihrem eigenen Vorbringen aus der für die Schuldnerin erteilten Bürgschaft durch Schreiben des Gläubigers vom 5. April 2002 - und damit nach der am 22. März 2002 erfolgten Antragstellung - in Anspruch genommen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte bereits am 25. März 2002 seitens der Klägerin von der Stellung des Insolvenzantrags und ihrer Einsetzung als vorläufige Insolvenzverwalterin unterrichtet worden war. Eine Gläubigerbenachteiligung scheidet nicht deswegen aus, weil die Beklagte an den Forderungseingängen der Schuldnerin nach Nr. 21 AGB-Sparkassen ein Pfandrecht erlangt hat. Da sämtliche Überweisungen an die Schuldnerin nach der Antragstellung vom 22. März 2002 eingingen, sind die Pfandrechte der Beklagten innerhalb der kritischen Zeit entstanden. Es handelt sich somit nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO jeweils um anfechtbare inkongruente Deckungen, weil der Pfandgegenstand nicht bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung konkretisiert war (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008, aaO S. 1607 f Rn. 15 f m.w.N.). Aus demselben Grund ist es unerheblich, ob vor der Inanspruchnahme des verklagten Bürgen ein sicherungsfähiger Freistellungsanspruch bestand.
- 17
- 4. Erfolg hat demgegenüber die Revision der Klägerin, soweit die Beklagte das Konto der Schuldnerin aus Überweisungen vom 14. Juni 2002 mit 2.479,77 € und 197,48 € belastet hat.
- 18
- a) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der zwischen dem Schuldner und der Bank bestehende Girovertrag (§ 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO). Ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossener Überwei- sungsvertrag besteht dagegen mit Wirkung für die Masse fort (§ 116 Satz 3 InsO ). Demgemäß hat die Bank die im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens vertraglich vereinbarten Überweisungen grundsätzlich zum Nachteil der Masse durchzuführen (MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. § 82 Rn. 21). Ein erst nach Insolvenzeröffnung zustande gekommener Überweisungsvertrag (§ 676a BGB) ist unwirksam (vgl. MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, aaO § 81 Rn. 12b, § 82 Rn. 21). Führt die Bank die Überweisung trotz Kenntnis der Insolvenzeröffnung aus, erwirbt sie - gleich ob das Konto kreditorisch oder debitorisch geführt wurde - keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Masse (MünchKommInsO /Ott/Vuia, aaO § 82 Rn. 21; Braun/Kroth, InsO 3. Aufl. § 82 Rn. 13; FKInsO /App, 5. Aufl. § 82 Rn. 7a; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 2. Aufl. § 82 Rn. 9; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 3.30 f; HK-InsO/ Kayser, 5. Aufl. § 82 Rn. 24).
- 19
- b) Bei dieser Sachlage sind beide Überweisungsverträge unwirksam, weil sie nach der am 29. Mai 2002 erfolgten und der Beklagten am 5. Juni 2002 mitgeteilten Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 14. Juni 2002 abgeschlossen wurden. In diesem Fall hat die Bank mangels eines wirksamen Vertrages lediglich einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger der Leistung (MünchKomm -InsO/Ott, aaO Rn. 22; Obermüller, aaO Rn. 3.31; vgl. BGHZ 167, 171, 173 Rn. 9). Überdies war die Beklagte - wie das Oberlandesgericht nachträglich zutreffend erkannt hat - nicht bloße Zahlstelle, sondern selbst Begünstigte der Überweisung und ist damit auch wegen der Unwirksamkeit der von der Schuldnerin getroffenen Verfügung (§ 81 InsO) einem Rückforderungsanspruch ausgesetzt (HmbKomm-InsO/Kuleisa aaO § 81 Rn. 6).
- 20
- 5. Die Revision ist außerdem begründet, soweit die Klägerin eine Kürzung des Bereicherungsanspruchs wegen der am 30. April 2002 durchgeführten Überweisung von 10.545,10 € begehrt.
- 21
- Zum Zeitpunkt der Überweisung war eine Sicherungsmaßnahme durch die Bestellung der Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt getroffen worden. Entsprechend dem für die Neufassung der §§ 676a ff BGB maßgeblichen Verständnis bildet der Überweisungsvertrag kein Verfügungs-, sondern ein Verpflichtungsgeschäft. Da die Klägerin lediglich mitbestimmende vorläufige Verwalterin war (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) und nur bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 InsO), war die Schuldnerin grundsätzlich nicht in ihrer Fähigkeit, Überweisungsverträge zu schließen, beschränkt (BGHZ 165, 283, 287; Obermüller, aaO Rn. 3.12 a; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 24 Rn. 10). Der Verwalter kann Überweisungsaufträge des Schuldners auch nicht widerrufen (Obermüller, aaO Rn. 3.19, 3.19a). Danach ist die Bank grundsätzlich berechtigt, trotz der Einsetzung eines schwachen vorläufigen Verwalters mit dem (späteren) Schuldner einen Überweisungsvertrag zu schließen (Obermüller, aaO, Rn. 3.12a; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz 2002 Rn. 159). Führt die Bank - wie hier - in Kenntnis des Zustimmungsvorbehalts (§§ 24, 82 InsO) einen Überweisungsvertrag aus, so kann sie jedoch den Überweisungsbetrag nicht in das Kontokorrent einstellen, weil die Belastung des Kontos an der fehlenden Genehmigung scheitert (Bork aaO Rn. 146; Obermüller aaO Rn. 3.12a; Peschke, Die Insolvenz des Girokontoinhabers 2005 S. 159).
- 22
- 6. Keinen Erfolg hat hingegen die Revision, soweit sie die restliche Forderung (24.198,19 €) im Wege der Anfechtung von Lastschriften verfolgt.
- 23
- Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist berechtigt , die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu versagen (BGHZ 161, 49, 52 ff.; 174, 84, 87 Rn. 11). Diese Befugnis hat die Klägerin hier mit der Folge der Rückbuchung von Lastschriften ausgeübt. Bei einem - leer wie im Streitfall - debitorisch geführten Konto geht - entsprechend den Ausführungen unter 2 a) - der Anspruch nur auf Korrektur der ungenehmigten Belastung. Weitergehende Rechte stehen dem Kontoinhaber nicht zu; insbesondere ein Zahlungsanspruch ist nicht entstanden (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 aaO). Mit dem Widerspruch wird, weil es mangels Genehmigung nicht zu einer wirksamen Lastschrift gekommen ist, lediglich der zutreffende Kontostand wieder hergestellt. Es fehlt folglich an einer die Masse beeinträchtigenden Rechtshandlung des Schuldners (§ 129 InsO). Daher geht die Anfechtung ins Leere (Bork EWiR 2002, 1097, 1098). Die Anfechtung hat der Senat lediglich für den Fall einer Genehmigung der Belastungsbuchung erwogen (BGHZ 161, 49, 56), an der es vorliegend gerade fehlt.
III.
- 24
- Soweit Entscheidungsreife gegeben ist, hat der Senat in der Sache entschieden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist lediglich im Blick auf die Forderung der Klägerin über 10.545,10 € an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), weil sich die Beklagte unter Benennung von Zeugen darauf berufen hat, die Überweisung im Einverständnis mit der Klägerin durchgeführt zu haben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien die notwendigen Feststellungen zu treffen.
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Siegen, Entscheidung vom 13.04.2006 - 5 O 27/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.02.2007 - 25 U 63/06 -
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger für Lohnsteuerschulden der Firma A GmbH & Co KG i. I. (KG) haftet.
3Der Kläger führte als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch die Geschäfte der KG. Am ....02.2010 beantragte er die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG. Noch am selben Tag wurde ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. InsO) bestellt. Das Insolvenzverfahren wurde am ....06.2010 eröffnet (...IN ..).
4Mit Haftungsbescheid vom 30.06.2010 bzw. Teil-Änderungsbescheid vom 16.08.2010 wurde der Kläger für Lohn- und Kirchensteuer sowie Solidaritätszuschlag der KG für die Monate Januar und Februar 2010 i.H.v. 32.494,05 € gemäß §§ 34, 69 AO in Anspruch genommen; ebenso verfuhr der Beklagte mit dem zweiten Geschäftsführer der GmbH.
5Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aus: Die Liquiditätsschwierigkeiten der KG befreiten den Kläger nicht von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer. Bei nicht ausreichenden Mitteln dürfe der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt oder als Teilbetrag auszahlen und müsse aus den übrigen Mitteln das FA befriedigen. Der Kläger habe demgegenüber während des Haftungszeitraums die Nettolöhne ungekürzt an die Arbeitnehmer auszahlen lassen, die entsprechenden Abzugssteuern aber nicht an das FA abgeführt. Die Lohnsteuer 1/2010 sei zum 10.02.2010 und damit vor dem Insolvenzantrag fällig gewesen. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn der Kläger wie vorgetragen davon ausgegangen wäre, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung bei Fälligkeit ermöglicht hätte.
6Die Lohnsteuer 2/2010 sei am 10.03.2010 fällig geworden. Auch bei diesem Verfahrensstand sei der Kläger von seiner Verpflichtung zur Abführung der Lohnsteuer nicht befreit gewesen, da im Streitfall kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur ein Zustimmungsvorbehalt beschlossen worden sei. Soweit der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts die Lohnsteuerabführung verweigere, habe der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
7Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem BFH-Beschluss vom 19.02.2010 – VII B 190/09. Diese Entscheidung wäre nur dann einschlägig, wenn der Kläger alles ihm Mögliche für die Abführung der Lohnsteuer bei Fälligkeit getan habe, der vorläufige Insolvenzverwalter aber (etwa durch Stornierung von Überweisungsaufträgen oder von Einzugsermächtigungen) in den Zahlungsverkehr der KG eingegriffen hätte. Der Kläger habe jedoch erst gar keine Zahlungen an das FA veranlasst, sondern lediglich darauf vertraut, dass die Lohnsteuer bei einem erfolgreichen Abschluss der Verkaufsverhandlungen würde abgeführt werden können. Würden solche Erwartungen später enttäuscht, so lägen diese Umstände in seiner Risikosphäre.
8Neben dem Kläger sei auch der zweite Geschäftsführer der GmbH durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen worden. Beide hafteten gemäß § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner und schulden jeder für sich die gesamte Leistung.
9Der Kläger macht unter Hinweis auf das Insolvenzverfahren geltend, keine Verantwortung für die Nichterfüllung der Lohnsteuer zu tragen; er beruft sich dazu auf den BFH‑Beschluss vom 19.02.2010 - VII B 190/09. Danach bestehe für den Geschäftsführer einer insolvenzreifen GmbH keine allgemeine rechtliche Verpflichtung, gegen einen vorläufigen Insolvenzverwalter vorzugehen, der in den Zahlungsverkehr der GmbH eingreife. Der Insolvenzverwalter habe keine Freigabe für die Bezahlung der Lohnsteuer erteilt. Außerdem habe dieser eine Zahlung nach §§ 129 ff. InsO anfechten können. Dies gelte auch für die vor dem Insolvenzantrag fällige Lohnsteuer 1/2010, bei der nach der Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen worden sei, dass sie hätte abgeführt werden können. Die Löhne für Februar seien nach dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden.
10Der Kläger beantragt, den Haftungsbescheid vom 30.06.2010 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 16.08.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 02.09.2010 aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
12Der Beklagte bezieht sich dazu im Wesentlichen auf die Begründung in der Einspruchsentscheidung.
13Entscheidungsgründe
14Die Klage ist unbegründet. Allein der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens befreit den GmbH-Geschäftsführer nicht von der Lohnsteuer-Haftung.
151. Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO haften die gesetzlichen Vertreter einer KG, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Den Kläger traf als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – u.a. – die Pflicht, für eine fristgerechte Anmeldung und Abführung der von der KG geschuldeten Lohnsteuer zu sorgen (bis zum 10.Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums = Kalendermonat; § 34 Abs.1 AO, § 41a Abs.1 Satz 1 Nr.2, Abs. 2 Satz 1 EStG).
162. Weder durch den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....02. 2010 über das Vermögen der KG noch durch die am selben Tag erfolgte Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt (§ 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. InsO; Eröffnung des Insolvenzverfahrens am ....06.2010) war der Kläger rechtlich gehindert, die vorliegend streitige Lohnsteuer 1/2010 (fällig zum 10.02.2010) bzw. Lohnsteuer 2/2010 (fällig zum 10.03.2010) abzuführen. Allein der Antrag schränkt den Geschäftsführer in seiner Verfügungsbefugnis nicht ein.
17a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH stellt die Nichtabführung einzubehaltender und anzumeldender Lohnsteuer zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten im Regelfall eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Geschäftsführerpflichten dar. Zahlungsschwierigkeiten der Gesellschaft ändern weder etwas an der Abführungspflicht des Geschäftsführers, noch schließen sie sein Verschulden bei Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten der KG aus (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
18b) Sind im Zeitpunkt der Lohnsteuer-Fälligkeit noch liquide Mittel zur Zahlung der Lohnsteuer vorhanden, besteht die Verpflichtung des Geschäftsführers zu deren Abführung so lange, bis ihm durch Bestellung eines (starken) Insolvenzverwalters oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Verfügungsbefugnis entzogen wird (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
19c) Die Pflichtverletzung des Klägers war auch kausal für den Steuerausfall. Im Streitfall kann nicht festgestellt werden, dass ausreichende Zahlungsmittel für die Begleichung der Lohnsteuer nicht vorhanden waren (vgl. dazu BFH-Urteile vom 27.02.2007 – VII R 67/05, BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348 und vom 06.03.2001 – VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Dies ergibt sich trotz des am ....02.2010 gestellten Antrag auf Insolvenzeröffnung für die Lohnsteuer 1/2010 bereits daraus, dass der Kläger die Januar-Löhne zum Ende des Monats in Kenntnis des Fälligkeitszeitpunkts für die Lohnsteuer 1/2010 zum 10.02.2010 noch ungekürzt ausgezahlt hat. Daran ändert sich auch nichts durch den unsubstantiierten Vortrag des Klägers, nach seiner Liquiditätseinschätzung zum 10.02.2010 davon ausgegangen zu sein, dass die Liquiditätslage der KG die Abführung der Lohnsteuer 1/2010 bei Fälligkeit ermöglicht hätte. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Eingangs weiterer Geldmittel reicht zum Ausschluss des Verschuldens i.S. § 69 AO nicht aus. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH vermag die Erwartung, Lohnsteuerrückstände später durch Kredite eines privaten Kreditgebers, durch Realisierung von Außenständen, durch öffentliche Fördermittel oder durch eine Aufrechnung mit vermeintlichen Steuerguthaben ausgleichen zu können, den Vertreter in der Liquiditätskrise von seiner Pflicht zur entsprechenden Kürzung der Löhne und zur Abführung der auf die gekürzten Löhne entfallenden Lohnsteuer nicht zu entlasten. Allenfalls könnte es an dem Verschulden des Vertreters fehlen, wenn er aufgrund einer verbindlichen Zusage fest mit dem Eingang zusätzlicher Mittel gerechnet hat (BFH-Beschluss vom 06.07.2005 – VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753), was im Streitfall allerdings weder vorgetragen noch ersichtlich ist; ebenso wenig ist vorgetragen oder nachgewiesen, dass sich die Liquiditätslage in der Zeit vom 10.02.2010 bis zum 22.02.2010 plötzlich und unabsehbar derart verschlechtert hat, dass eine entsprechende Annahme des Klägers gerechtfertigt gewesen wäre.
20Auch für die Lohnsteuer 2/2010, die am 10.03.2010, also nach Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden ist, ist vom Vorhandensein ausreichender Zahlungsmittel auszugehen. Denn der Kläger hat die Februar-Löhne in Kenntnis der offenkundig schlechten Liquiditätslage am Ende des Monats Februar 2010 bzw. zu Anfang des Folgemonats ungekürzt ausgezahlt, obwohl von ihm zu erwarten war, durch entsprechende Vorsorge bzw. Rücklagenbildung die Lohnsteuer-Abführung sicherzustellen (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juli 1988 – VII R 83/87, BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, DB 1988, 2238). Dies gilt auch dann, wenn die Februar-Löhne entsprechend dem Schreiben des Insolvenzverwalters vom 04.08.2010 im Zuge der anhaltenden Verkaufsverhandlungen vorfinanziert und aus der Masse ausgeglichen worden wären. Denn die Verpflichtung des Klägers zu Lohnsteuerabführung bestand solange, wie er die Verfügungsbefugnis über die liquiden Mittel der KG innehatte. Diese Verfügungsbefugnis war ihm im Streitfall nicht durch die Bestellung eines sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalters entzogen worden, da das Gericht kein allgemeines Verfügungsverbot, sondern nur einen Zustimmungsvorbehalt beschlossen hatte (sog. schwacher Insolvenzverwalter). Soweit sich der vorläufige Insolvenzverwalter im Rahmen seines Zustimmungsvorbehalts geweigert hat, Lohnsteuerzahlungen zu ermöglichen, hätte der Kläger als verantwortlicher Geschäftsführer auch keine Löhne auszahlen dürfen.
21c) Die Haftung des Geschäftsführers entfällt auch nicht infolge einer im Falle der Entrichtung der Lohnsteuer zum Fälligkeitstermin möglichen Anfechtung der Zahlung durch den Insolvenzverwalter nach §§ 129 ff. InsO. Denn die bloße Möglichkeit der Insolvenzanfechtung hindert nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht, den durch die pflichtwidrige Nichtabführung eingetretenen Steuerausfall dem Geschäftsführer zuzurechnen (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101, m.w.N). Seit dem BFH-Urteil vom 05.06.2007 – VII R 65/05 (BFHE 217, 233, BStBl II 2008, 273) ist geklärt, dass die Kausalität der Pflichtverletzung für einen dadurch beim Fiskus entstandenen Vermögensschaden nicht durch nachträglich eingetretene Umstände oder durch die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs beseitigt werden kann. Deshalb entfällt die Haftung eines GmbH-Geschäftsführers nicht dadurch, dass der Steuerausfall unter Annahme einer hypothetischen, auf § 130 Abs. 1 InsO gestützten Anfechtung gedachter Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter ebenfalls entstanden wäre (erneut bestätigt durch BFH-Beschluss vom 22.04.2009 - VII B 225/08, nicht veröffentlicht).
22d) Der BFH hat erwogen, ob die Lohnsteuerabführungspflicht des Geschäftsführers mit der Stellung des Insolvenzantrags suspendiert sein könnte. So hatte der BFH noch in seinem Urteil vom 27.02.2007 – VII R 67/05 (BFHE 216, 491, BStBl II 2009, 348) entschieden, dass das zivilrechtliche Zahlungsverbot des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine Haftung wegen Nichtzahlung fälliger Steuern allenfalls innerhalb der dreiwöchigen Schonfrist ausschließe, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt sei. Denn dies könne im Sinne eines "Erst-recht-Schlusses" auch eine dreiwöchige Suspendierung der Lohnsteuerabführungspflicht in Fällen nahelegen, in denen der Geschäftsführer den Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit "freiwillig" gestellt habe. Inzwischen bejaht der BFH eine Haftung allerdings ausdrücklich auch dann, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt, die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt ist (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101 in Fortentwicklung seiner Rechtsprechung im Hinblick auf die geänderte Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06, DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242: Keine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist).
233. Die zumindest grobe Fahrlässigkeit als subjektive Voraussetzung der Haftung nach § 69 AO ist regelmäßig zu bejahen, wenn die auf die ausgezahlten Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht abgeführt werden. Denn die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens eines gesetzlichen Vertreters indiziert im Allgemeinen den Schuldvorwurf, weil der Geschäftsführer durch die Nichtabführung der Lohnsteuer die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101; vgl. ferner Beschluss vom 18. Januar 2008 VII B 63/07, BFH/NV 2008, 754, m.w.N.). Das schließt es zwar nicht aus, dass besondere, vom Kläger glaubhaft zu machende Gründe im Einzelfall die Pflichtverletzung entschuldigen oder nur den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit rechtfertigen. Solche Gründe sind im Streitfall jedoch nicht ersichtlich. Jedenfalls im Streitfall bestand eine Pflichtenkollision zwischen Massesicherung und Steuerzahlung, die die Annahme einer groben Fahrlässigkeit durch Nichtabführung der Lohnsteuer ausschließen könnte, nicht mehr, seit der BGH mit Urteil vom 14.05. 2007 – II ZR 48/06 (DStR 2007, 1174, HFR 2007, 1242) eine zivilrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Steuerabführung in der Dreiwochenfrist abgelehnt hatte, dem nicht angesonnen werden könne, fällige Leistungen an die Steuerbehörden nicht zu erbringen und sich dadurch einer persönlichen Haftung aus §§ 34, 69 AO auszusetzen. Daher konnte sich der Kläger jedenfalls im Streitzeitraum nicht mehr auf unterschiedliche Normbefehle und eine daraus folgende unabwendbare Haftungsdrohung berufen, die eine grobe Fahrlässigkeit bei Nichterfüllung der Pflicht zur Lohnsteuerabführung hätte ausschließen können (vgl. BFH-Urteil vom 23.09.2008 – VII R 27/07, BFHE 222, 228, BStBl II 2009, 129, DB 2009, 101).
244. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
255. Die Revision wird zugelassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Tatbestand
- 1
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete 2002 mit Herrn X und einer weiteren Gesellschafterin die Y-GmbH, die in den Streitjahren einen …markt betrieb. Am 2. Februar 2005 übertrugen die Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile auf Herrn Z. Am selben Tag bestellte sich Z unter Abberufung des bisherigen Geschäftsführers, des Klägers, selbst zum Geschäftsführer. Zeitgleich verkaufte er X den Warenbestand, die Ladeneinrichtung und einen LKW, X sollte dafür diverse Verbindlichkeiten und Arbeitnehmer der GmbH, u.a. den Kläger, übernehmen. Einen Tag später meldete der Kläger das Gewerbe der GmbH wegen Geschäftsaufgabe bei der Stadt ab. Auf Antrag des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) wurde später das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der GmbH eröffnet.
- 2
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In einer Haftungsanfrage an den Kläger wegen rückständiger Steuern der GmbH teilte das FA mit, es gehe von einer sog. Firmenbestattung aus, bei der die damit verbundenen Beschlüsse sittenwidrig und nichtig seien, so dass der Kläger trotz Abberufung weiterhin als Geschäftsführer haftbar sei.
- 3
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Mit Bescheid vom 31. März 2006 nahm das FA den Kläger und Z für Körperschaftsteuer 2002 und 2003, für Umsatzsteuer 2003 und Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 sowie I. Quartal 2005 in Haftung. Für die Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 erließ es einen weiteren Haftungsbescheid gegenüber X als Betriebsübernehmer nach § 75 der Abgabenordnung (AO). Der Einspruch des Klägers blieb bis auf eine geringe Reduzierung der Haftungssumme erfolglos.
- 4
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit das FA den Kläger für Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 als Haftungsschuldner gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen hat. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass der Kläger zu den maßgeblichen Deklarationsterminen (10. Februar 2005 und 10. April 2005) trotz des Gesellschafterbeschlusses über den Wechsel in der Geschäftsführung noch Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Unbeschadet der Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur sog. "Firmenbestattung" auf das Steuerrecht sei es von der Sittenwidrigkeit des Beschlusses nicht überzeugt. Ein vergleichbarer Sachverhalt wie in dem zitierten Urteil des Amtsgerichts (AG) Memmingen vom 2. Dezember 2003 HRB 8361 (Deutsche Steuer-Zeitung 2004, 316) sei im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere übersehe das FA, dass sich die Problematik der organisierten Firmenbestattung im Streitfall nur bezüglich der Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 stellen könne, für die auch der Betriebsübernehmer X bestandskräftig in Haftung genommen worden sei. Dem Fiskus sei durch die gewählte Gestaltung ein weiterer Haftungsschuldner beschert worden und das Haftungssubstrat des lebenden Betriebs erhalten geblieben. Daher sei zumindest zweifelhaft, ob die gewählte Gestaltung dem Beiseiteschaffen von Vermögen der GmbH und damit der Benachteiligung von Gläubigern gedient habe. Zweifel ergäben sich auch daraus, dass das AG trotz einer Remonstration des FA den Beschluss über den Wechsel der Geschäftsführung in das Handelsregister eingetragen habe.
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Hinsichtlich der Körperschaft- und Umsatzsteuer 2002 und 2003 sei der Haftungsbescheid rechtmäßig und die Klage abzuweisen. Der Kläger habe es grob fahrlässig unterlassen, die Steuererklärungen bis zum 31. Mai der Jahre 2003 und 2004 abzugeben. Dadurch sei der Steuerausfall verursacht. Der GmbH hätten in den Jahren 2003 und 2004 ausreichend Mittel für die Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden.
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Mit seiner Revision macht das FA geltend, das FG habe die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 zu Unrecht mit der Begründung verneint, der Kläger sei zum maßgeblichen Zeitpunkt (10. Februar 2005) bereits als Geschäftsführer abberufen gewesen. Angesichts der vorliegenden Indizien sei als erwiesen anzusehen, dass die Übertragung der Gesellschafteranteile auf Z und die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Voraussetzungen einer sog. "Firmenbestattung" erfüllten und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtig seien. Abgesehen davon habe das FG --unter Missachtung der diesbezüglichen Ausführungen schon in der Einspruchsentscheidung-- unterlassen, die Haftung des Klägers wegen Verletzung der Mittelvorsorgepflicht zu prüfen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage der GmbH und in Kenntnis der im Februar 2005 fällig werdenden Umsatzsteuern hätte der Kläger die erforderlichen Mittel bereithalten können und müssen.
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Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es die Haftung für Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 (jeweils zuzüglich entstandener Säumniszuschläge) betrifft, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
- 8
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Der Kläger hält die Entscheidung des FG für richtig und beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er weist ergänzend darauf hin, dass der weitere Haftungsschuldner X bereits erhebliche Zahlungen geleistet habe, die auch bei seiner, des Klägers, Inanspruchnahme berücksichtigt werden müssten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Das Urteil beruht in dem angefochtenen Ausspruch auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG ist insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, weil die Haftung des Klägers für die nicht entrichteten Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 der GmbH nicht schon daran scheitert, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Steuern nicht mehr Geschäftsführer der GmbH war.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt als Haftungsschuldner i.S. der §§ 69, 34 AO grundsätzlich auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegenden steuerlichen Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat. Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (Senatsbeschluss vom 25. April 2013 VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063, m.w.N.).
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b) In Beachtung dieser Rechtsprechung hätte das FG --auch wenn der Kläger nur bis 2. Februar 2005 Geschäftsführer war-- feststellen müssen, ob und ggf. in welchem Umfang er bis zu seiner Abberufung als Geschäftsführer die erforderlichen Mittel für die Begleichung der zu diesem Zeitpunkt --also bis zum 2. Februar 2005-- schon entstandenen Steuern für das IV. Quartal 2004 und das I. Quartal 2005 hätte beiseite legen können und müssen.
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Feststellungen dazu sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Zwar geht das FG im Rahmen der Prüfung, ob der Kläger für Körperschaft- und Umsatzsteuer der Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 zu Recht in Haftung genommen worden ist, davon aus, dass die GmbH in den Jahren 2003 und 2004 über ausreichende Mittel für die Begleichung der Steuerschulden verfügte. Die dieser Annahme zugrunde liegenden Feststellungen lassen aber nicht den Schluss zu, die GmbH sei auch noch im letzten Quartal 2004 und Anfang 2005, dem Zeitraum, in dem der Kläger Mittelvorsorge für die bevorstehenden Steuerfälligkeiten hätte treffen müssen, in der Lage gewesen, sämtliche Verbindlichkeiten der GmbH vollständig zu bedienen. Die sich insoweit vor dem Hintergrund des bevorstehenden Insolvenzverfahrens aufdrängenden Zweifel hätten das FG veranlassen müssen, sich mit den dazu in dem von ihm selbst beigezogenen Insolvenzgutachten zu findenden Aussagen des Insolvenzverwalters (insbesondere, dass die GmbH auch schon vor Februar 2005 keine Zahlungen auf bestehende Verbindlichkeiten mehr geleistet habe) auseinanderzusetzen. Daran ändert auch nichts, dass im Fall mangelnder Mitwirkung des Geschäftsführers die Haftungssumme zu schätzen und der Grundsatz der anteiligen Tilgung unter Umständen sogar ganz außer Acht gelassen werden kann --wie das FG zur Begründung der 100 %igen Haftung für die übrigen Steuern argumentiert hat (vgl. dazu z.B. Senatsbeschluss vom 19. November 2012 VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504). Denn auch bei einer --dem Grunde nach berechtigten-- Schätzung der Tilgungsquote ist das FG verpflichtet, sämtliche bekannten Umstände --hier insbesondere das Insolvenzgutachten-- im Rahmen seiner Schätzung zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO).
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2. Richtig und insoweit keiner weiteren Feststellungen des FG bedürftig ist allerdings die Haftungsfreistellung des Klägers hinsichtlich möglicherweise nach dem 2. Februar 2005 entstandener Umsatzsteuerschulden der GmbH. Die Auffassung des FG, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt rechtswirksam als Geschäftsführer abberufen worden und habe folglich keine steuerlichen Pflichten für die GmbH mehr zu erfüllen gehabt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Das FG hat die vom FA in den Mittelpunkt seiner Revisionsbegründung gerückten Fragen, ob die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer im Zusammenhang mit einer sog. Firmenbestattung steht, deshalb sittenwidrig und nichtig ist und der Kläger auch hinsichtlich der streitigen Umsatzsteuervorauszahlungen Haftungsschuldner geblieben ist, in seiner Entscheidung eingehend erörtert. Insbesondere hat es die vom FA als typische Indizien einer "Firmenbestattung" angesehenen Umstände der Anteilsübertragung auf einen nicht mehr auffindbaren Übernehmer, der zeitgleichen Geschäftsführerabberufung und der Betriebsübernahme durch X "unter Umgehung einer geordneten Insolvenz" erwogen, aber als durch den tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalt teils widerlegt, teils jedenfalls als nicht hinreichend überzeugend angesehen. An diese Würdigung des --vom FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen-- vom FG zugrunde gelegten Sachverhalts ist der erkennende Senat gebunden, da sie weder gegen Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2012 VII R 42/11, BFH/NV 2013, 942, m.w.N.). Vielmehr ist das den Indizien des FA entgegengehaltene Argument, dem Bild einer organisierten Firmenbestattung entspreche die gewählte Gestaltung nicht, da sie dem Fiskus hinsichtlich der --bei Annahme einer Firmenbestattung allein betroffenen-- im IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 entstandenen Betriebssteuern einen weiteren Haftungsschuldner beschert habe, nicht nur möglich, sondern nachvollziehbar.
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3. Im zweiten Rechtszug wird das FG zu prüfen haben, ob die wirtschaftliche Lage der GmbH ab Oktober 2004 bis 2. Februar 2005 eine Mittelvorsorge für die bevorstehenden Umsatzsteuerfälligkeiten erlaubte und bejahendenfalls --unter Berücksichtigung der gleichmäßigen Bedienung aller Verbindlichkeiten-- in welchem Umfang.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 6. Mai 2015 7 K 3587/14 H wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war bis … Dezember 2008 und erneut ab dem … Oktober 2009 Geschäftsführer einer GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer GmbH & Co. KG (KG) war. Am 5. November 2009 wurden für die KG für die Monate Mai bis Juli und September 2009 korrigierte Voranmeldungen abgegeben. Für den Monat Oktober 2009 wurde am 10. November 2009 erstmalig eine Voranmeldung abgegeben. Die fälligen Beträge wurden von der KG nicht entrichtet. Nachdem die KG am 23. November 2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt hatte, wurde am 26. November 2009 eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt. Im Februar 2010 wurde das Insolvenzverfahren über die Vermögen der KG und der GmbH eröffnet. Mit der Begründung, der Kläger hafte aufgrund schuldhafter Verletzung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten als gesetzlicher Vertreter der GmbH nach § 191 Abs. 1, § 34 und § 69 der Abgabenordnung (AO) für ausgefallene Umsatzsteuern, nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger mit Bescheid vom 20. November 2012 als Haftungsschuldner in Anspruch. Das Einspruchsverfahren führte zu einer Verringerung der Haftungssumme infolge einer Herabsetzung der Tilgungsquote. Die Klage hatte keinen Erfolg.
- 2
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Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Kläger sei zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen im November 2009 zumindest grob fahrlässig der Steuerentrichtungspflicht nicht nachgekommen. Rechnungen anderer Unternehmen seien im November 2009 zu ca. 70 % beglichen worden. Da weder der Kläger noch die Insolvenzverwalterin dem FA Auskünfte erteilt hätten, habe dieses die Tilgungsquote anhand der Erkenntnisse einer Umsatzsteuersonderprüfung ermitteln können. Eine niedrigere Schätzung komme nicht in Betracht, denn der Kläger, der seit Mitte Oktober 2009 erneut Geschäftsführer gewesen sei, sei seiner Pflicht zur Mittelvorsorge nicht nachgekommen. Dass Nachzahlungen aufgrund berichtigter Voranmeldungen anfallen könnten, müsse ein sorgfältiger und gewissenhafter Geschäftsführer in seine Planungen mit einbeziehen.
- 3
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Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Grundsätzlich bedeutsam sei die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft eine Mittelvorhaltungspflicht auch dann bestehe, wenn der Gesellschaft bei Entstehung der Forderung des FA weder die Höhe noch der Grund der Forderung des FA bekannt gewesen seien. Zudem habe das FG entscheidungserhebliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen. Die Insolvenzverwalterin habe alle Buchungen, einschließlich der Lohnsteuerabbuchungen und sonstige Steuerzahlungen, "bis zu einem Zeitpunkt von sechs Monaten" wieder zurückbuchen lassen. In jedem Fall wären dem FA keine Vermögensmittel zugeflossen. Darüber hinaus sei dem Kläger zum Zeitpunkt seiner Bestellung als Geschäftsführer der GmbH überhaupt nicht bewusst gewesen, dass Umsatzsteuerverbindlichkeiten bestanden hätten. In einem Parallelverfahren habe das FG dies ebenso gesehen. Nach dem Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. April 2013 VII B 245/12 (BFH/NV 2013, 1063) treffe den Geschäftsführer einer GmbH nur dann eine Mittelvorsorgepflicht, wenn Steueransprüche erkennbar gewesen seien. Der KG habe der Kläger keine Vermögenswerte entzogen. Auch habe er keine besondere Gestaltung gewählt, die die Begleichung der Umsatzsteuer unmöglich gemacht habe. Im Übrigen sei die Behauptung des FA unrichtig, die KG habe noch im November 2009 Forderungen anderer Gläubiger der Gesellschaft zu ca. 70 % erfüllt.
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Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten. Im Streitfall habe der Kläger als Geschäftsführer der GmbH am 5. November 2009 berichtigte Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Mai bis Oktober 2009 abgegeben. Allerdings habe er die errechneten und sofort fälligen Umsatzsteuerbeträge nicht entrichtet. Auch habe er in Hinblick auf einen Einzug der Forderungen per Lastschrift nicht für eine ausreichende Deckung des Kontos gesorgt. Hinsichtlich der Berufung auf eine Rückforderung geleisteter Zahlungen durch die Insolvenzverwalterin handele es sich um neuen Tatsachenvortrag. Im Klageverfahren habe der Kläger jegliche Mitwirkung verweigert, so dass eine entsprechende Aufklärung nicht möglich gewesen sei.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen. Der von ihr aufgeworfenen Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Zudem werden die behaupteten Verfahrensmängel nicht schlüssig dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.
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1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist darüber hinaus der substantiierte Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Mai 2014 VII B 116/12, BFH/NV 2014, 1550, und vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232).
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Nach diesen Grundsätzen kommt der von der Beschwerde aufgeworfenen Frage keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn die Frage, ob für eine Kapitalgesellschaft auch dann eine Mittelvorsorgepflicht besteht, wenn ihr im Zeitpunkt der Entstehung einer Steuerforderung weder deren Höhe noch deren Grund bekannt war, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich und bedarf damit keiner Klärung. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann sich ein gesetzlicher Vertreter bereits vor Fälligkeit einer Steuer der Verletzung seiner Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln schuldig machen. Denn von ihm ist zu verlangen, dass er vorausschauend plant und insbesondere in der Krise finanzielle Mittel zur Entrichtung der geschuldeten Steuern bereithält. Vom Eintritt der Fälligkeit der Steuern ist diese Pflicht unabhängig (BFH-Urteil vom 9. Januar 1997 VII R 51/96, BFH/NV 1997, 324). Sollen die Steuerschulden durch Erteilung einer Einzugsermächtigung beglichen werden, hat der Geschäftsführer einer GmbH dafür Sorge zu tragen, dass von der Einzugsermächtigung auch Gebrauch gemacht werden kann und dass das Konto eine Deckung aufweist (BFH-Beschluss vom 19. März 1999 VII B 158/98, BFH/NV 1999, 1304). Im Streitfall beruht die Haftung des Klägers darauf, dass er die im November 2009 fällig gewordenen Umsatzsteuern nicht entrichtet hat. Da die entsprechenden Voranmeldungen am 5. November 2009 und somit während seiner Amtszeit als Geschäftsführer abgegeben worden sind, kann er sich nicht darauf berufen, ihm sei weder Grund noch Höhe der Umsatzsteuerforderungen, für die er nun haftet, bekannt gewesen. Nur in Bezug auf die Tilgungsquote hat das FG darauf hingewiesen, dass die Schätzung des FA nicht zu beanstanden sei, weil der Kläger seiner Pflicht zur Mittelvorsorge --zumindest ab Mitte Oktober 2009-- nicht nachgekommen sei. Bei diesem Befund bedarf die Frage keiner Klärung, ob eine Kapitalgesellschaft verpflichtet ist, Mittel für die Begleichung unbekannter Steuerschulden bereitzuhalten. Denn wie bereits ausgeführt, geht es bei der haftungsbegründenden Pflichtverletzung i.S. des § 69 AO nicht um die steuerlichen Pflichten der vom Haftenden vertretenen Gesellschaft, sondern um die persönliche Pflicht des gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Auch waren im Streitfall die Höhe und der Grund der Forderung in dem für die Haftung entscheidenden Zeitpunkt der Verletzung der dem Kläger obliegenden Entrichtungspflicht bekannt.
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2. Soweit der Beschwerde die Rüge eines Verstoßes gegen den Inhalt der Akten (§ 96 Abs. 1 AO) entnommen werden könnte, wird der behauptete Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt. Das Gericht ist nicht verpflichtet, sich in seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Deshalb setzt die schlüssige Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes voraus, dass konkret unter Angabe der Fundstelle benannt wird, welches Vorbringen das FG vermeintlich unberücksichtigt gelassen hat. Auch ist aufzuzeigen, aus welchen Gründen dem Urteil entnommen werden kann, dass das Gericht das Vorbringen nicht in Erwägung gezogen hat (BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2008 VII B 24/08, BFH/NV 2009, 1124, m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Der Kläger behauptet lediglich, dass das Gericht Tatsachen nicht beachtet habe, die seine Entscheidung hätten beeinflussen können. Soweit er damit eine mögliche Anfechtung geleisteter Zahlungen durch die Insolvenzverwalterin oder eine von ihr veranlasste Rückbuchung meint, werden Fundstellen in den Akten nicht benannt.
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Soweit er vorträgt, dem FG hätte sich das Erfordernis weiterer Sachverhaltsaufklärung gemäß § 76 Abs. 1 FGO von Amts wegen aufdrängen müssen, legt er nicht hinreichend dar, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen und warum das Ergebnis weiterer Aufklärung --auch unter Beachtung der Rechtsprechung des BFH zur Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe in Haftungsfällen (vgl. die Rechtsprechungsübersichten bei Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 AO Rz 21 und Jatzke in Beermann/Gosch, AO, § 69 Rz 46.1)-- zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Anlass hierzu hätte jedoch bestanden, zumal der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren selbst vorgetragen hat, die Insolvenzverwalterin habe angegeben, dass im Bereich der Anfechtung lediglich geringfügigste Einnahmen zu erzielen seien, was nahelegt, dass sie nicht beabsichtigte, von ihren Anfechtungsrechten Gebrauch zu machen. Jedenfalls legt die Beschwerde nicht schlüssig dar, dass sich dem FG nach diesem Hinweis das Erfordernis einer weiteren Sachaufklärung in Bezug auf etwaige Anfechtungsmöglichkeiten und hypothetische Kausalverläufe hätte aufdrängen müssen. Im Übrigen hat der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge gestellt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Tatbestand
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A. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Haftungsbescheid, durch den das beklagte Finanzamt (FA) den Kläger als Geschäftsführer der A ... GmbH (A GmbH) neben dem weiteren Geschäftsführer B als Gesamtschuldner für Umsatzsteuerschulden der A GmbH nebst steuerlicher Nebenleistungen in Höhe von insgesamt ... € in Haftung genommen hat, rechtmäßig ist.
I.
- 2
1. Der Kläger war ab dem ... 2008 neben Herrn B (einzelvertretungsberechtigter) Geschäftsführer der durch Gesellschaftsvertrag vom ... 2008 gegründeten A GmbH, die zunächst in ... ansässig war. Gegenstand des Unternehmens war der "Handel mit Waren aller Art, insbesondere Vertrieb von Altmetallen und Metallschrott und ähnlichen Wertstoffen" (Betriebsprüfungsarbeitsakte -BpAA- Bd. II Bl. 16). Im Mai 2009 wurde die Sitzverlegung in die Straße-1 ... in C beschlossen (vgl. Handelsregisterauszug vom ... 2012 Haftungsakte -HaftA- Bl. ...).
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2. Die A GmbH reichte beim FA ab dem Voranmeldungszeitraum (VAZ) Mai 2009 Umsatzsteuervoranmeldungen ein und meldete darin folgende Umsätze und Vorsteuerbeträge an (vgl. USt-Überwachungsbogen 2009, Umsatzsteuerakte -UStA- Bl. 8; Bp-Bericht Betriebsprüfungsakte -BpA- Bl. 16 und 17, Rechtsbehelfsakte -RbA- Bd. II Bl. 4 und 59:
...
- 4
Das FA erteilte in den Vergütungsfällen (VAZ Juni, Juli und Dezember 2009, Januar, Februar bis April 2010) jeweils die Zustimmung nach § 168 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) und zahlte die angemeldeten Vorsteuerüberschüsse aus.
- 5
3. Das FA führte in dem Zeitraum vom ... 2009 bis zum ... 2011 bei der A GmbH zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen für die VAZ Mai bis September 2009 sowie die VAZ Oktober 2009 bis Februar 2010 durch. Im Rahmen der Betriebsprüfung wurden u. a. folgende Feststellungen getroffen/Auskünfte eingeholt/Unterlagen vorgelegt:
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a) Am 17.06.2009 bestand ein Kassenfehlbestand in Höhe von ... € (BpAA Bd. I Bl. 130).
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b) aa) Im Rahmen der Prüfung holte der Betriebsprüfer bei anderen Finanzämtern und Steuerfahndungsstellen Auskünfte über die Rechnungsaussteller/Gutschriftenempfänger der von der A GmbH bezogenen Warenlieferungen ein, u. a. auch bezüglich der hier streitbefangenen Rechnungen/Gutschriften von/an
- D, Straße-2 Nr. ..., E,
- F, Straße-3 ..., G, sowie
- der Fa. H GmbH & Co KG (H), Straße-4 ..., C (BpAA Bd. I Bl. 142 ff.; BpAA Bd. III Bl. 39 ff., 72 ff.).
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bb) Die A GmbH hatte die in den Rechnungen/Gutschriften der vorgenannten Rechnungsaussteller gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Rechnungen/Gutschriften (BpAA Bd. I Bl. 142 ff., Bd. II Bl. 91 f., Bd. III Bl. 39 ff., RbA Bd. I Bl. 56 ff.):
...
...
...
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cc) Der Kläger, dessen Aufgabe es laut interner, nicht schriftlich fixierter Absprache mit Herrn B war, sich um die geschäftlichen Unterlagen sowie die Vorbereitung der Buchhaltung und die Zusammenarbeit mit der Steuerberaterin zu kümmern, hatte sich folgende Unterlagen der Rechnungsaussteller/Gutschriftenempfänger zum Nachweis der jeweiligen Unternehmereigenschaft vorlegen lassen und entsprechende Kopien zu den Unterlagen der A GmbH genommen:
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aaa) bezüglich Herrn D:
- Nachweis der Eintragung als Steuerpflichtiger (Unternehmer) des FA J vom ... 2009 (BpAA Bd. I Bl. 171)
- steuerliche Bescheinigung für die Erteilung einer Erlaubnis nach der GewO des FA J vom ... 2009 (BpAA Bd. I Bl. 172)
- Reisegewerbekarte vom ... 2009 (BpAA Bd. I Bl.173 f.)
- Personalausweis (BpAA Bd. I Bl. 175)
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bbb) bezüglich Herrn F:
- Bescheinigung des FA G vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 86)
- Bescheid des Bundeszentralamtes für Steuern über Zuteilung der USt-Identifikationsnummer vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 87)
- Gewerbeanmeldung vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 89)
- notarielle Handlungsvollmacht für Herrn K vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 102 ff.)
- Handlungsvollmacht für Herrn K vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 107)
- ... (BpAA Bd. III Bl. 105 f.)
- 12
ccc) bezüglich der Fa. H:
- Steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA C-... vom ... 2009 (RbA Bd. I Bl. 73)
- Gewerbeanmeldung vom ... 2002/... 2002 (RbA Bd. I Bl. 74)
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dd) Hinsichtlich der Rechnungsaussteller/Gutschriftenempfänger wurden von den angefragten Finanzämtern/Steuerfahndungsstellen folgende Ermittlungs(zwischen)ergebnisse mitgeteilt:
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aaa) Die Steuerfahndung des FA für Fahndung und Strafsachen L (Steufa L) teilte bezüglich dem - durch das Gericht am 24.06./25.06.2014 schriftlich vernommenen - Zeugen D mit, er sei nicht selbst als Unternehmer tätig gewesen, sondern habe unbekannten Dritten seinen Namen für deren Ablieferungen zur Verfügung gestellt. Der Zeuge D habe binnen kürzester Zeit Ablieferungen in beträchtlicher Höhe abgerechnet, ohne über die hierfür erforderlichen entsprechenden Erfahrungen und Kenntnisse im Schrotthandel oder das notwendige Kapital zum Ankauf der Materialien verfügt zu haben. Obwohl er weder über einen Lastkraftwagen, noch einen entsprechenden Führerschein verfügt habe, solle er z. B. an einem Tag bei drei verschiedenen und entfernt gelegenen Recyclingbetrieben jeweils in größerem Umfang Ablieferungen vorgenommen haben, nämlich bei der A GmbH in C, der M Recycling GbR in ... und bei der N GmbH & Co KG in ... Der von dem Zeugen D behauptete Transport der Materialen auf einem geliehenen Kleintransporter (Sprinter) sei angesichts der abgerechneten Mengen völlig abwegig. Zudem wiesen die Wiegescheine der Recyclingunternehmen aufgrund der darin aufgeführten Lastkraftwagenkennzeichen auf andere Schrotthändler als tatsächliche Anlieferer hin. Hierbei seien Lastkraftwagen von über zehn verschiedenen Personen verwendet worden.
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Der Zeuge D habe zudem bei der auf den Abrechnungen angeführten Anschrift in E über keinerlei Geschäftsräume oder Lagerungsmöglichkeiten verfügt. Nach seinen eigenen Angaben habe es sich bei der Adresse auch nicht um seine Wohnanschrift gehandelt.
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Der Umstand, dass der Zeuge D zuvor im Schrotthandel nicht tätig gewesen sei und kurz nach der Gewerbeanmeldung plötzlich erhebliche, zum Teil fünfstellige Abrechnungen vorgenommen habe, sei angesichts des geschilderten Sachverhalts nur dadurch erklärlich, dass er durch den Erhalt einer Steuernummer und die Gewerbeanmeldung in die Lage versetzt worden sei, gegenüber den Recyclingbetrieben Umsatzsteuer offen auszuweisen und hierdurch als Strohmann für Ablieferungen Dritter attraktiv zu werden (RbA Bd. I Bl. 92 f.).
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bbb) Das FA G teilte bezüglich Herrn F mit, er habe mit Gewerbeanmeldung vom ... 2009 eine gewerbliche Tätigkeit im Bereich Metallrecycling und zum ... 2009 seinen Wohnsitz in G angemeldet. Im Rahmen einer Umsatzsteuernachschau sei am 07.04.2010 festgestellt worden, dass Herr F unter der in den Rechnungen angegebenen Anschrift weder einen Geschäftssitz unterhalten, noch jemals dort gewohnt habe. Mit einem undatierten Schreiben (Eingang 22.04.2010) habe Herr F dem FA G mitgeteilt, seinen Betrieb aus Krankheitsgründen aufgegeben zu haben und weggezogen zu sein. In der Zauber-Datei existiere über Herrn F ein Eintrag, nach dem sein Name bereits in der Vergangenheit einmal in Zusammenhang mit Abdeck- bzw. Scheinrechnungen bekannt geworden sei. Umsatzsteuer-Voranmeldungen habe Herr F nicht abgegeben (RbA Bd. II Bl. 7 f.).
- 18
ccc) Bezüglich der Fa. H erhielt der Betriebsprüfer von der zuständigen Dienststelle des FA die Auskunft, die H habe unter der in den Rechnungen genannten Anschrift zu keinem Zeitpunkt ihren Sitz gehabt und der auf den an die A GmbH gestellten Rechnungen genannte Geschäftsführer O sei nur bis zum ... 2007 der Geschäftsführer der H gewesen (vgl. Prüfungsbericht, BpA Bl. 15).
- 19
ee) Dementsprechend erkannte der Betriebsprüfer die in den Rechnungen/Gutschriften von dem Zeugen D (VAZ Juni bis November 2009; insgesamt ... €), Herrn F (VAZ November und Dezember 2009; insgesamt ... €) sowie der Fa. H (VAZ Februar 2010; ... €) ausgewiesene Vorsteuer nicht zum Abzug an mit der Begründung, die Lieferanten seien unter den angegebenen Rechnungsanschriften nicht ansässig gewesen (Berichte über die Umsatzsteuer-Sonderprüfung vom ... 2011 BpA Bl. 7 ff.).
- 20
c) aa) Laut Kassenbuch der A GmbH wurden im Juli 2009 neben den Zahlungen an den Zeugen D in Höhe von insgesamt ... € weitere Barzahlungen (inkl. einer Bankeinzahlung über ... €) in Höhe von ... € geleistet (BpAA Bd. I Bl. 140 f.).
- 21
bb) Laut Kassenbuch der A GmbH wurden im August 2009 neben den Zahlungen an den Zeugen D in Höhe von insgesamt ... € weitere Barzahlungen (inkl. einer Bankeinzahlung über ... €) in Höhe von ... € geleistet (BpAA Bd. I Bl. 149 ff.).
- 22
cc) Laut Kassenbuch der A GmbH wurden im September 2009 neben den Zahlungen an den Zeugen D in Höhe von insgesamt ... € weitere Barzahlungen (inkl. einer Bankeinzahlung über ... €) in Höhe von ... € geleistet (BpAA Bd. I Bl. 158 f.).
- 23
4. Am 08.06.2010 erließ das FA aufgrund von Kontrollmaterial des FA P (RbA Bd. II Bl. 18 ff.) Änderungsbescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate März und April 2010 und versagte dabei der A GmbH den Vorsteuerabzug aus weiteren Rechnungen der Fa. H in Höhe von ... € für März 2010 und in Höhe von ... € für April 2010 (RbA Bd. II Bl. 4 und 5).
- 24
5. Am 23.12.2010 wurde die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat November 2010 über ... € fällig gestellt. Die A GmbH zahlte nicht.
- 25
6. Auf der Grundlage der Prüfungsfeststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfungen erließ das FA am 15.04.2011 geänderte Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die VAZ Juni bis Dezember 2009 und Februar 2010 (RbA Bd. I Bl. 16 - 23).
- 26
7. a) Die A GmbH verbuchte im Zeitraum November 2009 bis Januar 2010 Gutschriften (November und Dezember 2009) und Rechnungen (Januar 2010) von/an Herrn R, Straße-5 ..., S, gewinnmindernd und machte die in den folgenden Gutschriften/Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend (BpAA Bd. IV Bl. 5 - 12):
...
- 27
b) Der Kläger hatte sich folgende Unterlagen von dem - in der mündlichen Verhandlung am 11.06.2014 vernommenen - Zeugen R zum Nachweis seiner Unternehmereigenschaft vorlegen lassen und entsprechende Kopien zu den Unterlagen genommen:
- steuerliche Bescheinigung des FA S-... vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 90)
- Gewerbeanmeldung vom ... 2009 (BpAA Bd. III Bl. 91)
- Kopie der Vorderseite des Personalausweises (BpAA Bd. III Bl. 93)
- 28
c) Am 22.08.2011 erhielt das FA durch das FA für Fahndung und Strafsachen S (Steufa S) die schriftliche Einlassung des Zeugen R vom 18.05.2011 zur Kenntnis (RbA Bd. I Bl. 63 ff.). Darin ließ sich der Zeuge R in dem gegen ihn gerichteten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren über seinen Verteidiger gegenüber der Steufa S dahingehend ein, dass er seinerzeit von Leuten - deren Namen er nicht nennen könne und wolle, da er massiv bedroht werde - angesprochen worden sei, die ihm erklärt hätten, sie suchten jemanden, über den und für den man abrechnen könne und der daran partizipiere. Man brauche praktisch einen "Partner" für Ablieferungen. Diese Leute hätten ihm zugesagt, sie würden alles für ihn erledigen, insbesondere "das mit dem Gewerbe, das mit der Anschrift der Firma etc". So sei es zu einer Meldeadresse in S gekommen, eine Adresse, mit der er, der Zeuge R, ansonsten nichts zu tun gehabt habe. Er habe dort weder eine Wohnung unterhalten, noch sich zu irgendeinem Zeitpunkt dort aufgehalten. Es habe dort keinen Briefkasten oder sonst etwas gegeben. Er habe für Schrottablieferungen bestimmte Teilbeträge erhalten, zunächst kleinere Beträge, dann ein- oder zweimal maximal ... €.
- 29
Für die Gewerbeanmeldung sei er begleitet worden, so wie er auch auf allen übrigen Wegen, die er im Zusammenhang mit der Firma durchgeführt habe, begleitet worden sei. Mit dem Ankauf des Metalls habe er überhaupt nichts zu tun gehabt. Er habe gehört, dass man auf seinen Namen auch anderweitig abgeliefert habe. Er habe sich auf das leichte Geldverdienen eingelassen, um sich von dem Geld Drogen (2,5 g Heroin pro Tag) kaufen zu können.
- 30
d) Aufgrund dieser Mitteilung erließ das FA am 02.09.2011 einen geänderten Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den VAZ Januar 2010 und versagte dabei der A GmbH den Vorsteuerabzug aus Rechnungen des Zeugen R in Höhe von insgesamt ... € mit dem Hinweis, der Zeuge R sei unter der in den Gutschriften angegebenen Anschrift nicht ansässig gewesen und habe weder dort noch an einem anderen Ort eine Geschäftstätigkeit ausgeübt (Klageakte -KlA- Bl. 21 f.).
- 31
e) Ebenfalls am 02.09.2011 erließ das FA den Bescheid für 2009 über Umsatzsteuer (KlA Bl. 18). Dabei versagte es hinsichtlich der im November und Dezember in den dem Zeugen R erteilten Gutschriften ausgewiesenen Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt ... € den Vorsteuerabzug (KlA Bl. 20R).
- 32
8. Am 13.09.2011 wurde die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den VAZ März 2011 über ... € fällig gestellt, die von der A GmbH nicht bezahlt wurde.
II.
- 33
Die A GmbH legte gegen die geänderten Bescheide über die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen sowie den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 rechtzeitig Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nachdem das FA die AdV abgelehnt hatte, lehnte das Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 12.01.2012 die bei Gericht am 04. und 25.10.2011 gestellten Aussetzungsanträge betreffend die Umsatzsteuer 2009 sowie die VAZ Januar bis April 2010 ab (Finanzgerichtsakten -FGA- 5 V 241/11 Bl. 40 ff.) und führte zur Begründung u. a. aus:
- 34
"Hiernach steht der Klägerin der Vorsteuerabzug aus den strittigen Rechnungen und Gutschriften nach summarischer Prüfung nicht zu.
- 35
Zum einen waren die Rechnungsaussteller bzw. Gutschriftenempfänger D, F und R nach den vorliegenden Erkenntnissen, nämlich den Mitteilungen der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes für Fahndung und Strafsachen L in Sachen D, des Finanzamtes G in Sachen F und der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen S in Sachen R, nicht unter den in den Abrechnungspapieren angegebenen Geschäftsadressen ansässig. Für den Senat sind die Mitteilungen der genannten Dienststellen hinreichend substantiiert; es ergeben sich zudem nach Aktenlage keine Anhaltspunkte, die mitgeteilten Erkenntnisse in Frage zu stellen, zumal die Klägerin hierzu nichts Gegenteiliges vorgetragen hat. Gelegenheit hätte sie dazu gehabt, da ihr die wesentlichen Feststellungen mit den Prüfungsberichten und den Steuerbescheiden mitgeteilt worden sind. Auf die weiteren Prüfungsfeststellungen zu den Abrechnungspapieren kommt es hiernach für die Frage der Versagung des Vorsteuerabzugs nicht an, so dass der Senat dazu an dieser Stelle nicht weiter Stellung nimmt.
- 36
Zum anderen ist das Vorsteuerabzugsrecht der Klägerin aus den Rechnungen der H nach den Grundsätzen der Feststellungslast zu versagen (BFH-Urteil vom 27.06.1996 V R 51/93, BStBl II 1996, 620). Die Klägerin hat sich nicht hinreichend über die Richtigkeit der von der H mitgeteilten Geschäftsdaten vergewissert. Die der Klägerin von der H (mutmaßlich) vorgelegte "Steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung" und "Gewerbeanmeldung" enthalten offensichtliche Rechtschreibfehler und Ungereimtheiten, wonach sich der Klägerin Zweifel an der Echtheit der Dokumente hätten aufdrängen müssen (z. B. Rechtschreibfehler im Briefkopf der "Steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigung" ["schreiben und Überweißungen"] und in der "Gewerbeanmeldung" ["Hadels-", "be- und Entladen", "Angeben zum geschäftsführenden...", "können... Geahndet werden"]; zu den Einzelheiten vgl. Bl. 94 ff Bd. IV Rb-A). Die beigebrachten Nachweise reichen nicht aus, um von nachvollziehbaren Rechnungsangaben der H und der Richtigkeit der mitgeteilten Geschäftsdaten auszugehen, zumal nach den Feststellungen des Antragsgegners Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die H unter der in den Rechnungspapieren angegebenen Geschäftsadresse nicht ansässig war."
III.
- 37
1. Mit Schreiben vom 09.02.2012 teilte das FA dem Kläger mit, dass seine Haftung für die Umsatzsteuerschulden und steuerlichen Nebenleistungen der A GmbH, über die eine Aufstellung beigefügt wurde, geprüft werde (HaftA Bl. 12). Die Steuerschulden seien in dem Zeitraum seiner Geschäftsführung fällig geworden. Das FA bat den Kläger, den beigefügten Fragebogen auszufüllen und bis zum 02.03.2012 zurückzusenden. Auf den weiteren Inhalt des Schreibens wird Bezug genommen.
- 38
2. Am ... 2012 wurde aufgrund des von der A GmbH am ... 2012 gestellten Insolvenzantrags das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt Dr. T aus C zum Insolvenzverwalter bestellt (RbA Bd. I Bl. 106).
- 39
3. Am ... 2012 erließ das FA gegenüber dem Kläger einen Haftungsbescheid nebst Anlage (HaftA Bl. 20 f.). Hierin wurde der Kläger für die im einzelnen aufgeführten Umsatzsteuerschulden sowie Verspätungszuschläge, Zinsen und Säumniszuschläge der A GmbH aus den VAZ Juni 2009 bis Januar 2010, März, April und November 2010 sowie März 2011 in Höhe von insgesamt ... € gemäß § 69 Abgabenordnung (AO) i. V. m. § 34 AO in Haftung genommen, mit der Begründung, er sei als Geschäftsführer seiner Pflicht zur pünktlichen und vollständigen Entrichtung der Steuern bzw. der Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge und Zinsen nicht nachgekommen.
- 40
Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Haftungssumme sofort fällig sei.
- 41
In der Anlage zum Haftungsbescheid wies das FA bezüglich der Pflichtverletzung des Klägers betreffend den Umsatzsteuerrückstand für 2009 und für die VAZ Januar 2010, März und April 2010 auf die Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfungen hin. Bezüglich der Pflichtverletzung des Klägers betreffend den Umsatzsteuerrückstand für den VAZ November 2010 führte das FA aus, der Kläger habe als Verfügungsberechtigter im Vorwege durch Bildung von Rücklagen dafür sorgen müssen, dass die Steuerschulden der A GmbH hätten beglichen werden können. Auch die wegen der verspäteten Abgabe der Steuererklärungen/-anmeldungen festgesetzten Verspätungszuschläge sowie die wegen nicht rechtzeitiger Zahlung entstandenen Säumniszuschläge hätten aus den von dem Kläger verwalteten Mitteln der A GmbH beglichen werden müssen. Diese Pflichtverletzungen seien ursächlich für die Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und damit für den Eintritt des Haftungsschadens. Die Zahlungen an das FA seien von dem Kläger nicht veranlasst worden, sodass der Haftungsschaden aufgrund dieser Pflichtverletzung eingetreten sei (HaftA Bl. 22).
- 42
Des Weiteren wies das FA in der Anlage zum Haftungsbescheid darauf hin, dass der andere Mitgeschäftsführer B einen entsprechenden Haftungsbescheid erhalte (HaftA Bl. 22R).
IV.
- 43
1. Der Kläger legte mit Schreiben vom 14.05.2012 (HaftA Bl. 23) Einspruch gegen den Haftungsbescheid vom ... 2012 ein. Zur Begründung trug er vor, der Haftungsbescheid sei rechtswidrig. Er enthalte keinen haftungsbegründenden Sachverhalt. Insbesondere fehle eine Beschreibung des konkret pflichtwidrigen Verhaltens. Die Umsatzsteuerforderungen 2009 bis April 2010 würden bestritten. Bestandskräftige Bescheide lägen insoweit nicht vor. Bis Anfang/Mitte Februar 2012 seien Anträge auf AdV bearbeitet worden. Ein Geschäftsführer handele nicht pflichtwidrig, sofern er bestrittene und nicht vollstreckbare Verbindlichkeiten nicht bezahle. Ganz im Gegenteil würde er sich gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschaftern ersatzpflichtig machen, wenn er Zahlungen auf solche Verbindlichkeiten veranlassen würde.
- 44
Nachdem das FG Hamburg die Anträge auf AdV mit Beschluss vom 12.01.2012 abgelehnt habe, habe er gemeinsam mit Herrn B vorsorglich den Geschäftsbetrieb und den Zahlungsverkehr vorläufig eingestellt und versucht, durch Anträge auf AdV wegen unzumutbarer Härte die Insolvenz der Gesellschaft abzuwenden. Nachdem auch diese Anträge durch das FA abgelehnt worden seien, hätten sie unverzüglich Insolvenz angemeldet.
- 45
Unabhängig hiervon habe die A GmbH zu keinem Zeitpunkt über liquide Mittel verfügt, um substantielle Zahlungen auf diese - bestrittenen und nicht bestandskräftig festgesetzten - Verbindlichkeiten zu leisten.
- 46
2. Am 20.08.2013 nahm der Insolvenzverwalter Dr. T sämtliche der durch die A GmbH eingelegten Einsprüche zurück (RbA Bd. I Bl. 110).
- 47
3. Mit Einspruchsentscheidung vom ... 2013 wies das FA den Einspruch gegen den Haftungsbescheid zurück. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe die ihm gem. § 34 Abs. 1 AO obliegenden Pflichten verletzt, indem er nicht korrekte Umsatzsteuervoranmeldungen bzw. -erklärungen eingereicht und die Steuerrückstände nicht getilgt habe. Unter Verweis auf die Ausführungen des Finanzgerichts Hamburg in seinem Beschluss vom 12.01.2012 stellte das FA klar, dass der Leistungsempfänger die Pflicht habe, sich über die Richtigkeit der Geschäftsdaten des Rechnungserstellers (Anschrift, Firma, Rechtsform etc.) zu vergewissern (HaftA Bl. 41 ff.).
V.
- 48
Der Kläger hat am ... 2013 bei Gericht Klage erhoben.
- 49
1. Er trägt zur Begründung der Klage vor, dem Haftungsbescheid fehle eine ausreichende Begründung (a)), der A GmbH stehe der Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen/Gutschriften zu (b)), so dass er auch keinen Pflichtenverstoß gegangen habe (c)). Schließlich habe das FA den Quotenschaden unzutreffend ermittelt (d)) und das ihm eingeräumt Ermessen nicht sachgerecht ausgeübt (e)):
- 50
a) Der Haftungsbescheid vom ... 2012 in Form der Einspruchsentscheidung vom ... 2013 sei bereits deshalb rechtswidrig, weil er nicht i. S. d. § 366 AO hinreichend begründet sei. Die Begründung der Einspruchsentscheidung enthalte keinen genau beschriebenen Sachverhalt. Konkret werde das FA in der Begründung nur, wenn es auf den Beschluss des FG Hamburg vom 12.01.2013 zur Ablehnung der AdV verweise. Die Bezugnahme auf andere Schriftstücke in einer Einspruchsentscheidung sei grundsätzlich fraglich, da die AO hierzu keine Rechtsgrundlage enthalte. Unzulässig sei die Bezugnahme aber auf jeden Fall dann, wenn das Bezugsschreiben ein anderes Verfahren und eine andere Rechtsfrage zum Gegenstand habe (Urteil des FG Düsseldorf vom 28.10.1999 11 K 2229/99). In dem Beschluss des FG Hamburg vom 12.01.2012 gehe es zwar um die Umsatzsteuer bzw. den Vorsteuerabzug der A GmbH, nicht aber um seine, des Klägers, Pflichtwidrigkeit und Haftung. Weder aus dem Haftungsbescheid noch der Einspruchsentscheidung ergebe sich aber eine konkrete Pflichtverletzung. Ebenso fehlten Ausführungen dazu, weshalb seine, des Klägers, Pflichtverletzung vorsätzlich oder grob fahrlässig begangen worden sein solle.
- 51
b) Unabhängig davon sei der Haftungsbescheid rechtswidrig, weil die Umsatzsteuerbescheide nach Rücknahme der Einsprüche durch den Insolvenzverwalter zwar formal bestandskräftig, materiell aber rechtswidrig seien. Der A GmbH stehe der Vorsteuerabzug aus den streitigen Lieferantenrechnungen zu, da die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG vorlägen (aa) und bb)), insbesondere auch von der Unternehmereigenschaft der Rechnungsaussteller/Gutschriftenempfänger auszugehen sei, da er, der Kläger, keine weiteren als die von ihm vorgenommenem Überprüfungsmöglichkeiten bzgl. der Unternehmereigenschaft gehabt habe und dazu auch kein Anlass bestanden habe (cc)) und er nicht gewusst habe und auch nicht habe wissen können, dass die Umsätze in eine vom Liefernden bzw. vom Leistenden oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien (dd)). Schließlich sei der Vorsteuerabzug selbst dann zu gewähren, wenn die Rechnungsaussteller/Gutschriftenempfänger als Strohmänner zu qualifizieren seien (ee).
- 53
bb) Die abgerechneten Warenlieferungen seien alle tatsächlich ausgeführt worden. Dies hätten die Zeugen der Steuerfahndung so bestätigt.
- 54
cc) aaa) Die Rechnungsausteller der streitigen Rechnungen/Gutschriften seien Unternehmer i. S. des § 2 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG); die Geschäftsbeziehungen zu ihnen seien begründet und die Lieferungen in einer Weise durchgeführt worden, wie es im Schrotthandelsgewerbe allgemein üblich sei und wie sie die A GmbH - durch die Betriebsprüfung unbeanstandet - auch mit einer Vielzahl weiterer Lieferanten begründet und durchgeführt habe.
- 55
bbb) Nach den Grundsätzen der neueren EuGH-Rechtsprechung sei daher der A GmbH der Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen zwingend zu gewähren gewesen. Der EuGH habe in seinem Urteil vom 21.06.2012 (C-80/11 und C-142/11 Mahageben und David, UR 2012, 591) entschieden, dass die Aufbürdung des Risikos des Steuerausfalls vom Fiskus auf den steuerpflichtigen Leistungsempfänger unionsrechtswidrig sei. Dieser Rechtsprechung trage seit dem Beschluss des FG Münster vom 12.12.2013 (5 V 1934/13 U, EFG 2014, 395) nunmehr auch die deutsche Finanzgerichtsbarkeit Rechnung. Danach sei er, der Kläger, nicht verpflichtet gewesen, weitere Nachforschungen über seine Lieferanten ohne besonderen Anlass anzustellen. Ein konkreter Anlass sei hier von dem FA nie substantiiert dargestellt oder auch nur behauptet worden. Das FA habe nicht zu Umständen der Lieferungen vorgetragen, welche auf einen ungewöhnlichen und Misstrauen erzeugenden Vorgang schließen ließen. Vielmehr habe das FA im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung und dem anschließenden Einspruchsverfahren stets lediglich argumentiert, die A GmbH habe keine ausreichenden Nachforschungen angestellt, um sich Gewissheit über die Identität der Lieferanten etc. zu verschaffen. Welche Nachforschungen und Maßnahmen aber stattdessen "ausreichend" gewesen wären, habe das FA nicht genau zu benennen vermocht.
- 56
ccc) Die A GmbH habe keine anderen Möglichkeiten zur Ermittlung der Identität der Geschäftspartner gehabt und es habe auch kein konkreter Anlass bestanden, wonach er, der Kläger, verpflichtet gewesen sei, weitere Nachforschungen anzustellen.
- 57
(1) Er, der Kläger, sei hinsichtlich der Angaben ausweislich der vorgelegten Unterlagen seitens der Lieferanten gutgläubig gewesen und habe keinen Anlass gehabt, an dem Wahrheitsgehalt der Angaben und Unterlagen zu zweifeln. Er habe die Erkenntnisse oder Verdachtsmomente, welche durch die Finanzbehörden/Steuerfahndungsstellen zu einem späteren Zeitpunkt ermittelt worden seien, bei der Begründung und Durchführung der Geschäftsbeziehung bzw. im Zeitpunkt der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldungen nicht kennen können.
- 58
Die Lieferanten hätten einen erheblichen Aufwand (z. B. Anmietung von Wohnungen, Fingierung eines Unternehmens in der Außendarstellung, - zunächst - ordnungsgemäße Anmeldung bei Finanz- und Gewerbeämtern, etc.) betrieben, um zumindest in der äußeren Darstellung den Eindruck eines normalen und steuerehrlichen Unternehmens zu erzeugen. Dieser Aufwand habe ganz offensichtlich nur dem Zweck gedient, den jeweiligen Geschäftspartner zu täuschen. Allein mit Blick auf das Finanzamt wäre ein solcher Aufwand nicht erforderlich gewesen, um Steuern zu hinterziehen.
- 59
Er, der Kläger, habe nicht gewusst, dass sämtliche Lieferanten angeblich keinen Geschäftsbetrieb unterhalten hätten. Im Übrigen benötige ein Schrotthändler aber weder einen "Schrottplatz" o. Ä., da viele Schrotthändler ausschließlich im sog. Streckengeschäft tätig seien, noch einen Fuhrpark. Der Umstand, dass die Lieferanten R und D regelmäßig in Begleitung erschienen seien, sei kein Hinweis auf eine evtl. Steuerstraftat. Ganz im Gegenteil hätten diese Lieferanten offensichtlich in Begleitung mindestens einer weiteren Person erscheinen müssen, da sie keine Lkw gehabt hätten. Er, der Kläger, habe die für die Fa. H vorgelegten Geschäftsunterlagen für ordnungsgemäß gehalten. Erst nachträglich und nur durch Erkenntnisse der Finanzbehörde hätten sich Zweifel an der Echtheit der Unterlagen ergeben; die "offensichtlichen Schreibfehler und Ungereimtheiten" seien ihm zuvor nicht aufgefallen; sie seien auch gar nicht augenfällig. Im Übrigen seien alle anderen Unterlagen echt gewesen.
- 60
Er, der Kläger, sei von den hier streitigen Lieferanten erfolgreich getäuscht worden. Er sei bei der Erstellung der Umsatzsteuervoranmeldungen hinsichtlich der Unternehmereigenschaft der Lieferanten gutgläubig und überzeugt davon gewesen, aus ihren Rechnungen zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Wie es in der Branche üblich sei, habe er sich die Gewerbeanmeldung, die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung sowie Ausweispapiere und Vollmachten zeigen lassen und diese als Kopien zu seinen Unterlagen genommen. Weitere Maßnahmen seien weder üblich noch nötig.
- 61
Zum Beweis dieser Tatsache hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag gestellt, die Geschäftsführer, Inhaber oder Disponenten der Firmen U Recycling GbR, V, W ..., X, Y Recycling GmbH, Z GbR, AA GmbH, BB Recycling GmbH und CC GmbH als Zeugen zu vernehmen. Sie würden bekunden, dass sie mit den hier streitgegenständlichen Lieferanten (einzeln oder allen) in Geschäftsbeziehung gestanden hätten und erfolgreich nach den jeweiligen Systemen/Tatbegehungsplänen getäuscht worden seien und dass sie zur Überprüfung und Versicherung der Identität und der Unternehmereigenschaft der hier streitgegenständlichen Lieferanten dieselben Maßnahmen ergriffen hätten wie er, der Kläger, wobei diese Maßnahmen üblich seien im Schrotthandelsgewerbe. Weitere Möglichkeiten zur Überprüfung und Versicherung der Identität und der Unternehmereigenschaft der hier streitgegenständlichen Lieferanten stünden ihnen nicht zur Verfügung und hätten auch ihm, dem Kläger, nicht zur Verfügung gestanden.
- 62
(2) Das vom FA vorgetragene Argument, es müsse stutzig machen, wenn neu am Markt tätige Händler "aus dem Stand heraus" so hohe Umsätze tätigten, sei nicht stichhaltig.
- 63
In diesem Zusammenhang hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag gestellt, ein Sachverständigengutachten einzuholen zum Beweis der Tatsachen, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass auch "Neuhändler" hohe Umsätze tätigten, dass es keinen allgemein gültigen Erfahrungssatz dahingehend gebe, dass wenn "Neuhändler" hohe Umsätze tätigten, dies ein Indiz für eine etwaige Strohmanntätigkeit sei, sowie dass das Schrotthandelsgewerbe traditionell und seit Generationen von ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen dominiert werde, dass heute im Verhältnis zu dem Stand vor einigen Jahrzehnten ein Vielfaches an Metallschrott gehandelt werde und das zu einem erheblich höheren Preis und es daher nicht ungewöhnlich sei bzw. auf der Hand liege, dass Neuhändler gleich zu Beginn der Geschäftsaufnahme hohe Umsätze erwirtschaften könnten.
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(3) Auch die weiteren Umstände der Geschäftsanbahnung und Durchführung seien nicht ungewöhnlich gewesen.
- 65
Im Einzelnen:
- 66
a) Der Zeuge D sei mit einer Begleitperson kurz vor der ersten Lieferung in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen. Der Vorname der Begleitperson sei ihm, dem Kläger, genannt worden, er könne sich daran aber nicht mehr erinnern. Die beiden Personen hätten sich vorgestellt und die kurzfristige Lieferung hochwertigen Metallschrotts angeboten. Im Rahmen dieses ersten Gesprächs habe Herr D ihm, dem Kläger, die Unbedenklichkeitsbescheinigung, die Gewerbeanmeldung u. Ä. ausgehändigt. Er habe daraufhin hiervon Kopien für seine Akte angefertigt und den Kaufpreis der einzelnen Metallschrotte mitgeteilt. Ein Verhandeln oder Feilschen über die Höhe des Kaufpreises habe es nicht gegeben, da er, der Kläger, seinerseits feste Verkaufspreise von seinen Abnehmern gehabt habe, die ihrerseits auch nicht über die Höhe des Preises verhandelt hätten. Im Rahmen dieses ersten Gespräches hätten der Zeuge D und seine Begleitperson einen freundschaftlichen Umgangston miteinander gehabt; eine eventuelle Dominanz der Begleitperson sei für ihn, den Kläger, nicht erkennbar gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es im Rahmen dieses Treffens nicht zu "schwierigen Verhandlungen" gekommen sei, sondern er, der Kläger, lediglich seine Lieferbedingungen genannt und nicht zur Disposition gestellt habe. Im Übrigen sei es bei dem Gespräch, an dem sich der Zeuge D rege beteiligt habe, um allgemeine Dinge gegangen. Die persönlichen Hintergründe von dem Zeugen D (Schulbildung, Geschäftserfahrung u. Ä.) seien ihm, dem Kläger, unbekannt und nicht Gesprächsthema gewesen.
- 67
Wenige Tage später sei die erste Lieferung ausgeführt worden, die bereits beim ersten Treffen angekündigt worden sei. Vor Ort in Straße-1 ... sei ein Fahrer mit beladenem Lkw erschienen. Er, der Kläger, habe die Ware flüchtig begutachtet, und sodann dem Fahrer mitgeteilt, wohin die Ware geliefert werden solle. Endabnehmer der Ware des Zeugen D seien die Unternehmen DD GmbH (DD), Y Recycling GmbH (Y) und N (N) gewesen. Lkw-Fahrer hätten sodann die Ware direkt bei den vorgenannten Unternehmen abgeliefert. Anschließend - in der Regel am selben oder in seltenen Fällen am darauffolgenden Tag - sei der Zeuge D in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen und habe die entsprechenden Wiegescheine vorgelegt. Teilweise seien die Wiegescheine schon vorab per Fax durch die Endabnehmer an die A GmbH übersandt worden.
- 68
Der Zeuge D sei alleine oder mit unterschiedlichen Begleitpersonen erschienen, wobei es sich häufig um eine junge Frau gehandelt habe. Nur anhand der vorgelegten Wiegescheine habe er, der Kläger, gewusst, welche Ware und in welcher Menge der Zeuge D zuvor geliefert habe. Aufgrund der Angaben der Wiegescheine habe er mit dem Zeugen D abgerechnet. Da die Wiegenoten die Grundlage für die Erstellung der Eingangsabrechnung (von dem Zeugen D) als auch der Ausgangsrechnung (an DD etc.) gewesen seien, sei die Lieferbeschreibung inhaltlich identisch; lediglich die Preise variierten geringfügig, da im Streckengeschäft nur geringe Gewinnaufschläge möglich seien. Nach seiner, der Klägers, Erinnerung seien die Lieferungen überwiegend oder ausschließlich bar bezahlt worden.
- 69
Auf Empfehlung der Steuerberatung habe er, der Kläger, von dem Zeugen D verlangt, dass er Rechnungen über seine Lieferungen stellen solle. Er, der Kläger, habe die erste Rechnung für den Zeugen D vorgeschrieben, da dieser von anderen Abnehmern ausschließlich die Abrechnung im Wege der Gutschriftenerteilung gewohnt und daher mit den Formalitäten einer umsatzsteuerlich ordnungsgemäßen Rechnung nicht vertraut gewesen sei. Der Zeuge D habe diese Rechnung mit seiner Unterschrift als eigene Rechnung bestätigt. In der Folgezeit habe der Zeuge D sämtliche Rechnungen gemäß den von ihm mitgebrachten Wiegescheinen selbst erstellt.
- 70
Der Zeuge D habe nicht den Eindruck gemacht, im Schrottgewerbe unerfahren gewesen zu sein. Sowohl dessen Verweis auf eigene andere Kunden (die Gutschriften erstellten) als auch die Feststellungen der Steuerfahndungsbehörde, wonach der Zeuge D eine Vielzahl von Kunden gehabt habe, ließen keinen anderen Schluss zu, als dass er durchaus Erfahrung im Schrottgewerbe gehabt habe.
- 71
Es möge zutreffen, dass der Zeuge D, wie von ihm in seiner schriftlichen Äußerung dargelegt, keine Kenntnis von Schrottlieferungen gehabt habe, da die Ware im Rahmen des Streckengeschäfts ohnehin nicht an den Geschäftssitz der A GmbH geliefert worden sei. Sofern der Zeuge D tatsächlich nur zum Abrechnen bei der A GmbH erschienen und im Übrigen an dem Liefervorgang bei Endkunden nicht persönlich beteiligt gewesen sei, so habe er von den tatsächlich durchgeführten Lieferungen keine unmittelbare Kenntnis erlangen können. Zutreffend habe der Zeuge D in seiner schriftlichen Zeugenaussage gegenüber dem Gericht bestätigt, dass er seine Strohmann-Aktivität nicht thematisiert habe.
- 72
Der festgestellte Kassenfehlbetrag vom 17.06.2009 (oben I. 3. a)) resultiere aus einem Fehler des Zeugen D bei der Rechnungsstellung. Da die Wiegescheine der in Strecke gelieferten Ware auf den 17.06.2009 datiert gewesen seien, habe er seine Rechnung ebenfalls auf den 17.06.2009 ausgestellt. Tatsächlich sei er aber wohl erst am 18.06.2009 im Büro der A GmbH zur Abrechnung erschienen. Am 18.06.2009 sei auch erst die Auszahlung an ihn vorgenommen worden. Da er, der Kläger, die Kassenaufzeichnungen nicht täglich erstellt habe, habe er den Kassenbucheintrag einige Tage später irrtümlich unter dem Rechnungsdatum vorgenommen.
- 73
ß) Bezüglich Herrn F habe er, der Kläger, beim zuständigen FA G vor der ersten Lieferung angerufen und sich nach dem Lieferanten F erkundigt. Dort habe er nur die fernmündliche Auskunft erhalten, dass Herr F steuerlich gemeldet sei. Weitere Auskünfte seien nicht erteilt worden. Die Sachbearbeiterin sei nicht bereit gewesen, diese Angabe schriftlich zu bestätigen.
- 74
Herr F sei bei der Geschäftsanbahnung persönlich mit Herrn K kurz vor der ersten Lieferung in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen. Die beiden hätten sich vorgestellt und angeboten, kurzfristig hochwertigen Metallschrott liefern zu können. Im Rahmen dieses ersten Gesprächs habe Herr F die Unterlagen (Unbedenklichkeitsbescheinigung, Gewerbeanmeldung, Vollmacht u. Ä.) übergeben. Er, der Kläger, habe hiervon für die eigene Akte Kopien angefertigt. Herr F habe erklärt, dass Herr K für ihn die einzelnen Lieferungen durchführen werde (Ablieferung der Ware und Entgegennahme des Kaufpreises). Er, der Kläger, habe den Kaufpreis der einzelnen Metallschrotte benannt. Ein Verhandeln oder Feilschen über die Höhe des Kaufpreises habe es nicht gegeben, da er seinerseits feste Verkaufspreise von seinen Abnehmern gehabt habe, die ihrerseits auch nicht über die Höhe des Preises verhandelt hätten. Im Rahmen dieses ersten Gespräches seien Herr F und Herr K gleichberechtigt und partnerschaftlich aufgetreten. Eine eventuelle Dominanz von Herrn K sei für ihn, den Kläger, nicht erkennbar gewesen.
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Wenige Tage später sei die erste - zuvor von Herrn K telefonisch angekündigte - Lieferung durchgeführt worden. Er, der Kläger, habe Herrn K mitgeteilt, wohin die Ware geliefert werden solle, da die A GmbH mangels eigener Platzkapazität zu dieser Zeit ausschließlich sog. Streckengeschäfte getätigt habe. Endabnehmer für die Ware des Herrn F sei die Fa. DD gewesen. Herr K habe die Ware direkt bei DD angeliefert bzw. durch einen Lkw-Fahrer anliefern lassen. Anschließend - regelmäßig am selben oder seltener am darauffolgenden Tag - sei Herr K in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen und habe die Wiegescheine von DD vorgelegt. Nur anhand dieser vorgelegten Wiegescheine habe er, der Kläger, gewusst, welche Ware und in welcher Menge Herr F bei DD zuvor angeliefert habe. Aufgrund der Angaben der Wiegescheine von DD habe er mit Herrn K abgerechnet. Da die Wiegenoten die Grundlage für die Erstellung der Eingangsabrechnung (von Herrn F) als auch der Ausgangsrechnung (an DD) gewesen seien, sei die Lieferbeschreibung inhaltlich identisch; lediglich die Preise variierten geringfügig, da im Streckengeschäft nur geringe Gewinnaufschläge möglich seien. Nach seiner, der Klägers, Erinnerung seien die Lieferungen überwiegend bar bezahlt worden. Mindestens einmal sei die Zahlung per Banküberweisung auf ein Konto des Herrn F geleistet worden.
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Weder Herr F noch Herr K hätten Angaben über die Herkunft des Schrotts gemacht.
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Schlussendlich habe sich bei der Geschäftsverbindung zu Herrn F ein typisches Risiko des Streckengeschäfts realisiert. Im Schrotthandelsgewerbe seien die Kontakte zu Lieferanten und Abnehmern die wichtigsten Geschäftsgeheimnisse. Aus diesem Grund verrate kein Schrotthändler dem jeweiligen Geschäftspartner, woher und zu welchem Preis die Ware veräußert werde. Im Streckengeschäft sei es aber unvermeidbar, dass Lieferant und Endabnehmer direkt aufeinanderträfen. Daher bestehe für sie die Möglichkeit, unter Ausschluss des Zwischenhändlers direkt eine Geschäftsbeziehung einzugehen. Genau dies sei bei Herrn F der Fall gewesen. Nachdem Herr F bzw. Herr K durch die A GmbH die Fa. DD kennengelernt gehabt habe, hätten sie eine direkte Geschäftsbeziehung begründet, ohne dass die A GmbH weiter beteiligt gewesen wäre.
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?) Die Geschäftsbeziehung zu der Fa. H habe er, der Kläger, alleine geführt. Herr B habe keinen Kontakt zu diesem Lieferanten gehabt und sei bei der Geschäftsanbahnung auch nicht zugegen gewesen. Er, der Kläger, sei bei der Geschäftsanbahnung in Begleitung von dem - in der mündlichen Verhandlung am 28.05.2014 vernommenen - Zeugen EE gewesen. Ende/Mitte Januar hätten sich bei ihm, dem Kläger, die Herren O und FF vorgestellt und eine Geschäftsbeziehung anbahnen wollen. Sie hätten erklärt, dass es sich bei der Fa. H um ein Baugeschäft handele und sie kurzfristig hochwertigen Metallschrott, der überwiegend von Baustellen stamme, anliefern könne. Herr O habe sich als Geschäftsführer und den Zeugen FF als seinen Handlungsbevollmächtigten vorgestellt und erklärt, dass der Zeuge FF die einzelnen Lieferungen durchführen werde. Das Auftreten der Herren sei ihm, dem Kläger, seriös erschienen und habe den Eindruck vermittelt, dass die Herren die ordnungsgemäßen Vertreter eines "normalen" Unternehmens seien. Dass es sich bei den Originalunterlagen um Fälschungen gehandelt habe, sei weder ihm noch dem Zeugen EE aufgefallen.
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Im Zuge dieses ersten Gesprächs hätten die Herren O und FF ihm die steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung und die Gewerbeanmeldung sowie eine Vollmacht ausgehändigt. Dabei habe es sich um Originalunterlagen mit farbigen Stempeln gehandelt. Er, der Kläger, habe von diesen Unterlagen Kopien gefertigt und die Originale zurückgegeben und den Kaufpreis der einzelnen Metallschrotte benannt. Ein Verhandeln oder Feilschen über die Höhe des Kaufpreises habe es nicht gegeben, da er, der Kläger, seinerseits feste Verkaufspreise von seinen Abnehmern gehabt habe, die ihrerseits auch nicht über die Höhe des Preises verhandelt hätten. Im Rahmen dieses ersten Gespräches seien Herr O und der Zeuge FF gleichberechtigt und partnerschaftlich aufgetreten. Eine eventuelle Dominanz von dem Zeugen FF sei für ihn, den Kläger, nicht erkennbar gewesen. Der Zeuge FF sei ihm flüchtig bekannt gewesen. Er, der Kläger, habe gewusst, dass der Zeuge FF im selben Gebäude ein kleines Büro angemietet habe und im Baugewerbe tätig gewesen sei.
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Wenige Tage später sei die erste - im ersten Gespräch vereinbarte - Lieferung durchgeführt worden. Vor Ort sei ein Fahrer mit beladenem Lkw zusammen mit dem Zeugen FF erschienen. Er, der Kläger, habe die Ware flüchtig begutachtet und sodann dem Zeugen FF mitgeteilt, wohin die Ware geliefert werden solle. Endabnehmer der Ware von der Fa. H sei überwiegend die Fa. DD gewesen. Der Zeuge FF habe die Ware direkt bei der Fa. DD angeliefert bzw. durch einen Fahrer anliefern lassen. Laut Auskunft des Mitarbeiters ... von der Fa. DD sei der Zeuge FF bei allen Lieferungen zugegen gewesen.
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Anschließend - in der Regel am selben oder in seltenen Fällen am darauffolgenden Tag - sei der Zeuge FF in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen und habe die Wiegescheine der Fa. DD vorgelegt. Nur anhand dieser vorgelegten Wiegescheine habe er, der Kläger, gewusst, welche Ware und in welcher Menge die Fa. H zuvor geliefert habe. Aufgrund der Angaben der Wiegescheine habe er mit der Fa. H/dem Zeugen FF abgerechnet. Da die Wiegenoten die Grundlage für die Erstellung der Eingangsabrechnung (von der Fa. H) als auch der Ausgangsrechnung (an DD) gewesen seien, sei die Lieferbeschreibung inhaltlich identisch; lediglich die Preise variierten geringfügig, da im Streckengeschäft nur geringe Gewinnaufschläge möglich seien. Nach seiner, der Klägers, Erinnerung seien die Lieferungen überwiegend oder ausschließlich bar bezahlt worden. Zur Abrechnung sei der Zeuge FF immer alleine im Büro der A GmbH erschienen.
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Mindestens ein-, eventuell auch zwei- bis dreimal sei es zu Unstimmigkeiten über die Qualität der Ware bei der Ablieferung bei der Fa. DD gekommen. In diesem Fall/diesen Fällen sei er, der Kläger, von der Fa. DD informiert worden, da er für die Fa. DD der Lieferant gewesen sei. Er sei sodann zum Betriebshof der Fa. DD gefahren, um dort die strittigen Fragen mit den Mitarbeitern der Fa. DD zu klären und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Bei diesen seltenen Fällen habe er die Wiegescheine persönlich unterschrieben, da er bereits vor Ort gewesen sei.
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Der Zeuge FF habe in seiner Vernehmung am 11.06.2014 gegenüber dem Gericht entgegen seiner damaligen Einlassung vor dem Amtsgericht GG eingeräumt, der tatsächliche Lieferant gewesen zu sein. In Bezug auf die Rechnungen der Fa. H habe er schließlich die Aussage verweigert, offenbar in der Erkenntnis, dass er sich durch seine Zeugenaussage "um Kopf und Kragen" rede. Der Zeuge EE habe in seiner Vernehmung am 28.05.2014 gegenüber dem Gericht bestätigt, dass durch die den Zeugen FF/Herrn O zumindest dem Anschein nach Originalunterlagen vorgelegt worden seien. Für den Umstand, dass es sich bei dem Zeugen FF nicht um einen "Schreiber" handele, sprächen die Aussagen der Steuerfahnder, wonach ein Schreiber üblicherweise nicht länger als ein Jahr tätig sei.
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d) der Zeuge R sei mit einer Begleitperson kurz vor der ersten Lieferung in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen. Der Vorname der Begleitperson sei ihm, dem Kläger, genannt worden, er könne sich daran aber nicht mehr erinnern. Die beiden Personen hätten sich vorgestellt und die kurzfristige Lieferung hochwertigen Metallschrotts angeboten. Im Rahmen dieses ersten Gesprächs habe der Zeuge R ihm, dem Kläger, die Unbedenklichkeitsbescheinigung, Gewerbeanmeldung u. Ä. ausgehändigt. Er habe daraufhin hiervon Kopien für seine Akte angefertigt und den Kaufpreis der einzelnen Metallschrotte mitgeteilt. Ein Verhandeln oder Feilschen über die Höhe des Kaufpreises habe es nicht gegeben, da er, der Kläger, seinerseits feste Verkaufspreise von seinen Abnehmern gehabt habe, die ihrerseits auch nicht über die Höhe des Preises verhandelt hätten. Im Rahmen dieses ersten Gespräches hätten der Zeuge R und seine Begleitperson einem freundschaftlichen Umgangston miteinander gehabt; eine eventuelle Dominanz der Begleitperson sei für ihn, den Kläger, nicht erkennbar gewesen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es im Rahmen dieses Treffens nicht zu "schwierigen Verhandlungen" gekommen sei, sondern er, der Kläger, lediglich seine Lieferbedingungen genannt und nicht zur Disposition gestellt habe. Im Übrigen sei es bei dem Gespräch um das Gewerbe gegangen. Der Zeuge R habe sich rege an dem Gespräch beteiligt. Dabei habe er einen ruhigen und überlegten Eindruck gemacht und überzeugend zum Ausdruck gebracht, dass er bereits seit vielen Jahren mit dem Schrotthandelsgewerbe vertraut sei. Er habe keinesfalls den Eindruck eines offensichtlichen Drogenabhängigen erweckt. Das äußere Erscheinungsbild habe vielmehr dem optischen Eindruck entsprochen, den der Zeuge R auch während seiner gerichtlichen Zeugenaussage am 11.06.2014 hinterlassen habe.
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Wenige Tage später sei die erste Lieferung vorgenommen worden, die bereits beim ersten Treffen angekündigt worden sei. Vor Ort sei ein Fahrer mit beladenem Lkw erschienen. Er, der Kläger, habe die Ware flüchtig begutachtet, und sodann dem Fahrer mitgeteilt, wohin die Ware geliefert werden solle. Endabnehmer der Ware des Zeugen R seien die Unternehmen DD, Y und N gewesen. Lkw-Fahrer hätten sodann die Ware direkt bei den vorgenannten Unternehmen abgeliefert. Anschließend - in der Regel am selben oder in seltenen Fällen am darauffolgenden Tag - sei der Zeuge R in den Geschäftsräumen der A GmbH erschienen und habe die entsprechenden Wiegescheine vorgelegt. Dabei sei der Zeuge R regelmäßig mit unterschiedlichen Begleitpersonen erschienen, gelegentlich aber auch allein, wobei möglicherweise eine Begleitperson im geparkten Pkw gewartet haben könne. Nur anhand dieser vorgelegten Wiegescheine habe er, der Kläger, gewusst, welche Ware und in welcher Menge der Zeuge R zuvor geliefert habe. Aufgrund der Angaben der Wiegescheine habe er mit dem Zeugen R abgerechnet. Da die Wiegenoten die Grundlage für die Erstellung der Eingangsabrechnung (von dem Zeugen R) als auch der Ausgangsrechnung (an DD etc.) gewesen seien, sei die Lieferbeschreibung inhaltlich identisch; lediglich die Preise variierten geringfügig, da im Streckengeschäft nur geringe Gewinnaufschläge möglich seien. Nach seiner, der Klägers, Erinnerung seien die Lieferungen überwiegend oder ausschließlich bar bezahlt worden. Abgerechnet sei überwiegend durch Gutschriften seitens der A GmbH, teilweise habe aber der Zeuge R auch Rechnungen ins Büro gebracht.
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Der Zeuge R habe keine Angaben zu der Herkunft des Metallschrotts gemacht.
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Ausweislich der schriftlichen Stellungnahme seines Verteidigers vom 18.05.2011 (oben I. 7. c)) habe der Zeuge R offenbar selbst geglaubt, dass er ein ordnungsgemäßes Geschäft betrieben habe, weil ihm eine angemessene Erfolgsbeteiligung (33% - 50% des Gewinns) und die steuerrechtlich ordnungsgemäße Organisation seines Betriebes versprochen worden sei. Erst später (nach Beendigung der Geschäftsbeziehung zu der A GmbH) sei er selbst misstrauisch geworden, als er von dem - in der mündlichen Verhandlung am 17.04.2014 vernommenen - Zeugen HH darauf hingewiesen worden sei, dass etwas "ungerade laufe".
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Der Umstand, dass der Zeuge R sein Verhalten und seine Beteiligung selbst für ein normales Geschäft gehalten habe, schließe aus, dass sein konkretes Auftreten und Verhalten bei der Geschäftsanbahnung mit der A GmbH ungewöhnlich bzw. auffällig gewesen sei. Er, der Kläger, habe daher keinen Anlass gehabt, bezüglich der Unternehmereigenschaft des Zeugen R misstrauisch zu sein. Der Zeuge R habe zudem durch seine Stellungnahme vom 18.05.2011 - wenn auch möglicherweise unbeabsichtigt - zum Ausdruck gebracht, dass er zumindest am Anfang davon ausgegangen sei, Einfluss auf wesentliche Aspekte des Geschäfts zu haben, wodurch er sich durchaus als Unternehmer i. S. des § 2 UStG qualifiziert habe.
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Die Umstände, die zum Misstrauen von Herrn HH geführt hätten, seien unklar und nicht aufgeklärt worden.
- 90
dd) Er, der Kläger, habe bereits aus den oben genannten Gründen nicht gewusst und habe auch nicht wissen müssen, dass die Umsätze in eine Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien. Dies könne auch nicht aus dem Umstand, dass die A GmbH in den streitigen Zeiträumen ausschließlich im Streckengeschäft tätig gewesen sei, geschlussfolgert werden. Bei dem Streckengeschäft handele es sich um ein übliches und auch wirtschaftlich sinnvolles Geschäftsmodell (Beweis: Sachverständigengutachten). Für die A GmbH habe bereits aufgrund des noch nicht fertiggestellten Platzes und der damals noch fehlenden BImSchG-Genehmigung gar keine andere Möglichkeit der Geschäftstätigkeit bestanden. Das wesentliche "Kapital" eines Schrotthändlers seien seine Kenntnisse über Lieferanten und Abnehmer und deren unterschiedliche Preise. Sofern ein Schrotthändler im Markt etabliert und bekannt sei und nachgewiesen habe, zuverlässig größere Mengen liefern zu können, erhalte er von den großen Abnehmern wie z. B. Y, N u. a. bessere Verkaufskonditionen und Preise als bis dato noch unbekannte Händler und Kleinhändler. Die Preise würden von den Großhändlern vorgegeben. Tägliche Preisverhandlungen gebe es nicht. Vielmehr seien die Preise bekannt und mittlere Händler wie die A GmbH wüssten daher, bei welchem Einkaufspreis ein Veräußerungsgewinn erzielt werden könne. Neue Händler erhielten nicht die Vorzugskonditionen wie bereits etablierte Händler. Sobald sich aber ein neuer Händler im Markt einen Namen als zuverlässiger Geschäftspartner gemacht habe, erhalte er ähnliche Verkaufskonditionen. Dies sei z. B. bei Herrn F der Fall gewesen, als die Fa. DD nach diversen Lieferungen von Herrn F über die A GmbH direkt mit Herrn F in eine Geschäftsbeziehung eingetreten sei und die A GmbH somit "ausgebootet" habe.
- 91
Er, der Kläger, sei seit vielen Jahren Schrotthändler und bei den Großabnehmern bekannt. Ihm seien als etablierter Händler die entsprechenden Vorzugskonditionen von den Großhändlern eingeräumt worden. Hierdurch sei er in der Lage gewesen, durch das Streckengeschäft eine im Verhältnis zum Umsatz zwar geringe, in absoluten Zahlen aber auskömmliche Marge zu erwirtschaften.
- 92
ee) Im Übrigen berechtigten die Rechnungen selbst dann zum Vorsteuerabzug, wenn die streitgegenständlichen Lieferanten als Strohmänner anzusehen seien, da auch ein "Strohmann", der nach außen im eigenen Namen auftrete, im Verhältnis zum "Hintermann" jedoch auf dessen Rechnung handele, leistender Unternehmer im Sinne des UStG sein könne (Urteile des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 05.02.2014 1 StR 422/13, wistra 2014, 191; vom 29.01.2014 1 StR 469/13, wistra 2014, 190).
- 93
c) Seine, des Klägers, persönliche Haftung gem. § 69 AO scheide bereits deshalb aus, weil er nach bestem Wissen und Gewissen formal ordnungsgemäße Rechnungen zur Buchhaltung gereicht hätte, von denen er davon ausgegangen sei, dass diese materiell ordnungsmäßig seien. Er habe somit seine steuerlichen Verpflichtungen gem. § 150 AO erfüllt.
- 94
d) aa) Darüber hinaus sei der Haftungsbescheid rechtswidrig, weil sich die Haftung des Geschäftsführers gem. § 69 AO auf den sog. Quotenschaden beschränke, der vorliegend 0% betrage. Er, der Kläger, habe sofort nach Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung des FG Hamburg vom 12.01.2012 noch im Januar 2012 den Geschäftsbetrieb eingestellt, keine Zahlungen mehr geleistet und Insolvenzantrag gestellt. Dem FA lägen die Bilanzen der A GmbH für 2009 und 2010 vor. Diese wiesen einen Verlust von ... € (2009) und ... € (2010) aus. Aus der Umsatzsteuer-Sonderprüfung sei dem FA bekannt gewesen, dass die A GmbH im Rahmen des laufenden Geschäftsbetriebes kurzfristige Bankguthaben und ebenso kurzfristige liquide Barmittel zweckgebunden eingesetzt und hieraus laufende Verbindlichkeiten aus Wareneinkäufen finanziert habe. Bei Zweckentfremdung der liquiden Mittel hätte die A GmbH ihre Lieferanten nicht mehr bezahlen können, da die Liquidität von laufenden Einnahmen abhängig gewesen sei.
- 95
bb) Die A GmbH habe zu keinem Zeitpunkt über liquide Mittel verfügt, um die Umsatzsteuerverbindlichkeiten zu tilgen.
- 96
e) Der Haftungsbescheid sei schließlich rechtswidrig, weil das FA das ihm eingeräumte Ermessen nicht zweckgerecht ausgeübt habe. Das FA habe seine Entscheidung, ob und in welcher Höhe es ihn, den Kläger, in Haftung nehme, auf einen nicht vollständig aufgeklärten Sachverhalt gestützt. Der Haftungsbescheid selbst enthalte keine Sachverhaltsdarstellung, sondern nehme lediglich Bezug auf das Einspruchsverfahren der A GmbH, das gerade nicht seine Haftung als Geschäftsführer zum Gegenstand gehabt habe und daher keine Angaben oder Feststellungen zu dem ihm vorgeworfenen pflichtwidrigen Verhalten enthalten habe. Erst in der Einspruchsentscheidung sei in einem Nebensatz klargestellt worden, dass das FA die Weitergabe der Wareneinkaufsrechnungen zur Buchhaltung als grob fahrlässig und somit haftungsbegründend ansehe. Das FA habe bis zu diesem Zeitpunkt aber nicht ermittelt, welcher der Geschäftsführer der A GmbH welche Kenntnis von den hier streitigen Geschäftsbeziehungen gehabt habe und für die Weitergabe der Abrechnungen an die Buchhaltung verantwortlich gewesen sei. Das FA habe ihn, den Kläger, zu keinem Zeitpunkt zur Mitwirkung aufgefordert.
- 97
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom ... 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2013 aufzuheben;
dem beklagten Finanzamt die Kosten des Verfahrens sowie des Vorverfahrens aufzuerlegen und die Beiordnung des Klägervertreters für das Vorverfahren für notwendig zu erklären;
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
- 98
2. Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
- 99
Das FA nimmt zur Begründung auf den Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung Bezug und trägt ergänzend vor (FGA Bl. 24 ff., 377 ff.):
- 100
a) Der angefochtene Haftungsbescheid sei nicht rechtswidrig, insbesondere sei er hinreichend begründet und seien die darin vorgenommenen Verweise nicht zu beanstanden. Die von dem Kläger genannte Entscheidung des FG Düsseldorf (oben V. 1. a)) stehe dem nicht entgegen, da der dort behandelte Sachverhalt rechtlich keine Ähnlichkeit mit den Gegebenheiten im hiesigen Verfahren aufweise. Das vorliegende Verfahren sei auf der Sachverhaltsebene nicht trennbar von dem Verfahren der A GmbH wegen Versagung des Vorsteuerabzugs aus Lieferantenrechnungen im Zuge der Umsatzsteuer-Sonderprüfung 2009/2010.
- 101
b) Der Vorsteuerabzug aus den streitigen Rechnungen sei zu Recht versagt worden. Der Kläger habe seine steuerlichen Pflichten als Geschäftsführer verletzt, indem er unzutreffende Umsatzsteuervoranmeldungen und eine unzutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung für die A GmbH eingereicht und nicht für die Tilgung der entstandenen Steuerrückstände gesorgt habe. Der Kläger habe dabei auch wissen müssen, dass die streitigen Umsätze in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen gewesen seien.
- 102
c) Dadurch habe der Kläger seine Pflichten als Geschäftsführer zumindest grob fahrlässig und weit vor der Festsetzung der Umsatzsteuer aufgrund der Sonderprüfung verletzt. Aufgrund dieses frühen Zeitpunktes der Pflichtverletzung müsse eine Quotierung nicht vorgenommen werden.
- 103
d) aa) Das FA sei an das BMF-Schreiben vom 07.02.2014 (IV D 2 - S 7100/12/10003) gebunden, wonach der Kläger - da das FA objektive Umstände vorgetragen habe, nach denen der Kläger habe wissen müssen, dass die Umsätze in einem vom Lieferer oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer begangenen Betrug eingebunden gewesen seien - nachweisen müsse, dass er alle Maßnahmen ergriffen habe, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden könnten, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht in einen Betrug eingebunden seien. Selbst nach neuester (wenn auch zeitlich vor Erlass des BMF-Schreibens ergangener) EuGH-Rechtsprechung lägen vorliegend ausreichend objektive Gesichtspunkte vor, die darauf schließen ließen, dass der Kläger habe wissen müssen, dass die streitgegenständlichen Lieferer in Betrugsabsicht gehandelt hätten.
- 104
bb) Es, das FA, könne sich der Äußerung des Zeugen D in seiner Vernehmung durch die Steuerfahndungsprüfer am ... 2011, wonach er sich nicht vorstellen könne, dass ein Abnehmer geglaubt habe, dass es sich bei der Lieferung um seinen Schrott gehandelt habe, nur anschließen. Es könne sich dies ebenfalls nicht vorstellen, zumal bei den großen Mengen, die "aus dem Nichts" über den Zeugen D abgerechnet worden seien.
- 105
cc) Gegen Herrn F sei mittlerweile auf der Grundlage des Steuerfahndungsberichtes vom ... 2013 Anklage erhoben worden. Daraus ergebe sich, dass er zum Zeitpunkt der angeblichen Lieferungen ohne Fahrerlaubnis, ohne Betriebsausstattung und ohne gültigen Firmensitz gewesen sei. Ihn selbst habe wohl auch niemand auf den Schrottplätzen gesehen. Die Fa. F Metallrecycling als bislang gänzlich unbekanntes "Unternehmen" ohne Kontakte habe gegenüber der A GmbH innerhalb von zwei Wochen Schrott im Wert von ... € brutto abgerechnet. Für einige der Lieferungen (..., ... und ... 2009) dürfe ein Schwerlaster nicht einmal ausgereicht haben. Hier seien jedenfalls weitere Erkundigungen erforderlich gewesen, durch die die Mängel spätestens aufgefallen wären - wenn sie nicht schon von vornherein ersichtlich gewesen seien.
- 106
dd) Der Zeuge FF habe in seiner gerichtlichen Vernehmung am 11.06.2014 bestätigt, den im Hauptverhandlungsprotokoll vom ... 2013 erwähnten mobilen Koffer tatsächlich besessen zu haben. Er habe damit auf Wunsch Rechnungen fertiggemacht und ausgedruckt. Darüber hinaus habe der Zeuge FF in der Vernehmung bestätigt, dass die Feststellungen in dem Strafurteil des AG GG, Schöffengericht, vom ... 2013 zutreffend seien.
- 107
Der Kläger habe den Zeugen FF gekannt und gewusst, dass dieser im Baubereich tätig gewesen sei. Der Kläger habe selbst bei einem Schrotthändler gelernt, jahrelang in diesem Bereich gearbeitet und dadurch die größeren Anbieter gekannt. Ihm werde daher als erfahrenem Schrotthändler auch die Praxis bekannt gewesen sein, dass gerade bei der Einschaltung von Strohmännern Wert darauf gelegt werde, dass die rein formalen, leicht zu beschaffenden Nachweise für die Unternehmereigenschaft vorhanden seien. Mit dem Wissen, dass diese Unterlagen auch ein Nichtunternehmer mit auch nur ein bisschen krimineller Energie leicht beschaffen könne, habe er bei Unstimmigkeiten umso eher hellhörig werden müssen.
- 108
Die sich aufdrängende Frage, woher der Zeuge FF plötzlich die Kontakte zu Anbietern hochpreisigen Schrotts gehabt habe und warum sich diese Anbieter nicht direkt an ihn oder andere Abnehmer gewandt hätten, habe sich der Kläger im besten Falle nicht gestellt. Im Rahmen der Betriebsprüfung bei der A GmbH seien weder für die Lieferungen der Fa. H noch für eine andere Lieferung Wiegescheine oder Aufzeichnungen über Kfz-Kennzeichen gefunden worden. Auch bei den vorgetragenen Streckengeschäften sei es eine Obliegenheit des Klägers gewesen, sich nicht nur auf angebliche mündliche Angaben zu verlassen. Ein ordentlicher Kaufmann hätte diese Nachweise zu seinen Unterlagen genommen. Insbesondere auch, weil nach den Angaben des Zeugen FF Ware auch teilweise zunächst zur Straße-1 ... gefahren worden sein solle.
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ee) Der Zeuge R habe in seiner gerichtlichen Vernehmung am 11.06.2014 sinngemäß ausgesagt, dass er Rechnungen zum Teil wackelig unterschrieben habe, da er Heroin konsumiert habe, hochdosiert gewesen sei und Probleme gehabt habe, seine Sachen "auf die Reihe" zu bekommen. Dies sei seiner Einschätzung nach auch offensichtlich gewesen, denn anderenfalls hätten ihn die Hintermänner wohl auch nicht so ausgenutzt.
- 110
Selbst wenn man - entgegen seiner, des FA, Ansicht - annehmen wollte, dass die Heroinabhängigkeit des Zeugen R nicht auf den ersten Blick ersichtlich gewesen sei, sei gleichwohl zu fragen, wie ein erfahrener Schrotthändler wie der Kläger habe annehmen können, dass ein ihm bislang völlig unbekannter Händler innerhalb kürzester Zeit sehr große Mengen hochwertigen Schrotts anliefern könne und dies mit rechten Dingen zugehe. Allein für die Lieferungen vom ... 2009 (über 31 t) und ... 2009 (fast 75 t) sowie ... 2010 (über 71 t) habe man jeweils mindestens zwei bis drei Schwerlaster benötigt.
- 111
Darüber hinaus stellten sich in diesem Zusammenhang folgende Fragen:
- Wieso seien Lieferungen in dieser Größenordnung über einen Unbekannten und Unerfahrenen abgewickelt worden?
- Weshalb sei nur der Zeuge HH - nach Überschreiten einer "Liefer"-Grenze von ... € - an den Zeugen R herangetreten und habe ihm gegenüber geäußert, dass er mit ihm als Schreiber keine Geschäfte mehr machen wolle?
VI.
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Die steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen den Zeugen D, Herrn F, die Fa. H sowie den Zeugen R sind zwischenzeitlich wie folgt weitergeführt worden:
- 113
1. a) Der Zeuge D ist am ... 2011 von dem - in der mündlichen Verhandlung am 28.05.2014 vernommenen - Zeugen, dem Steuerfahndungsprüfer JJ, und dessen Kollegin ... vernommen worden. Er hat folgende Angaben zu Protokoll gegeben (FGA Sonderband Steuerfahndung, Bl. 53 ff.):
- 114
"Frage: Können Sie vorweg zunächst einmal Ihre Schul- und Berufsausbildung schildern?
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Antwort: Ich verfüge weder über eine Schul- noch eine Berufsausbildung. Ich mache aber derzeit meinen Hauptschulabschluss nach.
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Frage: Es liegen diverse Abrechnungen über Ablieferungen von Schrott und Altmetall auf ihren Namen vor. Was können Sie hierzu sagen?
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Antwort: Hierzu kann ich sagen, dass ich - wenn überhaupt - nur einige wenige Male ganz kleine Ablieferungen am Anfang getätigt habe. Hierbei hat es sich aber vielleicht um Beträge von maximal ... Euro und ohne Umsatzsteuer gehandelt. Diese Ablieferungen habe ich bei dem Recyclinghof U in J getätigt. Weitere Ablieferungen habe ich aber nicht mehr getätigt. Zu den anderen Abrechnungen auf meinem Namen kann ich folgendes erklären:
Angefangen hat alles als ich auf dem Recyclinghof U in J gewesen bin. Beim Runterfahren vom Hof hat mich eine Person angesprochen, die ich nur als den "XYZ" kenne. Wie dessen genauer Name ist, weiß ich nicht. Dieser hat mich dort angesprochen, ob ich für ihn nicht Abrechnungen über Ablieferungen unterschreiben könne. (...)
Jedenfalls hat er mich da gefragt, ob ich mir etwas Geld nebenbei hinzuverdienen wollte. Da ich nicht abgeneigt war, habe ich dann okay gesagt. Er hat mir gesagt, dass ich hierfür seine Ablieferungen auf meinen Namen abrechnen sollte. Dafür sollte ich von ihm jeweils einen kleineren Betrag bekommen.
Mit dem "XYZ" ist das etwa vier Wochen so gelaufen. (...)
- 118
Frage: Wie ist es denn in diesen Fällen bei den Recyclinghöfen vor Ort genau abgelaufen?
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Antwort: Zum Ablauf kann ich einmal sagen, dass es z. B. bei M so gewesen ist, dass ich zunächst außerhalb des Recyclinghofes warten sollte. (...).
Bei den Ablieferungen bin ich eigentlich immer erst mit dem Zug nach KK gefahren und bin dort mit dem Auto vom Bahnhof abgeholt worden. Hierbei hat es sich um einen weißen ... gehandelt. Vielleicht war es auch ein ...
Ich bin später, nachdem die Ablieferung erfolgt ist, zum Recyclinghof gebracht worden und bin in das Büro reingegangen. Dort habe ich immer erklärt, dass eine Ablieferung vorher auf meinen Namen erfolgt ist, ich aber nicht früher kommen konnte und nun abrechnen wolle. Mir wurde vor jedem Recyclingunternehmen immer gesagt, dass ich behaupten solle, dass es sich um meinen Schrott handelt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass das jemand geglaubt hat, weil ja vorher schon andere abgeliefert haben und XYZ und die anderen ja auch dort schon bekannt waren. Die haben vorher auch gesagt, da kommt nachher noch einer zum Unterschreiben vorbei.
Die Abrechnungsunterlagen habe ich unterschrieben und das Geld entgegengenommen. Beim Recyclingunternehmen habe ich Bargeld bekommen oder auch einen Scheck, wenn es sich um größere Beträge gehandelt hat. Mit den Unterlagen, d. h. den Abrechnungen und dem Geld oder dem Scheck bin ich rausgegangen und wieder in das Auto oder den Lkw von XYZ eingestiegen. Wenn ich einen Scheck bekommen habe, sind wir anschließend gleich zur Bank gefahren, um diesen Scheck einzulösen. Das Geld habe ich später an XYZ und so übergeben. Außerdem noch die Abrechnungen.
- 120
Ich selbst habe für meine Unterschrift vielleicht 150 oder 200 Euro bekommen. Außerdem habe ich auch noch die Fahrtkosten für den Zug bekommen (...).
Zu den Anrufen kann ich noch sagen, dass ich vorher angerufen worden bin, wenn ich nach KK kommen sollte, teilweise sind die Anrufe auch schon in der Nacht erfolgt, weil ich entsprechend früh am Bahnhof sein sollte. (...).
- 121
Frage: Sind Ihnen die Namen der Personen bekannt, für die Sie unterschreiben sollten?
- 122
Antwort: (...). Teilweise ist es auch so abgelaufen, dass ich angerufen wurde und nach KK gekommen bin. Dort bin ich in eine sehr noble Limousine eingestiegen mit abgetönten Scheiben (...). In diesen Fällen ist es dann so gewesen, dass wir mit einem wahnsinnig hohen Tempo vielleicht eine halbe Stunde oder eine Stunde gefahren sind und ich überhaupt nicht wusste, wo wir waren. Dies sollte ich auch nicht mitkriegen. In diesen Fällen ist es so gewesen, dass die Abrechnungen nur reingereicht wurden in das Auto, ich diese unterschrieben habe und die unterschriebenen Abrechnungen wieder rausgegeben worden sind.
Bei welchen Höfen dies gewesen ist, kann ich nicht sagen. Ich kann mich hierbei nur noch erinnern, dass ich auf den Abrechnungen nur noch den Betrag erkennen konnte und nicht den Namen der Firma. Der wurde mit einem Brett oder so was ähnlichem abgedeckt. Ich weiß aber, dass es sich um Vorwahlen von C gehandelt hat, also .../ oder auch .../ Welcher Ort dies war, kann ich nicht sagen.
Es war auf jeden Fall so, dass ich nicht mitkriegen sollte, für welchen Hof ich dort unterschrieben habe. (...).
- 123
Frage: Können Sie sich vielleicht noch erinnern, wo Sie überall zum Unterschreiben waren?
- 124
Antwort: Wo genau im Einzelnen auf mich abgeliefert wurde, weiß ich nicht. Ich kann mich aber erinnern, dass wir an einem Tag bei 7 oder 10 verschiedenen Firmen gewesen sind und dort abgerechnet haben. Ich habe einmal auf den Tacho gesehen als ich abgeholt wurde und am Ende. Insgesamt sind wir etwa 1.200 oder 1.300 km gefahren.
An dem Tag haben wir quasi eine Rundtour gemacht, d. h. wir sind von KK nach ... gefahren und anschließend noch nach C und wieder zurück nach J. Danach stellte sich aber heraus, dass noch eine Ablieferung in C erfolgt ist und wir sind wieder zurück nach C und anschließend über die Autobahn wieder zurück nach KK.
- 125
Frage: (...) ist Ihnen die Firma A bekannt?
- 126
Antwort: Auf Anhieb sagt mir diese Firma gar nichts. Es mag durchaus sein, dass ich dort im Auto gesessen und etwas unterschreiben habe."
- 127
b) Der Zeuge JJ als zuständiger Sachbearbeiter beim Finanzamt für Fahndung und Strafsache L - Steuerfahndung - hat die Ergebnisse des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in seinem Fahndungsbericht vom ... 2011 sowie dem undatierten Steuerbericht abschließend festgehalten (FGA Sonderband Steuerfahndung Bl. 75 ff., 83 ff.). Aus der in dem Steuerbericht enthaltenen Aufstellung der einzelnen Abrechnungen ergibt sich dabei, dass der Zeuge D im Jahr 2009 Abrechnungen über Schrott- und Metalllieferungen über insgesamt ... € (inkl. USt) unterschrieben hat. Die A GmbH ist unter den aufgeführten Abnehmern als einzige in C ansässig (FGA Sonderband Steuerfahndung Bl. 79 ff.)
- 128
c) Mit Anklage der Staatsanwaltschaft L vom ... 2011 wurde Herr D wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen angeklagt. Ihm wurde zur Last gelegt, in den im einzelnen aufgeführten Fällen die Umsätze nach § 14c Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) aus Gutschriften und Rechnungen, in denen er als leistender Unternehmer aufgetreten sei, obwohl er tatsächlich nicht der leistende Unternehmer gewesen sei, nicht angemeldet und dadurch Umsatzsteuern verkürzt zu haben (FGA Sonderband Steuerfahndung Bl. 63 ff.).
- 129
d) Mit Urteil des Amtsgerichts L - Jugendrichter - vom ... 2013, rechtskräftig seit dem ... 2013, wurde Herr D wegen Steuerhinterziehung in 9 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (FGA Sonderband Bl. 68 ff.).
- 130
Das Urteil enthält zur Sache u. a. folgende Feststellungen:
- 131
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung glaubhaft eingeräumt, auf den Lieferscheinen insoweit seine Unterschrift abgegeben zu haben. Die Lieferungen habe er allerdings tatsächlich nicht selbst durchgeführt. Er habe die Unterschriften für andere Lieferanten geleistet und habe als sogenannter "Schreiber" hierfür jeweils geringe Entgelte von den eigentlichen Lieferanten erhalten. Er sei damals drogenabhängig und dumm gewesen. Ihm sei allerdings klar gewesen, dass sein Verhalten nicht richtig gewesen sei. Deshalb habe der dann auch irgendwann aufgehört. (...).
- 132
2. Bezüglich Herrn F hat der - in der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 vernommene - Zeuge LL als zuständiger Sachbearbeiter beim Finanzamt für Fahndung und Strafsache L - Steuerfahndung - die Ergebnisse des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in seinem Fahndungsbericht vom ... 2013 wie folgt festgehalten (FGA Sonderband Bl. 200 ff.):
- 133
Der Besch. meldetet sich zum ... 2009 bei der Stadt G in Straße-3 ... mit alleinigem Wohnsitz an. Zum ... 2009 hatte er unter dieser Anschrift bereits eine Betriebsstätte seines angeblichen Metallrecycling-Unternehmens angemeldet. Als Wohnanschrift gab er hier noch eine Anschrift in den ... an. Dem Besch. wurde aufgrund seiner Gewerbe- und Wohnsitzanmeldungen vom Finanzamt G die St.Nr. (...) erteilt. Ab dem ... 2009 war er zur Abgabe monatlicher Umsatzsteuervoranmeldungen verpflichtet. Da er diese nicht einreichte, erfolgten ohne irgendwelche zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse freie Schätzungen durch das Finanzamt i.H.v. (...).
- 134
Mit Schreiben vom ... 2010 wurde dem Besch. auf Anforderung der Steuerberaterin (...) eine Bescheinigung erteilt, dass er beim Finanzamt G steuerlich geführt wird und keine in Vollstreckung befindlichen Steuerrückstände hat. Ein Hinweis auf die nicht abgegebenen Voranmeldungen wurde mit aufgenommen.
- 135
Mit Schreiben vom "marz 2010", eingegangen am 20.04.2010, teilt der Besch. mit, seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen zum ... 2010 eingestellt zu haben. Zum ... 2010 erfolgte gleichfalls die Abmeldung des Wohnsitzes in G. (...)
- 136
Aufgrund einer Verdachtsanzeige der Bank-1 mach dem Geldwäschegesetz wurde bekannt, dass der Besch. im Januar und Februar 2010 mehrere Zahlungen einer DD GmbH (...) aus sein Konto (...) erhalten hatte (Empfängerbenennung: F Metallrecycling), die jeweils am selben Tag in annähernd voller Höhe in bar abgehoben wurden. In einem Fall stammte der Zahlungseingang von der A GmbH.
- 137
Aus einer Kontrollmitteilung des Finanzamtes C-... vom Juni 2010 ergaben sich weitere Leistungen, für die der Besch. im Inland Zahlungen erhalten haben soll. Es handelt sich hier jedoch ausschließlich um Barzahlungen, die im Wege der Gutschrift durch den Leistungsempfänger, die Fa. A (...) angerechnet wurden. Soweit die Gutschiften gleichzeitig für die Übergabe des Bargeldes sein sollten bzw. sofern eine Quittung vorlag, ist die mutmaßlich eigenhändige Unterschrift des F - bekannt z. B. aus der Kontoeröffnung oder der Gewerbeanmeldung - dort nicht zu identifizieren. Die Gutschrift vom ... 2009 trägt dagegen erkennbar den Namenszug K. Hierbei handelt es sich um den ... Staatsbürger K (...), der auch für das o.g. Konto des Besch. bei der Bank-1 verfügungsberechtigt war. Die anderen Namenszüge auf den Gutschriften lassen sich nicht eindeutig zuordnen.
(...)
- 138
Grundsätzlich sprechen aus der Sicht der Steuerfahndung jedoch folgende Punkte für die Annahme, dass der Besch. nicht leistender Unternehmer war:
- 139
I. Die verwendete Anschrift ist ein Scheinsitz. Der Besch. verfügte dort nicht über Büroräume, Lagerflächen etc. Es handelt sich um eine reine Briefkastenadresse in einem ausschließlich für Wohnzwecke genutzten Stadtteil von G. (...)
- 140
II. Der Besch. verfügte über keinerlei Betriebsausstattung wie eigene Fahrzeuge oder Arbeitnehmer. Er war zu der Zeit seiner angeblichen Lieferungen nicht mobil und dürfte daher kaum in der Lage gewesen sein, seinen angeblichen Geschäften nachzugehen (Entzug der Fahrerlaubnis ... 2009 bis ... 2010 wegen vorausgegangener ...). Der "F", der sich beim Spediteur MM vorstellte, erschien dagegen in einem ...
- 141
III. Nichts deutet darauf hin, dass der Besch. selbst gegenüber den beteiligten Geschäftspartnern in Erscheinung getreten ist. Der Spediteur MM hat die Person, die sich ihm als "F" vorgestellt hat anhand des Passfotos nicht das Bild dem Besch. zuordnen können. Vielmehr hat er - wenngleich ohne absolute Gewissheit - den K als denjenigen identifiziert, der sich ihm gegenüber als F ausgegeben hat.
- 142
IV. Im Außenverhältnis der "Fa. F" scheint ausschließlich der K als Handelnder aufgetreten zu sein. Der DD GmbH wurde hierzu eine Vollmacht des "Einzelunternehmers" F für den K vorgelegt. Auch bei der Bank-1 ... hatte der K umfassende Handlungsvollmacht für den Besch.
- 143
V. Keine einzige der Unterschriften auf den Rechnungen und Quittungen lässt sich dem angeblichen Unternehmer F zuordnen. Die Unterschriften sind entweder unleserlich oder stammen von K.
- 144
VI. Hinzu kommen die tatsächlichen Umstände der Altmetalllieferungen:
F Metallrecycling wäre ein Lieferant, der gleichsam aus dem Nichts in der Lage gewesen sein soll, innerhalb kürzester Zeit hochwertige Altmetalle unbekannten Ursprungs im Wert von ... Euro zu beschaffen. Ohne über eigene Fahrzeuge zu verfügen hätte F in der Gegend nahe der ... Grenze (...) der Spedition MM in kurzen Abständen befüllte Container mit Kupferschrott übergeben.
- 145
3. a) Bezüglich der Fa. H hat der - in der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 vernommene - Zeuge NN als zuständiger Sachbearbeiter beim FA P, Steuerfahndungsstelle gegen den - in der mündlichen Verhandlung am 11.06.2014 vernommenen - Zeugen FF ermittelt und die Ergebnisse des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in seinem Bericht über Steuerstraftaten vom ... 2012 wie folgt festgehalten (FGS Sonderband Bl. 136 ff., insbes. 148 ff.):
- 146
Der Besch. hat im Veranlagungszeitraum 2009 sowie in den Voranmeldungszeiträumen I. bis IV/2010 Rechnungen unter den Firmen
- PP Bau GmbH (...)
- H Bau GmbH u. Co KG, Straße-4 ..., C
- H GmbH u. Co KG, Straße-4 ..., C und
- RR GmbH ... (...)
ausgestellt, denen keine Lieferungen und Leistungen zu Grunde lagen. Die Rechnungen hatten im Wesentlichen hochpreisigen Edelschrott (hauptsächlich Kupfer) zum Gegenstand. Entsprechende Wareneinkäufe waren bei dem Beschuldigten nicht festzustellen.
Die vorgenannten Gesellschaften PP Bau GmbH sowie H (Bau) mbH u. Co KG waren zum Zeitpunkt der Rechnungserteilung und zum Zeitpunkt der vermeintlichen Leistung nicht unter den in den Rechnungen genannten Anschriften ansässig.
- 147
Die H GmbH u. Co KG ist nach Ermittlungen der Steuerfahndung P und nach den Ermittlungen der Steuerfahndung C unter der Adresse Straße-4 ... in C zu keiner Zeit existent gewesen.
- 148
Gleiches gilt für die H Bau GmbH u. Co KG. Nach den Erkenntnissen der Steuerfahndung C wurden die Gesellschaftsanteile der persönlich haftenden Gesellschafterin, der SS-Projektmanagement GmbH mit Vertrag vom ... 2009 an einen ... veräußert. Dieser ist aber seit ... 2007 nicht mehr unter der im Vertrag angegebenen Wohnanschrift in C gemeldet und gilt melderechtlich als "unbekannt verzogen". Die Steuerfahndung C geht bezüglich der GmbH daher von einer Firmenbestattung aus.
- 149
Die PP Bau GmbH ist bereits aus Ermittlungen der Steuerfahndung C bekannt. (...) Der Beschuldigte FF hat im Anschluss an die Firmenbestattung weiterhin unter der Firma der PP Bau GmbH Rechnungen geschrieben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dies, sofern es sich um Baudienstleistungen und andere Dienstleistungen handelte, ebenfalls zur Verschleierung des Einsatzes von anderen Subunternehmern erfolgte. Sofern die Rechnungen hochpreisigen Schrott zum Gegenstand hatten, dienten diese zur Verschleierung der wahren Herkunft des Schrotts. (...)
- 150
b) In der Hauptverhandlung vor dem AG GG am ... 2013 hat sich der Zeuge FF als Angeklagter laut Hauptverhandlungsprotokoll wie folgt eingelassen (FGA Sonderband Steuerfahndung Bl. 98 ff.):
- 151
Die meisten Firmen sind auf mich zugekommen, mit der Frage, ob ich ihnen eine Rechnung schreiben kann. Ich habe dann mehrere Briefköpfe erstellt und Rechnungen geschrieben. Wenn die Firmen eine Rechnungen benötigten mit Leistungen in Höhe von ... oder ... Euro, habe ich diese Rechnungen geschrieben.
- 152
Bei den Firmen waren es teilweise Bekannte von mir oder es wurden Kontakte geknüpft. Bei den unterschiedlichen Firmen liefen die Kontakte auch unterschiedlich ab. Bei der Firma A z. B. habe ich den Namen des Geschäftsführers vergessen. Es war ein ... Landsmann, ca. ... Jahre alt. Das war in Straße-1 ... in C. Das war ein Schrotthandel. Ich habe dort beim Neubau geholfen. Dadurch kam der Kontakt zustande. Die Absprachen haben wir bei ihm im Büro getroffen.
- 153
Er rief mich an und ich fuhr dann hin und fragte, was er bräuchte. Ich hatte immer meinen mobilen Koffer dabei mit Drucker, Laptop und konnte vor Ort die Rechnungen gleich fertigmachen und ausdrucken. Ich habe die Sachen aus der Not heraus gemacht. Ich bekam 3 bis 5 % auf jede Rechnung von der Gesamtsumme, also von der Summe + Mehrwertsteuer. Meinen Anteil bekam ich sofort bezahlt, wenn ich die Rechnungen übergeben hatte. Wenn die Summe zu hoch war, habe ich teilweise auch nur 2 % bekommen. Ich bekam manchmal ... € in bar ausgehändigt.
- 154
Das lief von 2006, 2007 bis 2010. Ich bin alleine zu den Firmen gegangen und habe das alleine gemacht. Das klappte auch immer. (...)
- 155
c) Mit Urteil des Amtsgerichts GG - Schöffengericht - vom ... 2013, rechtskräftig seit dem ... 2013, wurde der Zeuge FF wegen Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall in 3 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (FGA Anlagenband Bl. 57 ff.).
- 156
Das Urteil enthält zur Sache folgende Feststellungen:
- 157
Der Angeklagte wirke im Tatzeitraum - ... 2010 und danach - an einem sogenannten Umsatzsteuerkarussell als Missing Trader mit. Hierbei hinterzog er Umsatzsteuern in Höhe von insgesamt ... €. Unter den Firmen PP Bau GmbH, H Bau GmbH & Co KG, H GmbH & Co KG und RR GmbH stellte der Angeklagte Rechnungen mit gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträgen aus bzw. veranlasste Gutschriftenabrechnungen, obwohl der Rechnungsstellung wie der Angeklagte wusste, kein entsprechender Leistungsaustausch zu Grunde lag. Die Rechnungen bzw. Gutschriften hatten im Wesentlichen hochpreisigen Edelschrott zum angeblichen Liefergegenstand. Den Firmen A GmbH und (...) wurde so ermöglicht, einen tatsächlich nicht existierenden Vorsteueranspruch geltend zu machen.
- 158
4. a) Bzgl. des Zeugen R hat der - in der mündlichen Verhandlung am 07.05.2014 vernommene - Zeuge TT als zuständiger Sachbearbeiter beim Finanzamt für Fahndung und Strafsache S -Steuerfahndung - die Ergebnisse des steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens in seinem Fahndungsbericht vom ... 2011 wie folgt festgehalten (FGA Sonderband Bl. 192 ff.):
- 159
Ein in der Schrottbranche häufig anzutreffendes Modell zur Verschleierung von Lieferanten und Lieferwegen ist der Einsatz von Strohmännern bzw. Scheinlieferanten, die als sog. "Schreiber" bezeichnet werden. Hierbei werden meist mittellose bzw. finanziell und sozial schwache Personen eingesetzt, die lediglich ein entsprechendes Gewerbe anmelden, eine Bestätigung des zuständigen Finanzamtes über die steuerliche Erfassung als Regelunternehmer und eine USt-IdNr. beantragen und ggf. Rechnungsvordrucke, Briefbögen oder Firmenstempel anfertigen lassen.
- 160
Beim Beschuldigten liegen die typischen Anzeichen eines "Schreibers", nämlich eine Gewerbeanmeldung eines Branchenfremden, sofort hohe Umsätze ("aus dem Stand"), Nichtabgabe der gebotenen Umsatzsteuervoranmeldungen, keine oder nur geringe betriebliche Unterlagen, fehlende Geschäftsausstattung (Betriebsgelände, Lagerplatz, Fuhrpark), teilweise große räumliche Entfernung zwischen "Betriebssitz" und Abnehmer, augenscheinliche "En-Block"-Unterschriften auf den Abrechnungen vor. Insbesondere ist beim Durchschreibeverfahren der Abrechnungen der Fa. V augenscheinlich erkennbar, dass die Belege bei Leistung der Unterschriften übereinander lagen.
- 161
Nach den Feststellungen der Fahndungsprüfung unterhielt der Beschuldigte in S, Straße-5 ..., zu keiner Zeit seinen Wohn- oder Betriebssitz.
- 162
Auch durch weitere Maßnahmen, insbesondere die TKÜ-Maßnahmen, konnte der tatsächliche Aufenthalt des Beschuldigten zunächst nicht ermittelt werden.
(...)
- 163
Der Beschuldigte verfügte hinsichtlich des abgerechneten Materials weder über die Geschäftsausstattung noch die entsprechenden Geschäftskontakte.
- 164
Für den Ermittlungszeitraum, nämlich Juli 2009 bis April 2010, konnten insgesamt 8 Recyclinghöfe ermittelt werden, mit denen der Steuerpflichtige Netto-Umsätze in Höhe von ... Euro abgerechnet hat.
(...)
- 165
Nach den Feststellungen der Fahndungsprüfung ist der Steuerpflichtige somit bei den bekannten Recyclinghöfen tatsächlich nicht als Schrotthändler tätig geworden, sondern als sog. "Schreiber" eingesetzt worden.
- 166
Tatsächlich hat der Beschuldigte keinen Schrott an die Recyclinghöfe geliefert. Die vorgetäuschten Lieferungen dienten lediglich dazu, die tatsächlichen Lieferanten des Schrotts zu verschleiern und dem Abnehmer gleichwohl den Vorsteuerabzug zu gewährleisten.
- 167
Die tatsächliche und eigentliche Leistung des Beschuldigten umfasste lediglich die Zurverfügungstellung seiner Personalien, insbesondere auch für die Anmeldung des Gewerbes, sowie dem Unterschreiben der Abrechnungen, für die dann eine geringe "Provision" gezahlt worden ist.
- 168
b) Mit Urteil des Landgerichts UU vom ... 2011, rechtskräftig seit dem ... 2012, wurde der Zeuge R als dortiger Angeklagter wegen Steuerhinterziehung in 5 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten verurteilt und seine Unterbringung ... angeordnet (FGA Sonderband Bl. 104 ff.).
- 169
Das Urteil enthält zur Sache u. a. folgende Feststellungen:
- 170
Nach seiner Haftentlassung im März 2009 verfügte der Angeklagte weder über eine Wohnung noch über einen Arbeitsplatz. (...) Der Angeklagte wurde in dieser Zeit von einer namentlich nicht bekannt gewordenen männlichen Person (...) angesprochen, ob er ein Schrotthandelsgewerbe anmelden wolle. Aufgabe des Angeklagten als Gewerbetreibender sollte sein, mit Dritten, die über Schrott, Altmetalle und Ähnliches verfügten, zu Schrottplätzen und Recyclinghöfen zu fahren, den Verkaufserlös für den dort abgelieferten Schrott entgegen zu nehmen und über die Verkäufe Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis zu verfassen beziehungsweise entsprechende Gutschriften der Käufer entgegen zu nehmen. (...)
- 171
Der Angeklagte stimmte dem oben genannten Vorschlag zu, er sah darin eine günstige Möglichkeit, jedenfalls so viel Geld zu verdienen, dass er damit seine Heroinkonsum finanzieren und Entzugserscheinungen vermeiden konnte.
- 172
Die Person, die dem Angeklagten den oben genannten Vorschlag unterbreitet hatte, benannte ihm eine Anschrift im ... S (Straße-5 ...), unter der er sich meldebehördlich und als Gewerbetreibender anmelden sollte.
- 173
(...) In der Folgezeit bekam der Angeklagte - durch Vermittlung der Person, die ihn ursprünglich angesprochen hatte - Anrufe von Schrottbesitzern, die ihn mit bereits beladenen Lastkraftwagen und Sattelzügen abholten und mit ihm zu Schrottplätzen und Recyclinghöfen fuhren. Dort wurden der Schrott (Eisen und Buntmetalle, vor allem Kupfer) abgeladen und gewogen und der Ankaufspreis festgesetzt. Der Angeklagte erklärte jeweils - durch Unterschrift unter eine entsprechend vorgedruckte Lieferantenerklärung oder durch entsprechende handschriftliche Zusätze auf Wiegescheinen und Gutschriften - dass er Eigentümer des angelieferten Schrotts sei. Ferner legte er die "Steuerliche Bescheinigung" vom ... 2009 und regelmäßig seinen Personalausweis vor. Er erhielt dann - überwiegend mit einer von dem Abnehmer ausgestellten, Menge und At der angelieferten Altmetalle ausweisenden Gutschrift mit offenem Umsatzsteuerausweis - den Bruttoerlös einschließlich Umsatzsteuer bar ausgezahlt. Diese Beträge übergab er dann seinem jeweiligen Begleiter, der ihm daraus einen Anteil zahlte.
- 174
Die vom Angeklagten entgegen genommenen Gutschriften waren auch als solche oder als Ankaufsrechnung bezeichnet und auf Briefköpfen des jeweiligen Abnehmers ausgestellt oder mit dessen Stempel versehen worden. Ferner waren sie datiert, an den Angeklagten unter der Anschrift Straße-5 ... in S adressiert, nannten seine Steuernummer (..) und trugen eine (fortlaufende) Gutschriftennummer. (..) In einigen Fällen erhielt er keine Gutschriften, sondern legte - vermutlich von dem ihn begleitenden tatsächlichen Schrottverkäufer - per Computer erstellte, ebenfalls Art und Menge der angelieferten Altmetalle ausweisende Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis vor, in denen der Angeklagte mit der Anschrift Straße-5 ... in S als Lieferant aufgeführt war, oder er unterschrieb vor Ort eine mit Hilfe eines Rechnungsblocks verfasste handschriftliche Rechnung entsprechenden Inhalts.
- 175
Diese auch so bezeichneten Rechnungen wiesen Namen und Anschrift des Abnehmers als Rechnungsadressaten auf, nannten das (Leistungs-)Datum und die vorgenannte Steuernummer des Angeklagten. Überwiegend befand sich auf ihnen aber keine fortlaufende Rechnungsnummer.
- 176
Der Angeklagte wusste, dass die in den Rechnungen und Gutschriften ausgewiesene Umsatzsteuer (im vollen Umfang) an das Finanzamt abzuführen war. Er tat dies nicht, sondern verließ sich auf zusagen die Person, die ihn angesprochen und dabei geäußert hatte, man werde im gewissen Umfang "für ihn beim Finanzamt einzahlen, um zu zeigen, dass nicht nur rausgezogen werde". Solche Einzahlungen erfolgten indessen nicht. (...)
- 177
In der Anklageschrift wurde dem Angeklagten auch vorgeworfen, in einem erheblichen Umfang (Hinterziehungssumme mehr als ... €) unberechtigt Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis für Schrottlieferungen an die Abnehmerin A GmbH in C-... zwar ausgestellt, eine entsprechende Steuererklärung (Voranmeldung) aber nicht abgegeben zu haben. Von der Verfolgung dieser Teile der Tat hat die Kammer mit Beschluss vom ... 2011 gemäß § 154a Abs. 2 StPO abgesehen. Es bestehen Zweifel, ob die entsprechenden Unterschriften tatsächlich vom Angeklagten stammen und er bei den Lieferungen im Januar 2010 anwesend war.
(...)
- 178
Ende April 2010 hörte der Angeklagte auf. Er war nicht mehr bereit, Schrottlieferungen zu begleiten und dafür seinen Namen herzugeben. Er war zunehmend darüber verärgert, dass er nur geringe Beträge für seine Mitwirkung bekam. Er hatte zudem von einem der Komplementäre der HH OHG erfahren, dass es bei "seinen" Ablieferungen nicht mit rechten Dingen zugehe und er, der Angeklagte, wohl nur ein sogenannter Schreiber sei.
VII.
- 179
1. Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 26.02.2014 der Einzelrichterin übertragen (FGA Bl. 43).
- 180
2. Die Einzelrichterin hat den Kläger unter Setzung einer Ausschlussfrist bis zum 17.06.2014 aufgefordert, die die den einzelnen Einkaufs-Rechnungen der Firmen F, H GmbH & Co KG, R sowie D zugrunde liegenden Warenlieferungen in der Weise zu konkretisieren, dass im Einzelnen dargelegt wird, wer das Material anbot, wie ein Abnehmer gefunden wurde, mit wem die An- und Verkaufspreise ausgehandelt wurden und durch wen, wann von wo nach wo das Material geliefert wurde (FGA Bl. 290).
- 181
3. a) Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B, HH, VV, NN, TT, LL, JJ, EE, WW, FF und R. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des weiteren Inhalts der Verhandlungen wird auf den Inhalt der Sitzungsprotokolle vom am 17.04.2014 (FGA Bl. 152c ff.), 07.05.2014 (FGA Bl. 234 ff.), 28.05.2014 (FGA Bl. 299 ff.) und 11.06.2014 (FGA Bl. 320 ff.) Bezug genommen.
- 182
b) Das Gericht hat des weiteren Beweis erhoben durch die schriftliche Zeugenvernehmung der Zeugen M und D. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der M Recycling GbR vom 07.04.2014 (FGA Bl. 116 ff.) sowie des Faxes von Herrn D vom 25.06.2014 (FGA Bl. 372) Bezug genommen
- 183
Darüber hinaus wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschriften vom 26.06.2013 (FG-A Bl. 381 ff.) und vom 16.07.2014 (FG-A Bl. 397 ff.) sowie auf die oben angeführten Unterlagen und die damit zusammenhängenden Vorgänge aus der FGA und den folgenden Steuerakten:
- ein Band Haftungsakten (St.-Nr.-1)
- Steuerakten der A GmbH (St.-Nr.-2)
- ein Band Umsatzsteuerakten,
- ein Band Betriebsprüfungsakten,
- Band I und II der Rechtsbehelfsakten,
- Band I und II der Klageakten und
- vier Bände Betriebsprüfungsarbeitsakten
sowie den durch die Zeugen eingereichten Unterlagen in den beiden Sonderbänden (Sonderband Steuerfahndung sowie Sonderband "Inhalt Klarsichthülle") und dem - nicht beschrifteten - Aktenordner mit Originalunterlagen der A GmbH.
Entscheidungsgründe
- 184
B. Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.
- 185
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
- 186
Der Haftungsbescheid vom ... 2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO); das FA hat den Kläger zu Recht gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 69 AO für die Umsatzsteuersteuerschulden der A GmbH nebst steuerlicher Nebenleistungen in Haftung genommen.
- 187
1. Gemäß § 69 AO i. V. m. § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Der Haftungsschuldner kann gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.
- 188
Gesetzlicher Vertreter einer GmbH ist ihr Geschäftsführer (§ 35 GmbHG). Er hat insbesondere dafür zu sorgen, dass die (Umsatz-)Steuern fristgerecht erklärt (§ 149 AO i. V. m. § 18 UStG) und aus den Mitteln entrichtet werden, die er verwaltet (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO). Er ist demnach auch dazu verpflichtet, bereits vor Fälligkeit von Steuerforderungen Vorsorge für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu treffen (vgl. BFH-Urteile vom 04.12.2007 VII R 18/06 BFH/NV 2008, 521; vom 11.03.2004 VII R 19/02, BStBl II 2004, 967). Reichen bei Zahlungsschwierigkeiten die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung aller fälligen Schulden aus, haftet der Geschäftsführer für eine angemessene - zumindest der Befriedigung der anderen Gläubiger entsprechende - Tilgung der Umsatzsteuerforderungen (BFH-Urteil vom 26.04.1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776).
- 189
a) Der Kläger war als eingetragener Geschäftsführer der A GmbH ihr gesetzlicher Vertreter i. S. v. § 34 Abs. 1 AO.
- 190
b) Der Kläger hat als Geschäftsführer der A GmbH die ihm nach § 34 AO obliegenden steuerlichen Pflichten verletzt, indem er zu Unrecht aus den Einkaufsrechnungen/-gutschriften von Herrn D, Herrn F, der Fa. H und dem Zeugen R die ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht (aa)) sowie die sich für die VAZ November 2010 und März 2011 ergebende Umsatzsteuerzahllast nicht abgeführt hat (bb)).
- 191
Hinsichtlich des Grundes und der Höhe der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten sind Einwendungen des Klägers nicht grundsätzlich nach § 166 AO ausgeschlossen, da die durch die A GmbH gegen die streitgegenständlichen Umsatzsteuerfestsetzungen eingelegten Einsprüche durch den Insolvenzverwalter zurückgenommen wurden zu einem Zeitpunkt, zu dem der Kläger aufgrund des Insolvenzverfahrens nicht mehr vertretungsberechtigt war.
- 192
Die durch den Kläger erhobenen Einwendungen gegen die Versagung des Vorsteuerabzugs greifen aber nicht durch, da sie nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 1 UStG belegen.
- 193
aa) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, dann als Vorsteuer abziehen, wenn er eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Rechnung kann nach § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG für eine Lieferung oder sonstige Leistung auch von einem Leistungsempfänger, der Unternehmer oder eine nichtunternehmerische juristische Person ist, im sog. Gutschriftverfahren ausgestellt werden, sofern dies vorher vereinbart wurde.
- 194
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH kommt der Anspruch auf Vorsteuerabzug nur dann in Betracht, wenn der Rechnungsaussteller bzw. der Empfänger der Gutschrift und der leistende Unternehmer im Sinne von § 2 UStG, der die in der Rechnung bezeichnete Lieferung oder sonstige Leistung gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt hat, identisch sind (vgl. BFH-Urteile vom 07.07.2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139; vom 04.09.2003 V R 9, 10/02 BStBl. II 2004, 627; vom 26.06.2003 V R 22/02, BFH/NV 2004, 233; vom 16.08.2001 V R 67/00, UR 2002, 213; Urteil des FG Hamburg vom 20.09.2011 2 K 139/09, juris).
- 195
aaa) Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen. Leistender ist in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst ausführt oder durch einen Beauftragten ausführen lässt. Ob eine Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei der Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (BFH-Urteile vom 12.05.2011 V R 25/10, BFH/NV 2011, 1541; vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867; vom 12.08.2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259, vom 07.07.2005 V R 60/03, BFH/NV 2006, 139; vom 26.06.2003 V R 22/02, BFH/NV 2004, 233).
- 196
bbb) Leistender kann dabei auch ein "Strohmann" sein. Tritt jemand im Rechtsverkehr (sog. "Strohmann") im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen auf, der - aus welchen Gründen auch immer - nicht selbst als berechtigter oder verpflichteter Vertragspartner in Erscheinung treten will (sog. "Hintermann"), ist zivilrechtlich grundsätzlich nur der "Strohmann" aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet. Dementsprechend sind dem "Strohmann" auch solche Leistungen zuzurechnen, die der "Hintermann" berechtigterweise im Namen des "Strohmannes" tatsächlich ausgeführt hat (BFH-Urteil vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867).
- 197
Unbeachtlich ist das "vorgeschobene" Strohmanngeschäft (vgl. § 41 Abs. 2 AO) nur dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen wird, d. h. wenn die Vertragsparteien - der "Strohmann" und der Leistungsempfänger - einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem "Hintermann" eintreten sollen (vgl. BFH-Beschluss vom 17.10.2003 V B 111/02, BFH/NV 2004, 235). Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger weiß oder davon ausgehen muss, dass der Strohmann keine eigene - ggf. auch durch Subunternehmer auszuführende - Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft übernehmen will und dementsprechend auch keine eigenen Leistungen versteuern will (vgl. BFH-Urteile vom 17.02.2011 V R 30/10, BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769; vom 10.11.2010 XI R 15/09, BFH/NV 2011, 867; BFH-Beschluss vom 31.01.2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622).
- 198
ccc) Dabei trägt in tatsächlicher Hinsicht der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt sind (BFH-Urteile vom 12.08.2009 XI R 48/07, BFH/NV 2010, 259; vom 04.09.2003 V R 9 und 10/02, BFH/NV 2004, 149). Vorliegend trifft damit den Kläger auch im Haftungsverfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorhandensein aller Voraussetzungen derjenigen Normen, ohne deren Anwendung sein Prozessbegehren keinen Erfolg haben kann (BFH-Urteil vom 12.08.2009 XI R 4/08, BFH/NV 2010, 393), hier somit für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG. Demzufolge ist es seine Sache, entscheidungserhebliche Tatsachen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht vorzutragen und zu belegen. Das gilt auch, soweit es um die Frage geht, ob der Kläger Kenntnis von der Strohmanneigenschaft des als Leistender Auftretenden hatte oder haben musste und auch für das Wissen oder Wissenkönnen vom Tatplan eines Vor- oder Nachlieferanten (BFH-Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315). Die Schwierigkeit eines Negativbeweises ändert die Verteilung der Beweislast grundsätzlich nicht. Denn denjenigen, der sich auf das Nichtvorliegen von Tatsachen oder Umständen beruft, kann die Feststellungslast ohnehin nur treffen, wenn der Gegner - hier das FA - substantiierte Tatsachen oder Umstände vorgetragen hat, die für das Vorliegen des Positivums sprechen (BFH-Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315; BFH-Beschluss vom 08.04.1993 X B 22/92, BFH/NV 1994, 180).
- 199
ddd) An dieser Verteilung der objektiven Feststellungslast ändert sich im vorliegenden Fall auch nichts durch das EuGH-Urteil vom 21.06.2012 (C-80/11 und C 142/11 Mahageben und David, UR 2012, 591). Danach kann der Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug dem Steuerpflichtigen nur verweigert werden, wenn der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Umsatz in eine vom Liefernden bzw. vom Leistenden oder einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden Umsatzstufe begangene Steuerhinterziehung einbezogen war und aufgrund der von den Steuerbehörden beigebrachten objektiven Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige dies wusste oder hätte wissen müssen. Da es sich bei der Versagung um eine Ausnahme handelt, ist zunächst das Vorliegen aller materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs zu prüfen und zu bejahen. Erst wenn die den Vorsteueranspruch begründenden Tatsachen durch den Steuerpflichtigen nachgewiesen wurden, stellt sich die Frage nach dem Nachweis des Ausnahmetatbestandes (vgl. Lohse, BB 2014, 860).
- 200
eee) Bei Anwendung dieser Grundsätze war der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Zeugen D, des Herrn F und des Zeugen R sowie der Fa. H nicht zuzulassen.
- 201
(1) Das Gericht ist aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Zeuge D, Herr F, die Fa. H und der Zeuge R jeweils von einem Dritten als Strohmann vorgeschoben und daher lediglich als Rechnungsschreiber bzw. Gutschriftenempfänger auftraten, aber nicht die tatsächlichen Leistungserbringer waren und aus dem Rechtsgeschäft keine Verpflichtungen übernehmen wollten, insbesondere die Leistungen nicht versteuern wollten.
- 202
Im Einzelnen:
- 203
(a) Bezüglich des Zeugen D beruht diese Überzeugung auf seinen eigenen glaubhaften Angaben gegenüber dem Zeugen JJ am ... 2011, deren Inhalt der Zeuge JJ in seiner Vernehmung am 28.05.2014 bestätigte, auf den ausführlichen Feststellungen sowie den daraus nachvollziehbar gezogenen Schlussfolgerungen der Steufa L in ihren Berichten (oben A. VI. 1 b)), den Feststellungen in dem Urteil das AG L vom ... 2013 in Verbindung mit der Anklageschrift vom 13.09.2011 (oben A. VI. 1 c) und d)), den glaubhaften Angaben des Zeugen JJ in seiner Vernehmung am 28.05.2014 sowie den schriftlichen Angaben des Zeugen D in dem Fax vom 25.06.2014.
- 204
Danach ergibt sich folgendes Bild:
- Herr D war im Jahr 2009 erst 19 Jahre alt und hatte keinen Schulabschluss erlangt;
- nur zwei Tage nach seiner steuerlichen Erfassung durch das FA J (oben A. I. 3. b) cc) aaa)) begannen die Lieferungen an die A GmbH am ... 2009. Über einen Zeitraum von 6 Monaten wurden insgesamt 42 Lieferungen (bei Rechnungsnummern von ... bis ...) über insgesamt ... € abgerechnet;
- der Zeuge D hatte keine Erfahrung im Schrotthandel; dies zeigt sich insbesondere auch dadurch, dass der Kläger dem Zeugen D, der keinerlei Erfahrung im Ausfertigen von Rechnungen hatte, die erste Rechnung vorschreiben musste, nach dessen Vorbild der Zeuge D die weiteren an die A GmbH gerichteten Rechnungen fertigte;
- die Rechnungen enthalten teilweise doppelte Rechnungsnummern, erfüllen also nicht die Voraussetzungen des §§ 14, 14a UStG;
- die Rechnungsbeträge wurden ausschließlich bar gezahlt;
- der Zeuge D wurde zu den einzelnen Ablieferungsstellen gefahren, um dort Unterschriften zu leisten, dabei wurde er zuvor angekündigt mit den Worten, dass "gleich einer zum Abrechnen" komme, d. h. im Zusammenhang mir den einzelnen Lieferungen ist der Zeuge D gegenüber der A GmbH nicht z. B. zwecks Preisabsprache, Terminabsprache usw. tätig geworden;
- aus den vorliegenden Kassenbuchaufzeichnungen (oben A.I.3.c)) ergibt sich, dass in diesen Monaten neben den Barzahlungen an Herrn D nur noch in geringem Umfang weitere Bargeldbeträge ein- und ausgezahlt wurden, insbesondere keine anderen Metallankäufe größeren Umfangs gegen Bargeld getätigt wurden;
- der Zeuge D war nach seinen eigenen glaubhaften Angaben tatsächlich ein bloßer Schreiber und hatte keine Verfügungsgewalt über die Ware, kaufte sie zuvor nicht selber an, besorgte nicht ihren Transport, verhandelte nicht über die Preise, hatte an der angegebenen Rechnungsanschrift tatsächlich keinen Geschäftssitz etc. und wurde dementsprechend als Schuldner von gem. § 14c Abs. 2 UStG unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer verurteilt;
- die Herkunft des Schrotts war dem Kläger unbekannt;
- aufgrund des festgestellten Kassenfehlbetrags steht fest, dass am 17.06.2009 nicht genügend Bargeld für die Zahlung der Rechnung des Zeugen D zur Verfügung stand. Die diesbezügliche Erklärung des Klägers ist nicht geeignet, diese Feststellung zu erschüttern, denn damit räumt er ein, das Kassenbuch nicht ordnungsgemäß geführt zu haben, so dass den Eintragungen gar kein Beweiswert mehr zukäme.
- 205
(ß) Hinsichtlich Herrn F beruht diese Überzeugung auf den ausführlichen Feststellungen sowie den daraus nachvollziehbar gezogenen Schlussfolgerungen der Steufa L in dem Bericht vom ... 2013 (oben A. VI. 2) sowie den Angaben des Zeugen LL in seiner Vernehmung am 07.05.2014.
- 206
Danach ergibt sich folgendes Bild:
- nur 1 Monat nach der Gewerbeanmeldung vom ... 2009 begannen die Lieferungen an die A GmbH am ... 2009. Über einen Zeitraum von knapp 3 Wochen wurden insgesamt 6 Lieferungen über insgesamt ... € abgerechnet;
- es wurde - mit einer Ausnahme (RbA Bd. I Bl. 78) - ausschließlich bar gezahlt;
- die Zahlungen wurden z. T. gar nicht, z. T. nur unleserlich auf den Gutschriften quittiert, eine Unterschrift (BpAA Bd. III Bl. 42) könnte von Herrn K stammen, wobei aber keine Unterschrift des Herrn K zu den Unterlagen der A GmbH zwecks Vergleichs genommen worden war;
- der eigentliche Geschäftspartner (Herr F) ließ sich von einem Handlungsbevollmächtigten vertreten;
- die Herkunft des Schrotts war dem Kläger unbekannt.
- 207
?) Bezüglich der Fa. H beruht die Überzeugung auf den ausführlichen Feststellungen sowie den daraus nachvollziehbar gezogenen Schlussfolgerungen der Steufa P in dem Bericht vom ... 2012 (oben A. VI. 3a)), den glaubhaften Angaben des Zeugen NN in seiner Vernehmung am 07.05.2014, den glaubhaften Angaben des Zeugen EE in seiner Vernehmung am 28.05.2014, der Einlassung des Zeugen FF als Angeklagter in der mündlichen Verhandlung vor dem AG GG am ... 2013, den Feststellungen in dem Urteil des AG GG vom ... 2013 (oben A. VI. 3c)) sowie den Angaben des Zeugen FF in seiner Vernehmung am 11.06.2014.
- 208
Danach ergibt sich folgendes Bild:
- der Zeuge FF hat im Jahr 2010 Abdeck-/Scheinrechnungen unter den Schein-Firmen PP Bau GmbH, H Bau GmbH & Co KG, H GmbH & Co KG sowie RR GmbH ausgestellt, denen tatsächlich keine Leistungen zugrunde lagen;
- der Zeuge FF verfügte dafür über einen mobilen Koffer und eine Mappe mit Unterlagen zur Übergabe an den jeweiligen Rechnungsempfänger zur Vorlage beim Finanzamt;
- der Zeuge FF war nicht im Metall- und Schrotthandel, sondern tatsächlich im Baugewerbe tätig;
- der Zeuge FF hatte ein Büro in Straße-1 ... auf dem Betriebsgelände der A GmbH für seine Bautätigkeit angemietet;
- Herr O war im Jahr 2010 nicht mehr eingetragener Geschäftsführer der Fa. H;
- der Zeuge FF hat in seiner Vernehmung am 11.06.2014 bekundet, dass es sich bei für die A GmbH gebuchten und dem Vorsteuerabzug unterworfenen Rechnungen der Fa. H ebenfalls um bloße Scheinrechnungen gehandelt habe, denen keine Lieferung zugrunde gelegen hätten. Er habe zwar auch Metalle an die A GmbH geliefert, dies aber unter dem Briefkopf der RR GmbH abgerechnet;
- es wurde ausschließlich bar gezahlt;
- die Zahlungen wurden überwiegend gar nicht auf den Rechnungen oder auf einem sonstigen Schriftstück quittiert; lediglich auf der Rechnung vom ... 2010 befindet sich ein Stempel der Fa. H und darauf die Unterschrift "O" (BpAA Bd. III Bl. 72);
- die Herkunft des Schrotts war dem Kläger unbekannt;
- die dem Kläger anlässlich der ersten Besprechung ausgehändigten Unterlagen waren gefälschte Urkunden.
- 209
d) Hinsichtlich des Zeugen R beruht diese Überzeugung auf seinen eigenen glaubhaften schriftlichen Angaben in dem gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (oben A.I.7c)), den ausführlichen Feststellungen sowie den daraus nachvollziehbar gezogenen Schlussfolgerungen der Steufa S in dem Bericht vom ... 2011 (oben A.VI. 4a)), den Feststellungen in dem Urteil des LG UU vom ... 2011 (oben A.VI.4.b), den Angaben des Zeugen TT in seiner Vernehmung am 07.05.2014 sowie den Angaben des Zeugen R in seiner Vernehmung am 11.06.2014.
- 210
Danach ergibt sich folgendes Bild:
- 5 Monate nach der Gewerbeanmeldung (oben A. I. 7.b)) begannen die Lieferungen an die A GmbH am ... 2009. Über einen Zeitraum von nur gut 2 Monaten wurden insgesamt 12 Lieferungen über insgesamt ... € abgerechnet;
- die Rechnungsnummern in 2010 sind nicht fortlaufend, erfüllen also nicht die Voraussetzungen des §§ 14, 14a UStG;
- die Rechnungsbeträge wurden ausschließlich bar bezahlt;
- der Zeuge R war nach seinen eigenen glaubhaften Angaben tatsächlich ein bloßer Schreiber und hatte keine Verfügungsgewalt über die Ware, kaufte sie zuvor nicht selber an, besorgte nicht ihren Transport, verhandelte nicht über die Preise, hatte an der angegebenen Rechnungsanschrift tatsächlich keinen Geschäftssitz etc. und wurde dementsprechend als Schuldner von gem. § 14c Abs. 2 UStG unberechtigt ausgewiesener Umsatzsteuer verurteilt;
- die Herkunft des Schrotts war dem Kläger unbekannt;
- die Rechnungen in 2010 hat der Zeuge R mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht selbst geschrieben; er äußerte in seiner Vernehmung Zweifel daran, dass es sich bei den Unterschriften auf den Rechnungen um seine Unterschrift handele; diese Zweifel hatte er zuvor schon vor dem LG UU geäußert, das daraufhin von der Verfolgung dieser Teile der Tat gem. § 154a Abs. 2 StPO abgesehen hat;
- der Zeuge R war in 2009/2010 schwer heroinabhängig; nach seiner eigenen Einschätzung war dies auch erkennbar, sonst wäre er ja nicht so ausgenutzt worden.
- 211
(2) Es bestanden hinreichend Anhaltspunkte für den Kläger, die Verhältnisse der streitigen Lieferanten zu überprüfen. Dabei ist zunächst einmal zu berücksichtigen, dass der Metallhandel eine Branche ist, in der ein Teil der Marktteilnehmer ihre geschäftliche Tätigkeit auf eine Hinterziehung von Umsatzsteuer ausrichtet ("Hochrisikobranche"), was letztendlich zur Einführung des § 13b Abs. 2 Nr. 7 UStG geführt hat, wonach die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers erweitert wurde auf steuerpflichtige Lieferungen von Industrieschrott, Altmetallen und sonstigen Abfallstoffen. Zudem wurde der überwiegende Anteil der Lieferungen als sog. Strecken- bzw. Reihengeschäft abgewickelt, so dass die Ware nicht auf den Platz der A GmbH angeliefert wurde und daher der persönliche Kontakt zu den Lieferanten weniger intensiv war. Bereits unter diesen Umständen bestand im Streitfall Anlass, die Identität der gegenüber der A GmbH auftretenden Personen eingehend zu prüfen. Dies galt umso mehr, als bei der von der A GmbH gehandelten Ware die Gefahr groß ist, auf Hehlerware von Diebstählen zu stoßen. Angesichts dieser Umstände und der überwiegenden Barzahlungen unterlag der Kläger als Geschäftsführer der A GmbH weitgehenden Sorgfaltspflichten.
- 212
Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Kläger zumindest damit rechnete und billigend in Kauf nahm, dass der Zeuge D, Herr F, die Fa. H und der Zeuge R nicht die tatsächlich Leistenden waren, sondern nur rechnungsmäßig in die Leistungskette eingeschaltet wurden und weder eine eigene Verpflichtung eingehen noch Steuern entrichten wollten.
- 213
Dies folgert das Gericht aus folgenden Umständen:
a)
Bezüglich des Zeugen D
-
kannte der Kläger das geringe Alter von dem Zeugen D;
-
kann dem Kläger, der nach eigenen Angaben bereits jahrelang im Schrotthandelsgewerbe tätig ist, zur Überzeugung des Gericht nicht verborgen geblieben sein, dass der Zeuge D über keinerlei vertiefte Kenntnisse im Schrott- und Metallhandel verfügte; zumal der Zeuge D nicht in der Lage war, eine ordnungsgemäße Rechnung zu schreiben, so dass der Kläger ihm die erste Rechnung "vorschreiben" musste;
-
sah sich der Kläger veranlasst, auf Rechnungserteilung durch den Zeugen D hinzuwirken und nicht durch Gutschriften abzurechnen;
-
wurde der Zeuge D dem Kläger als der, "der zum Abrechnen kommt", angekündigt. Dies steht aufgrund der glaubhaften Angaben von dem Zeugen D fest: Zwar hatte der Zeuge D keine konkrete Erinnerung an die A GmbH mehr, er schilderte jedoch ausführlich seine Erinnerungen an die Fahrten nach C. Da es sich bei der Fa. A GmbH nach den Feststellungen der Steuerfahndung um die einzige Abnehmerin mit Geschäftssitz in C handelte, ist das Gericht davon überzeugt, dass die von Herrn D beschrieben Vorgehensweise bei den Abrechnungen auch bei der A GmbH praktiziert wurde;
-
war dem Kläger aufgrund der ihm vorgelegten Unterlagen bekannt, dass sich der Zeuge D unmittelbar nach seiner steuerlichen Erfassung bei der A GmbH als Lieferant vorstellte, ohne der A GmbH speziell vermittelt/empfohlen worden zu sein. Diesen Umstand hätte der Kläger zum Anlass nehmen müssen, den Zeugen D nach seinen Erfahrungen im Schrotthandel und seinen Referenzen zu fragen, und sich danach zu erkundigen, wie er gerade auf die A GmbH als mögliche Geschäftspartnerin komme etc. Diese Nachfragen hat der Kläger aber gerade nicht gestellt;
-
wurden zum Teil tägliche bzw. mit nur geringem zeitlichen Abstand Lieferungen von nicht geringer Menge abgerechnet, ohne dass der Kläger Erkundigungen über die Herkunft des Schrotts einholte bzw. entsprechende Nachfragen bei dem Zeugen D stellte.
- 214
ß)
Bezüglich Herrn F
-
wusste der Kläger von Anfang an, dass nicht Herr F, sondern Herr K die Lieferungen abwickeln werde. Nach dem Grund für diese Vorgehensweise hat er sich nach eigenen Angaben nicht erkundigt;
-
wurden die Zahlungen nur unleserlich quittiert;
-
wurden mit nur geringem zeitlichen Abstand Lieferungen von hoher Menge abgerechnet, ohne dass der Kläger Erkundigungen über die Herkunft des Schrotts einholte bzw. entsprechende Nachfragen bei Herrn F stellte;
-
hat der Kläger den Umstand, dass die Bescheinigung des FA G am ... 2009 und damit vor der Gewerbeanmeldung vom ... 2009 ausgestellt wurde, nicht als Anlass für Rückfragen bei Herrn F genommen. Der - behauptete - Telefonanruf beim FA G kann den Kläger insoweit nicht vollständig entlasten, denn die Frage, ob Herr F steuerlich geführt werde, ist insoweit nicht ausreichend, vielmehr hätte der Kläger auch erfragen müssen, ob Herr F seinen steuerlichen Pflichten (insbesondere Abgabe der USt-Voranmeldungen) nachkommt.
- 215
?)
Bezüglich der Fa. H
-
konnte aufgrund der widersprüchlichen Angaben des Zeugen FF in seiner Zeugenvernehmung am 11.06.2014 nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob den Rechnungen der Fa. H an die A GmbH tatsächlich Lieferungen zugrunde lagen oder ob es sich um "bestellte" Schein-/Abdecklieferungen handelte. Diese Frage kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, weil selbst für den Fall, dass tatsächlich Lieferungen stattgefunden hätten, der Kläger zur Überzeugung des Gerichts zumindest damit rechnete und billigend in Kauf nahm, dass die Fa. H nicht die tatsächliche Lieferantin der abgerechneten Metalle war, denn
-
der Kläger wusste, dass der Zeuge FF eigentlich im Baugewerbe tätig war. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts zum einen daraus, dass der Zeuge FF in Straße-1 ... ein Bürozimmer für seine Tätigkeit im Baugewerbe angemietet hatte und der Kläger - wie er selbst einräumte - Kontakt zu ihm hatte, sowie aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen EE, der bekundete, der Zeuge FF habe sich stets mit seinen guten Leistungen im Baubereich gebrüstet, insbesondere damit, der ... zu sein;
-
der Kläger hat nicht aufgeklärt, wie der Bauunternehmer FF plötzlich an Metallschrott kommen sollte. Nach seinen, des Klägers, Angaben habe der Zeuge FF behauptet, der Schrott stamme von verschiedenen Baustellen. Der Kläger hat aber nicht vorgetragen, den Schrott auf diese behauptete Herkunft überprüft zu haben;
-
der Kläger hat nicht weiter aufgeklärt, weshalb der Zeuge FF für die Fa. H auftrat. Die Verbindung zwischen Herrn O und dem Zeugen FF hat der Kläger nicht hinterfragt. Der Kläger hat auch keinen Handelsregisterauszug angefordert, sonst hätte er erfahren, dass Herr O gar nicht (mehr) der Geschäftsführer der Fa. H war und
-
der Kläger hätte durch einen aufmerksamen Blick feststellen können, dass es sich bei den überreichten Unterlagen um Fälschungen handelt, so trägt die Gewerbeanmeldung z. B. zwei unterschiedliche Daten sowie eine uneinheitliche Nummerierung.
- 216
d)
Bezüglich des Zeugen R
-
wurden mit nur geringem zeitlichen Abstand Lieferungen von hoher Menge gegenüber der A GmbH abgerechnet, ohne dass der Kläger Erkundigungen über die Herkunft des Schrotts einholte bzw. entsprechende Nachfragen bei dem Zeugen R stellte;
-
notierte sich der Kläger keine Kfz-Nummern bzw. die Namen der Anlieferer;
-
hat sich der Kläger nicht zu den von dem Zeugen R selbst geäußerten Zweifeln eingelassen, ob auch in 2010 der Zahlungserhalt tatsächlich von dem Zeugen R quittiert wurde;
-
war für den Kläger ersichtlich, dass die Rechnungsnummern in 2010 nicht fortlaufend waren (oben A. I. 7.a));
-
hat der Zeuge HH dem Zeugen R auf den Kopf zugesagt, dass er ein bloßer Schreiber sei und er, der Zeuge HH, keine Umsatzsteuer mehr an ihn auszahlen würde. Nach den glaubhaften Angaben des Zeugen R in seiner Vernehmung am 11.06.2014 konfrontierte ihn der Zeuge HH mit seiner, des Zeugen R, "Schreibereigenschaft", nachdem die Geschäfte ein Volumen von ... € erreicht gehabt hätten. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass auch für den Kläger die "Schreibereigenschaft" des Zeugen R erkennbar war und er mit dieser rechnete, er jedoch nicht die gleichen Konsequenzen wie der Zeuge HH zog.
- 217
(3) Darüber hinaus ist der Vorsteuerabzug auch deshalb zu versagen, weil der in den Rechnungen angegebene Sitz des jeweils leistenden Unternehmens bei der Ausführung der Leistung und bei Rechnungsstellung tatsächlich nicht bestanden hat (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Urteil vom 19.04.2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315; BFH-Beschluss vom 31.01.2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622, Beschluss des FG Hamburg vom 23.09.2005 III 71/05, EFG 2006, 149). Vorliegend hatten schon die vermeintlichen Lieferanten keinen Geschäftssitz an den in den Rechnungen angegebenen Adressen.
- 218
Die Frage, ob der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer die Feststellungslast dafür trägt, dass der in den Rechnungen angegebene Sitz tatsächlich bestanden hat (so BFH-Urteile vom 06.12.2007, V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695; vom 19.04.2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BStBl II 2009, 315; Beschluss des FG Hamburg vom 26.10.2010 3 V 85/10, EFG 2011, 1111) oder ob nach dem EuGH-Urteil vom 21.06.2012 diesbezüglich die objektive Feststellungslast nunmehr beim FA liegt (so Beschluss des FG Münster vom 12.12.2013 5 V 1934/13 U, EFG 2014, 395), kann dahingestellt bleiben, da der Kläger aufgrund der bereits festgestellten Gesamtumstände und Unregelmäßigkeiten verpflichtet war, sich über den Sitz des jeweils leistenden Unternehmens zu vergewissern.
- 219
(4) Weder der Kläger noch die A GmbH im damaligen AdV-Verfahren haben die von der Umsatzsteuer-Sonderprüfung in den Prüfungsberichten vom ... 2011 bereits aufgezeigten Ungereimtheiten und Widersprüchlichkeiten widerlegen oder erklären können. Der Kläger hat trotz der Setzung einer Ausschlussfrist (oben) keine konkreten Angaben gemacht bzw. ergänzende Nachweise eingereicht, wonach die genannten Rechnungsaussteller tatsächlich als Erbringer der gegenüber der A GmbH abgerechneten Leistungen anzusehen wären.
- 220
(5) Ohne Bedeutung ist im Ergebnis, dass der Kläger sich die für die Unternehmereigenschaft sprechenden Unterlagen der streitigen Lieferanten hat vorlegen lassen. Dem Gericht ist aus früheren Verfahren bekannt, dass gerade bei der Einschaltung von Strohmännern Wert darauf gelegt wird, dass die formellen Nachweise zur Prüfung der Unternehmereigenschaft vorhanden sind. Dies dürfte auch dem Kläger nicht verborgen geblieben sein.
- 221
Die von dem Kläger beantragte Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung und Einholung eines Sachverständigengutachtens war nicht durchzuführen. Die zum Beweis gestellten Tatsachen sind nicht beweisbedürftig bzw. können als wahr unterstellt werden.
- 222
Im Einzelnen:
Die Tatsache, dass das Schrotthandelsgewerbe traditionell und seit Generationen von ethnischen Minderheiten und sozialen Randgruppen dominiert werde, kann als wahr unterstellt werden.
- 223
Die Tatsache, dass die im einzelnen aufgeführten Zeugen mit den hier streitgegenständlichen Lieferanten (einzeln oder allen) auch in Geschäftsbeziehung standen und sie zur Überprüfung und Versicherung der Identität und der Unternehmereigenschaft der hier streitgegenständlichen Lieferanten dieselben Maßnahmen ergriffen hätten wie der Kläger, wobei diese Maßnahmen üblich seien im Schrotthandelsgewerbe und weitere Möglichkeiten zur Überprüfung und Versicherung der Identität und der Unternehmereigenschaft der hier streitgegenständlichen Lieferanten ihnen und auch dem Kläger nicht zur Verfügung gestanden hätten, ist nicht beweisbedürftig, da es vorliegend ausschließlich um die Verhältnisse bei der A GmbH und die im Streitfall - erhöhten - persönlichen Pflichten des Klägers geht.
- 224
Die im Zusammenhang mit den "Neuhändlern" unter Beweis gestellten Tatsachen sind ebenso wie die unter Beweis gestellte Tatsache, dass das Streckengeschäft ein übliches und auch wirtschaftlich sinnvolles Geschäftsmodell sei, ebenfalls nicht beweisbedürftig. Das Gericht hat bei seiner Überzeugungsbildung keinen allgemein gültigen Erfahrungssatz dahingehend zugrunde gelegt, dass wenn "Neuhändler" hohe Umsätze tätigten, dies ein Indiz für eine etwaige Strohmanntätigkeit sei, und hält es auch nicht per se für ungewöhnlich, wenn Neuhändler gleich zu Beginn der Geschäftsaufnahme hohe Umsätze erwirtschaften und wenn Geschäfte im Metall- und Schrotthandel in Form sog. Streckengeschäfte abgewickelt werden.
- 225
bb) Bezüglich der VAZ November 2010 und März 2011 hat der Kläger seine Pflicht verletzt, die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen der A GmbH bei deren Fälligkeit am 23.12.2010 sowie am 13.09.2011 zu entrichten.
- 226
c) Der Kläger hat die Pflichtverletzungen auch verschuldet. Er hat zumindest grob fahrlässig gehandelt.
- 227
Grob fahrlässig handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich großem Maße verletzt (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rn. 26).
- 228
aa) Bezüglich der gezogenen Vorsteuer hätte sich der Kläger nicht einfach auf die Richtigkeit der Angaben bzgl. des leistenden Unternehmers und des angegebenen Geschäftssitzes verlassen dürfen (s.o.).
- 229
bb) Bezüglich der nicht entrichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für November 2010 in Höhe von ... sowie März 2011 in Höhe von ... € hätte der Kläger hinreichende Mittel zur Verfügung stellen müssen.
- 230
d) Auch die Inanspruchnahme des Klägers in der geltend gemachten Höhe ist rechtmäßig; insbesondere fehlt es nicht an der haftungsbegründenden Kausalität.
- 231
Hinsichtlich des Umfangs der Haftung aufgrund einer Pflichtverletzung nach § 69 AO gilt, dass zwischen der Pflichtverletzung und dem mit dem Haftungsbescheid geltend gemachten Schaden eine adäquate Kausalität bestehen muss. Dies ergibt sich aus dem Schadensersatzcharakter der Vorschrift (BFH-Urteil vom 06.03.2003 VII R 17/00, BFH/NV 2001, 1100). Danach sind solche Pflichtverletzungen für den Erfolg ursächlich, die allgemein und erfahrungsgemäß geeignet sind, diesen Erfolg zu verursachen.
- 232
aa) Bezüglich der ausgezahlten Vorsteuern für die streitgegenständlichen VAZ Juni, Juli und Dezember 2009, Januar, Februar bis April 2010 ergibt sich ein adäquater Kausalzusammenhang bereits daraus, dass bei einer zutreffenden Voranmeldung keine Auszahlung an die A GmbH vorgenommen worden wäre (vgl. Beschluss des FG Hamburg vom 26.10.2010 3 V 85/10, EFG 2011, 111; Urteil des FG Brandenburg vom 04.04.2004 3 K 418/01, EFG 2005, 665). Durch die Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen ist dem FA ein Schaden durch die Auszahlung der zu Unrecht angemeldeten Vorsteuern entstanden. Der Grundsatz der nur anteiligen Tilgungsverpflichtung greift insoweit nicht ein, weil es sich nicht um eine Zahlungsverpflichtung der A GmbH, sondern um eine zu Unrecht an die A GmbH ausgezahlte Steuervergütung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.1995 VII R 99-100/94, BFH/NV 1996, 97).
- 233
bb) Entsprechendes gilt bezüglich der streitgegenständlichen VAZ August bis November 2009, in denen aufgrund der zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuerbeträge eine zu niedrige Zahllast festgesetzt wurde. Insoweit ist bereits durch das Einreichen der falschen Umsatzsteuer-Voranmeldungen ein adäquat kausaler Schaden entstanden (vgl. Urteil des FG Köln vom 31.03.2009 8 K 1483/06, EFG 2009, 1359).
- 234
cc) aaa) Bezüglich der streitgegenständlichen VAZ November 2010 und März 2011 gilt, dass der Umfang der Haftung nach § 69 AO auf den Betrag beschränkt ist, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet wurde. Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt keine ausreichenden Mittel zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 01.08.2000 VII R 110/99, BStBl II 2001, 271). Der Fiskus darf gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden. Ein Geschäftsführer, der dies gleichwohl tut, handelt in der Regel - d. h. soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen - zumindest grob fahrlässig (vgl. BFH-Urteil vom 11.03.2004 VII R 52/02, BStBl II 2004, 579).
- 235
bbb) Rückständige Umsatzsteuer ist danach vom Geschäftsführer in ungefähr dem gleichen Verhältnis zu tilgen wie die Verbindlichkeiten gegenüber anderen Gläubigern. Ist dies nicht geschehen, so liegt im Umfang des die durchschnittliche Tilgungsquote unterschreitenden Differenzbetrages (= Haftungssumme) eine schuldhafte Pflichtverletzung vor, für die der Geschäftsführer als Haftungsschuldner einzustehen hat (BFH-Beschluss vom 16.02.2006 VII B 122/05, BFH/NV 2006, 1051).
- 236
Hierzu hat das Finanzamt unter Berücksichtigung der vorhandenen Daten und Zahlen die Haftungsquote zu ermitteln oder - soweit der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden kann - im Schätzungswege die Quote festzustellen, die der Wahrscheinlichkeit am nächsten kommt (§ 162 AO). Zur Feststellung der Haftungssumme kann das Finanzamt vom Geschäftsführer einer GmbH, den es als Haftungsschuldner wegen der nicht entrichteten Umsatzsteuer in Anspruch nehmen will, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die Gesamtverbindlichkeiten und die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum verlangen (§ 90 Abs. 1 AO, vgl. BFH-Urteile vom 27.02.2007 VII R 60/05, BFH/NV 2007, 1731; vom 31.03.2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322). Macht der Haftungsschuldner keine oder nur unvollständige Angaben, kann er sich auf Schätzungsfehler des FA nur in einem eingeschränkten Umfang berufen. Will er eine für ihn günstigere Haftungsquote erreichen, bleibt es ihm vorbehalten, einen entsprechenden Liquiditätsstatus der GmbH vorzulegen. Ein Schätzungsfehler kann dem FA, das keinerlei Angaben über die Gesamtverbindlichkeiten und die Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten erhalten hat, nicht vorgeworfen werden (BFH-Urteil vom 26.10.2011 VII R 22/10, BFH/NV 2012, 777; BFH-Beschluss vom 31.03.2000 VII B 187/99, BFH/NV 2000, 1322).
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Die Feststellungslast für eine Benachteiligung des Fiskus trägt zwar grundsätzlich das Finanzamt. Es kann aber von dem durch Haftungsbescheid in Anspruch genommenen Geschäftsführer verlangen, dass er die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte erteilt und insbesondere Feststellungen zur Höhe der Gesamtverbindlichkeiten der Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Umsatzsteuerschulden sowie zur Höhe der an sämtliche Gläubiger geleisteten Zahlungen ermöglicht (BFH-Urteil vom 23.08.1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570).
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Der Kläger hat aber auf die Haftungsanfrage des FA vom 26.01.2012 bislang keine Angaben über die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten und den Umfang ihrer Tilgung im Haftungszeitraum gemacht. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das FA, da es keine nachvollziehbaren Angaben über die Gesamtsumme der bezahlten Verbindlichkeiten erhalten hat, im Schätzungswege von einer anteiligen Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum von 100 % ausging, zumal der Kläger auch im gerichtlichen Verfahren hierzu nichts Substantielles vorgetragen hat. Der bloße Hinweis auf die in den Bilanzen ausgewiesenen Jahresfehlbeträge ist insoweit nicht ausreichend.
- 239
cc) Obige Ausführungen gelten gleichermaßen für die während der Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der A GmbH durch schuldhafte Pflichtverletzungen verwirkten Säumniszuschläge und festgesetzten Verspätungszuschläge (§ 69 Satz 1, § 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 AO; vgl. BFH-Beschluss vom 28.06.2006 VII B 267/05 BFH/NV 2006, 1792; BFH-Urteil vom 26.02.2003 I R 30/02, BFH/NV 2003, 1301).
- 240
2. Neben der vorstehend bejahten Haftung als Geschäftsführer nach § 69 AO kommt es nicht mehr darauf an, dass der Haftungsbescheid auch wegen Steuerhinterziehung gemäß § 71 AO begründet ist, insbesondere weil der Kläger (ggf. bedingt) vorsätzlich Einkaufsrechnungen von zur Verschleierung der tatsächlichen Lieferanten vorgeschobenen Dritten mit Lieferanten-Scheinsitzen in die Buchführung gab und so die unberechtigte Erklärung von Vorsteuerbeträgen veranlasste und nicht gerechtfertigte Steuervorteile für die A GmbH erlangte (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO).
- 241
3. Der Haftungsbescheid ist auch in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Er ist insbesondere hinreichend begründet i. S. d. § 121 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AO. Nach diesen Vorschriften hat der durch einen schriftlichen Verwaltungsakt Belastete Anspruch darauf, aus dem Verwaltungsakt die Gründe für seine Inanspruchnahme zu erfahren, es sei denn, dass ihm die Auffassung der Behörde über die Sach- und Rechtslage bereits bekannt oder auch ohne schriftliche Begründung ohne weiteres erkennbar ist. Die Verfahrensweise des FA hält sich im Rahmen dieser Anforderungen. Das FA hat in dem Haftungsbescheid einerseits das Bestehen der geltend gemachten Steueransprüche und die Geschäftsführerstellung des Klägers zum Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Ansprüche bzw. zum Zeitpunkt der pflichtwidrigen Falschabgabe der Voranmeldungen festgestellt. Bezüglich der dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzung ist es in dem Haftungsbescheid auf die zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflicht zur Mittelbereitstellung zur Entrichtung der fälligen Steuern durch den Kläger ausreichend ausführlich eingegangen, während es bezüglich der Pflichtverletzung durch die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Vorsteuerabzugsbeträgen pauschal auf die Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung verwiesen hat.
- 242
Grundsätzlich können zur Begründung auch in Bezug genommene Unterlagen wie etwa Prüfberichte herangezogen werden (vgl. BFH-Urteil vom 15.03.2007 II R 5/04, BFHE 215, 540, BStBl II 2007, 4729). Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Bezugnahme im Haftungsbescheid auf die Feststellungen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung zur Begründung der Pflichtverletzung nicht ausreichend war, da diese Feststellungen vornehmlich die (objektiven) Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gem. § 15 Abs. 1 UStG betrafen und eine Pflichtverletzung des Klägers nicht ausdrücklich thematisiert wurde, so wäre dieser Begründungsmangel durch die Einspruchsentscheidung geheilt worden. Indem das FA nämlich in der Einspruchsentscheidung vom ... 2013 unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des BFH die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs sowie unter Bezugnahme auf den Beschluss des FG Hamburg vom 12.01.2012 die bestehende Verpflichtung des Leistungsempfängers, die Rechnungsangaben zu überprüfen, dargestellt hat, hat es die diesbezügliche Pflichtverletzung des Klägers hinreichend bezeichnet und damit der ursprünglich gegebenen Begründungsmangel geheilt (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO).
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Die Bezugnahme auf den Beschluss des FG Hamburg vom 12.01.2012 war insoweit zur Begründung der grob fahrlässigen Pflichtverletzung durch den Kläger zulässig, da in dem Beschluss die Auffälligkeiten/Ungereimtheiten der Rechnungsangaben im Einzelnen aufgezeigt wurden. Das von dem Kläger zitierte Urteil des FG Düsseldorf vom 28.10.1999 (11 K 2229/99 E, F, EFG 2000, 47) steht der Zulässigkeit der Bezugnahme zur Begründung nicht entgegen. Nach diesem Urteil ist eine Einspruchsentscheidung, deren Inhalt lediglich in einer Bezugnahme auf ein unklares Erläuterungsschreiben besteht, wegen fehlender Begründung rechtswidrig. Mit diesem Sachverhalt ist die Einspruchsentscheidung des Streitfalles, in der zur Begründung auf einen zwischen der A GmbH und dem FA ergangenen finanzgerichtlichen AdV-Beschluss Bezug genommen worden ist, der die Steuerschulden betraf, für die der Kläger in Haftung genommen worden ist, nicht vergleichbar (vgl. BFH-Beschluss vom 18.05.2005 VIII B 56/04 BFH/NV 2005, 1811 zu der Bezugnahme auf ein zwischen denselben Beteiligten ergangenes finanzgerichtliches Urteil).
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Zumindest in der Einspruchsentscheidung hat das FA ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen seiner Auffassung nach der Kläger seine Pflicht als Geschäftsführer der A GmbH grob fahrlässig verletzt habe und für die Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis hafte. Weitere Ausführungen sind aus formellen Gründen insoweit nicht erforderlich, denn der Geschäftsführer einer GmbH hat von Gesetzes wegen für die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten, insbesondere auch für die Entrichtung der Steuern, einzustehen, § 34 Abs. 1 AO.
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4. Die lediglich nach Maßgabe des § 102 FGO überprüfbare Ermessensentscheidung des FA im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung über die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nach § 191 Abs. 1 AO begegnet keinen Bedenken. Anhaltspunkte für eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehlgebrauch seitens des FA sind nicht ersichtlich.
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Das FA hat vielmehr sowohl sein Entschließungs- als auch sein Auswahlermessen zutreffend ausgeübt. Eine Inanspruchnahme des Klägers als Geschäftsführer der A GmbH war gerechtfertigt, da eine Realisierung der Steuerrückstände bei der A GmbH nicht möglich war. Daneben hat das FA den zweiten möglichen Haftungsschuldner, den weiteren eingetragenen Geschäftsführer der A GmbH, Herrn B, ebenfalls durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen. Auf beide Aspekte hat das FA im Haftungsbescheid vom ... 2012 ausdrücklich hingewiesen.
II.
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1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
- 248
2. Gründe, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, liegen nicht vor. Zwar sind nach Ansicht des BFH die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei einem der Leistungsbeziehung zu Grunde liegenden Strohmannverhältnis unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung des EuGH vom 21.06.2012 (C-80/11 Mahageben und David) und vom 13.02.2014 (C-18/13 Maks Pen EOOD) noch nicht abschließend geklärt (BFH-Beschluss vom 16.04.2014 V B 48/13, juris), soweit der Leistungsempfänger auf die Angaben des Lieferanten vertraute und sich diese Angaben später als falsch herausstellen. Vorliegend hat die Würdigung jedoch ergeben, dass der Kläger damit rechnete und zumindest billigend in Kauf nahm, dass die Angaben der Lieferanten unzutreffend waren.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die Fälligkeit von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis richtet sich nach den Vorschriften der Steuergesetze.
(2) Fehlt es an einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Fälligkeit, so wird der Anspruch mit seiner Entstehung fällig, es sei denn, dass in einem nach § 254 erforderlichen Leistungsgebot eine Zahlungsfrist eingeräumt worden ist. Ergibt sich der Anspruch in den Fällen des Satzes 1 aus der Festsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis, so tritt die Fälligkeit nicht vor Bekanntgabe der Festsetzung ein.
(1)1Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums
- 1.
dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Absatz 2) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung), - 2.
die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen.
(2)1Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist grundsätzlich der Kalendermonat.2Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalendervierteljahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr mehr als 1 080 Euro, aber nicht mehr als 5 000 Euro betragen hat; Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum ist das Kalenderjahr, wenn die abzuführende Lohnsteuer für das vorangegangene Kalenderjahr nicht mehr als 1 080 Euro betragen hat.3Hat die Betriebsstätte nicht während des ganzen vorangegangenen Kalenderjahres bestanden, so ist die für das vorangegangene Kalenderjahr abzuführende Lohnsteuer für die Feststellung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums auf einen Jahresbetrag umzurechnen.4Wenn die Betriebsstätte im vorangegangenen Kalenderjahr noch nicht bestanden hat, ist die auf einen Jahresbetrag umgerechnete für den ersten vollen Kalendermonat nach der Eröffnung der Betriebsstätte abzuführende Lohnsteuer maßgebend.
(3)1Die oberste Finanzbehörde des Landes kann bestimmen, dass die Lohnsteuer nicht dem Betriebsstättenfinanzamt, sondern einer anderen öffentlichen Kasse anzumelden und an diese abzuführen ist; die Kasse erhält insoweit die Stellung einer Landesfinanzbehörde.2Das Betriebsstättenfinanzamt oder die zuständige andere öffentliche Kasse können anordnen, dass die Lohnsteuer abweichend von dem nach Absatz 1 maßgebenden Zeitpunkt anzumelden und abzuführen ist, wenn die Abführung der Lohnsteuer nicht gesichert erscheint.
(4)1Arbeitgeber, die eigene oder gecharterte Handelsschiffe betreiben, dürfen die anzumeldende und abzuführende Lohnsteuer abziehen und einbehalten, die auf den Arbeitslohn entfällt, der an die Besatzungsmitglieder für die Beschäftigungszeiten auf diesen Schiffen gezahlt wird.2Die Handelsschiffe müssen in einem Seeschiffsregister eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist, eingetragen sein, die Flagge eines dieser Staaten führen und zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See betrieben werden.3Die Sätze 1 und 2 sind entsprechend anzuwenden, wenn Seeschiffe im Wirtschaftsjahr überwiegend außerhalb der deutschen Hoheitsgewässer zum Schleppen, Bergen oder zur Aufsuchung von Bodenschätzen oder zur Vermessung von Energielagerstätten unter dem Meeresboden eingesetzt werden.4Bei Besatzungsmitgliedern, die auf Schiffen, einschließlich Ro-Ro-Fahrgastschiffen, arbeiten, die im regelmäßigen Personenbeförderungsdienst zwischen Häfen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der Europäischen Union eingesetzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn die Besatzungsmitglieder Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates sind, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum anwendbar ist.5Bei Seeschiffen, die für Schlepp- und Baggerarbeiten genutzt werden, gelten die Sätze 1 und 2 nur, wenn es sich um seetüchtige Schlepper und Baggerschiffe mit Eigenantrieb handelt und die Schiffe während mindestens 50 Prozent ihrer Betriebszeit für Tätigkeiten auf See eingesetzt werden.6Ist für den Lohnsteuerabzug die Lohnsteuer nach der Steuerklasse V oder VI zu ermitteln, bemisst sich der Betrag nach Satz 1 nach der Lohnsteuer der Steuerklasse I.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
Die Finanzbehörden haben die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Insbesondere haben sie sicherzustellen, dass Steuern nicht verkürzt, zu Unrecht erhoben oder Steuererstattungen und Steuervergütungen nicht zu Unrecht gewährt oder versagt werden.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Tatbestand
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I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete 2002 mit Herrn X und einer weiteren Gesellschafterin die Y-GmbH, die in den Streitjahren einen …markt betrieb. Am 2. Februar 2005 übertrugen die Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile auf Herrn Z. Am selben Tag bestellte sich Z unter Abberufung des bisherigen Geschäftsführers, des Klägers, selbst zum Geschäftsführer. Zeitgleich verkaufte er X den Warenbestand, die Ladeneinrichtung und einen LKW, X sollte dafür diverse Verbindlichkeiten und Arbeitnehmer der GmbH, u.a. den Kläger, übernehmen. Einen Tag später meldete der Kläger das Gewerbe der GmbH wegen Geschäftsaufgabe bei der Stadt ab. Auf Antrag des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) wurde später das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der GmbH eröffnet.
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In einer Haftungsanfrage an den Kläger wegen rückständiger Steuern der GmbH teilte das FA mit, es gehe von einer sog. Firmenbestattung aus, bei der die damit verbundenen Beschlüsse sittenwidrig und nichtig seien, so dass der Kläger trotz Abberufung weiterhin als Geschäftsführer haftbar sei.
- 3
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Mit Bescheid vom 31. März 2006 nahm das FA den Kläger und Z für Körperschaftsteuer 2002 und 2003, für Umsatzsteuer 2003 und Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 sowie I. Quartal 2005 in Haftung. Für die Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 erließ es einen weiteren Haftungsbescheid gegenüber X als Betriebsübernehmer nach § 75 der Abgabenordnung (AO). Der Einspruch des Klägers blieb bis auf eine geringe Reduzierung der Haftungssumme erfolglos.
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Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit das FA den Kläger für Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 als Haftungsschuldner gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen hat. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass der Kläger zu den maßgeblichen Deklarationsterminen (10. Februar 2005 und 10. April 2005) trotz des Gesellschafterbeschlusses über den Wechsel in der Geschäftsführung noch Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Unbeschadet der Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur sog. "Firmenbestattung" auf das Steuerrecht sei es von der Sittenwidrigkeit des Beschlusses nicht überzeugt. Ein vergleichbarer Sachverhalt wie in dem zitierten Urteil des Amtsgerichts (AG) Memmingen vom 2. Dezember 2003 HRB 8361 (Deutsche Steuer-Zeitung 2004, 316) sei im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere übersehe das FA, dass sich die Problematik der organisierten Firmenbestattung im Streitfall nur bezüglich der Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 stellen könne, für die auch der Betriebsübernehmer X bestandskräftig in Haftung genommen worden sei. Dem Fiskus sei durch die gewählte Gestaltung ein weiterer Haftungsschuldner beschert worden und das Haftungssubstrat des lebenden Betriebs erhalten geblieben. Daher sei zumindest zweifelhaft, ob die gewählte Gestaltung dem Beiseiteschaffen von Vermögen der GmbH und damit der Benachteiligung von Gläubigern gedient habe. Zweifel ergäben sich auch daraus, dass das AG trotz einer Remonstration des FA den Beschluss über den Wechsel der Geschäftsführung in das Handelsregister eingetragen habe.
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Hinsichtlich der Körperschaft- und Umsatzsteuer 2002 und 2003 sei der Haftungsbescheid rechtmäßig und die Klage abzuweisen. Der Kläger habe es grob fahrlässig unterlassen, die Steuererklärungen bis zum 31. Mai der Jahre 2003 und 2004 abzugeben. Dadurch sei der Steuerausfall verursacht. Der GmbH hätten in den Jahren 2003 und 2004 ausreichend Mittel für die Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden.
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Mit seiner Revision macht das FA geltend, das FG habe die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 zu Unrecht mit der Begründung verneint, der Kläger sei zum maßgeblichen Zeitpunkt (10. Februar 2005) bereits als Geschäftsführer abberufen gewesen. Angesichts der vorliegenden Indizien sei als erwiesen anzusehen, dass die Übertragung der Gesellschafteranteile auf Z und die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Voraussetzungen einer sog. "Firmenbestattung" erfüllten und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtig seien. Abgesehen davon habe das FG --unter Missachtung der diesbezüglichen Ausführungen schon in der Einspruchsentscheidung-- unterlassen, die Haftung des Klägers wegen Verletzung der Mittelvorsorgepflicht zu prüfen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage der GmbH und in Kenntnis der im Februar 2005 fällig werdenden Umsatzsteuern hätte der Kläger die erforderlichen Mittel bereithalten können und müssen.
- 7
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Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es die Haftung für Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 (jeweils zuzüglich entstandener Säumniszuschläge) betrifft, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Der Kläger hält die Entscheidung des FG für richtig und beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er weist ergänzend darauf hin, dass der weitere Haftungsschuldner X bereits erhebliche Zahlungen geleistet habe, die auch bei seiner, des Klägers, Inanspruchnahme berücksichtigt werden müssten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision ist begründet. Das Urteil beruht in dem angefochtenen Ausspruch auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG ist insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
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1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, weil die Haftung des Klägers für die nicht entrichteten Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 der GmbH nicht schon daran scheitert, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Steuern nicht mehr Geschäftsführer der GmbH war.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt als Haftungsschuldner i.S. der §§ 69, 34 AO grundsätzlich auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegenden steuerlichen Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat. Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (Senatsbeschluss vom 25. April 2013 VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063, m.w.N.).
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b) In Beachtung dieser Rechtsprechung hätte das FG --auch wenn der Kläger nur bis 2. Februar 2005 Geschäftsführer war-- feststellen müssen, ob und ggf. in welchem Umfang er bis zu seiner Abberufung als Geschäftsführer die erforderlichen Mittel für die Begleichung der zu diesem Zeitpunkt --also bis zum 2. Februar 2005-- schon entstandenen Steuern für das IV. Quartal 2004 und das I. Quartal 2005 hätte beiseite legen können und müssen.
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Feststellungen dazu sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Zwar geht das FG im Rahmen der Prüfung, ob der Kläger für Körperschaft- und Umsatzsteuer der Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 zu Recht in Haftung genommen worden ist, davon aus, dass die GmbH in den Jahren 2003 und 2004 über ausreichende Mittel für die Begleichung der Steuerschulden verfügte. Die dieser Annahme zugrunde liegenden Feststellungen lassen aber nicht den Schluss zu, die GmbH sei auch noch im letzten Quartal 2004 und Anfang 2005, dem Zeitraum, in dem der Kläger Mittelvorsorge für die bevorstehenden Steuerfälligkeiten hätte treffen müssen, in der Lage gewesen, sämtliche Verbindlichkeiten der GmbH vollständig zu bedienen. Die sich insoweit vor dem Hintergrund des bevorstehenden Insolvenzverfahrens aufdrängenden Zweifel hätten das FG veranlassen müssen, sich mit den dazu in dem von ihm selbst beigezogenen Insolvenzgutachten zu findenden Aussagen des Insolvenzverwalters (insbesondere, dass die GmbH auch schon vor Februar 2005 keine Zahlungen auf bestehende Verbindlichkeiten mehr geleistet habe) auseinanderzusetzen. Daran ändert auch nichts, dass im Fall mangelnder Mitwirkung des Geschäftsführers die Haftungssumme zu schätzen und der Grundsatz der anteiligen Tilgung unter Umständen sogar ganz außer Acht gelassen werden kann --wie das FG zur Begründung der 100 %igen Haftung für die übrigen Steuern argumentiert hat (vgl. dazu z.B. Senatsbeschluss vom 19. November 2012 VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504). Denn auch bei einer --dem Grunde nach berechtigten-- Schätzung der Tilgungsquote ist das FG verpflichtet, sämtliche bekannten Umstände --hier insbesondere das Insolvenzgutachten-- im Rahmen seiner Schätzung zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO).
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2. Richtig und insoweit keiner weiteren Feststellungen des FG bedürftig ist allerdings die Haftungsfreistellung des Klägers hinsichtlich möglicherweise nach dem 2. Februar 2005 entstandener Umsatzsteuerschulden der GmbH. Die Auffassung des FG, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt rechtswirksam als Geschäftsführer abberufen worden und habe folglich keine steuerlichen Pflichten für die GmbH mehr zu erfüllen gehabt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Das FG hat die vom FA in den Mittelpunkt seiner Revisionsbegründung gerückten Fragen, ob die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer im Zusammenhang mit einer sog. Firmenbestattung steht, deshalb sittenwidrig und nichtig ist und der Kläger auch hinsichtlich der streitigen Umsatzsteuervorauszahlungen Haftungsschuldner geblieben ist, in seiner Entscheidung eingehend erörtert. Insbesondere hat es die vom FA als typische Indizien einer "Firmenbestattung" angesehenen Umstände der Anteilsübertragung auf einen nicht mehr auffindbaren Übernehmer, der zeitgleichen Geschäftsführerabberufung und der Betriebsübernahme durch X "unter Umgehung einer geordneten Insolvenz" erwogen, aber als durch den tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalt teils widerlegt, teils jedenfalls als nicht hinreichend überzeugend angesehen. An diese Würdigung des --vom FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen-- vom FG zugrunde gelegten Sachverhalts ist der erkennende Senat gebunden, da sie weder gegen Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2012 VII R 42/11, BFH/NV 2013, 942, m.w.N.). Vielmehr ist das den Indizien des FA entgegengehaltene Argument, dem Bild einer organisierten Firmenbestattung entspreche die gewählte Gestaltung nicht, da sie dem Fiskus hinsichtlich der --bei Annahme einer Firmenbestattung allein betroffenen-- im IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 entstandenen Betriebssteuern einen weiteren Haftungsschuldner beschert habe, nicht nur möglich, sondern nachvollziehbar.
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3. Im zweiten Rechtszug wird das FG zu prüfen haben, ob die wirtschaftliche Lage der GmbH ab Oktober 2004 bis 2. Februar 2005 eine Mittelvorsorge für die bevorstehenden Umsatzsteuerfälligkeiten erlaubte und bejahendenfalls --unter Berücksichtigung der gleichmäßigen Bedienung aller Verbindlichkeiten-- in welchem Umfang.
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Tatbestand
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I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) und sein Bruder waren als BGB-Gesellschafter Eigentümer zweier Grundstücke, deren Verwertung sie einer GmbH & Co. KG (KG) übertragen hatten. Kommanditisten der KG und Geschäftsführer der Komplementärin (GmbH) waren beide Brüder.
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Nach Veräußerung der neu geschaffenen Eigentumswohnungen im Jahre 2007 reichte die KG am … September 2008 beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für die KG eine Gewerbesteuererklärung für 2007 mit einer Steuerschuld in Höhe von 360.308 € ein.
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Aufgrund einer Einzahlung des Antragstellers wies das Geschäftskonto der KG ab 15. September 2008 ein Guthaben in Höhe von 360.308 € aus.
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Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 veräußerten der Antragsteller und sein Bruder ihre Anteile an der KG an Herrn B und traten ihre Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH an diesen ab. Zeitgleich wurde B zum alleinigen Geschäftsführer der GmbH bestellt, sowie die Umfirmierung und eine Verlegung des Sitzes der KG beschlossen. Das Entgelt der Überlassung der KG-Anteile sollte in einer gesonderten Erklärung festgesetzt werden, für die GmbH-Anteile war ein Gesamtkaufpreis in Höhe von 3.000 € zur Zahlung auf noch zu benennende Konten vereinbart.
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Im Vertrag über den Verkauf der GmbH-Anteile verpflichtet sich B namens der GmbH, die noch nicht festgesetzte, aber zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung der KG in Höhe von 360.308 € zu leisten. Für das Konto, das diesen Betrag auswies, wurde B zugleich uneingeschränkte Kontovollmacht erteilt.
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Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 trat B die Kommandit- und GmbH-Anteile an Herrn A ab, der gleichzeitig zum alleinigen Geschäftsführer bestellt wurde. Das Entgelt für die Übertragung sollte außerhalb der notariellen Urkunden geregelt werden. Auch in diesem Vertragswerk wurde auf die zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung in Höhe von 360.308 € hingewiesen. A hat durch seine Unterschrift bestätigt, diesen Betrag von B erhalten zu haben.
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Am … September 2008 setzte das FA die Gewerbesteuer entsprechend der eingereichten Steuererklärung auf 360.308 € fest. Die KG entrichtete die Abgabenverbindlichkeit nicht, Vollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos. Der Eigenantrag der KG auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vom Februar 2009 wurde am … Oktober 2009 mangels Masse abgewiesen. Der Gutachter im Insolvenzantragsverfahren hatte noch vorhandene Aktiva in Höhe von 2 € ermittelt, denen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt … € (davon rückständige Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von … €) gegenüberstanden.
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Gegenüber B und A hat das FA auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützte Haftungsbescheide über 360.308 € rückständige Gewerbesteuer 2007 der KG erlassen.
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Die ebenfalls auf § 69 i.V.m. § 34 AO gestützten Haftungsbescheide vom 1. September 2010 gegen den Antragsteller und seinen Bruder als ehemalige Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH wegen der rückständigen Gewerbesteuerschuld der KG in Höhe von 360.308 € befinden sich noch im Einspruchsverfahren.
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Den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Haftungsbescheids lehnten sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) ab.
- 11
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Das FG hat die AdV mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids abgelehnt. Der Antragsteller habe nicht vor der Abtretung der GmbH-Anteile an B sowie der zeitgleichen Beendigung seines Mitgeschäftsführeramtes am 17. September 2008 für die Entrichtung der Gewerbesteuer 2007 gesorgt. Der Antragsteller habe seine in die Zeit vor der Amtsaufgabe fallende Pflicht, Mittelvorsorge für die bereits entstandenen, aber erst nach Beendigung seiner Amtszeit fällig werdenden Steuern zu treffen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Durch die Einzahlung der 360.308 € auf das Geschäftskonto der KG hätten sie ihrer Vorsorgepflicht nicht genügt, da die Geschäftsanteile an eine Person veräußert worden seien, die von vorneherein im Verdacht gestanden habe, selbst "Firmenbestatter" zu sein oder bereits im Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher GmbH-Anteile die Absicht zu haben, die Anteile kurze Zeit später an einen "Firmenbestatter" weiterzuveräußern. Sie hätten vor der Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch zusätzliche Maßnahmen sicherstellen müssen, dass der Fiskus die am 1. Januar 2008 bereits entstandene Gewerbesteuer 2007 im Zeitpunkt der Fälligkeit vollständig vereinnahmen werde (z.B. durch Bestellung einer Bankbürgschaft zugunsten des Antragsgegners oder Hinterlegung des streitgegenständlichen Betrages beim zuständigen Amtsgericht o.Ä.). Demgegenüber habe sich der Antragsteller in keiner Weise die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des B nachweisen lassen, obwohl dieser ein Unternehmen übernehmen sollte, bei dem nach dem Verkauf der vorhandenen Immobilien nur noch restliche Abwicklungsarbeiten mit --im Vergleich zum Jahr 2007-- minimalen Gewinnerzielungschancen durchzuführen gewesen seien. So habe von Anfang an die Gefahr bestanden, dass B die 360.308 € vom Geschäftskonto der KG für unternehmensfremde Zwecke abheben werde (was ja auch tatsächlich geschehen sei). Auch die übrigen Umstände des Anteilsverkaufs (z.B. Verkauf nur wenige Wochen vor Eintritt der Fälligkeit einer hohen und in dieser Höhe für die KG einmalig auftretenden Steuernachzahlung; absehbare Vermögenslosigkeit der KG laut Insolvenzgutachten nach Erbringung dieser Steuerzahlung) sprächen dafür, dass es sich bei diesem nicht um ein normales Verkehrsgeschäft gehandelt habe. Vielmehr ergäben die weiteren Umstände des Falls --Weiterveräußerung der Gesellschaftsanteile von B an A schon eine Woche nach Erwerb und sich aus dem Insolvenzgutachten ergebende Ungereimtheiten in Bezug auf die Person des A bzw. seines Hintermannes aus dem Ausland und die Durchführung des Vertrags B-A-- Anhaltspunkte für eine sog. "Firmenbestattung".
- 12
-
Das FG hat die Beschwerde gegen den Beschluss wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 2 veröffentlicht.
Entscheidungsgründe
- 13
-
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
- 14
-
Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids keine ernstlichen Zweifel bestehen, so dass das FG die AdV zu Recht abgelehnt hat.
- 15
-
1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 23. April 2007 VII B 92/06, BFHE 217, 209, BStBl II 2009, 622, m.w.N.).
- 16
-
a) Im Streitfall begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers und damit von seiner berechtigten Haftungsinanspruchnahme als vormaligem Geschäftsführer nach §§ 69, 34 AO ausgegangen ist. Grundsätzlich kommt als Haftungsschuldner i.S. von § 69 AO auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegende Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat.
- 17
-
Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 11. März 2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 69 Rz 55, m.w.N.).
- 18
-
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG rechtsfehlerfrei erkannt, dass der Antragsteller es nicht mit der Bereitstellung des zur Begleichung der von ihm selbst erklärten Steuern erforderlichen Betrags auf dem Geschäftskonto der GmbH hätte bewenden lassen dürfen, sondern zusätzliche Sicherungsvorkehrungen hätte ergreifen müssen um zu gewährleisten, dass der Fiskus diesen Betrag im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern auch tatsächlich vollständig vereinnahmen werde.
- 19
-
Welche Anforderungen an die einem Geschäftsführer obliegende Pflichterfüllung zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Streitfall hat das FG --sinngemäß dem FA folgend-- die besonderen Anforderungen an die Mittelvorsorgepflicht des Antragstellers mit atypischen Umständen des Falls begründet, die den Verdacht einer sog. Firmenbestattung nahelegten.
- 20
-
Angesichts des vom FG festgestellten Sachverhalts sieht der Senat sich nicht veranlasst zu prüfen, welchen rechtlichen Gehalt der Begriff der Firmenbestattung umschreibt, unter welchen Voraussetzungen also eine solche Rechtsfigur anzunehmen ist und welche abgabenrechtlichen Rechtsfolgen sie gegebenenfalls zeitigt. Denn auch unabhängig davon, ob die Vertragsparteien eine Firmenbestattung beabsichtigt haben, ist nach den --vom Antragsteller nicht in Frage gestellten-- Feststellungen des FG nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Antragsteller seine Mittelvorsorgepflicht --zumindest-- in grob fahrlässiger Weise verletzt hat, indem er den für die Zahlung der bereits entstandenen Gewerbesteuer erforderlichen Betrag ungesichert dem Zugriff des B ausgesetzt hat. Das FG hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller und sein Bruder ihre Gesellschaftsanteile im ersten Jahr nach der erfolgreichen Abwicklung des Unternehmens --Herstellung und Verkauf von Eigentumswohnungen auf ihrem eigenen Grund und Boden-- übertragen haben. Die Besonderheit des Sachverhalts liegt einerseits in der Kumulierung des Gewerbeertrags --und damit der einmaligen Entstehung einer hohen Gewerbesteuerschuld-- im Vorjahr der Anteilsveräußerung und gleichzeitig der nahezu vollständigen wirtschaftlichen Entwertung der Gesellschaftsanteile. Bei dieser Sachlage mussten die Veräußerer vor Augen haben, dass die Schuldnerin der Gewerbesteuer, die KG, mit Fälligkeit der Steuer insolvent wäre, wenn der dafür von ihnen bereitgestellte Betrag --aus welchen Gründen auch immer (etwa wegen Regressansprüchen aus den abgewickelten Verkäufen)-- nicht mehr vorhanden wäre. Ein solches Risiko einzugehen war grob fahrlässig, unabhängig davon, ob sie aufgrund vorangegangener geschäftlicher Beziehungen auf die Seriosität des Erwerbers vertrauen konnten oder von der Absicht der kurzfristigen Weiterveräußerung an den mittellosen A Kenntnis hatten. Demgegenüber hätte es --nicht zuletzt zur Vermeidung der eigenen Haftung-- nahegelegen, den angemeldeten Steuerbetrag zurückzubehalten und nach Festsetzung an das FA auszukehren.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
Tatbestand
- 1
-
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete 2002 mit Herrn X und einer weiteren Gesellschafterin die Y-GmbH, die in den Streitjahren einen …markt betrieb. Am 2. Februar 2005 übertrugen die Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile auf Herrn Z. Am selben Tag bestellte sich Z unter Abberufung des bisherigen Geschäftsführers, des Klägers, selbst zum Geschäftsführer. Zeitgleich verkaufte er X den Warenbestand, die Ladeneinrichtung und einen LKW, X sollte dafür diverse Verbindlichkeiten und Arbeitnehmer der GmbH, u.a. den Kläger, übernehmen. Einen Tag später meldete der Kläger das Gewerbe der GmbH wegen Geschäftsaufgabe bei der Stadt ab. Auf Antrag des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) wurde später das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der GmbH eröffnet.
- 2
-
In einer Haftungsanfrage an den Kläger wegen rückständiger Steuern der GmbH teilte das FA mit, es gehe von einer sog. Firmenbestattung aus, bei der die damit verbundenen Beschlüsse sittenwidrig und nichtig seien, so dass der Kläger trotz Abberufung weiterhin als Geschäftsführer haftbar sei.
- 3
-
Mit Bescheid vom 31. März 2006 nahm das FA den Kläger und Z für Körperschaftsteuer 2002 und 2003, für Umsatzsteuer 2003 und Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 sowie I. Quartal 2005 in Haftung. Für die Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 erließ es einen weiteren Haftungsbescheid gegenüber X als Betriebsübernehmer nach § 75 der Abgabenordnung (AO). Der Einspruch des Klägers blieb bis auf eine geringe Reduzierung der Haftungssumme erfolglos.
- 4
-
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt, soweit das FA den Kläger für Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 als Haftungsschuldner gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) in Anspruch genommen hat. Es habe sich nicht feststellen lassen, dass der Kläger zu den maßgeblichen Deklarationsterminen (10. Februar 2005 und 10. April 2005) trotz des Gesellschafterbeschlusses über den Wechsel in der Geschäftsführung noch Geschäftsführer der GmbH gewesen sei. Unbeschadet der Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Rechtsprechung zur sog. "Firmenbestattung" auf das Steuerrecht sei es von der Sittenwidrigkeit des Beschlusses nicht überzeugt. Ein vergleichbarer Sachverhalt wie in dem zitierten Urteil des Amtsgerichts (AG) Memmingen vom 2. Dezember 2003 HRB 8361 (Deutsche Steuer-Zeitung 2004, 316) sei im Streitfall nicht gegeben. Insbesondere übersehe das FA, dass sich die Problematik der organisierten Firmenbestattung im Streitfall nur bezüglich der Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 stellen könne, für die auch der Betriebsübernehmer X bestandskräftig in Haftung genommen worden sei. Dem Fiskus sei durch die gewählte Gestaltung ein weiterer Haftungsschuldner beschert worden und das Haftungssubstrat des lebenden Betriebs erhalten geblieben. Daher sei zumindest zweifelhaft, ob die gewählte Gestaltung dem Beiseiteschaffen von Vermögen der GmbH und damit der Benachteiligung von Gläubigern gedient habe. Zweifel ergäben sich auch daraus, dass das AG trotz einer Remonstration des FA den Beschluss über den Wechsel der Geschäftsführung in das Handelsregister eingetragen habe.
- 5
-
Hinsichtlich der Körperschaft- und Umsatzsteuer 2002 und 2003 sei der Haftungsbescheid rechtmäßig und die Klage abzuweisen. Der Kläger habe es grob fahrlässig unterlassen, die Steuererklärungen bis zum 31. Mai der Jahre 2003 und 2004 abzugeben. Dadurch sei der Steuerausfall verursacht. Der GmbH hätten in den Jahren 2003 und 2004 ausreichend Mittel für die Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden.
- 6
-
Mit seiner Revision macht das FA geltend, das FG habe die Haftung des Klägers für die Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 zu Unrecht mit der Begründung verneint, der Kläger sei zum maßgeblichen Zeitpunkt (10. Februar 2005) bereits als Geschäftsführer abberufen gewesen. Angesichts der vorliegenden Indizien sei als erwiesen anzusehen, dass die Übertragung der Gesellschafteranteile auf Z und die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer die Voraussetzungen einer sog. "Firmenbestattung" erfüllten und damit wegen Sittenwidrigkeit nichtig seien. Abgesehen davon habe das FG --unter Missachtung der diesbezüglichen Ausführungen schon in der Einspruchsentscheidung-- unterlassen, die Haftung des Klägers wegen Verletzung der Mittelvorsorgepflicht zu prüfen. Angesichts der wirtschaftlichen Lage der GmbH und in Kenntnis der im Februar 2005 fällig werdenden Umsatzsteuern hätte der Kläger die erforderlichen Mittel bereithalten können und müssen.
- 7
-
Das FA beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es die Haftung für Umsatzsteuer IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 (jeweils zuzüglich entstandener Säumniszuschläge) betrifft, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
- 8
-
Der Kläger hält die Entscheidung des FG für richtig und beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er weist ergänzend darauf hin, dass der weitere Haftungsschuldner X bereits erhebliche Zahlungen geleistet habe, die auch bei seiner, des Klägers, Inanspruchnahme berücksichtigt werden müssten.
Entscheidungsgründe
- 9
-
II. Die Revision ist begründet. Das Urteil beruht in dem angefochtenen Ausspruch auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG ist insoweit aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
- 10
-
1. Das Urteil ist rechtsfehlerhaft, weil die Haftung des Klägers für die nicht entrichteten Umsatzsteuervorauszahlungen IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 der GmbH nicht schon daran scheitert, dass er im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Steuern nicht mehr Geschäftsführer der GmbH war.
- 11
-
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt als Haftungsschuldner i.S. der §§ 69, 34 AO grundsätzlich auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegenden steuerlichen Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat. Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (Senatsbeschluss vom 25. April 2013 VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063, m.w.N.).
- 12
-
b) In Beachtung dieser Rechtsprechung hätte das FG --auch wenn der Kläger nur bis 2. Februar 2005 Geschäftsführer war-- feststellen müssen, ob und ggf. in welchem Umfang er bis zu seiner Abberufung als Geschäftsführer die erforderlichen Mittel für die Begleichung der zu diesem Zeitpunkt --also bis zum 2. Februar 2005-- schon entstandenen Steuern für das IV. Quartal 2004 und das I. Quartal 2005 hätte beiseite legen können und müssen.
- 13
-
Feststellungen dazu sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Zwar geht das FG im Rahmen der Prüfung, ob der Kläger für Körperschaft- und Umsatzsteuer der Veranlagungszeiträume 2002 und 2003 zu Recht in Haftung genommen worden ist, davon aus, dass die GmbH in den Jahren 2003 und 2004 über ausreichende Mittel für die Begleichung der Steuerschulden verfügte. Die dieser Annahme zugrunde liegenden Feststellungen lassen aber nicht den Schluss zu, die GmbH sei auch noch im letzten Quartal 2004 und Anfang 2005, dem Zeitraum, in dem der Kläger Mittelvorsorge für die bevorstehenden Steuerfälligkeiten hätte treffen müssen, in der Lage gewesen, sämtliche Verbindlichkeiten der GmbH vollständig zu bedienen. Die sich insoweit vor dem Hintergrund des bevorstehenden Insolvenzverfahrens aufdrängenden Zweifel hätten das FG veranlassen müssen, sich mit den dazu in dem von ihm selbst beigezogenen Insolvenzgutachten zu findenden Aussagen des Insolvenzverwalters (insbesondere, dass die GmbH auch schon vor Februar 2005 keine Zahlungen auf bestehende Verbindlichkeiten mehr geleistet habe) auseinanderzusetzen. Daran ändert auch nichts, dass im Fall mangelnder Mitwirkung des Geschäftsführers die Haftungssumme zu schätzen und der Grundsatz der anteiligen Tilgung unter Umständen sogar ganz außer Acht gelassen werden kann --wie das FG zur Begründung der 100 %igen Haftung für die übrigen Steuern argumentiert hat (vgl. dazu z.B. Senatsbeschluss vom 19. November 2012 VII B 126/12, BFH/NV 2013, 504). Denn auch bei einer --dem Grunde nach berechtigten-- Schätzung der Tilgungsquote ist das FG verpflichtet, sämtliche bekannten Umstände --hier insbesondere das Insolvenzgutachten-- im Rahmen seiner Schätzung zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 Satz 2 AO).
- 14
-
2. Richtig und insoweit keiner weiteren Feststellungen des FG bedürftig ist allerdings die Haftungsfreistellung des Klägers hinsichtlich möglicherweise nach dem 2. Februar 2005 entstandener Umsatzsteuerschulden der GmbH. Die Auffassung des FG, der Kläger sei zu diesem Zeitpunkt rechtswirksam als Geschäftsführer abberufen worden und habe folglich keine steuerlichen Pflichten für die GmbH mehr zu erfüllen gehabt, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 15
-
Das FG hat die vom FA in den Mittelpunkt seiner Revisionsbegründung gerückten Fragen, ob die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer im Zusammenhang mit einer sog. Firmenbestattung steht, deshalb sittenwidrig und nichtig ist und der Kläger auch hinsichtlich der streitigen Umsatzsteuervorauszahlungen Haftungsschuldner geblieben ist, in seiner Entscheidung eingehend erörtert. Insbesondere hat es die vom FA als typische Indizien einer "Firmenbestattung" angesehenen Umstände der Anteilsübertragung auf einen nicht mehr auffindbaren Übernehmer, der zeitgleichen Geschäftsführerabberufung und der Betriebsübernahme durch X "unter Umgehung einer geordneten Insolvenz" erwogen, aber als durch den tatsächlich verwirklichten Lebenssachverhalt teils widerlegt, teils jedenfalls als nicht hinreichend überzeugend angesehen. An diese Würdigung des --vom FA nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen-- vom FG zugrunde gelegten Sachverhalts ist der erkennende Senat gebunden, da sie weder gegen Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. Senatsbeschluss vom 20. September 2012 VII R 42/11, BFH/NV 2013, 942, m.w.N.). Vielmehr ist das den Indizien des FA entgegengehaltene Argument, dem Bild einer organisierten Firmenbestattung entspreche die gewählte Gestaltung nicht, da sie dem Fiskus hinsichtlich der --bei Annahme einer Firmenbestattung allein betroffenen-- im IV. Quartal 2004 und I. Quartal 2005 entstandenen Betriebssteuern einen weiteren Haftungsschuldner beschert habe, nicht nur möglich, sondern nachvollziehbar.
- 16
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3. Im zweiten Rechtszug wird das FG zu prüfen haben, ob die wirtschaftliche Lage der GmbH ab Oktober 2004 bis 2. Februar 2005 eine Mittelvorsorge für die bevorstehenden Umsatzsteuerfälligkeiten erlaubte und bejahendenfalls --unter Berücksichtigung der gleichmäßigen Bedienung aller Verbindlichkeiten-- in welchem Umfang.
- 17
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4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Tatbestand
- 1
-
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) und sein Bruder waren als BGB-Gesellschafter Eigentümer zweier Grundstücke, deren Verwertung sie einer GmbH & Co. KG (KG) übertragen hatten. Kommanditisten der KG und Geschäftsführer der Komplementärin (GmbH) waren beide Brüder.
- 2
-
Nach Veräußerung der neu geschaffenen Eigentumswohnungen im Jahre 2007 reichte die KG am … September 2008 beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) für die KG eine Gewerbesteuererklärung für 2007 mit einer Steuerschuld in Höhe von 360.308 € ein.
- 3
-
Aufgrund einer Einzahlung des Antragstellers wies das Geschäftskonto der KG ab 15. September 2008 ein Guthaben in Höhe von 360.308 € aus.
- 4
-
Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 veräußerten der Antragsteller und sein Bruder ihre Anteile an der KG an Herrn B und traten ihre Geschäftsanteile an der Komplementär-GmbH an diesen ab. Zeitgleich wurde B zum alleinigen Geschäftsführer der GmbH bestellt, sowie die Umfirmierung und eine Verlegung des Sitzes der KG beschlossen. Das Entgelt der Überlassung der KG-Anteile sollte in einer gesonderten Erklärung festgesetzt werden, für die GmbH-Anteile war ein Gesamtkaufpreis in Höhe von 3.000 € zur Zahlung auf noch zu benennende Konten vereinbart.
- 5
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Im Vertrag über den Verkauf der GmbH-Anteile verpflichtet sich B namens der GmbH, die noch nicht festgesetzte, aber zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung der KG in Höhe von 360.308 € zu leisten. Für das Konto, das diesen Betrag auswies, wurde B zugleich uneingeschränkte Kontovollmacht erteilt.
- 6
-
Mit notariellen Verträgen vom … September 2008 trat B die Kommandit- und GmbH-Anteile an Herrn A ab, der gleichzeitig zum alleinigen Geschäftsführer bestellt wurde. Das Entgelt für die Übertragung sollte außerhalb der notariellen Urkunden geregelt werden. Auch in diesem Vertragswerk wurde auf die zu erwartende Gewerbesteuernachzahlung in Höhe von 360.308 € hingewiesen. A hat durch seine Unterschrift bestätigt, diesen Betrag von B erhalten zu haben.
- 7
-
Am … September 2008 setzte das FA die Gewerbesteuer entsprechend der eingereichten Steuererklärung auf 360.308 € fest. Die KG entrichtete die Abgabenverbindlichkeit nicht, Vollstreckungsmaßnahmen blieben erfolglos. Der Eigenantrag der KG auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vom Februar 2009 wurde am … Oktober 2009 mangels Masse abgewiesen. Der Gutachter im Insolvenzantragsverfahren hatte noch vorhandene Aktiva in Höhe von 2 € ermittelt, denen fällige Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt … € (davon rückständige Abgabenverbindlichkeiten in Höhe von … €) gegenüberstanden.
- 8
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Gegenüber B und A hat das FA auf § 69 i.V.m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützte Haftungsbescheide über 360.308 € rückständige Gewerbesteuer 2007 der KG erlassen.
- 9
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Die ebenfalls auf § 69 i.V.m. § 34 AO gestützten Haftungsbescheide vom 1. September 2010 gegen den Antragsteller und seinen Bruder als ehemalige Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH wegen der rückständigen Gewerbesteuerschuld der KG in Höhe von 360.308 € befinden sich noch im Einspruchsverfahren.
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Den Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Haftungsbescheids lehnten sowohl das FA als auch das Finanzgericht (FG) ab.
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Das FG hat die AdV mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids abgelehnt. Der Antragsteller habe nicht vor der Abtretung der GmbH-Anteile an B sowie der zeitgleichen Beendigung seines Mitgeschäftsführeramtes am 17. September 2008 für die Entrichtung der Gewerbesteuer 2007 gesorgt. Der Antragsteller habe seine in die Zeit vor der Amtsaufgabe fallende Pflicht, Mittelvorsorge für die bereits entstandenen, aber erst nach Beendigung seiner Amtszeit fällig werdenden Steuern zu treffen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Durch die Einzahlung der 360.308 € auf das Geschäftskonto der KG hätten sie ihrer Vorsorgepflicht nicht genügt, da die Geschäftsanteile an eine Person veräußert worden seien, die von vorneherein im Verdacht gestanden habe, selbst "Firmenbestatter" zu sein oder bereits im Zeitpunkt des Erwerbs sämtlicher GmbH-Anteile die Absicht zu haben, die Anteile kurze Zeit später an einen "Firmenbestatter" weiterzuveräußern. Sie hätten vor der Veräußerung der Gesellschaftsanteile durch zusätzliche Maßnahmen sicherstellen müssen, dass der Fiskus die am 1. Januar 2008 bereits entstandene Gewerbesteuer 2007 im Zeitpunkt der Fälligkeit vollständig vereinnahmen werde (z.B. durch Bestellung einer Bankbürgschaft zugunsten des Antragsgegners oder Hinterlegung des streitgegenständlichen Betrages beim zuständigen Amtsgericht o.Ä.). Demgegenüber habe sich der Antragsteller in keiner Weise die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des B nachweisen lassen, obwohl dieser ein Unternehmen übernehmen sollte, bei dem nach dem Verkauf der vorhandenen Immobilien nur noch restliche Abwicklungsarbeiten mit --im Vergleich zum Jahr 2007-- minimalen Gewinnerzielungschancen durchzuführen gewesen seien. So habe von Anfang an die Gefahr bestanden, dass B die 360.308 € vom Geschäftskonto der KG für unternehmensfremde Zwecke abheben werde (was ja auch tatsächlich geschehen sei). Auch die übrigen Umstände des Anteilsverkaufs (z.B. Verkauf nur wenige Wochen vor Eintritt der Fälligkeit einer hohen und in dieser Höhe für die KG einmalig auftretenden Steuernachzahlung; absehbare Vermögenslosigkeit der KG laut Insolvenzgutachten nach Erbringung dieser Steuerzahlung) sprächen dafür, dass es sich bei diesem nicht um ein normales Verkehrsgeschäft gehandelt habe. Vielmehr ergäben die weiteren Umstände des Falls --Weiterveräußerung der Gesellschaftsanteile von B an A schon eine Woche nach Erwerb und sich aus dem Insolvenzgutachten ergebende Ungereimtheiten in Bezug auf die Person des A bzw. seines Hintermannes aus dem Ausland und die Durchführung des Vertrags B-A-- Anhaltspunkte für eine sog. "Firmenbestattung".
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Das FG hat die Beschwerde gegen den Beschluss wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Beschluss ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 2 veröffentlicht.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Senat der Auffassung, dass an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids keine ernstlichen Zweifel bestehen, so dass das FG die AdV zu Recht abgelehnt hat.
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1. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestehen solche Zweifel, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung einer Rechtsfrage bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 23. April 2007 VII B 92/06, BFHE 217, 209, BStBl II 2009, 622, m.w.N.).
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a) Im Streitfall begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das FG von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Antragstellers und damit von seiner berechtigten Haftungsinanspruchnahme als vormaligem Geschäftsführer nach §§ 69, 34 AO ausgegangen ist. Grundsätzlich kommt als Haftungsschuldner i.S. von § 69 AO auch ein zwischenzeitlich ausgeschiedener Geschäftsführer in Betracht, wenn er die ihm während seiner Tätigkeit obliegende Erfüllung steuerlicher Pflichten der Gesellschaft schuldhaft nicht erfüllt hat.
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Das kann der Fall sein, wenn der gesetzliche Vertreter ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war (ständige Rechtsprechung, Senatsurteil vom 11. März 2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.; Klein/Rüsken, AO, 11. Aufl., § 69 Rz 55, m.w.N.).
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b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das FG rechtsfehlerfrei erkannt, dass der Antragsteller es nicht mit der Bereitstellung des zur Begleichung der von ihm selbst erklärten Steuern erforderlichen Betrags auf dem Geschäftskonto der GmbH hätte bewenden lassen dürfen, sondern zusätzliche Sicherungsvorkehrungen hätte ergreifen müssen um zu gewährleisten, dass der Fiskus diesen Betrag im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuern auch tatsächlich vollständig vereinnahmen werde.
- 19
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Welche Anforderungen an die einem Geschäftsführer obliegende Pflichterfüllung zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Streitfall hat das FG --sinngemäß dem FA folgend-- die besonderen Anforderungen an die Mittelvorsorgepflicht des Antragstellers mit atypischen Umständen des Falls begründet, die den Verdacht einer sog. Firmenbestattung nahelegten.
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Angesichts des vom FG festgestellten Sachverhalts sieht der Senat sich nicht veranlasst zu prüfen, welchen rechtlichen Gehalt der Begriff der Firmenbestattung umschreibt, unter welchen Voraussetzungen also eine solche Rechtsfigur anzunehmen ist und welche abgabenrechtlichen Rechtsfolgen sie gegebenenfalls zeitigt. Denn auch unabhängig davon, ob die Vertragsparteien eine Firmenbestattung beabsichtigt haben, ist nach den --vom Antragsteller nicht in Frage gestellten-- Feststellungen des FG nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Antragsteller seine Mittelvorsorgepflicht --zumindest-- in grob fahrlässiger Weise verletzt hat, indem er den für die Zahlung der bereits entstandenen Gewerbesteuer erforderlichen Betrag ungesichert dem Zugriff des B ausgesetzt hat. Das FG hat zu Recht darauf abgestellt, dass der Antragsteller und sein Bruder ihre Gesellschaftsanteile im ersten Jahr nach der erfolgreichen Abwicklung des Unternehmens --Herstellung und Verkauf von Eigentumswohnungen auf ihrem eigenen Grund und Boden-- übertragen haben. Die Besonderheit des Sachverhalts liegt einerseits in der Kumulierung des Gewerbeertrags --und damit der einmaligen Entstehung einer hohen Gewerbesteuerschuld-- im Vorjahr der Anteilsveräußerung und gleichzeitig der nahezu vollständigen wirtschaftlichen Entwertung der Gesellschaftsanteile. Bei dieser Sachlage mussten die Veräußerer vor Augen haben, dass die Schuldnerin der Gewerbesteuer, die KG, mit Fälligkeit der Steuer insolvent wäre, wenn der dafür von ihnen bereitgestellte Betrag --aus welchen Gründen auch immer (etwa wegen Regressansprüchen aus den abgewickelten Verkäufen)-- nicht mehr vorhanden wäre. Ein solches Risiko einzugehen war grob fahrlässig, unabhängig davon, ob sie aufgrund vorangegangener geschäftlicher Beziehungen auf die Seriosität des Erwerbers vertrauen konnten oder von der Absicht der kurzfristigen Weiterveräußerung an den mittellosen A Kenntnis hatten. Demgegenüber hätte es --nicht zuletzt zur Vermeidung der eigenen Haftung-- nahegelegen, den angemeldeten Steuerbetrag zurückzubehalten und nach Festsetzung an das FA auszukehren.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
BUNDESFINANZHOF
Urteil vom 29.05.1990
Az.: VII R 81/89
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer einer GmbH. Er beantragte . . ., über das Vermögen dieser Gesellschaft das Konkursverfahren zu eröffnen. Das zuständige Amtsgericht lehnte den Konkursantrag mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab; die GmbH wurde daraufhin aufgelöst. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger nach vorheriger Anhörung . . . wegen rückständiger Lohnsteuer der GmbH für den Zeitraum von .... bis sowie wegen Säumniszuschlägen und Verspätungszuschlägen zur Lohnsteuer gemäß §§ 34, 69, 191 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftungsschuldner in Anspruch. Der ohne Begründung eigelegte Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Die Klage führte zu einer Herabsetzung der Haftungssummen wegen der Lohnsteuer um . . . DM auf . . . DM, der Verspätungszuschläge auf . . . DM und der Säumniszuschläge auf. . . DM (Berechnung bis zum Zeitpunkt des Konkursantrags). Im übrigen wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit folgender Begründung ab:
Der Haftungsbescheid sei nicht wegen einer Ermessungsüberschreitung oder eines Ermessensfehlgebrauchs rechtswidrig. Das FA habe zwar nicht dazu Stellung genommen, welcher Schuldvorwurf (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) dem Kläger zu machen sei und aus welchen Ermessenserwägungen er in Anspruch genommen werde. Da die Anwendung des § 69 AO 1977 mindestens grobe Fahrlässigkeit voraussetze, sei aber davon auszugehen, daß das FA von dieser Schuldform ausgegangen sei. Diese Beurteilung sei auch zutreffend.
Im vorliegenden Fall sei der Mangel an mitgeteilten Ermessenserwägungen, soweit er überhaupt - im Hinblick auf die vorliegende Verschuldensform - rechtlich erheblich wäre, nicht schwerwiegend, weil das FA kein Auswahlermessen, sondern allenfalls Entschließungsermessen gehabt habe. Neben dem Kläger seien andere Personen als Haftende nicht in Betracht gekommen. Das FA habe auch die Arbeitnehmer nicht als Steuerschuldner in Anspruch nehmen können, denn hinsichtlich der Abzugssteuern hätten die Voraussetzungen des § 42d Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgelegen. Soweit der Haftungsbescheid die Lohnsteuernachforderung wegen unzulässiger Pauschalierung betreffe, habe das FA die Arbeitnehmer schon deshalb nicht heranziehen können, weil es die Namen und Anschriften der teilzeitbeschäftigten Aushilfskräfte nicht gekannt habe. In bezug auf Säumniszuschläge und Verspätungszuschläge käme eine Haftung anderer Personen ebenfalls nicht in Frage. Da das FA dem Kläger den Erlaß eines Haftungsbescheids im voraus angekündigt und damit seine Entscheidung in gewisser Weise auch vom Verhalten des Klägers selbst abhängig gemacht habe, seien an die Darlegung des dem FA verbleibenden Entschließungsermessens keine besonderen Anforderungen zu stellen.
Wenn im Streitfall in der GmbH die Buchhalterin für die Abführung der Lohnsteuer zuständig gewesen sei, sei das grob fahrlässige Verhalten des Klägers darin zu sehen, daß er deren Tätigkeit nicht überwacht habe. Die Überwachungsverpflichtung beinhalte auch, sich anhand der Bankkonten davon zu überzeugen, daß die Steuern an das FA überwiesen bzw. vom Konto abgebucht seien. Im vorliegenden Fall hätte es dem Kläger auffallen müssen, daß über einen Zeitraum von einem Jahr zwar Löhne gezahlt, Steuern aber nicht entrichtet wurden.
Grobe Fahrlässigkeit sei auch im Hinblick auf die Lohnsteuern anzunehmen, die auf die Aushilfslöhne entfielen und vom FA im Anschluß an die im Jahre . . . durchgeführte Betriebsprüfung nachgefordert worden seien. Denn bereits bei einer im Jahre . . . durchgeführten Lohnsteueraußenprüfung sei festgestellt worden, daß die GmbH Löhne zu 10 v. H. pauschal versteuert habe, ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt gewesen seien. Der Kläger hätte deshalb Veranlassung gehabt, in der nachfolgenden Zeit auf die richtige Versteuerung der Aushilfslöhne zu achten.
Die Verspätungszuschläge seien ebenfalls durch mangelhafte Erfüllung der dem Kläger obliegenden (Überwachungs-) Pflichten entstanden. Da die Zuschläge schon ein Jahr vor Stellung des Konkursantrags festgesetzt worden seien, müsse davon ausgegangen werden, daß der Kläger noch über Mittel verfügt habe, mit denen er die Zuschläge hätte bezahlten können.
Die Haftung für die geschätzten Lohnsteuerabzugsbeträge der Monate . . . in Höhe von je . . . DM müsse bestehen bleiben, weil in diesen Monaten noch Löhne gezahlt, aber nicht angemeldet worden seien. Der Kläger hätte, falls die Schätzung unzutreffend sei, durch nachträgliche Anmeldung der Lohnsteuer diese in zutreffender Höhe berichtigen lassen können. Daß die Schätzungen erst nach Konkursantrag erfolgt seien, sei unerheblich, denn die Lohnsteuer sei schon vor Stellung des Konkursantrags zu entrichten gewesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision wendet sich der Kläger im wesentlichen gegen die Bestätigung der Ermessensentscheidung des FA durch die Vorentscheidung. Er meint, der Haftungsbescheid sei schon deshalb rechtswidrig, weil das FA sein Ermessen, ihn als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung begründet habe. Das FG gehe rechtsfehlerhaft davon aus, daß die Ermessensentscheidung des FA auch im Falle des grob fahrlässigen Verhaltens des Haftungsschuldners, das es im Streitfall - zu Unrecht - unterstelle, vorgeprägt sei und deshalb nicht begründet zu werden brauche. Diese Auffassung sei im Urteil des Senats vom 8. November 1988 VII R 141/85 (BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219) für die Rechtslage nach der AO 1977 aufgegeben worden.
Im übrigen werde die Haftungsvorschrift des § 69 AO 1977 dadurch verletzt, daß er für Lohnsteuerbeträge 1978 bis 1980 in Anspruch genommen werde, bei denen es sich nicht um angemeldete oder nicht abgeführte Lohnsteuer, sondern um Nachforderungen auf Grund einer Betriebsprüfung handele. Diese falsche Lohnsteuerberechnung hätte nicht er (der Kläger), sondern die für die Lohnsteuer zuständige Buchhalterin sowie der Steuerberater zu vertreten. Auch fehle insoweit eine überprüfbare Ermessensentscheidung, da das FA sich bei der Nacherhebung der Lohnsteuer zunächst an die Arbeitnehmer hätte wenden sollen. Weil er im Vertrauen auf die Buchhalterin von einer ordnungsgemäßen und fristgerechten Abgabe der Erklärungen habe ausgehen können, könne ihm keine grob fahrlässige Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Das FG hätte über die Frage seiner Verantwortlichkeit zumindest eine Beweiserhebung durchführen müssen. Die Vernehmung der Buchhalterin als Zeugin hätte ergeben, daß er seinen Überwachungspflichten nachgekommen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Das FG ist wie das FA zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger als Geschäftsführer der GmbH den Haftungstatbestand der §§ 34, 69 AO 1977 verwirklicht hat. Die von der Revision gegen die Vorentscheidung erhobenen Einwendungen, insbesondere gegen die Annahme einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers, greifen nicht durch. Das FA hat zwar die ihm hinsichtlich der Inanspruchnahme des Haftungsschuldners nach § 191 Abs. 1 AO 1977 obliegende Ermessensentscheidung nicht begründet. Auf eine ausdrückliche Darlegung der Ermessenserwägungen konnte jedoch nach den besonderen Umständen des Falles - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - verzichtet werden.
1. a.
Der angefochtene Haftungsbescheid betrifft für die Haftungszeiträume . . . Lohnsteuern, die von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer der GmbH einbehalten, aber entgegen der dem Geschäftsführer obliegenden gesetzlichen Verpflichtung (§§ 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG, 34 Abs. 1 AO 1977, 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG -) nicht an das FA abgeführt worden sind. Der erkennende Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Nichtabführung der einbehaltenen und angemeldeten Lohnsteuern zu den gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkten regelmäßig eine - wenn nicht vorsätzliche - zumindest grob fahrlässige Pflichtverletzung des GmbH-Geschäftsführers i. S. des § 69 AO 1977 darstellt. Die Umstände des Streitfalles und das Vorbringen des Klägers rechtfertigen keine hiervon abweichende Beurteilung.
Das FG hat zu Recht ausgeführt, daß sich der Kläger hinsichtlich der Nichtabführung der Lohnsteuer nicht auf die interne Zuständigkeit der Buchhalterin für die Steuerangelegenheiten der GmbH und deren Versäumnis berufen kann. Den Kläger trifft die vom Gesetz vorausgesetzte Verschuldensform zumindest deshalb, weil er als verantwortlicher Geschäftsführer der GmbH die Erfüllung deren steuerlichen Verpflichtungen durch die Buchhalterin - wie sich aus dem Sachverhalt offensichtlich ergibt - nicht ausreichend überwacht hat. Wäre er seiner Überwachungspflicht gegenüber der Angestellten der GmbH nachgekommen, so hätte ihm nicht unbemerkt bleiben können, daß über einen Zeitraum von etwa einem Jahr die einbehaltene Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß an das FA abgeführt worden ist. Es bedurfte deshalb zu der Feststellung des FG, daß der Kläger seine Überwachungspflicht grob fahrlässig verletzt habe, keiner weiteren Beweiserhebung durch die Vorinstanz. Die insoweit von der Revision erhobene Verfahrensrüge - mangelnde Vernehmung der Buchhalterin als Zeugin - entspricht im übrigen nicht der in § 120 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordung (FGO) vorgeschriebenen Form und ist deshalb unzulässig. Der Kläger hat weder dargelegt, daß das FG von ihm angebotene Beweismittel nicht erhoben habe, noch daß sich dem Gericht auch ohne Beweisantritt zur Frage der Überwachung durch den Kläger die Vernehmung der Buchhalterin von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (vgl. Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Rdz. 170, 171).
b.
Die vorstehenden Ausführungen zum Verschulden des Klägers gelten entsprechend hinsichtlich der Lohnsteuer für . . ., bei der es bereits an der vorgeschriebenen Anmeldung gegenüber dem FA (§ 41a Abs. 1 Nr. 1 EStG) fehlt - nicht (rechtzeitig) festgesetzt i. S. des § 69 Satz 1 AO 1977 -, und die deshalb geschätzt werden mußte. Der Kläger hat für diese Zeiträume weder Lohnsteueranmeldungen noch substantiierte Einwendungen gegen die Höhe der Schätzung und Steuerfestsetzung durch das FA erhoben.
Wegen der Verwirklichung des Haftungstatbestands für die im Haftungsbescheid festgesetzten Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge - soweit diese nicht bereits vom FG herabgesetzt worden sind - verweist der Senat auf die Vorentscheidung, gegen die die Revision insoweit keine Einwendungen erhoben hat.
c.
Soweit der Kläger noch für Lohnsteuer . . . in Anspruch genommen wird, handelt es sich nach den Feststellungen des FG um Nachforderungen gegenüber der GmbH auf Grund einer Betriebsprüfung wegen unzulässiger Pauschalierung von Aushilfslöhnen. Hier trifft den Kläger der Vorwurf grob fahrlässiger Pflichtverletzung nicht wegen der Nichtabführung einbehaltener Lohnsteuer - der Nachforderungsbetrag ist nach den Angaben im Haftungsbescheid erst nach dem Konkursantrag fällig geworden -, sondern wegen der materiell-rechtlich fehlerhaften Versteuerung der Aushilfslöhne. Der Kläger kann sich insoweit nicht auf eigene Unkenntnis oder auf eine fehlerhafte Steuerberechnung durch die Buchhalterin und den Steuerberater der GmbH berufen. Denn nach den Feststellungen des FG war die fehlerhafte Versteuerung der Aushilfslöhne durch die GmbH bereits bei der vorangegangenen Lohnsteueraußenprüfung im Jahre . . . festgestellt und beanstandet worden. Der Kläger hätte dafür Sorge tragen müssen, daß für den nachfolgenden Zeitraum die Aushilfslöhne zutreffend versteuert würden. Er hätte zu diesem Zweck die Buchhalterin entsprechend unterrichten und beaufsichtigen müssen. Das FG hat deshalb auch insoweit zu Recht die Erfüllung des Haftungstatbestandes durch den Kläger bejaht.
2.
Im Ergebnis zutreffend hat das FG auch entschieden, daß die Ermessensentscheidung des FA, den Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen, nicht zu beanstanden ist und daß die Ermessensentscheidung nicht an einem Begründungsmangel leidet.
a.
Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 34, 69 AO 1977 Haftenden handelt es sich gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 um eine Ermessensentscheidung, die nach § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508, und Urteil des erkennenden Senats vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493). Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behörlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen läßt, trifft die Auffassung der Revision grundsätzlich zu, daß die Ermessensentscheidung der Verwaltung im Haftungsbescheid, spätestens aber in der Einspruchsentscheidung begründet werden muß (vgl. § 121 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO 1977), anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist. Dabei muß die Behörde insbesondere zum Ausdruck bringen, warum sie den Haftungsschuldner anstatt des Steuerschuldners oder anstelle anderer ebenfalls für die Haftung in Betracht kommender Personen in Anspruch nimmt - Auswahlermessen - (vgl. Urteil des Senats vom 29. September 1987 VII R 54/84, BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176). Entgegen der Auffassung der Revision konnte aber im Streitfall aus den nachstehenden Gründen auf eine ausdrückliche Begründung der Ermessensentscheidung des FA in den angefochtenen Verwaltungsakten verzichtet werden.
b.
Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, bedurfte es keiner besonderen Begründung zum Auswahlermessen des FA, weil andere Personen als der Kläger für eine Inanspruchnahme als Steuer- oder Haftungsschuldner nicht in Betracht kamen.
Der Kläger war der alleinige Geschäftsführer der GmbH. Diese konnte - wie dem Kläger bekannt war (vgl. § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) - neben ihm nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg als Haftungsschuldner für die Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 EStG) herangezogen werden, nachdem ihr Konkursantrag mangels Masse abgelehnt worden war. Eine Heranziehung der Arbeitnehmer als Steuerschuldner für die einbehaltene, aber nicht an das FA abgeführte Lohnsteuer war rechtlich nicht möglich. Denn nach § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG kann der Arbeitnehmer im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft (mit dem Arbeitgeber) nur in Anspruch genommen werden, (1.) wenn der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat, (2.) wenn der Arbeitnehmer weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, soweit er dies nicht unverzüglich dem FA mitgeteilt hat. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall hinsichtlich der von den Arbeitslöhnen einbehaltenen und dem FA angemeldeten Lohnsteuer nicht vor. Aus der Sicht der Arbeitnehmer, denen nur die Nettolöhne ausgezahlt worden sind, war damit die Lohnsteuer entrichtet. Soweit der Haftungsbescheid Lohnsteuernachforderungen . . . wegen unzulässiger Pauschalierung betrifft, konnte das FA, wie das FG ebenfalls zutreffend festgestellt hat, die Arbeitnehmer - falls diese überhaupt noch Steuerschuldner waren (vgl. § 40 Abs. 3 EStG) - schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil es die Namen und Anschriften der teilzeitbeschäftigten Aushilfskräfte nicht kannte. Dies wußte auch der Kläger, so daß Ausführungen im Haftungsbescheid insoweit nicht geboten waren (§ 121 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977).
c.
Die vorstehend dargestellte Sachlage, wonach eine Realisierung der rückständigen Lohnsteuer und der damit zusammenhängenden steuerrechtlichen Nebenleistungen (Verspätungszuschläge, Säumniszuschläge) allein beim Kläger möglich ist, hat auch Auswirkungen auf die Begründungsanforderungen, die an das Entschließungsermessen, nämlich die Entscheidung des FA, seinen Haftungsanspruch aus § 69 AO 1977 gegen den Kläger geltend zu machen, gestellt werden. Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 151, 111, BStBl II 1988, 176, 178 ausgeführt hat, könnte im Hinblick auf die dem Steuergläubiger im öffentlichen Interesse obliegende Aufgabe, die geschuldeten Abgaben nach Möglichkeit zu erheben (§ 85 AO 1977), der Erlaß eines Haftungsbescheids bei Uneinbringlichkeit der Erstschuld nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ermessensfehlerhaft sein. Das FA braucht deshalb im Regelfall, wenn solche außergewöhnlichen Umstände nicht vorgetragen und nicht ersichtlich sind, seine Entschließung, den Haftenden in Anspruch zu nehmen, jedenfalls dann nicht besonders zu begründen, wenn eine anderweitige Realisierung des Steueranspruchs - beim Steuerschuldner oder bei einem anderen Haftungsschuldner - nicht möglich ist. Da im Streitfall für das FA allein die Inanspruchnahme des Klägers in Betracht kam und besondere Umstände, die es hätten veranlassen können, von der Geltendmachung des Haftungsanspruchs abzusehen, nicht vorlagen und auch von der Revision nicht vorgetragen worden sind, konnte somit auf eine nähere Darlegung des Entschließungsermessens im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung verzichtet werden.
Wie aus der vorstehend zitierten Entscheidung ersichtlich ist, gilt dies jedenfalls dann, wenn erkennbar ist, daß sich das FA des Umstandes bewußt war, daß es mit der Heranziehung des Haftungsschuldners eine Ermessensentscheidung gemäß § 191 Abs. 1 AO 1977 zu treffen hatte. Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, obwohl entsprechende Ausführungen im Haftungsbescheid und in der Einspruchsentscheidung fehlen. Die Vorentscheidung verweist insoweit zu Recht auf das von ihr in Bezug genommene Schreiben des FA vom . . ., mit dem dem Kläger der Erlaß eines Haftungsbescheids angekündigt und er zur Stellungnahme zu dem geltend gemachten Haftungsanspruch aufgefordert worden ist. In der angeforderten Stellungnahme sollten nach dem Schreiben des FA auch "Gesichtspunkte und Billigkeitsgründe, die gegen seine Inanspruchnahme sprechen könnten (z. B. angespannte wirtschaftliche Verhältnisse bzw. Vermögenslage)" mitgeteilt werden. Daraus ergibt sich, daß sich das FA bewußt war, mit dem Erlaß des Haftungsbescheids eine Ermessensentscheidung treffen zu müssen und daß es diese von dem Vorbringen des Klägers abhängig machen wollte. Da der Kläger keine außergewöhnlichen Umstände vorgetragen hat, die seine Heranziehung als Haftungsschuldner unbillig erscheinen ließen, und sein Einspruch ohne Begründung geblieben ist, brauchte das FA in den angefochtenen Verwaltungsakten auf diese Gesichtspunkte nicht mehr einzugehen.
Das FG hat damit zu Recht unter Berücksichtigung des Schreibens des FA vom . . . dessen Ermessensentscheidung für ausreichend begründet angesehen. Die Vorentscheidung steht nicht - wie die Revision meint - im Widerspruch zum Urteil des Senats in BFHE 155, 243, BStBl II 1989, 219, wonach die Ermessensentscheidung durch die bei der Prüfung der Haftungsvoraussetzung im Rahmen des § 69 AO 1977 bejahte grobe Fahrlässigkeit nicht vorgeprägt wird. Das FG hat zwar in den Urteilsgründen diese Frage angesprochen, seine Entscheidung aber nicht auf eine Vorprägung der Ermessensentscheidung durch die Tatbestandsverwirklichung in einer bestimmten Verschuldensform gestützt. Der Streitfall unterscheidet sich von der zitierten Entscheidung ferner dadurch, daß hier - wie oben ausgeführt - ein Auswahlermessen zwischen mehreren Haftungsschuldnern deshalb nicht ausgeübt werden brauchte, weil der Kläger alleiniger Geschäftsführer der GmbH war.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu 9/10 und der Beklagte zu 1/10 zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
- 1
Streitig ist, ob der Kläger als Geschäftsführer für nicht abgeführte Lohnsteuern haftet.
- 2
Der Kläger war im Streitzeitraum (Januar bis März und September und Oktober 2010) Geschäftsführer der H Verwaltungs-GmbH in H (künftig: GmbH). Weiterer Geschäftsführer der GmbH war neben dem Kläger bis zum 06.09.2010 Herr H. Die GmbH ist persönlich haftende Gesellschafterin der B GmbH & Co.KG in H (künftig: KG). Gegenstand des Unternehmens ist die industrielle Serienfertigung von Objektmöbeln (Schulmöbeln etc.).
- 3
Mit dem Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 wurde dem Kläger zugesichert, dass bestehende Lohnsteuerschulden mit persönlichen Einkommensteuererstattungen des damaligen Mitgesellschafters und Mitgeschäftsführers H ausgeglichen werden.
- 4
Am 16.04.2010 beantragte der Geschäftsführer H beim zuständigen Veranlagungsbezirk der KG die Verrechnung der fälligen Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 mit seiner persönlichen Einkommensteuererstattung. Über diesen Antrag wurde am 18.06.2010 entschieden. Die Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 wurde längstens bis zum 30.09.2010 gestundet.
- 5
Am 24.11.2010 stellte der Kläger für die KG einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 29.11.2010 - Az. ... IN .../10 - die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Im Januar 2011 wurde von Seiten des Insolvenzverwalters Masseunzulänglichkeit angezeigt (vgl. Gutachten des Insolvenzverwalters vom 12.01.2011, Bl.130 der Prozessakte).
- 6
Nachdem für den streitigen Zeitraum Januar bis März 2010 und September und Oktober 2010 angemeldete Lohnsteuerabzugsbeträge (Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchenlohnsteuer) nicht abgeführt wurden und Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen der KG erfolglos geblieben waren, nahm der Beklagte den Kläger nach Anhörung mit einem auf § 69 in Verbindung mit § 34 der Abgabenordnung (AO) gestützten Haftungsbescheid vom 31.03.2011 in Anspruch. Im Einzelnen handelt es sich um die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge aus Lohnsteueranmeldungen Januar bis März 2010 und die Lohnsteuerabzugsbeträge im Zeitraum September und Oktober 2010 der KG in Höhe von insgesamt 11.308,89 € sowie Säumniszuschläge von insgesamt 1.318,-€, wobei sich die Lohnsteuerabzugsbeträge wie folgt zusammen setzen:
- 7
Zeitraum
Fälligkeit
Lohnsteuer
SolZ zur LSt
ev. KiSt
r.k. KiSt
Mrz 10
04.05.2010
€
€
Jan 10
30.09.2010
€
€
€
€
Feb 10
30.09.2010
€
€
€
€
Sep 10
03.11.2010
€
€
€
Okt 10
10.11.2010
€
€
€
€
Summe:
10.168,94 €
467,36 €
271,34 €
401,25 €
Gesamtsumme:
11.308,89 €
- 8
Für die hälftigen Lohnsteuerabzugsbeträge und steuerlichen Nebenleistungen im Haftungszeitraum Januar bis März 2010 wurde auch der weitere Geschäftsführer H zur Haftung herangezogen.
- 9
Das Finanzamt begründete den Haftungsbescheid im Wesentlichen wie folgt: Die KG habe als Arbeitgeber ihre Pflicht verletzt, die angemeldeten Lohnsteuern zu entrichten. Auch sei sie ihrer Erklärungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen. Die Lohnsteueranmeldungen für Januar bis März 2010 seien verspätet eingereicht worden. Bei Überschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit gelte die Aufteilung der Geschäftsleitungsbefugnisse unter mehreren Geschäftsführern nicht. Die Lohnzahlung hätte bei unzureichenden vorhandenen Mitteln entsprechend gekürzt werden müssen. Es sei ermessensgerecht, neben dem Geschäftsführer H auch den Kläger in Anspruch zu nehmen.
- 10
Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger Einspruch ein, den er im Wesentlichen wie folgt begründete: Die im Haftungsbescheid genannten Fälligkeitstermine fielen alle bis auf die Lohnsteuer März 2010 in den Zeitraum von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags. Geleistete Zahlungen wären daher nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß §§ 130, 131 der Insolvenzordnung (InsO) anfechtbar gewesen. Ein Geschäftsführer, der es unterlasse, im Vorfeld eines Insolvenzantrags Zahlungen auszuführen, die der späteren Insolvenzmasse zurück zu gewähren wären (§ 143 InsO), handle nicht grob fahrlässig.
- 11
Es treffe zwar zu, dass der Kläger als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten Sorge zu tragen habe. Der Kläger sei jedoch Opfer krimineller Machenschaften aus dem Kreis der faktisch als Geschäftsführer handelnden Kommanditisten geworden. Diese kriminellen Machenschaften der Kommanditisten, die auch Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungsverfahren seien, hätten dazu geführt, dass die Gesellschaft ihren Zahlungsverpflichtungen auch gegenüber dem Fiskus nicht mehr habe nachkommen können. Hierauf sei der Kläger erst kurz vor Stellung des Insolvenzantrags aufmerksam geworden, was den Kläger zu einer Überprüfung und in der Folge zur Stellung des Insolvenzantrags und Strafantrags gegen die verantwortlichen Personen veranlasst habe. Dieses Handeln des Klägers müsse im Rahmen der Prüfung der Haftungsinanspruchnahme berücksichtigt werden. Das Auswahlermessen sei fehlerhaft ausgeübt worden (Ermessensunterschreitung), weil eine Heranziehung der faktischen Geschäftsführer, die für die Insolvenz der Gesellschaft verantwortlichen gewesen seien, zur Haftung nicht in Erwägung gezogen worden sei.
- 12
Eine grob fahrlässige oder vorsätzliche Pflichtverletzung des Klägers läge nicht vor. In diesem Zusammenhang rügte der Kläger, dass sich die Begründung des Haftungsbescheids zur Frage des Verschuldens in plakativen Angaben erschöpfe, wonach grundsätzlich von einem Verschulden des Haftungsschuldners auszugehen sei, wenn dessen Pflichtverletzung feststünde. Hierzu sei anzumerken, dass diese Rechtsprechung auf der Basis der nicht mehr geltenden Abgabenordnung ergangen sei, nach der jegliches Verschulden des Haftungsschuldners ausgereicht habe, um dessen Regresspflichtigkeit zu begründen. In der Abgabenordnung von 1977 sei dies jedoch ausdrücklich aufgegeben worden. Soweit danach der Maßstab der groben Fahrlässigkeit im Gesetz vorgegeben sei, müssten auch hierzu Tatsachen positiv festgestellt werden. Umstände, die zur Annahme von grober Fahrlässigkeit ausreichen würden, seien jedoch nicht ersichtlich.
- 13
Nach der internen Zuständigkeitsvereinbarung sei der Mitgeschäftsführer H für die Erledigung steuerlicher Aufgaben und somit für die Abführung der Lohnsteuer zuständig gewesen. Bei gleichzeitiger Einbindung einer Steuerberaterin habe der Kläger auch hinreichend Sorge dafür getragen, dass die der Gesellschaft obliegenden steuerlichen Pflichten erfüllt würden. Seiner Überwachungspflicht sei der Kläger in vollem Umfang nachgekommen, indem er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt würden. Die hierbei erlangten Informationen habe er durch stichprobenartige Kontrollen verifizieren können. Insbesondere habe er gewusst, dass der Mitgeschäftsführer H und die Steuerberaterin auch in ständigem Kontakt mit dem Finanzamt standen. Nicht zuletzt habe allein die mehr als sorgfältige Kontrolle des Klägers es ermöglicht, einen unverzüglichen und rechtzeitigen Insolvenzantrag zu stellen. In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung werde grobe Fahrlässigkeit jedoch nur dann angenommen, wenn ein nomineller Geschäftsführer sich in keinster Weise um die Geschicke der Gesellschaft und um die Erfüllung steuerlicher Pflichten gekümmert habe.
- 14
Der Kläger habe auch nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er zunächst darauf vertraut habe, dass der intern hierfür Verantwortliche den Ausgleich der gestundeten Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 veranlasst habe. Es habe eine klare Vereinbarung über die Verrechnung der Lohnsteuer mit persönlichen Einkommensteuererstattungsansprüchen des Gesellschafters H gegeben.
- 15
Der Kläger habe nicht erkennen können, dass die Gesellschaft aufgrund der kriminellen Machenschaften am 30.09.2010 außer Stande sein werde, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Nachdem er hiervon Kenntnis erlangt habe, habe er in nicht vorwerfbar Weise gehandelt, indem er einen Insolvenzantrag gestellt habe. Innerhalb der dreiwöchigen Antragsfrist des § 15a InsO habe er sich in einer haftungsbefreienden Pflichtenkollision befunden, so dass auch insoweit keine grobe Fahrlässigkeit angenommen werden könne.
- 16
Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit könne auch schon deshalb nicht erhoben werden, weil der Kläger anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht habe sicher beurteilen können, wie er sich habe verhalten sollen. Denn zwischen der Rechtsprechung des BGH und der des BFH bestünden gravierende Meinungsverschiedenheiten dergestalt, wie die Kollision von sozial- und steuerrechtlichen Abgabenobliegenheiten einerseits und insolvenzrechtlicher Verpflichtung andererseits aufzulösen sei, so dass auch von dem Kläger nicht habe verlangt werden können, die Rechtslage insoweit im Einklang mit der unzutreffenden Auffassung des BFH einzuschätzen. Aus dieser misslichen Situation negative Konsequenzen ableiten zu wollen, widerspräche dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG.
- 17
Im Übrigen sei ein adäquat kausaler Schaden nicht eingetreten. Die potentielle Anfechtbarkeit lasse den Eintritt eines Schadens für den Fiskus entfallen. Soweit diese rechtliche Würdigung für die Abführung von Sozialabgaben im Rahmen des Schadenersatzanspruchs nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266a StGB anerkannt sei, verbiete sich für die Lohnsteuerabführung eine abweichende Beurteilung (BGH NJW 2005, 2546). Eine andere Sichtweise würde die Steueransprüche in der Insolvenz gegenüber anderen Insolvenzforderungen eklatant begünstigen, was nach der Insolvenzordnung nicht mehr vorgesehen sei. Die abweichende Auffassung des BFH, dass hypothetische Kausalverläufe und damit eine potentielle insolvenzrechtliche Anfechtbarkeit der Lohnsteuerabführung außer Betracht zu bleiben seien, sei unzutreffend. Die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe führe nicht zu einer Gefährdung der Haftungsansprüche, wie der BFH meine, vielmehr würde hierdurch eine zutreffende Darstellung der gesetzlich vorgesehenen Vermögenszuordnung erfolgen.
- 18
Ferner führte der Kläger aus, dass auch die Höhe des geltend gemachten Haftungsbetrags nicht nachvollziehbar sei. Denn bei ordnungsgemäßer Erfüllung der steuerlichen Pflichten hätten nur gekürzte Nettolöhne ausbezahlt werden dürfen, weshalb sich auch die Lohnsteuerschuld verringert hätte.
- 19
Vor einer Haftungsinanspruchnahme des Klägers wäre zudem abzuwarten, ob nicht eine teilweise Befriedigung im Rahmen des Insolvenzverfahrens aus dem Vermögen der Gesellschaft möglich sei.
- 20
Mit Einspruchsentscheidung vom 18.04.2012 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23.09.2008 VII R 27/07, BStBl II 2009, 129) eine Haftung nach § 69 AO auch dann nicht ausgeschlossen sei, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist falle, welche dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG eingeräumt werde. Folglich sei die Haftungsinanspruchnahme des Klägers für die Lohnsteuer Oktober 2010, deren Fälligkeit innerhalb der Schonfrist gelegen habe, zu Recht erfolgt.
- 21
Der BFH habe mit Urteil vom 05.06.2007 (VII R 65/05, BStBl II 2008, 273) entschieden, dass sich ein Geschäftsführer nicht auf die Anfechtung einer gedachten Zahlung nach § 130 InsO - geleistete Zahlungen innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags - berufen könne, weil der Schadensersatzcharakter des § 69 AO und der Schutzzweck dieser Norm die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe ausschließe. Zudem habe nur die rückwirkend ausgesprochene Stundung der Lohnsteuer für Januar und Februar 2010 dazu geführt, die Fälligkeit dieser Steuern auf den 30.09.2010 zu verschieben. Diese Stundung könne somit nicht die nicht rechtzeitige Abführung der Lohnsteuer entschuldigen. Nach der Entscheidung des BFH vom 20.04.1982 (VII R 96/79, BStBl II 1982, 521) könne nur eine vor dem Zahlungstermin gewährte Stundung oder eine mündliche Stundungszusage den Kläger von der Zahlung entlasten.
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Zwischen der Schadenersatznorm des § 823 BGB und der steuerrechtlichen Haftungsvorschrift des § 69 AO bestünden verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Unterschiede, welche eine uneingeschränkte Übertragung der zum Schadenersatzrecht, insbesondere zur Berücksichtigung von hypothetischen Kausalverläufen ergangenen BGH-Rechtsprechung nicht geboten erscheinen ließen. Nach § 69 AO sollte der Vertreter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm obliegenden steuerlichen Pflichten angehalten und das Steueraufkommen durch Schaffung einer Rückgriffsmöglichkeit gesichert werden, was bei Berücksichtigung eines hypothetischen Kausalverlaufs als gefährdet erscheine. Wegen des damit einhergehenden Verwaltungsaufwands sei es auch nicht realisierbar, insolvenzrechtliche Anfechtungstatbestände bei der Ermessensausübung vorab zu prüfen.
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Weiterhin führte der Beklagte aus, dass mehrere Geschäftsführer zur Haftung herangezogen werden könnten, sofern keine vorweg getroffene schriftliche Vereinbarung hinsichtlich der Aufgabenbereiche ausgehandelt worden sei, wodurch die Gesamtverantwortung begrenzt, nicht aber aufgehoben werde (BFH, Urteil vom 26.04.1984 V R 128/79, BStBl II 1984, 776). Vorliegend fehle eine solche Vereinbarung. Mit Eintritt in die Gesellschaft sei dem Kläger bekannt gewesen, dass sich die Gesellschaft in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe; dennoch sei er seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen. Auch der Umstand, dass der Kläger Opfer krimineller Machenschaften geworden sei und erst im nachhinein erfahren habe, dass die Gesellschaft ihre Steuerschulden nicht getilgt habe, ändere nichts am Vorliegen einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Klägers, sich nicht um die rechtzeitige Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer gekümmert zu haben. Für den Arbeitgeber handle es sich bei der abzuführenden Lohnsteuer um fremde Gelder, welche er treuhänderisch zu verwalten und an das Finanzamt abzuführen habe. Er dürfe die Gelder nicht im Vertrauen darauf sach- und zweckwidrig verwenden, dass er später die Steuer aus anderen Mitteln entrichten könne. Sofern nicht genügend Gelder zur Auszahlung der Löhne vorhanden seien, müsse eine Nettolohnkürzung vorgenommen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liege eine grob fahrlässige Pflichtverletzung vor, wenn die einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer bei Fälligkeit nicht entrichtet werde.
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Da die Eintreibung der Verbindlichkeiten bei der Gesellschaft als nicht realisierbar erscheine, sei eine Haftungsinanspruchnahme beider Gesellschafter ermessensgerecht. Beide Gesellschafter-Geschäftsführer seien für die Pflichtverletzung verantwortlich, was auch bei der Höhe der Inanspruchnahme (hälftig) Berücksichtigung gefunden habe. Bei seiner Vorsprache am 15.04.2011 beim Finanzamt habe der Kläger seiner hälftigen Haftungsinanspruchnahme zugestimmt.
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Mit Schreiben vom 11.07.2012 (Bl. 40 der Prozessakte) hat der Beklagte den angefochtenen Haftungsbescheid auf die Lohnsteuerabzugsbeträge (Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag) beschränkt und die Haftungssumme um die Säumniszuschläge von 1.318,-€ auf insgesamt 11.308,89 € reduziert.
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Im Rahmen seiner Klage wiederholt der Kläger im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass sich aus der Einspruchsentscheidung nicht ergebe, worin der Beklagte eine Überwachungspflichtverletzung des Klägers sehe. Insoweit vermisse der Kläger eine Auseinandersetzung mit seinen Ausführungen, wonach er die Erfüllung steuerlicher Obliegenheiten stets und fortwährend kontrolliert und mit seinem Mitgeschäftsführer und der Steuerberaterin abgesprochen habe. Ferner ist er der Ansicht, dass auch nach Erlass der Einspruchsentscheidung der angefochtene Bescheid ermessensfehlerhaft bleibe. Der Beklagte habe nach wie vor nicht in Erwägung gezogen, die als faktische Geschäftsführer handelnden Kommanditisten nach §§ 69, 35 AO zur Haftung heranzuziehen.
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Das Gericht hat zur weiteren Klärung des Sachverhalts, insbesondere zur Liquidität der KG, die Aufklärungsverfügung vom 14.05.2013 erlassen, auf die ebenso Bezug genommen wird wie auf die Antwort des Klägers vom 11.06.2013 (Bl.62f und 65f der Prozessakte). Insbesondere teilte der Kläger mit, dass die Löhne und Gehälter immer am 15. des auf den Abrechnungsmonat folgenden Monats fällig gewesen seien. Die Löhne und Gehälter für September und Oktober 2010, die am 15.10.2010 bzw. 15.11.2010 fällig gewesen seien, hätten von der KG nicht mehr gezahlt werden können, was die Zeugen B und M bezeugen könnten. Angaben zu den von der KG erzielten Umsätze im Zeitraum September 2010 bis 24.11.2010, zur Frage der Befriedigung von Gläubigern der KG sowie zu Zahlungsein- und -ausgängen seien dem Kläger ohne Einsicht in die Geschäftsbücher der KG, die sich beim Insolvenzverwalter befänden, nicht möglich.
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Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 31.03.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.04.2012 und in Gestalt des Haftungsbescheids vom 11.07.2012 soweit aufzuheben, als der Kläger für Lohnsteuern Januar, Februar, März, September und Oktober 2010 in Anspruch genommen wird.
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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
- 30
Er bezieht sich auf seine Einspruchsentscheidung, auf die wegen der dortigen Rechtsausführungen im Einzelnen verwiesen wird. Ergänzend trägt er vor, ihm sei nicht bekannt, dass vorliegend ein Verfügungsberechtigter im Sinne von § 35 AO als faktischer Geschäftsführer bestellt worden sei.
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Auf die gerichtliche Aufklärungsverfügung vom 17.06.2013 teilte der im Insolvenzverfahren betreffend die KG bestellte Insolvenzverwalter mit Schreiben vom 10.09.2013 mit (Bl.77f der Prozessakte), dass die KG Umsätze im September 2010 in Höhe von 480.088,87 €, im Oktober 2010 in Höhe von 428.813,92 € und im November 2010 in Höhe von 393.964,37 € erzielt habe. An Gläubiger seien ausweislich des Kontos "Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen" Zahlungen im September 2010 in Höhe von 306.787,45 €, im Oktober 2010 in Höhe von 458.628,66 € und im November 2010 in Höhe von 177.278,85 € geleistet worden. Zur Frage der Zahlungsfähigkeit verwies der Insolvenzverwalter auf sein Gutachten vom 12.01.2011 (Bl.88f der Prozessakte). Für den Monat September 2010 seien Löhne in einer Gesamthöhe von 81.064,65 € ausbezahlt worden; für Oktober seien von Seiten der KG lediglich Vorschusszahlungen in Höhe von 18.937,49 € geleistet worden.
Entscheidungsgründe
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I. Die Klage ist unbegründet.
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Der Haftungsbescheid ist rechtmäßig. Nach § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist die Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners zweigliedrig (vgl. BFH, Urteil vom 13.04.1978 V R 109/75, BStBl II 1978, 508). Das Finanzamt hat zunächst zu prüfen, ob in der Person oder den Personen, die es heranziehen will, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftungsvorschrift erfüllt sind. Dabei handelt es sich um eine vom Gericht in vollem Umfang überprüfbare Rechtsentscheidung. Daran schließt sich die nach § 191 Abs. 1 AO zu treffende Ermessensentscheidung des Finanzamts an, ob und wen es als Haftenden in Anspruch nehmen will. Diese auf der zweiten Stufe zu treffende Entscheidung ist gerichtlich nur im Rahmen des § 102 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) auf Ermessensfehler (Ermessensüberschreitung, Ermessensfehlgebrauch) überprüfbar.
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Davon ausgehend ist die Haftungsinanspruchnahme des Klägers gemäß § 69 i. V. m. § 34 AO nicht zu beanstanden.
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1.
a) Gemäß § 69 i. V. m. § 34 AO haften die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Pflichtverletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden.
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Gesetzlicher Vertreter ist bei einer GmbH deren Geschäftsführer (§§ 6, 35 GmbH-Gesetz). Im Falle einer mit der Geschäftsführung betrauten Komplementär-GmbH hat er in dieser Funktion auch für die Erfüllung der Pflichten der KG Sorge zu tragen.
- 38
Der Kläger war als Geschäftsführer der Komplementärin deren gesetzlicher Vertreter. Er hatte daher als solcher auch die steuerlichen Pflichten der KG zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO).
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b) Der Kläger hat seine Pflicht zu Erfüllung der der KG als Arbeitgeberin erwachsenen Lohnsteuerhaftungsansprüche aus § 42d EStG für den Zeitraum Januar bis März und September bis Oktober 2010 nicht (vollständig) erfüllt. Denn er hat insoweit die Lohnsteuern für die Arbeitnehmer der KG nicht (vollständig) abgeführt.
- 40
Die Lohnsteuer entsteht nach § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt. Im Streitfall war die Lohnsteuer für die o.g. Zeiträume mit Auszahlung der entsprechenden Löhne entstanden. Entgegen dem Vortrag des Klägers wurden auch die Löhne für September und Oktober 2010 nach Angaben des Insolvenzverwalters teilweise ausgezahlt (vgl. Bl. 131 bis 133 der Prozessakte).
- 41
Der Vortrag des Klägers, wonach er nach der internen Aufgabenverteilung zwischen ihm und dem Mitgeschäftsführer H allein für den Vertrieb zuständig gewesen sei und sich der Geschäftsführer H um die Erfüllung der steuerlichen Pflichten gekümmert habe, vermag eine Pflichtverletzung des Klägers nicht auszuschließen. Eine diesbezügliche eingeschränkte Verantwortlichkeit des Klägers für die Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen käme zudem nur für streitige Lohnsteuerbeträge der Anmeldungszeiträume Januar bis März in Betracht.
- 42
Sind mehrere gesetzliche Vertreter einer juristischen Person bestellt, so trifft jeden von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung in vollem Umfang. Grundsätzlich hat daher auch jeder von ihnen alle steuerlichen Pflichten, die der juristischen Person auferlegt sind, ordnungsgemäß zu erfüllen. Es gilt das Prinzip der Gesamtverantwortung eines jeden gesetzlichen Vertreters. Dieses Prinzip verlangt zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im Ganzen (vgl. etwa BFH, Urteil vom 23.06.1998 VII R 4/98, BStBl II 1998, 761 m.w.N.).
- 43
Ungeachtet dessen kann bei einer Verteilung der Geschäfte einer Gesellschaft auf mehrere Geschäftsführer die Verantwortlichkeit für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten desjenigen Geschäftsführers, dem diese nicht zugewiesen sind, zwar nicht aufgehoben, aber doch begrenzt werden. Dies erfordert allerdings eine im Vorhinein getroffene, eindeutige - und deshalb schriftliche - Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass im Haftungsfall jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen verweist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 21.10.2003 VII B 353/02, BFH/NV 2004, 157, und vom 04.03.1986 VII S 33/85, BStBl II 1986, 384; BFH, Urteil vom 26.04.1984 V R 128/78, BStBl II 1984, 776).
- 44
Aber selbst bei Vorliegen einer klaren, eindeutigen und schriftlichen Aufgabenverteilung muss der nicht mit den steuerlichen Angelegenheiten einer Gesellschaft betraute Geschäftsführer einschreiten, wenn die Person des Mitgeschäftsführers oder die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft dies erfordern, beispielsweise in finanziellen Krisensituationen (BFH, Beschluss vom 04.03.1986 VII S 33/85 aaO). Zudem muss er dafür sorgen, dass er im Falle des Eintritts einer solchen Krise rechtzeitig davon erfährt.
- 45
Im Streitfall fehlt es bereits an einer schriftlichen Aufgabenverteilung zwischen dem Kläger und dem weiteren Geschäftsführer. Schon aus diesem Grund ist der geltend gemachte Gesichtspunkt einer Geschäftsverteilung haftungsrechtlich ohne Bedeutung. Ungeachtet dessen traf den Kläger zum Zeitpunkt der hier streitigen Lohnzahlungen für Januar bis März 2010 ohnehin eine gesteigerte Überwachungspflicht. Der Kläger hat geschildert, dass bereits bei seinem Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 vereinbart worden sei, dass Lohnsteuerschulden mit privaten Einkommensteuererstattungen des Mitgesellschafters H verrechnet werden sollten. Folglich befand sich die KG bereits im Jahr 2009 in einer finanziellen Schieflage, weil ihre liquiden Mittel nicht zur Begleichung der Steuerschulden ausreichten. In Anbetracht dieser Situation wäre selbst im Falle einer schriftlichen Aufgabenverteilung die Gesamtverantwortung des Klägers wieder aufgelebt.
- 46
c) Die Nichtabführung der Lohnsteuer stellt regelmäßig eine zumindest grob fahrlässige Verletzung der Pflichten eines Geschäftsführers im Sinne der §§ 34, 69 AO dar. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist die Frage des Verschuldens bei der Abführung einbehaltener Lohnsteuer streng zu beurteilen (z. B. BFH, Urteil vom 01.08.2000 VII R 110/99, BStBl II 2001, 271). Der Grund dafür liegt im System des Lohnsteuerabzugsverfahrens begründet. Die abzuführende Steuer ist ein bei der Lohnzahlung zurückbehaltener Teil des Lohnes der Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer ist Schuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 EStG). Der Arbeitgeber zieht die Lohnsteuer nur treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuerfiskus ein; es handelt sich mithin für ihn um wirtschaftlich fremde Gelder, die er nicht sach- und zweckwidrig selbst verwenden darf. Die Nichtabführung der Lohnsteuer verletzt daher im allgemeinen ohne weiteres die Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Person, dafür zu sorgen, dass die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet wird. Die Verletzung dieser Verpflichtung ist regelmäßig schuldhaft.
- 47
Der Vortrag des Klägers vermag den durch die unstreitige Nichtabführung der Lohnsteuern indizierten gegenüber dem Kläger zu erhebenden Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO nicht zu entkräften.
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aa) Der Kläger kann sich nicht damit entschuldigen, dass eine Steuerberaterin eingebunden gewesen sei und er sich in regelmäßigen Abständen darüber informiert habe, dass die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft erfüllt würden, wobei er die hierbei erlangten Informationen durch stichprobenartige Kontrollen habe verifizieren können.
- 49
Allgemein gilt, dass ein gesetzlicher Vertreter im Sinne des § 34 AO die ihm obliegenden Pflichten auch dadurch verletzen kann, dass er ungeachtet der erkennbar entstehenden Steueransprüche für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit keine Sorge trifft. Dabei kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein bestimmtes pflichtmäßiges Verhalten auch schon vor der Entstehung der Steuerforderung geboten sein, wenn die Entstehung absehbar war. Gerade in der finanziellen Krise wird von den gesetzlichen Vertretern einer Gesellschaft verlangt, dass sie vorausschauend planen und entsprechende Mittel zur Entrichtung von Steuern bereithalten, von denen sie wissen, dass ihre Entstehung unmittelbar bevorsteht (BFH, Urteile vom 11.03.2004 VII R 19/02, BStBl II 2004, 967; vom 16.12.2003 VII R 77/00, BStBl II 2005, 249, und vom 09.01.1997 VII R 51/96, NFH/NV 1997, 324).
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Besonderheiten gelten für die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer: Reichen infolge eines Liquiditätsengpasses die der Gesellschaft zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteuer) nicht aus, dürfen die Löhne nur gekürzt ausgezahlt werden, als Vorschuss oder Teilbetrag, so dass der gesetzliche Vertreter im Sinne des § 34 AO aus den der Gesellschaft verbleibenden Mitteln die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann. Kommt der gesetzliche Vertreter dieser Verpflichtung nicht nach und vertraut er darauf, dass er die Steuerrückstände später, nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten, wird ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko des § 69 AO eingegangen (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 20.01.1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814).
- 51
Der entscheidende gegen den Kläger gerichtete Schuldvorwurf lautet daher im Streitfall, dass er in Kenntnis der finanziellen Situation der KG im Vorfeld hätte darauf hinwirken müssen, dass die Löhne für den Streitzeitraum nur gekürzt ausgezahlt und dass die auf die gekürzten Löhne entfallende Lohnsteuer aus dem dann der KG verbleibenden Geld ordnungsgemäß einbehalten und an den Beklagten abgeführt werden. Dies hat der Kläger nicht getan. Er hat sich seinen Darlegungen zufolge auch nicht darum bemüht, obwohl er schon wenigstens seit Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009, also vor Auszahlung der streitigen Löhne, wusste, dass die Gesellschaft bereits im Jahr 2009 Lohnsteuerschulden hatte und ihr somit Geld fehlte. Hinzu kommt, dass der Sachvortrag des Klägers hinsichtlich seiner Überwachungspflicht auch unsubstantiiert ist. Der Kläger trägt nicht vor, welche Informationen er über die steuerliche Situation erlangt hatte und auf welche Art und Weise er die erlangten Erkenntnisse habe verifizieren können. Zudem war ihm bereits im Jahr 2009 bekannt, dass nicht alle Abgaben beglichen waren, so dass bereits aus diesem Grund Anlass zur Prüfung der steuerlichen Situation bestanden hat.
- 52
bb) Der Kläger kann sich nicht auf eine entschuldigende Kollision mit der ihn treffenden Pflicht zur Masseerhaltung nach § 64 GmbHG berufen. Danach würde sich der Geschäftsführer einer GmbH (zivilrechtlich) ersatzpflichtig machen, wenn er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der GmbH an deren Gläubiger noch Zahlungen leistete, es sei denn dies wäre mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar (vgl. zur Pflichtenkollision: BFH, Urteil vom 27.02.2007 VII R 67/05, BFH/NV 2007, 1732). Abgesehen davon, dass es sich im Streitfall um die Zahlungsunfähigkeit der KG und nicht der geschäftsführenden Komplementär-GmbH handelt, kann einer solchen Pflichtenkollision jedoch dann keine schuldausschließende Wirkung beigemessen werden, wenn der Geschäftsführer – wie im Streitfall der Kläger – die ungekürzten Nettolöhne auszahlt und es unterlässt, die Steuerbeträge abzusondern und zur Abführung an das Finanzamt bereitzuhalten (BFH, Urteil vom 20.04.1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142). Zudem hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Begleichung der steuerlichen Abzugsbeträge als rechtlich zwingende Folge der vorherigen Auszahlung der Nettolöhne mit der Sorgfalt eines Geschäftsmanns vereinbar ist und auch deshalb keine Pflichtenkollision auslöst (§ 64 Satz 2 GmbHG).
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cc) Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die KG nicht mehr über die Mittel zur Erfüllung der Steueransprüche verfügt haben soll. Wie bereits ausgeführt, darf der Geschäftsführer vielmehr, wenn infolge eines Liquiditätsengpasses die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann (vgl. BFH, Urteil vom 27.02.2007 VII R 67/05 aaO). Nimmt der Geschäftsführer die gebotene Lohnkürzung nicht vor, geht er damit bewusst ein Haftungsrisiko ein, so dass ihn die Haftungsfolgen des § 69 AO auch bei unerwartetem Ausbleiben der Kreditmittel oder bei einem unerwarteten Eintritt der Zahlungsunfähigkeit treffen (BFH, Urteil vom 11.12.1990 VII R 85/88, BStBl II 1991, 282).
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Im Streitfall kommt es daher auch nicht darauf an, dass der Kläger möglicherweise das Unvermögen der KG zur Zahlung der Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 bei Fälligkeit im September 2010 nicht vorhergesehen hatte. Da dem Kläger bei Eintritt in die Gesellschaft im Jahr 2009 bereits bekannt war, dass Lohnsteuerschulden bestehen und es der Gesellschaft somit an flüssigen Geldmittel mangelte, durfte er zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit nicht im Vertrauen darauf, dass die Lohnsteuerschulden für Januar und Februar 2010 mit privaten Einkommensteuererstattungen des damaligen Gesellschafters H verrechnet werden, von einer entsprechenden Kürzung des Arbeitslohns und der abgesonderten Bereithaltung der Abzugsbeträge absehen.
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Den Kläger vermag auch der Umstand nicht zu entschuldigen, dass nach seinem Vortrag die Kommanditisten als faktische Geschäftsführer für die Nichtbegleichung der Steuerschulden verantwortlich gewesen seien. Es kann im Streitfall dahinstehen, ob dies objektiv zutreffend war. Denn auch in diesem Fall ließe dieser Umstand den Schuldvorwurf nicht entfallen. Die Haftung ergibt sich schon aus der nominellen Bestellung zum Geschäftsführer und ohne Rücksicht darauf, ob die Geschäftsführung auch tatsächlich ausgeübt werden kann und ob sie ausgeübt werden soll. Der Geschäftsführer kann sich mithin nicht damit entschuldigen, dass er von der ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte ferngehalten wurde und die Geschäfte tatsächlich von einem anderen geführt worden sind. Selbst eine lediglich nominell zum Geschäftsführer bestellte Person könnte sich nicht damit entlasten, dass sie keine Möglichkeit gehabt habe, ihre rechtliche Stellung als Geschäftsführer innerhalb der Gesellschaft zu verwirklichen und die steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Ist der Geschäftsführer nicht in der Lage, sich innerhalb der Gesellschaft durchzusetzen und seiner Rechtsstellung gemäß zu handeln, so muss er als Geschäftsführer zurücktreten und darf nicht im Rechtsverkehr den Eindruck erwecken, als sorge er für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 23.03.1993 VII R 38/92, BStBl II 1993, 581 m.w.N.).
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d) Dem Fiskus ist aufgrund der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers ein Schaden in Höhe der nicht abgeführten Lohnsteuerabzugsbeträge entstanden.
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aa) Zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Klägers und dem Eintritt des durch die Nichtentrichtung der Lohnsteuer entstandenen Vermögensschadens besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, wenn diese vom Kläger innerhalb von drei Monaten vor Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet worden wären, nach § 130 InsO hätte anfechten können.
- 58
Durch die pflichtwidrige Nichtabführung fällig gewordener Steuerbeträge wird eine reale Ursache für den Eintritt eines Vermögensschadens in Form eines Steuerausfalls gesetzt, so dass die Kausalität dieser Ursache für den Schadenseintritt durch eine gedachte Anfechtung des Insolvenzverwalters nicht rückwirkend beseitigt werden kann. Der vom Gesetzgeber § 69 AO beigemessene Schutzzweck und die vom BGH geforderte wertende Beurteilung lassen es nach der Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, nicht geboten erscheinen, den hypothetischen Kausalverlauf im Falle einer gedachten Anfechtung nach §§ 129ff InsO im Rahmen der Schadenszurechnung zu berücksichtigen und infolgedessen die Haftung des von § 69 AO erfassten Personenkreises (vgl. § 34 und § 35 AO) entfallen zu lassen (BFH, Urteile vom 05.06.2007 VII R 65/05, BStBl II 2008, 273; vom 04.12.2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521).
- 59
bb) Entgegen dem Vorbringen des Klägers setzt sich die Rechtsprechung des BFH auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Die zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen getroffenen Entscheidungen (BGH, Urteile vom 18. April 2005 II ZR 61/03, DStR 2005, 978; vom 14. November 2000 VI ZR 149/99, DStR 2001, 222) betreffen eine mögliche Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB und damit einen deliktischen Schadensersatzanspruch. Um einen solchen handelt es sich bei § 69 AO jedoch nicht. Vielmehr normiert § 69 AO einen öffentlich-rechtlichen - und zivilrechtlich nicht abdingbaren - Haftungsanspruch, der eine Sonderverbindlichkeit gegenüber dem Fiskus begründet. Der Haftung kommt eine Ausgleichsfunktion und lediglich der Charakter eines Schadensersatzanspruchs zu. Daneben verfolgt § 69 AO den Zweck, das bei steuerrechtlich nicht geschäfts- und handlungsfähigen Steuerpflichtigen auftretende Erfordernis der Stellvertretung an die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts anzupassen und damit zur Aufkommenssicherung beizutragen. Aus diesen Gründen kann die zum Deliktsrecht entwickelte Rechtsprechung des BGH nicht ohne weiteres auf die Haftung nach den Vorschriften der AO übertragen werden (vgl. BFH, Urteil vom 04.12.2007 VII R 18/06, BFH/NV 2008, 521). Folglich liegt eine Divergenz zur BGH-Rechtsprechung nicht vor.
- 60
2.
Der klagegegenständliche Haftungsbescheid begegnet auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsnatur als Ermessensentscheidung des Beklagten keinen rechtlichen Bedenken (§ 191 Abs. 1 Satz 1, § 5 AO). Anhaltspunkte für eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehlgebrauch seitens des Beklagten sind nicht ersichtlich (§ 102 Satz 1 FGO).
- 61
Insbesondere hat der Beklagte auch sein Auswahlermessen zutreffend ausgeübt.
- 62
Vollstreckungsmaßnahmen gegen die KG waren erfolglos verlaufen. Über das Vermögen der KG wurde am 24.11.2010 ein Insolvenzantrag gestellt. Im Januar 2011 wurde vom vorläufigen Insolvenzverwalter Masseunzulänglichkeit angezeigt.
- 63
Eine Inanspruchnahme der Gesellschaft war bei Erlass des Haftungsbescheides daher nicht erfolgversprechend. Von ihrer Inanspruchnahme als mögliche Haftungsschuldnerin nach § 42d EStG hat der Beklagte deshalb mit zutreffender Begründung abgesehen. Bezüglich der Ermessensausübung ist zu beachten, dass gegen den weiteren Geschäftsführer H ebenfalls ein Haftungsbescheid erlassen wurde, mit dem dieser für den Haftungszeitraum Januar bis März 2010 (hälftig) zur Haftung herangezogen wurde.
- 64
Gründe, die eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftenden als ermessenswidrig erscheinen lassen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich. Aufgrund der Tatsache, dass angemeldete Lohnsteuer nicht abgeführt wurde, konnte das Finanzamt ohne Ermessensverstoß von einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der dem Kläger als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auferlegten steuerlichen Pflichten ausgehen, da nach der bereits erwähnten BFH-Rechtsprechung in einem derartigen Fall die bloße Pflichtwidrigkeit im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit indiziert.
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Konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Haftung von weiteren Personen als faktische Geschäftsführer der Gesellschaft wurden nicht dargelegt. Es ist nicht ersichtlich, welche Kommanditisten faktisch die Geschäftsführung der KG durch die Ausübung welcher Befugnisse in welchem Zeitraum übernommen haben. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers, wonach die "Kommanditisten" der KG, die für die Insolvenz der Gesellschaft und die Nichtbegleichung der Steuerschulden verantwortlich gewesen seien, faktische Geschäftsführer gewesen seien, ist vielmehr unsubstantiiert. Die Annahme einer faktischen Geschäftsführung und damit von weiteren etwaigen Haftungsschuldnern ergibt sich aus diesem Sachvortrag nicht.
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3.
Der Haftungsbescheid ist auch in Bezug auf die Höhe der (noch streitigen) Haftungssumme nicht zu beanstanden.
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a) Die Orientierung der Haftungssumme an den ausgezahlten Löhnen, auch bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft, rechtfertigt sich nach Auffassung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, daraus, dass die abzuführende Lohnsteuer Teil des geschuldeten Brutto-Arbeitslohnes ist, den der Arbeitgeber treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuergläubiger einzuziehen hat. Im Grunde handelt es sich bei den Lohnsteuerabzugsbeträgen um Fremdgelder, die die Liquidität der von dem Geschäftsführer vertretenen GmbH nicht berühren und deshalb zur Abführung an das Finanzamt bereitzuhalten sind.
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Der Kläger hat auch nicht das Vorliegen der Voraussetzungen für eine sog. quotale Haftung entsprechend den für die Umsatzsteuer entwickelten Grundsätzen ausreichend dargelegt. In seinem Urteil vom 26.07.1988 (VII R 83/87, BStBl II 1988, 859) hat der BFH ausgeführt, dass dann, wenn die Gesellschaft nur über Mittel in Höhe der ausgezahlten Netto-Löhne verfügt hat, ein Schuldvorwurf im Sinne des § 69 AO gegenüber den Geschäftsführern nicht hinsichtlich der in voller Höhe angemeldeten, aber nicht abgeführten Lohnsteuer erhoben werden könne, sondern nur hinsichtlich derjenigen Lohnsteuerbeträge, die er bei der gebotenen Kürzung der Netto-Löhne an das Finanzamt hätte abführen können. Nur in Höhe dieser Beträge ist auch dem Finanzamt durch das pflichtwidrige Verhalten des Geschäftsführers ein Schaden entstanden; denn mit der Entrichtung der angemeldeten auf die geschuldeten Brutto-Löhne entfallenden Steuern konnte anlässlich mangelnder Zahlungsmittel von vornherein nicht gerechnet werden. Der Geschäftsführer kann deshalb nach den §§ 69, 34 Abs. 1 AO nur hinsichtlich der Beträge als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, die bei der Behandlung der ihm zur Verfügung stehenden, an die Arbeitnehmer ausgezahlten Gelder als Brutto-Löhne und der gebotenen anteiligen Befriedigung der Arbeitnehmer und des Finanzamts als Steuerabzugsbeträge angefallen wären. Diese Haftungsbeschränkung entspricht der Haftung des Geschäftsführers für die Umsatzsteuer bei zur Befriedigung aller Gläubiger nicht ausreichenden Zahlungsmitteln, allerdings mit dem Unterschied, dass sich die Haftungsquote nicht nach dem möglichen Umfang einer gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, sondern nur nach der möglichen anteiligen Befriedigung des Finanzamts und der Arbeitnehmer bemisst.
- 69
Diese Haftungsbeschränkung kommt nach Auffassung des BFH jedoch nur in Ausnahmefällen und nur im Rahmen eines längeren Haftungszeittraums allenfalls für den oder die letzten Lohnsteueranmeldungszeiträume in Betracht. Denn sie setzt voraus, dass dem Geschäftsführer ab dem Zeitpunkt der letzten Lohnzahlung - hier für Oktober 2010 - nur Mittel in Höhe der ausbezahlten Netto-Löhne zur Verfügung standen, d.h. gerade noch die Netto-Löhne in voller Höhe ausbezahlt werden konnten, sonst aber keine Zahlungsmittel mehr vorhanden waren. Für diesen außergewöhnlichen Sachverhalt trägt der Haftungsschuldner nach den Grundsätzen über die Beweislast im Steuerprozess die objektive Beweislast (Feststellungslast).
- 70
Der Kläger hat das Vorliegen einer derartigen Situation weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht oder nachgewiesen. Gegen den Umstand, dass ab Oktober 2010 überhaupt keine (weiteren) Zahlungsmittel mehr vorhanden waren, spricht bereits, dass noch in den Monaten September bis November Umsätze in Höhe von 480.088 € (September), 428.813 € (Oktober) und von 393.964 € (November) von der KG erzielt worden sind. Zudem wurden noch andere Gläubiger der KG in diesem Zeitraum befriedigt. Ausweislich der vom Insolvenzverwalter eingereichten Kontoauszüge bezüglich des Kontos "Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen" wurden in den Monaten September bis November 2010 von der KG noch Zahlungen in Höhe von 306.787 € (September), 458.628 € (Oktober) und von 177.278 € (November) an Gläubiger geleistet (Bl.80-87 der Prozessakte). Aus alledem schließt der Senat, dass ausreichende Mittel zur Begleichung der Steuerschulden zur Verfügung gestanden haben.
- 71
b) Hinsichtlich der noch offenen Lohnsteuerabzugsbeträge für Januar und Februar wurde der Kläger - neben dem ehemaligen Mitgeschäftsführer H - nur hälftig zur Haftung herangezogen. Ein Ermessensfehler ist insoweit nicht ersichtlich.
II.
- 72
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat die Kosten insoweit zu tragen, als er den Haftungsbescheid hinsichtlich der Säumniszuschläge zurückgenommen hat.
- 73
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3, § 155 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Liegt die Ursache für die Haftung eines Zahlungsdienstleisters gemäß den §§ 675u, 675y und 675z im Verantwortungsbereich eines anderen Zahlungsdienstleisters, eines Zahlungsauslösedienstleisters oder einer zwischengeschalteten Stelle, so kann der Zahlungsdienstleister von dem anderen Zahlungsdienstleister, dem Zahlungsauslösedienstleister oder der zwischengeschalteten Stelle den Ersatz des Schadens verlangen, der ihm aus der Erfüllung der Ansprüche eines Zahlungsdienstnutzers gemäß den §§ 675u, 675y und 675z entsteht.
(2) Ist zwischen dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers und einem Zahlungsauslösedienstleister streitig, ob ein ausgeführter Zahlungsvorgang autorisiert wurde, muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass in seinem Verantwortungsbereich eine Authentifizierung erfolgt ist und der Zahlungsvorgang ordnungsgemäß aufgezeichnet sowie nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde.
(3) Ist zwischen dem kontoführenden Zahlungsdienstleister des Zahlers und einem Zahlungsauslösedienstleister streitig, ob ein Zahlungsvorgang ordnungsgemäß ausgeführt wurde, muss der Zahlungsauslösedienstleister nachweisen, dass
- 1.
der Zahlungsauftrag dem kontoführenden Zahlungsdienstleister gemäß § 675n zugegangen ist und - 2.
der Zahlungsvorgang im Verantwortungsbereich des Zahlungsauslösedienstleisters ordnungsgemäß aufgezeichnet sowie nicht durch eine Störung beeinträchtigt wurde.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin wird - unter Zurückweisung im Übrigen - das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 13. April 2006 teilweise abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.879,37 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Februar 2004 zu bezahlen.
Die Sache wird an das Berufungsgericht - auch zur Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens - zurückverwiesen, soweit die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von weiteren 10.545,10 € verfolgt.
Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin war seit dem 22. März 2002 vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt und ist seit dem 29. Mai 2002 Verwalterin in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin).
- 2
- Die Schuldnerin, die sich mit dem Ankauf, der Bebauung und anschließenden Veräußerung von Grundstücken befasste, hatte in A. verschiedene Grundstücke erworben, die zugunsten der beklagten S. als Darlehensgeberin mit Grundpfandrechten belastet waren. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, die Grundstücke in der Weise zu verwerten, dass die Beklagte Erwerbsinteressenten sucht und die zwischen ihnen und der Klägerin zu schließenden Kaufverträge im Einzelnen aushandelt und entwirft. Die Klägerin beanstandete nach Vorlage des ersten Kaufvertrags durch Schreiben vom 17. September 2002 gegenüber der Beklagten, dass der Vertragsentwurf - etwa hinsichtlich etwaiger Erschließungsbeträge - Verpflichtungen des Verkäufers enthalte, die sie nicht übernehmen könne. Die Beklagte stellte die Klägerin daraufhin im Innenverhältnis von diesen Verpflichtungen frei. Auf der Grundlage dieser Übereinkunft wurden in der Folgezeit diverse Grundstücke veräußert.
- 3
- Im Zuge eines Umlegungsverfahrens belastete die Gemeinde ein Grundstück der Schuldnerin mit einem Geldausgleich in Höhe von 40.532,66 €. In dem Vertrag über den Verkauf dieses Grundstücks vom 11. August 2003 wurden die Kosten aus dem Umlegungsverfahren der Klägerin als Verkäuferin auferlegt. Die Beklagte stellte mit Schreiben vom 25. August 2003 die Klägerin von den mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei. Nach Inanspruchnahme durch die Gemeinde verlangt die Klägerin mit ihrer Klage Erstattung der von ihr geleisteten Zahlung von 40.532,66 € durch die Beklagte.
- 4
- Die Schuldnerin unterhielt bei der Beklagten ein Girokonto, dessen Sollsaldo sich am 22. März 2002 auf 31.644,72 € belief. Die in der Folgezeit auf dem Konto durch Überweisungen und Lastschriftrückbuchungen eingegangenen Zahlungen von 301.116,67 € erstattete die Beklagte der Klägerin am 2. Juli 2002. Vor Ausführung dieser Überweisung wies das Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 € auf; infolge der Überweisung und am 2. Juli 2002 eingegangener Lastschriften betrug der Sollsaldo am Ende dieses Tages 70.253,09 €. Mit ihrer Widerklage verlangt die Beklagte von der Klägerin Zahlung dieses Betrages. Vorab rechnet die Beklagte mit der Widerklageforderung hilfsweise gegen den Klageanspruch auf.
- 5
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin, die den mit der Widerklage verfolgten Kontenausgleich teilweise als anfechtbar erachtet, hat das Oberlandesgericht der Klage in Höhe von 3.202,12 € zugesprochen und die Widerklage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre abgewiesene Klageforderung weiter. Die Beklagte begehrt mit ihrer Anschlussrevision die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision der Klägerin hat teilweise Erfolg. Demgegenüber ist die Anschlussrevision der Beklagten unbegründet.
I.
- 7
- Das Oberlandesgericht meint, der Beklagten habe es oblegen, die Klägerin von sämtlichen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen freizustellen. Die Klägerin sei ihrerseits verpflichtet gewesen, den Käufern von Kosten aus dem Umlageverfahren freies Eigentum zu verschaffen. Die Freistellungsverpflichtung der Beklagten erfasse die als eigene Verbindlichkeit der Schuldnerin entstandene Ausgleichszahlung. Die Beklagte habe gewusst, dass es die Klägerin abgelehnt habe, die Masse durch den Verkauf der Grundstücke mit Forderungen zu belasten. Deswegen habe die Klägerin die Freistellungserklärung der Beklagten nur im Sinne einer Übernahme der Ausgleichszahlungsverpflichtung verstehen dürfen.
- 8
- auf Die § 812 BGB beruhende Widerklageforderung sei überwiegend begründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Auszahlung des Betrages zurückgerufener Lastschriften, weil es sich dabei um reine Korrekturbuchungen handele. Die Klägerin könne lediglich bestehende Forderungen der Insolvenzschuldnerin einziehen. Darunter falle das auf dem Girokonto befindliche Guthaben der Schuldnerin über 238.221,54 €, so dass die Masse durch die Zahlung von 301.116,67 € um den Differenzbetrag von 62.895,13 € ungerechtfertigt bereichert sei. Soweit die Beklagte widerklagend einen höheren Betrag beanspruche , beruhe dies auf der Einlösung von Lastschriften, die keinen Anspruch gegen die Masse begründe. Die Widerklageforderung ermäßige sich infolge einer Anfechtung durch die Klägerin um 25.564,59 €, weil es sich dabei um eine nach Stellung des Insolvenzantrags durch die Befriedigung eines Gläubigers entstandene Regressforderung der Beklagten handele. Die Belastung des Kontos mit Darlehenskosten von 2.479,77 € und 197,48 € sei nach Insolvenzeröffnung vorgenommen worden. Der Senat sei bei der Urteilsverkündung davon ausge- gangen, dass die Beklagte insoweit nur Zahlstelle gewesen sei und sich Bereicherungsansprüche deshalb nicht gegen die Beklagte richteten. Erst bei der Absetzung der Gründe sei erkannt worden, dass die Beklagte selbst das Darlehen ausgereicht habe. Dies habe aber nicht mehr berücksichtigt werden können. Eine weitere Kürzung des Anspruchs der Beklagten sei nicht wegen der Vornahme einer Überweisung von 10.545,10 € gerechtfertigt. Fehle es an einer Genehmigung dieser Zahlung durch die Klägerin, so richte sich deren etwaiger Bereicherungsanspruch gegen die Firma R. als Empfängerin der Leistung.
II.
- 9
- Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand. Die Klageforderung ist bereits jetzt in Höhe von 5.879,37 € begründet ; im Blick auf eine weitere Forderung der Klägerin über 10.545,10 € ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Demgegenüber bleibt die Anschlussrevision der Beklagten ohne Erfolg.
- 10
- 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht von einer Klageforderung in Höhe von 40.532,66 € aus, die ihre Grundlage in der von der Beklagten übernommenen Freistellungsverpflichtung findet. Die gegen diese Würdigung gerichteten Angriffe der Anschlussrevision bleiben ohne Erfolg.
- 11
- Die Klägerin hat entsprechend dem von der Beklagten gefertigten Vertragsentwurf am 11. August 2003 ein Grundstück veräußert und dabei die Kosten aus dem Umlegungsverfahren übernommen. Die Beklagte stellte die Klägerin nach Erhalt einer Abschrift des notariellen Vertrages durch Schreiben vom 25. August 2003 "von allen mit dem Verkauf verbundenen Verpflichtungen frei". Bei dieser Sachlage kann die Klägerin nach dem Inhalt der Parteiabrede Erstattung der von ihr zugunsten des Käufers ausgeglichenen Kosten aus dem Umlegungsverfahren verlangen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der auf der Erklärung der Beklagten basierenden Übereinkunft ist für die von der Anschlussrevision befürwortete korrigierende Auslegung von vornherein kein Raum. Insbesondere scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung aus, weil die Einigung der Parteien vollständig ist und keine offene, im Wege ergänzender Vertragsauslegung zu schließende Regelungslücke aufweist (vgl. BGHZ 9, 273, 277; 127, 138, 142). Mithin kann der Senat nicht in die Prüfung eintreten, ob die Klägerin ohne die Einigung von der Beklagten Erstattung der Umlegungskosten beanspruchen könnte.
- 12
- 2. Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den von der Beklagten der Klageforderung im Wege der Aufrechnung und der Widerklage entgegengesetzten , auf ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) beruhenden Zahlungsanspruch im Ausgangspunkt mit 62.895,13 € bemessen. Soweit die Anschlussrevision die Gegenforderung auf 70.253,09 € veranschlagt , kann ihr nicht gefolgt werden.
- 13
- a) Im Zeitpunkt der Überweisung von 301.116,67 € befand sich auf dem Konto der Schuldnerin ein Guthaben von 238.221,54 €. Folglich beläuft sich der Bereicherungsanspruch der Beklagten infolge der das Guthaben übersteigenden Zahlung auf 62.895,13 €. Insoweit kann die Klägerin - entgegen ihrem Revisionsvorbringen - nicht deshalb Erstattung beanspruchen, weil sie Lastschriften widersprochen hat. Ein Zahlungsanspruch besteht - hier nicht, weil sich das Konto nach Rückbuchung einer Lastschrift - im Debet befand. In einem solchen Fall beschränkt sich der Anspruch auf die Korrektur der ungenehmigten Belas- tung (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 - IX ZR 125/02, WM 2002, 2408, 2409). Die Revision kann mit dem Vorbringen, die der Schuldnerin von der Beklagten eingeräumte Kreditlinie sei nicht ausgeschöpft gewesen, keine Beachtung finden , weil sie es versäumt hat, die gegenteiligen tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts mit Hilfe eines Tatbestandsberichtigungsantrags (§ 320 ZPO) anzugreifen (vgl. BGH, Urt. v. 8. Januar 2007 - II ZR 334/04, NJW-RR 2007, 1434, 1435 Rn. 11 m.w.N.).
- 14
- b) Die nach der Überweisung am 2. Juli 2002 ausgeführten Lastschriften von insgesamt 7.357,96 € sind - wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt - nicht zugunsten der Beklagten forderungserhöhend zu berücksichtigen. Eine Genehmigung dieser Lastschriften durch die Klägerin im Wege der Nutzung des Kontos (BGHZ 174, 84, 97 Rn. 34 ff) ist entgegen der Darstellung der Anschlussrevision in den Tatsacheninstanzen nicht vorgetragen worden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen der Nr. 7 Abs. 4 AGB-Sparkassen.
- 15
- 3. Dem Berufungsgericht ist entgegen der Auffassung der Anschlussrevision auch beizutreten, soweit es die Anfechtung der Klägerin im Blick auf eine von der Beklagten im Wege des Bürgenregresses am 3. Mai 2002 in das Konto eingestellte Forderung über 25.564,59 € als begründet erachtet und folglich die Widerklageforderung entsprechend reduziert hat.
- 16
- Die Belastung des Kontos eines Schuldners durch seine Bank mit der Rückgriffsforderung aus der Inanspruchnahme einer Bürgschaft stellt keine der Anfechtung entzogene Bardeckung (§ 142 InsO) dar, weil es sich um eine eigene Forderung der Bank handelt (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juni 2004 - IX ZR 124/03, WM 2004, 1576, 1577; Urt. v. 11. Oktober 2007 - IX ZR 195/04, WM 2008, 222, 223 Rn. 6). Liegen die Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO vor, kann sich der Verwalter unmittelbar auf die Unwirksamkeit der Verrechnung berufen (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008 - IX ZR 148/07, WM 2008, 1606, 1607 Rn. 8 m.w.N.). Die Beklagte wurde nach ihrem eigenen Vorbringen aus der für die Schuldnerin erteilten Bürgschaft durch Schreiben des Gläubigers vom 5. April 2002 - und damit nach der am 22. März 2002 erfolgten Antragstellung - in Anspruch genommen. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind gegeben, weil die Beklagte bereits am 25. März 2002 seitens der Klägerin von der Stellung des Insolvenzantrags und ihrer Einsetzung als vorläufige Insolvenzverwalterin unterrichtet worden war. Eine Gläubigerbenachteiligung scheidet nicht deswegen aus, weil die Beklagte an den Forderungseingängen der Schuldnerin nach Nr. 21 AGB-Sparkassen ein Pfandrecht erlangt hat. Da sämtliche Überweisungen an die Schuldnerin nach der Antragstellung vom 22. März 2002 eingingen, sind die Pfandrechte der Beklagten innerhalb der kritischen Zeit entstanden. Es handelt sich somit nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO jeweils um anfechtbare inkongruente Deckungen, weil der Pfandgegenstand nicht bereits im Zeitpunkt der Vereinbarung konkretisiert war (BGH, Urt. v. 17. Juli 2008, aaO S. 1607 f Rn. 15 f m.w.N.). Aus demselben Grund ist es unerheblich, ob vor der Inanspruchnahme des verklagten Bürgen ein sicherungsfähiger Freistellungsanspruch bestand.
- 17
- 4. Erfolg hat demgegenüber die Revision der Klägerin, soweit die Beklagte das Konto der Schuldnerin aus Überweisungen vom 14. Juni 2002 mit 2.479,77 € und 197,48 € belastet hat.
- 18
- a) Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt der zwischen dem Schuldner und der Bank bestehende Girovertrag (§ 116 Satz 1, § 115 Abs. 1 InsO). Ein vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossener Überwei- sungsvertrag besteht dagegen mit Wirkung für die Masse fort (§ 116 Satz 3 InsO ). Demgemäß hat die Bank die im Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens vertraglich vereinbarten Überweisungen grundsätzlich zum Nachteil der Masse durchzuführen (MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, 2. Aufl. § 82 Rn. 21). Ein erst nach Insolvenzeröffnung zustande gekommener Überweisungsvertrag (§ 676a BGB) ist unwirksam (vgl. MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, aaO § 81 Rn. 12b, § 82 Rn. 21). Führt die Bank die Überweisung trotz Kenntnis der Insolvenzeröffnung aus, erwirbt sie - gleich ob das Konto kreditorisch oder debitorisch geführt wurde - keinen Aufwendungsersatzanspruch gegen die Masse (MünchKommInsO /Ott/Vuia, aaO § 82 Rn. 21; Braun/Kroth, InsO 3. Aufl. § 82 Rn. 13; FKInsO /App, 5. Aufl. § 82 Rn. 7a; HmbKomm-InsO/Kuleisa, 2. Aufl. § 82 Rn. 9; Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis 7. Aufl. Rn. 3.30 f; HK-InsO/ Kayser, 5. Aufl. § 82 Rn. 24).
- 19
- b) Bei dieser Sachlage sind beide Überweisungsverträge unwirksam, weil sie nach der am 29. Mai 2002 erfolgten und der Beklagten am 5. Juni 2002 mitgeteilten Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 14. Juni 2002 abgeschlossen wurden. In diesem Fall hat die Bank mangels eines wirksamen Vertrages lediglich einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger der Leistung (MünchKomm -InsO/Ott, aaO Rn. 22; Obermüller, aaO Rn. 3.31; vgl. BGHZ 167, 171, 173 Rn. 9). Überdies war die Beklagte - wie das Oberlandesgericht nachträglich zutreffend erkannt hat - nicht bloße Zahlstelle, sondern selbst Begünstigte der Überweisung und ist damit auch wegen der Unwirksamkeit der von der Schuldnerin getroffenen Verfügung (§ 81 InsO) einem Rückforderungsanspruch ausgesetzt (HmbKomm-InsO/Kuleisa aaO § 81 Rn. 6).
- 20
- 5. Die Revision ist außerdem begründet, soweit die Klägerin eine Kürzung des Bereicherungsanspruchs wegen der am 30. April 2002 durchgeführten Überweisung von 10.545,10 € begehrt.
- 21
- Zum Zeitpunkt der Überweisung war eine Sicherungsmaßnahme durch die Bestellung der Klägerin als vorläufige Insolvenzverwalterin mit Zustimmungsvorbehalt getroffen worden. Entsprechend dem für die Neufassung der §§ 676a ff BGB maßgeblichen Verständnis bildet der Überweisungsvertrag kein Verfügungs-, sondern ein Verpflichtungsgeschäft. Da die Klägerin lediglich mitbestimmende vorläufige Verwalterin war (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO) und nur bei Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Verwaltungsbefugnis auf den vorläufigen Verwalter übergeht (§ 22 Abs. 1 InsO), war die Schuldnerin grundsätzlich nicht in ihrer Fähigkeit, Überweisungsverträge zu schließen, beschränkt (BGHZ 165, 283, 287; Obermüller, aaO Rn. 3.12 a; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 24 Rn. 10). Der Verwalter kann Überweisungsaufträge des Schuldners auch nicht widerrufen (Obermüller, aaO Rn. 3.19, 3.19a). Danach ist die Bank grundsätzlich berechtigt, trotz der Einsetzung eines schwachen vorläufigen Verwalters mit dem (späteren) Schuldner einen Überweisungsvertrag zu schließen (Obermüller, aaO, Rn. 3.12a; Bork, Zahlungsverkehr in der Insolvenz 2002 Rn. 159). Führt die Bank - wie hier - in Kenntnis des Zustimmungsvorbehalts (§§ 24, 82 InsO) einen Überweisungsvertrag aus, so kann sie jedoch den Überweisungsbetrag nicht in das Kontokorrent einstellen, weil die Belastung des Kontos an der fehlenden Genehmigung scheitert (Bork aaO Rn. 146; Obermüller aaO Rn. 3.12a; Peschke, Die Insolvenz des Girokontoinhabers 2005 S. 159).
- 22
- 6. Keinen Erfolg hat hingegen die Revision, soweit sie die restliche Forderung (24.198,19 €) im Wege der Anfechtung von Lastschriften verfolgt.
- 23
- Der vorläufige Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist berechtigt , die Genehmigung von Belastungsbuchungen im Einzugsermächtigungsverfahren zu versagen (BGHZ 161, 49, 52 ff.; 174, 84, 87 Rn. 11). Diese Befugnis hat die Klägerin hier mit der Folge der Rückbuchung von Lastschriften ausgeübt. Bei einem - leer wie im Streitfall - debitorisch geführten Konto geht - entsprechend den Ausführungen unter 2 a) - der Anspruch nur auf Korrektur der ungenehmigten Belastung. Weitergehende Rechte stehen dem Kontoinhaber nicht zu; insbesondere ein Zahlungsanspruch ist nicht entstanden (BGH, Beschl. v. 1. Oktober 2002 aaO). Mit dem Widerspruch wird, weil es mangels Genehmigung nicht zu einer wirksamen Lastschrift gekommen ist, lediglich der zutreffende Kontostand wieder hergestellt. Es fehlt folglich an einer die Masse beeinträchtigenden Rechtshandlung des Schuldners (§ 129 InsO). Daher geht die Anfechtung ins Leere (Bork EWiR 2002, 1097, 1098). Die Anfechtung hat der Senat lediglich für den Fall einer Genehmigung der Belastungsbuchung erwogen (BGHZ 161, 49, 56), an der es vorliegend gerade fehlt.
III.
- 24
- Soweit Entscheidungsreife gegeben ist, hat der Senat in der Sache entschieden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist lediglich im Blick auf die Forderung der Klägerin über 10.545,10 € an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO), weil sich die Beklagte unter Benennung von Zeugen darauf berufen hat, die Überweisung im Einverständnis mit der Klägerin durchgeführt zu haben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, gegebenenfalls nach weiterem Sachvortrag der Parteien die notwendigen Feststellungen zu treffen.
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
LG Siegen, Entscheidung vom 13.04.2006 - 5 O 27/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.02.2007 - 25 U 63/06 -
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.Soweit die Finanzbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln oder zu entscheiden, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Finanzbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 125 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Verwaltungsakt erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird, - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird, - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsakts erforderlich ist, nachträglich gefasst wird, - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 Nr. 2 bis 5 können bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsakts unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsakts versäumt worden, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Die gesetzlichen Vertreter natürlicher und juristischer Personen und die Geschäftsführer von nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen und Vermögensmassen haben deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet werden, die sie verwalten.
(2) Soweit nicht rechtsfähige Personenvereinigungen ohne Geschäftsführer sind, haben die Mitglieder oder Gesellschafter die Pflichten im Sinne des Absatzes 1 zu erfüllen. Die Finanzbehörde kann sich an jedes Mitglied oder jeden Gesellschafter halten. Für nicht rechtsfähige Vermögensmassen gelten die Sätze 1 und 2 mit der Maßgabe, dass diejenigen, denen das Vermögen zusteht, die steuerlichen Pflichten zu erfüllen haben.
(3) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter die in Absatz 1 bezeichneten Pflichten, soweit ihre Verwaltung reicht.
Wer als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, hat die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters (§ 34 Abs. 1), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.
(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt.
(3) Ein schriftlich oder elektronisch erlassener Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen. Ferner muss er die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten; dies gilt nicht für einen Verwaltungsakt, der formularmäßig oder mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird. Ist für einen Verwaltungsakt durch Gesetz eine Schriftform angeordnet, so muss bei einem elektronischen Verwaltungsakt auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Falle des § 87a Absatz 4 Satz 3 muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Finanzbehörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.
(1) Wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann durch Haftungsbescheid, wer kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Vollstreckung zu dulden, kann durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden. Die Anfechtung wegen Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis außerhalb des Insolvenzverfahrens erfolgt durch Duldungsbescheid, soweit sie nicht im Wege der Einrede nach § 9 des Anfechtungsgesetzes geltend zu machen ist; bei der Berechnung von Fristen nach den §§ 3 und 4 des Anfechtungsgesetzes steht der Erlass eines Duldungsbescheids der gerichtlichen Geltendmachung der Anfechtung nach § 7 Abs. 1 des Anfechtungsgesetzes gleich. Die Bescheide sind schriftlich oder elektronisch zu erteilen.
(2) Bevor gegen einen Rechtsanwalt, Patentanwalt, Notar, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer wegen einer Handlung im Sinne des § 69, die er in Ausübung seines Berufs vorgenommen hat, ein Haftungsbescheid erlassen wird, gibt die Finanzbehörde der zuständigen Berufskammer Gelegenheit, die Gesichtspunkte vorzubringen, die von ihrem Standpunkt für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Die Vorschriften über die Festsetzungsfrist sind auf den Erlass von Haftungsbescheiden entsprechend anzuwenden. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre, in den Fällen des § 70 bei Steuerhinterziehung zehn Jahre, bei leichtfertiger Steuerverkürzung fünf Jahre, in den Fällen des § 71 zehn Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Tatbestand verwirklicht worden ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft. Ist die Steuer, für die gehaftet wird, noch nicht festgesetzt worden, so endet die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid nicht vor Ablauf der für die Steuerfestsetzung geltenden Festsetzungsfrist; andernfalls gilt § 171 Abs. 10 sinngemäß. In den Fällen der §§ 73 und 74 endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die gegen den Steuerschuldner festgesetzte Steuer verjährt (§ 228) ist.
(4) Ergibt sich die Haftung nicht aus den Steuergesetzen, so kann ein Haftungsbescheid ergehen, solange die Haftungsansprüche nach dem für sie maßgebenden Recht noch nicht verjährt sind.
(5) Ein Haftungsbescheid kann nicht mehr ergehen,
Dies gilt nicht, wenn die Haftung darauf beruht, dass der Haftungsschuldner Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei begangen hat.(1) Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag. Das Gleiche gilt für zurückzuzahlende Steuervergütungen und Haftungsschulden, soweit sich die Haftung auf Steuern und zurückzuzahlende Steuervergütungen erstreckt. Die Säumnis nach Satz 1 tritt nicht ein, bevor die Steuer festgesetzt oder angemeldet worden ist. Wird die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt; das Gleiche gilt, wenn ein Haftungsbescheid zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 berichtigt wird. Erlischt der Anspruch durch Aufrechnung, bleiben Säumniszuschläge unberührt, die bis zur Fälligkeit der Schuld des Aufrechnenden entstanden sind.
(2) Säumniszuschläge entstehen nicht bei steuerlichen Nebenleistungen.
(3) Ein Säumniszuschlag wird bei einer Säumnis bis zu drei Tagen nicht erhoben. Dies gilt nicht bei Zahlung nach § 224 Abs. 2 Nr. 1.
(4) In den Fällen der Gesamtschuld entstehen Säumniszuschläge gegenüber jedem säumigen Gesamtschuldner. Insgesamt ist jedoch kein höherer Säumniszuschlag zu entrichten als verwirkt worden wäre, wenn die Säumnis nur bei einem Gesamtschuldner eingetreten wäre.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Für die Dauer einer gewährten Stundung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis werden Zinsen erhoben. Wird der Steuerbescheid nach Ablauf der Stundung aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt, so bleiben die bis dahin entstandenen Zinsen unberührt.
(2) Auf die Zinsen kann ganz oder teilweise verzichtet werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
(3) Zinsen nach § 233a, die für denselben Zeitraum festgesetzt wurden, sind anzurechnen.
Die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen haften, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder soweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden. Die Haftung umfasst auch die infolge der Pflichtverletzung zu zahlenden Säumniszuschläge.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.