vorgehend
Sozialgericht München, S 22 SO 599/13, 27.05.2015
nachgehend
Bundessozialgericht, B 8 SO 40/18 B, 07.05.2019

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers hin wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Mai 2015, S 22 SO 599/13, dahingehend geändert, dass der Bescheid des Beklagten vom 29.05.2015 aufgehoben wird.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

III. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 5/9.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welcher Höhe der Kläger aus seinem Einkommen einen Kostenbeitrag für Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe in der Zeit vom 01.07.2012 bis 30.06.2015 zu leisten hat.

Der 1982 geborene Kläger leidet an Muskeldystrophie und einer schweren Skoliose der Wirbelsäule. Er ist auf zeitweilige maschinelle Beatmung und zur Fortbewegung auf einen Elektrorollstuhl angewiesen. Gehen, Stehen oder die Hände oder Arme anheben kann der Kläger nicht. Für ihn sind ein Grad der Behinderung von 100 und im streitgegenständlichen Zeitraum die Pflegestufe III (Härtefall) festgestellt. Der Umfang der von der Krankenkasse bewilligten häuslichen Krankenpflege belief sich auf 9,5 Stunden je Tag. Vom Beklagten erhielt er ergänzende Pflegeleistungen und Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe in Form der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung (ISB), die von verschiedenen Leistungserbringern (Pflegeservice A-Stadt e.V., f. e.V.) erbracht wurden. Der Kläger erhielt seit 2002 vom Beklagten Eingliederungshilfe, zunächst während seines Studiums in M-Stadt (2002 bis 2007), anschließend seit 2007 Leistungen der ISB in einer eigenen Wohnung. Der Beklagte blieb auch nach dem Umzug des Klägers nach A-Stadt nach § 98 Abs. 5 SGB XII zuständiger Leistungsträger.

Der Kläger lebte seit 09.06.2008 alleine in A-Stadt. Er wurde vom Pflegedienst im Zweischichtbetrieb versorgt und arbeitete als Informatiker in P., halbtags in der Firma, halbtags in Heimarbeit. Sein monatliches Nettoeinkommen aus dieser Beschäftigung belief sich im Jahr 2012 auf ca. 2900 €.

Der Einkommenseinsatz für die Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe war zwischen den Beteiligten wie folgt geregelt:

Der Beklagte setzte zu Beginn eines Abrechnungszeitraums den Einkommenseinsatz fest. Der Pflegedienst rechnete sodann die Kosten für die Assistenz (Pflege und Eingliederungshilfe) gegenüber dem Beklagten unter Abzug des Anteils der Pflegekasse und des festgestellten Eigenanteils des Klägers ab (monatlich rund 10.000 €). Nach Ablauf des Abrechnungszeitraums wurde die konkrete Höhe des monatlichen Eigenanteils nach Maßgabe eventueller Änderungen im Einkommen oder bei den angefallenen besonderen Belastungen (z.B. Reisekosten für Urlaube, Betriebskostennachzahlungen oder -guthaben) errechnet und als Erstattung oder Nachforderung zwischen dem Kläger und dem Beklagten abgerechnet.

Mit Bescheid vom 30.10.2012 verlängerte der Beklagte seine Kostenübernahme für die Leistungen der ISB für die Zeit vom 01.07.2012 bis zum 30.06.2015. Gleichzeitig stellte er fest, dass sich der Kläger aus seinem Einkommen an den Kosten der Leistung beteiligen müsse und nahm hinsichtlich der Höhe des Kostenbeitrags auf seinen Bescheid vom 04.05.2012 Bezug. Dort war für die Zeit bis Oktober 2012 ein monatlicher Kostenbeitrag in Höhe von 491 € und für die Zeit ab November 2012 in Höhe von 396 € festgesetzt worden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 11.11.2012 Widerspruch und begründete diesen mit der UN-Behindertenrechtskonvention (UN - BRK). Durch den geforderten Einkommenseinsatz werde behinderten Menschen der Erwerb von Eigentum und Vermögen unmöglich gemacht.

Mit Bescheid vom 18.02.2013 berechnete der Beklagte rückwirkend die Höhe der Kostenbeteiligung für die Zeit ab Februar 2012 neu und berücksichtigte die vom Kläger geltend gemachten besonderen Belastungen bzw. eingetretenen Änderungen (Änderung der Miete, Gehaltsänderung, Reisekosten, Betriebskostennachzahlung…). Für Juli 2012 forderte der Beklagte 590 €, für August 2012 0 €, für September 2012 590 €, für Oktober 2012 390 € und ab November 2012 monatlich 494 €. Auch gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch (27.02.2013) hinsichtlich der Kostenbeteiligung ab Juli 2012 und bezog sich auf seine frühere Begründung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2013 wies der Beklagte die Widersprüche vom 11.11.2012 sowie vom 27.02.2013 als unbegründet zurück. Die Bescheide über die Festsetzung einer Kostenbeteiligung aus dem Einkommen seien zu Recht ergangen. Die Berechnung der monatlichen Beträge sei vom Kläger nicht beanstandet worden und es seien auch keine Gesichtspunkte erkennbar, wonach diese fehlerhaft sein könnten. Entsprechend des Nachranggrundsatzes in der Sozialhilfe habe der Kläger sein Einkommen zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfes einzusetzen. Dabei sei eine Kostenbeteiligung in Höhe von 40% mit dem oberhalb der Einkommensgrenze (§ 85 SGB XII) liegenden Einkommen zumutbar (§ 87 SGB XII), soweit nicht zugunsten des Klägers besondere Belastungen (wie etwa Urlaubsreisen) zu berücksichtigen seien. Soweit sich der Kläger grundsätzlich gegen die Anrechnung von Einkommen wende und sich dabei auf die UN-BRK beziehe, führe dies nicht zum Erfolg, weil es ich bei der UN-BRK nicht um geltendes Recht, sondern um Programmsätze handle, die bei zukünftigen Gesetzestexten gegebenenfalls zu beachten seien.

Hiergegen hat der Kläger am 28.11.2013 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und sich gegen den Kostenbeitrag für die Leistungen der Eingliederungshilfe in der Zeit ab dem 01.07.2012 gewandt. Die UN-BRK sei geltendes Recht, die Einkommensanrechnung verstoße gegen diese, weil es behinderten Menschen auch möglich sein müsse, Eigentum zu besitzen und Vermögen zu bilden. Die Einkommensanrechnung verstoße auch gegen das Diskriminierungsverbot von Behinderten. Zur Begründung seiner Klage hat sich der Kläger auf zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen gestützt, in denen eine einkommensunabhängige Eingliederungshilfe in Umsetzung der UN-BRK gefordert wird.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger mitgeteilt, dass er die Höhe der festgesetzten Einkommensbeiträge nicht bestreite. Es gehe ihm vielmehr um die nach seiner Ansicht mit der UN-BRK nicht vereinbare Festsetzung eines Kostenbeitrages bei Eingliederungshilfemaßnahmen. Er habe den in den Bescheiden festgesetzten Eigenanteil jeweils an den Pflegedienst gezahlt und begehre die Rückzahlung dieser Eigenanteile durch den Beklagten.

Mit Urteil vom 27. Mai 2015 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die zulässige Anfechtungsklage gegen die Bescheide vom 30.10.2012 und 18.02.2013 nicht begründet sei. Rechtsgrundlage des Einkommenseinsatzes seien die §§ 19 Abs. 3, 85, 87 Abs. 1 SGB XII. Der Kläger bezweifele ausdrücklich nicht, dass der Beklagte die jeweiligen monatlichen Beträge zutreffend errechnet habe, sondern bestreite, dass der Beklagte im Hinblick auf die Vorschriften der UN-BRK überhaupt berechtigt sei, einen Einkommensbeitrag für die gewährten Leistungen festzusetzen. Der dem Kläger abverlangte Einkommenseinsatz verstoße weder gegen die Vorschriften der UN-BRK noch gegen das Grundgesetz.

Bei den Leistungen des 5. bis 9. Kapitel SGB XII werde ein Einkommenseinsatz verlangt und durch die Regelung zur Einkommensgrenze (§§ 85 ff SGB XII) gleichzeitig sichergestellt, dass ausreichend eigene Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts verblieben und auch darüber hinaus eine unzumutbare Beeinträchtigung der Lebensführung vermieden werde. Die UN-BRK sei seit 29.05.2009 gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG wirksamer Bestandteil des Bundesrechts geworden.

Die Vorschrift des Art. 12 Abs. 5 UN-BRK werde durch den Einkommensbeitrag nicht verletzt. Die Verpflichtung, einen zumutbaren Beitrag aus eigenem Einkommen zu leisten, stehe als Ausfluss des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes dem Recht des Klägers, wie ein nicht behinderter Mensch Eigentum zu besitzen oder zu erben und seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu regeln (Art. 12 Abs. 5 UN-BRK), nicht entgegen. Dem Kläger würden durch die §§ 85 ff SGB XII weder dem Grunde noch der Höhe nach andere oder weiterreichende Pflichten im Zusammenhang mit seiner Pflicht zur Selbsthilfe durch einen zumutbaren Einsatz von - hier - Einkommen auferlegt als nicht behinderten Hilfeempfängern.

Art. 27 UN-BRK enthalte einen Auftrag an die Mitgliedstaaten, zur Ausgestaltung des jeweiligen nationalen, möglichst inklusiven Arbeitsmarktes. Einen Einkommensbeitrag oder dessen Verbot für erhaltene Leistungen regele diese Vorschrift nicht.

Art. 30 Abs. 1 UN-BRK regele die Teilhabe am kulturellen Leben, insbesondere den barrierefreien Zugang zu Orten von kultureller Bedeutung. Auch insoweit sei bereits thematisch nicht der Einsatz vom Einkommen oder Vermögen für Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe angesprochen. Den Art. 27 und 30 Abs. 1 UN-BRK fehle es zudem für eine unmittelbare Anwendbarkeit an der sog. self-executing Funktion. Diese sei immer nur dann zu bejahen, wenn eine Vorschrift alle Eigenschaften besitze, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben müsse, um berechtigen oder verpflichten zu können. Die Vorschriften seien vielmehr ihrem Wortlaut nach erkennbar auf eine weitere Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber ausgerichtet. Unmittelbare Berechtigungen ließen sich daraus also nicht herleiten.

Schließlich sei der Einkommensbeitrag des Klägers für die erhaltenen Leistungen weder im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 5 Abs. 2 UN-BRK noch wegen des Benachteiligungsverbotes behinderter Menschen gemäß Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG rechtlich bedenklich.

Art. 5 Abs. 2 UN-BRK sei zwar unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfGE 128, 138, 156). Die §§ 85 ff SGB XII verstießen nicht gegen das dort geregelte und auch verfassungsrechtlich geschützte (Art. 3 Abs. 3 GG) Benachteiligungsverbot behinderter Menschen. Die Regelungen über den Einkommenseinsatz knüpften nämlich nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen und konventionsrechtlichen Sinne an. Eine behinderungsbezogene Ungleichbehandlung liege vor, wenn Regelungen und Maßnahmen die Situation des behinderten Menschen wegen seiner Behinderung verschlechterten, indem ihm z.B. Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustünden, verweigert würden (vgl. BVerfGE 96, 288, 303 und 99, 341, 357) oder bei einem Ausschluss von Entfaltungsmöglichkeiten oder Betätigungsmöglichkeiten, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert werde (vgl. BVerfGE 96, 288, 303).

Die Forderungen eines Einkommensbeitrags oberhalb der oben näher beschriebenen Freigrenzen für Leistungen nach dem 5. bis 9. Kapitel SGB XII stelle keine Diskriminierung des Klägers wegen seiner Behinderung (Art. 5 Abs. 2 UN-BRK) dar. Denn die Verpflichtung zum Einsatz von Einkommen treffe alle Hilfesuchenden und Leistungsempfänger in gleicher Weise und unabhängig vom Vorhandensein einer Behinderung. Es sei nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes des Sozialhilferechts die steuer-finanzierten Leistungen an die Hilfesuchenden - auch - davon abhängig mache, dass diese zu ihrem Bedarf einen zumutbaren Beitrag aus eigenem Einkommen leisteten.

Im Ergebnis könnten daher aus der UN-BRK und auch aus Art. 3 Abs. 3 GG keine individuellen Leistungsansprüche hergeleitet werden, die über die im Sozialgesetzbuch geregelten Berechtigungen hinausgingen, auch gebe die UN-BRK dem behinderten Menschen kein subjektiv-öffentliches Recht auf Sozialhilfeleistungen unabhängig von deren Ausgestaltung im Sonstigen. Dass ein Einkommenseinsatz dem Grunde nach auch vom Bundessozialgericht (BSG) als rechtlich unbedenklich angesehen werde, zeigten dessen Entscheidungen vom 23.08.2013 (B 8 SO 24/11 R) vom 24.04 2013 (B 8 SO 8/12 R) und vom 28.02.2013 (B 8 SO 1/12 R), die alle nach dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland ergangen seien und in denen die Rechtmäßigkeit eines Einkommenseinsatzes dem Grunde nach nicht bezweifelt werde.

Erst nach Abfassen des Urteils sei aufgefallen, dass die Berechnung der Kostenbeteiligung durch den Beklagten nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des BSG (Urteil v. 25.04.2013 - B 8 SO 8/12 R) entspreche. Nach dieser sei die Einkommensgrenze des § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für schwerstpflegebedürftige Menschen vorrangig zu berücksichtigen und erst danach seien nach Absatz 1 Satz 2 besondere Belastungen der nachfragenden Person zu berücksichtigen. Im Ergebnis könne es daher sein, dass der Beklagte in Monaten, in denen auch besondere Belastungen nach § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB XII abzusetzen gewesen seien, einen zu hohen Kostenbeitrag festgesetzt habe. Dem Kläger sei anzuraten, unbedingt das Rechtsmittel der Berufung einzulegen.

Gegen das am 02.10.2015 zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 29.10.2015 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Zwischenzeitlich habe der Beklagte mit den weiteren Bescheiden vom 28.10.2014 (Neuberechnung Kostenbeitrag Januar 2013 bis August 2014) und 29.05.2015 (Neuberechnung April 2014 bis April 2015, unter Berücksichtigung von Einkommen der Lebenspartnerin H. L. ab 09/2014, i.ü. ab 06/2015 mtl. 1070 €) den Kostenbeitrag wiederholt neu festgesetzt. Diese Bescheide seien jeweils auch mit Widersprüchen (vom 07.11.2014 und 14.06.2015) angegriffen und auch mit ins Klageverfahren einzubeziehen.

Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger ausgeführt, die guten Leistungen der Eingliederungshilfe stellten an sich hinreichende angemessene Vorkehrungen zum Ausgleich der Behinderung dar. Jedoch werde durch die Einkommens- und Vermögensanrechnung ein Mangelzustand auf anderem Gebiet geschaffen, der nicht ausgeglichen werde. Durch die Einkommensanrechnung werde er in seinen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten dauerhaft eingeschränkt und auf ein gewisses Niveau festgelegt, was gegen Art. 5 UN-BRK verstoße. Wenigstens müsse § 87 SGB XII im Lichte der UN-BRK ausgelegt werden und völlig auf eine Einkommensanrechnung verzichtet werden.

Durch die Berücksichtigung des Einkommens seiner Partnerin ab September 2014 werde Ehe, Familie und Partnerschaft für behinderte Menschen unmöglich gemacht. Es sei zu erwarten, dass sein eigenes Einkommen sinken werde, je weiter seine Erkrankung fortschreite, so dass immer größere Anteile aus dem Einkommen seiner ebenfalls behinderten Partnerin (GdB 80, Merkzeichen aG, B) zu berücksichtigen seien.

Seine Anträge hat der Kläger ursprünglich als Feststellungsanträge formuliert und dabei primär die Feststellung des Verstoßes der Einkommenseinrechnung gegen die UN-BRK, hilfsweise die Feststellung, dass das in § 87 SGB XII eingeräumte Ermessen im Lichte der UN-BRK in dem Sinne auszuüben sei, dass keine Eigenbeteiligung gefordert werde, beantragt. Hilfsweise dazu hat er zunächst die Feststellung beantragt, dass die Erhöhung des Kostenbeitrags aus dem Einkommen seiner Partnerin gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG i. V.m. Art. 5 Abs. 2 UN-BRK i.V.m. Art. 19 a BRK verstoße, hilfsweise dass das Ermessen in § 87 Abs. 1 S. 2, 3 SGB XII wegen der UN-BRK so auszuüben sei, dass keine erhöhte Eigenbeteiligung unter Berücksichtigung des Einkommens der Partnerin gefordert werde. Unabhängig vom Erfolg des Antrages 2 beantragte er festzustellen, dass die Berechnung der Höhe der Eigenbeteiligung rechtswidrig war, weil sie nicht den Vorgaben der Rechtsprechung des BSG (B 8 SO 8/12 R) entsprach und somit die Eigenbeteiligung neu zu berechnen sei für die Monate 8/2012, 10/2012, 4/2013, 05/2023, 07/2013, 08/2013, 09/2013, 04/2014, 06/2014, 08/2014, 09/2014, 10/2014.

Der Beklagte hat mit der Berufungserwiderung vom 25.01.2016 ein Teilanerkenntnis hinsichtlich der neu berechneten o.g. Monate im Zeitraum von August 2012 bis Oktober 2014 abgegeben und die Berechnung des Kostenbeitrages entsprechend der Rechtsprechung des BSG (B 8 SO 8/12 R) vorgenommen, also nunmehr erst den 40% Anteil nach § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII ausgerechnet und dann besondere Belastungen abgezogen. Für die Monate September und Oktober 2014 hat der Beklagte aber auch das Einkommen der Partnerin des Klägers berücksichtigt. Die Kostenbeteiligung im Einzelnen betrug danach:

August 2012: 0 €

Oktober 2012: 90 €

April 2013: 442 €

Mai 2013: 135 €

Juli 2013: 0 €

August 2013: 0 €

September 2013: 0 €

April 2014: 444 €

Juni 2014: 0 €

August 2014: 116 €

September 2014 239 €

Oktober 2014: 661 €

Der Kläger hat daraufhin am 07.02.2016 den ursprünglichen Berufungsantrag unter 3. für erledigt erklärt und am 05.03.2018 das Teilanerkenntnis des Beklagten angenommen.

Am 07.05.2016 hat der Kläger mitgeteilt, dass er am 06.05.2016 geheiratet habe.

Mit richterlichem Hinweis vom 12.02.2018 wurde der Kläger u.a. zur sachdienlichen Antragstellung aufgefordert. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Eingliederungshilfe Teil des steuerfinanzierten und Einkommens- und Vermögensabhängigen Sozialhilferechts sei und dies auch (zunächst) nach dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) so bleibe.

Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, dass er die Berufung aufrechterhalte und sich erneut auf das Urteil der BSG vom 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R (sog. Cialis - Urteil) gestützt, in dem sich das BSG mit der UN-BRK auseinandergesetzt hat. In seinem Fall liege eine mittelbare Diskriminierung vor, weil die Art. 19 a, 27 und 28 der UN-BRK verletzt seien. Im Hinblick auf das Finden eines Lebenspartners und der Möglichkeit des Verlassens einer finanziellen Grundsituation liege eine Benachteiligung behinderter Menschen vor.

Auf gerichtliche Nachfrage vom 04.04.2018, ob entsprechend des internen Vermerks vom 11.09.2015 zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 29.05.2015 ein Abhilfebescheid ergangen sei, hat der Beklagte am 05.04.2018 den Teilabhilfebescheid vom 04.04.2018 übersandt. Darin hat er die zuvor schon in seinem Teilanerkenntnis neu berechneten Monate April, Juni, August, September und Oktober 2014 neu berechnet, wobei er für den Oktober 2014 zu einer Eigenbeteiligung von 198 € gekommen ist und sich für die zuvor genannten Monate ansonsten keine Änderungen zu dem Teilanerkenntnis vom 25.01.2016 ergeben haben.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt,

– das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Mai 2015 aufzuheben sowie die Bescheide des Beklagten vom 30.10.2012 und 18.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2013 sowie die Bescheide des Beklagten vom 28.10.2014, 29.05.2015 und 04.04.2018 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die in diesen Bescheiden festgesetzten Eigenanteile des Klägers, die dieser an den Pflegedienst gezahlt hat, an den Kläger auszubezahlen, soweit sie nicht bereits erstattet oder verrechnet wurden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten (6 Bände) und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, soweit der Bescheid des Beklagten vom 29.05.2015 aufzuheben ist. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet und die Klage abzuweisen.

Gegen die Entscheidung des SG vom 27. Mai 2015 ist die Berufung zulässig, da sie nach § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht ausgeschlossen ist (§ 143 SGG). Der Kläger begehrt höhere Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII bzw. die Rückerstattung bereits gezahlter Eigenbeteiligungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

Die Berufung ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht vom Kläger am 29.10.2015 gegen das ihm am 02.10.2015 zugestellte Urteil des SG erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27. Mai 2015 ist begründet, soweit der Kläger sich gegen die vom Beklagten mit Bescheid vom 29.05.2015 erstmals verfügte Anrechnung des Einkommens seiner damaligen Lebenspartnerin ab September 2014 wendet. Im Übrigen erging das klageabweisende Urteil des SG zu Recht. Der Kläger hat für die Zeit vom 01.07.2012 bis 30.10.2014 keinen Anspruch auf höhere Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 19 Abs. 3, 53 ff SGB XII, als ihm der Beklagte bereits bewilligt hat. Insbesondere hat der Kläger aus seinem Erwerbseinkommen einen Kostenbeitrag in der Höhe zu leisten, wie es der Beklagte zuletzt in seinem Teilanerkenntnis vom 25.01.2016 festgestellt hat und wie es der Kläger am 05.03.2018 angenommen hat (§ 101 Abs. 2 SGG).

Für die Zeit vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 hat der Kläger einen Anspruch auf Eingliederungshilfe unter Einsatz seines Erwerbseinkommens in Höhe von 494 € monatlich, wie der Beklagte mit rechtmäßigem Bescheid vom 18.02.2013 festgestellt hat.

Der Bescheid des Beklagten vom 30.10.2012 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 18.02.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.10.2013 (§ 95 SGG) ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten - § 54 Abs. 1 SGG.

1. Richtige Klageart ist hier -ausnahmsweisedie reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG, weil sich der Kläger ausschließlich gegen die Verfügung einer Kostenbeteiligung aus seinem Erwerbseinkommen wendet. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 30.10.2012 enthielt insoweit zwei voneinander unabhängige Verfügungen i.S. § 31 S. 1 SGB X, als dass er einerseits die Eingliederungshilfe in Form der ISB für die Zeit vom 01.07.2012 bis 30.06.2015 nach §§ 53 ff SGB XII bewilligte und andererseits die Kostenbeteiligung durch Verweis auf den früheren Bescheid vom 04.05.2012 verfügte. Damit galt für die Zeit ab 01.07.2012 eine Kostenbeteiligung in Höhe von 491 € und ab 11/2012 in Höhe von 396 €. Der Kläger kann die Kostenbeteiligung isoliert mit der Anfechtungsklage angreifen, da er sein Klageziel (Eingliederungshilfe ohne Einsatz von eigenem Einkommen und Vermögen) erreichen würde, wenn die belastende Kostenbeteiligung aufgehoben würde.

Grundsätzlich wäre das Klageziel nur mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf höhere Eingliederungshilfeleistungen (ohne Kostenbeteiligung) zu erreichen. Allerdings spricht hier die tatsächliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses der Beteiligten (Beklagter zahlt an Leistungserbringer die Kosten der ISB ohne Leistungen der Pflegekasse und des Eigenanteils, Kläger zahlt den im voraus bestimmten Eigenanteil selbst an den Leistungserbringer und rechnet hinterher mit Beklagten außergewöhnliche Belastungen (z.B. Reisekosten, Betriebskostennachzahlungen etc) ab) dafür, dass der Kläger isoliert die Eigenbeteiligung, über die gesonderte Bescheide ergingen, angreift. Mit der reinen Anfechtungsklage (Kassation) der Bescheide über die Kostenbeteiligung erreicht der Kläger sein Klageziel, ohne dass es einer Verpflichtung des Beklagten zur Auszahlung der angerechneten Eigenanteile bedürfte. Die Rückzahlung ergäbe sich vielmehr als Rechtsreflex aus der Aufhebung der Bescheide über die Kostenbeteiligung.

Soweit der Kläger zunächst sein Klagebegehren mit einer Klage nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG auf Feststellung, dass die Erhebung des Kostenbeitrages aus dem Einkommen gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG iVm Art. 5 Abs. 2 UN-BRK verstieße, geltend gemacht hatte, war dieser (nicht aufrecht erhaltene) Antrag wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Gestaltungsklage ohnehin unzulässig (Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar, 12. Auflage, § 55 Rn. 19 ff).

2. Streitgegenständlich sind damit die geregelten sozialhilferechtlichen Kostenbeteiligungspflichten des Klägers in der Zeit vom 01.07.2012 bis 30.06.2015.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem Ausgangs-Bescheid vom 30.10.2012 damit auch der Änderungsbescheid vom 18.02.2013, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.10.2013 (§ 95 SGG) sowie die Bescheide vom 28.10.2014 und vom 29.05.2015. Die beiden letztgenannten sind über § 96 SGG bzw. § 96 SGG entsprechend Gegenstand des seit 28.11.2013 rechtshängigen Sozialgerichtsverfahrens geworden, weil sie den ursprünglichen Bescheid vom 30.10.2012 abänderten. Gegenstand der Berufung über § 96 SGG ist auch der Teilabhilfebescheid vom 04.04.2018, mit dem der Beklagte die Eigenbeteiligungen für April, Juni, August, September und Oktober 2014 neu berechnet hat, wobei er für den Oktober 2014 zu einer Eigenbeteiligung von 198 € gekommen ist und sich für die zuvor genannten Monate ansonsten keine Änderungen zu dem Teilanerkenntnis vom 25.01.2016 ergeben haben.

Zur besseren Übersichtlichkeit werden hier noch tabellarisch die Regelungsgegenstände der einzelnen Bescheide dargestellt:

Bescheid 30.10.2012; Kostenbeteiligung 07/12 - 06/15; mtl 491 €, ab 11/12: 396 €

Bescheid 18.02.2013; Kostenb. 02/12 – lfd: schwankend 02/12 - 10/12, ab 11/12: mtl 494 €

Bescheid 28.10.2014; Kostenb. 01/2013 - 08/2014; schwankend

Bescheid 29.05.2015; Kostenb. 04/14 - 04/15 neu, ab 06/2015 mtl. 1070 €; Schwankend, ab 09/14 mit Eink. Lebenspartnerin

Teilabhilfebescheid 04.04.2018; Kostenb. 04/06/08/09/10 – 2014; schwankend, bis auf 10/2014 wie Anerkenntnis v. 25.01.2016

Teilanerkenntnis 25.01.2016; Kostenb. 08/12 - 10/2014; schwankend

Somit ergaben sich nach den Verwaltungsentscheidungen des Beklagten folgende Kostenbeteiligungen im streitgegenständlichen Zeitraum Juli 2012 bis Juni 2015:

 

3. Soweit der Beklagte für einen Teil des streitgegenständlichen Zeitraumes ein Anerkenntnis erklärt (Schriftsatz vom 25.01.2016) und der Kläger dieses angenommen hat (Erklärung vom 05.03.2018 - „Das Teilanerkenntnis des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe vom 25.01.2016 nehme ich an.“), ist der Rechtsstreit einer weiteren gerichtlichen Überprüfung entzogen, weil er insoweit erledigt ist (§ 101 Abs. 2 SGG). Der Beklagte hat die vom Kläger unter Ziffer 3 des ursprünglichen Berufungsantrages vom 07.11.2015 genannten Monate 8/2012, 10/2012, 4/2013, 05/2023, 07/2013, 08/2013, 09/2013, 04/2014, 06/2014, 08/2014, 09/2014, 10/2014 neu berechnet und dabei entsprechend des Urteils des BSG vom 25.04.2013, B 8 SO 8/12 R zunächst die Einkommensgrenze für Schwerstpflegebedürftige nach § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII und anschließend besondere Belastungen des Klägers nach § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII berücksichtigt.

Bei lebensnaher Betrachtungsweise wollten die Beteiligten damit den Zeitraum vom 01.07.2012 bis 31.10.2014 „erledigen“, soweit es um die Berechnung der einzelnen Monatsbeiträge ging. Nachdem der Kläger selbst nachträglich eine Neuberechnung erst für die Zeit ab 01.08.2012 im Berufungsantrag vom 07.11.2015 geltend gemacht hat, weil er erst ab August 2012 weitere außergewöhnliche Belastungen hatte, die zu einer Reduzierung des Kostenbeitrages führen konnten, kann hier auch der Monat Juli 2012 als unstreitig angesehen werden. Aus dem Schreiben des Klägers vom 05.03.2018 ergibt sich jedoch, dass er unverändert die Anrechnung des Einkommens seiner Partnerin ab September 2014 zur gerichtlichen Überprüfung stellen wollte. Allerdings hat der Kläger seine Annahmeerklärung vom 05.03.2018 - anders noch als seinen ursprünglichen Berufungsantrag vom 07.11.2015 unter Ziffer 3 - nicht unter einer (grundsätzlich zulässigen) innerprozessualen Bedingung abgegeben. Eine Prozesshandlung muss eindeutig, klar und vorbehaltlos sein. Prozesshandlungen unter einer Bedingung sind, ebenso wie unter einer Befristung, grundsätzlich unzulässig. Zulässig sind dagegen grundsätzlich innerprozessuale Bedingungen, bei denen das ungewisse Ereignis ein Vorgang im Rahmen des Prozesses ist, über dessen Eintritt oder Nichteintritt der weitere Verlauf des Verfahrens Gewissheit bringt (BSG 23.3.10, B 8 SO 24/08 R). Prozesshandlungen, die sich unmittelbar auf die Einleitung oder Beendigung des Verfahrens beziehen, können aber grundsätzlich nicht unter eine innerprozessuale Bedingung gestellt werden (Keller in Meyer-Ladewig, SGG Kommentar 12. Auflage, vor § 60 Rn. 11; Greger in Zöller, Vorbem. § 128 ff. ZPO Rn. 20).

Hier hat der Kläger keine (unzulässige) Einschränkung der Annahmeerklärung erklärt, so dass nicht zu entscheiden ist, ob eine solche wegen der prozessbeendenden Wirkung des Anerkenntnisses ohnehin unzulässig wäre.

Damit ist der Zeitraum vom 01.07.2012 bis 31.10.2014 einer gerichtlichen Überprüfung entzogen.

Unabhängig von seinem (vom Kläger angenommenen) Teilanerkenntnis vom 25.01.2016 hat der Beklagte mit dem Teilabhilfebescheid vom 04.04.2018 den Monat Oktober 2014 zu Gunsten des Klägers nochmals korrigiert und fordert nunmehr von ihm statt 661 € nur noch 198 €. Dies ist aber prozessual unbeachtlich, weil der Zeitraum bis Oktober 2014 der gerichtlichen Überprüfung entzogen ist. Der Beklagte kann aber vom Kläger auch nur noch 198 € für Oktober 2014 fordern.

4. Soweit der Kläger für die Zeit vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 eine niedrigere Eigenbeteiligung geltend macht, ist seine Berufung erfolgreich, weil der Bescheid des Beklagten vom 29.05.2015 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 04.04.2018 rechtswidrig und daher aufzuheben ist.

Wie der Beklagte selbst bereits mit internem Aktenvermerk vom 11.09.2015 festgestellt hat, ist der Bescheid vom 29.05.2015, der erstmals für die Zeit ab September 2014 auch das Erwerbseinkommen der Partnerin des Klägers berücksichtigt und insgesamt den Zeitraum vom April 2014 bis April 2015 und die künftige Kostenbeteiligung ab Juni 2015 in Höhe von 1070 € monatlich regelt, rechtswidrig, weil er weder der Lebensgefährtin des Klägers bekanntgegeben wurde, noch hinreichend bestimmt war - § 33 Abs. 1 SGB X.

Zutreffend hat die Widerspruchsstelle beim Beklagten bemerkt, dass der Kläger seit September 2014 in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebte, so dass das Einkommen der Partnerin bei der Berechnung des zumutbar einsetzbaren Einkommens zu berücksichtigen war (§§ 19 Abs. 3, 20 SGB XII). Der Partnerin war der Bescheid vom 29.05.2015 aber nicht bekanntgegeben worden, obwohl sie rechtlich von ihm betroffen war (§ 37 Abs. 1 SGB X). Auch wenn man darüber streiten könnte, ob sich der Kläger auf diesen Fehler/Mangel berufen konnte, schlägt hier daneben ein Bestimmtheitsmangel durch: der Kläger und seine Lebenspartnerin wurden zum Einkommenseinsatz herangezogen, ohne dass aus dem Bescheid vom 29.05.2015 oder aus dem Abhilfebescheid vom 04.04.2018 hervorgeht, ob der Kläger und seine Partnerin als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden sollten. Ermittlungen des Beklagten hinsichtlich der Einkommenssituation der ebenfalls behinderten Partnerin des Klägers und deren evt. Bedarfs an ebenfalls einkommensabhängigen eigenen Eingliederungshilfemaßnahmen unterblieben völlig.

Damit ist der Bescheid vom 29.05.2015 aufzuheben.

Der Kläger hat damit nur die Eigenbeteiligung zu leisten, die sich zuletzt aus dem rechtmäßigen Bescheid des Beklagten vom 18.02.2013 ergab (monatlich 494 € aus seinem eigenen Einkommen). Dies gilt für den noch rechtshängigen Zeitraum 01.11.2014 bis 30.06.2015.

5. Rechtsgrundlage der Eingliederungshilfe und des dortigen Einkommenseinsatzes sind die §§ 19 Abs. 3, 20, 53 ff, 85, 87 Abs. 1 SGB XII.

Hilfen zur Gesundheit, Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII). § 20 SGB XII stellt die nichteheliche Lebensgemeinschaft den nicht getrennt - lebenden Ehepartnern gleich.

Damit ist schon der Grundanspruch auf Eingliederungshilfe an die Bedürftigkeit des Klägers - und seiner (im streitgegenständlichen Zeitraum noch) nicht - ehelichen Lebenspartnerin gebunden. Die genaue Einkommensanrechnung ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 85 und 87 SGB XII.

5.1. Eingliederungshilfe nach dem SGB XII wird nur geleistet, soweit den Leistungsberechtigten und ihren nichtehelichen Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist (§ 19 Abs. 3, § 20 SGB XII).

Die grundsätzliche Abhängigkeit des Eingliederungshilfeanspruchs von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist verfassungsrechtlich zulässig und insbesondere mit dem Benachteiligungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) vereinbar. Eine Benachteiligung in diesem Sinne kann zwar bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird. (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97 -). Der Gesetzgeber hat allerdings bei der Umsetzung des sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergebenden Förderauftrages einen erheblichen Spielraum und kann die Förderung unter Berücksichtigung organisatorischer, personeller und finanzieller Gesichtspunkte begrenzen (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 75; BVerwG, Urteil vom 5. April 2006 - 9 C 1/05 - juris Rn. 43).

Auch das Bundessozialgericht geht - ebenso wie das BVerwG zum BSHG (Urteil vom 26. Januar 1966 - V C 88/64) - davon aus, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, Leistungen der Eingliederungshilfe unabhängig von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu gewähren (BSG, Urteil vom 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R - juris Rn. 20). Das SG hat schon zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Einkommenseinsatz vom BSG als rechtlich unbedenklich angesehen wird. Es hat auf die Entscheidungen vom 23.08.2013 (B 8 SO 24/11 R) vom 24. 04 2013 (B 8 SO 8/12 R) und vom 28.02.2013 (B 8 SO 1/12 R), die alle nach dem Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland ergangen sind und in denen die Rechtmäßigkeit eines Einkommenseinsatzes dem Grunde nach nicht bezweifelt wird, hingewiesen. Auch aus jüngeren Entscheidungen des BSG zur Eingliederungshilfe ergibt sich, dass das BSG grundsätzlich keine Bedenken gegen die Einkommensabhängigkeit der Leistungen hat (vgl. zuletzt BSG Beschluss vom 24.07.2017, B 8 SO 87/16 B, BSG Urteil vom 12.12.2013, B 8 SO 18/12 R).

5.2. Die UN-BRK steht der grundsätzlichen Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen ebenfalls nicht entgegen. Denn unabhängig davon, dass konkrete Leistungsansprüche aus der UN-BRK allenfalls in eingeschränktem Umfang abgeleitet werden können (siehe unten), stehen die sich aus der UN-BRK ergebenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten grundsätzlich unter dem Vorbehalt der verfügbaren Mittel (Art. 4 Abs. 2 UN-BRK), so dass Leistungseinschränkungen nicht von vornherein unzulässig sind (LSG Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.02.2016, L 8 SO 52/14, Rn 23).

5.3. Das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008 (Vertragsgesetz zur UN-BRK, BGBl II S. 1419) ist gemäß dessen Art. 2 Abs. 1 am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um. Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art. 45 Abs. 2 UN-BRK ab dem 26. März 2009 zu (vgl. auch Art. 2 Abs. 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK i.V.m. der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5. Juni 2009, BGBl. II S. 812). Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 - juris Rn. 52; BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2016 - 1 BvL 8/15 - juris Rn. 88; BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 20). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - juris Rn. 32 zur Europäischen Menschenrechtskonvention; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 - juris Rdnr. 52; BVerfG, Beschluss vom 21. März 2016 - 1 BvR 53/14 - juris Rn. 4; BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 20).

5.4. Subjektive Ansprüche für behinderte Menschen vermittelt die UN-BRK indes nur, soweit sie unmittelbar anwendbar („self-executing“) ist. Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1970 - 1 BvL 7/66 - juris Rn. 42). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 24 m.w.N.). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 24 m.w.N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Februar 2014 - L 20 SO 436/13 B ER - juris Rn. 59 m.w.N.). Gemäß Art. 31 Abs. 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (BGBl. II 1985 S. 926 und BGBl. II 1987 S. 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 24).

5.5. Der Kläger kann unmittelbar aus den von ihm -schon erstinstanzlich - zitierten Vorschriften der UN-BRK (Art. 12 Abs. 5 - „gleiches Recht wie andere haben, Eigentum zu besitzen oder zu erben…-, Art. 27 Abs. 1 f -“ Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen“- Art. 30 Abs. 1 - „gleichberechtigt mit anderen am kulturellen Leben teilnehmen“ und Art. 5 -Diskriminierungsverbot-) nicht einen unmittelbaren Anspruch auf eine einkommens- und vermögensunabhängige Eingliederungshilfemaßnahme ableiten.

Der Senat weist insoweit die Berufung aus den überzeugenden Ausführungen des SG in seinem Urteil vom 27.05.2015 zurück und sieht von einer Wiederholung und weiteren Darstellung der Urteilsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

5.6. Auch aus dem vom Kläger im Berufungsverfahren herangezogenen Art. 19 a UN-BRK ergibt sich kein unmittelbarer Anspruch auf Eingliederungshilfe ohne Einkommenseinsatz. Dieser lautet unter der Überschrift „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“:

„Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens anerkennen das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern, indem sie unter anderem gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben; ....“

Nach den oben genannten (5.4.) Maßstäben ist Art. 19 UN-BRK nicht unmittelbar anwendbar (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2018, L 7 SO 3516/14, Rn. 66, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 06.02.2014 - L 20 SO 436/13 B ER - juris Rn. 60 - auch zum Folgenden). Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des Artikels. Denn danach treffen die Vertragsstaaten wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern. Dies deutet darauf hin, dass das Übereinkommen an dieser Stelle gerade keine subjektiven Rechte schaffen will, sondern die nähere Umsetzung des in Art. 19 UN-BRK eingeräumten Rechts aller Menschen mit Behinderungen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, den Vertragsstaaten vorbehalten bleiben soll. Diese Deutung wird untermauert durch ein systematisches Argument: Die UN-BRK verwendet den Begriff „Anspruch“ dann, wenn subjektive Rechte der behinderten Menschen begründet werden sollen (z.B. in Art. 22 Abs. 1 UN-BRK: „Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen“, oder in Art. 30 Abs. 4 UN-BRK: „Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf Anerkennung und Unterstützung ihrer spezifischen kulturellen und sprachlichen Identität“; vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris Rn. 25). Die Formulierung eines solchen „Anspruchs“ findet sich in Art. 19 UN-BRK jedoch gerade nicht.

Abgesehen davon begründet Art. 19 UN-BRK aber ohnehin keinen Anspruch auf bestimmte Leistungen unabhängig von den Kosten (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. März 2011 - L 8 SO 24/09 B ER - juris Rn. 53; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. Februar 2014 - L 20 SO 436/13 B ER - juris Rdnr. 57). Art. 19 UN-BRK ist keine sozialleistungsrechtliche Regelung, sondern erschöpft sich in einer abwehrrechtlichen Dimension. Indem sich dort die Vertragsstaaten unter anderem verpflichten zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben, wird lediglich eine Pflicht der Vertragsstaaten begründet, behinderte Menschen nicht durch rechtliche Vorgaben an der freien Wahl des Aufenthaltsortes und der Wohnform zu hindern. Art. 19 UN-BRK zielt auf eine unabhängige Lebensführung in Gestalt einer deinstitutionalisierten Einbeziehung der behinderten Menschen in die Gemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 21.03.2016 - 1 BvR 53/14 - juris Rn. 4). Die Annahme, dass damit auch eine Pflicht der Vertragsstaaten verbunden wäre, jegliches faktische - insbesondere finanzielle - Hindernis für die Ausübung des Wahlrechts zu beseitigen - mit anderen Worten: Sozialleistungen in der nach den Wünschen des Betroffenen notwendigen Höhe zu gewähren -, ist nicht zuletzt mit Blick darauf fernliegend, dass sich die UN-BRK an alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen richtet und auf deren Unterzeichnung des Abkommens gerichtet ist und damit in der ganz überwiegenden Anzahl an Staaten, denen die sozialstaatliche bzw. sozialleistungsfreundliche Ausgestaltung der Rechtsordnung in dem in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen Ausmaß fremd ist. Insofern ähnelt Art. 19 UN-BRK eher dem Freizügigkeitsrecht des Art. 11 GG, das sich auch im Wesentlichen in einer abwehrrechtlichen Dimension erschöpft, aber keinen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen begründet (vgl. dazu zuletzt BSG, Urteil vom 12. April 2017 - B 13 R 12/15 R - juris Rr. 37 ff.).

Nachdem sich der Kläger ohnehin nur unter dem Gesichtspunkt des Wahlrechtes des behinderten Menschen, bestimmen zu können, mit wem er zusammenleben will, auf Art. 19 UN-BRK stützt, ist dieser für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 ohnehin nicht einschlägig, weil sich der Einkommenseinsatz des Klägers für diesen Zeitraum ausschließlich nach seinem Einkommen richtet und das Erwerbseinkommen seiner Partnerin aus den oben genannten Gründen (siehe 4.) hier nicht zu berücksichtigen ist.

5.7. Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht aus Art. 28 Abs. 1 UN-BRK. Dieser lautet unter der Überschrift „Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz“:

„Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung und Wohnung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz und zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung.“

Auch bei dieser Norm handelt es sich nicht um eine unmittelbar anwendbare Norm, aus der sich ein Anspruch ableiten lässt. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Adressaten („Die Vertragsstaaten…“) sowie aus dem Kontext.

6. Dem Kläger stehen auch nicht aus einer UN-BRK gemäßen Auslegung der anzuwendenden Normen der Einkommensanrechnung der §§ 85, 87 SGB XII Ansprüche auf Eingliederungshilfe ohne einen Einkommenseinsatz zu. Vielmehr beläuft sich die Kostenbeteiligung für den Kläger in der Zeit vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 auf monatlich 494 €, wie diese der Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 18.02.2013 festgesetzt hat. Zugunsten des Klägers wirkt sich hier aus, dass sich durch eine Neubzw. Nachberechnung der Kostenbeteiligung keine Verböserung des Klägers über den mit Bescheid vom 18.02.2013 hinausgehenden Betrag von 494 € ergeben darf.

6.1. Zunächst ist die nach § 85 Abs. 1 SGB XII zu beachtende Einkommensgrenze zu ermitteln.

Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt-lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

  • 1.einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,

  • 2.den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und

  • 3.einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden (§ 85 SGB XII in der Fassung vom 21.12.2015).

Das Zweifache der im Jahr 2014 zu beachtenden Regelbedarfsstufe 1 (391 €) beträgt 782 €. Unbeachtlich ist, dass der Beklagte im Bescheid vom 18.02.2013 nur 768 € berücksichtigt hat.

Die zu beachtenden angemessenen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft betragen die Hälfte von 1580 € = 790 €. Dabei berücksichtigt der Senat den hälftigen Kopfanteil für die gemeinsam mit der Lebenspartnerin bewohnte Wohnung des Klägers.

Unberücksichtigt bleibt hier aber ein Familienzuschlag nach § 85 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII für die damals noch nicht-eheliche Lebensgefährtin des Klägers. Es kann dahinstehen, ob man hier der in der Literatur vertretenen Auffassung folgt, wonach § 85 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII wegen des eindeutigen Wortlauts nicht auf eheähnliche Partner anzuwenden ist (so: Conradis in LPK-SGB XII, 10. Auflage, § 85 Rn. 3; a.A. aber Wahrendorf In Grube-Wahrendorf, SGB XII Kommentar, 5. Auflage, § 85 Rn. 6, Hohm in Schellhorn, Hohm, Scheider, SGB XII Kommentar, § 19. Auflage, § 85 Rn. 16, jeweils unter Hinweis auf § 20 SGB XII). Die damalige eheähnliche Partnerin des Klägers wurde nicht vom Kläger überwiegend unterhalten, weil sie sich aus ihrem eigenen Erwerbseinkommen in Höhe von monatlich 1.924,22 € netto allein unterhalten konnte. Der Kläger wird für die Berechnung des Kostenbeitrags „fiktiv“ so behandelt, als wenn er in dem hier zu entscheidenden Zeitraum noch alleinstehend gewesen wäre, nachdem das Erwerbseinkommen der nicht -ehelichen Partnerin auch nicht berücksichtigt werden kann. Eine entsprechende Verwaltungsentscheidung des Beklagten hierzu fehlt (nachdem der Bescheid vom 29.05.2015 aufzuheben ist (siehe oben unter 4.).

Damit ergibt sich eine Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII in Höhe von 1572 € monatlich.

6.2. Der Kläger hat ein monatliches Netto-Erwerbseinkommen in Höhe von 3.180,31 € erzielt, das um die geltend gemachten Kosten der Hausratversicherung (3,49 €), der Haftpflichtversicherung (9,23 €), der Arbeitsmittelpauschale (5,20 €) und dem Riester Bausparvertrag (162,16 €) zu bereinigen ist (§ 82 Abs. 2 SGB XII). Der Senat übernimmt an dieser Stelle die Berechnungen des Beklagten aus der Anlage zum Teil-Abhilfebescheid vom 04.04.2018 und legt seiner weiteren Berechnung ein bereinigtes Einkommen des Klägers in Höhe von 3.000,23 € monatlich zugrunde.

6.3. Dem Kläger ist als schwerstpflegebedürftigem Menschen nach § 64 Abs. 3 SGB XI i.d.F. bis 31.12.2016 die Berücksichtigung seines Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

§ 87 Abs. 1 SGB XII i.d.F. bis 31.12.2016 lautet:

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs. 3 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

Aus § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII ergibt sich somit ein zumutbarer Kostenbeitrag in Höhe von 571,29 € monatlich, gedeckelt durch den vom Beklagten mit Bescheid vom 18.02.2013 festgestellten Kostenbeitrag in Höhe von 494 €. Besondere Belastungen i.S. § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII hat der Kläger nicht geltend gemacht für die Zeit vom 01.11.2014 bis 30.06.2015, so dass sich keine andere Kostenbeteiligung als die von 40% über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens ergibt.

Nach der Rechtsprechung des BSG (BSG Urteil vom 25.04.2013, B 8 SO 8/12 R) ist die Einkommensgrenze des § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII für schwerstpflegebedürftige Menschen vorrangig zu berücksichtigen und erst nach der Bestimmung derselben sind nach Absatz 1 Satz 2 bei der Prüfung, welcher Umfang der Einsatz dieses Einkommens nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB XII angemessen ist, insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Allerdings können dann im Rahmen der Abzugsposten nach Absatz 1 Satz 2 zum einen keine Umstände mehr berücksichtigt werden, die bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind, zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine „besondere“ Belastung). Schließlich können nicht solche Belastungen Berücksichtigung finden, die bereits mit dem Mindestbedarf nach Absatz 1 Satz 3 abgegolten sind, also Belastungen im Zusammenhang mit der Schwerstpflegebedürftigkeit.

In den Fällen des § 87 Abs. 1 SGB XII ist eine Kostenbeteiligung, soweit eine solche angemessen ist, zwingend vorzunehmen. Für den Träger der Sozialhilfe besteht kein Ermessen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach § 19 Abs. 3 SGB XII Leistungen überhaupt nur insoweit gewährt werden, als den dort genannten Personen ein Einsatz ihres Einkommens oder Vermögens nicht zuzumuten ist, was § 87 Abs. 1 SGB XII gerade regelt (Gutzler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 87 SGB XII, Rn. 50,51).

Entgegen der Ansicht des Klägers ist Ermessen bei der Ermittlung des Eigenanteils nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII von der Behörde nicht auszuüben, da es sich bei der Entscheidung über den angemessenen Eigenanteil nach § 87 Abs. 1 SGB XII nach der Fassung der Norm (insbesondere im Vergleich zu § 87 Abs. 2 und 3 SGB XII) um eine ge-bundene Entscheidung handelt. Die gerichtliche Kontrolle richtet sich hierbei darauf, ob die sich aus dem Charakter der jeweiligen Bedarfssituation ergebenden individuellen Umstände und typischen Bewertungsgesichtspunkte, wie sie in § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden haben, zutreffend erkannt und angewandt worden sind (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 87, Rn. 8, 9).

Nach dem in § 87 Abs. 1 SGB XII zum Ausdruck kommenden Individualisierungsgrundsatz muss der Begriff des „angemessenen“ Eigenanteils vielmehr unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls festgelegt werden (vgl. Wahrendorf in: Gru-be/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 87, Rn. 4, so auch Urteil des Senats vom 16.11.2017, L 8 SO 154/15 -, juris). Bei dem Tatbestandsmerkmal „angemessen“ in § 87 Abs. 1 S. 1 SGB XII handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum, der gerichtlich voll überprüfbar ist (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf a.a.O. § 87 Rn. 9, Schoch in LPK SGB XII, a.a.O. § 87 Rn. 3, Hohm in Schellhorn, Hohm, Schieder, a.a.O. § 87 Rn. 8). Abzustellen ist dabei auf die Verhältnisse des Einzelfalles.

Angemessen kann im Einzelfall grundsätzlich sowohl die volle Heranziehung des Einkommens über der Einkommensgrenze als auch - in engen Grenzen - die volle Freilassung sein (Hohm a.a.O. § 87 Rn. 8), wobei bei Schwerstpflegebedürftigen und Blinden § 67 Abs. 1 S. 3 SGB XII zu berücksichtigen ist und damit bei diesem Personenkreis von vornherein eine volle Heranziehung des Einkommens über der Einkommensgrenze ausscheidet.

Zu berücksichtigen ist damit beim schwerstpflegebedürftigen Kläger zunächst eine Kostenbeteiligung in Höhe von 40% des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nach § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII. Dies ist hier ein zumutbarer Kostenbeitrag in angemessenem Umfang in Höhe von 571,29 € monatlich. Nachdem der Kläger für die Zeit ab 01.11.2014 bis 30.06.2015 keine besonderen (individuellen und personenzentrierte) Belastungen geltend gemacht hat und weder die Art des Bedarfs (Eingliederungshilfe ISB), die Art oder Schwere der Behinderung (fortschreitende Muskeldystrophie) oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen (dauerhafte Eingliederungshilfe seit 2007 als ISB) eine abweichende Feststellung bedingen, verbleibt es bei einem Kostenbeitrag in Höhe von 40%.

Auch besondere Belastungen der ebenfalls körperbehinderten Partnerin des Klägers liegen nicht vor. Das BSG hat in dem Urteil vom 25.04.2013, B 8 SO 8/12 R, unter Rn. 28 in sozialgerichtsbarkeit.de dazu in einem vergleichbaren Fall bereits ausgeführt, dass der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch die Schwerstpflegebedürftigkeit der dortigen Klägerin als auch durch die gravierende Behinderung des dortigen Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens führe. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 v.H. derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift habe er typisierend einen behinderungsbedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege bzw. Eingliederungshilfe einzusetzen sei.

Etwas anders ergab sich z.B. für den Monat Oktober 2014, in dem der Kläger infolge des Umzugs in eine andere Wohnung und wegen der Anschlusskosten für die Küche besondere Belastungen nach § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII geltend machen konnte. Der dann festgesetzte Kostenbeitrag in Höhe von 198,76 € (vgl. Anlage zum Bescheid des Beklagten vom 04.04.2018) entsprach nur noch 9% des über der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII liegenden bereinigten Gesamt-Einkommens über der Einkommensgrenze von 2.283,25 €.

Allerdings ist die vom Kläger zu fordernde Eigenbeteiligung in der Zeit vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 begrenzt auf die vom Beklagten mit Bescheid vom 18.02.2013 festgesetzte Kostenbeteiligung in Höhe von 494 €, weil der Kläger auf seine Anfechtungsklage hin nicht durch das Urteil gegenüber der Verwaltungsentscheidung des Beklagten zu verbösern ist.

6.3.1. Der Kläger kann auch aus der UN-BRK keine abweichende Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs (zumutbarer Kostenbeitrag im angemessenen Umfang) verlangen.

Zum einen reklamiert der Kläger für sich keine besonderen Belastungen (i.S. eines individuellen und personenzentrierten Maßstabes) i.S. § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII, sondern weist generell auf die Problematik der körperbehinderten Akademiker hin, die ein Einkommen über der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII erzielen und bei der benötigten Eingliederungshilfe deswegen überhaupt zum Einkommenseinsatz nach § 87 SGB XII herangezogen werden. Die damit verbundene Problematik des Einkommenseinsatzes und der Unmöglichkeit, Vermögen oberhalb der Vermögensfreigrenze des § 90 SGB XII zu bilden, stellt sich bei allen nachfragenden Personen im Lebenszuschnitt des Klägers. Hier ist erneut auf § 19 Abs. 3 SGB XII hinzuweisen, der einen sozialhilfe-rechtlichen Anspruch auf Eingliederungshilfe nur dann vermittelt, wenn dem leistungsberechtigten behinderten Menschen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist. Im Übrigen ist allen Leistungsberechtigten der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB Abs. 1 XII gemein, dass sie die persönlichen Voraussetzungen erfüllen, also wegen einer Behinderung i.S. § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind.

Der Gesetzgeber hat diese Problematik im Bundesteilhabegesetz aufgegriffen und sich mit dem in vier Stufen in Kraft tretenden Bundesteilhabegesetz auf den - wie die schwierigen Beratungen zeigten, langen - Weg gemacht, die Eingliederungshilfe aus der (einkommens- und vermögensabhängigen) Sozialhilfe herauszulösen. Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, kurz Bundesteilhabegesetz (BTHG), ist ein in der ersten von vier Reformstufen in Kraft getretenes Bundesgesetz, mit dem der Gesetzgeber sich das Ziel gesetzt hatte, auch im Hinblick auf die UN-BRK eine zeitgemäßere Gestaltung mit besserer Nutzerorientierung und Zugänglichkeit sowie eine höhere Effizienz der deutschen Eingliederungshilfe zu erreichen. Nach dem 2017 in Kraft getretenen ersten Teil des BTHG ist die Eingliederungshilfe noch Teil des SGB XII, es gibt aber deutlich höhere Freibeträge, sowohl beim Einkommen als auch beim Vermögen.

Der Kläger kann aber nicht für sich reklamieren, dass die gesetzgeberischen Überlegungen zum BTHG und auch zum Zeitpunkt von dessen zeitlich gestuften Inkrafttretens über die Wertungen des § 87 Abs. 1 S. 2 SGB XII in seinem Einzelfall dazu führen, schon vor dem „offiziellen Inkrafttreten“ zu einer gänzlichen Freilassung seines Einkommens führen. Dies widerspräche der klaren gesetzgeberischen Entscheidung zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des BTHG, für das gerade keine echte Rückwirkung vorgesehen ist.

Im Übrigen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine „besondere“ Belastung). Schließlich können nicht solche Belastungen Berücksichtigung finden, die bereits mit dem Mindestbedarf nach Absatz 1 Satz 3 abgegolten sind, also Belastungen im Zusammenhang mit der Schwerstpflegebedürftigkeit, für die eine generelle Verschonung in Höhe von mindestens 60% des über der Einkommensgrenze liegenden bereinigten Einkommens gilt.

Die Berufung ist demnach für den Zeitraum vom 01.11.2014 bis 30.06.2015 teilweise begründet, weil der Kläger für diesen Zeitraum nur eine Kostenbeteiligung in Höhe von 494 € schuldet.

Soweit sich der Kläger auch gegen den nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergangenen Bescheid vom 04.04.2018 wendet, ist die Klage abzuweisen.

7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1, S. 1 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Klägers. Streitgegenständlich waren 36 Monate, in 20 Monaten (8/2012, 10/2012, 4/2013, 05/2023, 07/2013, 08/2013, 09/2013, 04/2014, 06/2014, 08/2014, 09/2014, 10/2014 und 11/2014 bis 6/2015) wurde die Berechnung des Eigenanteils zu Gunsten des Klägers geändert.

8. Gründe zur Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Fi

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(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB 9 2018 | § 2 Begriffsbestimmungen


(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft m

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 96


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Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 90 Einzusetzendes Vermögen


(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen. (2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung1.eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage od

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 82 Begriff des Einkommens


(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Nicht zum Einkommen gehören1.Leistungen nach diesem Buch,2.die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungs

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 19 Leistungsberechtigte


(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. (2)

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(1) Mit der Klage kann begehrt werden 1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,2. die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,3. die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörun

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Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 33 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein. (2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, w

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 37 Bekanntgabe des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden. (2) Ein schriftlicher Verwaltun

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 98 Örtliche Zuständigkeit


(1) Für die Sozialhilfe örtlich zuständig ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung der Leistung auch dann bestehen, wenn die Leistung außerha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 11


(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. (2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 101


(1) Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegensta

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 85 Einkommensgrenze


(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkomme

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 59


(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten. (2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich a

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Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, sind Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Soweit der Bedarf durch Leistungen

Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022) - SGB 12 | § 87 Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze


(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwer

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Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. § 39 gilt entsprechend.

Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Mai 1994, BGBl. I S. 1014) - SGB 11 | § 64 Rücklage


(1) Die Pflegekasse hat zur Sicherstellung ihrer Leistungsfähigkeit eine Rücklage zu bilden. (2) Die Rücklage beträgt 50 vom Hundert des nach dem Haushaltsplan durchschnittlich auf den Monat entfallenden Betrages der Ausgaben (Rücklagesoll).

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Tatbestand 1 Im Streit sind höhere Leistungen (60 Euro monatlich) für Unterkunfts- und Heizkosten im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die

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(1) Für die Sozialhilfe örtlich zuständig ist der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich die Leistungsberechtigten tatsächlich aufhalten. Diese Zuständigkeit bleibt bis zur Beendigung der Leistung auch dann bestehen, wenn die Leistung außerhalb seines Bereichs erbracht wird.

(1a) Abweichend von Absatz 1 ist im Falle der Auszahlung der Leistungen nach § 34 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 und bei Anwendung von § 34a Absatz 7 der nach § 34c zuständige Träger der Sozialhilfe zuständig, in dessen örtlichem Zuständigkeitsbereich die Schule liegt. Die Zuständigkeit nach Satz 1 umfasst auch Leistungen an Schülerinnen und Schüler, für die im Übrigen ein anderer Träger der Sozialhilfe nach Absatz 1 örtlich zuständig ist oder wäre.

(2) Für die stationäre Leistung ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor der Aufnahme zuletzt gehabt hatten. Waren bei Einsetzen der Sozialhilfe die Leistungsberechtigten aus einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 in eine andere Einrichtung oder von dort in weitere Einrichtungen übergetreten oder tritt nach dem Einsetzen der Leistung ein solcher Fall ein, ist der gewöhnliche Aufenthalt, der für die erste Einrichtung maßgebend war, entscheidend. Steht innerhalb von vier Wochen nicht fest, ob und wo der gewöhnliche Aufenthalt nach Satz 1 oder 2 begründet worden ist oder ist ein gewöhnlicher Aufenthaltsort nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln oder liegt ein Eilfall vor, hat der nach Absatz 1 zuständige Träger der Sozialhilfe über die Leistung unverzüglich zu entscheiden und sie vorläufig zu erbringen. Wird ein Kind in einer Einrichtung im Sinne des Satzes 1 geboren, tritt an die Stelle seines gewöhnlichen Aufenthalts der gewöhnliche Aufenthalt der Mutter.

(3) In den Fällen des § 74 ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der bis zum Tod der leistungsberechtigten Person Sozialhilfe leistete, in den anderen Fällen der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Sterbeort liegt.

(4) Für Hilfen an Personen, die sich in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung aufhalten oder aufgehalten haben, gelten die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 106 und 109 entsprechend.

(5) Für die Leistungen nach diesem Buch an Personen, die Leistungen nach dem Siebten und Achten Kapitel in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten erhalten, ist der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig war oder gewesen wäre. Vor Inkrafttreten dieses Buches begründete Zuständigkeiten bleiben hiervon unberührt.

(6) Soweit Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des Neunten Buches zu erbringen sind, richtet sich die örtliche Zuständigkeit für gleichzeitig zu erbringende Leistungen nach diesem Buch nach § 98 des Neunten Buches, soweit das Landesrecht keine abweichende Regelung trifft.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Der Bundespräsident vertritt den Bund völkerrechtlich. Er schließt im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten. Er beglaubigt und empfängt die Gesandten.

(2) Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Für Verwaltungsabkommen gelten die Vorschriften über die Bundesverwaltung entsprechend.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung der Kosten für einen behindertengerechten Umbau eines PKW nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Die 1946 geborene Klägerin ist infolge einer Kinderlähmung an beiden Beinen sowie an der Bauch- und Rückenmuskulatur teilweise gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" festgestellt worden. Sie erhält eine monatliche Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, eine monatliche Betriebsrente und bezog ein monatliches Einkommen aus einer Nebentätigkeit; außerdem ist sie Alleineigentümerin einer von ihr allein bewohnten, barrierefrei errichteten 111 m² großen 3-Zimmer-Wohnung. Seit 1993 ist sie ehrenamtlich tätig (insbesondere im Verein M. e.V.) und nimmt im Rahmen dieser Tätigkeit Termine innerhalb und außerhalb ihres Wohnorts wahr.

3

Am 30.5.2007 stellte sie bei dem Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten zur Ausübung ihres Ehrenamtes und zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für ein behindertengerechtes Fahrzeug, den sie später auf den behindertengerechten Umbau ihres PKW (Einbau eines Rollstuhlverladesystems) beschränkte. Während des Verwaltungsverfahrens erwarb sie einen neuen und behindertengerecht umgebauten PKW zu einem Kaufpreis von insgesamt 32 701,48 Euro (14 186,56 Euro für den Umbau; 18 514,89 Euro für den Kauf des PKW). Sie erhielt hierfür von privaten Stiftungen Zuwendungen in Höhe von insgesamt 31 001,48 Euro; aus dem Verkauf ihres alten, mit einem Rollstuhlverladesystem versehenen Fahrzeugs erzielte sie einen Erlös iHv 1700 Euro (Gesamtbetrag 32 701,48 Euro). Die Zuwendungen der Stiftungen wurden jeweils als Zuschuss gewährt, mit Ausnahme von zweien über insgesamt 9000 Euro (4000 und 5000 Euro), die als Darlehen gezahlt wurden. Die Stiftungen überwiesen die zugewandten Beträge direkt an das Autohaus bzw den Betrieb, der den behindertengerechten Umbau vornahm. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 8.8.2007; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 30.7.2008), weil der Hauptzweck der Kraftfahrzeugversorgung, die Eingliederung in das Arbeitsleben, nicht vorliege. Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, durch die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe indirekt ehrenamtliche Institutionen zu fördern. Andere, nicht ehrenamtlich bedingte regelmäßige Fahrten seien nicht ersichtlich. Für einzelne sonstige Fahrten sei ein Taxi erheblich kostengünstiger.

4

Während das Sozialgericht (SG) Detmold den Bescheid vom 8.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.7.2008 aufgehoben und den Beklagten "verpflichtet" hat, "der Klägerin die Kostenübernahme für den behindertengerechten Umbau eines Pkw zu bewilligen" (Urteil vom 25.8.2009), hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) das Urteil des SG "abgeändert" und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.9.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dem Zusammenspiel zwischen § 8 Abs 1 Satz 2 und § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO) sei zu entnehmen, dass die beanspruchte Leistung vorrangig als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen sei. Andere Eingliederungszwecke erforderten deshalb eine vergleichbar gewichtige Zielsetzung. Dies sei nur zu bejahen, wenn eine ständige oder jedenfalls regelmäßige, tägliche oder fast tägliche Benutzung des Kraftfahrzeugs erforderlich sei; anderenfalls sei der Behinderte nicht auf das Kraftfahrzeug angewiesen. So liege der Fall bei der Klägerin, weil sie nur zwei bis drei Fahrten monatlich außerhalb des Stadtgebiets von H. unternehme.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 53, 60 SGB XII iVm § 8 Eingliederungshilfe-VO. Sie macht geltend, die ehrenamtliche Tätigkeit stelle eine der Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbar gewichtige Aufgabe dar. Zu Unrecht habe das LSG dabei allein auf regelmäßig anfallende Fahrten außerhalb des Stadtgebiets abgestellt, obwohl weder § 53 SGB XII noch die Eingliederungshilfe-VO eine solche Beschränkung enthielten. Im Übrigen unternehme sie monatlich mehr als zwei bis drei Fahrten außerhalb des Stadtgebiets von H., um ihrem ehrenamtlichen Engagement nachzukommen.

6

Sie beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beklagte verurteilt wird, die Kosten für die Anschaffung und den Einbau des Rollstuhlverladesystems in ihr Kraftfahrzeug zu erstatten.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für eine abschließende Entscheidung fehlen.

10

Gegenstand des mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 8.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.7.2008 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau des Kraftfahrzeugs der Klägerin abgelehnt hat. Der beklagte Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist der richtige Beklagte iS des § 70 Nr 1 SGG; die Beteiligtenfähigkeit von Behörden in NRW ist seit dem 1.1.2011 mit dem Inkrafttreten des Justizgesetzes NRW vom 26.1.2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW 30) entfallen (zu dem hierdurch erfolgten Beteiligtenwechsel BSG SozR 4-3500 § 29 Nr 2 RdNr 11).

11

Er ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Erstattung der Kosten des behindertengerechten Umbaus des PKW als Leistung der Eingliederungshilfe sachlich und örtlich zuständig (§ 98 Abs 1, § 97 Abs 2 iVm § 3 Abs 3 SGB XII, §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 816 - und § 2 Abs 1 Nr 4 Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 817). Zwar sieht § 1 Nr 2 Buchst a der Satzung des Beklagten über die Heranziehung der Städte, Kreise und kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vom 10.3.2005 iVm § 6 Abs 1 und § 7 Abs 1 Buchst d Landschaftsverbandsordnung für das Land NRW vom 14.7.1994 (GVBl NRW 657, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.10.2012 - GVBl NRW 474) iVm § 3 Abs 1 AGSGB XII eine Heranziehung der kreisfreien Städte und Kreise für die Versorgung von behinderten Menschen mit größeren Hilfsmitteln zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor, macht hiervon aber eine Ausnahme bei Kraftfahrzeugen. Ob dazu auch der behindertengerechte Umbau eines Kraftfahrzeugs zählt, kann dahinstehen; denn der Beklagte ist nach § 7 der Satzung ohnehin berechtigt, im Allgemeinen und im Einzelfall selbst tätig zu werden.

12

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war weder die für die Klägerin zuständige Krankenkasse noch der Rentenversicherungsträger nach § 75 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGG wegen der Nichtweiterleitung des Rehabilitationsantrags durch den Beklagten an diese notwendig beizuladen (dazu später).

13

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Erstattung der Kosten für Anschaffung und Einbau des Rollstuhlverladesystems ist § 19 Abs 3 Satz 1 SGB XII(in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII(ebenfalls in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003) und § 55 Abs 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) iVm § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO(zur Unanwendbarkeit von § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 20). Richtet sich der geltend gemachte Anspruch - wie hier - auf eine Geldleistung, ist es rechtlich unerheblich, ob die Klägerin den Auftrag für den Einbau des Rollstuhlverladesystems zeitlich ggf sogar vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom 8.8.2007 erteilt hat; insbesondere stehen §§ 2, 18 SGB XII (Nachrang der Sozialhilfe, Leistung erst ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers) einer Leistungsgewährung nicht entgegen(BSG, aaO, RdNr 21).

14

Nach § 53 Abs 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Klägerin ist teilweise gelähmt und deshalb auf einen Rollstuhl angewiesen und damit wesentlich in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben (s § 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO), sodass es sich bei der Eingliederung um eine Pflichtleistung handelt.

15

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden durch § 54 Abs 1 SGB XII iVm §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX und die auf Grundlage der Ermächtigung des § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfe-VO konkretisiert. Nach § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX gehört zu den Teilhabeleistungen insbesondere die Versorgung mit anderen als den in § 31 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) genannten Hilfen. § 9 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO konkretisiert den Begriff des "anderen Hilfsmittels". Danach sind andere Hilfsmittel iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm mit den §§ 26, 33 und 55 SGB IX nur solche Hilfsmittel, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen. Nach § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO gehören zu den anderen Hilfsmitteln iS des Abs 1 auch besondere Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte für Kraftfahrzeuge, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist; soweit die Eingliederungshilfe ein Kraftfahrzeug betrifft, muss der behinderte Mensch das Hilfsmittel nicht selbst bedienen können (BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25; BVerwGE 55, 31, 33 f). Das Rollstuhlverladesystem kann deshalb ein Hilfsmittel iS von § 9 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO sein.

16

Ob die Klägerin iS des § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO auf ein Kraftfahrzeug "angewiesen" ist, kann allerdings nicht abschließend entschieden werden. Dies beurteilt sich in erster Linie nach dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört es insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs 3 SGB XII). Die Formulierung verdeutlicht, dass es insgesamt ausreicht, die Begegnung und den Umgang mit anderen Menschen im Sinne einer angemessenen Lebensführung zu fördern. Maßgeblich sind im Ausgangspunkt die Wünsche des behinderten Menschen (§ 9 Abs 2 SGB XII); wie sich aus § 9 Abs 3 Eingliederungshilfe-VO ergibt ("im Einzelfall"), gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht(BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25, 26; SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

17

Die von der Klägerin ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit gehört in besonderer Weise zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dies verdeutlicht § 11 Abs 2 Satz 2 SGB XII; danach umfasst die aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft auch ein gesellschaftliches Engagement. Es spielt mithin keine Rolle, dass durch etwaige Eingliederungshilfeleistungen die ehrenamtliche Tätigkeit mittelbar "gefördert" wird; denn in erster Linie soll der Umbau des Fahrzeugs die Mobilität der Klägerin erhöhen oder herstellen und ihr die Teilhabemöglichkeit eröffnen. Ob die Teilhabemöglichkeit in der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder dem Besuch von Sportveranstaltungen oder Musikaufführungen besteht oder mit einer (sonstigen) aktiven Vereinsmitgliedschaft zusammenhängt, obliegt der Entscheidung des Behinderten. Er bestimmt selbst, was er in seiner Freizeit tut und welche Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft er ergreift. Gerade ältere, aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Menschen haben ein besonderes Bedürfnis, neue soziale Kontakte zu finden oder alte aufrechtzuerhalten, und nutzen die Möglichkeit, dies in ehrenamtlichen Tätigkeiten zu tun, um ihre Fähigkeiten sinnvoll und gewinnbringend einzusetzen und nicht auf das "Abstellgleis geschoben" zu werden.

18

Das LSG hat bei der Frage, ob die Klägerin auf den behindertengerechten Umbau des Kfz angewiesen ist, zu Unrecht einen rein objektiven Maßstab anhand der Anzahl ehrenamtlich veranlasster Fahrten außerhalb des Stadtgebiets von H. in den Jahren 2009 und 2010 angelegt. Nach der Rechtsprechung des Senats hätten aber die besondere Situation der Klägerin, die auch in der Vergangenheit ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug benutzt hat, sowie ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche unter Einbeziehung von Art und Ausmaß der Behinderung berücksichtigt werden und in die Entscheidung mit einfließen müssen (BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 22 f). Weshalb nur Fahrten außerhalb von H. und auch nur ehrenamtlich veranlasste Fahrten - nicht aber andere Fahrten mit dem Ziel der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - berücksichtigungsfähig sein sollen, ist im Übrigen nicht nachvollziehbar. Dies gilt erst recht, folgte man der Begründung des LSG, dass das Primat der beanspruchten Leistung bei der Teilhabe am Arbeitsleben liege, weil es dann allein auf die Regelmäßigkeit der Nutzung ankommt, nicht aber auf besonders veranlasste Fahrten außerhalb des Nahbereichs abzustellen wäre. Zudem darf die Beurteilung, ob die Klägerin auf das Fahrzeug angewiesen ist, nicht auf die Jahre 2009 und 2010 beschränkt werden, weil der Antrag bereits im Jahr 2007 gestellt und während des Verwaltungsverfahrens der Umbau veranlasst worden ist. Schließlich muss die Frage des "Angewiesenseins" prognostisch beurteilt werden; deshalb ist in die Beurteilung auch die Beanspruchung eines Fahrzeugs in der Vergangenheit mit einzubeziehen, was das LSG unterlassen hat. Die erforderlichen Feststellungen wird das LSG nachholen müssen. Ggf wird es auch prüfen müssen, ob es für die Klägerin - etwa mit Behindertentransporten bzw durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel - überhaupt zumutbare Alternativen zum Umbau ihres Fahrzeugs gegeben hätte und ob es ihr zumutbar und technisch auch möglich gewesen wäre, das Rollstuhlverladesystem des alten PKW weiter zu nutzen, oder ob die Anschaffung eines neuen Systems erforderlich oder wirtschaftlich sinnvoller war.

19

§ 8 Abs 1 Satz 2 Eingliederungshilfe-VO rechtfertigt nicht das vom LSG gefundene (andere) Ergebnis. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Senat der Auffassung folgt, dass die Anwendung dieser Vorschrift eine regelmäßige Nutzung des Fahrzeugs (zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs: BVerwGE 55, 31 und 111, 328) im Sinne einer annähernd täglichen Nutzung voraussetzt; denn § 8 Abs 1 Satz 2 Eingliederungshilfe-VO ist nicht bei der Auslegung von § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO heranzuziehen. Nach § 8 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO gilt die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm den §§ 33 und 55 SGB IX. Sie wird in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Bereits der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass von dieser Hilfeart nur die "Beschaffung" eines Kraftfahrzeugs "insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben" betroffen ist, während § 9 Eingliederungshilfe-VO weiter gefasst ist und Hilfsmittel betrifft, die zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel dienen und nicht in erster Linie zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden. § 9 Abs 1 und 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO knüpft insbesondere nicht an die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Eingliederungshilfe-VO an, sondern bestimmt seine Anspruchsvoraussetzungen unabhängig selbst. Deshalb ist (auch) der Anspruch auf Hilfe für besondere Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte für ein bereits vorhandenes Kraftfahrzeug allein nach § 9 Abs 1 und Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO - unabhängig von § 8 Eingliederungshilfe-VO - zu beurteilen(BVerwG, Beschluss vom 20.12.1990 - 5 B 113/89). Diesem Verständnis entspricht nicht zuletzt Art 20 des - allerdings erst am 26.3.2009 ratifizierten - Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention), wonach die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen treffen, um für Menschen mit Behinderungen "persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit" sicherzustellen, ohne dies auf den Personenkreis beschäftigter Behinderter zu beschränken.

20

Gelangt das LSG nach Zurückverweisung der Sache zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auf ein Kraftfahrzeug und dessen Umbau angewiesen ist, wird es weiter zu prüfen haben, ob ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII) der Leistungsgewährung entgegenstehen. Nach § 19 Abs 3 Satz 1 SGB XII wird Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII (nur) geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Dabei ist auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten abzustellen (vgl dazu in anderen Konstellationen: BSGE 103, 171 ff RdNr 11 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5; BSGE 104, 219 ff RdNr 17 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1), also auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der gegenüber der Klägerin geltend gemachten Forderung. Wann die Forderung der Firma, die den Umbau vorgenommen hat, fällig geworden ist, ist dem Urteil des LSG nicht zu entnehmen. Fest steht aber, dass das behindertengerecht umgebaute Fahrzeug noch während des Verwaltungsverfahrens angeschafft und zum größten Teil durch verschiedene Stiftungen finanziert worden ist.

21

Ob ein Anspruch schon wegen der durch die Stiftungen erbrachten Leistungen ganz oder zum Teil ausscheidet, kann der Senat anhand der Feststellungen des LSG nicht prüfen. Dies hängt davon ab, wann und mit welchen Mitteln (Zuschüsse, Darlehen, Verkaufserlös aus dem Verkauf des früheren Fahrzeugs) die Rechnung für den Umbau des Fahrzeugs beglichen wurde. Wurde der behindertengerechte Umbau des Fahrzeugs ausschließlich aus (nicht zurückzuzahlenden) Zuschüssen finanziert, hat die Klägerin schon deshalb keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Da die Kosten für den Umbau des Fahrzeugs - die direkte Zahlung erfolgte an das Autohaus bzw den Betrieb, der den Umbau vorgenommen hat - bereits fällig waren als die Zuschüsse erbracht wurden, sind sie als Einkommen zu berücksichtigen, das nach § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII zur Bedarfsdeckung einzusetzen ist.

22

Nach § 82 Abs 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (die in § 82 Abs 1 SGB XII geregelten Ausnahmen liegen nicht vor). Inwieweit Zuwendungen Dritter als Einkommen außer Betracht bleiben, regelt § 84 SGB XII. Nach dessen Abs 1 bleiben Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege als Einkommen außer Betracht. Dies gilt (aber) nicht, soweit die Zuwendung die Lage der Leistungsberechtigten so günstig beeinflusst, dass daneben Sozialhilfe ungerechtfertigt wäre. Nach Abs 2 dieser Vorschrift sollen auch Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Soweit die Zuschüsse gerade dazu gewährt worden sind, den Umbau des Fahrzeugs zu finanzieren, müssen sie nach § 84 SGB XII in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt werden, gleich ob Abs 1 oder Abs 2 dieser Regelung anwendbar ist; denn zum einen beeinflussen die Zuschüsse die Lage der Klägerin so günstig, dass daneben (zur Vermeidung von Doppelleistungen) Sozialhilfe nicht gerechtfertigt wäre, zum anderen kann die Einkommensberücksichtigung angesichts desselben Zwecks, der mit der Sozialhilfe bzw den Zuschüssen verfolgt wird (nämlich die Finanzierung des Umbaus), keine besondere Härte für die Klägerin bedeuten.

23

Sind die Zuschüsse danach als Einkommen zu werten, ist weiter die Zumutbarkeit des (Umfangs des) Einkommenseinsatzes zu prüfen, die an den besonderen Einkommensgrenzen für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII, hier insbesondere an § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII, zu messen ist. Danach kann die Aufbringung der Mittel - gleichgültig, ob die Einkommensgrenze über- oder unterschritten wird - auch unter der Einkommensgrenze verlangt werden, wenn - wie hier - von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck (Umbau des Kraftfahrzeugs) erbracht werden, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre. Anders als etwa in den Fällen des § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 2(Deckung des Bedarfs mit geringfügigen Mitteln; dazu BSGE 103, 171 ff RdNr 26 f = SozR 4-3500 § 54 Nr 5) und Nr 3 SGB XII ist dabei zur Vermeidung von Doppelleistungen die Ermessensbetätigung ("kann") bei der vom Sozialhilfeträger zu treffenden Entscheidung in dem Sinne vorgezeichnet, dass im Regelfall der Einkommenseinsatz verlangt werden muss (sog intendiertes Ermessen); denn es ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb Sozialhilfe geleistet werden soll, wenn Leistungen Dritter für denselben Zweck - also den behindertengerechten Umbau des Kraftfahrzeugs - erbracht werden. Die Regelung des § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII zeigt im Übrigen, dass derartige Leistungen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zum Entfallen des Bedarfs führen, sondern von atypischen Fallgestaltungen abgesehen (immer) als Einkommen zu qualifizieren und zu berücksichtigen sind, ohne dass es auf den Zeitpunkt des Zuflusses ankommt.

24

Die Fallkonstellation, in der der Umbau (allein) durch Zuschüsse finanziert wird, ist nicht mit der Selbsthilfe im Rahmen von Einsatzgemeinschaften des § 19 Abs 1, 2 oder 3 SGB XII zu vergleichen, bei der ein Mitglied der Einsatzgemeinschaft den Bedarf deckt, ohne dass der Hilfebedürftige zur Rückerstattung verpflichtet ist. Der Senat hat in einem solchen Fall - soweit durch die Bedarfsdeckung nicht nur ohnehin bestehende Unterhaltsansprüche erfüllt wurden - die Pflicht zur Rückerstattung nicht zur Voraussetzung für einen Leistungsanspruch gemacht und damit eine Zuwendung aus sittlicher Pflicht (§ 84 Abs 2 SGB XII) aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes verneint, um die normative Wertung der Vorschriften über die Anspruchsvoraussetzungen und die Einkommensberücksichtigung nicht zu konterkarieren (BSGE 110, 301 ff RdNr 27 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 112, 67 ff RdNr 25 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1).

25

Wurde der Umbau auch (maximal 9000 Euro) durch Darlehen finanziert, scheitert daran ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe der durch das Darlehen erbrachten Leistungen hingegen nicht. Nach der Rechtsprechung des für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 14. Senats des Bundessozialgerichts sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert nur dann als Einkommen zu qualifizieren, wenn der damit verbundene wertmäßige Zuwachs dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleibt. Deshalb sind Darlehen, die mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, als eine nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht als Einkommen zu berücksichtigen (BSGE 106, 185 ff RdNr 16 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat für das Recht der Sozialhilfe an (vgl schon BSGE 112, 67 ff RdNr 26 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1); es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine funktionsdifferente Auslegung des Einkommensbegriffs rechtfertigen könnte. Entscheidend für die Abgrenzung ist damit allein, ob ein Darlehensvertrag entsprechend § 488 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist. Anhaltspunkte für einen unwirksamen Darlehensvertrag sind zwar nicht ersichtlich, eine abschließende Würdigung ist insoweit allerdings vom LSG vorzunehmen.

26

Wurde der Umbau schließlich auch mit dem Erlös aus dem Verkauf des alten Fahrzeugs finanziert, verringert sich der Bedarf für die Umbaukosten um diesen Betrag. Dabei ist es unerheblich, ob der erzielte Kaufpreis über 1700 Euro aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kraftfahrzeughändler bzw dem Betrieb, der den Umbau durchgeführt hat, etwa bei Inzahlungnahme des Altfahrzeugs mit dem Rechnungsbetrag "verrechnet" wurde und schon deshalb zum maßgebenden Zeitpunkt (Fälligkeit der Rechnung, dazu oben) ein um den Inzahlungnahmebetrag geringerer Bedarf entstanden ist, oder ob der Kaufpreis für den Altwagen unabhängig von einer Händlerabsprache vor der Entstehung des Bedarfs zugeflossen ist und dann für den Umbau des Neuwagens eingesetzt wurde. Insoweit wäre der Verkaufserlös als Vermögen zu berücksichtigen, ohne dass er als Schonvermögen nach § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII iVm der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII (Barbetrags-Verordnung) oder über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII als Ersatz für einen privilegierten PKW geschützt wäre. Angesichts des bloßen Fahrzeugwechsels wäre dies nicht gerechtfertigt, weil der Erwerb des neuen Fahrzeugs - ob als Einkommen oder als Vermögen - privilegiert ist (dazu später).

27

Neben der Frage, wie der Umbau finanziert wurde, und welchen Einfluss etwaige Zuflüsse von Geld oder Geldeswert auf den Bedarf bzw den Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, stellt sich auch die weitere Frage, ob ein Anspruch der Klägerin an ihren sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemäß § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII scheitert. Das LSG hat hierzu - ausgehend von seiner Rechtsauffassung zum fehlenden Angewiesensein auf den PKW, die der Senat nicht teilt - keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die Klägerin verfügte über ein Einkommen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie unter Berücksichtigung der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII - ggf zusammen mit den Zuwendungen von Stiftungen(dazu oben) - über der Einkommensgrenze einzusetzendes Einkommen (§ 87 SGB XII) erzielt. Bei einmaligen Leistungen (nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII) zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, ist das Einkommen ggf auch für mehrere Monate zu berücksichtigen (§ 87 Abs 3 SGB XII). Bedarfsgegenstände in diesem Sinn sind Gegenstände, die für den individuellen und unmittelbaren Gebrauch durch den Leistungsempfänger bestimmt sind und (in der Regel) einer Abnutzung unterliegen (Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 87 RdNr 31, Stand Dezember 2004; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 87 SGB XII RdNr 37). Die Eingliederungshilfe für das Rollstuhlverladesystem ist als eine solche "einmalige Leistung zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen" zu qualifizieren; der Gebrauch des Rollstuhlverladesystems ist auch für mehr als ein Jahr bestimmt. Dabei ist sowohl auf die mögliche Nutzungsdauer des konkreten Gegenstandes abzustellen, als auch kumulativ auf die aufgrund des konkreten Bedarfs erforderliche Nutzung (Gutzler in juris PraxisKommentar SGB XII, § 87 SGB XII RdNr 46).

28

Auch ob einsetzbares Vermögen vorhanden ist, hat das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht offen gelassen. Der Senat kann deshalb insbesondere nicht beurteilen, ob die Wohnung der Klägerin privilegiertes Vermögen ist. Nach § 90 SGB XII ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen zu berücksichtigen(Abs 1); allerdings darf die Sozialhilfe nicht von dem Einsatz oder der Verwertung bestimmter (Abs 2) bzw privilegierter (Abs 3) Vermögensgegenstände abhängig gemacht werden. Nach § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs 1 bis 3 SGB XII genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird, abhängig gemacht werden. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes.

29

Mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm erfasst der Begriff des Hausgrundstücks neben bebauten Grundstücken auch Eigentumswohnungen (vgl nur Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 73). Die Angemessenheit der Größe von Eigentumswohnungen bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Senats (weiterhin) nach den Werten des (zum 1.1.2002 aufgehobenen) Zweiten Wohnungsbaugesetzes unter Berücksichtigung der Anzahl der Bewohner (BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 19). Danach gelten Eigentumswohnungen mit bis zu 120 m² für einen Haushalt mit vier Personen nicht als unangemessen groß. Bei einer geringeren Familiengröße sind je fehlender Person 20 m² abzuziehen, wobei eine Reduzierung unter 80 m² in der Regel nicht in Betracht kommt (BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3). Allerdings bedürfen diese Größen je nach den Umständen des Einzelfalles - etwa wegen der Behinderung der Klägerin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist - einer Anpassung nach oben (BSGE 97, 203 ff RdNr 22 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 19). Ob ausgehend von diesen Voraussetzungen die Wohnung der Klägerin, die die Grenze von 80 m² um 31 m² übersteigt, (noch) angemessen und damit geschütztes Vermögen ist, bedarf weiterer Feststellungen zu den Umständen des Einzelfalls. Gleiches gilt für die Frage, ob - unterstellt, die Wohnung ist nicht angemessen - eine Härte iS von § 90 Abs 3 SGB XII zu bejahen ist. Ist auch diese zu verneinen, wird das LSG die Verwertbarkeit der Wohnung genauer unter rechtlichen und tatsächlichen Aspekten (BSGE 100, 131 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) zu prüfen haben.

30

Ob das neu angeschaffte Fahrzeug als Vermögen oder als Einkommen zu qualifizieren ist, bedarf hingegen keiner Entscheidung, weil es in keinem Fall zur Bedarfsdeckung einzusetzen ist, selbst wenn es der Klägerin möglicherweise zumutbar gewesen wäre, ein gebrauchtes Fahrzeug mit erheblich geringerem Wert zu kaufen (vgl dazu BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 23 f). Denn der Einsatz als Einkommen oder als Vermögen würde - unterstellt, die Klägerin ist behinderungsbedingt auf ein Kraftfahrzeug angewiesen (vgl allgemein dazu nur Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 102 mwN) - entweder nach der für Einkommen geltenden generellen Härteklausel des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII(vgl dazu: BSGE 108, 241 ff RdNr 24 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8; BSGE 106, 62 ff RdNr 32 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6)oder nach der bei Vermögen anzuwendenden Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII eine (besondere) Härte bedeuten, weil die von den Stiftungen gewährten Zuwendungen (Zuschüsse und Darlehen) - auch der Höhe nach - nur zweckgebunden für den Erwerb bzw die Umrüstung des Fahrzeugs erbracht worden sind, sodass eine Berücksichtigung des PKW als Einkommen oder als Vermögen trotz des den Verkehrswert von 7500 Euro bzw - wegen der Behinderung der Klägerin - von 9500 Euro(vgl § 5 Kraftfahrzeughilfeverordnung; BSGE 99, 77 ff RdNr 16 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5) übersteigenden Betrags für ein angemessenes Kraftfahrzeug (dazu: BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5; BSGE 100, 139 ff RdNr 16 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4) unbillig wäre. Ohne Anschaffung des PKW wären keine Beträge geflossen. Das LSG wird jedoch ggf zu ermitteln haben, ob noch weiteres einsetzbares Vermögen vorhanden ist.

31

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach den Vorschriften über die Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 ff SGB XII)scheidet hingegen aus. Diese Hilfen entsprechen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV - (§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII), sodass eine Hilfsmittelversorgung durch den Sozialhilfeträger aus den gleichen Gründen wie im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ausgeschlossen ist. Das Rollstuhlverladesystem ist für die Klägerin kein Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 3. Alt SGB V und gehört damit nicht zum Leistungskatalog des SGB V; das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs, das sich auch auf den Ausgleich von indirekten Folgen der Behinderung erstreckt (vgl: BSGE 93, 176 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 98, 213 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 3 und 29; BSG, Urteil vom 16.9.2004 - B 3 KR 15/04 R), erfordert keine Leistungserbringung. Ein Hilfsmittel ist von der GKV nur dann zu gewähren, wenn es Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betrifft, zu denen das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums gehören (BSGE 91, 60 ff RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 20 mwN; BSG, Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - RdNr 13 ff). Allerdings ist das in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" krankenversicherungsrechtlich immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst, nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden zu verstehen (BSG, Urteil vom 18.5.2011, aaO, RdNr 15 ff mwN). Es besteht grundsätzlich kein Anspruch darauf, den Radius der selbstständigen Fortbewegung durch das Auto (erheblich) zu erweitern, selbst wenn im Einzelfall die Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich erledigt werden können; es gilt vielmehr ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnorts unabhängiger Maßstab (BSGE 98, 213 ff RdNr 17 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15). Nur wenn die Verantwortung der GKV im Einzelfall über die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung hinausgeht (zur Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw zum Erwerb einer elementaren Schulausbildung BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 19; bei Anforderungen an die medizinische Versorgung, die regelmäßig im Nahbereich der Wohnung nicht erfüllbar sind BSGE 98, 213 ff RdNr 14 und 17 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15), ist die Erweiterung des Fortbewegungsradius durch Hilfsmittel der GKV zu ermöglichen.

32

Nach den Feststellungen des LSG und den eigenen Angaben der Klägerin dient das Rollstuhlverladesystem in erster Linie zur Ausübung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im gesamten Bundesgebiet; die ehrenamtliche Tätigkeit wird aber nicht vom Verantwortungsbereich der GKV umfasst. Es ist nicht Aufgabe der GKV, ihren Versicherten die Ausübung einer solchen Tätigkeit zu ermöglichen. Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen werden hingegen von der Krankenkasse übernommen, wodurch dem Grundbedürfnis des täglichen Lebens, bei Krankheit und Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, Genüge getan ist, weil im Rahmen der Hilfsmittelgewährung nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (allein) die notwendige medizinische Versorgung sichergestellt sein muss(BSGE 93, 176 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7). Andere besondere qualitative Elemente, die eine weitergehende Mobilitätshilfe zum mittelbaren Behinderungsausgleich rechtfertigen könnten (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 36 RdNr 17 mwN), sind hier nicht ersichtlich. Dementsprechend scheidet auch ein Anspruch gegen den Beklagten als erstangegangenen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 SGB IX iVm § 33 SGB V und damit eine Beiladung der zuständigen Krankenkasse aus, wobei es ohne Bedeutung ist, ob der Begriff der Teilhabeleistung des § 14 SGB IX eigenständig (weit) oder (nur) nach dem Verständnis des SGB V auszulegen ist(vom Senat offengelassen in: BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 15). Ebenso scheidet ein Anspruch als erstangegangener Träger nach § 14 Abs 2 SGB IX iVm der KfzHV wegen einer Nichtweiterleitung an den Rentenversicherungsträger - und damit dessen Beiladung - aus. Kraftfahrzeughilfe wird nur zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben erbracht (§ 1 KfzHV). Zu Recht hat das LSG deshalb ausgeführt, dass Leistungen nach § 2 Abs 1 Nr 2 KfzHV (behinderungsbedingte Zusatzausstattung) nach § 3 Abs 1 Nr 1 der Verordnung ua nur gewährt werden, wenn der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Leistung der beruflichen Bildung zu erreichen, woran es hier mangelt.

33

Das LSG wird ggf auch den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des Revisionsantrags richtigstellen müssen und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung (Assistenzzimmer und Nebenkosten) durch seine Pflegepersonen für Oktober 2005.

2

Der 1973 geborene, im streitbefangenen Zeitraum ledige und vermögenslose Kläger, der seit 1992 Sozialhilfepflegeleistungen im sog Arbeitgebermodell (Beschäftigung von Pflegepersonen als Arbeitgeber) erhält, leidet an einer Duchenneschen Muskeldystrophie mit beatmungspflichtiger respiratorischer Insuffizienz sowie Herzinsuffizienz. Er benötigt einen Spezialrollstuhl und ist rund um die Uhr auf Pflegeleistungen angewiesen. Er ist der Pflegestufe III zugeordnet und erhält Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung. Der Kläger erzielte aus einer Tätigkeit als Bildungs- und Sozialberater, die er in einem Umfang von 19,25 Stunden wöchentlich ausübte und zu deren Ausübung der Beigeladene als Integrationsamt einen Zuschuss zur Beschäftigung einer Assistenzkraft am Arbeitsplatz gewährte, im Oktober 2005 einen Verdienst von 1572,73 Euro brutto (1066,69 Euro netto).

3

Im Sommer 2004 stellte er einen Antrag auf weitere Übernahme der Pflegekosten für die persönliche Assistenz im Rahmen des Arbeitgebermodells für die Zeit nach seinem Umzug von T nach B, den er später ausdrücklich auf die Übernahme der anfallenden Kosten wegen eines den Pflegepersonen zur Verfügung gestellten Zimmers, eines sog Assistenzzimmers, erstreckte. Zum 1.11.2004 mietete er eine etwa 63 qm große Zweizimmerwohnung in B an. Die Miete (487,15 Euro kalt zuzüglich 127,36 Euro Nebenkostenvorauszahlung) zahlte der Kläger ab September 2005 selbst. In der Wohnung wurde er rund um die Uhr durch von ihm angelernte und beschäftigte Assistenzkräfte betreut, die jeweils in 24-stündigen Schichten tätig waren. Für deren Aufenthalt in Ruhepausen und bei Arbeitsunterbrechungen war in der Wohnung ein separater Raum (Größe ca 16 qm) eingerichtet und mit dem notwendigen Mobiliar ausgestattet.

4

Die Lohn- und Lohnnebenkosten der vom Kläger beschäftigten Assistenzkräfte übernahm die Beklagte als Leistungen der Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung des von der Pflegekasse an den Kläger gezahlten Pflegegelds (Bescheid vom 2.2.2005). Die Übernahme der anteiligen Kosten für die Wohnungsnutzung lehnte die Beklagte hingegen ab (Bescheid vom 10.2.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.12.2005 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter).

5

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Köln die Beklagte verurteilt, "ab 1.9.2005 die anteiligen Kosten für das der jeweiligen Pflegeperson zur Verfügung gestellte Zimmer zu übernehmen" (Urteil vom 27.9.2007). Im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen haben die Beteiligten durch Teilvergleich den streitbefangenen Zeitraum auf den Monat Oktober 2005 beschränkt; sodann hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28.11.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Kosten für das Assistenzzimmer und die Wohnungsnutzung stellten angemessene Kosten iS des § 65 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), also Kosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege dar. Es könne dahinstehen, ob den Kläger bereits eine arbeitsrechtliche Verpflichtung treffe, ein entsprechendes Zimmer für die Pflegepersonen bereitzustellen. Denn seine Pflege könne sinnvollerweise nur im Rahmen einer 24-Stunden-Betreuung sichergestellt werden, weil eine ständige Rufbereitschaft auch in den Nachtstunden unabdingbar sei. Ein permanentes Verbleiben der jeweiligen Pflegekraft in der Küche oder im Zimmer des Klägers sei für beide unzumutbar. Bei den Kosten der Wohnungsnutzung handele es sich nicht um bloße Kosten der Unterkunft, weil maßgeblich für die Entstehung der Kosten die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Pflege sei.

6

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Kosten, die einem behinderten Menschen für seine Wohnung durch den Einsatz von Pflegekräften entstünden, seien von der Vorschrift nicht erfasst, sondern vielmehr als Kosten der Unterkunft anzusehen. Darüber hinaus hätte der Kläger statt eines 24-stündigen Einsatzes kürzere Schichten vereinbaren können, um das Vorhalten eines Rückzugsraumes für die Assistenzkräfte entbehrlich zu machen. Die für das Assistenzzimmer anfallenden Kosten seien schließlich bereits bei der Prüfung der Anspruchsberechtigung für die Hilfe zur Pflege durch die Übernahme der Lohn- und Lohnnebenkosten in vollem Umfang berücksichtigt worden, sodass bei einer Übernahme von Wohnungsnutzungskosten nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII eine doppelte Berücksichtigung erfolgen würde.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

10

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen; der Kläger hat dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen die zuständige Beklagte (§§ 3, 97, 98 SGB XII iVm den vom LSG angewandten landesrechtlichen Vorschriften in der bindenden Auslegung durch das Berufungsgericht<§ 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung>)einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung als Leistung der Hilfe zur Pflege.

12

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 10.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2005 (§ 95 SGG). Gegen diesen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG), zulässigerweise zeitlich beschränkt auf die im Monat Oktober 2005 angefallenen Kosten und in der Sache auf die Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung, insbesondere für die des Assistenzzimmers, bei sachgerechter Auslegung des Klägerbegehrens (§ 123 SGG) aber auch für die der insoweit entstandenen Nebenkosten.

13

Diese Kosten bilden als Leistung der Hilfe zur Pflege einen abtrennbaren Streitgegenstand. Sie lassen sich nämlich rechtlich und sachlich als nur mittelbar mit der Beschäftigung von besonderen Pflegekräften im Arbeitgebermodell (§ 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII) verbundene Kosten von den übrigen Leistungen der Hilfe zur Pflege, die der Kläger nach §§ 61 ff SGB XII in der Form der Übernahme von Lohn- und Lohnnebenkosten und damit ggf zusammenhängender weiterer Kosten nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII erhält, trennen und sind deshalb nicht nur bloßes Berechnungselement im Rahmen eines Gesamtanspruchs aus § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Es handelt sich bei diesen nur mittelbar durch die Pflege des Klägers entstehenden Sachkosten um einen anderen Anspruch, der neben die von § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII schon seinem Wortlaut nach erfassten Personalkosten für die Pflegepersonen tritt und in der Sozialhilfe nur deshalb - nicht aber im Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) - übernahmefähig ist, weil das Arbeitgebermodell in § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII eine besondere Privilegierung erfahren hat. Davon ist im Übrigen auch die Beklagte ausgegangen, die über die Kosten für das Assistenzzimmer und die Übernahme der Lohn- und Lohnnebenkosten der Assistenzkräfte in getrennten Bescheiden entschieden hat.

14

Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Wohnungsnutzung nach § 19 Abs 3, § 61 Abs 1 und § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII(alle idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben). Er gehört nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zu dem nach § 61 Abs 1 Satz 1 SGB XII anspruchsberechtigten Personenkreis. Bei den Kosten für die Wohnungsnutzung handelt es sich um eine Leistung der Hilfe zur Pflege, nicht um Eingliederungshilfe und auch nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese sind nämlich untrennbar (nur) mit der Sicherstellung der häuslichen Pflege des Klägers verbunden; denn das Assistenzzimmer wird allein zu diesem Zweck vorgehalten. Es soll damit - gleichermaßen wie mit der Beschäftigung der Assistenzkräfte selbst - weder die Integration des Klägers in die Gesellschaft gefördert werden (dies kann zwar ein Nebeneffekt einer erfolgreichen Pflege sein, ist aber nicht ihr eigentliches Ziel, vgl § 53 Abs 3 Satz 2 SGB XII), worauf Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs 3 SGB XII jedoch vorrangig hinzuwirken haben(dazu: Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 53 RdNr 32, Stand März 2009; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 53 SGB XII RdNr 37; Wehrhahn in juris PraxisKommentar SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 15; Bieritz-Harder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 53 SGB XII RdNr 24; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 61 SGB XII RdNr 73), noch ist es das Ziel der Wohnungsnutzung, den Assistenzkräften einen vor Unbilden des Wetters und der Witterung geschützten räumlichen Lebensmittelpunkt zu gewährleisten (so zum Zweck einer Unterkunft BSG SozR 4-3500 § 29 Nr 2 RdNr 14 mwN). Sie zählen deshalb auch nicht zu den Kosten der Unterkunft und Heizung, deren Übernahme sich nach § 29 SGB XII(idF, die die Norm durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - BGBl I 818 - erhalten hat) oder aber nach § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu richten hätte. Die Assistenzkräfte nutzen das Zimmer allein im Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung zur Pflege des Klägers und haben ihren räumlichen Lebensmittelpunkt außerhalb. Auch der Kläger selbst hält das Zimmer nur für seine Assistenzkräfte als Rückzugsraum bereit. Dass das Assistenzzimmer räumlich Bestandteil der vom Kläger angemieteten Wohnung ist, genügt mithin nicht, um die anteilig anfallenden Kosten als Kosten der Unterkunft zu qualifizieren. Für eine Qualifizierung der Kosten der Wohnungsnutzung als Bestandteil der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII spricht zudem das mit der im Vergleich zur Hilfe zum Lebensunterhalt günstigeren Einkommensberechnung bei besonderen Sozialhilfeleistungen nach den §§ 85 ff SGB XII vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Sicherung eines Lebensstandards oberhalb der für die Hilfe zum Lebensunterhalt maßgeblichen Bedürftigkeitsgrenze nach § 19 Abs 1, §§ 82 ff SGB XII. Dieses könnte nur unzureichend sichergestellt werden, würden für die im Arbeitgebermodell anfallenden Sachkosten ungünstigere Einkommensgrenzen gelten.

15

Der Anspruch ergibt sich trotz des in § 61 Abs 2 Satz 2 SGB XII enthaltenen Verweises auf die Vorschriften der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) nicht aus § 36 SGB XI. Denn der Verweis auf das SGB XI ist weder im Hinblick auf Leistungshöhe noch den Inhalt der Leistungen im Bereich der Sozialhilfe abschließend. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, welche Bedeutung diese - missglückte (vgl: Meßling in jurisPK-SGB XII, § 61 SGB XII RdNr 103 mwN)- Vorschrift überhaupt hat - es könnte darin ggf zum Ausdruck gebracht werden, dass (nur) dort, wo das SGB XII keine besonderen Regelungen zu den Leistungen der Hilfe zur Pflege enthält, auf das SGB XI zurückzugreifen ist; jedenfalls für die hier gewährten Leistungen der häuslichen Pflege enthalten die §§ 63 ff SGB XII ausdifferenzierte und vollständige Regelungen zu den Leistungsvoraussetzungen und dem Leistungsumfang, die einem Rückgriff auf § 36 SGB XI entgegenstehen(so im Ergebnis: Krahmer/Sommer in LPK-SGB XII, 9. Aufl 2012, § 61 SGB XII RdNr 19; ein Vorrang-Nachrangverhältnis im Bereich häuslicher Pflege bejahend Meßling, aaO, RdNr 97, sowie Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 61 SGB XII RdNr 38). Dieses Verständnis der Vorschrift kommt auch in der Privilegierung des von § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII vorausgesetzten Arbeitgebermodells in der Sozialhilfe gegenüber dem SGB XI zum Ausdruck(vgl dazu näher Meßling, aaO, § 66 SGB XII RdNr 44 ff mwN). Danach dürfen Pflegebedürftige nicht auf die Inanspruchnahme von Sachleistungen nach dem SGB XI verwiesen werden, wenn sie ihre Pflege durch von ihnen beschäftigte Pflegekräfte ("Arbeitgebermodell") sicherstellen. In ihrer Funktion als Arbeitgeber obliegt es den Pflegebedürftigen dabei nicht nur, die Pflegepersonen eigenverantwortlich auszuwählen, sondern auch, sie in ihre Tätigkeit einzuweisen und ihre Arbeit im Rahmen des arbeitsrechtlich Zulässigen zu organisieren, sowie für ihre Entlohnung einzustehen (Müller, Persönliche Assistenz - Kompendium von der Praxis für die Praxis, 1. Aufl 2011, S 96 ff); die §§ 75 ff SGB XII gelten nicht (Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 22.5).

16

Die Privilegierung der Beschäftigung von Pflegekräften in der Sozialhilfe ist historisch gewachsen, (erst) mit der Einführung der Sozialen Pflegeversicherung notwendig geworden und in bewusster Abgrenzung zum Leistungskatalog des SGB XI normiert worden, weil dort seit 1.5.1996 (vgl § 77 Abs 1 Satz 3 bis 5 aF SGB XI) gemäß § 77 Abs 1 Satz 3 SGB XI Pflegebedürftige mit Pflegekräften, die häusliche Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung sicherstellen, grundsätzlich kein Beschäftigungsverhältnis mehr begründen dürfen. Damit korrespondierend bestimmen § 36 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB XI, dass Pflegesachleistungen nur durch solche Pflegekräfte erbracht und damit von der Pflegekasse vergütet werden, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag geschlossen hat. Will der Pflegebedürftige mit von ihm selbst gewählten Pflegekräften einen Vertrag schließen, ist er von Pflegesachleistungen nach dem SGB XI ausgeschlossen und kann an deren Stelle nur Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch nehmen. Mit der in § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII (mittelbar) zum Ausdruck gebrachten sozialhilferechtlichen Privilegierung des Arbeitgebermodells sollte demgegenüber über das SGB XI hinaus, das nur noch Personen, die ihre Pflege und Betreuung bereits früher durch von ihnen beschäftigte Pflegekräfte organisiert hatten, unter bestimmten Voraussetzungen die Fortführung dieses Modells erlaubte, generell die Bedarfsdeckung auf diese Weise weiterhin erlaubt werden(BT-Drucks 13/3696, S 11 zu Buchst A Allgemeiner Teil). Die Beschäftigung von Assistenzkräften als Arbeitgeber ermöglicht es so auch dem bedürftigen zu Pflegenden seine Pflege so zu gestalten, dass ein möglichst selbstbestimmtes Leben geführt werden kann (vgl zur Definition und Inhalten der persönlichen Assistenz: Müller, aaO, S 89 ff).

17

Auch die spezifischen weiteren Voraussetzungen des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII für die Übernahme der Kosten der Wohnungsnutzung sind nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllt. Danach sind, wenn neben oder anstelle der Pflege nach § 63 Satz 1 SGB XII ua die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich ist, die angemessenen Kosten zu übernehmen. Es handelt sich bei den Assistenzkräften des Klägers um solche besonderen Pflegekräfte. In Abgrenzung zu § 65 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind Pflegekräfte bereits dann "besondere" iS des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII, wenn sie nicht in häuslicher oder nachbarschaftlicher Verbundenheit nach § 63 Satz 1 SGB XII pflegen(vgl dazu Meßling, aaO, § 65 SGB XII RdNr 31.1). Schon infolge des beim Kläger rund um die Uhr bestehenden Pflegebedarfs konnte die Sicherstellung seiner Pflege durch Nahestehende oder im Wege der Nachbarschaftshilfe nicht erwartet und gefordert werden (zum Kriterium der Erforderlichkeit im Rahmen des § 69b Abs 1 Satz 2 Bundessozialhilfegesetz bereits BVerwGE 111, 241, 242 f; zu § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII: BSG SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 20 und § 21 Nr 1 RdNr 18; BSG, Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 1/11 R - RdNr 16). Besondere förmliche Qualifikationsanforderungen sind zumindest im Arbeitgebermodell wegen der mit der Arbeitgeberstellung des zu Pflegenden verbundenen Gestaltungshoheit und der vom Gesetzgeber gewollten Privilegierung nicht zu stellen, sodass es unerheblich ist, dass die vom Kläger beschäftigten Pflegekräfte nicht über eine besondere Ausbildung im pflegerischen Bereich verfügen. Es genügt, dass sie von ihm angelernt und in ihre Arbeit eingewiesen worden sind. Es kann deshalb gleichfalls dahinstehen, welche Qualifikationsanforderungen im SGB XI an Sachleistungen erbringende "geeignete" Pflegekräfte (§ 36 Abs 1 SGB XI) zu richten sind (dazu Piepenstock in Hauck/Noftz, SGB XI, K § 77 RdNr 12 und 13, Stand Oktober 2009; vgl auch Meßling, aaO, RdNr 33).

18

Die Kosten für die Wohnungsnutzung sind Kosten iS des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII; sie entstehen durch die Beschäftigung von Pflegepersonen. Eine Beschränkung des Kostenübernahmeanspruchs auf die nur unmittelbar durch die Pflege hervorgerufenen Kosten, also die Lohn- und Lohnnebenkosten oder der Beiträge unter den Voraussetzungen des § 65 Abs 2 SGB XII, gebietet schon nicht der Wortlaut der Norm. Nicht zuletzt ist auch in diesem Punkt die Privilegierung des Arbeitgebermodells zu beachten, das auch andere als die üblichen Pflegekosten zur Folge haben kann. Wollte man diese von der Kostenübernahme nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII ausschließen, würde die Privilegierung wegen des damit verbundenen Wegfalls der besonderen Einkommensgrenzen nach den §§ 85 ff SGB XII konterkariert.

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Es handelt sich auch um erforderliche Kosten; die Frage der Angemessenheit der Kosten ist dagegen für ein Grundurteil nicht zu prüfen. Der Kläger ist auf ständige Hilfe angewiesen, die ein eigenes Assistenzzimmer und die Wohnungsmitbenutzung bedingen. Ob die Wohnung bereits unter diesem Aspekt angemietet worden ist, ist ohne Bedeutung. Der Kläger muss sich auch nicht, anders als die Beklagte meint, darauf verweisen lassen, die Einsatzzeiten der jeweiligen Pflegekräfte auf weniger als 24 Stunden zu reduzieren, mit der Folge, dass die Vorhaltung eines Assistenzzimmers ggf entbehrlich würde. Mit der Festlegung eines 24-Stunden-Einsatzes je Pflegekraft hat der Kläger die Grenzen seiner von der Beklagten zu respektierenden Gestaltungshoheit als Arbeitgeber nicht überschritten (§ 9 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 SGB XII). Mit diesem Schichtmodell ist ihm jedenfalls ein hinreichendes Maß an Flexibilität in der Gestaltung des täglichen Lebens gesichert, was bei kürzeren, zB auf acht Stunden beschränkten Schichten, mit den damit verbundenen, mehrfach täglich entstehenden notwendigen Abstimmungsprozessen und Kompromissen in der Tagesgestaltung, zudem immer mit der Gefahr einer zeitlichen Lücke bei der Pflege, nur bedingt gewährleistet wäre. Kann somit der vom Kläger festgelegte Einsatzplan seiner Pflegekräfte von der Beklagten nicht erfolgreich angegriffen werden, ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger ständig eine Pflegeperson in seiner Nähe haben muss, auch unabhängig von der Arbeitsstättenverordnung - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - sicherzustellen, dass ein Rückzugsraum zur Sicherung eines Mindestmaßes an Privat- und Intimsphäre für beide Personen besteht. Dies wäre allerdings nicht gewährleistet, müssten sich der Kläger und seine jeweilige Pflegeperson in nur einem Zimmer aufhalten. Auf die Küche als Rückzugsraum kann eine Pflegekraft dabei nicht zumutbar verwiesen werden. Zudem würden selbst dann die Kosten für die Mitbenutzung der Wohnung anfallen.

20

Dem somit bestehenden Kostenübernahmeanspruch dem Grunde nach steht § 91 Abs 2 SGB XI, insbesondere § 91 Abs 2 Satz 3 SGB XI nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht entgegen. Danach werden in der sozialen Pflegeversicherung Pflegebedürftigen, die einen Vertrag mit einer zugelassenen Pflegeeinrichtung abgeschlossen haben, für die keine vertragliche Pflegevergütung nach §§ 85, 89 SGB XI maßgeblich ist, maximal 80 % der Aufwendungen erstattet, die die Pflegekasse für die Leistungen nach den §§ 36 ff SGB XI zu leisten hätte(§ 91 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB XI); § 91 Abs 2 Satz 3 SGB XI schließt eine weitergehende Kostenerstattung durch den Träger der Sozialhilfe aus. Die Regelung umfasst allerdings schon nach ihrem Wortlaut nur die Höhe der Vergütung für zugelassene Pflegeeinrichtungen, die Pflegesachleistungen erbringen. Für die im Arbeitgebermodell insoweit korrespondierenden unmittelbaren Kosten der Pflege (also anstelle der Pflegesachleistung die unmittelbaren Kosten für die Beschäftigung von besonderen Pflegekräften), die hier nicht streitgegenständlich sind, trifft das SGB XII jedoch eine Sonderregelung, sodass Satz 3 schon bei der Organisation der Pflege im Arbeitgebermodell hinsichtlich der Höhe der zu übernehmenden Pflegekosten keine Anwendung finden kann. Für die hier streitgegenständlichen, nur mittelbar durch die eigentliche Pflege entstandenen Kosten, für die schon keine Vergütungsvereinbarung nach den §§ 85, 89 SGB XI abgeschlossen werden kann, findet Satz 3 erst recht keine Anwendung. Zudem besteht bei diesen mittelbaren Kosten nicht die Gefahr, der Satz 3 begegnen will, nämlich dass Pflegeeinrichtungen ohne Vergütungsvertrag mit Pflegebedürftigen Preisvereinbarungen zu Lasten des Sozialhilfeträgers abschließen und damit das vertragliche Vergütungssystem der sozialen Pflegeversicherung unterlaufen (vgl Mühlenbruch in Hauck/Noftz, SGB XI, K § 91 RdNr 11, Stand Oktober 2009). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift im Zusammenhang mit § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII überhaupt einer teleologischen Reduktion bedarf(so Meßling in jurisPK-SGB XII, § 65 SGB XII RdNr 40).

21

Der Leistung steht auch nicht der Mehrkostenvorbehalt des § 13 Abs 1 Satz 3 SGB XII entgegen, wonach der in § 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII normierte Vorrang ambulanter vor stationärer Leistung dann nicht gilt, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Der Anspruch des Klägers ist ohne Rücksicht hierauf zu prüfen, weil er sich aufgrund der Übergangsregelung in § 130 SGB XII - er hatte am Stichtag, dem 26.6.1996, seine Pflege bereits durch von ihm beschäftigte Personen sichergestellt - noch auf den in § 3a BSHG normierten uneingeschränkten Vorrang ambulanter vor stationärer Pflege berufen kann.

22

Schließlich sind die Voraussetzungen der §§ 85 ff SGB XII erfüllt. Das Einkommen des vermögenslosen Klägers unterschreitet die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII(idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch erhalten hat); die Voraussetzungen für den Einsatz von Einkommen unter der Einkommensgrenze nach § 88 SGB XII(ebenfalls idF dieses Gesetzes) liegen nicht vor. Da die für das Assistenzzimmer anfallenden Kosten bereits Bestandteil der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII sind, sind sie insoweit allerdings nicht (mehr) bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII (als Kosten der Unterkunft) zu berücksichtigen. Dies würde zu einer nicht zu rechtfertigenden Doppelberücksichtigung im Rahmen der Hilfe zur Pflege führen. Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen der Hilfe zur Pflege besteht auch ohne diese Kosten selbst bei der für den Kläger ungünstigsten Berechnung der Einkommensgrenze nach § 85 Abs 2 Satz 1 SGB XII dem Grunde nach mit Sicherheit; ob eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Erlass eines Grundurteils genügen würde, kann deshalb offenbleiben. Auszugehen ist bei der Berechnung von einem bereinigten Einkommen (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 85 SGB XII RdNr 13), also dem, was (als bereites Mittel) tatsächlich zur Verfügung steht (zum SGB II vgl: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 RdNr 383, Stand Juni 2010; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 11 RdNr 91)und nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden kann oder darf. Dieses wird im SGB XII nach den §§ 82 bis 84 SGB XII(Wahrendorf, aaO, RdNr 13; Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 8, Stand Februar 2010), im Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) nach den §§ 11 ff SGB II bestimmt. Welcher Maßstab im Fall des Klägers anzulegen und ob dabei für die erforderliche Bereinigung für unter das SGB II fallende Leistungsberechtigte (§ 5 Abs 2 SGB II, § 21 SGB XII) unmittelbar auf die Vorschriften des SGB II oder die des SGB XII zurückzugreifen ist, kann an dieser Stelle offen bleiben. Wenn man nur von dem von den Steuern und den Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung bereinigten Nettoeinkommen des Klägers ausgeht (vgl § 82 Abs 2 Nr 1 und 2 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Nr 1 und 2 aF SGB II),im nächsten Schritt bei der Berechnung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII neben dem doppelten Eckregelsatz(§ 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB XII) allein die anteilige Kaltmiete (bei 63 qm Gesamtfläche der Wohnung, davon 16 qm für das Assistenzzimmer, also 47/63 der Gesamtkaltmiete) und die hälftigen Nebenkosten (ohne Heizkosten) als Kosten der Unterkunft iS des § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII berücksichtigt, verbliebe kein Einkommen über der Einkommensgrenze, das nach § 87 SGB XII für die Finanzierung der Hilfe zur Pflege durch den Kläger selbst einzusetzen wäre. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn die Kosten der Unterkunft (abstrakt oder konkret) unangemessen hoch wären. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob Kosten der Heizung - anders als der Wortlaut nahelegt, wofür aber Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen - nach § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011.

2

Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft (Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am 1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind nicht erbracht worden.

3

Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25 Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts ) monatlich auf 16,73 Euro.

4

Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis 31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011 von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011; Bescheid vom 11.5.2011).

5

Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71 Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011 weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII) neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge: Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten, Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen. Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche der Tochter).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis 31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.

9

Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden. Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung einzustellen(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe, ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von 60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht. Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab 1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

10

Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld (450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.

12

2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

13

In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§ 64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -) und um einen abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII.

14

Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31 SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens(BVerwGE 98, 248 ff) einer konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die Pflegekasse in die Pflegestufe 3(§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).

15

3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen, ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).

16

4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3(hier in der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten hat) iVm § 61(hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19 Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).

17

Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig - Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118, 297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1 SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere Pflegekräfte(§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein; das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies nach der Zurückverweisung verifizieren.

18

5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII) und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären(vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

19

6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII(hier bis 31.12.2010 in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab 1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis 31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen ist, nicht genau ermittelbar.

20

Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden. Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen, passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).

21

7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG, aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab 1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.

22

Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise Rechnung.

23

8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben, was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat. Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro) zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen. Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin - ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im Einzelnen nachgewiesen wird.

24

Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3 Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25) auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V).

25

9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind(vgl zur Formulierung in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu § 79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII(dazu Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien entstehen.

26

10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010 (Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.

27

11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten ist(§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG, Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend, Kriterien genannt sind.

28

12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die Schwere der Behinderung(vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60 vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was vorliegend nicht der Fall ist.

29

13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).

30

Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften, die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.

31

Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.

32

Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein. Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011.

2

Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft (Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am 1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind nicht erbracht worden.

3

Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25 Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts ) monatlich auf 16,73 Euro.

4

Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis 31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011 von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011; Bescheid vom 11.5.2011).

5

Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71 Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011 weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII) neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge: Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten, Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen. Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche der Tochter).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis 31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.

9

Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden. Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung einzustellen(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe, ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von 60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht. Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab 1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

10

Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld (450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.

12

2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

13

In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§ 64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -) und um einen abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII.

14

Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31 SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens(BVerwGE 98, 248 ff) einer konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die Pflegekasse in die Pflegestufe 3(§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).

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3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen, ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).

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4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3(hier in der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten hat) iVm § 61(hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19 Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).

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Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig - Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118, 297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1 SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere Pflegekräfte(§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein; das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies nach der Zurückverweisung verifizieren.

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5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII) und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären(vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

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6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII(hier bis 31.12.2010 in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab 1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis 31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen ist, nicht genau ermittelbar.

20

Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden. Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen, passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).

21

7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG, aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab 1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.

22

Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise Rechnung.

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8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben, was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat. Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro) zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen. Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin - ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im Einzelnen nachgewiesen wird.

24

Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3 Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25) auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V).

25

9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind(vgl zur Formulierung in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu § 79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII(dazu Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien entstehen.

26

10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010 (Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.

27

11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten ist(§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG, Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend, Kriterien genannt sind.

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12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die Schwere der Behinderung(vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60 vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was vorliegend nicht der Fall ist.

29

13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).

30

Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften, die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.

31

Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.

32

Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein. Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis.

2

Der 1961 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Er erwarb auf eigene Kosten das Arzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung der Dysfunktion und beantragte Kostenübernahme, wobei er für 2005 und 2006 einen Betrag von 1495,65 Euro errechnete (28.1.2007). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: "Beklagte") lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 13.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008). Das SG hat die auf Erstattung der seit 13.2.2007 aufgewendeten Kosten sowie zukünftige Versorgung mit Cialis gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2010). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V iVm Anlage II zur Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) schließe verfassungskonform Cialis als Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus, ohne gegen Art 25 S 3 Buchst a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu verstoßen(Beschluss vom 11.11.2010).

3

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a SGB V, des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 3 Abs 1 GG sowie des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK. Die Versorgung mit Cialis sei eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung. In solchen Fällen sei der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V unanwendbar. Er diskriminiere unzulässig mittelbar Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert seien.

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Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger seit Zugang des Bescheides vom 13. Februar 2007 für das Arzneimittel Cialis entstandenen Kosten zu erstatten sowie ihm künftig Cialis als Naturalleistung zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der beklagten Ersatzkasse weder Erstattung seiner seit Zugang des Bescheides vom 13.2.2007 für das Arzneimittel Cialis aufgewendeten Kosten noch künftige Versorgung hiermit als Naturalleistung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen der Ansprüche sind nicht erfüllt. Denn die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der GKV, sondern ist hiervon ausgeschlossen (dazu 2.). Der Ausschluss kollidiert weder mit Art 25 UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812; dazu 3.) noch verstößt er gegen das Diskriminierungsverbot (Art 5 Abs 2 UN-BRK) oder Verfassungsrecht (dazu 4.).

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1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Der Senat sieht davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der für die Vergangenheit geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2, § 153 Abs 1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 14). Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitert bereits aus anderen Gründen.

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2. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das Gesetz die geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung mit Cialis und Kostenerstattung ausschließt. Als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V in Betracht(anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Rechtsnorm bestimmt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN).

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Daran fehlt es vorliegend entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht. Zwar liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der KK und der Kostenbelastung des Versicherten nicht vor, wenn die KK vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). Das gilt auch über den Zeitraum nach Erlass einer die Kostenübernahme ablehnenden Entscheidung hinaus, wenn es sich um eine aus medizinischen Gründen untrennbare, einheitliche Behandlung handelt (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 17 mwN). Dafür besteht aber beim Einsatz von Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion kein Anhaltspunkt.

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Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis als Naturalleistung, wie ihn nicht nur sein Begehren auf künftige Versorgung, sondern auch auf Erstattung voraussetzt. Denn der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KK allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 11). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V(idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft seit 1.1.2004) schließt einen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus.

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Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind(§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V bestimmt: "Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

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Die Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wiederholt in ihrem II. Teil unter Buchst F in § 14 Abs 1 S 1 und Abs 2 weitgehend den Text des § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V(AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 15.12.2011 mWv 20.1.2012, BAnz Nr 11 vom 19.1.2012, S 254). Nach § 14 Abs 3 AM-RL sind die nach Abs 2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der AM-RL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil aufgeführt. Dies entspricht auch der - soweit hier von Interesse - zuvor geltenden Anlage 8 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993, S 11155, zuletzt geändert am 10.4.2008, BAnz Nr 101 vom 9.7.2008, S 2491; Anlage 8 abgedruckt in DÄ 2004, A 963, 965).

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Entgegen der Ansicht des Klägers ist es im Rahmen des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nicht möglich, nach der Ursache der Erkrankung mit der Folge zu differenzieren, dass der Leistungsausschluss bei einer behinderungsbedingten erektilen Dysfunktion nicht greift. Der Anwendungsbereich dieses Leistungsausschlusses kann nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck nicht auf Fälle teleologisch reduziert werden, in denen Arzneimittel - etwa bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte - nicht erforderlich sind (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 11 f - Caverject). Die gesetzliche Regelung will vielmehr den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV umfassend sicherstellen (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 12). Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc GMG zielt mit der Einfügung von S 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die ua überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV auszuschließen(vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 24 - Viagra).

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Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2a SGB V. Nach dieser durch Art 1 Nr 1 GMG eingefügten Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Die Regelung dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 S 2 GG umzusetzen (vgl funktional ähnlich BSG Urteil vom 25.5.2011 - B 12 KR 8/09 R - RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). § 2a SGB V vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden(vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

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3. Entgegen der Ansicht des Klägers führt Art 25 UN-BRK zu keinem Anspruch auf Versorgung mit Cialis zu Lasten der GKV. Hierbei ist lediglich Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK näher in den Blick zu nehmen. Der in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V umfassend geregelte Leistungsausschluss widerspricht dagegen schon im Ansatz nicht dem in Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbot.

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Nach Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Das SGB V stellt dem Kläger in diesem Sinne eine Gesundheitsversorgung genau in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthält dagegen nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der GKV.

18

Im Ergebnis begründet auch Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK keine eigenständige Rechtsgrundlage, die den in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V geregelten Leistungsausschluss für behinderte Menschen aufhebt. Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK hat in der - gemäß Art 50 UN-BRK nicht verbindlichen - deutschen Fassung folgenden Wortlaut:

"Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. Insbesondere…
b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;
[...]"

19

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK verdrängt nicht als ranggleiches späteres Bundesrecht den 2004 in das SGB V eingefügten Leistungsausschluss des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nach den Grundsätzen der allgemeinen intertemporalen Kollisionsregeln(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f; lex posterior derogat legi priori). Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gilt in Deutschland im Rang einfachen Bundesrechts. Das Vertragsgesetz zur UN-BRK ist gemäß dessen Art 2 Abs 1 am 1.1.2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um (vgl allgemein BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 104, 151, 209; 90, 286, 364; 77, 170, 210). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK ab 26.3.2009 zu (vgl auch Art 2 Abs 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK iVm der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5.6.2009, BGBl II 812). Ab diesem Zeitpunkt könnte Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK entgegenstehendes älteres Bundesrecht obsolet werden lassen (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28; zur Abhängigkeit des Geltungsbeginns von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages BVerfGE 63, 343, 354; 1, 396, 411 f; RG JW 1932, 582; Kunig in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 120 RdNr 112; aA Burghart DÖV 1993, 1038).

20

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE 111, 307, 317; 82, 106, 114; 74, 358, 370). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art 20 Abs 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben, hier also ggf unter Beachtung des intertemporalen Rechts (vgl BVerfGE 111, 307, 317; einem theoretisch denkbaren Vorrang von Völkervertragsrecht nach § 30 Abs 2 SGB I steht der Anwendungsvorrang des SGB V entgegen, vgl § 37 S 1 und 2 SGB I). Ein - weitergehender - Anwendungsvorrang besteht dagegen für eine völkerrechtliche Norm, wenn sie in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen ist. In diesem Falle sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE 112, 1, 27; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 260).

21

Die Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK beinhaltet indes keine allgemeine Regel des Völkerrechts mit dem genannten Geltungsvorrang. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt es sich um Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze (BVerfGE 117, 141, 149; 109, 13, 27; 16, 27, 33; 15, 25, 32 ff). Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten voraus, die in der Überzeugung geübt wird, hierzu aus Gründen des Völkerrechts verpflichtet zu sein (BVerfGE 46, 342, 367 mwN). Daran fehlt es hier. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gibt nämlich nicht eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten wieder, Menschen mit Behinderungen ein der Regelung vergleichbares Recht auf Gesundheit zu gewähren. Dies verdeutlicht bereits eine Betrachtung des europäischen Rechtsrahmens. Ein entsprechendes Recht ist etwa weder in der Europäischen Menschenrechtskonvention noch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten (vgl hierzu Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 333).

22

Kein Anwendungsvorrang des Art 25 UN-BRK folgt aus dem Umstand, dass die Europäische Gemeinschaft (EG; Rechtsnachfolgerin: Europäische Union , vgl Art 1 Abs 3 S 3 Vertrag über die Europäische Union und Schreiben an den UN-Generalsekretär, BGBl II 2010, 250) dem Übereinkommen gemäß Art 44 UN-BRK iVm Art 310 des Vertrags zur Gründung der EG ( idF des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666; vgl jetzt Art 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ) beigetreten ist. Dieser Beitritt wirkt nur im Umfang der Zuständigkeiten der EG. Die EG vermochte sich völkerrechtlich nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu binden (vgl auch die Erklärung der EG zur UN-BRK, abrufbar unter http://treaties.un.org). Nur in diesem Rahmen kann eine Bindung der Mitgliedstaaten nach Art 300 Abs 7 EGV bzw nunmehr nach Art 216 Abs 2 AEUV eintreten, die den Bestimmungen der UN-BRK zu einer Stellung über dem Bundesrecht verhilft. Die Festlegung der Leistungskataloge der nationalen Krankenversicherungssysteme liegt indes außerhalb der Kompetenz der EU (Art 168 Abs 7 AEUV, zuvor Art 152 Abs 5 EGV; EuGHE I 2001, 5473 RdNr 87 - Smits und Peerbooms; EuGHE I 2003, 4509 RdNr 98 - Müller-Fauré und van Riet; vgl insgesamt auch Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 46).

23

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK, der in der deutschen Rechtsordnung wie dargelegt im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, enthält - soweit hier von Interesse - keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion relevant sind. Die Norm ist - jedenfalls in ihrem hier bedeutsamen Teil - nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (vgl dazu Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43, 2005, 312, 318).

24

Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen (zum Unterschied zur Geltung vgl etwa BVerfG NJW 2011, 2113 RdNr 53 f; BVerfGK 9, 174 = NJW 2007, 499, RdNr 52 f; speziell zur UN-BRK Aichele AnwBl 2011, 727, 730) setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl BVerfGE 29, 348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 29, 348, 360; vgl auch BVerwG Beschluss vom 18.1.2010 - 6 B 52/09 - juris RdNr 4; BVerwGE 134, 1 RdNr 46; BVerwGE 125, 1 RdNr 12; BVerwGE 120, 206, 208 f; BVerwGE 92, 116, 118; BVerwGE 87, 11, 13). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (vgl auch Graf Vitzthum in ders, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 56 RdNr 123 mwN). Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Ziel und Zweck der Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK sprechen gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit für Leistungsrechte GKV-Versicherter im dargelegten Sinne.

25

Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK die Vertragsstaaten zu weiteren Maßnahmen, nämlich dazu, die genau benannten Gesundheitsleistungen "anzubieten". Die Terminologie der Verpflichtung von Vertragsstaaten, Leistungen "anzubieten" ("to provide"), indiziert keine unmittelbare Anwendbarkeit (vgl auch Ziff 33 des "General Comment No 14" vom 11.8.2000 zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl II 1973, 1569; im Folgenden: WiSoKuPakt; zur Bedeutung der "General Comments" im Völkerrecht vgl zB BVerwGE 134, 1 RdNr 48 mwN; englische Fassungen der General Comments im Internet abrufbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/, deutsche Übersetzung veröffentlicht in Deutsches Institut für Menschenrechte, Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005; zur Typologie "to respect", "to protect" and "to fulfil" im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten vgl Koch in Human Rights Law Review 5, 2005, 81). Die Formulierung unterscheidet sich zugleich wesentlich von anderen Vertragsbestimmungen, die bereits nach ihrem Wortlaut einen unmittelbaren Anspruch begründen, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf (so zB Art 30 Abs 4 UN-BRK: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf …").

26

Auch der Regelungszusammenhang mit Art 25 S 1 und 2 UN-BRK spricht gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von S 3 Buchst b der genannten Regelung. Weil die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen, treffen sie die in S 2 genannten geeigneten Maßnahmen, um dieses Recht zu gewährleisten. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK knüpft hieran an und spezifiziert beispielhaft ("Insbesondere") die in Art 25 S 1 und 2 UN-BRK ausdrücklich als Staatenverpflichtung konzipierte allgemeine Regelung.

27

Das Ineinandergreifen der Bestimmungen des Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK verdeutlicht zugleich die Zielsetzung und den Regelungszweck, das in Art 25 UN-BRK geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen. Die darin liegende Beschränkung spiegelt die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider: Nach Art 4 Abs 2 UN-BRK ist jeder Vertragsstaat hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen (sog Progressionsvorbehalt).

28

Die Regelung des Art 4 Abs 2 UN-BRK gilt zwar unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Dazu gehört Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK wegen seines Umsetzungsbedarfs in nationales Recht aber nicht. Diese Rechtsnorm ist vielmehr mit Art 12 Abs 2 WiSoKuPakt vergleichbar. Er benennt beispielhaft Schritte, die die Vertragsstaaten zur vollen Verwirklichung des "erreichbaren Höchstmaßes" ("highest attainable standard") an Gesundheit einzuleiten haben (vgl zur Entwicklung der UN-BRK im völkerrechtlichen Kontext auch Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246; Aichele, APuZ 2010, 13, 15; siehe auch "General Comment 3" Ziff 5 vom 14.12.1990 - keine Erwähnung von Art 12 WiSoKuPakt; "General Comment No 14" vom 11.8.2000 Ziff 1 zum Diskriminierungsverbot und Ziff 43 - Kernbereich medizinischer Grundversorgung auf Minimalniveau <"minimum essential levels[…] including essential primary health care"> - hier nicht betroffen; vgl schließlich Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 58 f).

29

4. Letztlich verhelfen auch weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist allerdings nach den aufgeführten Kriterien unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

30

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art 1 Abs 2 UN-BRK Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art 2 UN-BRK bedeutet "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeutet gemäß Art 2 UN-BRK "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art 4 Abs 1 S 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art 4 Abs 1 S 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen entspricht das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird (vgl BVerfGE 99, 341, 357; 96, 288, 303; BVerfGK 7, 269, 273). Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die UN-BRK generell als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl BVerfG NJW 2011, 2113, RdNr 52; BVerfGE 111, 307, 317) und dies auch speziell für das Verständnis des Art 3 Abs 3 S 2 GG gilt (so im Ergebnis BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54).

32

Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Der gesetzliche Leistungsausschluss knüpft nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen (vgl die allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellende Regelung des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm - § 3 Abs 1 Schwerbehindertengesetz - sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art 3 Abs 3 S 2 GG orientiert hat, s BVerfGE 96, 288, 301)und konventionsrechtlichen Sinne an, sondern erfasst weitergehend alle Fälle der Erkrankung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) oder - hier nicht betroffen - der Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1, Abs 3 SGB V). Die Ausschlussregelung setzt nicht den Eintritt einer Behinderung voraus, sondern lässt auch eine vorübergehende Krankheit oder Erscheinungsformen in deren Vorfeld ausreichen.

33

Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs noch gerechtfertigt. Wie das GG fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als die nach dem GG.

34

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184). Die gesetzlichen KKn sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

35

Auch aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine KK auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG NJW 1998, 1775; NJW 1997, 3085). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum weder im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot noch auf das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können (vgl auch BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 25 - Viagra). Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen (vgl hierzu Begründung des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86 zu Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc).

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen.

(2) Das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

(2) Eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts ist dem Gericht mitzuteilen, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(1) Um den geltend gemachten Anspruch vollständig oder zum Teil zu erledigen, können die Beteiligten zu Protokoll des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters einen Vergleich schließen, soweit sie über den Gegenstand der Klage verfügen können. Ein gerichtlicher Vergleich kann auch dadurch geschlossen werden, dass die Beteiligten einen in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht annehmen.

(2) Das angenommene Anerkenntnis des geltend gemachten Anspruchs erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011.

2

Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft (Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am 1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind nicht erbracht worden.

3

Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25 Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts ) monatlich auf 16,73 Euro.

4

Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis 31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011 von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011; Bescheid vom 11.5.2011).

5

Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71 Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011 weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII) neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge: Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten, Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen. Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche der Tochter).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis 31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.

9

Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden. Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung einzustellen(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe, ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von 60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht. Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab 1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

10

Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld (450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.

12

2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

13

In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§ 64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -) und um einen abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII.

14

Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31 SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens(BVerwGE 98, 248 ff) einer konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die Pflegekasse in die Pflegestufe 3(§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).

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3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen, ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).

16

4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3(hier in der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten hat) iVm § 61(hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19 Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).

17

Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig - Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118, 297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1 SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere Pflegekräfte(§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein; das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies nach der Zurückverweisung verifizieren.

18

5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII) und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären(vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

19

6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII(hier bis 31.12.2010 in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab 1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis 31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen ist, nicht genau ermittelbar.

20

Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden. Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen, passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).

21

7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG, aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab 1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.

22

Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise Rechnung.

23

8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben, was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat. Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro) zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen. Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin - ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im Einzelnen nachgewiesen wird.

24

Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3 Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25) auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V).

25

9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind(vgl zur Formulierung in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu § 79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII(dazu Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien entstehen.

26

10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010 (Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.

27

11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten ist(§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG, Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend, Kriterien genannt sind.

28

12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die Schwere der Behinderung(vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60 vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was vorliegend nicht der Fall ist.

29

13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).

30

Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften, die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.

31

Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.

32

Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein. Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen (60 Euro monatlich) für Unterkunfts- und Heizkosten im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2006.

2

Die 1928 geborene Klägerin bewohnt mit ihrem 1940 geborenen Ehemann seit 1994 eine 66 qm große Drei-Zimmer-Erdgeschosswohnung im Haus ihrer - ebenfalls dort wohnenden - Tochter. Die Klägerin hatte nach den Ausführungen des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) 365 Euro monatlich und einen Betrag in Höhe von 40 Euro für Nebenkosten (ohne Heizung) an die Tochter zu zahlen. Der Beklagte bewilligte nach Ablauf eines früheren Bewilligungszeitraums (nur) der Klägerin - das zu berücksichtigende Einkommen des Ehemannes überstieg seinen sozialhilferechtlichen Bedarf - im Rahmen der Grundsicherungsleistung Unterkunftskosten (Miete und Nebenkosten) unter Berücksichtigung von nur 345 Euro monatlich als angemessener Kosten der Unterkunft statt von 405 Euro und unter Anrechnung des den Bedarf des Ehemannes übersteigenden Einkommens des Ehemannes (Bescheid vom 12.12.2004; Widerspruchsbescheid vom 27.4.2005). Auf die Klage hiergegen hat das Sozialgericht (SG) Würzburg den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil zur Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen der Klägerin und ihres Ehemannes für Unterkunft und Heizung weiterer Ermittlungsbedarf bestehe (Urteil vom 2.11.2005 - S 15 SO 44/05 -). Nach Auswertung von Inseraten und Wohnungsangeboten gewährte der Beklagte Grundsicherungsleistungen - zunächst unverändert in Höhe von 181,70 Euro monatlich bis 30.6.2005 danach in Höhe von 185,75 Euro - unter Berücksichtigung von Unterkunftskosten von wiederum lediglich 345 Euro monatlich, weil nur ein solcher Betrag (unter Einrechnung der Nebenkosten) angemessen sei (Bescheid vom 30.1.2006; Widerspruchsbescheid vom 29.3.2006).

3

Die Klage hiergegen blieb erst- und zweitinstanzlich - insoweit hatte sich auch der Ehemann der Klägerin noch gegen den Bescheid gewehrt - erfolglos (Urteil des SG vom 8.8.2007; Urteil des LSG vom 29.1.2008). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Entscheidung des Beklagten über die Angemessenheit der Unterkunftskosten habe sich durch die Auswertung von Inseraten, durch Angaben des Wohnungsamtes sowie von Maklern als richtig erwiesen. Weder das Alter noch die gesundheitliche Verfassung der Klägerin ließen einen Umzug unzumutbar erscheinen. Auf die im Gesetz vorgesehene sechsmonatige Schonfrist könne sich die Klägerin nicht berufen, weil ihr die Unangemessenheit der Unterkunftskosten bereits seit längerem (2002) bekannt gewesen sei.

4

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision. Sie ist der Ansicht, ein Umzug sei ihr insbesondere im Hinblick auf ihr Alter und den Umstand unzumutbar, dass sie ein lebenslanges Wohnrecht besitze und den familiären Bindungen zu ihrer Tochter ein besonderes Gewicht beizumessen sei.

5

Die Klägerin beantragt, nachdem ihr Ehemann seine Klage zurückgenommen hat,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben, soweit über ihre Klage entschieden worden sei, und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 30.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2006 zu verurteilen, weitere 60 Euro monatlich an Unterkunfts- und Heizkosten für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2006 an sie zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Der Senat kann mangels ausreichender Tatsachenfeststellung des LSG (§ 163 SGG) nicht abschließend entscheiden, ob der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin für den streitigen Zeitraum 60 Euro monatlich mehr zu zahlen.

9

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 30.1.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2006 (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG) wehrt, soweit ihr darin höhere Leistungen (60 Euro monatlich) abgelehnt worden sind. In der Sache hat die Klägerin ihr Begehren in zulässiger Weise auf Leistungen für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beschränkt; eine weitergehende Beschränkung des Streitgegenstands auf die Höhe nur der Aufwendungen für die Unterkunft ohne Heizkosten ist dagegen nicht statthaft (BSGE 97, 217 ff RdNr 18 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSGE 104, 41 ff RdNr 13). Dass die Klägerin, nachdem ihr Ehemann, der zunächst ebenfalls im vorliegenden Verfahren Klage erhoben hatte und diese erst im Revisionsverfahren zurückgenommen hat, ihren Klageantrag erstmals in der Revisionsinstanz ausdrücklich auf (zusätzliche) 60 Euro monatlich beziffert, beinhaltet keine nach § 168 Satz 1 SGG unzulässige Klageänderung. Ihre erst- und zweitinstanzlichen Anträge waren vernünftigerweise (vgl zu diesem Kriterium nur: Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl 2008, Vor § 60 RdNr 11a mwN) so zu verstehen, dass an sie 30 Euro, hilfsweise für den Fall, dass dem Ehemann ein geringerer Anspruch als 30 Euro oder kein Anspruch zustehe, an sie entsprechend mehr zu zahlen sein sollten. Insoweit handelt es sich um eine zulässige innerprozessuale Bedingung (vgl dazu nur Keller, aaO, RdNr 11 mwN).

10

Der Beklagte ist nach § 70 Nr 1 SGG mangels landesrechtlicher Regelung iS des § 70 Nr 3 SGG (Behördenprinzip) der richtige Beklagte und nach § 97 Abs 1 Halbsatz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) iVm Art 80 Abs 1 des (Bayerischen) Gesetzes zur Ausführung der Sozialgesetze vom 8.12.2006 (Gesetz- und Verordnungsblatt 942) als örtlicher Träger der Sozialhilfe (§ 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII) zuständig für die Erbringung der beantragten Leistung.

11

Deren Rechtsgrundlage ist § 19 Abs 2(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialrechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) iVm §§ 41, 42 und 29 SGB XII. Nach § 29 Abs 1 Satz 1 SGB XII, auf den § 42 SGB XII für den Leistungsumfang bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 41 SGB XII verweist, werden Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Übersteigen diese Aufwendungen den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, sind sie insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 19 Abs 1 SGB XII zu berücksichtigen sind, (nur) anzuerkennen, solange es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate(§ 29 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII). Auch Leistungen für die Heizung werden grundsätzlich in tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 29 Abs 3 Satz 1 SGB XII); nur unter bestimmten im Gesetz näher bezeichneten Voraussetzungen (Abs 2 und 3) ist eine Pauschalierung der Leistungen für Unterkunft und Heizung zulässig. Eine Pauschalierung hat der Beklagte indes nicht vorgenommen.

12

Die Revision ist nicht bereits deshalb begründet, weil der Beklagte durch das rechtskräftige Urteil des SG vom 2.11.2005 verurteilt worden ist und der angefochtene Bescheid nicht inhaltlich den Vorgaben des SG-Urteils entspricht. Das SG hat den Beklagten vielmehr nur verpflichtet, die Klägerin neu zu bescheiden; die im Urteil vorgegebenen weiteren Kriterien hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid beachtet.

13

Für eine abschließende Entscheidung des Senats notwendige tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) fehlen - abgesehen davon, dass es überhaupt an Feststellungen zum Einkommen und Vermögen, auch des Ehemannes der Klägerin mangelt - bereits dazu, was die Klägerin tatsächlich an Unterkunft und Nebenkosten an ihre Tochter gezahlt hat; das LSG hat in seiner Entscheidung lediglich ausgeführt, was die Klägerin und ihr Ehemann "zu zahlen hatten", also nach Ansicht des LSG zahlen mussten. Selbst insoweit fehlen die für diesen rechtlichen Schluss erforderlichen Tatsachenfeststellungen zum Inhalt (ernsthafter) schriftlicher oder mündlicher Abmachungen. Gerade wegen der engen familiären Beziehungen (Mutter und Tochter) ist es naheliegend, dass die Tochter der Klägerin im Hinblick auf die Entscheidung des Beklagten, nur geringere Kosten der Unterkunft zu übernehmen, nicht die gesamte geschuldete Miete verlangt hat und endgültig hierauf, nicht nur vorläufig im Hinblick auf künftige Zahlungen des Beklagten, verzichtet hat (vgl dazu etwa: BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R -, BSGE 104, 213 ff RdNr 18 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 20); zur Höhe der Heizkosten fehlen ohnehin jegliche tatsächliche Feststellungen des LSG. Ob die zwischen den Mietvertragsparteien geschlossenen Vereinbarungen über die Miete und die Nebenkosten rechtmäßig sind, bedarf allerdings bei tatsächlicher Zahlung regelmäßig keiner näheren Prüfung; andererseits ist in diesem Fall eine genauere Untersuchung erforderlich, ob die auf einer rechtswidrigen Vereinbarung beruhenden Verpflichtungen nicht - wie später noch ausgeführt wird - durch Absprache mit dem Vermieter oder durch eine gerichtliche Klärung und damit auf das rechtmäßige (konkret angemessene) Maß gesenkt werden können (BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R -, BSGE 104, 179 ff RdNr 15 ff und 21 ff).

14

Nicht nachprüfbar ist aber vor allem die Angemessenheit der Unterkunftskosten und der Heizkosten nach Maßgabe der allgemeinen Angemessenheitsprüfung; wie bereits ausgeführt, fehlen zu letzteren sogar überhaupt Aussagen des LSG. Diese Angemessenheit der Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende (Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - ) zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG), der sich der erkennende Senat wegen der gleichen Rechtslage im SGB XII anschließt - auch bei Mietverhältnissen zwischen Verwandten (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 15; Urteil vom 7.5.2009 - B 14 AS 31/07 R - RdNr 17 ff) - in mehreren Schritten zu prüfen (vgl dazu zusammenfassend: Knickrehm in Spellbrink, Das SGB II in der Praxis der Sozialgerichte - Bilanz und Perspektiven, 2010, S 79 ff mit umfangreichen Nachweisen zur Rspr des BSG; dieselbe in Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II, 2009, S 11 ff mwN).

15

Erster Prüfungsschritt ist die angemessene Größe der Wohnung, wobei die Bemessung nach den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.9.2001 (BGBl I 2376) iVm den landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen, hier denen für die Wohnraumförderung 2003 des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 11.11.2002 (Allgemeines Ministerialblatt Nr 14/2002, 971 unter Nr 81) erfolgt. Darin ist für zwei Personen eine Mietwohnungsgröße von 65 qm vorgesehen, die die Wohnung der Klägerin um einen Quadratmeter überschreitet. Ob insoweit eine generelle Toleranz anzunehmen ist, bedarf noch keiner Entscheidung, weil sich die Angemessenheit der Kosten ohnedies nach der Produkttheorie richtet. Die Angemessenheit einer Wohnung ist damit nicht nur durch deren Größe bestimmt, sondern auch durch Ausstattung, Lage und Bausubstanz, die nur einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen müssen und keinen gehobenen Lebensstandard aufweisen dürfen; die Angemessenheit bestimmt sich dann aus dem Produkt von Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt (vgl nur zusammenfassend Knickrehm in Knickrehm/Voelzke/Spellbrink, aaO, S 11, 17 mwN zur Rechtsprechung).

16

Der insoweit angemessene Quadratmeterpreis einer Wohnung ist mittels eines schlüssigen Konzepts für einen homogenen Lebensraum zu ermitteln (vgl zuletzt: BSG, Urteile vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - RdNr 18 ff und - B 4 AS 50/09 R - RdNr 17 ff; Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 73/08 R; im Einzelnen: Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 79 ff, 89 f). Dies gilt sowohl für die Miete selbst als auch für die Mietnebenkosten (Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 107). Nicht erforderlich dürfte es sein, beide Kosten getrennt zu ermitteln; vielmehr dürfte auch denkbar sein, ein Schlüssigkeitskonzept zu entwickeln und anzuwenden, das beide Kostenbestandteile integriert. Eine endgültige Entscheidung des Senats hierüber ist jedoch noch nicht erforderlich.

17

Vorliegend jedenfalls genügen die vom LSG festgestellten Tatsachen nicht den von der Rechtsprechung des BSG später entwickelten Schlüssigkeitsanforderungen (vgl zu diesen: BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 ff RdNr 19; Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - RdNr 23; zusammenfassend auch Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 89 f). Die von dem Beklagten durchgeführten Maßnahmen (Auswertung von Inseraten, Einholung von Auskünften der auf dem freien Wohnungsmarkt tätigen Makler im Rahmen der Zeitungsberichterstattung über sinkende Preise im Jahre 2005 und 2006 unter Berücksichtigung der Tatsache des Abzugs der US-Streitkräfte und des dadurch frei werdenden Wohnraums) sind dafür keinesfalls ausreichend. Das LSG wird deshalb die entsprechende Prüfung unter Beachtung der dazu ergangenen Rechtsprechung nachzuholen haben. Dabei wird es im Regelfall auf die Mitarbeit des Beklagten angewiesen sein, der im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten ist, dem Gericht eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und ggf eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen(vgl dazu: BSG, Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 33/08 R - RdNr 22; Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - RdNr 22 ff; Urteil vom 18.2.2010 - B 14 AS 73/08 R; vgl auch Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 92 f). Inwieweit für den Fall, dass hinreichende Erkenntnismöglichkeiten fehlen, auf die Tabellenwerte zu § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) bzw § 12 WoGG einschließlich eines Sicherheitszuschlags zurückgegriffen werden darf(vgl dazu: BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - RdNr 23; Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - RdNr 27; vgl auch Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 93), kann vorliegend noch offen bleiben. Ohnedies dürfte dieser Rückgriff nur für die Mietkosten selbst möglich sein, nicht jedoch für die Mietnebenkosten.

18

Steht auf diese Weise generell-abstrakt die Unangemessenheit fest, ist weiter zu prüfen, ob die Klägerin auf dem für sie maßgeblichen Wohnungsmarkt tatsächlich eine Wohnung (konkret) anmieten kann (BSGE 97, 231 ff RdNr 25 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; BSGE 97, 254 ff RdNr 22 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3). Dahinstehen kann dabei, ob, wie dies der 14. Senat des BSG annimmt, die Prüfung nach dem Vorhandensein entsprechender Wohnungen eine solche der Angemessenheit iS des § 29 Abs 1 Satz 1 SGB XII oder der Unmöglichkeit bzw Unzumutbarkeit iS des § 29 Abs 1 Satz 2 SGB XII darstellt, wie dies der 4. Senat des BSG annimmt (vgl zu dieser Diskrepanz zwischen dem 14. und 4. Senat des BSG: Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 94 f). Es ist nicht erkennbar, dass vorliegend der Streit hierüber für den Ausgang des Verfahrens von Bedeutung sein kann.

19

Sollte der Klägerin bei konkreter Betrachtung eine angemessene Wohnung zur Verfügung stehen, bliebe immer noch zu prüfen, ob ihr ein Umzug überhaupt zumutbar wäre oder ob nicht einem zu respektierenden Recht der Klägerin auf Verbleib in ihrem sozialen Umfeld Rechnung zu tragen ist (vgl BSGE 97, 231 ff RdNr 29 f = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; BSGE 102, 263 ff RdNr 32 ff; vgl auch Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 94 f und 99). Dabei ist das Alter der Klägerin von 77/78 Jahren im Bezugszeitraum von wesentlicher Bedeutung; bereits unabhängig von sonstigen gesundheitlichen Einschränkungen (vgl dazu: Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 99 f) ist nämlich der Klägerin im Hinblick hierauf ein Umzug (allein) wegen (evtl) unangemessener Mehrkosten in Höhe von insgesamt 60 Euro im Monat subjektiv nicht zumutbar.

20

Denn der Aktivitätsradius älterer Menschen verringert sich erfahrungsgemäß, sodass Wohnung und Wohnumgebung für das körperliche und psychische Wohl des alten Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnen (Zweiter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Wohnen im Alter, 1998, BT-Drucks 13/9750, S 17 ). Da der Alterungsprozess mit einer Abnahme der Anpassungsfähigkeit und einer Zunahme der Anfälligkeit für Erkrankungen einhergeht, sind ältere Menschen typisierend immobiler als der Durchschnitt der Bevölkerung (Bundesaltenbericht 1998, S 93 und 198). Diesen soziologischen Erkenntnissen muss auch die Prüfung der (subjektiven) Zumutbarkeit eines Umzugs in eine andere Wohnung (grundsätzlich) gerecht werden; allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt und ohne Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Vorliegend sind jedenfalls keine Umstände erkennbar, die die Forderung nach einem Umzug bei unangemessenen Mehrkosten von bis zu 60 Euro monatlich rechtfertigen. Im Gegenteil: Die Klägerin wohnte bereits über zehn Jahre in der Wohnung und war dadurch in besonderer Weise in das soziale Umfeld integriert, dass die Eigentümerin dieses Hauses, ihre Tochter, in demselben Haus wohnt und der Klägerin vertraglich ein lebenslanges Wohnrecht zugesichert worden war, das auf von der Klägerin und ihrem Ehemann erbrachten Eigenleistungen (Renovierungsarbeiten bei Einzug in die Wohnung) zurückzuführen ist. Auf die von der Klägerin zur Begründung der Revision herangezogene Vorschrift des § 574 Bürgerliches Gesetzbuch, die allerdings nur eine Vorschrift zur Interessenabwägung zwischen Vermieter und Mieter, nicht zwischen der Solidargemeinschaft der Steuerzahler und dem Sozialhilfeempfänger, darstellt, muss deshalb nicht zurückgegriffen werden, könnte es wegen der unterschiedlichen Zielsetzung auch nicht.

21

Ein besonderes Augenmerk wird das LSG ggf bei seiner erneuten Entscheidung darauf zu richten haben, ob die Aufwendungen der Klägerin nicht auf andere Weise gesenkt werden können (§ 29 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die vertraglichen Abmachungen zwischen ihr und ihrer Tochter rechtswidrig (vgl zu dieser Konstellation: BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R -, BSGE 104, 179 ff RdNr 21 ff; vgl auch Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 97) und damit als konkret unangemessen zwischen den Vertragsparteien zu korrigieren sind, sondern ggf auch für den Fall einer rechtmäßigen Vereinbarung. Auch dann nämlich ist der Klägerin zuzumuten, bei ihrer Tochter um eine Senkung des Mietpreises bzw der Nebenkosten nachzusuchen und eine nach dem Vergleich mit anderen Wohnungen den Anforderungen für angemessene Kosten entsprechende Vereinbarung herbeizuführen. Gerade zwischen Eltern und Kindern besteht eine besondere sittliche Verantwortung bei der Vereinbarung der Miete auf deren allgemeine Angemessenheit zu achten, wenn der Mieter bedürftig im Sinne des SGB XII ist. Es dürfte regelmäßig auszuschließen sein, dass Kinder ihren langjährig bei ihnen zur Miete wohnenden Eltern das Mietverhältnis nur deshalb kündigen, weil statt einer rechtmäßig vereinbarten Miete nur eine solche in etwas geringerer Höhe gezahlt wird und werden kann, die den allgemeinen Angemessenheitskriterien des SGB XII entspricht.

22

Ob vorliegend eine Senkung der Aufwendungen durch Untervermietung möglich ist, erscheint zweifelhaft, kann jedoch letztlich vom Senat nicht abschließend entschieden werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedarf es auch keiner Entscheidung darüber, ob der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt, wonach eine Kostensenkung auf andere Weise auch durch sog frei verfügbare Mittel verlangt werden kann (vgl dazu: Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl 2010, § 29 SGB XII RdNr 33 mwN).

23

Allerdings setzt der Vorwurf, die Klägerin habe ihre Obliegenheit, Kostensenkungsbemühungen vorzunehmen, verletzt, eine Kostensenkungsaufforderung voraus (vgl dazu zusammenfassend: Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 96 f mwN). Soweit es um die Kostensenkungsvariante eines Umzugs geht, sind deren Voraussetzungen vorliegend schon weit vor dem streitigen Zeitraum erfüllt, weil die Klägerin bereits mehr als sechs Monate vor Beginn des streitigen Bezugszeitraums (vgl zur Sechs-Monats-Frist § 29 Abs 1 Satz 3 SGB XII) auf die Unangemessenheit der Unterkunftskosten hingewiesen worden ist. Dies genügt nach der Rechtsprechung des BSG regelmäßig. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn es um die Kostensenkungsvariante "auf andere Weise" geht, insbesondere dann, wenn dem Hilfebedürftigen vorgehalten werden soll, nicht durch Absprachen mit dem Vermieter eine Kostensenkung versucht zu haben (s dazu BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R -, BSGE 104, 179 ff RdNr 23; Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 97 f). Hier müsste die Kostensenkungsaufforderung weitere Angaben enthalten, die die Klägerin hätten erkennen lassen können, welche Kostensenkungsobliegenheiten man von ihr erwartet; allerdings fehlen entsprechende Feststellungen des LSG dazu. Selbst bei entsprechender Kenntnis oder Belehrung wäre eine Übernahme der unangemessenen Kosten zumindest für sechs Monate gerechtfertigt, weil der Klägerin regelmäßig sechs Monate Zeit für Kostensenkungsbemühungen zur Verfügung stehen (vgl dazu BSGE 102, 263 ff RdNr 32; Knickrehm in Spellbrink, aaO, S 98 f mwN).

24

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Ein Verwaltungsakt muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein.

(2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt. Ein elektronischer Verwaltungsakt ist unter denselben Voraussetzungen schriftlich zu bestätigen; § 36a Abs. 2 des Ersten Buches findet insoweit keine Anwendung.

(3) Ein schriftlicher oder elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten. Wird für einen Verwaltungsakt, für den durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, die elektronische Form verwendet, muss auch das der Signatur zugrunde liegende qualifizierte Zertifikat oder ein zugehöriges qualifiziertes Attributzertifikat die erlassende Behörde erkennen lassen. Im Fall des § 36a Absatz 2 Satz 4 Nummer 3 des Ersten Buches muss die Bestätigung nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes die erlassende Behörde als Nutzer des De-Mail-Kontos erkennen lassen.

(4) Für einen Verwaltungsakt kann für die nach § 36a Abs. 2 des Ersten Buches erforderliche Signatur durch Rechtsvorschrift die dauerhafte Überprüfbarkeit vorgeschrieben werden.

(5) Bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von Absatz 3 Satz 1 Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen; bei einem elektronischen Verwaltungsakt muss auch das der Signatur zugrunde liegende Zertifikat nur die erlassende Behörde erkennen lassen. Zur Inhaltsangabe können Schlüsselzeichen verwendet werden, wenn derjenige, für den der Verwaltungsakt bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, auf Grund der dazu gegebenen Erläuterungen den Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennen kann.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, kann die Bekanntgabe ihm gegenüber vorgenommen werden.

(2) Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Ein Verwaltungsakt, der im Inland oder Ausland elektronisch übermittelt wird, gilt am dritten Tag nach der Absendung als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.

(2a) Mit Einwilligung des Beteiligten können elektronische Verwaltungsakte bekannt gegeben werden, indem sie dem Beteiligten zum Abruf über öffentlich zugängliche Netze bereitgestellt werden. Die Einwilligung kann jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden. Die Behörde hat zu gewährleisten, dass der Abruf nur nach Authentifizierung der berechtigten Person möglich ist und der elektronische Verwaltungsakt von ihr gespeichert werden kann. Ein zum Abruf bereitgestellter Verwaltungsakt gilt am dritten Tag nach Absendung der elektronischen Benachrichtigung über die Bereitstellung des Verwaltungsaktes an die abrufberechtigte Person als bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang der Benachrichtigung nachzuweisen. Kann die Behörde den von der abrufberechtigten Person bestrittenen Zugang der Benachrichtigung nicht nachweisen, gilt der Verwaltungsakt an dem Tag als bekannt gegeben, an dem die abrufberechtigte Person den Verwaltungsakt abgerufen hat. Das Gleiche gilt, wenn die abrufberechtigte Person unwiderlegbar vorträgt, die Benachrichtigung nicht innerhalb von drei Tagen nach der Absendung erhalten zu haben. Die Möglichkeit einer erneuten Bereitstellung zum Abruf oder der Bekanntgabe auf andere Weise bleibt unberührt.

(2b) In Angelegenheiten nach dem Abschnitt 1 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes gilt abweichend von Absatz 2a für die Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten § 9 des Onlinezugangsgesetzes.

(3) Ein Verwaltungsakt darf öffentlich bekannt gegeben werden, wenn dies durch Rechtsvorschrift zugelassen ist. Eine Allgemeinverfügung darf auch dann öffentlich bekannt gegeben werden, wenn eine Bekanntgabe an die Beteiligten untunlich ist.

(4) Die öffentliche Bekanntgabe eines schriftlichen oder elektronischen Verwaltungsaktes wird dadurch bewirkt, dass sein verfügender Teil in der jeweils vorgeschriebenen Weise entweder ortsüblich oder in der sonst für amtliche Veröffentlichungen vorgeschriebenen Art bekannt gemacht wird. In der Bekanntmachung ist anzugeben, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden können. Der Verwaltungsakt gilt zwei Wochen nach der Bekanntmachung als bekannt gegeben. In einer Allgemeinverfügung kann ein hiervon abweichender Tag, jedoch frühestens der auf die Bekanntmachung folgende Tag bestimmt werden.

(5) Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes mittels Zustellung bleiben unberührt.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. § 39 gilt entsprechend.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. § 39 gilt entsprechend.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Erstattung der Kosten für einen behindertengerechten Umbau eines PKW nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).

2

Die 1946 geborene Klägerin ist infolge einer Kinderlähmung an beiden Beinen sowie an der Bauch- und Rückenmuskulatur teilweise gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "aG", "H" und "RF" festgestellt worden. Sie erhält eine monatliche Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung, eine monatliche Betriebsrente und bezog ein monatliches Einkommen aus einer Nebentätigkeit; außerdem ist sie Alleineigentümerin einer von ihr allein bewohnten, barrierefrei errichteten 111 m² großen 3-Zimmer-Wohnung. Seit 1993 ist sie ehrenamtlich tätig (insbesondere im Verein M. e.V.) und nimmt im Rahmen dieser Tätigkeit Termine innerhalb und außerhalb ihres Wohnorts wahr.

3

Am 30.5.2007 stellte sie bei dem Beklagten einen Antrag auf Übernahme der Kosten zur Ausübung ihres Ehrenamtes und zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für ein behindertengerechtes Fahrzeug, den sie später auf den behindertengerechten Umbau ihres PKW (Einbau eines Rollstuhlverladesystems) beschränkte. Während des Verwaltungsverfahrens erwarb sie einen neuen und behindertengerecht umgebauten PKW zu einem Kaufpreis von insgesamt 32 701,48 Euro (14 186,56 Euro für den Umbau; 18 514,89 Euro für den Kauf des PKW). Sie erhielt hierfür von privaten Stiftungen Zuwendungen in Höhe von insgesamt 31 001,48 Euro; aus dem Verkauf ihres alten, mit einem Rollstuhlverladesystem versehenen Fahrzeugs erzielte sie einen Erlös iHv 1700 Euro (Gesamtbetrag 32 701,48 Euro). Die Zuwendungen der Stiftungen wurden jeweils als Zuschuss gewährt, mit Ausnahme von zweien über insgesamt 9000 Euro (4000 und 5000 Euro), die als Darlehen gezahlt wurden. Die Stiftungen überwiesen die zugewandten Beträge direkt an das Autohaus bzw den Betrieb, der den behindertengerechten Umbau vornahm. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 8.8.2007; Widerspruchsbescheid unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter vom 30.7.2008), weil der Hauptzweck der Kraftfahrzeugversorgung, die Eingliederung in das Arbeitsleben, nicht vorliege. Es sei nicht Aufgabe der Sozialhilfe, durch die Gewährung von Kraftfahrzeughilfe indirekt ehrenamtliche Institutionen zu fördern. Andere, nicht ehrenamtlich bedingte regelmäßige Fahrten seien nicht ersichtlich. Für einzelne sonstige Fahrten sei ein Taxi erheblich kostengünstiger.

4

Während das Sozialgericht (SG) Detmold den Bescheid vom 8.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.7.2008 aufgehoben und den Beklagten "verpflichtet" hat, "der Klägerin die Kostenübernahme für den behindertengerechten Umbau eines Pkw zu bewilligen" (Urteil vom 25.8.2009), hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) das Urteil des SG "abgeändert" und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.9.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, dem Zusammenspiel zwischen § 8 Abs 1 Satz 2 und § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-Verordnung (Eingliederungshilfe-VO) sei zu entnehmen, dass die beanspruchte Leistung vorrangig als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen sei. Andere Eingliederungszwecke erforderten deshalb eine vergleichbar gewichtige Zielsetzung. Dies sei nur zu bejahen, wenn eine ständige oder jedenfalls regelmäßige, tägliche oder fast tägliche Benutzung des Kraftfahrzeugs erforderlich sei; anderenfalls sei der Behinderte nicht auf das Kraftfahrzeug angewiesen. So liege der Fall bei der Klägerin, weil sie nur zwei bis drei Fahrten monatlich außerhalb des Stadtgebiets von H. unternehme.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der §§ 53, 60 SGB XII iVm § 8 Eingliederungshilfe-VO. Sie macht geltend, die ehrenamtliche Tätigkeit stelle eine der Teilhabe am Arbeitsleben vergleichbar gewichtige Aufgabe dar. Zu Unrecht habe das LSG dabei allein auf regelmäßig anfallende Fahrten außerhalb des Stadtgebiets abgestellt, obwohl weder § 53 SGB XII noch die Eingliederungshilfe-VO eine solche Beschränkung enthielten. Im Übrigen unternehme sie monatlich mehr als zwei bis drei Fahrten außerhalb des Stadtgebiets von H., um ihrem ehrenamtlichen Engagement nachzukommen.

6

Sie beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beklagte verurteilt wird, die Kosten für die Anschaffung und den Einbau des Rollstuhlverladesystems in ihr Kraftfahrzeug zu erstatten.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des LSG-Urteils und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für eine abschließende Entscheidung fehlen.

10

Gegenstand des mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG) geführten Verfahrens ist der Bescheid vom 8.8.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.7.2008 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Übernahme der Kosten für den behindertengerechten Umbau des Kraftfahrzeugs der Klägerin abgelehnt hat. Der beklagte Landschaftsverband Westfalen-Lippe ist der richtige Beklagte iS des § 70 Nr 1 SGG; die Beteiligtenfähigkeit von Behörden in NRW ist seit dem 1.1.2011 mit dem Inkrafttreten des Justizgesetzes NRW vom 26.1.2010 (Gesetz- und Verordnungsblatt NRW 30) entfallen (zu dem hierdurch erfolgten Beteiligtenwechsel BSG SozR 4-3500 § 29 Nr 2 RdNr 11).

11

Er ist als überörtlicher Träger der Sozialhilfe für die Erstattung der Kosten des behindertengerechten Umbaus des PKW als Leistung der Eingliederungshilfe sachlich und örtlich zuständig (§ 98 Abs 1, § 97 Abs 2 iVm § 3 Abs 3 SGB XII, §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 816 - und § 2 Abs 1 Nr 4 Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW vom 16.12.2004 - GVBl NRW 817). Zwar sieht § 1 Nr 2 Buchst a der Satzung des Beklagten über die Heranziehung der Städte, Kreise und kreisangehörigen Gemeinden zur Durchführung der Aufgaben des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vom 10.3.2005 iVm § 6 Abs 1 und § 7 Abs 1 Buchst d Landschaftsverbandsordnung für das Land NRW vom 14.7.1994 (GVBl NRW 657, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.10.2012 - GVBl NRW 474) iVm § 3 Abs 1 AGSGB XII eine Heranziehung der kreisfreien Städte und Kreise für die Versorgung von behinderten Menschen mit größeren Hilfsmitteln zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft vor, macht hiervon aber eine Ausnahme bei Kraftfahrzeugen. Ob dazu auch der behindertengerechte Umbau eines Kraftfahrzeugs zählt, kann dahinstehen; denn der Beklagte ist nach § 7 der Satzung ohnehin berechtigt, im Allgemeinen und im Einzelfall selbst tätig zu werden.

12

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Insbesondere war weder die für die Klägerin zuständige Krankenkasse noch der Rentenversicherungsträger nach § 75 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGG wegen der Nichtweiterleitung des Rehabilitationsantrags durch den Beklagten an diese notwendig beizuladen (dazu später).

13

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Erstattung der Kosten für Anschaffung und Einbau des Rollstuhlverladesystems ist § 19 Abs 3 Satz 1 SGB XII(in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) iVm §§ 53, 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII(ebenfalls in der Fassung des Gesetzes vom 27.12.2003) und § 55 Abs 2 Nr 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) iVm § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO(zur Unanwendbarkeit von § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 20). Richtet sich der geltend gemachte Anspruch - wie hier - auf eine Geldleistung, ist es rechtlich unerheblich, ob die Klägerin den Auftrag für den Einbau des Rollstuhlverladesystems zeitlich ggf sogar vor Erlass des Ablehnungsbescheids vom 8.8.2007 erteilt hat; insbesondere stehen §§ 2, 18 SGB XII (Nachrang der Sozialhilfe, Leistung erst ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers) einer Leistungsgewährung nicht entgegen(BSG, aaO, RdNr 21).

14

Nach § 53 Abs 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung iS von § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Klägerin ist teilweise gelähmt und deshalb auf einen Rollstuhl angewiesen und damit wesentlich in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben (s § 1 Nr 1 Eingliederungshilfe-VO), sodass es sich bei der Eingliederung um eine Pflichtleistung handelt.

15

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden durch § 54 Abs 1 SGB XII iVm §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX und die auf Grundlage der Ermächtigung des § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfe-VO konkretisiert. Nach § 54 Abs 1 SGB XII iVm § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX gehört zu den Teilhabeleistungen insbesondere die Versorgung mit anderen als den in § 31 SGB IX (Leistungen zur medizinischen Rehabilitation) genannten Hilfsmitteln oder den in § 33 SGB IX (Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben) genannten Hilfen. § 9 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO konkretisiert den Begriff des "anderen Hilfsmittels". Danach sind andere Hilfsmittel iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm mit den §§ 26, 33 und 55 SGB IX nur solche Hilfsmittel, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen. Nach § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO gehören zu den anderen Hilfsmitteln iS des Abs 1 auch besondere Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte für Kraftfahrzeuge, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist; soweit die Eingliederungshilfe ein Kraftfahrzeug betrifft, muss der behinderte Mensch das Hilfsmittel nicht selbst bedienen können (BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25; BVerwGE 55, 31, 33 f). Das Rollstuhlverladesystem kann deshalb ein Hilfsmittel iS von § 9 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO sein.

16

Ob die Klägerin iS des § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO auf ein Kraftfahrzeug "angewiesen" ist, kann allerdings nicht abschließend entschieden werden. Dies beurteilt sich in erster Linie nach dem Sinn und Zweck der Eingliederungshilfe, eine vorhandene Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört es insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs 3 SGB XII). Die Formulierung verdeutlicht, dass es insgesamt ausreicht, die Begegnung und den Umgang mit anderen Menschen im Sinne einer angemessenen Lebensführung zu fördern. Maßgeblich sind im Ausgangspunkt die Wünsche des behinderten Menschen (§ 9 Abs 2 SGB XII); wie sich aus § 9 Abs 3 Eingliederungshilfe-VO ergibt ("im Einzelfall"), gilt ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht(BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25, 26; SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

17

Die von der Klägerin ausgeübte ehrenamtliche Tätigkeit gehört in besonderer Weise zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Dies verdeutlicht § 11 Abs 2 Satz 2 SGB XII; danach umfasst die aktive Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft auch ein gesellschaftliches Engagement. Es spielt mithin keine Rolle, dass durch etwaige Eingliederungshilfeleistungen die ehrenamtliche Tätigkeit mittelbar "gefördert" wird; denn in erster Linie soll der Umbau des Fahrzeugs die Mobilität der Klägerin erhöhen oder herstellen und ihr die Teilhabemöglichkeit eröffnen. Ob die Teilhabemöglichkeit in der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder dem Besuch von Sportveranstaltungen oder Musikaufführungen besteht oder mit einer (sonstigen) aktiven Vereinsmitgliedschaft zusammenhängt, obliegt der Entscheidung des Behinderten. Er bestimmt selbst, was er in seiner Freizeit tut und welche Möglichkeiten zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft er ergreift. Gerade ältere, aus dem Arbeitsleben ausgeschiedene Menschen haben ein besonderes Bedürfnis, neue soziale Kontakte zu finden oder alte aufrechtzuerhalten, und nutzen die Möglichkeit, dies in ehrenamtlichen Tätigkeiten zu tun, um ihre Fähigkeiten sinnvoll und gewinnbringend einzusetzen und nicht auf das "Abstellgleis geschoben" zu werden.

18

Das LSG hat bei der Frage, ob die Klägerin auf den behindertengerechten Umbau des Kfz angewiesen ist, zu Unrecht einen rein objektiven Maßstab anhand der Anzahl ehrenamtlich veranlasster Fahrten außerhalb des Stadtgebiets von H. in den Jahren 2009 und 2010 angelegt. Nach der Rechtsprechung des Senats hätten aber die besondere Situation der Klägerin, die auch in der Vergangenheit ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug benutzt hat, sowie ihre individuellen Bedürfnisse und Wünsche unter Einbeziehung von Art und Ausmaß der Behinderung berücksichtigt werden und in die Entscheidung mit einfließen müssen (BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 22 f). Weshalb nur Fahrten außerhalb von H. und auch nur ehrenamtlich veranlasste Fahrten - nicht aber andere Fahrten mit dem Ziel der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft - berücksichtigungsfähig sein sollen, ist im Übrigen nicht nachvollziehbar. Dies gilt erst recht, folgte man der Begründung des LSG, dass das Primat der beanspruchten Leistung bei der Teilhabe am Arbeitsleben liege, weil es dann allein auf die Regelmäßigkeit der Nutzung ankommt, nicht aber auf besonders veranlasste Fahrten außerhalb des Nahbereichs abzustellen wäre. Zudem darf die Beurteilung, ob die Klägerin auf das Fahrzeug angewiesen ist, nicht auf die Jahre 2009 und 2010 beschränkt werden, weil der Antrag bereits im Jahr 2007 gestellt und während des Verwaltungsverfahrens der Umbau veranlasst worden ist. Schließlich muss die Frage des "Angewiesenseins" prognostisch beurteilt werden; deshalb ist in die Beurteilung auch die Beanspruchung eines Fahrzeugs in der Vergangenheit mit einzubeziehen, was das LSG unterlassen hat. Die erforderlichen Feststellungen wird das LSG nachholen müssen. Ggf wird es auch prüfen müssen, ob es für die Klägerin - etwa mit Behindertentransporten bzw durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel - überhaupt zumutbare Alternativen zum Umbau ihres Fahrzeugs gegeben hätte und ob es ihr zumutbar und technisch auch möglich gewesen wäre, das Rollstuhlverladesystem des alten PKW weiter zu nutzen, oder ob die Anschaffung eines neuen Systems erforderlich oder wirtschaftlich sinnvoller war.

19

§ 8 Abs 1 Satz 2 Eingliederungshilfe-VO rechtfertigt nicht das vom LSG gefundene (andere) Ergebnis. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Senat der Auffassung folgt, dass die Anwendung dieser Vorschrift eine regelmäßige Nutzung des Fahrzeugs (zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs: BVerwGE 55, 31 und 111, 328) im Sinne einer annähernd täglichen Nutzung voraussetzt; denn § 8 Abs 1 Satz 2 Eingliederungshilfe-VO ist nicht bei der Auslegung von § 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO heranzuziehen. Nach § 8 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO gilt die Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeugs als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm den §§ 33 und 55 SGB IX. Sie wird in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist. Bereits der Wortlaut der Vorschrift zeigt, dass von dieser Hilfeart nur die "Beschaffung" eines Kraftfahrzeugs "insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben" betroffen ist, während § 9 Eingliederungshilfe-VO weiter gefasst ist und Hilfsmittel betrifft, die zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel dienen und nicht in erster Linie zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt werden. § 9 Abs 1 und 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO knüpft insbesondere nicht an die Anspruchsvoraussetzungen des § 8 Eingliederungshilfe-VO an, sondern bestimmt seine Anspruchsvoraussetzungen unabhängig selbst. Deshalb ist (auch) der Anspruch auf Hilfe für besondere Bedienungseinrichtungen und Zusatzgeräte für ein bereits vorhandenes Kraftfahrzeug allein nach § 9 Abs 1 und Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO - unabhängig von § 8 Eingliederungshilfe-VO - zu beurteilen(BVerwG, Beschluss vom 20.12.1990 - 5 B 113/89). Diesem Verständnis entspricht nicht zuletzt Art 20 des - allerdings erst am 26.3.2009 ratifizierten - Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention), wonach die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen treffen, um für Menschen mit Behinderungen "persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit" sicherzustellen, ohne dies auf den Personenkreis beschäftigter Behinderter zu beschränken.

20

Gelangt das LSG nach Zurückverweisung der Sache zu dem Ergebnis, dass die Klägerin auf ein Kraftfahrzeug und dessen Umbau angewiesen ist, wird es weiter zu prüfen haben, ob ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (§ 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII) der Leistungsgewährung entgegenstehen. Nach § 19 Abs 3 Satz 1 SGB XII wird Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Fünften Kapitel des SGB XII (nur) geleistet, soweit dem Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist. Dabei ist auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Entstehung der Kosten abzustellen (vgl dazu in anderen Konstellationen: BSGE 103, 171 ff RdNr 11 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5; BSGE 104, 219 ff RdNr 17 = SozR 4-3500 § 74 Nr 1), also auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der gegenüber der Klägerin geltend gemachten Forderung. Wann die Forderung der Firma, die den Umbau vorgenommen hat, fällig geworden ist, ist dem Urteil des LSG nicht zu entnehmen. Fest steht aber, dass das behindertengerecht umgebaute Fahrzeug noch während des Verwaltungsverfahrens angeschafft und zum größten Teil durch verschiedene Stiftungen finanziert worden ist.

21

Ob ein Anspruch schon wegen der durch die Stiftungen erbrachten Leistungen ganz oder zum Teil ausscheidet, kann der Senat anhand der Feststellungen des LSG nicht prüfen. Dies hängt davon ab, wann und mit welchen Mitteln (Zuschüsse, Darlehen, Verkaufserlös aus dem Verkauf des früheren Fahrzeugs) die Rechnung für den Umbau des Fahrzeugs beglichen wurde. Wurde der behindertengerechte Umbau des Fahrzeugs ausschließlich aus (nicht zurückzuzahlenden) Zuschüssen finanziert, hat die Klägerin schon deshalb keinen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. Da die Kosten für den Umbau des Fahrzeugs - die direkte Zahlung erfolgte an das Autohaus bzw den Betrieb, der den Umbau vorgenommen hat - bereits fällig waren als die Zuschüsse erbracht wurden, sind sie als Einkommen zu berücksichtigen, das nach § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII zur Bedarfsdeckung einzusetzen ist.

22

Nach § 82 Abs 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert (die in § 82 Abs 1 SGB XII geregelten Ausnahmen liegen nicht vor). Inwieweit Zuwendungen Dritter als Einkommen außer Betracht bleiben, regelt § 84 SGB XII. Nach dessen Abs 1 bleiben Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege als Einkommen außer Betracht. Dies gilt (aber) nicht, soweit die Zuwendung die Lage der Leistungsberechtigten so günstig beeinflusst, dass daneben Sozialhilfe ungerechtfertigt wäre. Nach Abs 2 dieser Vorschrift sollen auch Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, als Einkommen außer Betracht bleiben, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten eine besondere Härte bedeuten würde. Soweit die Zuschüsse gerade dazu gewährt worden sind, den Umbau des Fahrzeugs zu finanzieren, müssen sie nach § 84 SGB XII in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt werden, gleich ob Abs 1 oder Abs 2 dieser Regelung anwendbar ist; denn zum einen beeinflussen die Zuschüsse die Lage der Klägerin so günstig, dass daneben (zur Vermeidung von Doppelleistungen) Sozialhilfe nicht gerechtfertigt wäre, zum anderen kann die Einkommensberücksichtigung angesichts desselben Zwecks, der mit der Sozialhilfe bzw den Zuschüssen verfolgt wird (nämlich die Finanzierung des Umbaus), keine besondere Härte für die Klägerin bedeuten.

23

Sind die Zuschüsse danach als Einkommen zu werten, ist weiter die Zumutbarkeit des (Umfangs des) Einkommenseinsatzes zu prüfen, die an den besonderen Einkommensgrenzen für Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII, hier insbesondere an § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII, zu messen ist. Danach kann die Aufbringung der Mittel - gleichgültig, ob die Einkommensgrenze über- oder unterschritten wird - auch unter der Einkommensgrenze verlangt werden, wenn - wie hier - von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck (Umbau des Kraftfahrzeugs) erbracht werden, für den sonst Sozialhilfe zu leisten wäre. Anders als etwa in den Fällen des § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 2(Deckung des Bedarfs mit geringfügigen Mitteln; dazu BSGE 103, 171 ff RdNr 26 f = SozR 4-3500 § 54 Nr 5) und Nr 3 SGB XII ist dabei zur Vermeidung von Doppelleistungen die Ermessensbetätigung ("kann") bei der vom Sozialhilfeträger zu treffenden Entscheidung in dem Sinne vorgezeichnet, dass im Regelfall der Einkommenseinsatz verlangt werden muss (sog intendiertes Ermessen); denn es ist kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb Sozialhilfe geleistet werden soll, wenn Leistungen Dritter für denselben Zweck - also den behindertengerechten Umbau des Kraftfahrzeugs - erbracht werden. Die Regelung des § 88 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII zeigt im Übrigen, dass derartige Leistungen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht zum Entfallen des Bedarfs führen, sondern von atypischen Fallgestaltungen abgesehen (immer) als Einkommen zu qualifizieren und zu berücksichtigen sind, ohne dass es auf den Zeitpunkt des Zuflusses ankommt.

24

Die Fallkonstellation, in der der Umbau (allein) durch Zuschüsse finanziert wird, ist nicht mit der Selbsthilfe im Rahmen von Einsatzgemeinschaften des § 19 Abs 1, 2 oder 3 SGB XII zu vergleichen, bei der ein Mitglied der Einsatzgemeinschaft den Bedarf deckt, ohne dass der Hilfebedürftige zur Rückerstattung verpflichtet ist. Der Senat hat in einem solchen Fall - soweit durch die Bedarfsdeckung nicht nur ohnehin bestehende Unterhaltsansprüche erfüllt wurden - die Pflicht zur Rückerstattung nicht zur Voraussetzung für einen Leistungsanspruch gemacht und damit eine Zuwendung aus sittlicher Pflicht (§ 84 Abs 2 SGB XII) aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes verneint, um die normative Wertung der Vorschriften über die Anspruchsvoraussetzungen und die Einkommensberücksichtigung nicht zu konterkarieren (BSGE 110, 301 ff RdNr 27 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8; BSGE 112, 67 ff RdNr 25 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1).

25

Wurde der Umbau auch (maximal 9000 Euro) durch Darlehen finanziert, scheitert daran ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe der durch das Darlehen erbrachten Leistungen hingegen nicht. Nach der Rechtsprechung des für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 14. Senats des Bundessozialgerichts sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert nur dann als Einkommen zu qualifizieren, wenn der damit verbundene wertmäßige Zuwachs dem Hilfebedürftigen zur endgültigen Verwendung verbleibt. Deshalb sind Darlehen, die mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belastet sind, als eine nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht als Einkommen zu berücksichtigen (BSGE 106, 185 ff RdNr 16 = SozR 4-4200 § 11 Nr 30). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat für das Recht der Sozialhilfe an (vgl schon BSGE 112, 67 ff RdNr 26 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1); es ist kein sachlicher Grund erkennbar, der eine funktionsdifferente Auslegung des Einkommensbegriffs rechtfertigen könnte. Entscheidend für die Abgrenzung ist damit allein, ob ein Darlehensvertrag entsprechend § 488 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zivilrechtlich wirksam abgeschlossen worden ist. Anhaltspunkte für einen unwirksamen Darlehensvertrag sind zwar nicht ersichtlich, eine abschließende Würdigung ist insoweit allerdings vom LSG vorzunehmen.

26

Wurde der Umbau schließlich auch mit dem Erlös aus dem Verkauf des alten Fahrzeugs finanziert, verringert sich der Bedarf für die Umbaukosten um diesen Betrag. Dabei ist es unerheblich, ob der erzielte Kaufpreis über 1700 Euro aufgrund einer Vereinbarung mit dem Kraftfahrzeughändler bzw dem Betrieb, der den Umbau durchgeführt hat, etwa bei Inzahlungnahme des Altfahrzeugs mit dem Rechnungsbetrag "verrechnet" wurde und schon deshalb zum maßgebenden Zeitpunkt (Fälligkeit der Rechnung, dazu oben) ein um den Inzahlungnahmebetrag geringerer Bedarf entstanden ist, oder ob der Kaufpreis für den Altwagen unabhängig von einer Händlerabsprache vor der Entstehung des Bedarfs zugeflossen ist und dann für den Umbau des Neuwagens eingesetzt wurde. Insoweit wäre der Verkaufserlös als Vermögen zu berücksichtigen, ohne dass er als Schonvermögen nach § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII iVm der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII (Barbetrags-Verordnung) oder über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII als Ersatz für einen privilegierten PKW geschützt wäre. Angesichts des bloßen Fahrzeugwechsels wäre dies nicht gerechtfertigt, weil der Erwerb des neuen Fahrzeugs - ob als Einkommen oder als Vermögen - privilegiert ist (dazu später).

27

Neben der Frage, wie der Umbau finanziert wurde, und welchen Einfluss etwaige Zuflüsse von Geld oder Geldeswert auf den Bedarf bzw den Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe haben, stellt sich auch die weitere Frage, ob ein Anspruch der Klägerin an ihren sonstigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemäß § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 82 ff SGB XII scheitert. Das LSG hat hierzu - ausgehend von seiner Rechtsauffassung zum fehlenden Angewiesensein auf den PKW, die der Senat nicht teilt - keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die Klägerin verfügte über ein Einkommen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie unter Berücksichtigung der Einkommensgrenze des § 85 SGB XII - ggf zusammen mit den Zuwendungen von Stiftungen(dazu oben) - über der Einkommensgrenze einzusetzendes Einkommen (§ 87 SGB XII) erzielt. Bei einmaligen Leistungen (nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII) zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, ist das Einkommen ggf auch für mehrere Monate zu berücksichtigen (§ 87 Abs 3 SGB XII). Bedarfsgegenstände in diesem Sinn sind Gegenstände, die für den individuellen und unmittelbaren Gebrauch durch den Leistungsempfänger bestimmt sind und (in der Regel) einer Abnutzung unterliegen (Lücking in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 87 RdNr 31, Stand Dezember 2004; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 87 SGB XII RdNr 37). Die Eingliederungshilfe für das Rollstuhlverladesystem ist als eine solche "einmalige Leistung zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen" zu qualifizieren; der Gebrauch des Rollstuhlverladesystems ist auch für mehr als ein Jahr bestimmt. Dabei ist sowohl auf die mögliche Nutzungsdauer des konkreten Gegenstandes abzustellen, als auch kumulativ auf die aufgrund des konkreten Bedarfs erforderliche Nutzung (Gutzler in juris PraxisKommentar SGB XII, § 87 SGB XII RdNr 46).

28

Auch ob einsetzbares Vermögen vorhanden ist, hat das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht offen gelassen. Der Senat kann deshalb insbesondere nicht beurteilen, ob die Wohnung der Klägerin privilegiertes Vermögen ist. Nach § 90 SGB XII ist grundsätzlich das gesamte verwertbare Vermögen zu berücksichtigen(Abs 1); allerdings darf die Sozialhilfe nicht von dem Einsatz oder der Verwertung bestimmter (Abs 2) bzw privilegierter (Abs 3) Vermögensgegenstände abhängig gemacht werden. Nach § 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs 1 bis 3 SGB XII genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird, abhängig gemacht werden. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes.

29

Mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm erfasst der Begriff des Hausgrundstücks neben bebauten Grundstücken auch Eigentumswohnungen (vgl nur Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 73). Die Angemessenheit der Größe von Eigentumswohnungen bestimmt sich nach der Rechtsprechung des Senats (weiterhin) nach den Werten des (zum 1.1.2002 aufgehobenen) Zweiten Wohnungsbaugesetzes unter Berücksichtigung der Anzahl der Bewohner (BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 19). Danach gelten Eigentumswohnungen mit bis zu 120 m² für einen Haushalt mit vier Personen nicht als unangemessen groß. Bei einer geringeren Familiengröße sind je fehlender Person 20 m² abzuziehen, wobei eine Reduzierung unter 80 m² in der Regel nicht in Betracht kommt (BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3). Allerdings bedürfen diese Größen je nach den Umständen des Einzelfalles - etwa wegen der Behinderung der Klägerin, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist - einer Anpassung nach oben (BSGE 97, 203 ff RdNr 22 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 19). Ob ausgehend von diesen Voraussetzungen die Wohnung der Klägerin, die die Grenze von 80 m² um 31 m² übersteigt, (noch) angemessen und damit geschütztes Vermögen ist, bedarf weiterer Feststellungen zu den Umständen des Einzelfalls. Gleiches gilt für die Frage, ob - unterstellt, die Wohnung ist nicht angemessen - eine Härte iS von § 90 Abs 3 SGB XII zu bejahen ist. Ist auch diese zu verneinen, wird das LSG die Verwertbarkeit der Wohnung genauer unter rechtlichen und tatsächlichen Aspekten (BSGE 100, 131 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3) zu prüfen haben.

30

Ob das neu angeschaffte Fahrzeug als Vermögen oder als Einkommen zu qualifizieren ist, bedarf hingegen keiner Entscheidung, weil es in keinem Fall zur Bedarfsdeckung einzusetzen ist, selbst wenn es der Klägerin möglicherweise zumutbar gewesen wäre, ein gebrauchtes Fahrzeug mit erheblich geringerem Wert zu kaufen (vgl dazu BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 23 f). Denn der Einsatz als Einkommen oder als Vermögen würde - unterstellt, die Klägerin ist behinderungsbedingt auf ein Kraftfahrzeug angewiesen (vgl allgemein dazu nur Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 102 mwN) - entweder nach der für Einkommen geltenden generellen Härteklausel des § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII(vgl dazu: BSGE 108, 241 ff RdNr 24 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8; BSGE 106, 62 ff RdNr 32 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6)oder nach der bei Vermögen anzuwendenden Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII eine (besondere) Härte bedeuten, weil die von den Stiftungen gewährten Zuwendungen (Zuschüsse und Darlehen) - auch der Höhe nach - nur zweckgebunden für den Erwerb bzw die Umrüstung des Fahrzeugs erbracht worden sind, sodass eine Berücksichtigung des PKW als Einkommen oder als Vermögen trotz des den Verkehrswert von 7500 Euro bzw - wegen der Behinderung der Klägerin - von 9500 Euro(vgl § 5 Kraftfahrzeughilfeverordnung; BSGE 99, 77 ff RdNr 16 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5) übersteigenden Betrags für ein angemessenes Kraftfahrzeug (dazu: BSGE 99, 77 = SozR 4-4200 § 12 Nr 5; BSGE 100, 139 ff RdNr 16 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4) unbillig wäre. Ohne Anschaffung des PKW wären keine Beträge geflossen. Das LSG wird jedoch ggf zu ermitteln haben, ob noch weiteres einsetzbares Vermögen vorhanden ist.

31

Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten nach den Vorschriften über die Hilfen zur Gesundheit (§§ 47 ff SGB XII)scheidet hingegen aus. Diese Hilfen entsprechen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV - (§ 52 Abs 1 Satz 1 SGB XII), sodass eine Hilfsmittelversorgung durch den Sozialhilfeträger aus den gleichen Gründen wie im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ausgeschlossen ist. Das Rollstuhlverladesystem ist für die Klägerin kein Hilfsmittel iS des § 33 Abs 1 Satz 1 3. Alt SGB V und gehört damit nicht zum Leistungskatalog des SGB V; das Gebot eines möglichst weitgehenden Behinderungsausgleichs, das sich auch auf den Ausgleich von indirekten Folgen der Behinderung erstreckt (vgl: BSGE 93, 176 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 98, 213 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 3 und 29; BSG, Urteil vom 16.9.2004 - B 3 KR 15/04 R), erfordert keine Leistungserbringung. Ein Hilfsmittel ist von der GKV nur dann zu gewähren, wenn es Grundbedürfnisse des täglichen Lebens betrifft, zu denen das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die (elementare) Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums gehören (BSGE 91, 60 ff RdNr 9 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3 S 20 mwN; BSG, Urteil vom 18.5.2011 - B 3 KR 12/10 R - RdNr 13 ff). Allerdings ist das in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" krankenversicherungsrechtlich immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst, nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden zu verstehen (BSG, Urteil vom 18.5.2011, aaO, RdNr 15 ff mwN). Es besteht grundsätzlich kein Anspruch darauf, den Radius der selbstständigen Fortbewegung durch das Auto (erheblich) zu erweitern, selbst wenn im Einzelfall die Alltagsgeschäfte nicht im Nahbereich erledigt werden können; es gilt vielmehr ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnorts unabhängiger Maßstab (BSGE 98, 213 ff RdNr 17 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15). Nur wenn die Verantwortung der GKV im Einzelfall über die Erschließung des Nahbereichs der Wohnung hinausgeht (zur Sicherung der Schulfähigkeit eines Schülers bzw zum Erwerb einer elementaren Schulausbildung BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 19; bei Anforderungen an die medizinische Versorgung, die regelmäßig im Nahbereich der Wohnung nicht erfüllbar sind BSGE 98, 213 ff RdNr 14 und 17 = SozR 4-2500 § 33 Nr 15), ist die Erweiterung des Fortbewegungsradius durch Hilfsmittel der GKV zu ermöglichen.

32

Nach den Feststellungen des LSG und den eigenen Angaben der Klägerin dient das Rollstuhlverladesystem in erster Linie zur Ausübung ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im gesamten Bundesgebiet; die ehrenamtliche Tätigkeit wird aber nicht vom Verantwortungsbereich der GKV umfasst. Es ist nicht Aufgabe der GKV, ihren Versicherten die Ausübung einer solchen Tätigkeit zu ermöglichen. Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen werden hingegen von der Krankenkasse übernommen, wodurch dem Grundbedürfnis des täglichen Lebens, bei Krankheit und Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, Genüge getan ist, weil im Rahmen der Hilfsmittelgewährung nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V (allein) die notwendige medizinische Versorgung sichergestellt sein muss(BSGE 93, 176 ff RdNr 12 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7). Andere besondere qualitative Elemente, die eine weitergehende Mobilitätshilfe zum mittelbaren Behinderungsausgleich rechtfertigen könnten (vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 36 RdNr 17 mwN), sind hier nicht ersichtlich. Dementsprechend scheidet auch ein Anspruch gegen den Beklagten als erstangegangenen Rehabilitationsträger nach § 14 Abs 2 SGB IX iVm § 33 SGB V und damit eine Beiladung der zuständigen Krankenkasse aus, wobei es ohne Bedeutung ist, ob der Begriff der Teilhabeleistung des § 14 SGB IX eigenständig (weit) oder (nur) nach dem Verständnis des SGB V auszulegen ist(vom Senat offengelassen in: BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 15). Ebenso scheidet ein Anspruch als erstangegangener Träger nach § 14 Abs 2 SGB IX iVm der KfzHV wegen einer Nichtweiterleitung an den Rentenversicherungsträger - und damit dessen Beiladung - aus. Kraftfahrzeughilfe wird nur zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben erbracht (§ 1 KfzHV). Zu Recht hat das LSG deshalb ausgeführt, dass Leistungen nach § 2 Abs 1 Nr 2 KfzHV (behinderungsbedingte Zusatzausstattung) nach § 3 Abs 1 Nr 1 der Verordnung ua nur gewährt werden, wenn der behinderte Mensch infolge seiner Behinderung nicht nur vorübergehend auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen ist, um seinen Arbeits- oder Ausbildungsort oder den Ort einer sonstigen Leistung der beruflichen Bildung zu erreichen, woran es hier mangelt.

33

Das LSG wird ggf auch den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des Revisionsantrags richtigstellen müssen und über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2011 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung (Assistenzzimmer und Nebenkosten) durch seine Pflegepersonen für Oktober 2005.

2

Der 1973 geborene, im streitbefangenen Zeitraum ledige und vermögenslose Kläger, der seit 1992 Sozialhilfepflegeleistungen im sog Arbeitgebermodell (Beschäftigung von Pflegepersonen als Arbeitgeber) erhält, leidet an einer Duchenneschen Muskeldystrophie mit beatmungspflichtiger respiratorischer Insuffizienz sowie Herzinsuffizienz. Er benötigt einen Spezialrollstuhl und ist rund um die Uhr auf Pflegeleistungen angewiesen. Er ist der Pflegestufe III zugeordnet und erhält Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung. Der Kläger erzielte aus einer Tätigkeit als Bildungs- und Sozialberater, die er in einem Umfang von 19,25 Stunden wöchentlich ausübte und zu deren Ausübung der Beigeladene als Integrationsamt einen Zuschuss zur Beschäftigung einer Assistenzkraft am Arbeitsplatz gewährte, im Oktober 2005 einen Verdienst von 1572,73 Euro brutto (1066,69 Euro netto).

3

Im Sommer 2004 stellte er einen Antrag auf weitere Übernahme der Pflegekosten für die persönliche Assistenz im Rahmen des Arbeitgebermodells für die Zeit nach seinem Umzug von T nach B, den er später ausdrücklich auf die Übernahme der anfallenden Kosten wegen eines den Pflegepersonen zur Verfügung gestellten Zimmers, eines sog Assistenzzimmers, erstreckte. Zum 1.11.2004 mietete er eine etwa 63 qm große Zweizimmerwohnung in B an. Die Miete (487,15 Euro kalt zuzüglich 127,36 Euro Nebenkostenvorauszahlung) zahlte der Kläger ab September 2005 selbst. In der Wohnung wurde er rund um die Uhr durch von ihm angelernte und beschäftigte Assistenzkräfte betreut, die jeweils in 24-stündigen Schichten tätig waren. Für deren Aufenthalt in Ruhepausen und bei Arbeitsunterbrechungen war in der Wohnung ein separater Raum (Größe ca 16 qm) eingerichtet und mit dem notwendigen Mobiliar ausgestattet.

4

Die Lohn- und Lohnnebenkosten der vom Kläger beschäftigten Assistenzkräfte übernahm die Beklagte als Leistungen der Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung des von der Pflegekasse an den Kläger gezahlten Pflegegelds (Bescheid vom 2.2.2005). Die Übernahme der anteiligen Kosten für die Wohnungsnutzung lehnte die Beklagte hingegen ab (Bescheid vom 10.2.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.12.2005 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter).

5

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Köln die Beklagte verurteilt, "ab 1.9.2005 die anteiligen Kosten für das der jeweiligen Pflegeperson zur Verfügung gestellte Zimmer zu übernehmen" (Urteil vom 27.9.2007). Im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen haben die Beteiligten durch Teilvergleich den streitbefangenen Zeitraum auf den Monat Oktober 2005 beschränkt; sodann hat das LSG die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28.11.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Kosten für das Assistenzzimmer und die Wohnungsnutzung stellten angemessene Kosten iS des § 65 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), also Kosten im Rahmen der Hilfe zur Pflege dar. Es könne dahinstehen, ob den Kläger bereits eine arbeitsrechtliche Verpflichtung treffe, ein entsprechendes Zimmer für die Pflegepersonen bereitzustellen. Denn seine Pflege könne sinnvollerweise nur im Rahmen einer 24-Stunden-Betreuung sichergestellt werden, weil eine ständige Rufbereitschaft auch in den Nachtstunden unabdingbar sei. Ein permanentes Verbleiben der jeweiligen Pflegekraft in der Küche oder im Zimmer des Klägers sei für beide unzumutbar. Bei den Kosten der Wohnungsnutzung handele es sich nicht um bloße Kosten der Unterkunft, weil maßgeblich für die Entstehung der Kosten die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Pflege sei.

6

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Kosten, die einem behinderten Menschen für seine Wohnung durch den Einsatz von Pflegekräften entstünden, seien von der Vorschrift nicht erfasst, sondern vielmehr als Kosten der Unterkunft anzusehen. Darüber hinaus hätte der Kläger statt eines 24-stündigen Einsatzes kürzere Schichten vereinbaren können, um das Vorhalten eines Rückzugsraumes für die Assistenzkräfte entbehrlich zu machen. Die für das Assistenzzimmer anfallenden Kosten seien schließlich bereits bei der Prüfung der Anspruchsberechtigung für die Hilfe zur Pflege durch die Übernahme der Lohn- und Lohnnebenkosten in vollem Umfang berücksichtigt worden, sodass bei einer Übernahme von Wohnungsnutzungskosten nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII eine doppelte Berücksichtigung erfolgen würde.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

10

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Recht zurückgewiesen; der Kläger hat dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) gegen die zuständige Beklagte (§§ 3, 97, 98 SGB XII iVm den vom LSG angewandten landesrechtlichen Vorschriften in der bindenden Auslegung durch das Berufungsgericht<§ 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung>)einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung als Leistung der Hilfe zur Pflege.

12

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 10.2.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2005 (§ 95 SGG). Gegen diesen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 iVm § 56 SGG), zulässigerweise zeitlich beschränkt auf die im Monat Oktober 2005 angefallenen Kosten und in der Sache auf die Übernahme der Kosten für die Wohnungsnutzung, insbesondere für die des Assistenzzimmers, bei sachgerechter Auslegung des Klägerbegehrens (§ 123 SGG) aber auch für die der insoweit entstandenen Nebenkosten.

13

Diese Kosten bilden als Leistung der Hilfe zur Pflege einen abtrennbaren Streitgegenstand. Sie lassen sich nämlich rechtlich und sachlich als nur mittelbar mit der Beschäftigung von besonderen Pflegekräften im Arbeitgebermodell (§ 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII) verbundene Kosten von den übrigen Leistungen der Hilfe zur Pflege, die der Kläger nach §§ 61 ff SGB XII in der Form der Übernahme von Lohn- und Lohnnebenkosten und damit ggf zusammenhängender weiterer Kosten nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII erhält, trennen und sind deshalb nicht nur bloßes Berechnungselement im Rahmen eines Gesamtanspruchs aus § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Es handelt sich bei diesen nur mittelbar durch die Pflege des Klägers entstehenden Sachkosten um einen anderen Anspruch, der neben die von § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII schon seinem Wortlaut nach erfassten Personalkosten für die Pflegepersonen tritt und in der Sozialhilfe nur deshalb - nicht aber im Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) - übernahmefähig ist, weil das Arbeitgebermodell in § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII eine besondere Privilegierung erfahren hat. Davon ist im Übrigen auch die Beklagte ausgegangen, die über die Kosten für das Assistenzzimmer und die Übernahme der Lohn- und Lohnnebenkosten der Assistenzkräfte in getrennten Bescheiden entschieden hat.

14

Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Wohnungsnutzung nach § 19 Abs 3, § 61 Abs 1 und § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII(alle idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben). Er gehört nach den bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG zu dem nach § 61 Abs 1 Satz 1 SGB XII anspruchsberechtigten Personenkreis. Bei den Kosten für die Wohnungsnutzung handelt es sich um eine Leistung der Hilfe zur Pflege, nicht um Eingliederungshilfe und auch nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese sind nämlich untrennbar (nur) mit der Sicherstellung der häuslichen Pflege des Klägers verbunden; denn das Assistenzzimmer wird allein zu diesem Zweck vorgehalten. Es soll damit - gleichermaßen wie mit der Beschäftigung der Assistenzkräfte selbst - weder die Integration des Klägers in die Gesellschaft gefördert werden (dies kann zwar ein Nebeneffekt einer erfolgreichen Pflege sein, ist aber nicht ihr eigentliches Ziel, vgl § 53 Abs 3 Satz 2 SGB XII), worauf Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs 3 SGB XII jedoch vorrangig hinzuwirken haben(dazu: Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 53 RdNr 32, Stand März 2009; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 53 SGB XII RdNr 37; Wehrhahn in juris PraxisKommentar SGB XII, § 53 SGB XII RdNr 15; Bieritz-Harder in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, § 53 SGB XII RdNr 24; H. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 61 SGB XII RdNr 73), noch ist es das Ziel der Wohnungsnutzung, den Assistenzkräften einen vor Unbilden des Wetters und der Witterung geschützten räumlichen Lebensmittelpunkt zu gewährleisten (so zum Zweck einer Unterkunft BSG SozR 4-3500 § 29 Nr 2 RdNr 14 mwN). Sie zählen deshalb auch nicht zu den Kosten der Unterkunft und Heizung, deren Übernahme sich nach § 29 SGB XII(idF, die die Norm durch das Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Sozialrecht vom 21.3.2005 - BGBl I 818 - erhalten hat) oder aber nach § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu richten hätte. Die Assistenzkräfte nutzen das Zimmer allein im Zusammenhang mit ihrer Verpflichtung zur Pflege des Klägers und haben ihren räumlichen Lebensmittelpunkt außerhalb. Auch der Kläger selbst hält das Zimmer nur für seine Assistenzkräfte als Rückzugsraum bereit. Dass das Assistenzzimmer räumlich Bestandteil der vom Kläger angemieteten Wohnung ist, genügt mithin nicht, um die anteilig anfallenden Kosten als Kosten der Unterkunft zu qualifizieren. Für eine Qualifizierung der Kosten der Wohnungsnutzung als Bestandteil der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII spricht zudem das mit der im Vergleich zur Hilfe zum Lebensunterhalt günstigeren Einkommensberechnung bei besonderen Sozialhilfeleistungen nach den §§ 85 ff SGB XII vom Gesetzgeber verfolgte Ziel der Sicherung eines Lebensstandards oberhalb der für die Hilfe zum Lebensunterhalt maßgeblichen Bedürftigkeitsgrenze nach § 19 Abs 1, §§ 82 ff SGB XII. Dieses könnte nur unzureichend sichergestellt werden, würden für die im Arbeitgebermodell anfallenden Sachkosten ungünstigere Einkommensgrenzen gelten.

15

Der Anspruch ergibt sich trotz des in § 61 Abs 2 Satz 2 SGB XII enthaltenen Verweises auf die Vorschriften der Sozialen Pflegeversicherung (SGB XI) nicht aus § 36 SGB XI. Denn der Verweis auf das SGB XI ist weder im Hinblick auf Leistungshöhe noch den Inhalt der Leistungen im Bereich der Sozialhilfe abschließend. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, welche Bedeutung diese - missglückte (vgl: Meßling in jurisPK-SGB XII, § 61 SGB XII RdNr 103 mwN)- Vorschrift überhaupt hat - es könnte darin ggf zum Ausdruck gebracht werden, dass (nur) dort, wo das SGB XII keine besonderen Regelungen zu den Leistungen der Hilfe zur Pflege enthält, auf das SGB XI zurückzugreifen ist; jedenfalls für die hier gewährten Leistungen der häuslichen Pflege enthalten die §§ 63 ff SGB XII ausdifferenzierte und vollständige Regelungen zu den Leistungsvoraussetzungen und dem Leistungsumfang, die einem Rückgriff auf § 36 SGB XI entgegenstehen(so im Ergebnis: Krahmer/Sommer in LPK-SGB XII, 9. Aufl 2012, § 61 SGB XII RdNr 19; ein Vorrang-Nachrangverhältnis im Bereich häuslicher Pflege bejahend Meßling, aaO, RdNr 97, sowie Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 61 SGB XII RdNr 38). Dieses Verständnis der Vorschrift kommt auch in der Privilegierung des von § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII vorausgesetzten Arbeitgebermodells in der Sozialhilfe gegenüber dem SGB XI zum Ausdruck(vgl dazu näher Meßling, aaO, § 66 SGB XII RdNr 44 ff mwN). Danach dürfen Pflegebedürftige nicht auf die Inanspruchnahme von Sachleistungen nach dem SGB XI verwiesen werden, wenn sie ihre Pflege durch von ihnen beschäftigte Pflegekräfte ("Arbeitgebermodell") sicherstellen. In ihrer Funktion als Arbeitgeber obliegt es den Pflegebedürftigen dabei nicht nur, die Pflegepersonen eigenverantwortlich auszuwählen, sondern auch, sie in ihre Tätigkeit einzuweisen und ihre Arbeit im Rahmen des arbeitsrechtlich Zulässigen zu organisieren, sowie für ihre Entlohnung einzustehen (Müller, Persönliche Assistenz - Kompendium von der Praxis für die Praxis, 1. Aufl 2011, S 96 ff); die §§ 75 ff SGB XII gelten nicht (Jaritz/Eicher in jurisPK-SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 22.5).

16

Die Privilegierung der Beschäftigung von Pflegekräften in der Sozialhilfe ist historisch gewachsen, (erst) mit der Einführung der Sozialen Pflegeversicherung notwendig geworden und in bewusster Abgrenzung zum Leistungskatalog des SGB XI normiert worden, weil dort seit 1.5.1996 (vgl § 77 Abs 1 Satz 3 bis 5 aF SGB XI) gemäß § 77 Abs 1 Satz 3 SGB XI Pflegebedürftige mit Pflegekräften, die häusliche Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung sicherstellen, grundsätzlich kein Beschäftigungsverhältnis mehr begründen dürfen. Damit korrespondierend bestimmen § 36 Abs 1 Satz 3 und 4 SGB XI, dass Pflegesachleistungen nur durch solche Pflegekräfte erbracht und damit von der Pflegekasse vergütet werden, mit denen die Pflegekasse einen Vertrag geschlossen hat. Will der Pflegebedürftige mit von ihm selbst gewählten Pflegekräften einen Vertrag schließen, ist er von Pflegesachleistungen nach dem SGB XI ausgeschlossen und kann an deren Stelle nur Pflegegeld nach § 37 SGB XI in Anspruch nehmen. Mit der in § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII (mittelbar) zum Ausdruck gebrachten sozialhilferechtlichen Privilegierung des Arbeitgebermodells sollte demgegenüber über das SGB XI hinaus, das nur noch Personen, die ihre Pflege und Betreuung bereits früher durch von ihnen beschäftigte Pflegekräfte organisiert hatten, unter bestimmten Voraussetzungen die Fortführung dieses Modells erlaubte, generell die Bedarfsdeckung auf diese Weise weiterhin erlaubt werden(BT-Drucks 13/3696, S 11 zu Buchst A Allgemeiner Teil). Die Beschäftigung von Assistenzkräften als Arbeitgeber ermöglicht es so auch dem bedürftigen zu Pflegenden seine Pflege so zu gestalten, dass ein möglichst selbstbestimmtes Leben geführt werden kann (vgl zur Definition und Inhalten der persönlichen Assistenz: Müller, aaO, S 89 ff).

17

Auch die spezifischen weiteren Voraussetzungen des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII für die Übernahme der Kosten der Wohnungsnutzung sind nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllt. Danach sind, wenn neben oder anstelle der Pflege nach § 63 Satz 1 SGB XII ua die Heranziehung einer besonderen Pflegekraft erforderlich ist, die angemessenen Kosten zu übernehmen. Es handelt sich bei den Assistenzkräften des Klägers um solche besonderen Pflegekräfte. In Abgrenzung zu § 65 Abs 1 Satz 1 SGB XII sind Pflegekräfte bereits dann "besondere" iS des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII, wenn sie nicht in häuslicher oder nachbarschaftlicher Verbundenheit nach § 63 Satz 1 SGB XII pflegen(vgl dazu Meßling, aaO, § 65 SGB XII RdNr 31.1). Schon infolge des beim Kläger rund um die Uhr bestehenden Pflegebedarfs konnte die Sicherstellung seiner Pflege durch Nahestehende oder im Wege der Nachbarschaftshilfe nicht erwartet und gefordert werden (zum Kriterium der Erforderlichkeit im Rahmen des § 69b Abs 1 Satz 2 Bundessozialhilfegesetz bereits BVerwGE 111, 241, 242 f; zu § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII: BSG SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 20 und § 21 Nr 1 RdNr 18; BSG, Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 1/11 R - RdNr 16). Besondere förmliche Qualifikationsanforderungen sind zumindest im Arbeitgebermodell wegen der mit der Arbeitgeberstellung des zu Pflegenden verbundenen Gestaltungshoheit und der vom Gesetzgeber gewollten Privilegierung nicht zu stellen, sodass es unerheblich ist, dass die vom Kläger beschäftigten Pflegekräfte nicht über eine besondere Ausbildung im pflegerischen Bereich verfügen. Es genügt, dass sie von ihm angelernt und in ihre Arbeit eingewiesen worden sind. Es kann deshalb gleichfalls dahinstehen, welche Qualifikationsanforderungen im SGB XI an Sachleistungen erbringende "geeignete" Pflegekräfte (§ 36 Abs 1 SGB XI) zu richten sind (dazu Piepenstock in Hauck/Noftz, SGB XI, K § 77 RdNr 12 und 13, Stand Oktober 2009; vgl auch Meßling, aaO, RdNr 33).

18

Die Kosten für die Wohnungsnutzung sind Kosten iS des § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII; sie entstehen durch die Beschäftigung von Pflegepersonen. Eine Beschränkung des Kostenübernahmeanspruchs auf die nur unmittelbar durch die Pflege hervorgerufenen Kosten, also die Lohn- und Lohnnebenkosten oder der Beiträge unter den Voraussetzungen des § 65 Abs 2 SGB XII, gebietet schon nicht der Wortlaut der Norm. Nicht zuletzt ist auch in diesem Punkt die Privilegierung des Arbeitgebermodells zu beachten, das auch andere als die üblichen Pflegekosten zur Folge haben kann. Wollte man diese von der Kostenübernahme nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII ausschließen, würde die Privilegierung wegen des damit verbundenen Wegfalls der besonderen Einkommensgrenzen nach den §§ 85 ff SGB XII konterkariert.

19

Es handelt sich auch um erforderliche Kosten; die Frage der Angemessenheit der Kosten ist dagegen für ein Grundurteil nicht zu prüfen. Der Kläger ist auf ständige Hilfe angewiesen, die ein eigenes Assistenzzimmer und die Wohnungsmitbenutzung bedingen. Ob die Wohnung bereits unter diesem Aspekt angemietet worden ist, ist ohne Bedeutung. Der Kläger muss sich auch nicht, anders als die Beklagte meint, darauf verweisen lassen, die Einsatzzeiten der jeweiligen Pflegekräfte auf weniger als 24 Stunden zu reduzieren, mit der Folge, dass die Vorhaltung eines Assistenzzimmers ggf entbehrlich würde. Mit der Festlegung eines 24-Stunden-Einsatzes je Pflegekraft hat der Kläger die Grenzen seiner von der Beklagten zu respektierenden Gestaltungshoheit als Arbeitgeber nicht überschritten (§ 9 Abs 2 Satz 1 iVm Abs 1 SGB XII). Mit diesem Schichtmodell ist ihm jedenfalls ein hinreichendes Maß an Flexibilität in der Gestaltung des täglichen Lebens gesichert, was bei kürzeren, zB auf acht Stunden beschränkten Schichten, mit den damit verbundenen, mehrfach täglich entstehenden notwendigen Abstimmungsprozessen und Kompromissen in der Tagesgestaltung, zudem immer mit der Gefahr einer zeitlichen Lücke bei der Pflege, nur bedingt gewährleistet wäre. Kann somit der vom Kläger festgelegte Einsatzplan seiner Pflegekräfte von der Beklagten nicht erfolgreich angegriffen werden, ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger ständig eine Pflegeperson in seiner Nähe haben muss, auch unabhängig von der Arbeitsstättenverordnung - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - sicherzustellen, dass ein Rückzugsraum zur Sicherung eines Mindestmaßes an Privat- und Intimsphäre für beide Personen besteht. Dies wäre allerdings nicht gewährleistet, müssten sich der Kläger und seine jeweilige Pflegeperson in nur einem Zimmer aufhalten. Auf die Küche als Rückzugsraum kann eine Pflegekraft dabei nicht zumutbar verwiesen werden. Zudem würden selbst dann die Kosten für die Mitbenutzung der Wohnung anfallen.

20

Dem somit bestehenden Kostenübernahmeanspruch dem Grunde nach steht § 91 Abs 2 SGB XI, insbesondere § 91 Abs 2 Satz 3 SGB XI nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht entgegen. Danach werden in der sozialen Pflegeversicherung Pflegebedürftigen, die einen Vertrag mit einer zugelassenen Pflegeeinrichtung abgeschlossen haben, für die keine vertragliche Pflegevergütung nach §§ 85, 89 SGB XI maßgeblich ist, maximal 80 % der Aufwendungen erstattet, die die Pflegekasse für die Leistungen nach den §§ 36 ff SGB XI zu leisten hätte(§ 91 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB XI); § 91 Abs 2 Satz 3 SGB XI schließt eine weitergehende Kostenerstattung durch den Träger der Sozialhilfe aus. Die Regelung umfasst allerdings schon nach ihrem Wortlaut nur die Höhe der Vergütung für zugelassene Pflegeeinrichtungen, die Pflegesachleistungen erbringen. Für die im Arbeitgebermodell insoweit korrespondierenden unmittelbaren Kosten der Pflege (also anstelle der Pflegesachleistung die unmittelbaren Kosten für die Beschäftigung von besonderen Pflegekräften), die hier nicht streitgegenständlich sind, trifft das SGB XII jedoch eine Sonderregelung, sodass Satz 3 schon bei der Organisation der Pflege im Arbeitgebermodell hinsichtlich der Höhe der zu übernehmenden Pflegekosten keine Anwendung finden kann. Für die hier streitgegenständlichen, nur mittelbar durch die eigentliche Pflege entstandenen Kosten, für die schon keine Vergütungsvereinbarung nach den §§ 85, 89 SGB XI abgeschlossen werden kann, findet Satz 3 erst recht keine Anwendung. Zudem besteht bei diesen mittelbaren Kosten nicht die Gefahr, der Satz 3 begegnen will, nämlich dass Pflegeeinrichtungen ohne Vergütungsvertrag mit Pflegebedürftigen Preisvereinbarungen zu Lasten des Sozialhilfeträgers abschließen und damit das vertragliche Vergütungssystem der sozialen Pflegeversicherung unterlaufen (vgl Mühlenbruch in Hauck/Noftz, SGB XI, K § 91 RdNr 11, Stand Oktober 2009). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift im Zusammenhang mit § 66 Abs 4 Satz 2 SGB XII überhaupt einer teleologischen Reduktion bedarf(so Meßling in jurisPK-SGB XII, § 65 SGB XII RdNr 40).

21

Der Leistung steht auch nicht der Mehrkostenvorbehalt des § 13 Abs 1 Satz 3 SGB XII entgegen, wonach der in § 13 Abs 1 Satz 2 SGB XII normierte Vorrang ambulanter vor stationärer Leistung dann nicht gilt, wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrichtung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist. Der Anspruch des Klägers ist ohne Rücksicht hierauf zu prüfen, weil er sich aufgrund der Übergangsregelung in § 130 SGB XII - er hatte am Stichtag, dem 26.6.1996, seine Pflege bereits durch von ihm beschäftigte Personen sichergestellt - noch auf den in § 3a BSHG normierten uneingeschränkten Vorrang ambulanter vor stationärer Pflege berufen kann.

22

Schließlich sind die Voraussetzungen der §§ 85 ff SGB XII erfüllt. Das Einkommen des vermögenslosen Klägers unterschreitet die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII(idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch erhalten hat); die Voraussetzungen für den Einsatz von Einkommen unter der Einkommensgrenze nach § 88 SGB XII(ebenfalls idF dieses Gesetzes) liegen nicht vor. Da die für das Assistenzzimmer anfallenden Kosten bereits Bestandteil der Hilfe zur Pflege nach § 65 Abs 1 Satz 2 SGB XII sind, sind sie insoweit allerdings nicht (mehr) bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII (als Kosten der Unterkunft) zu berücksichtigen. Dies würde zu einer nicht zu rechtfertigenden Doppelberücksichtigung im Rahmen der Hilfe zur Pflege führen. Ein Anspruch des Klägers auf Leistungen der Hilfe zur Pflege besteht auch ohne diese Kosten selbst bei der für den Kläger ungünstigsten Berechnung der Einkommensgrenze nach § 85 Abs 2 Satz 1 SGB XII dem Grunde nach mit Sicherheit; ob eine hohe Wahrscheinlichkeit für den Erlass eines Grundurteils genügen würde, kann deshalb offenbleiben. Auszugehen ist bei der Berechnung von einem bereinigten Einkommen (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 85 SGB XII RdNr 13), also dem, was (als bereites Mittel) tatsächlich zur Verfügung steht (zum SGB II vgl: Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 11 RdNr 383, Stand Juni 2010; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 11 RdNr 91)und nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden kann oder darf. Dieses wird im SGB XII nach den §§ 82 bis 84 SGB XII(Wahrendorf, aaO, RdNr 13; Decker in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 8, Stand Februar 2010), im Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) nach den §§ 11 ff SGB II bestimmt. Welcher Maßstab im Fall des Klägers anzulegen und ob dabei für die erforderliche Bereinigung für unter das SGB II fallende Leistungsberechtigte (§ 5 Abs 2 SGB II, § 21 SGB XII) unmittelbar auf die Vorschriften des SGB II oder die des SGB XII zurückzugreifen ist, kann an dieser Stelle offen bleiben. Wenn man nur von dem von den Steuern und den Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung bereinigten Nettoeinkommen des Klägers ausgeht (vgl § 82 Abs 2 Nr 1 und 2 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Nr 1 und 2 aF SGB II),im nächsten Schritt bei der Berechnung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII neben dem doppelten Eckregelsatz(§ 85 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB XII) allein die anteilige Kaltmiete (bei 63 qm Gesamtfläche der Wohnung, davon 16 qm für das Assistenzzimmer, also 47/63 der Gesamtkaltmiete) und die hälftigen Nebenkosten (ohne Heizkosten) als Kosten der Unterkunft iS des § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII berücksichtigt, verbliebe kein Einkommen über der Einkommensgrenze, das nach § 87 SGB XII für die Finanzierung der Hilfe zur Pflege durch den Kläger selbst einzusetzen wäre. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn die Kosten der Unterkunft (abstrakt oder konkret) unangemessen hoch wären. Es kann deshalb auch dahingestellt bleiben, ob Kosten der Heizung - anders als der Wortlaut nahelegt, wofür aber Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen - nach § 85 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB XII gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. November 2011, soweit es über die Berufung im Verfahren - S 12 SO 33/09 - entschieden hat, aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind noch die Kosten für die Anschaffung eines Kraftfahrzeugs (Kfz) Opel Vivaro (im April 2008).

2

Der 2003 geborene Kläger leidet an einer Lissenzephalie Typ I (durch eine Genmutation bewirkte, unvollständige Entwicklung des Gehirns). Er ist deshalb in seiner Entwicklung erheblich verzögert, auf den Rollstuhl angewiesen; er leidet zudem unter Epilepsie, verbunden mit Krampfanfällen. Ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen "aG", "G", "B" und "H" sind festgestellt. Seit 1.12.2008 erhält er Pflegegeld von der Pflegekasse nach Pflegestufe III und wird zu Hause von seiner Mutter betreut, weil er wegen behinderungsbedingter Überforderung keinen Kindergarten besuchen kann. Der Vater des Klägers arbeitet an zwei bis drei Tagen pro Woche zu Hause, an den übrigen Wochentagen an seinem Dienstort. Für den Weg dorthin nutzte er ein - weiteres - Kfz.

3

Anfang Januar 2008 beantragte der Vater für den Kläger die Übernahme der Kosten für die Anschaffung eines behindertengerechten Kfz, um im Rollstuhl sitzend transportiert werden zu können. Seit der Geburt der Schwester könne der Rollstuhl nicht mehr (zusammen mit deren Kinderwagen) im Kofferraum des der Mutter zur Verfügung stehenden Kfz transportiert werden, ohne zuvor auseinandergenommen zu werden. Man sei auf ein zweites Fahrzeug angewiesen. Dieses werde für den Weg zu Therapien (therapeutisches Reiten, Krankengymnastik), für Arztbesuche, Ausflüge, Urlaube, den Besuch von Kultur- und Sportveranstaltungen sowie des Gottesdienstes und für Einkäufe und sonstige Erledigungen bei einer Gesamtfahrleistung von 1520 km pro Monat benötigt.

4

Im April 2008 erwarb der Kläger, finanziert durch den Vater, einen gebrauchten Opel Vivaro (Opel) zum Preis von 13 350 Euro, nachdem er dem Beklagten im März 2008 mitgeteilt hatte, das bisher von seiner Frau für Fahrten mit dem Kläger genutzte Kfz sei kaputtgegangen. Der Arbeitgeber des Vaters gab hierfür einen Zuschuss von 2500 Euro. Der Beklagte lehnte den Antrag auf Kostenübernahme für die Anschaffung des Opel ab (Bescheid vom 27.10.2008; Widerspruchsbescheid vom 11.2.2009).

5

Während die Klage erstinstanzlich insoweit erfolgreich war, als der Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt worden ist, den Antrag des Klägers auf Übernahme von Leistungen der Eingliederungshilfe zur Beschaffung eines Kfz neu zu bescheiden (Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 5.5.2010, - S 12 SO 33/09), wies das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz auf die Berufung des Beklagten die mit dem Verfahren S 12 SO 119/09 (Übernahme von Kosten für Inspektion und Instandhaltung des Opel) verbundene Klage ab (Urteil vom 24.11.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger sei nicht zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ständig auf ein Fahrzeug angewiesen. Fahrten zu Ärzten seien ohne Bedeutung, weil entsprechende Aufwendungen von der Krankenkasse zu tragen seien. Dies gelte grundsätzlich auch für Fahrten zum therapeutischen Reiten, selbst wenn die Krankenkasse die Therapiekosten nicht, die Beihilfestelle des Vaters des Klägers die Kosten nur zu 80 % übernehme. Einkaufsfahrten könnten auch ohne den Kläger durchgeführt werden, weil der Vater regelmäßig zu Hause arbeite und seine Betreuung damit sichergestellt sei. Für die Teilhabe im Übrigen genüge das Angebot des Beklagten, den Behindertenfahrdienst in Anspruch nehmen zu können, weil damit soziale Kontakte im näheren Umfeld gepflegt werden könnten. Überörtliche Mobilität sicherzustellen sei nicht das Ziel der Eingliederungshilfe. Auch Personen, die nicht behindert seien, denen aber aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen kein Kfz zur Verfügung stehe, könnten am überörtlichen sozialen Leben nicht oder nur bedingt teilhaben. Weitere Aktivitäten über das örtliche Umfeld hinaus seien folglich ggf förderlich, nicht aber notwendig im sozialhilferechtlichen Sinn. Die Grundversorgung des Klägers sei nicht zuletzt durch die wohnumfeldverbessernden Maßnahmen, die der Beklagte gefördert habe, gesichert.

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung der § 53 Abs 1 Satz 1, § 54 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), § 55 Abs 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) iVm § 8 Abs 1 der Verordnung nach § 60 SGB XII (Eingliederungshilfe-Verordnung) sowie der Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention. Das LSG habe verkannt, dass das Ziel der Eingliederungshilfe nicht die Gleichstellung behinderter und nicht behinderter Sozialhilfeempfänger, sondern behinderter und nicht behinderter Menschen ohne Rücksicht auf ihre Bedürftigkeit sei. An das "Angewiesensein zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft" seien keine strengeren Anforderungen zu stellen als an die Teilhabe am Arbeitsleben. Das "Angewiesensein" sei für jeden Einzelfall aufgrund Art und Ausmaß der bestehenden Behinderung in zeitlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen. Erst durch die mithilfe eines Kfz gesicherte Mobilität werde ihm eine menschenwürdige Entwicklung und Persönlichkeitsbildung ermöglicht.

7

Der Kläger beantragt, nachdem er in der mündlichen Verhandlung seine Revision bezogen auf das ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 12 SO 119/09 geführte Verfahren zurückgenommen hat,

        

das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG - S 12 SO 33/09 - zurückzuweisen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)für eine abschließende Entscheidung fehlen.

11

Gegenstand des Verfahrens ist, nachdem der Kläger die Revision hinsichtlich der im ursprünglichen Verfahren S 12 SO 119/09 noch streitbefangenen Ansprüche zurückgenommen hat, nur noch der Bescheid vom 27.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11.2.2009 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte abgelehnt hat, die Kosten für die Anschaffung des Opel zu erstatten. Dagegen hat sich der Kläger bei zutreffender Auslegung seines Begehrens eigentlich mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1, § 56 SGG) gewandt, gerichtet auf Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hatte der Kläger allerdings lediglich den Antrag formuliert, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und den Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags zu verurteilen (kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsbescheidungsklage, § 54 Abs 1, § 131 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 3 SGG), wozu das SG den Beklagten auch verurteilt hat. Da der Kläger nicht in Berufung gegangen ist, ist eine weiter gehende Entscheidung nicht möglich.

12

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Anschaffung des Opel gegen den gemäß § 98 Abs 1, § 97 Abs 1 SGB XII örtlich und sachlich zuständigen Landkreis Neuwied als örtlichen Träger der Sozialhilfe(§ 3 Abs 2 SGB XII, § 1 Landesgesetz zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch SGB XII vom 22.12.2004 - Gesetz- und Verordnungsblatt 571; zur eigenständigen Prüfung des Landesrechts ist der Senat mangels Berücksichtigung durch das LSG befugt - vgl nur BSGE 103, 39 ff RdNr 12 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1; ob der Kreis nach § 3 Abs 1 AGSGB XII durch Satzung eine Verbandsgemeinde oder verbandsfreie Gemeinde zur eigenständigen Erledigung der Aufgaben der Sozialhilfe herangezogen hat, wird das LSG allerdings noch zu prüfen haben) ist § 19 Abs 3(idF, die die Norm durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - erhalten hat) iVm § 53 Abs 1 Satz 1 und § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII(beide idF, die die Normen durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten haben), § 55 SGB IX und § 8 Eingliederungshilfe-VO(idF, die die Norm durch das Gesetz vom 27.12.2003 erhalten hat; zur Unanwendbarkeit des § 15 Abs 1 Satz 4 SGB IX in diesen Fällen vgl: BSGE 103, 171 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 54 Nr 5; BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 20). Ob der Beklagte allgemein bestimmt hat, dass im Widerspruchsverfahren sozial erfahrene Dritte (§ 116 SGB XII) zu beteiligen sind (vgl § 12 AGSGB XII), mag das LSG hingegen noch verifizieren. Da sich der geltend gemachte Anspruch auf eine Geldleistung richtet, ist es rechtlich unerheblich, dass der Kläger den Opel schon vor Erlass des Ablehnungsbescheids gekauft hat; deshalb stehen §§ 2, 18 SGB XII (Nachrang der Sozialhilfe; Leistung erst ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers) einer Leistungsgewährung nicht entgegen (BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 21). Nur für die Frage, ob ein Leistungsanspruch besteht, ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entstehung (Fälligkeit) der Kosten (April 2008) abzustellen (BSG, aaO, RdNr 19). Einem Kostenerstattungsanspruch steht nicht entgegen, dass der Vater bzw die Eltern des Klägers die angefallenen Kosten bereits gezahlt hat bzw haben (dazu ausführlich BSGE 112, 67 ff RdNr 25 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1).

13

Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII, wonach Leistungen der Eingliederungshilfe - als gebundene Leistung(BSG SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25)- (nur) an Personen erbracht werden, die durch eine Behinderung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Denn der Kläger ist durch seine Gehbehinderung in seiner körperlichen (§ 53 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Nr 4 Eingliederungshilfe-VO)und durch die unvollständige Entwicklung seines Gehirns auch in seiner geistigen Funktion wesentlich (zur Wesentlichkeit vgl nur BSGE 112, 196 ff RdNr 14 mwN = SozR 4-3500 § 54 Nr 10) behindert (§ 2 Abs 1 SGB IX, § 2 Eingliederungshilfe-VO).

14

Ob er allerdings iS des § 8 Abs 1 Satz 2 Eingliederungshilfe-VO auf den Opel zur Eingliederung in die Gemeinschaft tatsächlich angewiesen ist, kann der Senat wegen fehlender tatsächlicher Feststellungen des LSG(§ 163 SGG)nicht abschließend beurteilen. Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden durch § 54 Abs 1 SGB XII iVm §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX und durch die auf der Ermächtigungsgrundlage des § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfe-VO konkretisiert. Die Hilfe zur Beschaffung eines Kfz wird nach § 8 Abs 1 Satz 1 Eingliederungshilfe-VO iVm Satz 2 in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung des Kfz angewiesen ist.

15

In Hinblick auf das bei jeder Eingliederungsmaßnahme zu prüfende Merkmal der Notwendigkeit (§ 4 Abs 1 SGB IX)ist dies nur zu bejahen, wenn das Kfz als grundsätzlich geeignete Eingliederungsmaßnahme unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele ist (BSGE 112, 67 ff RdNr 14 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1), die darin liegen (vgl § 53 Abs 3 Satz 1 SGB XII), eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und den behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Dabei ist dem behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder ihn so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 53 Abs 2 Satz 2 SGB XII, § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 55 Abs 1 SGB IX). In welchem Maß und durch welche Aktivitäten ein behinderter Mensch am Leben in der Gemeinschaft teilnimmt, ist abhängig von seinen individuellen Bedürfnissen unter Berücksichtigung seiner Wünsche (§ 9 Abs 2 SGB XII), bei behinderten Kindern der Wünsche seiner Eltern, orientiert am Kindeswohl nach den Umständen des Einzelfalls. Es gilt mithin ein individueller und personenzentrierter Maßstab, der regelmäßig einer pauschalierenden Betrachtung des Hilfefalls entgegensteht (BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22; SozR 4-5910 § 39 Nr 1 RdNr 25 f).

16

Danach war vorliegend die Anschaffung des Kfz zum Erreichen der Eingliederungsziele grundsätzlich geeignet. Denn der Kläger benötigte ein Kfz, um mehrmals die Woche an einem therapeutischen Reiten teilzunehmen, regelmäßig Ausflüge in den Park zu unternehmen und Verwandten- und Bekanntenbesuche durchzuführen, Kultur- und Sportveranstaltungen sowie den Gottesdienst zu besuchen und seine Eltern bei Einkäufen und sonstigen Erledigungen zu begleiten. Ob Fahrten zum Einkaufen auch ohne den Kläger hätten durchgeführt werden können oder die Fahrten in ihrer Häufigkeit nicht denen mit nicht behinderten Kindern entsprachen, ist entgegen der Auffassung des LSG im Hinblick auf den anzulegenden individuellen Maßstab ohne Belang. Insbesondere ist hinsichtlich des Vergleichsmaßstabs für den Umfang der gesellschaftlichen Kontakte hier der Umstand wesentlich zu beachten, dass der Kläger wegen der Schwere seiner Behinderung keinen Kindergarten und keine Schule besuchen konnte, ihm also lediglich Aktivitäten außerhalb dieses gesellschaftlichen Bereichs verblieben, um überhaupt am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Deshalb können Einkaufsfahrten oder regelmäßige Besuche von Verwandten und Freunden zur Teilhabe erforderlich gewesen sein, wenn auf andere Art und Weise ein Erleben von üblichen gesellschaftlichen Kontakten mit Menschen außerhalb der Familie und das Erlernen von entsprechenden Umgangsformen und Verhaltensweisen nicht hinreichend möglich waren und die Fahrten gerade deshalb mit dem Kläger unternommen wurden. Insoweit gingen seine zu berücksichtigenden Teilhabebedürfnisse über die eines nicht behinderten nicht sozialhilfebedürftigen Kindes gleichen Alters - das die maßgebliche Vergleichsgruppe darstellt - hinaus. Die Auffassung des LSG, der Kläger hätte sich mit einer Integration in das nähere häusliche Umfeld begnügen müssen, für die kein Kfz benötigt werde, steht mit dem anzulegenden Prüfungsmaßstab nicht in Einklang. Ebenso wenig muss sich der Kläger darauf verweisen lassen, ihm habe zu Hause ein Therapieraum zur Verfügung gestanden, der neben anderen Leistungen sog ambulanter Hilfe (zB Frühförderung, sonstiger Umbaumaßnahmen) eine Förderung seiner Entwicklung zugelassen habe. Ohnedies ist nicht erkennbar, inwieweit diese Hilfen überhaupt auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gerichtet waren. Wie ausgeführt, bestimmen zudem nicht die Vorstellungen des Beklagten die Reichweite und Häufigkeit der Teilhabe des behinderten Menschen, sondern dessen angemessene Wünsche; für eine "Saldierung" von Leistungen existiert keine Rechtsgrundlage. Irrelevant ist außerdem, ob von dritter Seite, zB der Krankenkasse, eine bestimmte Zahl von Fahrten mit dem eigenen Kfz finanziert wurde, weil dies die Regelmäßigkeit der übrigen Fahrten nicht berührt und auf deren Notwendigkeit keinen Einfluss hat. Der Senat setzt sich damit auch nicht in Widerspruch zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der das Angewiesensein auf ein Kfz eine ständige, nicht nur vereinzelte oder nur gelegentliche Nutzung voraussetzen soll (BVerwGE 55, 31, 33; 111, 328, 330 f).

17

Es fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen des LSG dazu (§ 163 SGG), ob die Anschaffung des Opel unentbehrlich zum Erreichen der Eingliederungsziele war oder ob andere Möglichkeiten als die Benutzung eines Kfz zur Verwirklichung der Teilhabeziele zumutbar hätten genutzt werden können. Das Angewiesensein auf ein Kfz wäre nämlich dann zu verneinen, wenn die Teilhabeziele mit dem öffentlichen Personennahverkehr und ggf unter ergänzender Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes zumutbar hätten verwirklicht werden können. Dabei wird neben regelmäßigen Verkehrszeiten zB auch die praktische Möglichkeit der Benutzung des Verkehrsmittels mit einem Rollstuhl zu berücksichtigen sein. Sollten die Ermittlungen ergeben, dass entsprechende Alternativen nicht oder nicht ausreichend bestanden haben, war der Kläger auf ein Kfz angewiesen.

18

In diesem Fall könnte dem Anspruch auf Kostenerstattung allerdings noch entgegenstehen, dass im Zeitpunkt der Anschaffung des Opel bereits ein (Familien-)Fahrzeug vorhanden war, mit dem der Vater zwar seinen Weg zur Arbeit zurücklegte, das aber nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) unter der Woche an zwei bis drei Tagen sowie am Wochenende für Dienstfahrten nicht benötigt wurde. Dass dieses Fahrzeug nicht im Eigentum des Klägers stand, ist unerheblich. Es ist eine Gesamtbetrachtung der Verhältnisse der Einstandsgemeinschaft geboten. Der Kläger war nämlich schon rein tatsächlich auch bei einem aus Sozialhilfemitteln angeschafften Kfz, immer auf die Unterstützung der Eltern zur Erreichung der Teilhabeziele angewiesen, weil er das Fahrzeug selbst gar nicht führen konnte. Dies entspricht dem Regelungskonzept des SGB XII, das ua in § 16 SGB XII mit dem Gebot familiengerechter Leistungen und in § 19 Abs 3 SGB XII zum Ausdruck kommt, wonach bei minderjährigen Kindern auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern abzustellen ist(dazu gleich). Das umfassende Prinzip familiärer Solidarität mit der Pflicht zu Beistand und Rücksicht ist auch Grundlage der gesamten Ausgestaltung des Eltern-Kind-Verhältnisses im Bürgerlichen Gesetzbuch - BGB - (vgl § 1618a BGB; dazu Palandt, BGB, 73. Aufl 2014, § 1618a RdNr 1).

19

Sollte das Fahrzeug seiner Größe und Beschaffenheit nach - ggf nach einem behindertengerechten Umbau (§ 9 Abs 2 Nr 11 Eingliederungshilfe-VO) - geeignet gewesen sein, damit auch den Kläger zu transportieren und durfte es - falls es sich um ein Dienstfahrzeug gehandelt hat - auch privat genutzt werden, wäre der Kläger weiterhin auf ein Kfz, nicht aber auf das Kfz (den Opel) angewiesen gewesen, für dessen Anschaffung er die Erstattung der Kosten begehrt. Denn er hätte wie Familien der maßgeblichen Vergleichsgruppe dann darauf verwiesen werden können, Termine so zu legen, dass das regelmäßig unter der Woche und an den Wochenenden zur Verfügung stehende Kfz für die Verwirklichung seiner Teilhabeziele eingesetzt wird, sollte dies auch behinderungsbedingt möglich gewesen sein und es zB keine Überforderung des Klägers mit sich gebracht haben, wenn verschiedene Termine auf einen Tag hätten gelegt werden müssen.

20

War das Kfz des Vaters hingegen nicht für Fahrten mit dem Kläger geeignet oder - wenn es sich um ein Dienstfahrzeug handelte - die private Nutzung nicht zugelassen, hätte der Beklagte ggf verlangen können, dass das vorhandene, nicht behindertengerechte Fahrzeug verkauft werde, um den Erlös zur Anschaffung eines angemessenen, behindertengerechten Fahrzeugs einzusetzen und damit das Teilhabeziel gleichermaßen zu erreichen. In diesem Fall hätte der Beklagte anstelle des Zuschusses nach § 8 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO im Rahmen seines Ermessens gemäß § 8 Abs 2 Eingliederungshilfe-VO, der eine Ausprägung des Nachranggrundsatzes(§ 2 SGB XII) ist, Leistungen (ggf nur teilweise) als Darlehen zu gewähren brauchen. Der Verkauf des Fahrzeugs hätte insoweit eine Art der zumutbaren Selbsthilfe dargestellt.

21

Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger bedürftig war. Nach § 19 Abs 3 SGB XII ist Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nur zu leisten, soweit den Leistungsberechtigten und, wenn sie - wie hier der Kläger - minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach dem 11. Kapitel des SGB XII nicht zuzumuten ist, wozu bislang ebenfalls noch keine Feststellungen getroffen worden sind. Diese sind nicht entbehrlich, denn es handelt sich bei den Kosten für die Anschaffung des Opel nicht um eine privilegierte Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach § 92 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB XII(zum Verhältnis von § 92 Abs 1 und Abs 2 Senatsurteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R -, BSGE 110, 301 ff RdNr 28 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8). Hierfür wären spezifische, an der Person des behinderten Menschen ansetzende Maßnahmen notwendig, auf die die Hilfen ausgerichtet sein müssten; darüber hinaus müsste der Schwerpunkt der Hilfen bei spezifischen Bildungszielen liegen (ausführlich Senatsurteil vom 20.9.2012 - B 8 SO 15/11 R -, BSGE 112, 67 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 92 Nr 1). An einem derartigen Personenbezug fehlt es aber bei der Hilfe zur Beschaffung eines Kfz.

22

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

1. Es ist mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar, dass für Betreute, denen schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen drohen und die die Notwendigkeit der erforderlichen ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, eine ärztliche Behandlung gegen ihren natürlichen Willen unter keinen Umständen möglich ist, sofern sie zwar stationär behandelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind.

2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, unverzüglich eine Regelung für diese Fallgruppe zu treffen.

3. Bis zu einer solchen Regelung ist § 1906 Absatz 3 Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung von Artikel 1 Nummer 3 des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (Bundesgesetzblatt I Seite 266) auch auf stationär behandelte Betreute anzuwenden, die sich einer ärztlichen Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können.

Gründe

A.

1

Der Bundesgerichtshof begehrt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber, ob § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, soweit er für eine ärztliche Zwangsmaßnahme auch bei Betroffenen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt, welche nach gefestigter Rechtsprechung in diesen Fällen nicht angeordnet werden darf.

I.

2

1. a) Durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft für Volljährige (Betreuungsgesetz), das zum 1. Januar 1992 in Kraft getreten ist (BGBl I 1990, S. 2002), wird das Ziel verfolgt, die Rechtsstellung psychisch kranker und behinderter Volljähriger unter Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten zu verbessern.

3

Wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (vgl. § 1896 Abs. 1 BGB). Das Gesetz regelt die Bestellung des Betreuers (§§ 1896 ff. BGB), den Umfang der Betreuung (§§ 1901 ff. BGB) und macht bestimmte Maßnahmen von der Genehmigung des Betreuungsgerichts abhängig (§§ 1904 ff. BGB).

4

Soweit eine Betreuung nach § 1896 BGB für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge angeordnet ist, hat der Betreuer die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen und gegebenenfalls auch Einwilligungen in notwendige Heilbehandlungen zu geben (§ 1901 BGB). Die Angelegenheiten des Betreuten sind dabei so zu besorgen, wie es seinem Wohl entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten (§ 1901 Abs. 2 BGB). Der Betreuer hat Wünschen des Betreuten zu entsprechen, soweit dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft und dem Betreuer zuzumuten ist. Dies gilt auch für Wünsche, die der Betreute vor der Bestellung des Betreuers geäußert hat, es sei denn, dass er an diesen Wünschen erkennbar nicht festhalten will (§ 1901 Abs. 3 BGB). Sofern für das Ob und Wie bestimmter Heilmaßnahmen ein freier Wille des Betreuten - etwa durch Patientenverfügung nach § 1901a BGB - feststellbar ist, ist dieser auch für den Betreuer maßgeblich.

5

Die Einwilligung des Betreuers in besonders risikoreiche ärztliche Maßnahmen (vgl. § 1904 Abs. 1 Satz 1 BGB) bedarf der Genehmigung durch das Betreuungsgericht; ebenso die Versagung der Einwilligung durch den Betreuer in dringend notwendige Maßnahmen (vgl. § 1904 Abs. 2 BGB). § 1904 BGB erfasst in beiden Fällen aber nur Konstellationen, in denen ein entgegenstehender Wille des Betreuten nicht feststellbar ist oder der mit der Einwilligung des Betreuers in Einklang stehende Wille des Betreuten feststeht (vgl. § 1904 Abs. 3 BGB).

6

Ärztliche Behandlungen gegen den natürlichen Willen von Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung deren Notwendigkeit nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, sind ausschließlich auf der Grundlage des § 1906 BGB und damit nur bei nach § 1906 Abs. 1 BGB freiheitsentziehend untergebrachten Betreuten möglich. Die früher strittige Frage, ob auf der Grundlage von §§ 1896, 1901 BGB ärztliche Zwangsmaßnahmen auch für Betreute, die nicht freiheitsentziehend untergebracht sind, durch eine Einwilligung des Betreuers ermöglicht werden könnten (sog. ambulante Zwangsbehandlungen), ist durch den Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11. Oktober 2000 (XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297 <306 ff.>) verneinend entschieden worden. Dies ist die seither gefestigte Rechtsprechung (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - juris, Rn. 21, 25). Der Bundesgerichtshof hat die Ablehnung der Zulässigkeit einer ambulanten Zwangsbehandlung nach geltendem Recht damit begründet, dass es an der verfassungsrechtlich unverzichtbaren förmlichen Gesetzesgrundlage hierfür fehle. Der Versuch, eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung für die ambulante Zwangsbehandlung einzuführen, sei im Gesetzgebungsverfahren gescheitert (Hinweis auf BTDrucks 15/4874, S. 8 <25 f.>).

7

Die erforderliche gesetzliche Ermächtigung für eine Zwangsbehandlung findet sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im Bereich der zivilrechtlichen Betreuung ausschließlich in § 1906 BGB (vgl. BGHZ 145, 297 <310>; 193, 337; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 f.>; Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 - Vorlagebeschluss, juris, Rn. 27).

8

b) Der durch das Betreuungsgesetz - BtG - im Jahr 1992 eingeführte § 1906 BGB hatte folgenden Wortlaut:

§ 1906 - in der Fassung von 1992 -

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.

(3) Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

9

Spätere Änderungen bis zu der bis zum 25. Februar 2013 geltenden Fassung hatten keine inhaltlichen Änderungen der Absätze 1 - 4 zum Gegenstand.

10

2. Der Bundesgerichtshof ging zunächst in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB eine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine ärztliche Behandlung gegen den natürlichen Willen im Rahmen einer freiheitsentziehenden Unterbringung biete (vgl. bspw. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006 - XII ZB 236/05 -, juris). Zur Begründung stellte er unter Berufung auf die Begründung des Regierungsentwurfs zur Einführung des Betreuungsrechts (BTDrucks 11/4528, S. 72, 141) darauf ab, dass mit dem neuen Betreuungsgesetz (vom 12. September 1990 BGBl I S. 2002), die grundsätzliche Befugnis des Betreuers zur Einwilligung in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff des Einwilligungsunfähigen nicht habe in Frage gestellt werden sollen. Nicht einwilligungsfähige Betreute dürften nicht von solchen Maßnahmen ausgeschlossen werden, weil ansonsten ihre gesundheitliche Versorgung und damit ihr Wohl an ihrer mangelnden Einsichts- oder Urteilsfähigkeit scheitern würde. Aus dem gleichen Grunde seien durch die Neuregelung auch Zwangsbehandlungen nicht generell verboten worden.

11

In der vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen Begründung zum Regierungsentwurf des Betreuungsgesetzes (BTDrucks 11/4528, S. 72) heißt es in diesem Zusammenhang:

Wer auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt, dem soll nicht schon deshalb die Behandlung versagt werden. So soll eine lebensnotwendige Operation eines Betreuten nicht daran scheitern, dass dieser sich krankheitsbedingt hiergegen wehrt, weil er der Auffassung ist, man wolle ihn durch die Operation ermorden. Der Entwurf sieht deshalb ein Verbot von Zwangsbehandlungen, zwangsweisen Untersuchungen oder zwangsweisen ärztlichen Eingriffen grundsätzlich nicht vor.

12

Allerdings wurde ganz bewusst von einer ausdrücklichen Regelung der Zwangsbehandlung abgesehen. So findet sich in der Einzelbegründung zu § 1904 BGB-E folgender Passus (BTDrucks 11/4528, S. 141):

Der Entwurf enthält keine allgemeinen Regelungen über Zwangsbehandlungen. Zwangsbehandlungen Einwilligungsunfähiger werden vom Entwurf nicht grundsätzlich verboten. Wer auf Grund seiner psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung seine Behandlungsbedürftigkeit nicht erkennen kann und eine Behandlung deshalb ablehnt, dem soll nicht schon deshalb die Behandlung versagt werden. So wäre es nicht zu verantworten, eine Blinddarmoperation am Betreuten deshalb zu verweigern, weil dieser auf Grund einer wahnhaften Vorstellung der Überzeugung ist, keinen Blinddarm mehr zu besitzen, und daher den lebensnotwendigen Eingriff ablehnt. Zwangssterilisationen sind allerdings generell untersagt; […].

13

3. Außerhalb einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB hielt der Bundesgerichtshof ärztliche Zwangsmaßnahmen (ambulante Zwangsmaßnahmen) hingegen mangels Rechtsgrundlage nicht für zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 - BGHZ 145, 297; vgl. ausführlich hierzu Kirsch, Rechtsgrundlagen der stationären und ambulanten psychiatrischen Zwangsbehandlung im Betreuungsrecht, 2010, S. 130 ff., 180 ff.). In Reaktion auf diese Rechtsprechung schlug der Bundesrat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (BTDrucks 15/2494, S. 7, 30) mit am 12. Februar 2002 vorgelegten Gesetzentwurf (BRDrucks 865/03, S. 54 f.) vor, eine Rechtsgrundlage für die zwangsweise Zuführung des Betreuten zu ambulanten ärztlichen Heilbehandlungen zu schaffen.

14

Dieser Vorschlag wurde nicht Gesetz. Der Rechtsausschuss des Bundestags strich die hierzu vorgesehene Regelung nach der Stellungnahme der Bundesregierung und dem Ergebnis der Sachverständigenanhörung (vgl. BTDrucks 15/4874, S. 27). Er war im Gesetzgebungsverfahren zu der Überzeugung gelangt, die ambulante Zwangsbehandlung sei nicht als weniger einschneidender Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen anzusehen, sondern als ein anders gelagerter Eingriff (Protokoll der 49. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, 26. Mai 2004, S. 76; so bereits auch BGH, FamRZ 2001, S. 149). Die ambulante Zwangsbehandlung wurde insbesondere unter dem Blickwinkel der Anlasserkrankung, also der psychischen Erkrankung, wegen der die Betreuung eingerichtet wurde, betrachtet und kritisch gesehen, da die im Gesetzgebungsverfahren angehörten psychiatrischen Sachverständigen Bedenken gegen ambulante Zwangsbehandlungen in diesem Bereich hatten. Hauptsächlich argumentierten sie damit, dass die Behandlung der psychischen Erkrankung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patienten und Therapeuten erfordere. Eine immer wieder erfolgende zwangsweise Vorführung des Betroffenen zur Behandlung laufe diesem konsensualen Ansatz zuwider (Protokoll der 49. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 15. Wahlperiode, 26. Mai 2004, S. 72, 76; so auch bereits BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000 - XII ZB 69/00 -, FamRZ, 2001 S. 149).

15

4. Nachdem das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 23. März 2011 zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entschieden hatte, dass die wesentlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung klarer und bestimmter gesetzlicher Vorgaben bedürfen (vgl. BVerfGE 128, 282), gab der Bundesgerichtshof seine bislang zur Zulässigkeit medizinischer Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht auf der Grundlage von § 1906 Abs. 1 BGB in der Fassung von 1992 vertretene Rechtsprechung auf und vertrat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nun die Auffassung, es fehle hierfür an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage, weshalb ein Betreuer auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlungen veranlassen dürfe (BGH, Beschluss vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 -, BGHZ 193, 337 <353>).

16

5. Der Gesetzgeber reagierte auf diese Rechtsprechungsänderung durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266), durch welches neben anderen Änderungen die Absätze 3 und 3a in § 1906 BGB eingefügt wurden. § 1906 BGB lautet seit dem 25. Februar 2013 in der bis heute geltenden Fassung:

§ 1906 - in der Fassung von 2013 -

Genehmigung des Betreuungsgerichts bei der Unterbringung

(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil

1. auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder

2. zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

(2) Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen. Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

(3) Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer 2 dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in sie nur einwilligen, wenn

1. der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann,

2. zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,

3. die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach Absatz 1 zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden,

4. der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und

5. der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.

§ 1846 ist nur anwendbar, wenn der Betreuer an der Erfüllung seiner Pflichten verhindert ist.

(3a) Die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme bedarf der Genehmigung des Betreuungsgerichts. Der Betreuer hat die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme zu widerrufen, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. Er hat den Widerruf dem Betreuungsgericht anzuzeigen.

(4) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne untergebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.

(5) Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4 setzen voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1, 3 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst. Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

17

Mit der Einfügung der Absätze 3 und 3a verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechende Regelung zu schaffen, mit der die bis zu den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012 bestehende Rechtspraxis möglichst nah abgebildet werden sollte. So wird in der Begründung zum Gesetzesentwurf ausgeführt: "Der Entwurf einer Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme bildet damit unter Achtung der verfassungsgerichtlichen Anforderungen die bis zu den jüngsten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs bestehende Rechtslage möglichst nah ab. Dazu zählt, dass eine Zwangsbehandlung nur im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Absatz 1 BGB erfolgen kann. Wie die Unterbringung selbst bedarf auch die Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme der gerichtlichen Genehmigung und unterliegt denselben strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen. Die strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Anforderungen werden damit auch die Selbstbestimmung der Betreuten stärken." (BTDrucks 17/11513, Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme, S. 1 f.; in der Sache ebenso Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf, BTDrucks 17/12086, S. 1).

II.

18

1. Die 63-jährige Betroffene des Ausgangsverfahrens litt unter einer schizoaffektiven Psychose. Sie stand deswegen seit Ende April 2014 unter Betreuung unter anderem auch für den Aufgabenkreis der Sorge für die Pflege und Gesundheit einschließlich der Zustimmung zu ärztlichen Maßnahmen und Behandlungen sowie der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung oder unterbringungsähnliche Maßnahmen.

19

Anfang September 2014 wurde die Betroffene kurzzeitig in eine Pflegeeinrichtung aufgenommen. Dort lehnte sie es ab, die zur Behandlung einer Autoimmunerkrankung verordneten Medikamente einzunehmen, verweigerte die Essensaufnahme und äußerte Suizidabsichten. Ab Mitte September 2014 befand sich die Betroffene mit richterlicher Genehmigung auf einer geschlossenen Demenzstation in einem Klinikum. Auf der Grundlage mehrerer betreuungsgerichtlicher Beschlüsse wurde sie im Wege ärztlicher Zwangsmaßnahmen wegen der Autoimmunerkrankung, wegen einer Schilddrüsenunterfunktion und wegen ihrer psychischen Erkrankung medikamentös behandelt. Die Medikamente wurden - wie auch die Nahrung - mittels einer ebenfalls als ärztliche Zwangsmaßnahme gelegten Magensonde verabreicht. Es wurden dort auch weitere Untersuchungen (Stanzbiopsie) hinsichtlich einer vermuteten Krebserkrankung durchgeführt. Diese bestätigten den Verdacht eines - noch nicht durchgebrochenen - Mammakarzinoms.

20

Die Betroffene war zu diesem Zeitpunkt körperlich stark geschwächt, konnte nicht mehr gehen und sich auch nicht selbst mittels eines Rollstuhls fortbewegen. Geistig war sie in der Lage, ihren natürlichen Willen auszudrücken. Auf richterliche Befragung äußerte sie wiederholt, sie wolle sich nicht wegen der Krebserkrankung behandeln lassen. Weder wolle sie eine Operation noch eine Chemotherapie.

21

2. Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 beantragte die Berufsbetreuerin, die Unterbringungsgenehmigung für die Betroffene zu verlängern und ärztliche Zwangsmaßnahmen, insbesondere zur Behandlung des Brustkrebses (Brustektomie, Brustbestrahlung, Knochenmarkspunktion zur weiteren Diagnostik), aber auch zur Fortsetzung der medikamentösen Therapie der weiteren Erkrankungen zu genehmigen.

22

3. Das Amtsgericht wies den Antrag auf Unterbringung und Zwangsbehandlung zurück. Bei der Betroffenen liege zwar eine psychische Krankheit vor, die sie daran hindere, in die erforderlichen ärztlichen Heilbehandlungen einzuwilligen. Eine Unterbringung sei aber nicht erforderlich, da die beantragten Heilbehandlungen und ärztlichen Eingriffe auch im Rahmen einer offenen Einrichtung erfolgen könnten.

23

4. Das Landgericht wies die Beschwerde der Betreuerin zurück und ließ die Rechtsbeschwerde zu.

24

In tatsächlicher Hinsicht unterstellte es zunächst, dass die von der Betreuerin am 20. Januar 2015 zur Genehmigung beantragten ärztlichen Eingriffe zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens notwendig seien und die Betroffene auf Grund ihrer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln könne.

25

Weiter führte das Landgericht aus, das Amtsgericht habe zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung verneint, weil alle zur Genehmigung beantragten ärztlichen Maßnahmen auch ohne eine Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung durchgeführt werden könnten. Eine Freiheitsentziehung im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB sei vorliegend aus tatsächlichen Gründen nicht notwendig und damit nicht erforderlich.

26

§ 1906 Abs. 1 BGB gehe von einem engen Begriff der mit der Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aus. Eine Freiheitsentziehung sei im Sinne dieser Vorschrift nur dann erforderlich und dürfe deshalb auch nur dann angeordnet werden, wenn sich der Betroffene ohne die die Freiheit einschränkenden Vorkehrungen der Örtlichkeit räumlich entziehen könne, wenn also überhaupt die Möglichkeit zur Fortbewegung bestehe. Vorliegend sei die Unterbringung der Betroffenen nicht notwendig und damit auch nicht erforderlich im Sinne des § 1906 Abs. 1 BGB. Die Betroffene sei bettlägerig und nicht in der Lage, sich selbständig aus dem Bett zu bewegen oder zu gehen. Im Liegerollstuhl könne sie sich nicht selbständig fortbewegen. Sie zeige auch keine Weglauftendenzen, indem sie beispielsweise andere Leute beauftrage, sie an einen anderen Ort zu verbringen.

27

Die Zwangsbehandlung sei vom Gesetzgeber nur im Rahmen der geschlossenen Unterbringung im Sinne von § 1906 Abs. 1 BGB zugelassen worden. Ohne eine genehmigte freiheitsentziehende Unterbringung sei eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3, 3a BGB nicht zulässig.

28

5. Die Betreuerin erhob namens der Betroffenen Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof.

III.

29

1. Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung vom 18. Februar 2013 mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, soweit er für die Einwilligung des Betreuers in eine stationär durchzuführende ärztliche Zwangsmaßnahme auch bei Betroffenen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder körperlich hierzu nicht in der Lage sind, voraussetzt, dass die Behandlung im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB erfolgt.

30

a) Der Vorlagebeschluss sei zulässig, obwohl die Vorinstanzen den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt hätten. Es sei zu unterstellen, dass die ärztlichen Eingriffe und Untersuchungen, für die die Betreuerin um eine gerichtliche Genehmigung nach § 1906 Abs. 3a BGB nachgesucht hatte, erforderlich seien, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB) und die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen beziehungsweise nach dieser Einsicht handeln könne (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB).

31

b) Die Kopplung der Zulässigkeit einer ärztlichen Zwangsmaßnahme an eine freiheitsentziehende Unterbringung auch für Fallgestaltungen, in denen sich Betroffene einer solchen Maßnahme räumlich nicht entziehen wollten oder könnten, verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

32

Die Unterbringung zur Durchführung einer Untersuchung des Gesundheitszustands, einer Heilbehandlung oder eines ärztlichen Eingriffs gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlange nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig sei. Vielmehr müsse die freiheitsentziehende Unterbringung ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden könne. Sie sei in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" - entziehen würde.

33

Der Bundesgerichtshof habe in seiner früheren Rechtsprechung (Bezugnahme auf BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>) der Vorschrift des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die Rechtsgrundlage für die Durchführung notwendiger medizinischer Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen des Betroffenen entnommen. Er habe dabei den engen Unterbringungsbegriff zugrunde gelegt und daher die erzwungene Einnahme von Medikamenten nicht losgelöst von der Frage, wo sich diese Zwangsbehandlung vollziehe, rechtlich als eine freiheitsentziehende Unterbringung angesehen. Dies habe er mit dem Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB und mit dem Zweck der Vorschrift begründet. Dabei habe er auch wiederholt darauf hingewiesen, dass diese enge Auslegung des Begriffs der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung zu einer Begrenzung der Möglichkeit führe, Betroffene gegen ihren Willen einer medizinischen Behandlung zu unterziehen (vgl. BGHZ 145, 297 <310>; 193, 337; BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>).

34

Nachdem der Bundesgerichtshof mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug seine Auffassung, wonach Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungsfähig seien, aufgegeben und auf das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage hingewiesen habe, habe der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 in die Vorschrift des § 1906 BGB die neuen Absätze 3 und 3a eingefügt. Dabei habe der Gesetzgeber ausdrücklich lediglich die bis zur Rechtsprechungsänderung des Bundesgerichtshofs bestehende Rechtslage möglichst nahe abbilden und eine Rechtsgrundlage für die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB schaffen wollen. Dies lasse alleine den Schluss zu, dass die gesetzliche Regelung der Zulässigkeit ärztlicher Zwangsmaßnahmen nicht zu Änderungen an dem § 1906 Abs. 1 BGB zu Grunde liegenden engen Unterbringungsbegriff führen sollte, sondern dieser nach wie vor für die Anwendung der Vorschrift maßgeblich sein solle.

35

Die neu geschaffene Regelung in § 1906 Abs. 3 BGB sei nicht nur als Eingriffsnorm zu verstehen, da sie als Bestandteil des staatlichen Erwachsenenschutzes ebenso eine Begünstigung darstelle. Die Betroffenen auszunehmen, bei denen es einer stationär durchzuführenden ärztlichen Maßnahme bedürfe, die sich aber räumlich nicht entziehen wollen und/oder können, erfordere eine hinreichende Rechtfertigung. An einer hinreichenden Rechtfertigung fehle es, so dass das Gesetz gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

36

Diese Schutzlücke für immobile Betroffene werde auch nicht durch andere vom Gesetz eröffnete Möglichkeiten geschlossen. Das auf den Fall des Vorlageverfahrens anzuwendende baden-württembergische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG) greife schon deshalb nicht zugunsten von Betroffenen ein, die sich räumlich nicht aus einem stationären Rahmen entfernen wollen oder können, weil § 20 Abs. 3 PsychKHG eine Zwangsbehandlung ebenfalls nur bei einer geschlossenen Unterbringung vorsehe. Auch der rechtfertigende Notstand nach § 34 StGB, der einer ohne die Einwilligung des Patienten oder gar gegen dessen Willen erfolgenden ärztlichen Behandlung gegebenenfalls die Rechtswidrigkeit nehmen könne, lasse die Notwendigkeit der Aufnahme von Betroffenen, die sich räumlich nicht aus dem stationären Raum bewegen wollten oder könnten, in den Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 3 BGB nicht entfallen. Die im Rahmen des § 34 StGB in jedem Einzelfall vorzunehmende schwierige Interessenabwägung könne die vom Gesetzgeber zu treffende Festlegung der Voraussetzungen, unter denen eine ärztliche Zwangsmaßnahme zulässig sei, nicht ersetzen. Außerdem biete § 34 StGB nicht die angesichts der betroffenen grundrechtlichen Belange gebotene Rechtssicherheit.

37

Der Bundesgerichtshof ließ in seiner Vorlage ausdrücklich offen, ob der Gesetzgeber eine Verpflichtung aus grundrechtlichen Schutzpflichten hat, die gesetzlichen Voraussetzungen für ärztliche Zwangsmaßnahmen zu schaffen.

38

2. Die Betroffene ist während des anhängigen Vorlageverfahrens verstorben.

IV.

39

Zu der Vorlage haben die Bundesnotarkammer, der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V., der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V., der Bundesverband der Berufsbetreuer/innen e.V., der Deutsche Notarverein e.V., die Aktion psychisch Kranke Vereinigung zur Reform der Versorgung psychisch Kranker e.V., die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V., der AWO Bundesverband e.V., die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutsche Caritasverband e.V., die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. und der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. Stellung genommen.

40

1. Ganz überwiegend wird die Auffassung vertreten, § 1906 Abs. 3 BGB verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil die Norm jedenfalls auch begünstigend sei und für den Ausschluss der von der Begünstigung nicht erfassten immobilen Betreuten keine Rechtfertigung ersichtlich sei. Teilweise wird zudem von der Verletzung weiterer Grundrechte ausgegangen.

41

a) Die Bundesnotarkammer hält es für wenig überzeugend, sollte man bei der Entscheidung über ärztliche Zwangsmaßnahmen nach dem individuellen Grad der Mobilität differenzieren müssen. Für die begrenzte Zulassung auch ambulanter Zwangsbehandlungen spreche, dass zur Erreichung des Ziels, die schon im stationären Umfeld befindliche Person zu schützen, dem in der Zwangsbehandlung liegenden Grundrechtseingriff nicht noch die Unterbringung als weiteren Eingriff vorangestellt werden müsste.

42

b) Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. sieht in der derzeitigen Rechtslage, bei Menschen, die sich nicht selbständig fortbewegen können, stationäre ärztliche Zwangsmaßnahmen nicht anordnen zu können, eine unzulässige Ungleichbehandlung.

43

c) Auch der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit § 1906 Abs. 3 BGB eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur erlaube, wenn eine Unterbringung des Betroffenen erforderlich sei.

44

d) Nach der Auffassung des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen e.V. stellt es einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 und Art 3 Abs. 1 GG dar, die Gruppe von Menschen, die sich einem Klinikaufenthalt aufgrund ihrer schlechten körperlichen Verfassung nicht entziehen können, nicht gegen deren Willen behandeln zu können.

45

e) Der Deutsche Notarverein e.V. gelangt in seiner Stellungnahme zu dem Ergebnis, § 1906 Abs. 3 BGB verstoße gegen Art. 2 Abs. 1 und gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Verknüpfung der Zwangsbehandlung mit der Unterbringung laufe im Gesetzesvollzug allzu leicht auf eine Freiheitsentziehung hinaus, die unverhältnismäßig sei und auch gegen Art. 2 GG verstoße, da sie nur angeordnet werde, um eine Zwangsbehandlung durchführen zu können. Es gelte der Grundsatz, dass der Staat einen Menschen, der nicht selbstbestimmte und eigenverantwortliche Entscheidungen treffen könne, vor sich selbst schützen müsse. Diese Schutzpflicht werde durch die geltende Regelung des § 1906 BGB nur gegenüber einem Teil der Betroffenen, nämlich den "Fluchtfähigen" wahrgenommen. Hierin liege eine den Gleichheitssatz verletzende Unterlassung, denn zwischen der begünstigten Gruppe und den Fluchtunfähigen bestünden keine erheblichen Unterschiede, die die ungleiche Behandlung rechtfertigten.

46

f) Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. sieht durch § 1906 Abs. 3 BGB sowohl Art. 3 Abs. 1 als auch Art. 3 Abs. 3 GG verletzt.

47

g) Auch der AWO Bundesverband e.V. vertritt die Auffassung, es gebe keinen rechtfertigenden Grund für eine Ungleichbehandlung der beiden Personengruppen.

48

h) Die Bundesrechtsanwaltskammer hält die Vorlage des Bundesgerichtshofs für zulässig und begründet. § 1906 Abs. 3 BGB sei nicht nur eine belastende sondern auch eine begünstigende Norm. Es sei kein Grund erkennbar, denjenigen Menschen, die sich der Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder körperlich nicht dazu in der Lage seien, die Behandlung vorzuenthalten, die untergebrachte Betreute erhielten. Die Verfassungswidrigkeit der Norm könne auch nicht durch eine erweiternde, verfassungskonforme Auslegung von § 1906 Abs. 3 BGB überwunden werden. Dem sei bereits durch den eindeutigen Wortlaut eine Grenze gesetzt. Dies folge aber auch aus dem Willen des Gesetzgebers, der in der Gesetzesbegründung deutlich gemacht habe, die Regelung solle ausschließlich für untergebrachte betreute Personen gelten.

49

2. Die Aktion psychisch Kranke Vereinigung zur Reform der Versorgung psychisch Kranker e.V. geht zwar auch davon aus, dass Menschen, die den Behandlungsort nicht aus eigener Kraft verlassen könnten oder wollten, denselben Schutzanspruch hätten wie solche, die sich noch fortbewegen könnten. Das Recht auf Schutz und Behandlung dürfe nicht vorenthalten werden, weil mangels eines formalen Unterbringungsgrundes nicht untergebracht werden könne. Anders als der Bundesgerichtshof meine, habe der Gesetzgeber aber nicht den engen Unterbringungsbegriff verwenden wollen. Es fehle an einer Legaldefinition des Begriffs der Unterbringung. Nach Auffassung des Verbands beginne die Unterbringung schon dann, wenn jemand gegen seinen Willen an einem Ort festgehalten werde. Die enge Auslegung des Unterbringungsbegriffs, der die Unterbringung an einen Freiheitsentzug knüpfe, sei ungeeignet, da sie zu einer unzulässigen Ungleichbehandlung führe und das Leben und die Gesundheit hilfsbedürftiger Menschen aufs Spiel setze. § 1906 Abs. 3 BGB wäre mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn ein weiter Unterbringungsbegriff zugrunde gelegt würde.

50

3. Auch der Deutsche Caritasverband e.V. ist der Auffassung, mobile und immobile Betroffene seien in ihrem Schutzbedürfnis wesentlich gleich. Das Unterscheidungskriterium sei die Möglichkeit, sich der Behandlung entziehen zu können. Es sei aber fraglich, ob die immobile Personengruppe benachteiligt sei, da gerade ihrem Selbstbestimmungsrecht Rechnung getragen werde. Zwar werde durch den Hinweis des Bundesgerichtshofs auf die Schutzfunktion des § 1906 Abs. 3 BGB auf die begünstigende Wirkung abgestellt. Es müssten aber eben die eingreifende und die schützende Dimension beachtet werden. Wenn man gleichwohl in der Möglichkeit zur Zwangsbehandlung eine Begünstigung sehen wolle, sei es zunächst legitim, die Zwangsmaßnahmen auf einen stationären Rahmen zu beschränken. Es sei jedoch kein sachlicher Grund ersichtlich, ärztliche Zwangsmaßnahmen nur denjenigen zuteil werden zu lassen, die noch mobil seien und sich einer Behandlung entziehen könnten.

51

4. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e.V. und die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener e.V. sehen in § 1906 Abs. 3 BGB hingegen lediglich eine Eingriffsnorm. Eine ärztliche Zwangsbehandlung könne nicht als Begünstigung angesehen werden. Es müsse immer der Patientenwille gelten. § 1906 Abs. 3 BGB sei schon deswegen verfassungswidrig, weil er Zwangsbehandlungen überhaupt ermögliche.

B.

I.

52

Die Vorlage ist zulässig.

53

1. Der Zulässigkeit der Vorlage steht nicht entgegen, dass der Bundesgerichtshof mit dem vorgelegten § 1906 Abs. 3 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme vom 18. Februar 2013 (BGBl I S. 266) nur das nach seiner Überzeugung verfassungswidrige Nichteinbeziehen von Personen in bestimmten Lebenssituationen in diese Regelung und damit ein Unterlassen des Gesetzgebers beanstandet.

54

a) Das Vorlageverfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG dient der Kontrolle konkreter gesetzgeberischer Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz in dem dafür allein dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltenen Verfahren (vgl. BVerfGE 86, 71 <77>; 138, 64 <90 f. Rn.78>). Es ist damit grundsätzlich kein Instrument, ein von einem Gericht von Verfassungs wegen für geboten gehaltenes allgemeines gesetzgeberisches Tätigwerden zu erzwingen. In diesem Sinne schlichtes Unterlassen des Gesetzgebers kann daher nicht Gegenstand einer konkreten Normenkontrolle sein (dazu auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. Januar 2013 - 1 BvR 2004/10 -, NJW 2013, S. 1148 <1149 Rn. 21>; E. Klein, in: Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, § 24 Rn. 790; Dollinger, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 80 Rn. 49; Zuck, in: Lechner/Zuck, BVerfGG, 7. Aufl. 2015, § 80 Rn. 11; Lenz/Hansel, BVerfGG, 2. Aufl. 2015, § 80 Rn. 61).

55

Diese Grundsätze stehen allerdings nicht der Vorlage einer bestimmten Norm nach Art. 100 Abs. 1 GG entgegen, die damit begründet wird, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Sachverhalte oder Personengruppen gegen Gleichheitsrechte verstoße. Gegenstand einer solchen Normenkontrolle ist eine konkrete Entscheidung des Gesetzgebers, deren Erstreckung auf bestimmte andere Fälle aus Gründen der Gleichbehandlung für verfassungsrechtlich geboten gehalten wird. In derartigen Konstellationen erachtet es das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung als ausreichend, dass die im Falle eines Verstoßes gegen das Grundgesetz zu erwartende Erklärung der Norm als verfassungswidrig für den nicht in ihren Anwendungsbereich fallenden Betroffenen die Chance offen hält, eine ihn einbeziehende Regelung durch den Gesetzgeber zu erreichen (vgl. BVerfGE 22, 349 <363>; 61, 138 <146>; 71, 224 <228>; 74, 182 <195>; 93, 386 <395>; 115, 259 <275>; 121, 108 <115 f.>; 130, 131 <140>; vgl. auch BVerfGE 138, 136 <175 Rn. 104>). Nichts anderes gilt für den Fall, dass die vom vorlegenden Gericht im Zusammenhang mit der beanstandeten Norm vermisste Ausgestaltung nach dessen plausibel begründeter Überzeugung durch eine konkrete verfassungsrechtliche Schutzpflicht geboten ist.

56

b) Der Bundesgerichtshof hat seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm nachvollziehbar damit begründet, dass die Nichteinbeziehung bestimmter Sachverhalte oder Personengruppen in diese Norm gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße.

57

Er hat in seinem Vorlagebeschluss nicht offensichtlich unhaltbar und damit für die Beurteilung der Zulässigkeit der Vorlage maßgebend (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 138, 136 <171 Rn. 92>) dargelegt, dass für den Aufgabenkreis Gesundheitssorge unter Betreuung stehende Personen, die sich - wie die Betroffene des Ausgangsverfahrens - in stationärer Behandlung befinden und aus eigener Kraft nicht mehr von dort entfernen und sich auch sonst nicht einer ärztlichen Behandlung räumlich entziehen können, nicht die Voraussetzungen für die Anordnung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB 2013 erfüllen. Damit besteht für sie auch nicht die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 3 BGB, da dies die geschlossene Unterbringung voraussetzt (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB).

58

Zur Begründung seiner Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Norm muss das Gericht unter Rechtsprechung und Schrifttum einbeziehenden Darlegungen deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist und aus welchen Gründen es zu dieser Auffassung gelangt (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 89, 329 <337>; 138, 136 <171 f. Rn. 93>). Diesen Voraussetzungen genügt der Vorlagebeschluss. Ob in der Verwehrung der ärztlichen Zwangsbehandlung für Betreute trotz der damit für sie zugleich verbundenen Eingriffe tatsächlich die Vorenthaltung einer Begünstigung im gleichheitsrechtlichen Sinne liegt (vgl. zur Notwendigkeit eines Nachteils BVerfGE 132, 195 <235 f. Rn. 95>), kann hier offen bleiben. Dass den nicht unterbringungsfähigen Betreuten mit dem Ausschluss der ärztlichen Zwangsbehandlung eine Option vorenthalten wird, die ihnen nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in diesem Zusammenhang von Verfassungs wegen nicht hätte verwehrt werden dürfen, hat das vorlegende Gericht substantiiert und plausibel dargelegt.

59

2. Der Vorlagebeschluss lässt mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, dass die aufgeworfene Frage zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtslage für den Bundesgerichtshof entscheidungserheblich ist. Dabei ist dessen Auffassung zur Auslegung des § 1906 Abs. 1 und 3 BGB für die Beurteilung der Zulässigkeit seiner Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG maßgebend, da sie nicht offensichtlich unhaltbar ist (zu diesem Maßstab vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 138, 136 <171 Rn. 92>). Dass der Sachverhalt nicht im Hinblick auf sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 1906 Abs. 1 und 3 BGB vollständig durch die Fachgerichte aufgeklärt war, ändert für den mit der Rechtsbeschwerde (§§ 70 ff. FamFG) angerufenen und daher nur mit der Prüfung von Rechtsverletzungen befassten Bundesgerichtshof nichts an der Entscheidungserheblichkeit der von ihm für verfassungswidrig gehaltenen Regelung (vgl. dazu BVerfGE 24, 119 <133 f.>), welche eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur bei freiheitsentziehender Unterbringung nach § 1906 Abs. 3 BGB zulässt, die für die Betroffene ausgeschlossen war.

60

3. Die Vorlage ist nicht dadurch unzulässig geworden, dass die Betroffene des Ausgangsverfahrens während des Vorlageverfahrens verstorben ist.

61

a) Führt ein Ereignis zur Erledigung des Ausgangsverfahrens, hat dies regelmäßig auch die Erledigung des Vorlageverfahrens zur Folge (vgl. BVerfGE 14, 140 <142>; 29, 325 <326 f.>). Denn Art. 100 Abs. 1 GG lässt ein Verfahren der konkreten Normenkontrolle nur zu, wenn es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens auf die Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift ankommt. Die konkrete Normenkontrolle dient der verfassungsgemäßen Entscheidung in einem bestimmten Gerichtsverfahren und ist insofern von dessen Existenz und Ziel abhängig (vgl. BVerfGE 42, 42 <49>).

62

Die Konzentration der Entscheidungsbefugnis über die Verfassungsmäßigkeit von Parlamentsgesetzen beim Bundesverfassungsgericht soll allerdings auch durch allgemein verbindliche Klärung verfassungsrechtlicher Grundsatzfragen divergierende Entscheidungen der Gerichte, Rechtsunsicherheit und Rechtszersplitterung vermeiden (vgl. BVerfGE 1, 184 <199 f.>; 20, 350 <351>; 42, 42 <49 f.>). Es liegt in der Konsequenz dieser der Normenkontrolle auch zukommenden Bedeutung für die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen, dass das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung unter Berufung auf deren Befriedungsfunktion die verfassungsgerichtliche Kontrolle auf Normen erstreckt hat, die mit der vorgelegten in engem Zusammenhang stehen, für das Ausgangsverfahren aber nicht entscheidungserheblich sind (vgl. BVerfGE 27, 195 <200>; 44, 322 <337 f.>; 62, 354 <364>; 78, 132 <143>; 132, 302 <316>; 135, 1 <12>).

63

Diese objektive, auf Rechtsklärung und Befriedung ausgerichtete Funktion der Normenkontrolle kann es auch rechtfertigen, ausnahmsweise nach einem Ereignis, das - wie hier der Tod der Betroffenen im Ausgangsverfahren - regelmäßig zu dessen Erledigung führt, die vorgelegte Frage nach der Gültigkeit einer Norm gleichwohl zu beantworten, wenn ein hinreichend gewichtiges, grundsätzliches Klärungsbedürfnis fortbesteht. Für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde besteht das Rechtsschutzbedürfnis trotz eines erledigenden Ereignisses auch im Fall des Todes des Beschwerdeführers fort (vgl. BVerfGE 124, 300 <318 f.>; vgl. allgemein BVerfGE 81, 138 <140 f.>; 96, 288 <300>; 98, 218 <242 f.>; 119, 309 <317 f.>). Entsprechendes muss erst recht für die konkrete Normenkontrolle gelten, zumal wenn die Vorlage durch ein funktional in besonderer Weise der Rechtsklärung verpflichtetes oberstes Bundesgericht erfolgt. Die konkrete Normenkontrolle steht ungeachtet der engen Bindung an das Ausgangsverfahren mit ihrer Ausrichtung auf die verfassungsrechtliche Normprüfung von vornherein stärker im Dienste der objektiven Rechtsklärung als die eher dem subjektiven Rechtsschutz dienende Verfassungsbeschwerde. Unter welchen Voraussetzungen das Fortbestehen eines Rechtsschutzinteresses zu bejahen ist, hängt dabei letztlich von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 124, 300 <318>).

64

b) Trotz des Todes der Betroffenen des Ausgangsverfahrens besteht hier ein gewichtiges objektives Bedürfnis an der Klärung der vom Bundesgerichtshof vorgelegten Verfassungsrechtsfrage.

65

Ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass eine ärztliche Zwangsbehandlung nach geltendem Fachrecht bei Betreuten, die sich einer Behandlung räumlich nicht entziehen wollen oder hierzu körperlich nicht in der Lage sind und deshalb nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, ausgeschlossen ist, ist nicht geklärt und eine Frage von wesentlicher grundrechtlicher Bedeutung. Sie betrifft auch nicht nur einen seltenen Einzelfall. Aus den beim Bundesverfassungsgericht in diesem Verfahren eingegangenen Stellungnahmen wird deutlich, dass sich die Frage einer medizinisch indizierten Behandlung gegen den natürlichen Willen in ihre Krankheit nicht einsichtsfähiger Betreuter, die stationär behandelt werden, aber nicht mehr mobil und damit nicht unterbringungsfähig sind, in der Praxis keineswegs selten stellt. Zudem weisen Fälle der vorgelegten Art das strukturelle Problem auf, dass eine verfassungsgerichtliche Entscheidung oft nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Jedenfalls bei schwerwiegenden, lebensbedrohlichen Erkrankungen besteht stets die Gefahr, dass selbst bei größtmöglicher Verfahrensbeschleunigung die Vorlage eines Gerichts und die darauf ergehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu spät kommen. Außerdem erscheint es gegenüber den schon jetzt von der ungeklärten Verfassungsrechtsfrage Betroffenen nicht vertretbar, bis zu einer etwaigen neuen Vorlage zu warten, die dann wiederum dem Risiko ausgesetzt wäre, dass sie sich vor einer Entscheidung durch Tod des Betroffenen erledigt.

II.

66

Es verstößt gegen die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass für Betreute, die keinen freien Willen bilden können, eine medizinisch notwendige Behandlung - ungeachtet des Ausmaßes ihrer Gefährdung an Leib oder Leben einerseits und der Behandlungsrisiken andererseits - vollständig ausgeschlossen ist, wenn sie ihrem natürlichen Willen widerspricht, sie aber nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, weil die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (1). Ob dies auch mit dem Gleichheitssatz unvereinbar ist, bedarf danach keiner Entscheidung (2).

67

1. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, hilfsbedürftigen Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen und bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen Schutz durch ärztliche Versorgung zu gewähren (a). Eine solche ärztliche Zwangsbehandlung ist auch mit den völkerrechtlichen Bindungen Deutschlands vereinbar (b). Es verstößt gegen die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass hilfsbedürftige Menschen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrichtung behandelt werden, sich aber nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen können, nach geltender Rechtslage nicht notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen behandelt werden dürfen (c). Die Situation der Betreuten in ambulanter Behandlung bedarf hier keiner Entscheidung (d).

68

a) Die grundrechtliche Verbürgung des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) kann auch konkrete staatliche Schutzpflichten begründen (aa). Solche bestehen unter bestimmten Voraussetzungen für die staatliche Gemeinschaft gegenüber Betreuten, die einer ärztlichen Behandlung bedürfen, die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme jedoch nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können (bb).

69

aa) Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter. Es stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründet. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen (vgl. BVerfGE 39, 1 <42>; 46, 160 <164>; 90, 145 <195>; 115, 320 <346>). Auch der Schutz vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit werden von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG umfasst (vgl. BVerfGE 56, 54 <78>; 121, 317 <356>).

70

Die aus den Grundrechten folgenden subjektiven Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe einerseits und die sich aus der objektiven Bedeutung der Grundrechte ergebenden Schutzpflichten andererseits unterscheiden sich insofern grundlegend voneinander, als das Abwehrrecht in Zielsetzung und Inhalt ein bestimmtes staatliches Verhalten verbietet, während die Schutzpflicht grundsätzlich unbestimmt ist. Die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts ist Sache des Gesetzgebers, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er dem Grunde nach verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen (vgl. BVerfGE 96, 56 <64>; 121, 317 <356>; 133, 59 <76 Rn. 45>). Das Bundesverfassungsgericht kann die Verletzung einer solchen Schutzpflicht nur feststellen, wenn Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen sind, wenn die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (vgl. BVerfGE 56, 54 <80>; 77, 170 <215>; 92, 26 <46>; 125, 39 <78 f.>).

71

bb) Danach verdichtet sich bei Betreuten, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, die allgemeine Schutzpflicht unter engen Voraussetzungen zu einer konkreten Schutzpflicht. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Gesetzgeber, ein System der Hilfe und des Schutzes für unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, die in diesem Sinne die Erforderlichkeit einer medizinischen Behandlung zur Abwehr oder Bekämpfung erheblicher Erkrankungen nicht erkennen oder nicht danach handeln können. Ärztliche Untersuchungs- und Heilmaßnahmen müssen dann in gravierenden Fällen als ultima ratio auch unter Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens solcher Betreuter vorgenommen werden dürfen.

72

Diese Schutzpflicht resultiert aus der spezifischen Hilfsbedürftigkeit der nicht einsichtsfähigen Betreuten ((1)). Steht einer in Wahrnehmung dieser Schutzpflicht medizinisch gebotenen Behandlung der natürliche Wille einer nicht einsichtsfähigen Person entgegen, gerät diese Maßnahme allerdings in Konflikt mit ihrem Selbstbestimmungsrecht ((2)) und mit ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit ((3)). Dieser Konflikt zwischen den hier in ihrer Freiheits- und in ihrer Schutzdimension kollidierenden Grundrechten desselben Grundrechtsträgers ist möglichst schonend aufzulösen. Drohen Betreuten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen und überwiegen die Vorteile eines medizinischen Eingriffs eindeutig gegenüber den damit verbundenen Nachteilen und Risiken, geht jedoch die Schutzpflicht vor, so dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung oder Untersuchung auch gegen den natürlichen Willen der Betreuten vorsehen muss ((4)).

73

(1) Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschuldete verfassungsrechtliche Pflicht, unter eng begrenzten Voraussetzungen Schutzmaßnahmen bis hin zu medizinischen Zwangsbehandlungen für bestimmte unter Betreuung stehende Menschen vorzusehen, folgt aus deren spezifischer Hilfsbedürftigkeit. Wenn sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, in eigener Sache die medizinische Notwendigkeit einer Untersuchung oder Heilmaßnahme zu erkennen oder danach zu handeln, sind sie insofern schutzlos und hilfsbedürftig, als sie Gefährdungen von Leib und Leben ausgeliefert sind, ohne selbst für ihren Schutz sorgen zu können (vgl. BVerfGE 58, 208 <225>; 128, 282 <304 ff.>). Die staatliche Gemeinschaft darf den hilflosen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen.

74

(2) Jede Zwangsbehandlung greift allerdings in das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein. Denn der Mensch ist nach dem Grundgesetz grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden. Diese Freiheit ist Ausdruck seiner persönlichen Autonomie und als solche auch durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt (im Ergebnis ebenso BVerfGE 128, 282<302>; 129, 269 <280>; 133, 112 <131 Rn. 49> jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Seine Entscheidung, ob und inwieweit er eine Krankheit diagnostizieren und behandeln lässt, muss er nicht an einem Maßstab objektiver Vernünftigkeit ausrichten. Eine Pflicht des Staates, den Einzelnen "vor sich selbst in Schutz zu nehmen", eröffnet keine "Vernunfthoheit" staatlicher Organe über den Grundrechtsträger dergestalt, dass dessen Wille allein deshalb beiseitegesetzt werden dürfte, weil er von durchschnittlichen Präferenzen abweicht oder aus der Außensicht unvernünftig erscheint (vgl. BVerfGE 128, 282 <308>). Die Freiheitsgrundrechte schließen das Recht ein, von der Freiheit einen Gebrauch zu machen, der in den Augen Dritter den wohlverstandenen Interessen des Grundrechtsträgers zuwider läuft. Daher ist es grundsätzlich Sache des Einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er sich therapeutischen oder sonstigen Maßnahmen unterziehen will, auch wenn sie der Erhaltung oder Verbesserung seiner Gesundheit dienen. Die grundrechtlich geschützte Freiheit schließt auch die "Freiheit zur Krankheit" und damit das Recht ein, auf Heilung zielende Eingriffe abzulehnen, selbst wenn diese nach dem Stand des medizinischen Wissens dringend angezeigt sind (vgl. BVerfGE 128, 282 <304> m.w.N.).

75

Sofern Betroffene mit freiem Willen über medizinische Maßnahmen zur Erhaltung oder Besserung der eigenen Gesundheit entscheiden können, besteht daher keine Schutz- und Hilfsbedürftigkeit. Die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG tritt insoweit zurück. Eine medizinische Zwangsbehandlung gegen den freien Willen eines Menschen ist ausgeschlossen.

76

Können Betroffene keinen freien Willen in Bezug auf den Umgang mit einer Krankheit bilden, weil sie krankheitsbedingt nicht in der Lage sind, die Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme zu erkennen oder nach dieser Einsicht zu handeln (zu dieser Bedingung vgl. BVerfGE 128, 282 <304 f.> sowie § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB), bleibt ein etwa vorhandener natürlicher Wille in Bezug auf ihre Krankheit verfassungsrechtlich auch hier Ausdruck ihres durch das Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit geschützten Selbstbestimmungsrechts, in das auch unter diesen Voraussetzungen im Falle einer Zwangsbehandlung eingegriffen wird. Allerdings kann der einer notwendigen ärztlichen Behandlung entgegenstehende natürliche Wille nichts an der besonderen Hilfs- und Schutzbedürftigkeit der Betroffenen ändern.

77

(3) Wird eine ärztliche Maßnahme nicht durch ein auf dem freien Willen der Betroffenen beruhendes Einverständnis gerechtfertigt, gerät sie im Falle der Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen auch in Konflikt mit dem Grundrecht der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit (vgl. auch dazu bereits BVerfGE 128, 282 <300 f.>). Das gilt sowohl für diagnostische als auch für therapeutische Maßnahmen.

78

(4) Drohen dem in seine Krankheit nicht einsichtsfähigen Betreuten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen und führt die Abwägung seiner Heilungschancen mit seinen Belastungen durch die ärztlichen Maßnahmen zu einem eindeutigen Ergebnis, so überwindet die Schutzpflicht des Staates die entgegenstehenden Freiheitsrechte. Hier obliegt es dem Staat, die Möglichkeit einer medizinischen Behandlung auch gegen den natürlichen Willen der Betreuten zu eröffnen. Dabei müssen strenge materielle und verfahrensrechtliche Anforderungen an eine solche Zwangsbehandlung die möglichst weitgehende Berücksichtigung der betroffenen Freiheitsrechte sicherstellen.

79

(a) Verlangt die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ein medizinisches Tätigwerden gegen den natürlichen Willen der Betreuten, kollidiert dies mit ihrem Selbstbestimmungsrecht und ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Die Schutzpflicht entfällt hier jedoch nicht schon deshalb, weil sie nicht gegen drohende Grundrechtsverletzungen durch Dritte gerichtet ist, sondern darauf fußende Maßnahmen in Konflikt mit gegenläufigen eigenen Grundrechten der Betroffenen stehen. Die Schutzpflicht hat im Falle der Betreuten ihren Grund nicht in der Pflicht des Staates zur Abwehr fremder Angriffe auf deren Grundrechtspositionen, sondern in dem gesteigerten Schutzbedarf der Betreuten, sofern diese nicht zur Einsicht in die konkrete Notwendigkeit einer medizinischen Maßnahme fähig sind und darum Gefährdungen von Leib und Leben ausgeliefert wären, ohne in Freiheit selbst für den eigenen Schutz sorgen zu können. Während der zur Einsicht in Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit fähige Mensch selbst entscheidet, ob er sich ärztlichen Maßnahmen zur Abwendung schwerwiegender Gesundheits- und Lebensgefahren unterzieht, gebietet im Falle derjenigen, die keine Einsicht in die gesundheitliche Bedrohung und Behandlungsbedürftigkeit haben oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, die grundrechtliche Schutzpflicht unter engen Voraussetzungen, dass der Staat auch gegen den erkennbaren natürlichen Willen Maßnahmen zum Schutz vor schwerwiegenden Gefährdungen ergreift.

80

(b) Der Gesetzgeber muss für Fälle, in denen drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen einschließlich einer Lebensgefahr durch nicht zu eingriffsintensive Behandlungen mit hohen Erfolgsaussichten abgewehrt werden können, die Betroffenen aber aufgrund ihrer krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit mit ihrem natürlichen Willen eine solche Behandlung ablehnen, die Möglichkeit einer medizinischen Zwangsbehandlung vorsehen. Die staatliche Schutzpflicht hat hat bei erheblicher Gesundheitsgefährdung einer zum eigenen Schutz selbst nicht fähigen Person besonderes Gewicht. Gehen mit der zur Abwehr der Gefahr notwendigen medizinischen Maßnahme keine besonderen Behandlungsrisiken einher und gibt es auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass gerade die Behandlungsverweigerung dem ursprünglichen freien Willen der Betreuten entspricht, ist das Ergebnis der Abwägung zwischen den kollidierenden Grundrechten offensichtlich vorgezeichnet. Die staatliche Schutzpflicht gegenüber den Hilflosen überwiegt dann im Verhältnis zu deren Selbstbestimmungsrecht und ihrer körperlichen Integrität und setzt sich durch.

81

Bei der Umsetzung dieser Schutzpflicht verfügt der Gesetzgeber über einen Spielraum zur näheren Ausgestaltung der einzelnen Bedingungen konkreter Schutzmaßnahmen. Ein Spielraum bleibt dem Gesetzgeber insbesondere bei der Ausgestaltung der materiellen Voraussetzungen einer Heilbehandlung und der Verfahrensregeln zur Sicherung der Selbstbestimmung und körperlichen Integrität der Betroffenen. Dieser Spielraum betrifft bei bestehender Schutzpflicht indessen nur die Frage wie, nicht aber ob überhaupt verbindliche Regeln für die ärztliche Behandlung in ihrer Gesundheitssorge Betreuter vorzusehen sind.

82

(c) Weil sich in den beschriebenen Fällen einer konkreten Schutzpflicht diese im Ergebnis gegenüber dem Selbstbestimmungsrecht und der körperlichen Integrität der Betroffenen durchsetzt, ist der Gesetzgeber im Interesse einer möglichst weitgehenden Rücksichtnahme auf die zurücktretenden Freiheitsrechte der Betroffenen gehalten, inhaltlich anspruchsvolle und hinreichend bestimmt formulierte materielle und begleitende verfahrensrechtliche Voraussetzungen für eine medizinische Zwangsbehandlung zu normieren (so bereits für die Rechtfertigung der Zwangsbehandlung als Eingriff BVerfGE 128, 282 <308 ff.>). Dabei hat der Gesetzgeber insbesondere dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es nicht um die Sicherstellung medizinischen Schutzes nach Maßstäben objektiver Vernünftigkeit geht; vielmehr ist der freie Wille der Betreuten zu respektieren. Dies gilt auch, soweit der freie Wille anhand von Indizien - insbesondere unter Rückgriff auf frühere Äußerungen oder etwa aufgrund der Qualität des geäußerten natürlichen Willens - ermittelbar ist. Nur wo dies nicht möglich ist, kann als letztes Mittel ein krankheitsbedingt entgegenstehender natürlicher Wille überwunden werden.

83

(d) Die materiellen Voraussetzungen einer durch die Schutzpflicht gebotenen Regelung zur medizinischen Zwangsbehandlung haben zu gewährleisten, dass eine solche bei offensichtlicher Eindeutigkeit des Abwägungsergebnisses der genannten Parameter (drohende erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, nicht zu eingriffsintensive Behandlung, hohe Erfolgsaussichten) erfolgen darf (vgl. dazu den im Nachgang zu BVerfGE 128, 282 geschaffenen § 1906 Abs. 3 BGB und dort insbes. die Nrn. 3 und 5). Da angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Kombinationen von Erkrankungen und Behandlungsoptionen die Entscheidungsvorgaben auf Gesetzesebene nicht alle Fallgestaltungen einer medizinischen Zwangsbehandlung im Einzelnen abbilden können und dabei auch noch nach Anlass- und Begleiterkrankung zu differenzieren sein mag, ist die Evidenz des Abwägungsergebnisses vor allem auf der Anwendungsebene im Einzelfall zu suchen. Dies kann unter anderem eine abgestuft intensive Berücksichtigung des natürlichen Willens eines Betreuten verlangen, je nachdem wie nahe er auch nach der gebotenen Unterstützung einem freien (oder dem zu vermutenden freien) Willen der Betreuten kommt.

84

(e) Der Gesetzgeber hat zudem ausreichende verfahrensrechtliche Sicherungen für die Genehmigung einer medizinischen Zwangsbehandlung vorzusehen. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 zur medizinischen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug (BVerfGE 128, 282 <309 ff.>) aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleiteten Verfahrensanforderungen gelten in gleicher Weise für die Behandlung von in ihre Krankheit nicht einsichtsfähigen Betreuten. Dass die ärztliche Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ihre Rechtfertigung wesentlich auch in der Wiedererlangung der persönlichen Freiheit findet (vgl. BVerfGE 128, 282 <304>), bei Betreuten hingegen die Schutzpflicht unmittelbar auf die Erhaltung oder Wiedererlangung ihrer Gesundheit zielt, ändert nichts an der Notwendigkeit gleichartiger verfahrensrechtlicher Sicherungen. Danach muss durch geeignete verfahrensrechtliche Regeln gewährleistet sein, dass eine medizinische Zwangsbehandlung nur vorgenommen werden darf, wenn fest steht, dass tatsächlich kein freier Wille der Betreuten vorhanden ist, dem gleichwohl vorhandenen natürlichen Willen nach Möglichkeit Rechnung getragen wird und dass die materiellen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung nachweisbar vorliegen.

85

Bei der Ausgestaltung dieser Verfahrenssicherungen hat der Gesetzgeber Gestaltungsspielraum, von dem er in der geltenden Fassung der § 1906 BGB, §§ 312 ff. FamFG im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (a.a.O.) Gebrauch gemacht hat. Zu den notwendigen Verfahrenssicherungen gehören die Anordnung und Überwachung der Maßnahme durch Ärzte, ihre vorherige Ankündigung, die Einbeziehung von - auch von den behandelnden Ärzten - unabhängigen Sachverständigen, der Genehmigungsvorbehalt durch einen Richter und auch die Dokumentationspflicht (vgl. BVerfGE 128, 282 <311 ff.>).

86

Der vom Grundgesetz geforderte Respekt vor der autonomen Selbstbestimmung der Einzelnen verlangt vom Gesetzgeber auch bei Menschen, die im Hinblick auf ihre Gesundheitssorge unter Betreuung stehen, durch entsprechende Regelungen sicherzustellen, dass vor konkreten Untersuchungen des Gesundheitszustands, vor Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen stets aktuell festgestellt wird, ob nicht eine hinreichende Einsichts- und Handlungsfähigkeit der Betroffenen im Hinblick auf diese Maßnahmen besteht, so dass sie hierfür einen freien und damit maßgeblichen Willen bilden können. Dabei können, wie es das Gesetz auch jetzt schon vorsieht (vgl. § 1901a Abs. 1 und 2 BGB), eine Patientenverfügung oder früher geäußerte Behandlungswünsche für die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation maßgeblich sein. Im Hinblick auf den entgegenstehenden natürlichen Willen der nicht einsichtsfähigen Betreuten ist außerdem zunächst zu versuchen, die Betreuten von der Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der vorgesehenen Zwangsbehandlung zu überzeugen (vgl. bereits § 1906 Abs. 3 Nr. 2 BGB), bevor als letztes Mittel zu einer Zwangsbehandlung geschritten werden darf.

87

b) Völkerrechtliche Bindungen stehen der Pflicht des Staates, dem eines freien Willens nicht fähigen Betreuten in hilfloser Lage Schutz zu gewähren und ihn unter den genannten Voraussetzungen (oben a bb, Rn. 71 ff.) notfalls einer medizinischen Zwangsbehandlung zu unterziehen, nicht entgegen.

88

aa) Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2011 entschieden, dass die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK), die in Deutschland Gesetzeskraft hat (Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl II S. 1419) und als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl. BVerfGE 111, 307 <317 f.>), kein anderes Ergebnis nahe legt (vgl. BVerfGE 128, 282 <306 f.>). Es hat den Konventionsbestimmungen, die auf Sicherung und Stärkung der Autonomie behinderter Menschen gerichtet sind - insbesondere dem Art. 12 BRK - kein grundsätzliches Verbot für Maßnahmen entnommen, die gegen den natürlichen Willen Behinderter vorgenommen werden und an eine krankheitsbedingt eingeschränkte Selbstbestimmungsfähigkeit anknüpfen. Denn der Regelungszusammenhang des Art. 12 Abs. 4 BRK, der sich gerade auf Maßnahmen bezieht, die Betroffene in der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit beschränken, belegt, dass die Konvention solche Maßnahmen nicht allgemein untersagt, sondern ihre Zulässigkeit unter anderem dadurch beschränkt, dass Art. 12 Abs. 4 BRK die Vertragsstaaten zu geeigneten Sicherungen gegen Interessenkonflikte, Missbrauch und Missachtung sowie zur Gewährleistung der Verhältnismäßigkeit verpflichtet (vgl. BVerfGE 128, 282 <307>).

89

Die zwischenzeitlichen Berichte (Art. 39 BRK), Leitlinien (Art. 35 Abs. 3 BRK) und Empfehlungen (Art. 36 Abs. 1 BRK) des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach Art. 34 BRK zur Auslegung der Konventionsbestimmungen und insbesondere zur Rechtslage in Deutschland führen zu keiner abweichenden Beurteilung.

90

Den Äußerungen des für die Abgabe solcher Stellungnahmen zuständigen Ausschusses zur Auslegung eines Menschenrechtsabkommens kommt erhebliches Gewicht zu, sie sind aber für internationale und nationale Gerichte nicht völkerrechtlich verbindlich (vgl. IGH, Ahmadou Sadio Diallo [Republic of Guinea v. Democratic Republic of the Congo]), I.C.J. Reports 2010, S. 639, <663-664>, para. 66; Supreme Court of Ireland, Kavanagh v. Governor of Mountjoy Prison and the Attorney General, Urteil vom 1. März 2002, S. 14 f.; Tribunal Constitucional [Spanien], STC 070/2002, recurso de amparo núm. 3787-2001, Urteil vom 3. April 2002, II. para. 7 a); Conseil d'État [Frankreich], Juge des référés vom 11. Oktober 2001, No. 238849, ECLI:FR:CEORD:2001:238849.20011011, S. 4; für die Auffassungen unter dem Zusatzprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte weitergehend Human Rights Committee, General Comment No 33, UN Doc. CCPR/C/GC/33 vom 5. November 2008, Nr. 13). Eine Kompetenz zur Fortentwicklung internationaler Abkommen über Vereinbarungen und die Praxis der Vertragsstaaten hinaus kommt diesen Ausschüssen nicht zu (vgl. Art. 31 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, UNTS 1155, 331 <340>, BGBl II 1985 S. 926, der Völkergewohnheitsrecht wiedergibt; vgl. IGH, LaGrand [Germany v. USA], I.C.J. Reports 2001, S. 466 <501> para. 99; dazu BVerfGE 90, 286 <362 ff.>; Mark Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2009, Art. 31 Rn. 37 m.w.N.). Es kann dahingestellt bleiben, ob die zu anderen völkerrechtlichen Vereinbarungen ergangenen Aussagen für alle Stellungnahmen des Ausschusses für die Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung in gleicher Weise gelten. Jedenfalls ist dem Ausschuss in den Art. 34 ff. BRK kein Mandat zur verbindlichen Interpretation des Vertragstextes übertragen worden. Bei der Vertragsauslegung sollte sich ein nationales Gericht aber mit den Auffassungen eines zuständigen internationalen Vertragsorgans in gutem Glauben argumentativ auseinandersetzen; es muss sie aber nicht übernehmen (vgl. - allerdings für Entscheidungen internationaler Ge- richte - BVerfGE 111, 307 <317 f.>; 128, 326 <366 ff., 370>; stRspr; Christian Tomuschat, Human Rights Committee, The Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Bd. IV, 2012, S. 1058 <1061> Rn. 14).

91

Auch in der Sache stehen die Stellungnahmen des Ausschusses der nach deutschem Verfassungsrecht notfalls gebotenen ärztlichen Zwangsbehandlung nicht entgegen. Soweit der Ausschuss in seinen Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands vom 13. Mai 2015 (UN Doc. CRPD/C/DEU/CO/1) allgemein die Regelungen des Betreuungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch beanstandet und unter Verweisung auf seinen Allgemeinen Kommentar Nr. 1 (2014) (UN Doc. CRPD/C/GC/1 vom 19. Mai 2014) zu Art. 12 BRK fordert, alle ersetzenden Entscheidungen abzuschaffen und ein System der unterstützenden Entscheidung an ihre Stelle treten zu lassen (ebenda Nr. 25 f.), bleibt seine Kritik im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Fälle medizinischer Zwangsbehandlung unspezifisch. Insbesondere verhält sie sich nicht zu der im vorgelegten Fall maßgeblichen Frage eines gänzlich fehlenden freien Willens des Behinderten in einer medizinischen Notsituation. Entsprechendes gilt für die Leitlinien des Ausschusses zur Auslegung des Art. 14 BRK vom September 2015 (abrufbar unter: http://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/CRPD/GC/Guidelines Article14.doc, zuletzt aufgerufen am 4. Juli 2016). In ihnen betont der Ausschuss, dass bei Menschen mit Behinderungen keine Maßnahme der Gesundheitsversorgung vorgenommen werden darf, wenn sie nicht auf dem freien und informierten Einverständnis der betroffenen Person beruht (ebenda Nr. 11). Der Ausschuss fordert die Staaten deshalb auf, jede Form der Zwangsbehandlung aufzugeben (ebenda Nr. 12). Auch hier gibt der Ausschuss keine Antwort auf die Frage, was nach seinem Verständnis des Vertragstextes mit Menschen geschehen soll, die keinen freien Willen bilden können und sich in hilfloser Lage befinden. Es spricht auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Ausschusses nichts dafür, dass diese Menschen nach Text und Geist der Behindertenrechtskonvention ihrem Schicksal überlassen werden sollten und die Konvention auch unter den hier von Verfassungs wegen geforderten strengen Voraussetzungen einer Zwangsbehandlung entgegen steht, zumal auch nach den vorstehend dargelegten Forderungen des Verfassungsrechts und den geltenden Regeln des Betreuungsrechts das nationale Recht in Übereinstimmung mit der Behindertenrechtskonvention dem Grundsatz des Vorrangs des - gegebenenfalls unterstützten - Willens des Behinderten folgt.

92

bb) Die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Pflicht des Staates, den eines freien Willens nicht fähigen Betreuten in hilfloser Lage Schutz zu gewähren und sie unter den genannten Voraussetzungen (oben a bb, Rn. 71 ff.) notfalls einer medizinischen Zwangsbehandlung zu unterziehen, steht auch im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

93

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergibt sich aus Art. 8 EMRK ein Recht, sein Leben so zu leben, wie man es selbst bestimmt hat. Das schließt auch die Möglichkeit ein, Dinge zu tun, die körperlich schädlich oder gefährlich sind. Die ärztliche Behandlung gegen den Willen von erwachsenen Patienten, die im Besitz ihrer geistigen Kräfte sind, würde selbst dann in die körperliche Integrität eingreifen und damit in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte, wenn die Ablehnung der Behandlung den Tod zur Folge hätte (vgl. EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 120 ff.; EGMR, Pretty v. United Kingdom, Urteil vom 29. April 2002, Nr. 2346/02, § 62 f.). Dabei besitzen die Staaten aber einen Einschätzungsspielraum ("margin of appreciation", EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 148).

94

Voraussetzung dafür, dass Staat und Gesellschaft auch eine nach objektiven Maßstäben unvernünftige und eventuell zum Tod führende Entscheidung akzeptieren müssen, ist danach jedoch stets, dass diese auf dem Willen einer erwachsenen Person beruht, die im Besitz ihrer geistigen Kräfte ist. Trifft eine Person aber die Entscheidung nicht freien Willens und bei vollem Verständnis der Umstände, nimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine aus Art. 2 EMRK abgeleitete Verpflichtung des Staates an, diese Person davon abzuhalten, ihr Leben zu riskieren (vgl. EGMR (GK), Lambert v. France, Urteil vom 5. Juni 2015, Nr. 46043/14, § 140; EGMR, Haas v. Switzerland, Urteil vom 20. Januar 2011, Nr. 31322/07, § 54; EGMR, Arskaya v. Ukraine, Urteil vom 5. Dezember 2013, Nr. 45076/05, § 69 f.). Lehnt ein Patient eine medizinisch indizierte Behandlung ab, mit der Folge, dass sein Leben dadurch gefährdet wird, hält der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat für verpflichtet, hinreichende Vorkehrungen zu treffen, damit die behandelnden Ärzte beim Vorliegen von Indizien, die auf einen fehlenden freien Willen hindeuten, die Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person weiter aufklären (vgl. EGMR, Arskaya v. Ukraine, Urteil vom 5. Dezember 2013, Nr. 45076/05, §§ 62, 69, 70, 88).

95

Ein Widerspruch der Europäischen Menschenrechtskonvention zu dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unter den dargelegten Bedingungen folgenden Gebot einer medizinischen Zwangsbehandlung hilfsbedürftiger Betreuter (oben a bb, Rn. 71 ff.) kann Art. 2, 8 EMRK in der Auslegung durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof danach nicht entnommen werden.

96

c) Hiernach verstößt es gegen die Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dass nach geltendem Betreuungsrecht für nicht einsichtsfähige Betreute, denen aufgrund einer Erkrankung eine erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigung droht und die mit guten Erfolgsaussichten durch eine Maßnahme behandelt werden können, die mit verhältnismäßig geringen Belastungen einhergeht, keine Möglichkeit besteht, sie notfalls auch gegen ihren natürlichen Willen zu behandeln, wenn sie sich in stationärer Behandlung befinden, aber aus eigener Kraft der notwendigen Behandlung nicht entziehen und deshalb nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können.

97

Das Betreuungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs sieht eine ärztliche Zwangsbehandlung nur für solche Betreute vor, die nach § 1906 Abs. 1 BGB geschlossen untergebracht sind (§ 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB). Der Bundesgerichtshof hat in dem Vorlagebeschluss unter Rückgriff auf seine Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 -, FamRZ 2008, S. 866 <867 Rn. 22 ff.>) und auf die damit und mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts korrespondierende Gesetzgebungsgeschichte (BTDrucks 17/11513, S. 1 ff. <6>; BTDrucks 17/12086, S. 1) im Einzelnen dargelegt, dass der Gesetzgeber in § 1906 BGB eine Rechtsgrundlage für medizinische Zwangsbehandlungen nur für geschlossen untergebrachte Betreute schaffen wollte und dies in § 1906 BGB eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 19 ff.). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass das Fachrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht insoweit anders zu deuten ist (zur Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren vgl. BVerfGE 135, 1 <16 Rn. 48>). Auch an den Voraussetzungen für eine freiheitsentziehende Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB für die medizinische Zwangsbehandlung hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum strengen Unterbringungsbegriff festgehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 19 ff.; BTDrucks 17/11513, S. 1 ff. <6>). Damit ist einer - auch verfassungskonformen - Auslegung des § 1906 BGB der Weg versperrt, die eine medizinische Zwangsbehandlung auch ohne freiheitsentziehende Unterbringung zuließe oder eine solche Unterbringung erlaubte, ohne dass sie ihrerseits durch den Willen und die Fähigkeit des Betreuten, sich räumlich zu entfernen, zwingend geboten wäre.

98

In stationärer Behandlung befindliche Betreute, die - wie die Betroffene des Ausgangsverfahrens - faktisch nicht in der Lage sind, sich räumlich zu entfernen, können danach nicht nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB freiheitsentziehend untergebracht und deshalb auch nicht nach § 1906 Abs. 3 BGB zwangsbehandelt werden. Damit wird solchen Betreuten, selbst wenn in ihrer Person sämtliche materiellen Voraussetzungen einer verfassungsgebotenen Schutzpflicht zweifelsfrei vorlägen und die verfahrensrechtlichen Anforderungen eingehalten werden könnten, nicht der nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebotene Schutz zuteil. Insoweit genügt die Rechtslage für Betreute nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen.

99

Zu dieser Feststellung bedarf es hier nicht der Prüfung, ob § 1906 BGB insgesamt den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt. Auf eine solche Vollprüfung des § 1906 BGB ist die Vorlage nicht angelegt; dementsprechend ist die Tatsachen- und Rechtslage insoweit auch nicht durch das Vorlagegericht aufgearbeitet, ohne dass dies aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden wäre.

100

d) Keiner Entscheidung bedarf schließlich, ob die Rechtslage auch insofern der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht genügt, als § 1906 BGB mit der Beschränkung der ärztlichen Zwangsbehandlung auf freiheitsentziehend Untergebrachte nicht nur die stationär Behandelten, sondern - aufgrund bewusster gesetzgeberischer Entscheidung (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2015 - XII ZB 89/15 -, Vorlagebeschluss, juris, Rn. 53 ff.; BTDrucks 15/4874, S. 8 <25 f.>; Protokoll der 105. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 17. Wahlperiode, 10. Dezember 2012; vgl. auch BTPlenarprot 15/158, S. 14826 f.) - auch alle anderen Betreuten in ambulanter Behandlung von dieser Möglichkeit ausschließt. Der Ausschluss dieser Gruppe ist nicht Gegenstand der Vorlage. Die Vorlage kann auch nicht ohne weiteres darauf erstreckt werden (zu dieser Möglichkeit vgl. BVerfGE 135, 1 <12 Rn. 33 f.>), weil die Nichtberücksichtigung der Betreuten in ambulanter Behandlung bei der Möglichkeit der ärztlichen Zwangsbehandlung auf Sachgründen beruht, deren Tragfähigkeit nicht von vornherein von der Hand zu weisen ist (vgl. insbesondere Protokoll der 105. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, 17. Wahlperiode, 10. Dezember 2012; vgl. auch BTPlenarprot 15/158, S. 14826 ff.). Außerdem werden ambulant Betreute in schwerwiegenden Fällen letztlich nicht schutzlos gelassen, weil sie nach einer Unterbringung bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB dann doch einer Zwangsbehandlung unterzogen werden können. Damit führt diese Konstellation auf eine Reihe zusätzlicher verfassungsrechtlicher Fragen, die gegen eine schlichte Erstreckung der Normenkontrolle hierauf über die Vorlagefrage hinaus sprechen.

101

2. Es kann offen bleiben, ob, worauf der Bundesgerichtshof seine Vorlage stützt, auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin liegt, dass Betreuten, die sich in stationärer Behandlung befinden und sich aus eigener Kraft nicht mehr räumlich entfernen können, die Möglichkeit einer ärztlichen Zwangsbehandlung verschlossen bleibt. Da sich die Gesetzeslage schon deshalb als verfassungswidrig erweist, weil § 1906 Abs. 3 BGB eine ärztliche Zwangsbehandlung bei solchen Betreuten, die nicht freiheitsentziehend untergebracht werden können, völlig ausschließt und damit jedenfalls eine Gruppe keiner freien Willensbildung fähiger, hilfsbedürftiger Betreuter entgegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schutzlos lässt, selbst wenn bei ihnen die Abwägung zwischen erforderlicher ärztlicher Behandlung und dabei drohenden Nachteilen eindeutig ausfällt und deshalb eine konkrete staatliche Schutzpflicht besteht, können die sich im Zusammenhang mit Art. 3 GG stellenden Fragen hier offen bleiben. Dies gilt auch für die Frage, ob das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt ist, da dieses hier jedenfalls nicht mehr fordert als die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.

C.

102

Nach § 82 Abs. 1 in Verbindung mit § 78 Satz 1 BVerfGG erklärt das Bundesverfassungsgericht das Gesetz für nichtig, von dem es zur Überzeugung gelangt ist, dass es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Es befindet ein Gesetz allerdings regelmäßig lediglich für verfassungswidrig bei der Verletzung des Gleichheitssatzes (vgl. dazu BVerfGE 133, 59 <99>; 138, 136 <249 Rn. 286>; stRspr) oder in Fällen, in denen die Rechtslage ohne die Norm noch weniger mit der Verfassung vereinbar wäre als im Falle ihrer befristeten Weitergeltung (vgl. BVerfGE 83, 130 <154>; 92, 53 <73>; 111, 191 <224>; 117, 163 <201>; 127, 293 <333>; 133, 241 <260 Rn. 51>). Da hier kein Verstoß des vorgelegten § 1906 Abs. 3 BGB in seinem derzeitigen Regelungsgehalt gegen das Grundgesetz festgestellt wird, sondern die Nichterfüllung einer konkreten Schutzpflicht des Gesetzgebers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG für eine bestimmte Personengruppe, genügt es festzustellen, dass dieses Defizit verfassungswidrig ist. Der Feststellung eines Verfassungsverstoßes durch § 1906 Abs. 3 BGB bedarf es daneben nicht. Es liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, ob er die Schutzlücke durch Einbeziehung der betroffenen Personengruppe in den § 1906 Abs. 3 BGB unter Verzicht auf eine freiheitsentziehende Unterbringung oder außerhalb dieser Norm gesondert behebt.

103

Der Gesetzgeber hat die festgestellte Schutzlücke für Betreute, die bei einem drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können, und deshalb notfalls auch auf Schutz durch ärztliche Versorgung gegen ihren natürlichen Willen angewiesen sind, unverzüglich zu schließen. Mit Rücksicht darauf, dass - wie gerade der Vorlagefall zeigt - die geltende Rechtslage auch bei drohenden gravierenden oder gar lebensbedrohenden Gesundheitsschäden dieser Personengruppe die Möglichkeit einer Behandlung gänzlich versagt, ist die vorübergehende entsprechende Anwendung des § 1906 Abs. 3 BGB auf diese Gruppe der immobilen Betreuten bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung anzuordnen.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis.

2

Der 1961 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Er erwarb auf eigene Kosten das Arzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung der Dysfunktion und beantragte Kostenübernahme, wobei er für 2005 und 2006 einen Betrag von 1495,65 Euro errechnete (28.1.2007). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: "Beklagte") lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 13.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008). Das SG hat die auf Erstattung der seit 13.2.2007 aufgewendeten Kosten sowie zukünftige Versorgung mit Cialis gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2010). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V iVm Anlage II zur Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) schließe verfassungskonform Cialis als Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus, ohne gegen Art 25 S 3 Buchst a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu verstoßen(Beschluss vom 11.11.2010).

3

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a SGB V, des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 3 Abs 1 GG sowie des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK. Die Versorgung mit Cialis sei eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung. In solchen Fällen sei der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V unanwendbar. Er diskriminiere unzulässig mittelbar Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert seien.

4

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger seit Zugang des Bescheides vom 13. Februar 2007 für das Arzneimittel Cialis entstandenen Kosten zu erstatten sowie ihm künftig Cialis als Naturalleistung zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der beklagten Ersatzkasse weder Erstattung seiner seit Zugang des Bescheides vom 13.2.2007 für das Arzneimittel Cialis aufgewendeten Kosten noch künftige Versorgung hiermit als Naturalleistung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen der Ansprüche sind nicht erfüllt. Denn die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der GKV, sondern ist hiervon ausgeschlossen (dazu 2.). Der Ausschluss kollidiert weder mit Art 25 UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812; dazu 3.) noch verstößt er gegen das Diskriminierungsverbot (Art 5 Abs 2 UN-BRK) oder Verfassungsrecht (dazu 4.).

8

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Der Senat sieht davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der für die Vergangenheit geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2, § 153 Abs 1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 14). Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitert bereits aus anderen Gründen.

9

2. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das Gesetz die geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung mit Cialis und Kostenerstattung ausschließt. Als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V in Betracht(anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Rechtsnorm bestimmt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN).

10

Daran fehlt es vorliegend entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht. Zwar liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der KK und der Kostenbelastung des Versicherten nicht vor, wenn die KK vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). Das gilt auch über den Zeitraum nach Erlass einer die Kostenübernahme ablehnenden Entscheidung hinaus, wenn es sich um eine aus medizinischen Gründen untrennbare, einheitliche Behandlung handelt (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 17 mwN). Dafür besteht aber beim Einsatz von Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion kein Anhaltspunkt.

11

Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis als Naturalleistung, wie ihn nicht nur sein Begehren auf künftige Versorgung, sondern auch auf Erstattung voraussetzt. Denn der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KK allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 11). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V(idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft seit 1.1.2004) schließt einen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus.

12

Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind(§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V bestimmt: "Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

13

Die Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wiederholt in ihrem II. Teil unter Buchst F in § 14 Abs 1 S 1 und Abs 2 weitgehend den Text des § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V(AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 15.12.2011 mWv 20.1.2012, BAnz Nr 11 vom 19.1.2012, S 254). Nach § 14 Abs 3 AM-RL sind die nach Abs 2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der AM-RL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil aufgeführt. Dies entspricht auch der - soweit hier von Interesse - zuvor geltenden Anlage 8 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993, S 11155, zuletzt geändert am 10.4.2008, BAnz Nr 101 vom 9.7.2008, S 2491; Anlage 8 abgedruckt in DÄ 2004, A 963, 965).

14

Entgegen der Ansicht des Klägers ist es im Rahmen des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nicht möglich, nach der Ursache der Erkrankung mit der Folge zu differenzieren, dass der Leistungsausschluss bei einer behinderungsbedingten erektilen Dysfunktion nicht greift. Der Anwendungsbereich dieses Leistungsausschlusses kann nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck nicht auf Fälle teleologisch reduziert werden, in denen Arzneimittel - etwa bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte - nicht erforderlich sind (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 11 f - Caverject). Die gesetzliche Regelung will vielmehr den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV umfassend sicherstellen (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 12). Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc GMG zielt mit der Einfügung von S 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die ua überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV auszuschließen(vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 24 - Viagra).

15

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2a SGB V. Nach dieser durch Art 1 Nr 1 GMG eingefügten Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Die Regelung dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 S 2 GG umzusetzen (vgl funktional ähnlich BSG Urteil vom 25.5.2011 - B 12 KR 8/09 R - RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). § 2a SGB V vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden(vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

16

3. Entgegen der Ansicht des Klägers führt Art 25 UN-BRK zu keinem Anspruch auf Versorgung mit Cialis zu Lasten der GKV. Hierbei ist lediglich Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK näher in den Blick zu nehmen. Der in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V umfassend geregelte Leistungsausschluss widerspricht dagegen schon im Ansatz nicht dem in Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbot.

17

Nach Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Das SGB V stellt dem Kläger in diesem Sinne eine Gesundheitsversorgung genau in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthält dagegen nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der GKV.

18

Im Ergebnis begründet auch Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK keine eigenständige Rechtsgrundlage, die den in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V geregelten Leistungsausschluss für behinderte Menschen aufhebt. Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK hat in der - gemäß Art 50 UN-BRK nicht verbindlichen - deutschen Fassung folgenden Wortlaut:

"Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. Insbesondere…
b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;
[...]"

19

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK verdrängt nicht als ranggleiches späteres Bundesrecht den 2004 in das SGB V eingefügten Leistungsausschluss des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nach den Grundsätzen der allgemeinen intertemporalen Kollisionsregeln(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f; lex posterior derogat legi priori). Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gilt in Deutschland im Rang einfachen Bundesrechts. Das Vertragsgesetz zur UN-BRK ist gemäß dessen Art 2 Abs 1 am 1.1.2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um (vgl allgemein BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 104, 151, 209; 90, 286, 364; 77, 170, 210). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK ab 26.3.2009 zu (vgl auch Art 2 Abs 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK iVm der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5.6.2009, BGBl II 812). Ab diesem Zeitpunkt könnte Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK entgegenstehendes älteres Bundesrecht obsolet werden lassen (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28; zur Abhängigkeit des Geltungsbeginns von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages BVerfGE 63, 343, 354; 1, 396, 411 f; RG JW 1932, 582; Kunig in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 120 RdNr 112; aA Burghart DÖV 1993, 1038).

20

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE 111, 307, 317; 82, 106, 114; 74, 358, 370). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art 20 Abs 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben, hier also ggf unter Beachtung des intertemporalen Rechts (vgl BVerfGE 111, 307, 317; einem theoretisch denkbaren Vorrang von Völkervertragsrecht nach § 30 Abs 2 SGB I steht der Anwendungsvorrang des SGB V entgegen, vgl § 37 S 1 und 2 SGB I). Ein - weitergehender - Anwendungsvorrang besteht dagegen für eine völkerrechtliche Norm, wenn sie in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen ist. In diesem Falle sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE 112, 1, 27; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 260).

21

Die Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK beinhaltet indes keine allgemeine Regel des Völkerrechts mit dem genannten Geltungsvorrang. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt es sich um Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze (BVerfGE 117, 141, 149; 109, 13, 27; 16, 27, 33; 15, 25, 32 ff). Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten voraus, die in der Überzeugung geübt wird, hierzu aus Gründen des Völkerrechts verpflichtet zu sein (BVerfGE 46, 342, 367 mwN). Daran fehlt es hier. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gibt nämlich nicht eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten wieder, Menschen mit Behinderungen ein der Regelung vergleichbares Recht auf Gesundheit zu gewähren. Dies verdeutlicht bereits eine Betrachtung des europäischen Rechtsrahmens. Ein entsprechendes Recht ist etwa weder in der Europäischen Menschenrechtskonvention noch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten (vgl hierzu Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 333).

22

Kein Anwendungsvorrang des Art 25 UN-BRK folgt aus dem Umstand, dass die Europäische Gemeinschaft (EG; Rechtsnachfolgerin: Europäische Union , vgl Art 1 Abs 3 S 3 Vertrag über die Europäische Union und Schreiben an den UN-Generalsekretär, BGBl II 2010, 250) dem Übereinkommen gemäß Art 44 UN-BRK iVm Art 310 des Vertrags zur Gründung der EG ( idF des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666; vgl jetzt Art 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ) beigetreten ist. Dieser Beitritt wirkt nur im Umfang der Zuständigkeiten der EG. Die EG vermochte sich völkerrechtlich nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu binden (vgl auch die Erklärung der EG zur UN-BRK, abrufbar unter http://treaties.un.org). Nur in diesem Rahmen kann eine Bindung der Mitgliedstaaten nach Art 300 Abs 7 EGV bzw nunmehr nach Art 216 Abs 2 AEUV eintreten, die den Bestimmungen der UN-BRK zu einer Stellung über dem Bundesrecht verhilft. Die Festlegung der Leistungskataloge der nationalen Krankenversicherungssysteme liegt indes außerhalb der Kompetenz der EU (Art 168 Abs 7 AEUV, zuvor Art 152 Abs 5 EGV; EuGHE I 2001, 5473 RdNr 87 - Smits und Peerbooms; EuGHE I 2003, 4509 RdNr 98 - Müller-Fauré und van Riet; vgl insgesamt auch Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 46).

23

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK, der in der deutschen Rechtsordnung wie dargelegt im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, enthält - soweit hier von Interesse - keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion relevant sind. Die Norm ist - jedenfalls in ihrem hier bedeutsamen Teil - nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (vgl dazu Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43, 2005, 312, 318).

24

Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen (zum Unterschied zur Geltung vgl etwa BVerfG NJW 2011, 2113 RdNr 53 f; BVerfGK 9, 174 = NJW 2007, 499, RdNr 52 f; speziell zur UN-BRK Aichele AnwBl 2011, 727, 730) setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl BVerfGE 29, 348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 29, 348, 360; vgl auch BVerwG Beschluss vom 18.1.2010 - 6 B 52/09 - juris RdNr 4; BVerwGE 134, 1 RdNr 46; BVerwGE 125, 1 RdNr 12; BVerwGE 120, 206, 208 f; BVerwGE 92, 116, 118; BVerwGE 87, 11, 13). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (vgl auch Graf Vitzthum in ders, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 56 RdNr 123 mwN). Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Ziel und Zweck der Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK sprechen gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit für Leistungsrechte GKV-Versicherter im dargelegten Sinne.

25

Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK die Vertragsstaaten zu weiteren Maßnahmen, nämlich dazu, die genau benannten Gesundheitsleistungen "anzubieten". Die Terminologie der Verpflichtung von Vertragsstaaten, Leistungen "anzubieten" ("to provide"), indiziert keine unmittelbare Anwendbarkeit (vgl auch Ziff 33 des "General Comment No 14" vom 11.8.2000 zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl II 1973, 1569; im Folgenden: WiSoKuPakt; zur Bedeutung der "General Comments" im Völkerrecht vgl zB BVerwGE 134, 1 RdNr 48 mwN; englische Fassungen der General Comments im Internet abrufbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/, deutsche Übersetzung veröffentlicht in Deutsches Institut für Menschenrechte, Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005; zur Typologie "to respect", "to protect" and "to fulfil" im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten vgl Koch in Human Rights Law Review 5, 2005, 81). Die Formulierung unterscheidet sich zugleich wesentlich von anderen Vertragsbestimmungen, die bereits nach ihrem Wortlaut einen unmittelbaren Anspruch begründen, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf (so zB Art 30 Abs 4 UN-BRK: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf …").

26

Auch der Regelungszusammenhang mit Art 25 S 1 und 2 UN-BRK spricht gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von S 3 Buchst b der genannten Regelung. Weil die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen, treffen sie die in S 2 genannten geeigneten Maßnahmen, um dieses Recht zu gewährleisten. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK knüpft hieran an und spezifiziert beispielhaft ("Insbesondere") die in Art 25 S 1 und 2 UN-BRK ausdrücklich als Staatenverpflichtung konzipierte allgemeine Regelung.

27

Das Ineinandergreifen der Bestimmungen des Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK verdeutlicht zugleich die Zielsetzung und den Regelungszweck, das in Art 25 UN-BRK geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen. Die darin liegende Beschränkung spiegelt die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider: Nach Art 4 Abs 2 UN-BRK ist jeder Vertragsstaat hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen (sog Progressionsvorbehalt).

28

Die Regelung des Art 4 Abs 2 UN-BRK gilt zwar unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Dazu gehört Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK wegen seines Umsetzungsbedarfs in nationales Recht aber nicht. Diese Rechtsnorm ist vielmehr mit Art 12 Abs 2 WiSoKuPakt vergleichbar. Er benennt beispielhaft Schritte, die die Vertragsstaaten zur vollen Verwirklichung des "erreichbaren Höchstmaßes" ("highest attainable standard") an Gesundheit einzuleiten haben (vgl zur Entwicklung der UN-BRK im völkerrechtlichen Kontext auch Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246; Aichele, APuZ 2010, 13, 15; siehe auch "General Comment 3" Ziff 5 vom 14.12.1990 - keine Erwähnung von Art 12 WiSoKuPakt; "General Comment No 14" vom 11.8.2000 Ziff 1 zum Diskriminierungsverbot und Ziff 43 - Kernbereich medizinischer Grundversorgung auf Minimalniveau <"minimum essential levels[…] including essential primary health care"> - hier nicht betroffen; vgl schließlich Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 58 f).

29

4. Letztlich verhelfen auch weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist allerdings nach den aufgeführten Kriterien unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

30

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art 1 Abs 2 UN-BRK Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art 2 UN-BRK bedeutet "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeutet gemäß Art 2 UN-BRK "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art 4 Abs 1 S 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art 4 Abs 1 S 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.

31

Ausgehend von diesen Grundsätzen entspricht das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird (vgl BVerfGE 99, 341, 357; 96, 288, 303; BVerfGK 7, 269, 273). Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die UN-BRK generell als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl BVerfG NJW 2011, 2113, RdNr 52; BVerfGE 111, 307, 317) und dies auch speziell für das Verständnis des Art 3 Abs 3 S 2 GG gilt (so im Ergebnis BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54).

32

Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Der gesetzliche Leistungsausschluss knüpft nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen (vgl die allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellende Regelung des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm - § 3 Abs 1 Schwerbehindertengesetz - sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art 3 Abs 3 S 2 GG orientiert hat, s BVerfGE 96, 288, 301)und konventionsrechtlichen Sinne an, sondern erfasst weitergehend alle Fälle der Erkrankung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) oder - hier nicht betroffen - der Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1, Abs 3 SGB V). Die Ausschlussregelung setzt nicht den Eintritt einer Behinderung voraus, sondern lässt auch eine vorübergehende Krankheit oder Erscheinungsformen in deren Vorfeld ausreichen.

33

Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs noch gerechtfertigt. Wie das GG fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als die nach dem GG.

34

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184). Die gesetzlichen KKn sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

35

Auch aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine KK auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG NJW 1998, 1775; NJW 1997, 3085). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum weder im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot noch auf das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können (vgl auch BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 25 - Viagra). Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen (vgl hierzu Begründung des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86 zu Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc).

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis.

2

Der 1961 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Er erwarb auf eigene Kosten das Arzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung der Dysfunktion und beantragte Kostenübernahme, wobei er für 2005 und 2006 einen Betrag von 1495,65 Euro errechnete (28.1.2007). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: "Beklagte") lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 13.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008). Das SG hat die auf Erstattung der seit 13.2.2007 aufgewendeten Kosten sowie zukünftige Versorgung mit Cialis gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2010). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V iVm Anlage II zur Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) schließe verfassungskonform Cialis als Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus, ohne gegen Art 25 S 3 Buchst a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu verstoßen(Beschluss vom 11.11.2010).

3

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a SGB V, des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 3 Abs 1 GG sowie des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK. Die Versorgung mit Cialis sei eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung. In solchen Fällen sei der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V unanwendbar. Er diskriminiere unzulässig mittelbar Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert seien.

4

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger seit Zugang des Bescheides vom 13. Februar 2007 für das Arzneimittel Cialis entstandenen Kosten zu erstatten sowie ihm künftig Cialis als Naturalleistung zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der beklagten Ersatzkasse weder Erstattung seiner seit Zugang des Bescheides vom 13.2.2007 für das Arzneimittel Cialis aufgewendeten Kosten noch künftige Versorgung hiermit als Naturalleistung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen der Ansprüche sind nicht erfüllt. Denn die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der GKV, sondern ist hiervon ausgeschlossen (dazu 2.). Der Ausschluss kollidiert weder mit Art 25 UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812; dazu 3.) noch verstößt er gegen das Diskriminierungsverbot (Art 5 Abs 2 UN-BRK) oder Verfassungsrecht (dazu 4.).

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1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Der Senat sieht davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der für die Vergangenheit geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2, § 153 Abs 1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 14). Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitert bereits aus anderen Gründen.

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2. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das Gesetz die geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung mit Cialis und Kostenerstattung ausschließt. Als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V in Betracht(anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Rechtsnorm bestimmt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN).

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Daran fehlt es vorliegend entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht. Zwar liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der KK und der Kostenbelastung des Versicherten nicht vor, wenn die KK vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). Das gilt auch über den Zeitraum nach Erlass einer die Kostenübernahme ablehnenden Entscheidung hinaus, wenn es sich um eine aus medizinischen Gründen untrennbare, einheitliche Behandlung handelt (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 17 mwN). Dafür besteht aber beim Einsatz von Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion kein Anhaltspunkt.

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Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis als Naturalleistung, wie ihn nicht nur sein Begehren auf künftige Versorgung, sondern auch auf Erstattung voraussetzt. Denn der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KK allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 11). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V(idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft seit 1.1.2004) schließt einen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus.

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Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind(§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V bestimmt: "Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

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Die Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wiederholt in ihrem II. Teil unter Buchst F in § 14 Abs 1 S 1 und Abs 2 weitgehend den Text des § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V(AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 15.12.2011 mWv 20.1.2012, BAnz Nr 11 vom 19.1.2012, S 254). Nach § 14 Abs 3 AM-RL sind die nach Abs 2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der AM-RL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil aufgeführt. Dies entspricht auch der - soweit hier von Interesse - zuvor geltenden Anlage 8 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993, S 11155, zuletzt geändert am 10.4.2008, BAnz Nr 101 vom 9.7.2008, S 2491; Anlage 8 abgedruckt in DÄ 2004, A 963, 965).

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Entgegen der Ansicht des Klägers ist es im Rahmen des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nicht möglich, nach der Ursache der Erkrankung mit der Folge zu differenzieren, dass der Leistungsausschluss bei einer behinderungsbedingten erektilen Dysfunktion nicht greift. Der Anwendungsbereich dieses Leistungsausschlusses kann nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck nicht auf Fälle teleologisch reduziert werden, in denen Arzneimittel - etwa bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte - nicht erforderlich sind (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 11 f - Caverject). Die gesetzliche Regelung will vielmehr den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV umfassend sicherstellen (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 12). Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc GMG zielt mit der Einfügung von S 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die ua überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV auszuschließen(vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 24 - Viagra).

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Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2a SGB V. Nach dieser durch Art 1 Nr 1 GMG eingefügten Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Die Regelung dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 S 2 GG umzusetzen (vgl funktional ähnlich BSG Urteil vom 25.5.2011 - B 12 KR 8/09 R - RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). § 2a SGB V vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden(vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

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3. Entgegen der Ansicht des Klägers führt Art 25 UN-BRK zu keinem Anspruch auf Versorgung mit Cialis zu Lasten der GKV. Hierbei ist lediglich Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK näher in den Blick zu nehmen. Der in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V umfassend geregelte Leistungsausschluss widerspricht dagegen schon im Ansatz nicht dem in Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbot.

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Nach Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Das SGB V stellt dem Kläger in diesem Sinne eine Gesundheitsversorgung genau in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthält dagegen nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der GKV.

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Im Ergebnis begründet auch Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK keine eigenständige Rechtsgrundlage, die den in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V geregelten Leistungsausschluss für behinderte Menschen aufhebt. Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK hat in der - gemäß Art 50 UN-BRK nicht verbindlichen - deutschen Fassung folgenden Wortlaut:

"Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. Insbesondere…
b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;
[...]"

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Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK verdrängt nicht als ranggleiches späteres Bundesrecht den 2004 in das SGB V eingefügten Leistungsausschluss des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nach den Grundsätzen der allgemeinen intertemporalen Kollisionsregeln(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f; lex posterior derogat legi priori). Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gilt in Deutschland im Rang einfachen Bundesrechts. Das Vertragsgesetz zur UN-BRK ist gemäß dessen Art 2 Abs 1 am 1.1.2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um (vgl allgemein BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 104, 151, 209; 90, 286, 364; 77, 170, 210). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK ab 26.3.2009 zu (vgl auch Art 2 Abs 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK iVm der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5.6.2009, BGBl II 812). Ab diesem Zeitpunkt könnte Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK entgegenstehendes älteres Bundesrecht obsolet werden lassen (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28; zur Abhängigkeit des Geltungsbeginns von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages BVerfGE 63, 343, 354; 1, 396, 411 f; RG JW 1932, 582; Kunig in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 120 RdNr 112; aA Burghart DÖV 1993, 1038).

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Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE 111, 307, 317; 82, 106, 114; 74, 358, 370). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art 20 Abs 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben, hier also ggf unter Beachtung des intertemporalen Rechts (vgl BVerfGE 111, 307, 317; einem theoretisch denkbaren Vorrang von Völkervertragsrecht nach § 30 Abs 2 SGB I steht der Anwendungsvorrang des SGB V entgegen, vgl § 37 S 1 und 2 SGB I). Ein - weitergehender - Anwendungsvorrang besteht dagegen für eine völkerrechtliche Norm, wenn sie in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen ist. In diesem Falle sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE 112, 1, 27; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 260).

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Die Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK beinhaltet indes keine allgemeine Regel des Völkerrechts mit dem genannten Geltungsvorrang. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt es sich um Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze (BVerfGE 117, 141, 149; 109, 13, 27; 16, 27, 33; 15, 25, 32 ff). Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten voraus, die in der Überzeugung geübt wird, hierzu aus Gründen des Völkerrechts verpflichtet zu sein (BVerfGE 46, 342, 367 mwN). Daran fehlt es hier. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gibt nämlich nicht eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten wieder, Menschen mit Behinderungen ein der Regelung vergleichbares Recht auf Gesundheit zu gewähren. Dies verdeutlicht bereits eine Betrachtung des europäischen Rechtsrahmens. Ein entsprechendes Recht ist etwa weder in der Europäischen Menschenrechtskonvention noch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten (vgl hierzu Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 333).

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Kein Anwendungsvorrang des Art 25 UN-BRK folgt aus dem Umstand, dass die Europäische Gemeinschaft (EG; Rechtsnachfolgerin: Europäische Union , vgl Art 1 Abs 3 S 3 Vertrag über die Europäische Union und Schreiben an den UN-Generalsekretär, BGBl II 2010, 250) dem Übereinkommen gemäß Art 44 UN-BRK iVm Art 310 des Vertrags zur Gründung der EG ( idF des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666; vgl jetzt Art 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ) beigetreten ist. Dieser Beitritt wirkt nur im Umfang der Zuständigkeiten der EG. Die EG vermochte sich völkerrechtlich nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu binden (vgl auch die Erklärung der EG zur UN-BRK, abrufbar unter http://treaties.un.org). Nur in diesem Rahmen kann eine Bindung der Mitgliedstaaten nach Art 300 Abs 7 EGV bzw nunmehr nach Art 216 Abs 2 AEUV eintreten, die den Bestimmungen der UN-BRK zu einer Stellung über dem Bundesrecht verhilft. Die Festlegung der Leistungskataloge der nationalen Krankenversicherungssysteme liegt indes außerhalb der Kompetenz der EU (Art 168 Abs 7 AEUV, zuvor Art 152 Abs 5 EGV; EuGHE I 2001, 5473 RdNr 87 - Smits und Peerbooms; EuGHE I 2003, 4509 RdNr 98 - Müller-Fauré und van Riet; vgl insgesamt auch Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 46).

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Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK, der in der deutschen Rechtsordnung wie dargelegt im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, enthält - soweit hier von Interesse - keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion relevant sind. Die Norm ist - jedenfalls in ihrem hier bedeutsamen Teil - nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (vgl dazu Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43, 2005, 312, 318).

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Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen (zum Unterschied zur Geltung vgl etwa BVerfG NJW 2011, 2113 RdNr 53 f; BVerfGK 9, 174 = NJW 2007, 499, RdNr 52 f; speziell zur UN-BRK Aichele AnwBl 2011, 727, 730) setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl BVerfGE 29, 348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 29, 348, 360; vgl auch BVerwG Beschluss vom 18.1.2010 - 6 B 52/09 - juris RdNr 4; BVerwGE 134, 1 RdNr 46; BVerwGE 125, 1 RdNr 12; BVerwGE 120, 206, 208 f; BVerwGE 92, 116, 118; BVerwGE 87, 11, 13). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (vgl auch Graf Vitzthum in ders, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 56 RdNr 123 mwN). Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Ziel und Zweck der Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK sprechen gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit für Leistungsrechte GKV-Versicherter im dargelegten Sinne.

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Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK die Vertragsstaaten zu weiteren Maßnahmen, nämlich dazu, die genau benannten Gesundheitsleistungen "anzubieten". Die Terminologie der Verpflichtung von Vertragsstaaten, Leistungen "anzubieten" ("to provide"), indiziert keine unmittelbare Anwendbarkeit (vgl auch Ziff 33 des "General Comment No 14" vom 11.8.2000 zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl II 1973, 1569; im Folgenden: WiSoKuPakt; zur Bedeutung der "General Comments" im Völkerrecht vgl zB BVerwGE 134, 1 RdNr 48 mwN; englische Fassungen der General Comments im Internet abrufbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/, deutsche Übersetzung veröffentlicht in Deutsches Institut für Menschenrechte, Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005; zur Typologie "to respect", "to protect" and "to fulfil" im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten vgl Koch in Human Rights Law Review 5, 2005, 81). Die Formulierung unterscheidet sich zugleich wesentlich von anderen Vertragsbestimmungen, die bereits nach ihrem Wortlaut einen unmittelbaren Anspruch begründen, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf (so zB Art 30 Abs 4 UN-BRK: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf …").

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Auch der Regelungszusammenhang mit Art 25 S 1 und 2 UN-BRK spricht gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von S 3 Buchst b der genannten Regelung. Weil die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen, treffen sie die in S 2 genannten geeigneten Maßnahmen, um dieses Recht zu gewährleisten. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK knüpft hieran an und spezifiziert beispielhaft ("Insbesondere") die in Art 25 S 1 und 2 UN-BRK ausdrücklich als Staatenverpflichtung konzipierte allgemeine Regelung.

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Das Ineinandergreifen der Bestimmungen des Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK verdeutlicht zugleich die Zielsetzung und den Regelungszweck, das in Art 25 UN-BRK geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen. Die darin liegende Beschränkung spiegelt die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider: Nach Art 4 Abs 2 UN-BRK ist jeder Vertragsstaat hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen (sog Progressionsvorbehalt).

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Die Regelung des Art 4 Abs 2 UN-BRK gilt zwar unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Dazu gehört Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK wegen seines Umsetzungsbedarfs in nationales Recht aber nicht. Diese Rechtsnorm ist vielmehr mit Art 12 Abs 2 WiSoKuPakt vergleichbar. Er benennt beispielhaft Schritte, die die Vertragsstaaten zur vollen Verwirklichung des "erreichbaren Höchstmaßes" ("highest attainable standard") an Gesundheit einzuleiten haben (vgl zur Entwicklung der UN-BRK im völkerrechtlichen Kontext auch Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246; Aichele, APuZ 2010, 13, 15; siehe auch "General Comment 3" Ziff 5 vom 14.12.1990 - keine Erwähnung von Art 12 WiSoKuPakt; "General Comment No 14" vom 11.8.2000 Ziff 1 zum Diskriminierungsverbot und Ziff 43 - Kernbereich medizinischer Grundversorgung auf Minimalniveau <"minimum essential levels[…] including essential primary health care"> - hier nicht betroffen; vgl schließlich Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 58 f).

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4. Letztlich verhelfen auch weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist allerdings nach den aufgeführten Kriterien unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

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Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art 1 Abs 2 UN-BRK Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art 2 UN-BRK bedeutet "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeutet gemäß Art 2 UN-BRK "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art 4 Abs 1 S 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art 4 Abs 1 S 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen entspricht das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird (vgl BVerfGE 99, 341, 357; 96, 288, 303; BVerfGK 7, 269, 273). Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die UN-BRK generell als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl BVerfG NJW 2011, 2113, RdNr 52; BVerfGE 111, 307, 317) und dies auch speziell für das Verständnis des Art 3 Abs 3 S 2 GG gilt (so im Ergebnis BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54).

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Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Der gesetzliche Leistungsausschluss knüpft nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen (vgl die allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellende Regelung des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm - § 3 Abs 1 Schwerbehindertengesetz - sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art 3 Abs 3 S 2 GG orientiert hat, s BVerfGE 96, 288, 301)und konventionsrechtlichen Sinne an, sondern erfasst weitergehend alle Fälle der Erkrankung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) oder - hier nicht betroffen - der Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1, Abs 3 SGB V). Die Ausschlussregelung setzt nicht den Eintritt einer Behinderung voraus, sondern lässt auch eine vorübergehende Krankheit oder Erscheinungsformen in deren Vorfeld ausreichen.

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Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs noch gerechtfertigt. Wie das GG fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als die nach dem GG.

34

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184). Die gesetzlichen KKn sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

35

Auch aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine KK auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG NJW 1998, 1775; NJW 1997, 3085). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum weder im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot noch auf das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können (vgl auch BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 25 - Viagra). Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen (vgl hierzu Begründung des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86 zu Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc).

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit dem Arzneimittel Cialis.

2

Der 1961 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger leidet ua an einer erektilen Dysfunktion als Folge einer chronisch progredienten Multiplen Sklerose. Er erwarb auf eigene Kosten das Arzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil zur Behandlung der Dysfunktion und beantragte Kostenübernahme, wobei er für 2005 und 2006 einen Betrag von 1495,65 Euro errechnete (28.1.2007). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden einheitlich: "Beklagte") lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 13.2.2007; Widerspruchsbescheid vom 3.4.2008). Das SG hat die auf Erstattung der seit 13.2.2007 aufgewendeten Kosten sowie zukünftige Versorgung mit Cialis gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 4.5.2010). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V iVm Anlage II zur Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) schließe verfassungskonform Cialis als Arzneimittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus, ohne gegen Art 25 S 3 Buchst a UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) zu verstoßen(Beschluss vom 11.11.2010).

3

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 2a SGB V, des Art 3 Abs 3 S 2 GG und Art 3 Abs 1 GG sowie des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK. Die Versorgung mit Cialis sei eine speziell aufgrund seiner Behinderung erforderliche Gesundheitsleistung. In solchen Fällen sei der Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V unanwendbar. Er diskriminiere unzulässig mittelbar Menschen, die durch eine erektile Dysfunktion behindert seien.

4

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 11. November 2010, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 4. Mai 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. April 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die dem Kläger seit Zugang des Bescheides vom 13. Februar 2007 für das Arzneimittel Cialis entstandenen Kosten zu erstatten sowie ihm künftig Cialis als Naturalleistung zu gewähren.

5

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der beklagten Ersatzkasse weder Erstattung seiner seit Zugang des Bescheides vom 13.2.2007 für das Arzneimittel Cialis aufgewendeten Kosten noch künftige Versorgung hiermit als Naturalleistung beanspruchen kann. Die Voraussetzungen der Ansprüche sind nicht erfüllt. Denn die Behandlung der erektilen Dysfunktion mit Cialis unterfällt nicht dem Leistungskatalog der GKV, sondern ist hiervon ausgeschlossen (dazu 2.). Der Ausschluss kollidiert weder mit Art 25 UN-BRK (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, für Deutschland in Kraft seit 26.3.2009, BGBl II 2009, 812; dazu 3.) noch verstößt er gegen das Diskriminierungsverbot (Art 5 Abs 2 UN-BRK) oder Verfassungsrecht (dazu 4.).

8

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthaft (§ 54 Abs 4 SGG). Der Senat sieht davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der für die Vergangenheit geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§ 106 Abs 1, § 112 Abs 2 S 2, § 153 Abs 1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 f = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 14). Der Anspruch auf Kostenerstattung scheitert bereits aus anderen Gründen.

9

2. Die Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt, weil das Gesetz die geltend gemachten Ansprüche auf Versorgung mit Cialis und Kostenerstattung ausschließt. Als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung kommt allein § 13 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB V in Betracht(anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046). Die Rechtsnorm bestimmt: Hat die KK eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der KK in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der KK begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (stRspr, vgl zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, RdNr 23; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 15 RdNr 15 mwN).

10

Daran fehlt es vorliegend entgegen der Rechtsauffassung des SG nicht. Zwar liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung der KK und der Kostenbelastung des Versicherten nicht vor, wenn die KK vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). Das gilt auch über den Zeitraum nach Erlass einer die Kostenübernahme ablehnenden Entscheidung hinaus, wenn es sich um eine aus medizinischen Gründen untrennbare, einheitliche Behandlung handelt (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 17 mwN). Dafür besteht aber beim Einsatz von Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion kein Anhaltspunkt.

11

Der Kläger hat indes keinen Anspruch auf Versorgung mit Cialis als Naturalleistung, wie ihn nicht nur sein Begehren auf künftige Versorgung, sondern auch auf Erstattung voraussetzt. Denn der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die KK allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN - LITT; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 18 RdNr 11). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V(idF durch Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl I 2190, in Kraft seit 1.1.2004) schließt einen Anspruch auf Versorgung mit Cialis zur Behandlung der erektilen Dysfunktion aus.

12

Nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 Fall 1 SGB V). Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB V ausgeschlossen sind(§ 31 Abs 1 S 1 SGB V). § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V bestimmt: "Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

13

Die Richtlinie des GBA über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung wiederholt in ihrem II. Teil unter Buchst F in § 14 Abs 1 S 1 und Abs 2 weitgehend den Text des § 34 Abs 1 S 7 und 8 SGB V(AM-RL idF vom 18.12.2008/22.1.2009, BAnz Nr 49a vom 31.3.2009, zuletzt geändert am 15.12.2011 mWv 20.1.2012, BAnz Nr 11 vom 19.1.2012, S 254). Nach § 14 Abs 3 AM-RL sind die nach Abs 2 ausgeschlossenen Fertigarzneimittel in einer Übersicht als Anlage II der AM-RL zusammengestellt. In dieser Übersicht ist das Fertigarzneimittel Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil aufgeführt. Dies entspricht auch der - soweit hier von Interesse - zuvor geltenden Anlage 8 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (AMRL idF vom 31.8.1993, BAnz Nr 246 vom 31.12.1993, S 11155, zuletzt geändert am 10.4.2008, BAnz Nr 101 vom 9.7.2008, S 2491; Anlage 8 abgedruckt in DÄ 2004, A 963, 965).

14

Entgegen der Ansicht des Klägers ist es im Rahmen des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nicht möglich, nach der Ursache der Erkrankung mit der Folge zu differenzieren, dass der Leistungsausschluss bei einer behinderungsbedingten erektilen Dysfunktion nicht greift. Der Anwendungsbereich dieses Leistungsausschlusses kann nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck nicht auf Fälle teleologisch reduziert werden, in denen Arzneimittel - etwa bei entsprechender Anspannung aller Willenskräfte - nicht erforderlich sind (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 11 f - Caverject). Die gesetzliche Regelung will vielmehr den Ausschluss der aufgeführten Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der GKV umfassend sicherstellen (BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139 = juris RdNr 12). Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc GMG zielt mit der Einfügung von S 7 bis 9 in § 34 Abs 1 SGB V darauf ab, sämtliche Arzneimittel, die ua überwiegend der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen, von der Verordnung zu Lasten der GKV auszuschließen(vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 24 - Viagra).

15

Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 2a SGB V. Nach dieser durch Art 1 Nr 1 GMG eingefügten Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Die Regelung dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 S 2 GG umzusetzen (vgl funktional ähnlich BSG Urteil vom 25.5.2011 - B 12 KR 8/09 R - RdNr 26 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). § 2a SGB V vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden(vgl etwa BSG SozR 4-3500 § 54 Nr 6 RdNr 22).

16

3. Entgegen der Ansicht des Klägers führt Art 25 UN-BRK zu keinem Anspruch auf Versorgung mit Cialis zu Lasten der GKV. Hierbei ist lediglich Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK näher in den Blick zu nehmen. Der in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V umfassend geregelte Leistungsausschluss widerspricht dagegen schon im Ansatz nicht dem in Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthaltenen speziellen Diskriminierungsverbot.

17

Nach Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK stellen die Vertragsparteien Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen, einschließlich sexual- und fortpflanzungsmedizinischer Gesundheitsleistungen und der Gesamtbevölkerung zur Verfügung stehender Programme des öffentlichen Gesundheitswesens. Das SGB V stellt dem Kläger in diesem Sinne eine Gesundheitsversorgung genau in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 S 3 Buchst a UN-BRK enthält dagegen nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der GKV.

18

Im Ergebnis begründet auch Art 25 S 3 Buchst b iVm S 1 und 2 UN-BRK keine eigenständige Rechtsgrundlage, die den in § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V geregelten Leistungsausschluss für behinderte Menschen aufhebt. Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK hat in der - gemäß Art 50 UN-BRK nicht verbindlichen - deutschen Fassung folgenden Wortlaut:

"Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen Zugang zu geschlechtsspezifischen Gesundheitsdiensten, einschließlich gesundheitlicher Rehabilitation, haben. Insbesondere…
b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderungen benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;
[...]"

19

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK verdrängt nicht als ranggleiches späteres Bundesrecht den 2004 in das SGB V eingefügten Leistungsausschluss des § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V nach den Grundsätzen der allgemeinen intertemporalen Kollisionsregeln(vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f; lex posterior derogat legi priori). Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gilt in Deutschland im Rang einfachen Bundesrechts. Das Vertragsgesetz zur UN-BRK ist gemäß dessen Art 2 Abs 1 am 1.1.2009 in Kraft getreten. Es erteilt innerstaatlich den Befehl zur Anwendung der UN-BRK und setzt diese in nationales Recht um (vgl allgemein BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 104, 151, 209; 90, 286, 364; 77, 170, 210). Völkerrechtliche Verbindlichkeit kommt der UN-BRK für Deutschland gemäß Art 45 Abs 2 UN-BRK ab 26.3.2009 zu (vgl auch Art 2 Abs 2 Vertragsgesetz zur UN-BRK iVm der Bekanntmachung über das Inkrafttreten der UN-BRK vom 5.6.2009, BGBl II 812). Ab diesem Zeitpunkt könnte Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK entgegenstehendes älteres Bundesrecht obsolet werden lassen (vgl auch BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 25 RdNr 28; zur Abhängigkeit des Geltungsbeginns von der völkerrechtlichen Wirksamkeit des Vertrages BVerfGE 63, 343, 354; 1, 396, 411 f; RG JW 1932, 582; Kunig in Graf Vitzthum, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 120 RdNr 112; aA Burghart DÖV 1993, 1038).

20

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge wie die UN-BRK, denen die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist, im Range eines Bundesgesetzes (vgl BVerfGE 111, 307, 317; 82, 106, 114; 74, 358, 370). Diese Rangzuweisung führt in Verbindung mit Art 20 Abs 3 GG dazu, dass deutsche Gerichte das anwendbare Völkervertragsrecht wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben, hier also ggf unter Beachtung des intertemporalen Rechts (vgl BVerfGE 111, 307, 317; einem theoretisch denkbaren Vorrang von Völkervertragsrecht nach § 30 Abs 2 SGB I steht der Anwendungsvorrang des SGB V entgegen, vgl § 37 S 1 und 2 SGB I). Ein - weitergehender - Anwendungsvorrang besteht dagegen für eine völkerrechtliche Norm, wenn sie in den Rang des Gewohnheitsrechts erwachsen ist. In diesem Falle sind die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art 25 GG grundsätzlich daran gehindert, innerstaatliches Recht in einer die Norm verletzenden Weise auszulegen und anzuwenden (vgl BVerfGE 112, 1, 27; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 260).

21

Die Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK beinhaltet indes keine allgemeine Regel des Völkerrechts mit dem genannten Geltungsvorrang. Bei den allgemeinen Regeln des Völkerrechts handelt es sich um Regeln des universell geltenden Völkergewohnheitsrechts, ergänzt durch aus den nationalen Rechtsordnungen tradierte allgemeine Rechtsgrundsätze (BVerfGE 117, 141, 149; 109, 13, 27; 16, 27, 33; 15, 25, 32 ff). Das Bestehen von Völkergewohnheitsrecht setzt eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten voraus, die in der Überzeugung geübt wird, hierzu aus Gründen des Völkerrechts verpflichtet zu sein (BVerfGE 46, 342, 367 mwN). Daran fehlt es hier. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK gibt nämlich nicht eine gefestigte Praxis zahlreicher Staaten wieder, Menschen mit Behinderungen ein der Regelung vergleichbares Recht auf Gesundheit zu gewähren. Dies verdeutlicht bereits eine Betrachtung des europäischen Rechtsrahmens. Ein entsprechendes Recht ist etwa weder in der Europäischen Menschenrechtskonvention noch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union enthalten (vgl hierzu Rothfritz, Die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2010, S 333).

22

Kein Anwendungsvorrang des Art 25 UN-BRK folgt aus dem Umstand, dass die Europäische Gemeinschaft (EG; Rechtsnachfolgerin: Europäische Union , vgl Art 1 Abs 3 S 3 Vertrag über die Europäische Union und Schreiben an den UN-Generalsekretär, BGBl II 2010, 250) dem Übereinkommen gemäß Art 44 UN-BRK iVm Art 310 des Vertrags zur Gründung der EG ( idF des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666; vgl jetzt Art 217 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ) beigetreten ist. Dieser Beitritt wirkt nur im Umfang der Zuständigkeiten der EG. Die EG vermochte sich völkerrechtlich nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu binden (vgl auch die Erklärung der EG zur UN-BRK, abrufbar unter http://treaties.un.org). Nur in diesem Rahmen kann eine Bindung der Mitgliedstaaten nach Art 300 Abs 7 EGV bzw nunmehr nach Art 216 Abs 2 AEUV eintreten, die den Bestimmungen der UN-BRK zu einer Stellung über dem Bundesrecht verhilft. Die Festlegung der Leistungskataloge der nationalen Krankenversicherungssysteme liegt indes außerhalb der Kompetenz der EU (Art 168 Abs 7 AEUV, zuvor Art 152 Abs 5 EGV; EuGHE I 2001, 5473 RdNr 87 - Smits und Peerbooms; EuGHE I 2003, 4509 RdNr 98 - Müller-Fauré und van Riet; vgl insgesamt auch Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 46).

23

Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK, der in der deutschen Rechtsordnung wie dargelegt im Range eines einfachen Bundesgesetzes gilt, enthält - soweit hier von Interesse - keine Vorgaben, die unmittelbar für Ansprüche GKV-Versicherter auf Arzneimittel bei erektiler Dysfunktion relevant sind. Die Norm ist - jedenfalls in ihrem hier bedeutsamen Teil - nicht hinreichend bestimmt, um von den KKn unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (vgl dazu Grzeszick, Rechte des Einzelnen im Völkerrecht, AVR 43, 2005, 312, 318).

24

Die unmittelbare Anwendbarkeit völkervertragsrechtlicher Bestimmungen (zum Unterschied zur Geltung vgl etwa BVerfG NJW 2011, 2113 RdNr 53 f; BVerfGK 9, 174 = NJW 2007, 499, RdNr 52 f; speziell zur UN-BRK Aichele AnwBl 2011, 727, 730) setzt voraus, dass die Bestimmung alle Eigenschaften besitzt, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muss, um Einzelne berechtigen oder verpflichten zu können (vgl BVerfGE 29, 348, 360). Dafür muss ihre Auslegung ergeben, dass sie geeignet und hinreichend bestimmt ist, wie eine innerstaatliche Vorschrift rechtliche Wirkung zu entfalten, ohne dass es einer weiteren normativen Ausfüllung bedarf (BVerfG NJW 2007, 499, 501; BVerfGE 29, 348, 360; vgl auch BVerwG Beschluss vom 18.1.2010 - 6 B 52/09 - juris RdNr 4; BVerwGE 134, 1 RdNr 46; BVerwGE 125, 1 RdNr 12; BVerwGE 120, 206, 208 f; BVerwGE 92, 116, 118; BVerwGE 87, 11, 13). Ist eine Regelung - objektiv-rechtlich - unmittelbar anwendbar, muss sie zusätzlich auch ein subjektives Recht des Einzelnen vermitteln (Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 141, 159; Grzeszick, AVR 43, 2005, 312, 318). Gemäß Art 31 Abs 1 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23.5.1969 (BGBl II 1985, 926 und BGBl II 1987, 757) erfolgt die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Ziels und Zwecks (vgl auch Graf Vitzthum in ders, Völkerrecht, 5. Aufl 2010, S 56 RdNr 123 mwN). Wortlaut, Regelungszusammenhang sowie Ziel und Zweck der Regelung des Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK sprechen gegen seine unmittelbare Anwendbarkeit für Leistungsrechte GKV-Versicherter im dargelegten Sinne.

25

Nach seinem Wortlaut verpflichtet Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK die Vertragsstaaten zu weiteren Maßnahmen, nämlich dazu, die genau benannten Gesundheitsleistungen "anzubieten". Die Terminologie der Verpflichtung von Vertragsstaaten, Leistungen "anzubieten" ("to provide"), indiziert keine unmittelbare Anwendbarkeit (vgl auch Ziff 33 des "General Comment No 14" vom 11.8.2000 zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966, BGBl II 1973, 1569; im Folgenden: WiSoKuPakt; zur Bedeutung der "General Comments" im Völkerrecht vgl zB BVerwGE 134, 1 RdNr 48 mwN; englische Fassungen der General Comments im Internet abrufbar unter http://www.unhchr.ch/tbs/doc.nsf/, deutsche Übersetzung veröffentlicht in Deutsches Institut für Menschenrechte, Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführungen, 2005; zur Typologie "to respect", "to protect" and "to fulfil" im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten vgl Koch in Human Rights Law Review 5, 2005, 81). Die Formulierung unterscheidet sich zugleich wesentlich von anderen Vertragsbestimmungen, die bereits nach ihrem Wortlaut einen unmittelbaren Anspruch begründen, ohne dass es weiterer Umsetzungsakte bedarf (so zB Art 30 Abs 4 UN-BRK: "Menschen mit Behinderungen haben gleichberechtigt mit anderen Anspruch auf …").

26

Auch der Regelungszusammenhang mit Art 25 S 1 und 2 UN-BRK spricht gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit von S 3 Buchst b der genannten Regelung. Weil die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung anerkennen, treffen sie die in S 2 genannten geeigneten Maßnahmen, um dieses Recht zu gewährleisten. Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK knüpft hieran an und spezifiziert beispielhaft ("Insbesondere") die in Art 25 S 1 und 2 UN-BRK ausdrücklich als Staatenverpflichtung konzipierte allgemeine Regelung.

27

Das Ineinandergreifen der Bestimmungen des Art 25 S 1, 2 und 3 Buchst b UN-BRK verdeutlicht zugleich die Zielsetzung und den Regelungszweck, das in Art 25 UN-BRK geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen. Die darin liegende Beschränkung spiegelt die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider: Nach Art 4 Abs 2 UN-BRK ist jeder Vertragsstaat hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte verpflichtet, unter Ausschöpfung seiner verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Maßnahmen zu treffen, um nach und nach die volle Verwirklichung dieser Rechte zu erreichen (sog Progressionsvorbehalt).

28

Die Regelung des Art 4 Abs 2 UN-BRK gilt zwar unbeschadet derjenigen Verpflichtungen aus diesem Übereinkommen, die nach dem Völkerrecht sofort anwendbar sind. Dazu gehört Art 25 S 3 Buchst b UN-BRK wegen seines Umsetzungsbedarfs in nationales Recht aber nicht. Diese Rechtsnorm ist vielmehr mit Art 12 Abs 2 WiSoKuPakt vergleichbar. Er benennt beispielhaft Schritte, die die Vertragsstaaten zur vollen Verwirklichung des "erreichbaren Höchstmaßes" ("highest attainable standard") an Gesundheit einzuleiten haben (vgl zur Entwicklung der UN-BRK im völkerrechtlichen Kontext auch Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246; Aichele, APuZ 2010, 13, 15; siehe auch "General Comment 3" Ziff 5 vom 14.12.1990 - keine Erwähnung von Art 12 WiSoKuPakt; "General Comment No 14" vom 11.8.2000 Ziff 1 zum Diskriminierungsverbot und Ziff 43 - Kernbereich medizinischer Grundversorgung auf Minimalniveau <"minimum essential levels[…] including essential primary health care"> - hier nicht betroffen; vgl schließlich Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 58 f).

29

4. Letztlich verhelfen auch weder das Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK noch Verfassungsrecht dem Kläger zum Erfolg. Art 5 Abs 2 UN-BRK ist allerdings nach den aufgeführten Kriterien unmittelbar anwendbar, in diesem Sinne also self-executing (vgl BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54; Denkschrift der Bundesregierung zur UN-BRK, BT-Drucks 16/10808, S 45, 48; Masuch in Festschrift für Renate Jaeger, 2011, 245, 246, 250). Nach dieser Regelung verbieten die Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung und garantieren Menschen mit Behinderungen gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung, gleichviel aus welchen Gründen.

30

Zu den Menschen mit Behinderungen zählen nach Art 1 Abs 2 UN-BRK Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Nach Art 2 UN-BRK bedeutet "Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen. Im Sinne des Übereinkommens bedeutet gemäß Art 2 UN-BRK "angemessene Vorkehrungen" notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Nach Art 4 Abs 1 S 1 UN-BRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern. Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsstaaten zu den im Einzelnen in Art 4 Abs 1 S 2 UN-BRK genannten Maßnahmen.

31

Ausgehend von diesen Grundsätzen entspricht das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK für die Leistungsbestimmungen der GKV im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 S 2 GG. Danach darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 S 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Fördermaßnahme kompensiert wird (vgl BVerfGE 99, 341, 357; 96, 288, 303; BVerfGK 7, 269, 273). Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass die UN-BRK generell als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte herangezogen werden kann (vgl BVerfG NJW 2011, 2113, RdNr 52; BVerfGE 111, 307, 317) und dies auch speziell für das Verständnis des Art 3 Abs 3 S 2 GG gilt (so im Ergebnis BVerfG SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 54).

32

Der gesetzliche Leistungsausschluss nach § 34 Abs 1 S 7 bis 9 SGB V verstößt indes weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Der gesetzliche Leistungsausschluss knüpft nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen (vgl die allgemein auf die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abstellende Regelung des § 2 Abs 1 S 1 SGB IX, an dessen Vorgängernorm - § 3 Abs 1 Schwerbehindertengesetz - sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Schaffung des Art 3 Abs 3 S 2 GG orientiert hat, s BVerfGE 96, 288, 301)und konventionsrechtlichen Sinne an, sondern erfasst weitergehend alle Fälle der Erkrankung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB V) oder - hier nicht betroffen - der Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde (§ 23 Abs 1 Nr 1, Abs 3 SGB V). Die Ausschlussregelung setzt nicht den Eintritt einer Behinderung voraus, sondern lässt auch eine vorübergehende Krankheit oder Erscheinungsformen in deren Vorfeld ausreichen.

33

Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iS des Art 3 Abs 3 S 2 GG oder des Art 1 Abs 2 UN-BRK trifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des GKV-Leistungskatalogs noch gerechtfertigt. Wie das GG fordert auch die UN-BRK zur Achtung des Diskriminierungsverbots keine unverhältnismäßigen oder unbilligen Belastungen. Die sich daraus ergebenden Rechtfertigungsanforderungen sind nicht höher als die nach dem GG.

34

Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die GKV den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs (§ 11 SGB V) unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V) zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Es steht mit dem GG in Einklang, wenn der Gesetzgeber vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Maß des Notwendigen überschreiten dürfen (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V). Der GKV-Leistungskatalog darf auch von finanzwirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht (vgl BVerfGE 103, 172, 184). Die gesetzlichen KKn sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (vgl BVerfGE 115, 25, 45 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

35

Auch aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine KK auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG NJW 1998, 1775; NJW 1997, 3085). Der Gesetzgeber verletzt seinen Gestaltungsspielraum weder im Hinblick auf das Sozialstaatsgebot noch auf das Benachteiligungsverbot behinderter Menschen, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen aus dem Leistungskatalog ausschließt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher Zustände dienen. Dies gilt erst recht, wenn es sich um Bereiche handelt, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen auch maßgeblich vom subjektiven Empfinden des einzelnen Versicherten abhängen können (vgl auch BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2, RdNr 25 - Viagra). Schließlich darf der Gesetzgeber auch aus Gründen der Rechtssicherheit klare Grenzlinien ziehen (vgl hierzu Begründung des Entwurfs der Fraktionen SPD, CDU/CSU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum GMG, BT-Drucks 15/1525, S 86 zu Art 1 Nr 22 Buchst a Doppelbuchst cc).

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.

(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. März 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Neufeststellung seiner Altersrente, die aufgrund seiner Wohnsitzverlegung aus den alten in die neuen Bundesländer durch Berücksichtigung von Entgeltpunkten Ost (EP Ost) statt Entgeltpunkten (EP) erfolgte.

2

Der im Jahr 1938 geborene Kläger lebte und arbeitete bis zu seiner Flucht in die Bundesrepublik Deutschland am 13.7.1969 in der damaligen ČSSR. Er hat seit 1972 einen Ausweis für Vertriebene und Flüchtlinge (Kategorie A). Nachdem er zunächst in Hessen gewohnt hatte, verzog er im Jahr 1974 nach Berlin (West) und im Jahr 2001 nach Baden-Württemberg.

3

Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte Beitrags- und Ausfallzeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) im Zeitraum vom 1.8.1953 bis zum 12.7.1969 fest (Bescheid vom 25.11.1985). Er bewilligte dem Kläger ab dem 1.5.1995 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 12.1.1996) und ab dem 1.1.2001 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid vom 30.12.2002). Der Berechnung der Renten wurden jeweils auch EP für die nach dem FRG anerkannten Zeiten zugrunde gelegt. Der Altersrentenbescheid enthält den Hinweis, dass eine Wohnsitzverlegung von den alten in die neuen Bundesländer mit einer Rentenminderung verbunden sei.

4

Am 1.8.2007 verzog der Kläger nach Sachsen, wovon die Beklagte im Oktober 2007 Kenntnis erlangte. Durch Bescheid vom 9.10.2009 stellte die Beklagte die Altersrente ab dem 1.12.2009 neu fest. Für die FRG-Zeiten legte sie nun EP Ost zugrunde, sodass sich der monatliche Zahlbetrag ab dem 1.12.2009 von bislang 1531,18 Euro auf 1487,39 Euro verringerte. Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies sie nach einem die Entscheidung erläuternden Schreiben vom 17.2.2010 zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.8.2010).

5

Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 8.8.2012 bzw des LSG vom 18.3.2014). Das LSG hat ausgeführt, die Beklagte habe die vorherige Rentenbewilligung zu Recht nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft teilweise aufgehoben. Infolge des Wohnsitzwechsels des Klägers nach Sachsen seien gemäß Art 6 § 4 Abs 6 Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz (FANG) für die FRG-Zeiten EP Ost zu ermitteln. Gegen diese Regelung bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Kläger werde weder unmittelbar noch mittelbar gehindert, seinen Wohnsitz im Bundesgebiet frei zu wählen. Der grundrechtlich gewährte Eigentumsschutz sei nicht berührt, weil Rentenansprüche aufgrund des FRG nicht auf einer Eigenleistung zur bundesdeutschen Rentenversicherung beruhten. Zudem werde nicht die Zahl der EP verringert, sondern nur deren Bewertung, indem die EP Ost mit dem jeweils aktuellen Rentenwert Ost (aRW Ost) multipliziert würden. Damit werde den noch immer nicht vollkommen angeglichenen Lebensverhältnissen in Ost- und Westdeutschland Rechnung getragen. Mit Rücksicht auf den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege auch keine unzulässige Ungleichbehandlung vor.

6

Der Kläger rügt mit seiner vom Senat zugelassenen Revision insbesondere einen Eingriff in sein Recht auf Freizügigkeit nach Art 11 GG.

7

Der Kläger beantragt,

        

die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 18. März 2014 und des Sozialgerichts Dresden vom 8. August 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2010 aufzuheben.

8

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Beklagte zur teilweisen Aufhebung der Altersrentenbewilligung berechtigt war.

11

A. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 9.10.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.8.2010, mit dem der Altersrentenbescheid vom 30.12.2002 ab dem 1.12.2009 teilweise aufgehoben und der Zahlbetrag der Altersrente vermindert wurde. Der Kläger hat die hiergegen iS des § 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG statthafte Anfechtungsklage in zulässiger Weise erhoben.

12

B. Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die zunächst unterlassene Anhörung (§ 24 Abs 1 SGB X) hat die Beklagte gemäß § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X durch das Schreiben vom 17.2.2010 noch rechtzeitig vor dem Erlass des Widerspruchsbescheids vom 12.8.2010 nachgeholt. Sie hat damit auch nachträglich die nach § 35 Abs 1 S 1 SGB X erforderliche Begründung gegeben(§ 41 Abs 1 Nr 2 SGB X).

13

C. Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der früheren Altersrentenbewilligung ist § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Dauerverwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eintritt, die bei seinem Erlass vorgelegen haben. Das ist hier der Fall.

14

Gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des Bescheids der Beklagten vom 30.12.2002, mit dem sie dem Kläger auf Dauer eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt hatte (dazu unter 1), ergab sich durch den Umzug des Klägers in das Beitrittsgebiet eine für die Rentenberechnung wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen. In der Folge waren für die nach dem FRG anerkannten Zeiten nun EP Ost und der aRW Ost zu berücksichtigen (dazu unter 2). Die insoweit aufgrund einfachrechtlicher Regelung zutreffend erfolgte Änderung des Bescheids vom 30.12.2002 durch die Beklagte verletzt weder die Grundrechte des Klägers insbesondere aus Art 14 Abs 1 und Art 11 Abs 1 GG (dazu unter D) noch steht sie im Widerspruch zu europarechtlichen Regelungen (dazu unter E).

15

1. Die für den Erlass des Altersrentenbescheids vom 30.12.2002 maßgeblichen Verhältnisse führten bei der Rentenberechnung zur Berücksichtigung von EP für Zeiten nach dem FRG. Das FRG findet hier Anwendung, weil der Kläger als anerkannter Vertriebener (§ 1 Abs 2 Nr 3 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge - Bundesvertriebenengesetz) zu dem durch das FRG begünstigten Personenkreis (§ 1 Buchst a FRG) gehört. Bei der Berechnung der Rente waren daher auch die im Herkunftsland bei dem tschechoslowakischen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegten Beitragszeiten des Klägers nach § 15 FRG zu berücksichtigen. Für die FRG-Zeiten wurden aufgrund des damaligen Wohnsitzes des Klägers im alten Bundesgebiet zutreffend EP und der aRW zugrunde gelegt.

16

2. Eine iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X wesentliche Änderung in den ursprünglichen tatsächlichen Verhältnissen trat ein als der Kläger am 1.8.2007 - nach dem maßgeblichen Stichtag 31.12.1991 - ins Beitrittsgebiet (Art 1 Abs 1 S 1 des Einigungsvertrags ) verzog. Wegen dieser rechtlich relevanten Änderung der tatsächlichen Verhältnisse (s hierzu BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 16/09 R - SozR 4-1300 § 48 Nr 19 RdNr 15 mwN) war die Beklagte berechtigt, die frühere Bewilligung der Altersrente teilweise und auf Dauer aufzuheben. Ab dem Zeitpunkt des Umzugs waren der Rentenberechnung des Klägers gemäß Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG für die FRG-Zeiten EP Ost zugrunde zu legen. Eine Anpassung der Rentenbewilligung kam wegen § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X aber erst für die Zukunft (ab 1.12.2009) in Betracht.

17

Nach Art 6 § 4 Abs 6 FANG gilt als Sonderregelung für die Zuordnung von EP bzw EP Ost, dass bei Berechtigten nach dem FRG, die

                          
        

a)    

ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet haben und dort nach dem 31.12.1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erwerben,

        

b)    

nach dem 31.12.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen und dort nach dem 31.12.1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG erwerben oder

        

c)    

nach dem 31.12.1991 ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet in das Beitrittsgebiet verlegen und bereits vor Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG haben,

        

für nach dem FRG anrechenbare Zeiten EP Ost ermittelt werden; im Falle von Buchst c gilt dies nur, sofern am 31.12.1991 Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG nicht bestand. Dies gilt auch für die Zeiten eines weiteren Rentenbezuges aufgrund neuer Rentenfeststellungen, wenn sich die Rentenbezugszeiten ununterbrochen aneinander anschließen. Bei Berechtigten nach S 1 Buchst a und c, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus dem Beitrittsgebiet in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne das Beitrittsgebiet verlegen, verbleibt es für Zeiten nach dem FRG bei den ermittelten EP Ost.

18

Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nahm der Kläger seinen Wohnsitz am 1.8.2007 im Beitrittsgebiet und begründete damit dort den nach Art 6 § 4 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG für die Zugrundelegung der EP Ost vorausgesetzten gewöhnlichen Aufenthalt(vgl zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts Senatsurteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 22 ff; Schlegel in Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB I, 2. Aufl 2011, § 30 SGB I RdNr 31). Die Ausnahme des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 2 FANG ist hier nicht einschlägig. Sie gilt nur für Personen, die bereits am 31.12.1991 einen Anspruch auf Zahlung einer Rente nach dem FRG hatten. Der Kläger bezog jedoch erst ab dem 1.5.1995 eine ua auf diesen Zeiten beruhende (Erwerbsunfähigkeits-)Rente.

19

Aus der Anwendung von Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG folgt ein niedrigerer Monatsbetrag der Rente. Danach werden die für die FRG-Zeiten ermittelten EP ab dem Umzug zu EP Ost und infolgedessen tritt bei der Berechnung des entsprechenden Monatsteilbetrags der Rente (§ 254b Abs 2 SGB VI) der aRW Ost an die Stelle des aRW (vgl § 254b Abs 1, § 255a SGB VI). Allein daraus ergibt sich im Ergebnis der niedrigere - von der Beklagten zutreffend bestimmte - Zahlbetrag der Rente. Die Anzahl der persönlichen EP ist insoweit im bisherigen Umfang erhalten geblieben. Soweit Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 FANG von der "Ermittlung" von EP Ost spricht, ändert dies nichts an den hier nach der Übergangsnorm des Art 6 § 4 Abs 3 iVm Art 6 § 5 FANG zugrunde gelegten durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelten für die nach dem FRG anerkannten Zeiten des Klägers. Abgesehen von der Anbindung an den aRW Ost gibt es keine Unterscheidung zwischen EP und EP Ost (vgl Kreikebohm in Kreikebohm, SGB VI, 4. Aufl 2013, § 254d RdNr 2).

20

D. Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass die Anwendung der Übergangsregelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG zu einem Grundrechtsverstoß führt. Es besteht keine Veranlassung, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 GG auszusetzen und dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen.

21

1) Ein Verstoß gegen Art 14 Abs 1 GG liegt nicht vor. Danach werden das Eigentum und das Erbrecht gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Zwar unterliegen Rentenanwartschaften und zu einem Vollrecht erstarkte Rentenansprüche, wenn sie auf rentenrechtlichen Zeiten beruhen, die in Deutschland erworben wurden, dem Schutz des Art 14 Abs 1 S 1 GG. Ob dies auch für Rentenanwartschaften/-ansprüche gilt, die rentenrechtliche Zeiten sowohl in Deutschland als auch im Herkunftsland (dort nach dem FRG) umfassen, kann hier dahinstehen (a). Denn mit der Übergangsregelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG hat der Gesetzgeber eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 S 2 GG getroffen(b). Diese die Höhe des Rentenanspruchs hier reduzierende Inhaltsbestimmung dient dem Gemeinwohl (aa) und ist verhältnismäßig. Sie ist zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich und ist für die Betroffenen nicht übermäßig belastend sowie zumutbar (bb).

22

a) Art 14 Abs 1 GG schützt Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, soweit diese im Geltungsbereich des GG erworben worden sind (stRpsr, vgl BVerfG Urteil vom 28.4.1999 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 - BVerfGE 100, 1, 32 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 - Juris RdNr 112). Ansprüche nach dem FRG gegen die deutsche Rentenversicherung unterliegen nicht dem Schutz des Art 14 Abs 1 GG, jedenfalls wenn diese ausschließlich auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten beruhen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden (vgl BVerfG Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96, 121 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 RdNr 80 - Juris RdNr 79; BVerfG Beschluss vom 23.6.1970 - 2 BvL 8/65 - BVerfGE 29, 22, 33 f = SozR Nr 83 zu Art 3 GG - Juris RdNr 32). Nur als Äquivalent einer nicht unerheblichen eigenen Leistung zur deutschen Rentenversicherung, die der besondere Grund für die Anerkennung als Eigentumsposition ist, erfahren rentenversicherungsrechtliche Anwartschaften den Schutz des Art 14 Abs 1 GG (vgl BVerfG Urteil vom 28.2.1980 - 1 BvL 17/77 ua - BVerfGE 53, 257, 291 f = SozR 7610 § 1587 Nr 1 - Juris RdNr 148; BVerfG Urteil vom 28.4.1999 - 1 BvL 32/95, 1 BvR 2105/95 - BVerfGE 100, 1, 33 = SozR 3-8570 § 10 Nr 3 - Juris RdNr 114).

23

Zwar hat der Gesetzgeber sich dazu entschieden, die von den Berechtigten in den Herkunftsländern zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten so zu behandeln, als ob sie im System der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt wurden. Dies war jedoch vom Gedanken der staatlichen Fürsorge getragen. Zu dieser Lösung war der Gesetzgeber weder nach einfachem noch nach Verfassungsrecht verpflichtet. Denn die zu fremden Versicherungssystemen entrichteten Beiträge haben keine anzuerkennende Rechtsposition in der zur Leistung verpflichteten deutschen Rentenversicherung geschaffen. Der Gesetzgeber wollte mit den Ansprüchen nach dem FRG daher auch kein Eigentum iS des Art 14 Abs 1 GG begründen oder anerkennen (vgl BVerfG Beschluss vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 - Juris RdNr 9; BVerfG Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96, 121 f = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 - Juris RdNr 79 f).

24

Selbst wenn man jedoch die aus dem FRG abgeleiteten Ansprüche und Anwartschaften dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 S 1 GG für den Fall unterstellen wollte, dass sie sich - wie hier - zusammen mit den in der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Rentenanwartschaften zu einer rentenrechtlichen Einheit verbinden (s auch BVerfG Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96, 124 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 RdNr 83; offengelassen in BVerfG Beschluss vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 - Juris RdNr 13), hat der Gesetzgeber mit der Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 Halbs 1 Buchst c FANG jedenfalls zulässig Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmt(Art 14 Abs 1 S 2 GG).

25

b) Die Vorschrift ist durch Gründe des Allgemeinwohls, hier die notwendige Anpassung des FRG an die im Zuge der Deutschen Einheit veränderten wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, gerechtfertigt und verhältnismäßig.

26

aa) Der ursprünglich dem Fremdrentenrecht zugrunde liegende Gedanke, den vertreibungsbedingten Verlust von Rentenanwartschaften aus Fürsorgegründen auszugleichen, verlor im Zuge der Wiedervereinigung für die im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten seine Legitimation (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP vom 23.4.1991 zum Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung - Renten-Überleitungsgesetz , BT-Drucks 12/405 S 110 f). Mit dem RÜG vom 25.7.1991 (BGBl I 1606) wurde stattdessen das Rentenrecht des SGB VI ab 1.1.1992 auf das Beitrittsgebiet übergeleitet. Nunmehr galt die "Rentenformel" zur Bestimmung des Monatsbetrags der Rente auch im Beitrittsgebiet, allerdings wurde den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen im Beitrittsgebiet und in Deutschland ohne Beitrittsgebiet durch die Sonderbewertungsvorschriften "Ost" (§§ 254b, § 254d, 255a SGB VI) für Beitragszeiten im Beitrittsgebiet mit den persönlichen EP Ost und der Anwendung des besonderen aRW Ost Rechnung getragen. Die Berechnungselemente knüpfen an die Zeiten im Beitrittsgebiet an und gelten für Bürger der neuen Länder grundsätzlich unabhängig von ihrem Wohnsitz. Ein einheitlicher aRW wurde vom Gesetzgeber erst zu dem Zeitpunkt für angezeigt gehalten, in dem die Lohn- und Gehaltssituation im Beitrittsgebiet an die im bisherigen Bundesgebiet angeglichen ist (vgl BT-Drucks 12/405 S 111). § 255a SGB VI idF des RÜG setzte die verfügbare Standardrente im Beitrittsgebiet mit dem aRW Ost ins Verhältnis zur verfügbaren Standardrente in den alten Bundesländern. Außerdem wurde sichergestellt, dass sich das Nettorentenniveau in Ost und West jeweils im selben Verhältnis weiterentwickelt (§ 255a Abs 2 SGB VI idF des RÜG). Anpassungen wurden zu diesem Zweck bis einschließlich 1996 zweimal jährlich vorgenommen. Seit dem 8.5.1996 ändert sich der aRW Ost grundsätzlich nach dem für die Veränderung des aRW geltenden Verfahren (§ 255a Abs 2 SGB VI idF des 2. SGB VI-ÄndG). Das RV-Nachhaltigkeitsgesetz vom 21.7.2004 (BGBl I 1791) fasste § 255a SGB VI neu; es setzte den aRW am 30.6.2005 mit 22,97 Euro fest und bestimmte, dass für das Anpassungsverfahren nach § 68 SGB VI auf die Lohnentwicklung im Beitrittsgebiet abzustellen ist. Die seitdem in § 255a Abs 2 SGB VI enthaltene "Schutzklausel" gewährleistet, dass der aRW Ost mindestens so anzupassen ist wie der aRW.

27

Angesichts der zeitgleichen tiefgreifenden politischen Veränderungen in den Herkunftsgebieten des FRG in Ost- und Südosteuropa musste außerdem nicht mehr generell von einem tatsächlich noch fortdauernden Vertreibungsdruck gegen die deutsche Bevölkerung ausgegangen werden (Stellungnahme des Bundesrates zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum RÜG, BT-Drucks 12/630 S 15 - zu Nr 18). Mit dem RÜG sollten daher auch die Regelungen des FRG für Aussiedler - unter modifizierter Beibehaltung des Integrationsprinzips (s zum Eingliederungs- bzw Integrationsprinzip etwa BVerfG Beschluss vom 26.1.1977 - 1 BvL 17/73 - BVerfGE 43, 213 = SozR 5050 § 22 Nr 5 S 10 f - Juris RdNr 45 ff)- den veränderten Gegebenheiten angepasst werden. Das FRG sollte so fortentwickelt werden, dass es am jeweiligen Aufenthaltsort - sei es in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet - einen angemessen Lebensstandard sichert (BT-Drucks 12/405 S 115 zu Nr 6). In den neuen Ländern sollten rentenberechtigte Aussiedler Leistungen entsprechend dem dortigen Rentenniveau erhalten, indem die FRG-Zeiten mit EP Ost bewertet werden. Auch wer als Aussiedler nach 1990 unmittelbar in den alten Ländern aufgenommen wurde, sollte nicht mehr vollständig von dem bundesdeutschen Einkommens- bzw Rentenniveau profitieren, sondern Leistungen erhalten, die dem Einkommensniveau strukturschwacher Gebiete entsprachen. Wegen der unterschiedlichen Leistungshöhe hielten es die Bundestagsfraktionen CDU/CSU und FDP für erforderlich, den Anreiz für einen Wohnortwechsel in die alten Bundesländer zu nehmen und für Aussiedler, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt aus den neuen in die alten Bundesländer oder auch aus den alten Bundesländern in das Beitrittsgebiet verlegen, keine günstigeren Regelungen zu treffen, als sie für Bundesbürger im Beitrittsgebiet gegeben sind (BT-Drucks 12/405 S 115 - zu Nr 6). In diesen Fällen sollten die EP Ost weitergelten bzw nunmehr zugrunde gelegt werden (vgl BT-Drucks 12/405 S 168 - zu Nr 2 Buchst f).

28

bb) Mit der auf diesen Überlegungen beruhenden Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG hat der Gesetzgeber auf die geänderten Umstände in einer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügenden Weise reagiert. Die damit einhergehende Anwendung von EP Ost und des aRW Ost bei einem Umzug aus den alten Bundesländern in das Beitrittsgebiet waren geeignet, das angestrebte Ziel zu erreichen, die Ansprüche von nach dem FRG berechtigten Aussiedlern an die geänderte Situation anzupassen (1) und im Sinne der Vermeidung einer Besserstellung gegenüber Bürgern der früheren DDR auch erforderlich (2). Sie belastet den Kläger nicht übermäßig und ist ihm zumutbar (3).

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(1) Der Gesetzgeber stand mit der Wiedervereinigung vor der grundsätzlichen Aufgabe, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Um dieses Ziel (allgemein zur Berechtigung dieses Ziels BVerfGE 116, 96, 126; 97, 271, 286; 58, 81, 110) zu erreichen, war die Modifikation des Integrationsprinzips des FRG für die nach diesem Gesetz Berechtigten durch Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst c FANG ein geeignetes Mittel. Das FRG hatte bislang ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit gewährleistet (vgl BVerfG Beschluss vom 26.1.1977 - 1 BvL 17/73 - BVerfGE 43, 213, 226 = SozR 5050 § 22 Nr 5 S 11 - Juris RdNr 45), indem es Vertriebene in das Wirtschafts- und Sozialgefüge der Bundesrepublik so integriert hatte, als hätten sie ihr bisheriges Erwerbsleben in den alten Bundesländern verbracht. Mit dem Beitritt der neuen Länder gab es aber in Deutschland kein einheitliches Sozialgefüge mehr (vgl Senatsurteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 38), sodass das für die FRG-Berechtigten maßgebliche Leistungsniveau neu zu bestimmen war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem Gesetzgeber in der außergewöhnlichen Situation der Wiedervereinigung bei der Bewältigung der Gesamtaufgaben des Staates ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zukam (vgl BVerfGE 100, 1, 46; 95, 143, 157; 84, 90, 130; 85, 360, 377; BSG Urteil vom 14.6.1995 - 4 RA 41/94 - BSGE 76, 136, 142 = SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 9 Nr 1 S 8 Juris RdNr 50). Dies gilt ebenso für den Bereich des FRG - auch dort mussten bei der Verwirklichung der Deutschen Einheit außergewöhnliche soziale Aufgaben bewältigt, Lasten getragen und Prioritäten bei begrenzten Finanzmitteln gesetzt werden (vgl BSG Urteil vom 30.4.1996 - 8 RKn 2/95 - BSGE 78, 168, 174 = SozR 3-8110 Kap VIII H I Nr 17 S 7 f - Juris RdNr 26).

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(2) Unter Berücksichtigung der veränderten Umstände war es auch erforderlich, die Leistungshöhe für Vertriebene bzw Aussiedler an die Verhältnisse im Beitrittsgebiet anzupassen. Die Beibehaltung des bisherigen Eingliederungsstandards für alle FRG-Berechtigten wäre nicht nur mit erheblichen finanziellen Lasten für die gesetzliche Rentenversicherung verbunden gewesen, sondern hätte darüber hinaus eine nicht begründbare Besserstellung gegenüber früheren DDR-Bürgern bedeutet. Eine solche ist schon deswegen nicht zu rechtfertigen, weil die zuletzt Genannten zur Wiederherstellung der Deutschen Einheit in ein einheitliches Rentenrecht (vgl BT-Drucks 12/405 S 108 zu Nr 1; BVerfG Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - BVerfGE 116, 96 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 - Juris RdNr 95) einbezogen wurden; für sie waren "Beiträge zur inzwischen vereinten Solidargemeinschaft gezahlt" worden, während eine Beitragsleistung zur deutschen Rentenversicherung bei Vertriebenen bzw Aussiedlern fehlte (vgl Stellungnahme zum RÜG-Entwurf, BT-Drucks 12/630 S 15 zu Nr 19). Gegenüber dem Vorschlag einer bundeseinheitlichen Geltung des Rentenniveaus Ost für alle FRG-Berechtigten (vgl Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des RÜG BT-Drucks 12/630 S 15 zu Nr 19) stellte die Fortentwicklung des Eingliederungsgedankens - zunächst in Abhängigkeit vom gewöhnlichen Aufenthalt - noch das mildere Mittel dar.

31

(3) Die Anwendung von EP Ost bei einem Umzug ins Beitrittsgebiet steht nicht außer Verhältnis zum Individualinteresse des Klägers, seine Rente in bisheriger Höhe zu behalten; die Reduzierung seines Rentenzahlbetrags ist ihm zumutbar. Eine Einbuße bei der Anzahl der EP erfolgt durch die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst c FANG nicht. Von der Änderung betroffen ist ausschließlich die Bewertung der FRG-Zeiten, die, wie bereits dargelegt, nicht auf Beitragsleistungen zugunsten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung beruhen. Ihnen kommt als Ausdruck besonderer Vergünstigung bei der Abwägung zwischen den Nachteilen zu Lasten des Klägers und den Belastungen der Versichertengemeinschaft sowie dem Gemeinwohlinteresse der Anpassung der FRG-Zeiten an die Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten im Beitrittsgebiet weniger Gewicht zu (vgl BVerfGE 116, 96, 128 f = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 - Juris RdNr 92; BSG Urteil vom 14.12.2011 - B 5 R 36/11 R - SozR 4-2600 § 248 Nr 1 RdNr 41).

32

Die Berücksichtigung des aRW Ost, der sich an der Lohnentwicklung in den neuen Bundesländern orientiert, ermöglicht dem Kläger außerdem weiterhin eine Teilhabe am wirtschaftlichen Wachstum und sichert ihm Leistungen auf dem typisierten Rentenniveau seines neuen Lebensumfelds. Auch wenn seit der Herstellung der Deutschen Einheit bis zum Umzug des Klägers im August 2007 annährend 17 Jahre (und bis heute annährend 27 Jahre) vergangen sind, ist die Herstellung einheitlicher Einkommensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland iS des § 254b SGB VI noch nicht erreicht. Die Anwendung unterschiedlicher Rentenwerte im Gebiet der alten Bundesrepublik und dem Beitrittsgebiet ist aufgrund der bestehenden Unterschiede auch im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG nach wie vor gerechtfertigt (vgl BVerfG Beschluss vom 12.2.2003 - 2 BvL 3/00 - BVerfGE 107, 218 zur "Beamtenbesoldung Ost"; BSG Urteil vom 14.3.2006 - B 4 RA 41/04 R - SozR 4-2600 § 255a Nr 1; Urteil vom 20.12.2007 - B 4 RA 32/05 R - SozR 4-2600 § 255a Nr 2 RdNr 21; Urteil vom 13.11.2008 - B 13 R 129/08 R - BSGE 102, 36 = SozR 4-2600 § 93 Nr 12, RdNr 81; vgl auch Beschluss vom 18.12.2012 - B 13 R 399/12 B - Juris; Beschluss vom 4.1.2013 - B 13 R 357/11 B - Juris; Beschluss vom 8.5.2015 - B 13 R 4/15 B - Juris; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 23.9.2010 - L 33 R 1239/08 - und vom 23.2.2012 - L 22 R 478/11 - Juris; Sächsisches LSG Urteil vom 5.1.2016 - L 5 R 160/15 - bzw vom 17.1.2017 - L 5 R 32/16 - Juris). Denn nach dem "Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2016" vom 22.9.2016 (BT-Drucks 18/9700) liegen zwar die tariflichen Entgelte in Ostdeutschland - bei steigender Tarifbindung und -orientierung - im Durchschnitt inzwischen bei rund 97 % des westdeutschen Niveaus. Auch die Bruttodurchschnittslöhne außerhalb von tarifvertraglichen Regelungen weisen für Ostdeutschland im Juni 2015 eine Steigerung um 120 Euro auf 2600 Euro im Vergleich zum Vorjahr aus. Die Relation gegenüber Westdeutschland (3210 Euro) liegt damit jedoch immer noch lediglich bei 81 % (Vorjahreswert: 78 %), sodass sich der Abstand zwischen den Lohnniveaus zwar 2015 etwas verringert hat (BT-Drucks 18/9700 S 38), insgesamt aber nicht vollständig abgebaut ist. Das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte in den neuen Ländern betrug je Einwohner im Jahr 2014 wie im Vorjahr nur 83 % des westdeutschen Einkommens (vgl BT-Drucks 18/9700 S 94).

33

Das Tempo der Angleichung der Erwerbseinkommensverhältnisse lässt erwarten, dass die Sonderbewertungsvorschriften für EP Ost erst durch das - derzeit in der parlamentarischen Beratung befindliche - Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks 18/11923 vom 12.4.2017; darin wird als vorläufiger Wert für 2016 von einem Durchschnittsentgelt Ost in Höhe von 87,1 % des Westwerts ausgegangen: BT-Drucks 18/11923 S 21) wegfallen werden. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, dass ab dem 1.7.2024 in der gesetzlichen Rentenversicherung in Ost und West ein einheitlicher gesamtdeutscher aRW und ab 2025 einheitliche gesamtdeutsche Rechengrößen (Durchschnittsentgelt, Bezugsgröße und Beitragsbemessungsgrenze) gelten.

34

Allerdings hat seit der Herstellung der Deutschen Einheit immerhin eine kontinuierliche Annäherung des aRW Ost an den aRW stattgefunden. Von diesem Angleichungsprozess hat auch der Kläger profitiert, indem sich der Unterschied zu der Rentenhöhe, die er im Bundesgebiet bezogen hätte, verringert hat. 1992 betrug der aRW Ost 23,57 DM, dh ca 57 % des aRW von 41,44 DM. Bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids lag der aRW Ost bei 24,13 Euro (dh ca 88,7 % des aRW von 27,20 Euro) und zuletzt ab 1.7.2016 bei 28,66 Euro (dh ca 94,1 % des aRW von 30,45 Euro).

35

2) Der Kläger kann sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen (Art 2 iVm Art 20 Abs 3 GG, s hierzu etwa BVerfG Beschluss vom 7.12.2010 - 1 BvR 2628/07 - BVerfGE 128, 90 mwN = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23 RdNr 42 f). Soweit es um die Bewertung der rentenrechtlichen Zeiten und damit um die Höhe der Rente geht, vermittelte der Bescheid vom 25.11.1985 über die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten keinen Vertrauensschutz. Die bloße Erwartung des Klägers, er werde in einer bestimmten Höhe leistungsberechtigt sein, ist verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht geschützt. Der Rentenversicherung ist vielmehr eine Anpassung an geänderte Verhältnisse immanent (vgl BVerfG Beschluss vom 18.2.1998 - 1 BvR 1318/86, 1 BvR 1484/86 - BVerfGE 97, 271, 289 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 10 - Juris RdNr 78). Art 6 § 4 Abs 6 FANG ist zudem vor dem erstmaligen Bezug der Rentenleistung des Klägers in Kraft getreten. Durch den Hinweis der Beklagten im Bewilligungsbescheid der Altersrente war der Kläger über die Rechtslage hinreichend informiert und konnte sich frühzeitig darauf einstellen.

36

Soweit der Kläger geltend macht, dass er sich seit seiner Flucht im Jahr 1969 tatsächlich durchgehend im früheren Bundesgebiet integriert hatte, kann er sich darauf nach der selbstbestimmten Verlagerung seines Wohnsitzes nicht mehr berufen. Durch die Lösung von dem alten Bundesgebiet, an das das Eingliederungsprinzip bislang anknüpfte, hat der Kläger die das Vertrauen ggf begründenden Umstände selbst geändert. Soweit es nicht um die Anwendung des aRW Ost geht, sondern um die Anzahl der EP und die Kürzungsvorschriften (§ 22 Abs 3 und Abs 4 FRG), profitiert der Kläger im Übrigen von der Übergangsregelung des Art 6 § 4 Abs 3 iVm § 5 FANG sowie der besitzstandswahrenden Regelung des § 88 Abs 1 S 2 SGB VI.

37

3) In das Recht des Klägers auf Freizügigkeit gemäß Art 11 Abs 1 GG wird durch die Zugrundelegung von EP Ost nach seinem Umzug ins Beitrittsgebiet nicht eingegriffen. Die Anwendung des aRW Ost nach dem Umzug des Klägers in das Beitrittsgebiet aufgrund von Art 6 § 4 Abs 6 Halbs 1 Buchst c FANG verletzt ihn weder unmittelbar(a), noch mittelbar (b) in seinem Grundrecht auf Freizügigkeit.

38

Nach Art 11 Abs 1 GG genießen alle Deutschen iS des Art 116 GG - zu denen der Kläger als Vertriebener gehört - im ganzen Bundesgebiet Freizügigkeit. Unter Freizügigkeit ist das Recht zu verstehen, unbehindert durch die deutsche Staatsgewalt an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen und zu diesem Zweck in das Bundesgebiet einzureisen (vgl BVerfG Beschluss vom 7.5.1953 - 1 BvL 104/52 - BVerfGE 2, 266, 273 - Juris RdNr 23; BVerfG Beschluss vom 6.6.1989 - 1 BvR 921/85 - BVerfGE 80, 137, 150 - Juris RdNr 51). Dem Schutzbereich unterfällt insbesondere auch die Freizügigkeit zwischen Ländern, Gemeinden und innerhalb einer Gemeinde (vgl BVerfG Urteil vom 17.12.2013 - 1 BvR 3139/08, 1 BvR 3386/08 - BVerfGE 134, 242, 323 f - Juris RdNr 253).

39

a) Ein unmittelbarer Eingriff in die Freizügigkeit wird durch Art 6 § 4 Abs 6 Halbs 1 Buchst c FANG nicht bewirkt. Ein solcher Grundrechtseingriff liegt im Allgemeinen vor, wenn die grundrechtliche Freiheit unmittelbar und gezielt (final), ggf durch ein zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, verkürzt wird (vgl BVerfG Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279, 299 f - Juris RdNr 68). In den Schutzbereich der Freizügigkeit greifen insbesondere gesetzliche Regelungen oder Maßnahmen ein, die die Einreise in das oder den dauerhaften Aufenthalt Deutscher im Bundesgebiet beschränken (vgl BVerfG Beschluss vom 7.5.1953 - 1 BvL 104/52 - BVerfGE 2, 266, 274 - Juris RdNr 24) bzw den Umzug von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen oder Genehmigungen uÄ abhängig machen (vgl Gnatzy in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hennecke, GG, 13. Aufl 2014, Art 11 RdNr 18; Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl 2013, Art 11 RdNr 43). Das ist vorliegend nicht der Fall.

40

Der Wohnortwechsel des Klägers konnte ohne Hemmnisse durch die öffentliche Gewalt umgesetzt werden. Die an den Umzug anknüpfende Berücksichtigung von EP Ost statt EP berührt auch nicht den Schutzbereich des Art 14 Abs 1 GG bzw stellt - wie bereits dargelegt - eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung iS des Art 14 Abs 1 GG dar (s oben). Insofern kann dahinstehen, ob - wie in der Literatur zum Teil angenommen (vgl Pagenkopf in Sachs, GG, 7. Aufl 2014, Art 11 RdNr 19; Kunig in von Münch/Kunig, GG, 6. Aufl 2012, Art 11 RdNr 17; Baldus in BeckOK GG, Art 11 RdNr 7; Hailbronner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl 2009, Bd 7, § 152 RdNr 57; aA Gusy in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 6. Aufl 2010, Art 11 RdNr 31; Durner in Maunz/Dürig, GG, Art 11 RdNr 85 Stand Einzelkommentierung August 2012; Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl 2013, Art 11 RdNr 33) - Art 11 Abs 1 GG auch die "Mitnahme des Eigentums" schützt. Der engere Wortlaut des Art 11 GG gegenüber Art 111 S 2 der Weimarer Reichsverfassung ("Jeder hat das Recht, sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen, Grundstücke zu erwerben und jeden Nahrungszweig zu betreiben") und die Ausdifferenzierung des Grundrechtsschutzes nach dem GG sprechen eher für ein enges Freizügigkeitsverständnis (vgl Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl 2013, Art 11 RdNr 23). Der Senat vermag jedenfalls nicht zu erkennen, dass Art 11 Abs 1 GG einen über Art 14 Abs 1 GG hinausgehenden Schutz sogar des Vermögens bezweckt, wodurch nahezu jede finanzielle Einbuße aus Anlass eines Umzugs nach Art 11 Abs 2 GG rechtfertigungsbedürftig wäre. Ein Leerlauf der Freizügigkeit ist - entgegen der Ansicht des Klägers - durch ein solches Verständnis nicht zu befürchten, da zu prüfen bleibt, ob die Schwelle eines mittelbaren Eingriffs in die Freizügigkeit überschritten wird.

41

b) Auch diese Prüfung ergibt jedoch, dass die auf Art 6 § 4 Abs 6 Halbs 1 Buchst c FANG beruhende Neuberechnung der Rente keinen mittelbaren Eingriff in das Recht des Klägers auf Freizügigkeit hervorruft. Die Minderung des Rentenzahlbetrags nach dem Umzug in das Beitrittsgebiet ist von Zielsetzung und Wirkung her nicht mit einem unmittelbaren Eingriff in die Freizügigkeit vergleichbar (aa). Ebenso wenig wird dies durch das Festhalten an der Rentenminderung auch für den Fall des Rückumzugs in das Gebiet der alten Bundesländer bewirkt (bb).

42

Staatliche Maßnahmen können grundsätzlich auch dann Grundrechte beeinträchtigen und müssen von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein, wenn sie nur eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten (vgl BVerfG Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279, 303 f - Juris RdNr 77; BVerfG Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 - BVerfGE 110, 177, 191 - Juris RdNr 35). Soweit allerdings in der Literatur zum Teil vertreten wird, alle rechtlichen, faktischen und finanziellen Beeinträchtigungen seien unabhängig von deren Zielrichtung zu berücksichtigen (so Hailbronner in Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl 2009, Bd 7, § 152 RdNr 59), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Für den mittelbaren Eingriff ist grundsätzlich keine geringere Schwelle anzusetzen als für den direkten Eingriff. Dies folgt insbesondere aus den für direkte Eingriffe formulierten, über einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt hinausgehenden engen Schranken des Art 11 Abs 2 GG (vgl Durner in Maunz/Dürig, GG, Art 11 RdNr 112 f Stand Einzelkommentierung August 2012; Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl 2013, Art 11 RdNr 23).

43

Auch nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung schützt Art 11 Abs 1 GG nicht vor jedem auf staatliche Maßnahmen zurückgehenden mittelbaren Nachteil, den ein Ortswechsel nach sich ziehen kann (vgl BVerfG Beschluss vom 20.7.1999 - 1 BvQ 10/99 - NJW 1999, 3477), und auch nicht dagegen, dass der Aufenthalt an einem bestimmten Ort aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen mit Konsequenzen verbunden ist, die zu dem Entschluss veranlassen können, von einem Aufenthalt abzusehen (vgl BVerfG Beschluss vom 17.2.2010 - 1 BvR 529/09 - NVwZ 2010, 1022, 1025 - Juris RdNr 57). Es ist vielmehr zu prüfen, ob Maßnahmen in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem direkten Eingriff gleichkommen (vgl BVerfG Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 - BVerfGE 110, 177, 191 - Juris RdNr 35; BVerfG Beschluss vom 26.6.2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 - BVerfGE 105, 252, 273 - Juris RdNr 62). Bei der Festsetzung von Abgaben ist danach regelmäßig die Qualität eines Eingriffs in das Recht auf Freizügigkeit aus Art 11 Abs 1 GG verneint worden, solange diese Abgaben nicht eine ähnliche Wirkung wie ein striktes Verbot des Nehmens von Aufenthalt oder Wohnsitz haben. Hierfür kommt es ua auf die Größenordnung der Abgabe an (vgl BVerfG Beschluss vom 17.2.2010 - 1 BvR 529/09 - Juris RdNr 58) bzw darauf, ob die finanzielle Belastung - objektiv betrachtet - geeignet ist, einen beherrschenden Einfluss auf die Willensbildung und -betätigung auszuüben (vgl BVerfG Beschluss vom 29.6.1981 - 1 BvR 226/75 - HFR 1981, 579; zustimmend Gnatzy in Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 13. Aufl 2014, Art 11 RdNr 17; vgl ebenso BVerwG Urteil vom 18.11.1999 - 5 C 8/99 - BVerwGE 110, 92 - Juris RdNr 15 für mittelbare Einwirkungen auf die Einreisefreiheit). Im Bereich der Leistungsgewährung hat das BVerfG eine mittelbare Beeinträchtigung des Art 11 Abs 1 GG darin gesehen, dass mit der Beschränkung von Leistungen nach dem BSHG auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche ein wirtschaftlich spürbarer Nachteil an die Ausübung der Freizügigkeit geknüpft worden ist, um den Inhaber des Grundrechts an einen Zuweisungsort zu binden (BVerfG Urteil vom 17.3.2004 - 1 BvR 1266/00 - BVerfGE 110, 177, 191 - Juris RdNr 36).

44

Grundsätzlich lässt sich aber aus Art 11 Abs 1 GG kein Leistungsanspruch gegen die öffentliche Hand ableiten (vgl Pagenkopf in Sachs, GG, 7. Aufl 2014, Art 11 RdNr 22; Blanke in Stern/Becker, Grundrechte-Komm, 2. Aufl 2016, Art 11 RdNr 21). In Verbindung mit Art 3 Abs 1 GG kann sich allenfalls im Ausnahmefall ein Anspruch auf Teilhabe ergeben, wenn der Zuzug in besonderer Weise davon abhängt, wie etwa beim Vorenthalten einer Sozialhilfe- bzw Grundsicherungsleistung (vgl Wollenschläger in Dreier, GG, 3. Aufl 2013, Art 11 RdNr 63; vgl BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 60/09 R - BSGE 106, 147 - SozR 4-4200 § 22 Nr 35, RdNr 25).

45

aa) Die Berücksichtigung von EP Ost für die FRG-Zeiten des Klägers nach seinem Umzug ins Beitrittsgebiet erreicht nach Zielsetzung und Wirkung nicht die Qualität eines direkten Eingriffs in Art 11 Abs 1 GG. Es handelt sich bei der durch Art 6 § 4 Abs 6 Halbs 1 Buchst c FANG bewirkten Neubewertung der FRG-Zeiten zwar um eine an die Ausübung der Freizügigkeit anknüpfende, diese aber nicht unterbindende Regelung.

46

Sie zielt - wie der Kläger selbst einräumt - nicht darauf ab, FRG-Berechtigte von einem Umzug in das Beitrittsgebiet abzuhalten. Mit Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Buchst c FANG wird vielmehr - wie dargelegt - die wirtschaftliche Eingliederung des Klägers in das Rentengefüge des Beitrittsgebiets bezweckt. Das modifizierte Eingliederungsprinzip knüpft dabei an das vom Kläger selbst gewählte Umfeld an; in der Rentenhöhe wirken sich insoweit die durch die Ausnahmesituation der Wiedervereinigung noch gerechtfertigten Unterschiede des Rentenrechts in den alten und neuen Bundesländern aus (s oben).

47

Allein die Tatsache, dass sich die Anspruchshöhe durch den Umzug in begrenztem Ausmaß verringert, bewirkt aus objektiver Sicht kein Umzugshindernis. Denn mit dem aRW Ost wird die Höhe der Rente für die FRG-Zeiten ins Verhältnis zu dem örtlich niedrigeren Einkommensniveau gesetzt, das auch für die Berechnung der Renten der Bundesbürger in den neuen Ländern ausschlaggebend ist. Dem Fürsorgegedanken des FRG wird damit weiter Rechnung getragen.

48

Ein - wie bereits dargelegt - durch Art 14 Abs 1 GG nicht bewirkter Grundrechtsschutz kann hier nicht über Art 11 Abs 1 GG erreicht werden. Art 11 GG dient auch - anders als das Freizügigkeitsrecht der EU - grundsätzlich keinem integrativen Konzept, das eine Angleichung der Lebensverhältnisse erfordert. Selbst wenn zur Verwirklichung der Freizügigkeit in gewissem Umfang Koordinierungsregelungen erforderlich sein mögen (vgl Fastenrath, JZ 1987, 170, 174), so vermag der Senat jedenfalls einen über das Angleichungsgebot des Art 30 Abs 5 S 3 EV noch hinausgehenden Auftrag aus Art 11 GG nicht abzuleiten.

49

bb) Soweit der Kläger auf die bleibende Anwendung der EP Ost selbst bei einem Rückumzug ins "alte Bundesgebiet" hinweist, führt dies nach Zielsetzung und Wirkung ebenfalls nicht zu einem mittelbaren Eingriff. Der Gesetzgeber knüpft zwar abstrakt an die Verlagerung des gewöhnlichen Aufenthalts vom Beitrittsgebiet in das alte Bundesgebiet an; er zielt mit der dauerhaften Geltung von EP Ost aber nicht auf die Verhinderung eines solchen Umzugs ab, sondern will damit lediglich positive Anreize zum Umzug vermeiden (vgl Begründung zum Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen vom 23.4.1991 zum RÜG, BT-Drucks 12/405 S 115 zu Nr 6). Es ist insoweit auch nicht ersichtlich, dass die Gesichtspunkte des Rückumzugs bei der Ausübung des Freizügigkeitsrechts des Klägers bereits einen willensbeherrschenden Einfluss erlangt haben könnten, zumal da die Verlagerung des "gewöhnlichen Aufenthalts" ins Beitrittsgebiet die Prognose eines zukunftsoffenen Verbleibs "bis auf weiteres" voraussetzt (vgl BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 25 ff). Bei der vom Kläger angesprochenen nur "kurzfristigen Verlagerung" des Aufenthalts ins Beitrittsgebiet, für die ihm eine dauerhafte Anwendung von EP Ost unzumutbar erscheint, handelt es sich um eine bloße Fallhypothese, über die der Senat nicht zu entscheiden hatte.

50

Die Beibehaltung der EP Ost wirkt auch nicht wie ein unmittelbares Umzugshindernis. Mit der dauerhaften Zuordnung von EP Ost steht der Kläger vielmehr den Rentnern gleich, die rentenrechtliche Zeiten im Beitrittsgebiet erworben haben und ihren gewöhnlichen Aufenthalt (nach dem 18.5.1990) ins Gebiet der alten Bundesrepublik verlegen (vgl § 254d Abs 1 und 2 SGB VI). Das Rentenrecht knüpft bei diesen Rentenberechtigten systemgerecht an die im Beitrittsgebiet erworbenen Zeiten und nicht an den aktuellen Wohnort an; insoweit ist für sie von vornherein keine Berührung mit dem Freizügigkeitsrecht gegeben. Allein aus dem Fürsorgegedanken des FRG kann der Kläger keinen Anspruch aus Art 11 Abs 1 GG ableiten, bei einem Umzug in die alten Bundesländer höhere Rentenleistungen zu erhalten; der Gesetzgeber war zur Beibehaltung des Eingliederungsprinzips und zur Besserstellung der FRG-Berechtigten in der Umbruchsituation der Wiedervereinigung - wie dargelegt - nicht verpflichtet.

51

4) Ob im Fall des Rückumzugs in die alten Bundesländer eine unzulässige Ungleichbehandlung nach Art 3 Abs 1 GG zu den im alten Bundesgebiet dauerhaft verbliebenen FRG-Berechtigten vorliegt (kritisch deshalb Abgeordneter Dreßler, BT-PlenarProt 12/24 S 1618), hatte der Senat nicht zu entscheiden. Denn das LSG hat nicht festgestellt, dass der Kläger inzwischen seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder in den alten Bundesländern begründet hat.

52

Der Gesetzgeber durfte hier jedenfalls ohne Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG auf den gewöhnlichen Aufenthalt des FRG-Berechtigten und die unterschiedlichen Lebens- und Einkommensverhältnisse in den neuen und alten Bundesländern abstellen (BSG Urteil vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6, RdNr 49). Soweit der Kläger geltend macht, durch die zunächst erfolgte Anwendung des früheren Eingliederungsprinzips müsse er einem Rentner mit rentenrechtlichen Zeiten im alten Bundesgebiet dauerhaft gleichgestellt werden, ist dem nicht zu folgen. Denn er hat durch das FRG gerade keine gleichwertig nach Art 14 Abs 1 GG geschützte Position erworben (s oben; vgl BVerfG Beschluss vom 13.12.2016 - 1 BvR 713/13 - Juris RdNr 9). Die durch das FRG gewährte Begünstigung kann nicht Grundlage dafür sein, die volle Gleichstellung mit denjenigen zu erhalten, die in derselben Zeit ein Versicherungsverhältnis zu einem Versicherungsträger in der Bundesrepublik Deutschland begründet hatten (vgl BVerfG Beschluss vom 13.6.2006 - 1 BvL 9/00 ua - Juris RdNr 95). Die unterschiedliche Ausgangslage eines FRG-Berechtigten und eines "Einheimischen", für den Beiträge zugunsten der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden sind, bleibt trotz Anwendung des Eingliederungsprinzips bestehen (vgl BVerfG Beschluss vom 23.6.1970 - 2 BvL 8/65 - BVerfGE 29, 22 ff - Juris RdNr 27) und stellt einen hinreichenden Differenzierungsgrund dar.

53

Der Kläger wird auch nicht wegen seiner Herkunft oder Heimat diskriminiert (Art 3 Abs 3 S 1 GG). Die rentenrechtliche Bewertung der FRG-Zeiten ist vielmehr allein darin begründet, dass die FRG-Berechtigten ihre Versicherungsbiografie in einem anderen Land als der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt haben; ihre Beiträge sind anderen Versicherungsträgern, ihre Beschäftigung einem anderen Wirtschafts- und Sozialsystem zugutegekommen (vgl BVerfGE 116, 96, 130; 29, 22, 33).

54

E) Entgegen der Ansicht des Klägers werden durch die Neubewertung seiner FRG-Zeiten aufgrund Art 6 § 4 Abs 6 S 1 Halbs 1 Buchst c FANG auch keine europarechtlichen Vorgaben verletzt.

55

1. Die europarechtlich verbürgte Unionsbürgerschaft (Art 20 AEUV, früher Art 17 EGVtr) garantiert insbesondere das Recht auf Freizügigkeit, mithin "das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten" (Art 21 Abs 1 AEUV, früher Art 18 EGVtr). Dieses allgemeine Freizügigkeitsrecht hat in den speziellen Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 ff AEUV, früher Art 39 ff EGVtr) eine besondere Ausprägung erfahren (vgl EuGH Urteil vom 16.5.2013 - C-589/10 - ZESAR 2013, 456 RdNr 67). Nähere Bedingungen für die Wahrnehmung der Arbeitnehmerfreizügigkeit enthalten außerdem die auf der Grundlage von Art 48 AEUV (früher Art 42 EGVtr) erlassenen sekundärrechtlichen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der EGV 883/2004 (vom 29.4.2004, ABl EU Nr L 166 vom 30.4.2004), die seit dem 1.5.2010 die Bestimmungen der EWGV 1408/71 (vom 14.6.1971, ABl L 149 vom 5.7.1971, S 2) abgelöst haben. Diese Regelungen sind ab dem Beitritt Tschechiens und der Slowakei zur Europäischen Union zum 1.5.2004 anwendbar. In dem zwischenstaatlichen Rentenverfahren sind grundsätzlich auch Versicherungszeiten, die - wie hier - bereits vor Inkrafttreten der EWGV 1408/71 in den neuen Mitgliedstaaten zurückgelegt wurden, zu berücksichtigen (Art 94 Abs 1 bis 3 EWGV 1408/71).

56

2. Durch die Berücksichtigung von EP Ost für die FRG-Zeiten des Klägers nach seinem Umzug ins Beitrittsgebiet werden die europäischen Koordinierungsregelungen jedoch nicht berührt. Die genannten Verordnungen sehen für Rentenansprüche die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten in anspruchsbegründender Hinsicht vor; die Höhe der Leistungen bemisst sich dagegen nur nach den im Recht des einzelnen Mitgliedstaats maßgeblichen Zeiten (vgl Art 50 ff EGV 883/2004). Es findet insoweit eine Koordinierung nationaler Versicherungssysteme statt; die Rentensysteme bleiben aber nebeneinander bestehen, aus ihnen ergeben sich weiterhin selbstständige Ansprüche gegen selbstständige Träger (vgl bereits EuGH Urteil vom 5.7.1967 - C 9/67 - Juris). Es entsteht keine "europäische Gesamtrente", sondern es verbleibt bei sog Teilrenten der involvierten Mitgliedstaaten, die nach dem Leistungsexportprinzip (vgl Art 7 EGV 883/2004) ungeschmälert auch an Berechtigte in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt werden (vgl Schuler in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 6. Aufl 2013, Teil 2 Artikel 7 Vorbem II 1. RdNr 4). Die Bewertung der nach nationalem Recht (§ 15 FRG) einbezogenen Beitragszeiten wird durch das Verordnungsrecht nicht berührt - daran ändert auch die Tatsache nichts, dass dieselben Zeiten ggf ebenfalls von einem ausländischen Versicherungsträger berücksichtigt werden können und insoweit in das zwischenstaatliche Verfahren nach der EGV 883/2004 einzubeziehen sind (vgl auch Anhang XI der EGV 883/2004, Deutschland, Nr 7, wonach die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen für Versicherungszeiten, die nach dem FRG in den in § 1 Abs 2 Unterabsatz 3 des BVFG genannten Gebieten anzurechnen sind, weiterhin im Anwendungsbereich der Verordnung ungeachtet des § 2 FRG gelten).

57

3. In der Bewertung der FRG-Zeiten nach bestimmten Regeln des nationalen Rechts liegt auch keine nach Art 45 AEUV verbotene Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit (zur Anwendbarkeit des Art 45 auf Rentenempfänger vgl EuGH Urteil vom 26.5.2016 - C 300/15 - Juris RdNr 25 ff). Der Kläger wird nicht benachteiligt, weil er sein Recht auf Freizügigkeit (von Tschechien nach Deutschland) ausgeübt hat (vgl dazu etwa EuGH Urteil vom 20.5.2008 - C-352/06 - Slg 2008, I-3827 = ZESAR 2008, 455, RdNr 29). Der Kläger wird als vertriebener deutscher Staatsangehöriger vielmehr gegenüber anderen Unionsbürgern aus anderen Mitgliedstaaten (ohne Vertriebenenstatus) durch das FRG grundsätzlich privilegiert, selbst wenn die FRG-Ansprüche ggf durch die Rente des ausländischen Versicherungsträgers zum Ruhen gebracht (§ 31 FRG) oder - wie hier - durch die Berücksichtigung des aRW Ost gemindert werden.

58

Durch den Umzug des Klägers innerhalb der Bundesrepublik Deutschland von Baden-Württemberg nach Sachsen wird kein grenzüberschreitender Sachverhalt ausgelöst, der von der europäischen Freizügigkeitsgarantie erfasst würde; für die innerstaatliche Freizügigkeit deutscher Staatsangehöriger in Deutschland sind die Normen des AEUV nicht anwendbar (vgl Pagenkopf in Sachs, GG, 7. Aufl 2014, Art 11 RdNr 9). Die gegenüber dem Versicherungsträger im Herkunftsstaat erworbenen Anwartschaften werden durch die Regelung des Art 6 § 4 Abs 6 FANG ebenfalls nicht berührt. Allein der frühere Grenzübertritt des Klägers bei seiner Flucht ins Bundesgebiet führt daher nicht dazu, dass hier ein Fall vorläge, dessen entscheidungserhebliche Merkmale über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen (aA Wunder, SGb 2014, 313, 317). Dies ist aber für die Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit erforderlich (vgl BSG Urteil vom 30.4.2013 - B 12 R 13/11 R - SozR 4-2600 § 106 Nr 3 RdNr 18; stRspr EuGH, zB Urteil vom 16.1.1997 - C-134/95 - SozR 3-6030 Art 48 Nr 12 S 39 mwN). Auch die Unionsbürgerschaft bezweckt nicht, den sachlichen Anwendungsbereich des EG-Vertrags auf interne Sachverhalte auszudehnen, die keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht aufweisen (vgl EuGH Urteil vom 1.4.2008 - C-212/06 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 3 - Juris RdNr 39).

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft leben, dürfen hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. § 39 gilt entsprechend.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert. Nicht zum Einkommen gehören

1.
Leistungen nach diesem Buch,
2.
die Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen,
3.
Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz,
4.
Aufwandsentschädigungen nach § 1835a des Bürgerlichen Gesetzbuchs kalenderjährlich bis zu dem in § 3 Nummer 26 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes genannten Betrag,
5.
Mutterschaftsgeld nach § 19 des Mutterschutzgesetzes,
6.
Einnahmen von Schülerinnen und Schülern allgemein- oder berufsbildender Schulen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus Erwerbstätigkeiten, die in den Schulferien ausgeübt werden; dies gilt nicht für Schülerinnen und Schüler, die einen Anspruch auf Ausbildungsvergütung haben,
7.
ein Betrag von insgesamt 520 Euro monatlich bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und die
a)
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
b)
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen oder
c)
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen während der Schulzeit erwerbstätig sind,
8.
Aufwandsentschädigungen oder Einnahmen aus nebenberuflichen Tätigkeiten, die nach § 3 Nummer 12, Nummer 26 oder Nummer 26a des Einkommensteuergesetzes steuerfrei sind, soweit diese einen Betrag in Höhe von 3 000 Euro kalenderjährlich nicht überschreiten und
9.
Erbschaften.
Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird.

(2) Von dem Einkommen sind abzusetzen

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten, und
4.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben.
Erhält eine leistungsberechtigte Person aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, die als Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes oder nach § 2 Absatz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstgesetzes gezahlt werden, ist abweichend von Satz 1 Nummer 2 bis 4 und den Absätzen 3 und 6 ein Betrag von bis zu 250 Euro monatlich nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Soweit ein Betrag nach Satz 2 in Anspruch genommen wird, gelten die Beträge nach Absatz 3 Satz 1 zweiter Halbsatz und nach Absatz 6 Satz 1 zweiter Halbsatz insoweit als ausgeschöpft.

(3) Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ferner ein Betrag in Höhe von 30 vom Hundert des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28. Abweichend von Satz 1 ist bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches von dem Entgelt ein Achtel der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 zuzüglich 50 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen. Im Übrigen kann in begründeten Fällen ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden.

(4) Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ferner ein Betrag von 100 Euro monatlich aus einer zusätzlichen Altersvorsorge der Leistungsberechtigten zuzüglich 30 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(5) Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge im Sinne des Absatzes 4 ist jedes monatlich bis zum Lebensende ausgezahlte Einkommen, auf das der Leistungsberechtigte vor Erreichen der Regelaltersgrenze auf freiwilliger Grundlage Ansprüche erworben hat und das dazu bestimmt und geeignet ist, die Einkommenssituation des Leistungsberechtigten gegenüber möglichen Ansprüchen aus Zeiten einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach den §§ 1 bis 4 des Sechsten Buches, nach § 1 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte, aus beamtenrechtlichen Versorgungsansprüchen und aus Ansprüchen aus Zeiten einer Versicherungspflicht in einer Versicherungs- und Versorgungseinrichtung, die für Angehörige bestimmter Berufe errichtet ist, zu verbessern. Als Einkommen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge gelten auch laufende Zahlungen aus

1.
einer betrieblichen Altersversorgung im Sinne des Betriebsrentengesetzes,
2.
einem nach § 5 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten Altersvorsorgevertrag und
3.
einem nach § 5a des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes zertifizierten Basisrentenvertrag.
Werden bis zu zwölf Monatsleistungen aus einer zusätzlichen Altersvorsorge, insbesondere gemäß einer Vereinbarung nach § 10 Absatz 1 Nummer 2 Satz 3 erster Halbsatz des Einkommensteuergesetzes, zusammengefasst, so ist das Einkommen gleichmäßig auf den Zeitraum aufzuteilen, für den die Auszahlung erfolgte.

(6) Für Personen, die Leistungen der Hilfe zur Pflege, der Blindenhilfe oder Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch erhalten, ist ein Betrag in Höhe von 40 Prozent des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 65 Prozent der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(7) Einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der Einnahme erbracht worden sind, werden im Folgemonat berücksichtigt. Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen und mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. In begründeten Einzelfällen ist der Anrechnungszeitraum nach Satz 2 angemessen zu verkürzen. Die Sätze 1 und 2 sind auch anzuwenden, soweit während des Leistungsbezugs eine Auszahlung zur Abfindung einer Kleinbetragsrente im Sinne des § 93 Absatz 3 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes oder nach § 3 Absatz 2 des Betriebsrentengesetzes erfolgt und durch den ausgezahlten Betrag das Vermögen überschritten wird, welches nach § 90 Absatz 2 Nummer 9 und Absatz 3 nicht einzusetzen ist.

(1) Die Pflegekasse hat zur Sicherstellung ihrer Leistungsfähigkeit eine Rücklage zu bilden.

(2) Die Rücklage beträgt 50 vom Hundert des nach dem Haushaltsplan durchschnittlich auf den Monat entfallenden Betrages der Ausgaben (Rücklagesoll).

(3) Die Pflegekasse hat Mittel aus der Rücklage den Betriebsmitteln zuzuführen, wenn Einnahme- und Ausgabeschwankungen innerhalb eines Haushaltsjahres nicht durch die Betriebsmittel ausgeglichen werden können.

(4) Übersteigt die Rücklage das Rücklagesoll, so ist der übersteigende Betrag den Betriebsmitteln bis zu der in § 63 Abs. 2 genannten Höhe zuzuführen. Darüber hinaus verbleibende Überschüsse sind bis zum 15. des Monats an den Ausgleichsfonds nach § 65 zu überweisen.

(5) Die Rücklage ist getrennt von den sonstigen Mitteln so anzulegen, daß sie für den nach Absatz 1 bestimmten Zweck verfügbar ist. Sie wird von der Pflegekasse verwaltet.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011.

2

Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft (Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am 1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind nicht erbracht worden.

3

Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25 Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts ) monatlich auf 16,73 Euro.

4

Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis 31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011 von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011; Bescheid vom 11.5.2011).

5

Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71 Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011 weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII) neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge: Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten, Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen. Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche der Tochter).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis 31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.

9

Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden. Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung einzustellen(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe, ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von 60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht. Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab 1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

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Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld (450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.

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2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

13

In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§ 64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -) und um einen abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII.

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Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31 SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens(BVerwGE 98, 248 ff) einer konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die Pflegekasse in die Pflegestufe 3(§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).

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3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen, ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).

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4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3(hier in der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten hat) iVm § 61(hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19 Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).

17

Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig - Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118, 297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1 SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere Pflegekräfte(§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein; das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies nach der Zurückverweisung verifizieren.

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5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII) und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären(vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

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6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII(hier bis 31.12.2010 in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab 1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis 31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen ist, nicht genau ermittelbar.

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Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden. Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen, passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).

21

7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG, aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab 1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.

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Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise Rechnung.

23

8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben, was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat. Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro) zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen. Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin - ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im Einzelnen nachgewiesen wird.

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Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3 Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25) auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V).

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9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind(vgl zur Formulierung in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu § 79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII(dazu Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien entstehen.

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10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010 (Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.

27

11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten ist(§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG, Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend, Kriterien genannt sind.

28

12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die Schwere der Behinderung(vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60 vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was vorliegend nicht der Fall ist.

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13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).

30

Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften, die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.

31

Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.

32

Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein. Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitgegenständlich ist die Anrechnung von Landesblindengeld auf die Blindenhilfe nach § 72 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Zeitraum Januar 2013 bis Juni 2014.

Der 1966 geborene Kläger (die Bezeichnung der Beteiligten aus dem erstinstanzlichen Verfahren wird beibehalten) ist blind. Ihm wurden ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen G, Bl, H und RF zuerkannt. Der Kläger erhielt in der Vergangenheit seit 01.04.2004 aufstockende Blindenhilfe, ohne dass hierbei zunächst Einkommen leistungsmindernd berücksichtigt wurde. Erstmals ab 01.03.2006 wurde bei der Errechnung der Blindenhilfe nach dem SGB XII Einkommen (Erwerbsunfähigkeitsrente, Blindengeld und Wohngeld) berücksichtigt.

Der Kläger lebt alleine in einer Mietwohnung in A-Stadt. Die Miethöhe betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 345,- Euro. Die Erwerbsunfähigkeitsrente der Deutschen Rentenversicherung B. ... belief sich seit Januar 2013 auf 632,46 Euro und seit Juli 2013 auf 634,04 Euro. Wohngeld wurde für den Zeitraum Februar 2012 bis Januar 2013 in Höhe von 120,- Euro, für den Zeitraum Februar 2013 bis Januar 2014 in Höhe von 112,- Euro sowie ab Februar 2014 in Höhe von 112,- Euro gewährt. Das Landesblindengeld betrug ab Juli 2012 monatlich 534,- Euro und ab Juli 2013 monatlich 535,- Euro.

Mit Bescheid vom 10.07.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab 01.07.2012 bis auf weiteres Blindenhilfe nach dem SGB XII in Höhe von 60,26 Euro. Aus dem Berechnungsbogen des Bescheides geht hervor, dass das Blindengeld in Höhe von damals 534,- Euro, Wohngeld in Höhe von 120,- Euro sowie die Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 633,16 Euro, insgesamt 1.287,16 Euro, als Einkommen berücksichtigt wurden. Hiervon wurden 3,75 Euro (anteilige Haftpflichtversicherung), 50,- Euro (Kosten für Fahrdienste durch den Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund) und 55,- Euro (monatliche Belastung wegen Tilgung eines Darlehens) in Abzug gebracht. Vom bereinigten Einkommen in Höhe von 1.178,41 Euro wurden als Einkommensgrenze der Grundbetrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII in Höhe von 748,- Euro und die Mietzahlung in Höhe von 345,- Euro abgezogen, so dass sich ein die Einkommensgrenze übersteigendes Einkommen in Höhe von 85,41 Euro ergab. Hiervon wurden 40 Prozent als zuzumutendes einzusetzendes Einkommen in Abzug gebracht, so dass daraus eine zu leistende Blindenhilfe in Höhe von 60,26 Euro resultierte. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 25.07.2013 hob der Beklagte den Bescheid vom 10.07.2012 für die Zeit ab Januar 2013 auf und bewilligte für Januar 2013 66,94 Euro, für Februar bis Juni 2013 monatlich 70,14 Euro und (auf den Antrag des Klägers vom 17.06.2013) ab Juli 2013 bis auf weiteres 69,67 Euro monatlich als Blindenhilfe. Dabei wurden ab Januar 2013 eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 632,46 Euro und ein höherer Grundbetrag bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII von 764,- Euro, ab Februar 2013 ein niedrigeres Wohngeld von 112,- Euro und ab Juli 2013 eine höhere Erwerbsunfähigkeitsrente von 634,04 Euro berücksichtigt.

Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 12.08.2013 Widerspruch und führte zur Begründung aus, das Landesblindengeld dürfe nicht nach § 83 Abs. 1 SGB XII als Einkommen angerechnet werden, da bei der Blindenhilfe § 72 SGB XII als Spezialvorschrift anzuwenden sei. Die ergänzende Blindenhilfe in Bayern betrage maximal den Differenzbetrag zwischen Blindenhilfe und Blindengeld. Mit dieser unmittelbaren Anrechnung des Landesblindengeldes habe bereits eine Verwertung dieser Leistung stattgefunden. Die kumulative Anwendung der Anrechnungsregeln des § 83 SGB XII und des § 72 SGB XII sei in diesen Regelungen nicht beabsichtigt. Diese Auffassung sei durch ein Urteil des SG Landshut vom 02.02.2011 (S 10 SO 36/09) bestätigt worden. Auch das LSG Baden-Württemberg habe in einem Urteil vom 21.09.2006 (L 7 SO 5514/05) im Leitsatz ausgeführt: „Die Bundesblindenhilfe ist aufstockend zu gewähren, soweit die Höhe der Landesblindenhilfe die Beträge des § 72 Abs. 2 SGB XII nicht erreicht. Weitergehende Anrechnungen zwischen den Leistungsarten sind ausgeschlossen.“ Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2013 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch gegen den Bescheid vom 25.07.2013 zurück.

Mit der am 08.10.2013 beim Sozialgericht Landshut (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Ziel weiter verfolgt und die Begründung aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt. Der Beklagte hat auf die Klage erwidert, bei der Gewährung von Blindenhilfe sei aufgrund der unstrittigen Zweckidentität das Landesblindengeld als Einkommen zu berücksichtigen. Diese Rechtsauffassung werde durch das Urteil des OVG Schleswig bestätigt, wonach die Nichtberücksichtigung des Landesblindengeldes im Rahmen der Einkommensprüfung den Regelungen der §§ 76 Abs. 1, 77 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) widerspreche. Das LSG Baden-Württemberg habe in seinem Urteil vom 21.09.2006 (L 7 SO 5514/05) keine Aussage zu der hier streitgegenständlichen Frage getroffen, da dieses Urteil nur Anrechnungen im Verhältnis verschiedener Leistungsarten, d. h. die Tatbestandsebene, nicht jedoch die Rechtsfolgenseite des Einkommenseinsatzes betreffe. Bei Einführung des SGB XII seien die im früheren BSHG geltenden wesentlich höheren Einkommensgrenzen für blinde Menschen vom Gesetzgeber abgeschafft worden. Schon hieraus lasse sich schließen, dass eine weitere Privilegierung vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen sei. Die Regelung in § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII wäre obsolet, wenn das Landesblindengeld schon bei der Berechnung des Einkommens außer Acht zu lassen wäre. Letztlich werde durch diese Regelung eine Doppelanrechnung bzw. Leistungsverkürzung verhindert.

Das SG hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 05.05.2015 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, den Gründen des Urteils der 10. Kammer des Sozialgerichts Landshut vom 02. Februar 2011 könne nicht gefolgt werden. Es entspreche der ganz überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung, dass die Landesblindenhilfe die gegenüber der Bundesblindenhilfe vorrangige Leistungsart sei, auch weil sie - hier nach Art. 1 Abs. 1 Bayerisches Blindengeldgesetz (BayBlindG) - als einkommensunabhängige Versorgungsleistung, also ohne von bestimmten Einkommensgrenzen abhängig zu sein, gewährt werde und an die Stelle der im Rahmen des SGB XII zu gewährenden Blindenhilfe trete. Mit dem Blindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz habe dem besonders schweren Schicksal der zivilblinden Menschen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen - ähnlich den Kriegsblinden - ohne Rücksicht auf deren wirtschaftliche Verhältnisse Rechnung getragen werden sollen. Der Bundesgesetzgeber habe bei Inkrafttreten des § 72 SGB XII davon ausgehen dürfen, dass sämtliche Bundesländer nach Landesblindengesetzen bzw. Landespflegegeldgesetzen einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen an Blinde erbrächten; hierauf abhebend - und in Fortsetzung der Regelung des § 67 Abs. 1 Satz 1 BSHG - sei auch der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII lediglich ein ergänzender bzw. „aufstockender“ Charakter zugemessen worden. Blindenhilfe werde nach Maßgabe des § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 82 ff. SGB XII einkommensabhängig gewährt. Wenn sich der Bundesgesetzgeber somit bewusst für diesen nachrangigen Einsatz der Blindenhilfe entscheide und er Leistungen nach dem Neunten Kapitel SGB XII nur einkommens- und vermögensabhängig gemäß den Vorschriften des 11. Kapitels des SGB XII gewähre, so könne diese bewusste, in sich geschlossene und lückenlose gesetzgeberische Entscheidung nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass man das Landesblindengeld entgegen dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 SGB XII nicht in die Einkommensermittlung einstelle. Das Blindengeld sei im Rahmen des § 72 Abs. 1 SGB XII allein Maßstab bildend für die Gewährung der Blindenhilfe; bundesrechtlich werde insbesondere keine vollumfängliche Blindenhilfe gewährt, von der das Landesblindengeld dann abgezogen werde. Demgegenüber habe die Einbeziehung des Blindengeldes in die Ermittlung des Einkommens ausschließlich bedarfsregelnden Charakter. Die Berücksichtigung des gewährten Blindengeldes im Rahmen des § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und im Rahmen des § 83 Abs. 1 SGB XII habe völlig unterschiedliche Ansatz- und Ausgangspunkte. § 72 Abs. 1 SGB XII könne nicht als lex specialis angesehen werden. Dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.09.2006 könne nicht entnommen werden, dass das Landesblindengeld nicht der Einkommensermittlung zugerechnet werden dürfe. Im Gegenteil betone das LSG Baden-Württemberg, dass Bundesblindenhilfe aufstockend zu gewähren sei, soweit die Höhe des Landesblindengeldes die Beträge des § 72 SGB XII nicht erreiche. Allein eine weitere Anrechnung des nach § 64 SGB XII gewährten Pflegegeldes auf die Blindenhilfe und auf das Landesblindengeld schließe es aus.

Der Kläger hat gegen das ihm am 15.06.2015 zugestellte Urteil des SG am 15.07.2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung wiederholte und vertiefte er seine Ausführungen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 05.05.2015 und den Bescheid des Beklagten vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger im Zeitraum Januar 2013 bis Juni 2014 ergänzende Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ohne Anrechnung des Landesblindengeldes bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens in voller Höhe des Aufstockungsbetrages zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezog sich zur Begründung auf die Ausführungen im Urteil des SG vom 05.05.2015. Die besondere Lebenssituation des Klägers sei bereits bei der Bemessung des Eigenanteils berücksichtigt worden. Weitergehende Belastungen und besondere Umstände habe der Kläger nicht mitgeteilt. Die Ausführungen des Klägers bezüglich des Vorliegens einer Härte würden letztlich dazu führen, dass generell kein Einkommenseinsatz gefordert werden könne. Dies sei vom Gesetzgeber aber offensichtlich nicht gewollt gewesen, wie die Regelung in § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zeige.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie der Verwaltungsakten des Beklagten und der Widerspruchsakten der Regierung von Niederbayern verwiesen.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung höherer Leistungen der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII ohne Berücksichtigung des ihm gewährten Landesblindengeldes als Einkommen. Zutreffend hat der Beklagte dem Kläger Blindenhilfe für Januar 2013 in Höhe von 66,94 Euro, für Februar bis Juni 2013 in Höhe von monatlich 70,14 Euro und für die Zeit ab Juli 2013 in Höhe von monatlich 69,67 Euro gewährt.

A.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft. Die Berufung bedurfte nicht der Zulassung, da sie wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft, vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Streitgegenständlich ist die Höhe der gewährten Blindenhilfe im Zeitraum Januar 2013 bis Juni 2014.

B.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet, da das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat. Der Bescheid des Beklagten vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 54 Abs. 1 Satz 2 SGG. Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung der Blindenhilfe in Höhe des vollen Aufstockungsbetrages nach § 72 Abs. 1 SGB XII besteht nicht.

I. Statthafte Klageart ist eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, 4 SGG, gerichtet auf Gewährung höherer Leistungen der Blindenhilfe im Zeitraum Januar 2013 bis Juni 2014 ohne Berücksichtigung des dem Kläger gewährten Landesblindengeldes als Einkommen nach §§ 82 ff. SGB XII.

II. Der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist der für die Bewilligung der Leistung nach §§ 97 Abs. 1, 3 Nr. 4, 98 Abs. 1 SGB XII iVm Art. 81 Abs. 1, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Bayerisches Gesetz zur Ausführung der Sozialgesetze (AGSG) zuständige Leistungsträger und richtiger Klagegegner.

Der Bescheid vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.09.2013 ist dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig.

1. Soweit der Beklagte den Bescheid vom 10.07.2012 für die Zeit ab 01.01.2013 bis 30.06.2013 rückwirkend aufgehoben und eine abweichende (höhere) Leistung für diesen Zeitraum bewilligt hat, genügt der Bescheid den Anforderungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X, da die Aufhebung ab Änderung der Verhältnisse wegen eines niedrigeren Renteneinkommens des Klägers ab Januar 2013, eines niedrigeren bewilligten Wohngeldes ab Februar 2013 sowie einer Erhöhung der Regelbedarfsstufe 1 zum 01.01.2013 und damit Berücksichtigung eines höheren Grundbetrages bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zugunsten des Klägers erfolgte.

2. Der Bescheid vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2013 ist auch für den Zeitraum Juli 2013 bis Juni 2014 rechtmäßig. Das dem Kläger bewilligte Landesblindengeld war nach § 83 SGB XII als Einkommen anspruchsmindernd bei der gewährten Blindenhilfe zu berücksichtigen. Zutreffend hat der Beklagte ab Juli 2013 Blindenhilfe in Höhe von monatlich 69,67 Euro bewilligt.

a) Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird blinden Menschen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Diese negative Tatbestandsvoraussetzung ist Ausdruck des so genannten Nachranggrundsatzes der §§ 2 Abs. 1, 19 Abs. 3 SGB XII (vgl. Blüggel in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 72, Rdnr. 24). Um eine solche gleichartige Leistung handelt es sich bei dem in Bayern gewährten Landesblindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz. Auch dieses dient nach Art. 1 Abs. 1 BayBlindG dem Ausgleich der durch diese Behinderung bedingten Mehraufwendungen. Folge dieses Zurücktretens der Blindenhilfe als subsidiäre Leistung ist, dass diese nur (aufstockend) gewährt wird, wenn und soweit die gleichartige andere Leistung hinter der Blindenhilfe zurückbleibt. Anders als Leistungen nach den Landesblindengesetzen, die unabhängig von Einkommen und Vermögen der blinden Person gewährt werden und damit als Versorgungsleistungen qualifiziert werden können, setzt die Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII Bedürftigkeit nach Maßgabe der §§ 19 Abs. 3, 82 ff., 90 f. SGB XII voraus. Die Blindenhilfe ist im 9. Kapitel des SGB XII - Hilfe in anderen Lebenslagen - geregelt. Nach § 19 Abs. 3 SGB XII gilt für diese Hilfen und damit ausdrücklich auch für die Blindenhilfe nach § 72 SGB XII, dass sie geleistet werden, soweit den Leistungsberechtigten die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des 11. Kapitels des SGB XII nicht zuzumuten ist.

b) Nach § 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der dort ausdrücklich genannten Leistungen. Hiernach ist das Landesblindengeld als Einkommen anzusehen. Eine Konkretisierung und Einschränkung des Einkommensbegriffs des § 82 SGB XII ist in § 83 SGB XII geregelt. Nach § 83 Abs. 1 SGB XII sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur soweit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient. Für das Blindengeld ergibt sich diese Zweckidentität zur Blindenhilfe aus Art. 1 Abs. 1 BayBlindG; sie ist für das Landesblindengeld nach der ganz herrschenden Meinung in der Kommentarliteratur auch allgemein anerkannt (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 83, Rdnr. 9; Schmidt in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 83, Rdnr. 14; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Mai 2017, § 72, Rdnr. 14; Lücking in: Hauck/Noftz, SGB, 01/06, § 83 SGB XII, Rdnr. 9; Strnischa in: Oestreicher, SGB XII, Stand: Juni 2015, § 72, Rdnr. 9; Geiger in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 83, Rdnr. 28; Steimer in: Mergler/Zink, SGB XII, Stand: April 2014, § 83, Rdnr. 16; Siebel-Huffmann in: Beck´scher Online Kommentar Sozialrecht, 45. Aufl., Stand: Juni 2017, § 83, Rdnr. 4).

c) Zutreffend hat das SG in seinem Urteil vom 05.05.2015 ausgeführt, dass § 72 SGB XII nicht als lex specialis zu § 83 SGB XII angesehen werden kann und daher das Landesblindengeld als Einkommen zu berücksichtigen ist. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem Urteil verwiesen.

Zu Recht verweist das SG darauf, dass § 72 SGB XII und § 83 SGB XII eine unterschiedliche Zweckrichtung haben. § 72 SGB XII regelt auf der Tatbestandsseite, wann überhaupt Blindenhilfe als ergänzende Leistung in Betracht kommt, nämlich, wenn und soweit andere Regelungen, insbesondere landesrechtliche Leistungen, entsprechende Hilfen nicht vorsehen bzw. der Höhe nach hinter der bundesrechtlichen Blindenhilfe zurückbleiben. Der Anspruch auf Blindenhilfe bleibt also überhaupt nur erhalten, soweit das Landesblindengeld nicht die Höhe der Blindenhilfe erreicht (vgl. Bieritz-Harder in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 72, Rdnr. 2).

Demgegenüber kommt § 83 SGB XII über § 19 Abs. 3 SGB XII, der allgemein den Einkommenseinsatz bei der Gewährung von Hilfen in besonderen Lagen und damit auch bei der Blindenhilfe nach § 72 SGB XII regelt, zur Anwendung. § 83 SGB XII regelt bei der Ermittlung der konkreten Leistungshöhe den Einsatz von Einkommen bei der Gewährung von Leistungen, wenn sie demselben Zweck dienen. Die Vorschriften der §§ 82 ff. SGB XII ermitteln damit bei der konkret bewilligten Leistung den zumutbaren Einkommenseinsatz je nach vorliegenden individuellen finanziellen Verhältnissen.

Der vom SG Landshut vom 02.02.2011 (S 10 SO 36/09) vertretenen Annahme, § 72 SGB XII sei als lex specialis zu § 83 SGB XII anzusehen, stehen die systematische Stellung beider Vorschriften sowie der Umstand entgegen, dass sie nicht etwa gleiches regeln, sondern unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen und damit keine Normenkonkurrenz besteht. § 72 SGB XII ist Teil des Neunten Kapitels des SGB XII und enthält mit der Blindenhilfe eine der in diesem Kapitel geregelten Hilfen in anderen Lebenslagen. Die Norm hat zum Gegenstand, wann überhaupt ein Anspruch auf Blindenhilfe besteht. Demgegenüber findet sich § 83 SGB XII im Elften Kapitel des SGB XII, das den Einsatz des Einkommens und Vermögens bei den verschiedenen Leistungsarten regelt. Eine Normenkonkurrenz bzw. ein Normenwiderspruch, der nach dem Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ aufzulösen wäre, liegt nicht vor.

§ 72 SGB XII als lex specialis zu § 83 SGB XII anzusehen, hätte - wie das SG zutreffend und überzeugend ausführt - zur Folge, §§ 82 Abs. 1 Satz 1, 83 SGB XII entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut nicht anzuwenden. Eine solche Vorgehensweise widerspräche der eindeutigen gesetzgeberischen Wertung in § 19 Abs. 3 SGB XII, auch die Blindenhilfe als Hilfe in anderen Lebenslagen nur einkommens- und vermögensabhängig zu gewähren. Dass es - wie das SG Landshut in seinem Urteil vom 02.02.2011 meint - zu Fallkonstellationen kommen könne, in denen bei alleiniger Gewährung von Blindenhilfe nach dem SGB XII der Hilfebedürftige besser gestellt wäre als wenn beide Leistungen - Blindengeld und Blindenhilfe - bezogen würden und dies nicht gewollt sein könne, rechtfertigt angesichts des klaren gesetzgeberischen Regelungsgefüges in § 19 Abs. 3 SGB XII iVm §§ 82 ff. SGB XII keine andere Betrachtungsweise. Hätte der Gesetzgeber eine Berücksichtigung von Landesblindengeld als Einkommen bei der Gewährung der Blindenhilfe nicht gewollt, hätte eine Regelung im Rahmen der §§ 83 ff. SGB XII, insbesondere in § 87 SGB XII (Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze), nahegelegen. So sieht § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII vor, dass blinden Menschen nach § 72 SGB XII ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten ist. Die Regelung ist erst aufgrund der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 16.12.2003 (BT-Drucks. 15/2260 S. 4, M 030 S. 7) dem Abs. 1 angefügt worden. Sie dient - entsprechend der Einfügung in Abs. 1 Satz 2 „die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit“ - dem Zweck, die durch die Vereinheitlichung der Einkommensgrenze auf erheblich niedrigerem Niveau als nach bisheriger Rechtslage belasteten behinderten und pflegebedürftigen Menschen zu privilegieren und einen (teilweisen) Ausgleich für die Absenkung der Einkommensgrenze zu schaffen (vgl. Lücking in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: Januar 2006, § 87 SGB XII, Rdnr. 16). Eine Regelung, dass Landesblindengeld nicht als Einkommen bei der Blindenhilfe zu berücksichtigen ist, findet sich aber weder in § 83 SGB XII noch in § 87 SGB XII. Mit dem Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.09.2004 - 2 LB 40/04 zur Vorgängerregelung in § 77 BSHG) und der herrschenden Literaturmeinung (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 83, Rdnr. 9; Schmidt in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 83, Rdnr. 14; Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, Stand: Mai 2017, § 72, Rdnr. 14; Lücking in: Hauck/Noftz, SGB, 01/06, § 83 SGB XII, Rdnr. 9; Strnischa in: Oestreicher, SGB XII, Stand: Juni 2015, § 72, Rdnr. 9; Geiger in: LPK-SGB XII, § 83, Rdnr. 28; Steimer in: Mergler/Zink, SGB XII, Stand: April 2014, § 83, Rdnr. 16; Siebel-Huffmann in: Beck´scher Online Kommentar Sozialrecht, 45. Aufl., Stand: Juni 2017, § 83, Rdnr. 4; a.A. ohne nähere Begründung nur Rasch in: Linhart/Adolph, Stand: April 2010, § 72, Rdnr. 21 und Schellhorn in: Schellhorn, 19. Aufl. 2015, § 72, Rdnr. 7 unter Verweis auf das Urteil des SG Landshut vom 02.02.2011 -) ist daher davon auszugehen, dass das Landesblindengeld als gleichartige Leistung als Einkommen bei der Ermittlung der Blindenhilfe anzurechnen ist.

Etwas anderes - auch darauf weist das SG im Urteil vom 05.05.2015 zutreffend hin - ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.09.2006 (L 7 SO 5514/05). Das LSG hatte sich dort nur mit dem Vorrang-Nachrang-Verhältnis zwischen Pflegegeld nach dem SGB XII, Landesblindengeld und Bundesblindenhilfe und den entsprechenden Vorschriften hierzu - §§ 66, 72 SGB XII, § 3 Abs. 1 baden-württembergisches LBlindG - befasst und in diesem Zusammenhang zum Ausdruck gebracht, dass eine Anrechnung des nach § 64 SGB XII gewährten Pflegegeldes weder auf das Bundesblindengeld noch auf das Landesblindengeld in Betracht komme. Streitig war in diesem Zusammenhang die Anwendung der Vorschriften des § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB XII und des § 3 Abs. 2 baden-württembergisches LBlindG. Nur auf dieses grundsätzliche Vorrang-Nachrang-Verhältnis dieser drei Leistungsarten bezog sich auch der Leitsatz des Urteil vom 21.09.2006 „Weitergehende Anrechnungen zwischen den drei Leistungsarten sind ausgeschlossen.“ Mit der Vorschrift des § 83 SGB XII hatte sich das LSG Baden-Württemberg dagegen überhaupt nicht zu befassen.

d) Abgesehen von der Frage der Berücksichtigung des Landesblindengeldes als Einkommen nach § 83 SGB XII ist die konkret bewilligte Leistungshöhe im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu beanstanden. Nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten, soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt. Bei blinden Menschen ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten, vgl. § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII.

Als maximaler Bewilligungsbetrag für die Blindenhilfe nach dem SGB XII kam ein monatlicher Betrag von 94,42 Euro (Blindenhilfe in Höhe von 628,42 Euro abzüglich des Landesblindengeldes in Höhe von 534,- Euro) bzw. ab Juli 2013 in Höhe von 94,99 Euro (Blindenhilfe in Höhe von 629,99 Euro abzüglich des Landesblindengeldes in Höhe von 535,- Euro) in Betracht. Der Beklagte hat zutreffend das Einkommen aus der Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 632,46 Euro (Januar bis Juni 2013) bzw. in Höhe von 634,04 (ab Juli 2013 bis Juni 2014), aus der Wohngeldbewilligung (120,- Euro im Januar 2013 und 112,- Euro ab Februar 2013 bis Juni 2014) und das Landesblindengeld (534,- Euro ab Januar 2013 bis Juni 2013 und 535,- Euro ab Juli 2013 bis Juni 2014) berücksichtigt und dieses um jeweils monatlich 108,75 Euro (50,- Euro für Fahrdienste des Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbundes, 3,75 Euro anteilige Haftpflichtversicherung und 55,- Euro Darlehenstilgung) bereinigt.

Das bereinigte Einkommen in Höhe von insgesamt 1.177,71 Euro im Januar 2013 überstieg die Einkommensgrenze nach § 85 Abs. 1 SGB XII von 1.109,- Euro (764,- Euro Grundbetrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und Kosten der Unterkunft in Höhe von 345,- Euro nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) um 68,71 Euro. Hiervon hat der Beklagte ein freibleibendes Einkommen von 60 Prozent nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Höhe von 41,23 Euro in Abzug gebracht, so dass sich ein Eigenanteil in Höhe von 27,48 Euro ergab, der auf den maximalen Aufstockungsbetrag von 94,42 Euro angerechnet wurde. Daraus ergab sich der Bewilligungsbetrag von 66,94 Euro im Januar 2013.

Das bereinigte Einkommen in Höhe von insgesamt 1.169,71 Euro im Zeitraum Februar bis Juni 2013 überstieg die Einkommensgrenze nach § 85 Abs. 1 SGB XII von 1.109,- Euro (764,- Euro Grundbetrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und Kosten der Unterkunft in Höhe von 345,- Euro nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) um 60,71 Euro. Hiervon hat der Beklagte ein freibleibendes Einkommen von 60 Prozent nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Höhe von 36,43 Euro in Abzug gebracht, so dass sich ein Eigenanteil in Höhe von 24,28 Euro ergab, der auf den maximalen Aufstockungsbetrag von 94,42 Euro angerechnet wurde. Daraus ergab sich der Bewilligungsbetrag im Zeitraum Februar bis Juni 2013 in Höhe von 70,14 Euro.

Das bereinigte Einkommen in Höhe von insgesamt 1.172,29 Euro ab Juli 2013 bis Juni 2014 überstieg die Einkommensgrenze nach § 85 Abs. 1 SGB XII von 1.109,- Euro (764,- Euro Grundbetrag nach § 85 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII und Kosten der Unterkunft in Höhe von 345,- Euro nach § 85 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) um 63,29 Euro. Hiervon hat der Beklagte ein freibleibendes Einkommen von 60 Prozent nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII in Höhe von 37,97 Euro in Abzug gebracht, so dass sich ein Eigenanteil in Höhe von 25,32 Euro ergab, der auf den maximalen Aufstockungsbetrag von 94,99 Euro angerechnet wurde. Daraus ergab sich der Bewilligungsbetrag von 69,67 Euro im Zeitraum Juli 2013 bis Juni 2014.

Ermessen ist bei der Ermittlung des Eigenanteils nach § 87 Abs. 1 Satz 3 SGB XII von der Behörde nicht auszuüben, da es sich bei der Entscheidung über den angemessenen Eigenanteil nach § 87 Abs. 1 SGB XII nach der Fassung der Norm (insbesondere im Vergleich zu § 87 Abs. 2 und 3 SGB XII) um eine gebundene Entscheidung handelt. Die gerichtliche Kontrolle richtet sich hierbei darauf, ob die sich aus dem Charakter der jeweiligen Bedarfssituation ergebenden individuellen Umstände und typischen Bewertungsgesichtspunkte, wie sie in § 87 Abs. 1 Satz 2 SGBX II ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden haben, zutreffend erkannt und angewandt worden sind (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 87, Rdnr. 8, 9). Weitergehende besondere Belastungen als die ohnehin vom Beklagten berücksichtigten zur etwaigen weiteren Reduzierung des Eigenanteils hat der Kläger auch auf Nachfrage des Beklagten nicht mitgeteilt. Auch hat der Bevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 16.10.2015 klargestellt, bei der im vorherigen Schriftsatz geltend gemachten Härte gehe es nicht um individuelle Lebensumstände des Betroffenen, sondern die Argumentation habe sich allein auf die „Doppelanrechnung“ von Blindengeld bezogen. Allein die Anrechnung von Blindengeld als Einkommen nach § 83 SGB XII stellt jedoch - als vom Gesetz vorgesehener Regelfall, der alle Leistungsempfänger gleichermaßen trifft - keine Härte dar, die eine Reduzierung des angemessenen Eigenanteils rechtfertigte. Nach dem in § 87 Abs. 1 SGB XII zum Ausdruck kommenden Individualisierungsgrundsatz muss der Begriff des „angemessenen“ Eigenanteils vielmehr unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Einzelfalls festgelegt werden (vgl. Wahrendorf in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 87, Rdnr. 4). Gemessen an diesen Grundsätzen ist der vom Beklagten ermittelte Eigenanteil des Klägers nicht zu beanstanden.

Das SG hat die Klage daher zur Recht abgewiesen.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

D.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, sind Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Soweit der Bedarf durch Leistungen nach anderen Vorschriften dieses Buches oder des Achten und Neunten Buches gedeckt wird, gehen diese der Leistung nach Satz 1 vor.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Höhe des der Klägerin zu zahlenden Pflegegelds nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011.

2

Die 1958 geborene, erwerbsunfähige Klägerin leidet seit 1972 an einer Querschnittslähmung ab der Halswirbelsäule und ist auf den Rollstuhl angewiesen; auch die oberen Extremitäten sind teilweise gelähmt, und die Greiffunktion der Hände ist stark eingeschränkt. Sie ist von der Pflegekasse als schwerstpflegebedürftig eingestuft (Pflegestufe 3) und lebt mit ihrem 1957 geborenen, erwerbsfähigen, infolge einer spastischen Halbseitenlähmung behinderten Ehemann in einer Eigentumswohnung, in der bis 30.9.2010 auch die 1989 geborene Tochter und während des gesamten streitbefangenen Zeitraums der 1987 geborene Sohn wohnten. Die Tochter nahm am 1.10.2010 ein Studium auf und wurde seit diesem Zeitpunkt von den Eltern mit 400 Euro monatlich unterstützt; dem Sohn zahlten die Klägerin und ihr Ehemann im gesamten Zeitraum monatlich 300 Euro. Leistungen nach dem Berufsausbildungsförderungsgesetz sind nicht erbracht worden.

3

Die Klägerin bezog bis 31.12.2010 Renten (gesetzliche Rente und Zusatzversorgungsrente) in Höhe von insgesamt monatlich 1238,67 Euro (nach Abzug des Beitrags zur Krankenversicherung der Rentner). Der Ehemann erzielte ein monatliches Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in Höhe von 1608 Euro (nach Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen - Steuern waren nicht zu zahlen); das Kindergeld (je 184 Euro) wurde an ihn ausbezahlt. Auf einen staatlich geförderten Altersvorsorgevertrag zahlte der Ehemann monatlich 35,95 Euro; außerdem entrichtete er einen Gewerkschaftsbeitrag in Höhe von monatlich 19,09 Euro. Den Weg zur Arbeit (25 Entfernungskilometer) legte er mit einem Pkw zurück; der Beitrag zu dessen Haftpflichtversicherung belief sich (nach den Ausführungen des Landessozialgerichts ) monatlich auf 16,73 Euro.

4

Die Klägerin erhielt vom Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum Hilfe zur Pflege unter anderem durch Übernahme der von der Pflegeversicherung nicht gedeckten Kosten einer Sozialstation, für hauswirtschaftliche Hilfe und für Betreuungsleistungen des Schwagers sowie Pflegegeld; bei dessen Berechnung legte der Beklagte zur Ermittlung des privilegierten Einkommens als Kosten der Unterkunft monatlich 288,62 Euro zugrunde, kürzte das Pflegegeld wegen Gewährung anderer Leistungen um 1/6 und rechnete auf dieses gekürzte Pflegegeld Einkommen der Eheleute an, woraus sich bis 31.12.2010 ein monatlicher Zahlbetrag für das Pflegegeld von 56,07 Euro und ab 1.1.2011 von 64,97 Euro ergab (Bescheid vom 8.9.2010; Widerspruchsbescheid vom 21.3.2011; Bescheid vom 11.5.2011).

5

Während das Sozialgericht (SG) Karlsruhe - nach Abtrennung des Verfahrens über das Pflegegeld von den sonstigen Pflegeleistungen - die auf Zahlung des um 1/6 gekürzten Pflegegelds ohne Einkommensanrechnung (570,81 Euro monatlich) gerichtete Klage abgewiesen hat (Urteil vom 11.8.2011), hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG und den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids geändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin von Januar bis September 2010 weitere 64,71 Euro, von Oktober bis Dezember 2010 weitere 212,71 Euro und von Januar bis Juni 2011 weitere 214,31 Euro monatlich zu zahlen (Urteil vom 23.2.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG unter anderem ausgeführt, es seien bei der Ermittlung der Einkommensgrenze des privilegierten (nicht einzusetzenden) Einkommens (§ 85 SGB XII) neben den Zahlbeträgen der Renten die bereinigten Einkünfte des Ehemanns (Abzüge: Sozialversicherungsbeiträge, berufsbedingte Fahrtkosten, Werbungskosten, Haftpflichtversicherung für den Pkw, Gewerkschaftsbeitrag, geförderte Altersvorsorgebeiträge) zu berücksichtigen. Bei der Berechnung des bei Überschreiten der Einkommensgrenze einzusetzenden Einkommens sei für schwerstpflegebedürftige Personen wie der Klägerin von einem berücksichtigungsfreien Mindestbetrag von 60 vH des die Einkommensgrenze überschreitenden Einkommens auszugehen; erst danach seien als von der Pflegebedürftigkeit unabhängige besondere Aufwendungen nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII anteilige Unterhaltszahlungen an die Kinder in Abzug zu bringen.

6

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Sie ist der Ansicht, wegen der bestehenden besonderen Belastungen der Familie, insbesondere der schweren Behinderung ihres Ehemannes, sei überhaupt kein Einkommen einzusetzen. Zumindest seien nicht alle Belastungen berücksichtigt worden (Kreditverbindlichkeiten für die Sanierung der Eigentumswohnung; eigene Weiterbildungskosten; Kosten für Besuche der Tochter).

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 und den Bescheid vom 11.5.2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr über die vom LSG bereits zugesprochenen Beträge hinaus für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 450,03 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 302,03 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 291,53 Euro monatlich zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen sowie auf seine Anschlussrevision das Urteil des LSG aufzuheben, soweit er dazu verurteilt worden ist, der Klägerin vom 1.1. bis 31.12.2010 mehr als 10,02 Euro und vom 1.1. bis 30.6.2011 mehr als 8,72 Euro monatlich zusätzlich zu zahlen, und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG insoweit zurückzuweisen.

9

Er rügt ebenfalls eine Verletzung des § 87 Abs 1 SGB XII. Er ist der Ansicht, das LSG habe die Einkommensgrenze, die für eine Beteiligung an den Kosten überschritten werden müsse, falsch berechnet. Die Haftpflichtversicherung für den Pkw dürfe entgegen der Entscheidung des LSG nicht einkommensmindernd neben der zugebilligten Fahrtkostenpauschale (für Fahrten des Ehemannes zur Arbeit) berücksichtigt werden. Auch den Einkommensbetrag, der bei Überschreiten der Einkommensgrenze zumutbar leistungsmindernd zu berücksichtigen sei, habe das LSG falsch berechnet. Zunächst seien nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII die einzelnen Absetzbeträge zu errechnen. Nur wenn diese nicht insgesamt wenigstens 60 vH des die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII übersteigenden Einkommens der Eheleute erreichten, sei dieser Prozentsatz bei schwerstpflegebedürftigen Personen als Mindestabsetzbetrag in die Berechnung einzustellen(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Keinesfalls dürfe, wie es das LSG getan habe, ohne jegliche Prüfung wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit ein Mindestprozentsatz von 60 vH gewährt werden, der zusätzlich um weitere Aufwendungen für besondere Belastungen erhöht werde. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme eine völlige Privilegierung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens nicht in Betracht. Nicht zuletzt habe das LSG den Bescheid vom 11.5.2011, mit dem höheres Pflegegeld ab 1.1.2011 bewilligt worden sei, bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

10

Die Klägerin beantragt außerdem,
die Anschlussrevision des Beklagten zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

11

1. Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision (vgl § 202 Sozialgerichtsgesetz iVm § 554 Zivilprozessordnung) des Beklagten sind zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Ob der Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 30.6.2011 das mit der Revision verlangte höhere Pflegegeld (450,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010, 302,03 Euro monatlich für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 und 291,53 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011) zusteht, kann mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ebensowenig entschieden werden wie die Frage, ob - wie vom Beklagten mit der Anschlussrevision moniert - der Klägerin Pflegegeld in geringerer Höhe als durch das LSG ausgeurteilt (für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2010 monatlich 54,69 Euro, für die Zeit vom 1.10. bis 31.12.2010 monatlich 202,69 Euro und für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 monatlich 205,39 Euro weniger) zu zahlen ist.

12

2. Gegenstand des Verfahrens ist formal der Bescheid vom 8.9.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 SGB XII iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - GBl 534); zu Recht hat der Beklagte geltend gemacht, dass außerdem der Bescheid vom 11.5.2011, der ua die Höhe des Pflegegelds für die Zeit vom 1.1. bis 30.6.2011 neu festgesetzt hat, gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist.

13

In der Sache geht es jedoch im Rahmen dieser Bescheide nur um höheres Pflegegeld (§ 64 SGB XII) für den im jeweiligen Verwaltungsakt erfassten Zeitraum, nicht um die übrigen in den Bescheiden geregelten Pflegeleistungen. Insoweit handelt es sich um eigenständige Verfügungen (§ 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -) und um einen abtrennbaren - erstinstanzlich auch faktisch abgetrennten - Streitgegenstand, wie insbesondere § 66 Abs 2 Satz 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) zeigt; danach wird Pflegegeld neben den Leistungen des § 65 SGB XII (Kosten für eine Pflegeperson) erbracht. Eine andere Frage ist, wie im Falle der streitgegenständlichen Aufteilung mehrerer Pflegeleistungen Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist (vgl dazu § 89 SGB XII und Coseriu in juris PraxisKommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 31 ff). Dies wird das LSG bei seiner Entscheidung (wegen der Trennung der Verfahren) ggf zu beachten haben. Die in den Revisionsanträgen von der Klägerin und dem Beklagten konkretisierten Zahlbeträge resultieren höhenmäßig zum einen aus den vom LSG bereits ausgeurteilten Zahlbeträgen, den der Klägerin tatsächlich gezahlten Leistungen und der bestandskräftigen Kürzung des Pflegegeldes um 1/6 nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII.

14

Die Kürzung ist selbst nicht Verfahrensgegenstand, weil sie innerhalb der von der Beklagten erlassenen Bescheide wiederum jeweils eine eigenständige Verfügung (§ 31 SGB X) darstellt, die sich rechtlich und sachlich von der erst auf der Minderung der Leistung aufbauenden weiteren Prüfung trennen lässt und die die Klägerin mit ihrer Klage ausdrücklich weder angegriffen hat noch angreifen wollte. Dass es sich insoweit in den Bescheiden vom 8.9.2010 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.3.2011) und vom 11.5.2011 um eigenständige, von der Bewilligung des Pflegegeldes als solcher abtrennbare Verfügungen handelt, folgt daraus, dass sich die Minderung des Pflegegeldes nach § 66 Abs 2 Satz 2 SGB XII nicht bereits aus dem Gesetz selbst ergibt, sondern vielmehr im Rahmen des auszuübenden Ermessens(BVerwGE 98, 248 ff) einer konstitutiven Entscheidung des Sozialhilfeträgers bedarf (vgl zu einer vergleichbaren Situation im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch - Arbeitsförderungsrecht - BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 ff). Der Beklagte hat erkennbar den gemäß § 64 Abs 3 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch) iVm § 37 Abs 1 Satz 3 Nr 3 Buchst b Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - aufgrund der bindenden Einstufung der Klägerin durch die Pflegekasse in die Pflegestufe 3(§ 62 SGB XII) vorgesehenen Betrag von 685 Euro monatlich auf 570,81 Euro (5/6) gekürzt. Allein dieser Betrag ist mithin auch unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes (vgl dazu nur Coseriu in jurisPK-SGB XII, § 18 SGB XII RdNr 46 mwN) Ausgangspunkt für die Prüfung, ob der Klägerin höheres oder niedrigeres Pflegegeld als vom LSG zugestanden zu zahlen ist; die Klägerin hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen diese Kürzung gewehrt und dies in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Senat ausdrücklich bestätigt (vgl zu der erforderlichen Ausdrücklichkeit der Beschränkung BSG, aaO, RdNr 8).

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3. Gegen die bezeichneten Verwaltungsakte wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG). Der Beklagte, der wegen des tatsächlichen Aufenthalts der Klägerin der örtlich und auch der sachlich zuständige Sozialhilfeträger ist (§ 97 Abs 1 und 3 Nr 2, § 98 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm § 1 Abs 1, § 2 AGSGB XII), ist zwar als derjenige, der den Bescheid erlassen hat, der richtige Klagegegner. Ob allerdings wegen einer Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde oder Verwaltungsgemeinschaft (vgl § 3 Abs 1 AGSGB XII) ggf eine Beiladung zu erfolgen hat, ist mangels entsprechender Verfahrensrüge vom Senat nicht zu prüfen, ggf jedoch vom LSG zu berücksichtigen (vgl dazu BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5 RdNr 11).

16

4. Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch bestimmt sich nach § 19 Abs 3(hier in der Fassung, die die Norm durch das RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453 - erhalten hat) iVm § 61(hier in der Fassung, die die Norm durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz vom 28.5.2008 - BGBl I 874 - erhalten hat), § 63 Satz 1(hier in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 - BGBl I 2495 - erhalten hat) und § 64 SGB XII. Gemäß § 19 Abs 3 SGB XII wird Volljährigen ua Hilfe zur Pflege (nur) geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitel dieses Buches (Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen) nicht zuzumuten ist. Vorliegend fehlt es bereits an widerspruchsfreien Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen (dazu unter Nr 5), sodass weder feststeht, ob die Klägerin höhere Leistungen beanspruchen kann, noch, ob das LSG bereits zu Unrecht zu hohe Leistungen zugesprochen hat. Es fehlen zudem ausreichende tatsächliche Feststellungen zu den maßgeblichen Einkommensverhältnissen (dazu unter Nr 6 bis 13).

17

Allerdings dürfte die Klägerin grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 61 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 3 SGB XII sein; sie leidet nämlich unter einer dauerhaften Querschnittslähmung und ist wegen der dadurch eingeschränkten bzw aufgehobenen Bewegungsfähigkeit der unteren und oberen Extremitäten für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in erheblichem Maße auf Hilfe angewiesen. Die Klägerin kann deshalb - einkommens- und vermögensabhängig - Pflegegeld in der bezeichneten Höhe (dazu unter Nr 3) unter der Voraussetzung beanspruchen, dass sie - auch ergänzend zu einer professionellen Pflege (BVerwGE 118, 297 ff) - die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellt (§ 64 Abs 5 Satz 1 SGB XII); § 66 Abs 2 SGB XII zeigt, dass das Pflegegeld trotz Übernahme der angemessenen Aufwendungen der Pflegepersonen bzw der Kosten für besondere Pflegekräfte(§ 65 SGB XII) gezahlt wird. Für die Bedingung der Sicherstellung der Pflege kommt es aus diesem Grund nicht darauf an, ob die Klägerin den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken kann und faktisch auch abdeckt. Entscheidend ist vielmehr lediglich, aber auch zumindest, dass (neben den übrigen Pflegeleistungen) noch die Möglichkeit besteht, den pflegerischen Bedarf selbst sicherstellen zu können und ggf zu müssen; dies ist schon dann zu bejahen, wenn trotz der Einschaltung von Pflegekräften nachbar- oder verwandtschaftliche Hilfe in Anspruch genommen werden muss oder ein unvorhergesehener Pflegebedarf selbst sicherzustellen ist (vgl dazu nur Meßling in jurisPK-SGB XII, § 64 SGB XII RdNr 33 mwN). Diese Voraussetzungen dürften erfüllt sein; das LSG, das hierzu in seinem Urteil jedoch keine Feststellung getroffen hat, mag dies nach der Zurückverweisung verifizieren.

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5. Bedeutsamer ist, dass genaue und insbesondere widerspruchsfreie Feststellungen des LSG zu den Vermögensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehemannes fehlen. Zwar hat es in seiner Entscheidung formuliert, die beiden seien vermögenslos; gleichzeitig hat es jedoch ausgeführt, die Eheleute lebten in einer Eigentumswohnung und seien im Besitz eines Kfz. Zudem hat die Klägerin im Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Revisionsverfahren gegenüber dem Senat Kosten für zwei Kfz geltend gemacht, die nach Aktenlage bereits früher vorhanden waren. Das LSG wird deshalb ggf nach der Zurückverweisung der Sache darüber zu befinden haben, ob bzw inwieweit es sich bei der Eigentumswohnung um ein angemessenes Hausgrundstück (§ 90 Abs 2 Nr 8 SGB XII) und bei dem Pkw bzw den Pkws um angemessene Fahrzeuge handelt, die über die Härteregelung des § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wären(vgl dazu nur BSGE 100, 139 ff RdNr 15 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Dabei wird es zu beachten haben, dass die Klägerin und ihr Ehemann eine gemischte Bedarfsgemeinschaft bilden (vgl dazu: BSG aaO; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 5).

19

6. Auch die tatsächlichen Feststellungen zur Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes lassen noch keine abschließende Entscheidung zu. Bei der Hilfe zur Pflege ist nach § 85 Abs 1 SGB XII(hier bis 31.12.2010 in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch und ab 1.1.2011 in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch erhalten hat) der nachfragenden Person und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel dann nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen des Eckregelsatzes (bis 31.12.2010)/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII (ab 1.1.2011), den Kosten der Unterkunft, soweit die Aufwendungen hierfür den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang nicht übersteigen, und einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrags von 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII für den nicht getrennt lebenden Ehegatten und für jede Person, die von einem der beiden überwiegend unterhalten worden ist. Schon dieser Betrag ist, auch wenn das LSG im Ansatz richtig vorgegangen ist, nicht genau ermittelbar.

20

Vorliegend sind als Einkommenspositionen die Renten der Klägerin, der Verdienst ihres Ehemannes und das an den Ehemann gezahlte Kindergeld bei der Ermittlung der Einkommensgrenze zu berücksichtigen. Auch für das Kindergeld gilt die allgemeine Grundregel, dass Einnahmen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft bei demjenigen als Einkommen anzurechnen sind, dem sie zufließen (BSGE 99, 137 ff RdNr 22 mwN = SozR 4-1300 § 44 Nr 11). Weder die hier ohnedies nicht einschlägige Einkommenszuordnungsregelung des § 82 Abs 1 Satz 3 SGB XII noch die des § 11 Abs 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II), die das Kindergeld in bestimmten Fällen dem Kind als Einkommen zuordnen, auch wenn es an einen Elternteil gezahlt wird, sind im Rahmen der §§ 85 ff SGB XII anzuwenden. Diese Zuordnungsregelungen, die sich als Umsetzung der in § 1612b Bürgerliches Gesetzbuch angeordneten Bedarfsdeckung des Barunterhalts für ein Kind darstellen, passen systematisch nur zur Hilfe für den Lebensunterhalt, nicht jedoch für die besonderen Sozialhilfeleistungen. Dort wird den Bedarfen der Kinder durch § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII auf andere Weise Rechnung getragen; denn zur Bestimmung der Einkommensgrenze wird ein Familienzuschlag zugebilligt, der davon abhängig ist, ob die nicht getrennt lebenden Ehegatten anderen Personen, mithin auch Kindern, überwiegend Unterhalt gewähren. Nach der Systematik des § 85 SGB XII ist deshalb eine Zuordnung des Kindergeldes an das Kind nicht erforderlich. Ob Kindergeld an dieses weitergeleitet worden ist (vgl dazu BSGE 99, 262 ff = SozR 4-3500 § 82 Nr 3), ist deshalb für die Frage der Erzielung von Einkommen ohne Belang; bedeutsam ist dies erst für die Frage, ob das Kind überwiegend unterhalten wird (dazu Nr 10).

21

7. Zu Recht ist das LSG bei seiner Entscheidung auch davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nur das Einkommen berücksichtigt werden kann, das nicht normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden darf (vgl: BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 1/12 R - Juris RdNr 22 mwN), also das bereinigte Einkommen (BSG, aaO). Diese in § 85 SGB XII nach Sinn und Zweck der Regelung vorausgesetzte, aber nicht ausdrücklich geregelte Einschränkung folgt für die erwerbsunfähige Klägerin aus den normativen Wertungen der §§ 82 ff SGB XII in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung, für ihren erwerbsfähigen Ehemann unmittelbar aus § 11 SGB II bzw ab 1.1.2011 aus §§ 11 ff SGB II in Verbindung mit der dazu ergangenen Verordnung. Anders ausgedrückt: Weder die Klägerin noch ihr Ehemann müssen für die besonderen sozialhilferechtlichen Bedarfe Einkommen einsetzen, das für sie (vgl zu diesem Gedanken bei einer gemischten Bedarfsgemeinschaft nur: BSGE 99, 131 ff RdNr 12 = SozR 4-3500 § 28 Nr 1) in dem jeweils geltenden Existenzsicherungssystem bereits nicht für die Hilfe zum Lebensunterhalt zur Verfügung steht bzw für andere Zwecke genutzt werden darf.

22

Reine Einkommensfreibeträge, wie sie in § 82 Abs 3 SGB XII bzw § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung des Haushaltsbegleitgesetzes vom 9.12.2010, BGBl I 1885 (aF) und § 11b Abs 3 SGB II in der ab 1.4.2011 geltenden Gesetzesfassung (nF) zugebilligt werden, werden im Rahmen des § 85 SGB XII von der Bereinigung nicht erfasst. Ihre einkommensmindernde Berücksichtigung bei den Hilfen für den Lebensunterhalt beruht auf der Überlegung, dass bestimmte Einkommensanteile eines Erwerbseinkommens erhalten bleiben sollen, um einen Arbeitsanreiz zu schaffen (BT-Drucks 15/1516, S 59; vgl auch BT-Drucks 15/1514, S 65), sich also um den eigenen und den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bzw der Einsatzgemeinschaft selbst zu bemühen. Sie gilt jedoch nicht für besondere sozialhilferechtliche Bedarfssituationen, die auch bei Personen auftreten, die erwerbstätig sind und ihren Lebensunterhalt mit diesen Einkünften bestreiten können. §§ 85 ff SGB XII, insbesondere die Vorschriften der Einkommensfreigrenze, tragen den diesbezüglichen Interessen in anderer Weise Rechnung.

23

8. Vor diesem Hintergrund sind die vom LSG anerkannten Absetzbeträge vom Einkommen der Klägerin und des Ehemannes grundsätzlich nicht zu beanstanden. Zu Recht hat es bei der Klägerin nur den Zahlbetrag der Renten - unter Abzug der darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge - berücksichtigt (§ 82 Abs 2 Nr 2 SGB XII); allerdings fehlen Feststellungen über die Höhe der Beiträge für die Zeit ab 1.1.2011. Insoweit hat sich gegenüber der davor liegenden Zeit offenbar eine Änderung (höhere Beiträge) ergeben, was das LSG wegen der Nichtbeachtung des Bescheids vom 11.5.2011 nicht geprüft hat. Auch das Erwerbseinkommen des Ehemannes der Klägerin war um die Sozialversicherungsbeiträge einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung zu bereinigen. Ob dem Ehemann der Klägerin (nur) der pauschale Absetzbetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs 2 Satz 1 SGB II aF bzw § 11b Abs 2 SGB II nF (100 Euro) zuzugestehen ist, mag das LSG allerdings bei der erneuten Entscheidung genauer prüfen. Bei einem Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich - wie beim Ehemann der Klägerin - ist ein höherer Abzug gerechtfertigt, wenn ein 100 Euro übersteigender Betrag im Einzelnen nachgewiesen wird.

24

Nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 5 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB II nF iVm § 3 Abs 1 Nr 3 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) aF bzw § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst a Alg II-V nF sind jedenfalls als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben pauschalierte Beträge zu berücksichtigen, die, soweit sie die Fahrten mit einem Kfz zur Arbeitsstätte betreffen, neben den Entfernungskilometern (25) auch abhängig sind von der Anzahl der monatlichen Fahrten. Insbesondere hierzu hat das LSG keinerlei Feststellungen getroffen. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist daneben die Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF) als gesetzlich vorgeschriebene Beiträge nicht ausgeschlossen (vgl nur: BSGE 107, 97 ff RdNr 15 = SozR 4-4200 § 11 Nr 34; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23 und 25; SozR 4-4200 § 11 Nr 53 RdNr 15). Da wohl entweder die Klägerin oder ihr Ehemann Fahrzeughalter sind, und der vom Ehemann der Klägerin genutzte Pkw, soweit er angemessen ist, privilegiert ist (§ 12 Abs 3 Nr 2 SGB II), ist es ohne Bedeutung, ob dieser Pkw auf die Klägerin oder auf ihren Ehemann zugelassen ist und wer die Beiträge letztlich zahlt (vgl: BSGE 100, 139 ff RdNr 21 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4; vgl auch BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 9 RdNr 22). Nach den Feststellungen des LSG waren die Versicherungsbeiträge monatlich zu zahlen; ggf wird dies zu verifizieren und zu berücksichtigen sein, dass Absetzungen nur in dem Monat möglich sind, in dem der Beitrag zu zahlen ist (vgl aber nicht eindeutig BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 41 RdNr 23). Ggf ist dem Ehemann der Klägerin die Versicherungspauschale von 30 Euro zuzugestehen (§ 11 Abs 2 Satz 1 Nr 3 SGB II aF bzw § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II nF iVm § 6 Abs 1 Nr 1 Alg II-V).

25

9. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (§ 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII) zu ermitteln haben (siehe unter Nr 6). Hierzu hat das LSG lediglich ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe. Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung - wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht - enthalten sind (vgl zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen: BSGE 97, 203 ff RdNr 24 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG, Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 1/12 R - Juris RdNr 17). Nicht erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35 SGB XII nF formal zwischen "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung" unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die "Kosten der Unterkunft" aufgeführt sind(vgl zur Formulierung in der Regelsatzverordnung zu § 22 des Bundessozialhilfegesetzes in gleicher Weise: "Leistungen für die Unterkunft" und "Leistungen für Heizung"; vgl andererseits zu § 79 BSHG: "Kosten der Unterkunft"). Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII(dazu Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 85 SGB XII RdNr 37 und § 87 SGB XII RdNr 31) wäre systemwidrig, weil es sich bei den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt, die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII bezeichneten Kriterien entstehen.

26

10. Ohne Rechtsfehler hat das LSG jedoch nach § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII für den Ehemann der Klägerin im Rahmen des Familienzuschlags 70 vH des Eckregelsatzes/der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII in die Berechnung eingestellt; ob allerdings auch für die beiden Kinder entsprechende Familienzuschlagsanteile anzuerkennen sind, wird das LSG noch genau zu prüfen haben. Sie könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn die Kinder im streitbefangenen Zeitraum von der Klägerin und/oder ihrem Ehemann tatsächlich überwiegend unterhalten worden sind. Dies mag für den Sohn unter Berücksichtigung der monatlichen Zahlung von 300 Euro und des Umstandes, dass er bei seinen Eltern gewohnt hat, naheliegend sein; genauere Feststellungen fehlen indes. Für die Tochter ist dies für die Zeit vor dem 1.10.2010 (Auszug aus dem elterlichen Haus) weniger klar; insbesondere wäre zu ermitteln, ob und in welcher Höhe sie eigenes Einkommen (mögliches freiwilliges soziales Jahr) hatte. Dass das dem Ehemann der Klägerin gezahlte Kindergeld normativ ohnedies für den Unterhalt der Kinder vorgesehen war (siehe unter Nr 6), rechtfertigt nach der Systematik der §§ 85 ff SGB XII keinen Abzug dieses Betrags vom erbrachten Unterhalt. Wird dem Ehemann einerseits das Kindergeld als Einkommen zugerechnet, kann es andererseits nicht bei der Prüfung des Überwiegens unbeachtet bleiben.

27

11. Hat das LSG auf die bezeichnete Weise die Einkommensgrenze des § 85 SGB XII ermittelt, wird es neu zu bestimmen haben, inwieweit die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten ist(§ 87 Abs 1 Satz 1 SGB XII). Hierbei sind nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder die Pflegebedürftigkeit, die Dauer und die Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei schwerstpflegebedürftigen Menschen nach § 64 Abs 3 SGB XII - wie der Klägerin - ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vH nicht zuzumuten(§ 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII). Zutreffend ist das LSG bei der Anwendung dieser Norm davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal "angemessener Umfang" einen unbestimmten Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum darstellt (so bereits BVerwG, Urteil vom 26.10.1989 - 5 C 30/86 - Juris RdNr 12 zur Vorschrift des § 84 BSHG), für dessen Auslegung in Satz 2 nur beispielhaft ("insbesondere"), nicht abschließend, Kriterien genannt sind.

28

12. Entgegen der Ansicht der Klägerin führt vorliegend der Umstand, dass die Familie insgesamt sowohl durch ihre Schwerstpflegebedürftigkeit als auch die gravierende Behinderung ihres Ehemannes in besonderer Weise belastet ist, nicht zu einer generellen Freistellung des über der Einkommensgrenze liegenden Einkommens. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit der in § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorgesehenen pauschalen Verschonung des die Einkommensgrenze übersteigenden Einkommens in Höhe von 60 vH derartigen Gesichtspunkten bereits Rechnung getragen. Mit dieser Vorschrift hat er typisierend einen behinderungs- bzw pflegebedingten Mindestbetrag angesetzt, der nicht zumutbar zur Finanzierung der Pflege einzusetzen ist. Insoweit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass dieser Betrag (nur) um pflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen zu erhöhen ist. Anders als der Beklagte meint, ist nämlich aufgrund der Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Regelung nicht erst dann ein höherer Betrag als der nach Abs 1 Satz 3 anzusetzen, wenn bei einer Bestimmung nach Satz 2 der Grenzwert von 60 vH überschritten wird. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit § 87 Abs 1 Satz 3 SGB XII einen Ausgleich dafür schaffen, dass mit der Einführung des SGB XII zum 1.1.2005 die bis dahin abgestuft nach Schwere der Behinderung maßgeblichen Grundbeträge in § 81 BSHG abgeschafft und durch einen einheitlichen und deutlich niedrigeren Grundbetrag für alle Leistungsberechtigten ohne Rücksicht auf die Schwere der Behinderung(vgl § 85 Abs 1 Nr 1 SGB XII) ersetzt worden sind (vgl BT-Drucks 15/1514, S 65). Ergab sich bis 31.12.2004 trotz des bei Schwerstpflegebedürftigen hohen Grundbetrags - und weiterer, § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII vergleichbarer Kriterien - ein über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen, wurde der Einkommenseinsatz auch nach § 84 BSHG - wie im Rahmen des § 87 SGB XII - hinsichtlich des übersteigenden Anteils nur in angemessenem Umfang verlangt. Es blieb mithin Raum für die Berücksichtigung weiterer Umstände. Dem trägt die vom LSG gewonnene Auslegung Rechnung: Schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige besondere Belastungen sind zusätzlich zu beachten. Ein höherer Anteil wegen der Schwerstpflegebedürftigkeit als 60 vH ist andererseits nur dann gerechtfertigt, wenn die Klägerin damit zusammenhängend insgesamt höhere Aufwendungen geltend macht und geltend machen kann, was vorliegend nicht der Fall ist.

29

13. Ob über die 60 vH hinaus nach § 87 Abs 1 Satz 2 SGB XII weitere, nicht aus der Schwerstpflegebedürftigkeit resultierende besondere Belastungen zu berücksichtigen sind, lässt sich indes nicht abschließend beurteilen. Insoweit können zum einen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die nicht bereits Gegenstand anderer Sozialhilfeleistungen sind (vgl BVerwGE 22, 319 ff RdNr 12). Zum anderen sind Belastungen nicht abzusetzen, die nach der gesetzgeberischen Wertung bereits mit dem freizulassenden Einkommen abzudecken sind, weil sie gleichermaßen bei allen nachfragenden Personen vorkommen (dann keine "besondere" Belastung).

30

Im Hinblick hierauf dürften die von der Klägerin im Revisionsverfahren angeführten Kosten im Mai 2011 für die Teilnahme an einer Fortbildung (215,58 Euro) kaum berücksichtigungsfähig sein, weil sie nach ihrem Vortrag Aufwendungen betreffen dürften, die mit der Schwerstpflegebedürftigkeit zusammenhängen und deshalb bereits mit dem Mindestbedarf von 60 vH abgegolten wären. Selbst wenn es schwerstpflegebedürftigkeitsunabhängige Aufwendungen gewesen sein sollten, wäre es fraglich, inwieweit es sich um besondere handelt, also solche, die nicht bereits grundsätzlich mit dem von der Einkommensanrechnung freibleibenden Einkommen zu finanzieren sind. Ob die von der Klägerin - ebenfalls im Revisionsverfahren - geltend gemachten Kosten für Heizungssanierung (Kreditrate von 66,80 Euro monatlich) als besondere Belastung berücksichtigt werden können, entzieht sich schon deshalb einer endgültigen Entscheidung, weil es an Feststellungen des LSG zu den Kosten der Unterkunft fehlt (siehe unter Nr 9); insbesondere ist nicht nachvollziehbar, ob nicht bereits in dem Betrag von 288,62 Euro ein Rückstellungsbetrag für Renovierungen enthalten ist.

31

Soweit die Klägerin außerdem mit der Revision als besondere Belastung Fahrten der Eheleute ab Oktober 2010 zu der Tochter bzw der Tochter zu ihnen (118,44 Euro monatlich) angibt, handelt es sich jedenfalls nicht um besondere Belastungen; denn Besuche unter Angehörigen bzw von Angehörigen fallen üblicherweise an und sind deshalb regelmäßig mit der in § 85 SGB XII vorgesehenen Einkommensfreigrenze abgedeckt. Ohnedies käme entgegen dem Vortrag der Klägerin eine pauschale Berücksichtigung iS durchschnittlicher monatlicher Absetzbeträge nicht in Betracht, weil nur die nachgewiesenen tatsächlich anfallenden Kosten im Bedarfszeitraum abgesetzt werden könnten; Kosten der Tochter selbst sind überhaupt nicht abzugsfähig.

32

Inwieweit das LSG zu Recht die Unterhaltszahlung der Klägerin und/oder ihres Ehemannes an die gemeinsamen Kinder als besondere Belastung gewertet hat, soweit diese Aufwendungen ihrer Höhe nach nicht bereits mit dem Familienzuschlag abgedeckt sind, kann nicht endgültig beurteilt werden. Zwar werden derartige Zahlungen - wie vom LSG zu Recht entschieden - erst zu besonderen, wenn sie den in § 85 Abs 1 Nr 3 SGB XII pauschalierend vorgesehenen Familienzuschlagsanteil übersteigen. Berücksichtigungsfähig sind jedoch nur Unterhaltszahlungen bis zur Höhe einer bestehenden Unterhaltszahlungspflicht; durch Zahlung die Unterhaltspflicht übersteigender Beträge kann nicht eine von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler zu deckende Bedarfssituation geschaffen werden. Auch dies wird ggf näher zu ermitteln sein. Ggf wird das LSG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Bei der Hilfe nach dem Fünften bis Neunten Kapitel ist der nachfragenden Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs ihr monatliches Einkommen zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner und für jede Person, die von der nachfragenden Person, ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.

(2) Ist die nachfragende Person minderjährig und unverheiratet, so ist ihr und ihren Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen der nachfragenden Person und ihrer Eltern zusammen eine Einkommensgrenze nicht übersteigt, die sich ergibt aus

1.
einem Grundbetrag in Höhe des Zweifachen der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28,
2.
den Aufwendungen für die Unterkunft, soweit diese den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang nicht übersteigen und
3.
einem Familienzuschlag in Höhe des auf volle Euro aufgerundeten Betrages von 70 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für einen Elternteil, wenn die Eltern zusammenleben, sowie für die nachfragende Person und für jede Person, die von den Eltern oder der nachfragenden Person überwiegend unterhalten worden ist oder für die sie nach der Entscheidung über die Erbringung der Sozialhilfe unterhaltspflichtig werden.
Leben die Eltern nicht zusammen, richtet sich die Einkommensgrenze nach dem Elternteil, bei dem die nachfragende Person lebt. Lebt sie bei keinem Elternteil, bestimmt sich die Einkommensgrenze nach Absatz 1.

(3) Die Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Leistungsberechtigte die Leistung erhält. Bei der Leistung in einer Einrichtung sowie bei Unterbringung in einer anderen Familie oder bei den in § 107 genannten anderen Personen bestimmt er sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Leistungsberechtigten oder, wenn im Falle des Absatzes 2 auch das Einkommen seiner Eltern oder eines Elternteils maßgebend ist, nach deren gewöhnlichem Aufenthalt. Ist ein gewöhnlicher Aufenthalt im Inland nicht vorhanden oder nicht zu ermitteln, ist Satz 1 anzuwenden.

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Einzusetzen ist das gesamte verwertbare Vermögen.

(2) Die Sozialhilfe darf nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung

1.
eines Vermögens, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes erbracht wird,
2.
eines nach § 10a oder Abschnitt XI des Einkommensteuergesetzes geförderten Altersvorsorgevermögens im Sinne des § 92 des Einkommensteuergesetzes; dies gilt auch für das in der Auszahlungsphase insgesamt zur Verfügung stehende Kapital, soweit die Auszahlung als monatliche oder als sonstige regelmäßige Leistung im Sinne von § 82 Absatz 5 Satz 3 erfolgt; für diese Auszahlungen ist § 82 Absatz 4 und 5 anzuwenden,
3.
eines sonstigen Vermögens, solange es nachweislich zur baldigen Beschaffung oder Erhaltung eines Hausgrundstücks im Sinne der Nummer 8 bestimmt ist, soweit dieses Wohnzwecken von Menschen mit einer wesentlichen Behinderung oder einer drohenden wesentlichen Behinderung (§ 99 Absatz 1 und 2 des Neunten Buches) oder von blinden Menschen (§ 72) oder pflegebedürftigen Menschen (§ 61) dient oder dienen soll und dieser Zweck durch den Einsatz oder die Verwertung des Vermögens gefährdet würde,
4.
eines angemessenen Hausrats; dabei sind die bisherigen Lebensverhältnisse der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
5.
von Gegenständen, die zur Aufnahme oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind,
6.
von Familien- und Erbstücken, deren Veräußerung für die nachfragende Person oder ihre Familie eine besondere Härte bedeuten würde,
7.
von Gegenständen, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist,
8.
eines angemessenen Hausgrundstücks, das von der nachfragenden Person oder einer anderen in den § 19 Abs. 1 bis 3 genannten Person allein oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach ihrem Tod von ihren Angehörigen bewohnt werden soll. Die Angemessenheit bestimmt sich nach der Zahl der Bewohner, dem Wohnbedarf (zum Beispiel behinderter, blinder oder pflegebedürftiger Menschen), der Grundstücksgröße, der Hausgröße, dem Zuschnitt und der Ausstattung des Wohngebäudes sowie dem Wert des Grundstücks einschließlich des Wohngebäudes,
9.
kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte; dabei ist eine besondere Notlage der nachfragenden Person zu berücksichtigen,
10.
eines angemessenen Kraftfahrzeuges.

(3) Die Sozialhilfe darf ferner nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Dies ist bei der Leistung nach dem Fünften bis Neunten Kapitel insbesondere der Fall, soweit eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde.

(1) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel ist Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können.

(2) Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel dieses Buches ist Personen zu leisten, die die Altersgrenze nach § 41 Absatz 2 erreicht haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben und dauerhaft voll erwerbsgemindert sind, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor.

(3) Hilfen zur Gesundheit, Hilfe zur Pflege, Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten und Hilfen in anderen Lebenslagen werden nach dem Fünften bis Neunten Kapitel dieses Buches geleistet, soweit den Leistungsberechtigten, ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern und, wenn sie minderjährig und unverheiratet sind, auch ihren Eltern oder einem Elternteil die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels dieses Buches nicht zuzumuten ist.

(4) Lebt eine Person bei ihren Eltern oder einem Elternteil und ist sie schwanger oder betreut ihr leibliches Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres, werden Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils nicht berücksichtigt.

(5) Ist den in den Absätzen 1 bis 3 genannten Personen die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen im Sinne der Absätze 1 und 2 möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten und sind Leistungen erbracht worden, haben sie dem Träger der Sozialhilfe die Aufwendungen in diesem Umfang zu ersetzen. Mehrere Verpflichtete haften als Gesamtschuldner.

(6) Der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld steht, soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistung erbracht oder die Pflege geleistet hat.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(1) Soweit das zu berücksichtigende Einkommen die Einkommensgrenze übersteigt, ist die Aufbringung der Mittel in angemessenem Umfang zuzumuten. Bei der Prüfung, welcher Umfang angemessen ist, sind insbesondere die Art des Bedarfs, die Art oder Schwere der Behinderung oder der Pflegebedürftigkeit, die Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen der nachfragenden Person und ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen. Bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 4 und 5 und blinden Menschen nach § 72 ist ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von mindestens 60 vom Hundert nicht zuzumuten.

(2) Verliert die nachfragende Person durch den Eintritt eines Bedarfsfalles ihr Einkommen ganz oder teilweise und ist ihr Bedarf nur von kurzer Dauer, so kann die Aufbringung der Mittel auch aus dem Einkommen verlangt werden, das sie innerhalb eines angemessenen Zeitraumes nach dem Wegfall des Bedarfs erwirbt und das die Einkommensgrenze übersteigt, jedoch nur insoweit, als ihr ohne den Verlust des Einkommens die Aufbringung der Mittel zuzumuten gewesen wäre.

(3) Bei einmaligen Leistungen zur Beschaffung von Bedarfsgegenständen, deren Gebrauch für mindestens ein Jahr bestimmt ist, kann die Aufbringung der Mittel nach Maßgabe des Absatzes 1 auch aus dem Einkommen verlangt werden, das die in § 19 Abs. 3 genannten Personen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu drei Monaten nach Ablauf des Monats, in dem über die Leistung entschieden worden ist, erwerben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.