Bundesverwaltungsgericht Urteil, 11. Juli 2013 - 5 C 23/12 D

bei uns veröffentlicht am11.07.2013

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

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Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

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Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

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Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

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Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

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Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

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Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

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Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

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Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

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Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

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1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

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Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

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a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

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aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

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Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

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Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

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bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

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Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

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Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

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b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

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Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

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aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

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(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

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(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

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Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

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Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

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Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

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Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

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Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

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(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

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bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung

1.
von Bundesrecht oder
2.
einer Vorschrift des Verwaltungsverfahrensgesetzes eines Landes, die ihrem Wortlaut nach mit dem Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes übereinstimmt,
beruht.

(2) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

(3) Wird die Revision auf Verfahrensmängel gestützt und liegt nicht zugleich eine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 vor, so ist nur über die geltend gemachten Verfahrensmängel zu entscheiden. Im übrigen ist das Bundesverwaltungsgericht an die geltend gemachten Revisionsgründe nicht gebunden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

14
Aber bb) auch im Übrigen - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Der gegenteiligen Meinung des Klägers , der in seiner Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, aus der Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) folge, dass das Gericht die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten, das heißt bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung zugunsten der das Verfahren schneller abschließenden Alternative zu entscheiden habe, wobei Art. 97 Abs. 1 GG insoweit ohne Bedeutung sei, folgt der Senat nicht. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck. Vielmehr verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitge- genstands durch das dazu berufene Gericht (BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583). Insoweit ist die sachgerechte Führung eines Prozesses - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen der verantwortlichen Richter gestellt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369 zur Terminierung der mündlichen Verhandlung; siehe auch BVerfG EuGRZ 1982, 75). Hierbei kann die Verfahrensführung - im Ergebnis nicht anders als es der Senat in ständiger Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits für bestimmte staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (vgl. Urteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; Beschluss vom 27. September 1990 - III ZR 314/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 3; Urteile vom 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, NJW 1998, 751, 752; und 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, VersR 2001, 586, 587), aber auch für bestimmte richterliche Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 271; und 21. Juli 2005 - III ZR 21/05, BeckRS 2005, 09404; Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZA 5/05, juris Rn. 12) entschieden hat - im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urteil vom 21. April 1988, aaO; Beschluss vom 27. September 1990 aaO). Bei der insoweit anzustellenden Bewertung darf der Zeitfaktor - zumal sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504) - selbstverständlich nicht ausgeblendet werden; er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht Mannheim - 24 AktE 43/86 - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein aktienrechtliches Spruchverfahren, das vor dem Landgericht 22 Jahre gedauert hat und derzeit noch bei dem Oberlandesgericht anhängig ist. Die Beschwerdeführer waren Aktionäre der damals so firmierenden B. AG (jetzt A. AG) in Mannheim, die im Jahr 1986 einen Beherrschungsvertrag mit ihrer Mehrheitsaktionärin, der B. AG in B., Schweiz, abschloss. Die Beschwerdeführer stellten gemeinsam mit weiteren Aktionären in einem im Jahr 1986 eingeleiteten Verfahren nach dem Aktiengesetz (entsprechend dem heutigen Spruchverfahren) einen Antrag auf Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs und einer Abfindung, über den das Landgericht im Jahr 2008 entschied und einen Ausgleich pro Aktie sowie eine Abfindung für die antragstellenden Aktionäre - darunter die Beschwerdeführer - festsetzte. Im Januar 2011 wies das Oberlandesgericht mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer, der weiteren Antragsteller und der Antragsgegnerinnen zurück. Hiergegen erhoben die Beschwerdeführer sowie ein weiterer Antragsteller Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO. Mit weiterem, ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenem Beschluss berichtigte das Oberlandesgericht seinen Beschluss durch Streichung eines Klammerzusatzes in der Begründung. Es stellte fest, die Anhörungsrüge der Beschwerdeführer sei damit erledigt und setzte auf die Anhörungsrüge eines anderen Antragstellers das Spruchverfahren hinsichtlich der Ermittlung des Beta-Faktors für die Unternehmensbewertung fort. Durch Beweisbeschluss beauftragte es einen Sachverständigen mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens zu dieser Frage.

II.

2

1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts vom Januar 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses sowie - wie der Zusammenhang ihres Vorbringens ergibt - gegen die ihres Erachtens überlange Dauer des Spruchverfahrens. Sie rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe es in verfassungswidriger Weise unterlassen, die Dauer des Verfahrens bei der Bemessung des Ausgleichs und der Abfindung angemessen mit zu entgelten. Das Gericht sei zu verpflichten, die nach den Wert- und Preisverhältnissen im Jahr 1986 festgesetzte Abfindung um denjenigen Betrag zu erhöhen, der sie für den Zeitpunkt der Auszahlung angemessen erscheinen lasse. Im Übrigen beanstanden sie aber auch generell, das Spruchverfahren habe insgesamt unvertretbar lange gedauert.

3

2. Die Bundesregierung, die baden-württembergische Landesregierung und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens liegen vor.

III.

4

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht wenden; im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

5

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht richtet (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit sind die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung erfüllt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit offensichtlich begründet.

6

a) Für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Es gibt keine allgemein gültigen Zeitvorgaben; diese können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811; EGMR, III. Sektion, Urteil vom 11. Januar 2007 - 20027/02 Herbst / Deutschland -, NVwZ 2008, S. 289 <291> Rn. 75). Die Verfahrensgestaltung obliegt in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>).

7

Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>), die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer auf die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 <2812>), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000, a.a.O., S. 215).

8

b) Daran gemessen ist die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht mit dem Recht der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar. Es ist nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass erst nach 22 Jahren erstinstanzlich über den Antrag der Beschwerdeführer entschieden wurde.

9

Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Gesamtdauer des Verfahrens ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Rechtssache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht kompliziert ist und die Einholung von ihrerseits komplexen Gutachten sowie ergänzenden Stellungnahmen der Gutachter erforderte, die sich mit Fragen der Bewertung zweier großer Unternehmen befassten und in der Erstellung sehr aufwändig waren. Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerinnen weisen zu Recht darauf hin, dass es schon ungewöhnlich schwierig und zeitlich aufwändig war, einen geeigneten Gutachter zu finden, nachdem mehrere Sachverständige den Gutachtenauftrag aus unterschiedlichen Gründen ablehnten und zurückgaben. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich aus der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten und dem Umfang und der Anzahl der eingereichten Schriftsätze und Stellungnahmen.

10

Andererseits ergibt sich aus der beigezogenen Verfahrensakte, dass das Landgericht das Verfahren nicht in ausreichendem Maße betrieben und gefördert hat. Bereits kurz nach Einleitung des Verfahrens finden sich mehrmonatige Zeiträume, während derer keine verfahrensleitenden Verfügungen getroffen wurden und der faktische Stillstand des Verfahrens auch nicht aus anderen Gründen veranlasst war. So wurde erst im Februar 1990, das heißt knapp vier Jahre nach Einleitung des Verfahrens, ein Beweisbeschluss erlassen. Nachdem der zunächst beauftragte Gutachter im Januar 1991 mitgeteilt hatte, er sei mangels ausreichender Kapazität von fachlichen Mitarbeitern nicht in der Lage, den Gutachtenauftrag zu übernehmen, wurde erst im November 1991 ein anderes Unternehmen mit der Gutachtenerstattung beauftragt. Inwiefern das Verfahren in den Jahren 1992 bis zur Einlegung der sofortigen Beschwerden gegen Zwischenentscheidungen des Landgerichts im Jahr 1995 gefördert wurde, ist den Akten des Ausgangsverfahrens nicht zu entnehmen. Überdies ist es trotz aller nachvollziehbaren Schwierigkeiten bei der Auswahl eines für diesen Gutachtenauftrag geeigneten Sachverständigen und dessen Anleitung am Maßstab effektiver Rechtsschutzgewährung gemessen nicht akzeptabel, dass die Erstattung des Gutachtens aufgrund des Beweisbeschlusses vom August 2000 erst im September 2004 erfolgte und die den Akten zu entnehmende Verfahrensförderung gegenüber dem Sachverständigen sich auf zwei Sachstandsanfragen und eine "Anmahnung" beschränkte. Im Blick auf die schon bis dahin zu verzeichnende Gesamtdauer des Verfahrens von mehr als 13 Jahren waren nachhaltigere Beschleunigungsbemühungen geboten (vgl. etwa § 411 ZPO).

11

Soweit die Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer vor dem Oberlandesgericht rügen, begegnet die Dauer von bislang drei Jahren in Anbetracht der Komplexität der Materie hingegen noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Oberlandesgericht wird allerdings alle zu Gebote stehenden Maßnahmen zu ergreifen haben, um das Verfahren vorrangig und zeitnah abzuschließen.

12

2. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG rügen und sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts wenden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist. Das Oberlandesgericht hat auf die Anhörungsrüge eines anderen Antragstellers das Spruchverfahren hinsichtlich der Ermittlung des Beta-Faktors fortgesetzt und durch Beweisbeschluss einen Sachverständigen mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens zu dieser Frage beauftragt. Das Verfahren ist deshalb noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

13

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg.

14

Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 50.000 €. Dies rechtfertigt sich aus der objektiven Bedeutung der Sache sowie Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Besonderheiten aufweisen, welche eine deutliche Erhöhung des Mindestwertes veranlassen.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Hessischen Finanzgericht - 13 K 820/05 - den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

2. ...

3. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer rügt die überlange Dauer des Verfahrens seiner Wiederbestellung zum Steuerberater.

2

1. a) Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) darf die Wiederbestellung eines ehemaligen Steuerberaters nicht vor Ablauf von acht Jahren erfolgen, wenn er zuvor auf seine Bestellung nach Einleitung eines berufsgerichtlichen Verfahrens verzichtet hatte, es sei denn, dass eine Ausschließung aus dem Beruf nicht zu erwarten war. Ist die Bestellung nach rechtskräftiger Ausschließung aus dem Beruf erloschen, so kann die Wiederbestellung nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 StBerG unter anderem dann erfolgen, wenn seit der rechtskräftigen Ausschließung acht Jahre verstrichen sind.

3

b) Der 1943 geborene Beschwerdeführer wurde 1970 als Steuerbevollmächtigter, 1977 als Steuerberater und 1987 als vereidigter Buchprüfer und als Wirtschaftsprüfer bestellt; seit 2005 ist er darüber hinaus als Rechtsanwalt zugelassen. Nachdem gegen ihn aufgrund von zwei berufsrechtlichen Anschuldigungsschriften ein Hauptverfahren wegen Verstoßes gegen seine Berufspflichten als Steuerberater eröffnet worden war, verzichtete er im Jahr 2000 auf seine Bestellung als Steuerberater. Das Landgericht F. stellte daraufhin das berufsgerichtliche Verfahren durch Urteil vom 15. August 2000 gemäß § 125 Abs. 3 Nr. 1 StBerG ein.

4

Nachdem der Beschwerdeführer zwischenzeitlich das Rechtsreferendariat abgeschlossen hatte, beantragte er mit Schreiben vom 20. Juli 2004 bei der zuständigen Steuerberaterkammer, wieder zum Steuerberater bestellt zu werden. Anschließend gestaltete sich das Verfahren wie folgt:

5

Die Steuerberaterkammer übersandte ihm am 26. Juli 2004 ein Antragsformular. Dieses füllte der Beschwerdeführer am 18. August 2004 aus. Es ging der Kammer am 19. August 2004 zu. Am 27. August 2004 überwies der Beschwerdeführer die erforderliche Bearbeitungsgebühr; der entsprechende Kontoauszug ging der Steuerberaterkammer am 30. August 2004 zu. Das erforderliche polizeiliche Führungszeugnis ist am 11. August 2004, der Nachweis über die Berufshaftpflichtversicherung am 25. August 2004 bei der Kammer eingegangen.

6

Auf die Sachstandsanfrage des Beschwerdeführers vom 31. August 2004, die am 1. September 2004 bei der Steuerberaterkammer eingegangen ist, teilte ihm die Kammer an diesem Tag mit, dass der Kammervorstand in seiner Sitzung vom 17. September 2004 entscheiden werde, ob seinem Antrag auf Wiederbestellung entsprochen werden könne. Es bestehe Anlass zu prüfen, ob seinerzeit eine Ausschließung aus dem Beruf in Betracht gekommen wäre. Insofern sei auf das Urteil des Landgerichts F. vom 15. August 2000 zu verweisen.

7

Am 14. September 2004 ging der Antrag des Beschwerdeführers bei der Steuerberaterkammer ein, ihm vor einer Entscheidung des Kammervorstands rechtliches Gehör zu gewähren. Außerdem beantragte er Einsicht in die Vorstandsvorlage für die Sitzung vom 17. September 2004 zu nehmen, hilfsweise in die bei der Steuerberaterkammer über ihn geführten Akten. Am 15. September 2004 schrieb die Kammer dem Beschwerdeführer, dass der Kammervorstand in seiner Sitzung vom 17. September 2004 über seinen Antrag entscheiden werde und ihm, falls der Vorstand zu der Auffassung gelangen sollte, eine Wiederbestellung komme nicht in Betracht, vor der abschließenden Entscheidung zunächst rechtliches Gehör gewährt werde. Außerdem wurde der Beschwerdeführer darüber informiert, dass er nach vorheriger Terminsabsprache Einsicht in die über ihn geführten Akten auf der Geschäftsstelle nehmen könne. Mit Telefax vom 15. September 2004 und Schreiben vom 16. September 2004 forderte der Beschwerdeführer die Kammer abermals auf, ihm Einblick in die Vorstandsvorlage zu geben. Dem Schreiben vom 16. September 2004 waren außerdem 30 Seiten seiner Stellungnahme aus einem früheren Verfahren vor dem Landgericht B. beigefügt. Dieses Schreiben ging der Kammer am späten Vormittag des 17. September 2004 - dem Tag der Vorstandssitzung - per Fax zu.

8

Da der Kammervorstand sich aus Zeitgründen an diesem Tag nicht mehr mit diesem umfangreichen Schriftsatz auseinander setzen konnte und überdies noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hielt, erging am 17. September 2004 noch keine Entscheidung. Dies wurde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21. September 2004 mitgeteilt. Ihm wurde die Möglichkeit gegeben, sich bis zum 29. Oktober 2004 ergänzend zu äußern. Innerhalb dieser Frist übersandte der Beschwerdeführer der Steuerberaterkammer neben anderen Anlagen auch die von der Kammer angeforderte 80-seitige Stellungnahme aus dem früheren Verfahren vor dem Landgericht B. Am 5. Oktober 2004 forderte die Steuerberaterkammer beim Landgericht B. die Kopie eines richterlichen Vermerks an, wonach eine Vielzahl der Tatvorwürfe verjährt und weitere Vorwürfe nicht hinreichend substantiiert seien. Diese Kopie ging am 1. November 2004 ein.

9

Mit Schreiben vom 9. November 2004 bestätigte die Steuerberaterkammer dem Beschwerdeführer den Eingang seines letzten Schreibens und kündigte an, dass sich ihr Vorstand in seiner nächsten Sitzung am 15. Dezember 2004 voraussichtlich abschließend mit seinem Antrag auf Wiederbestellung als Steuerberater befassen werde. Zuvor werde sich das für Berufsrecht zuständige Vorstandsreferat mit der Angelegenheit befassen. Dies geschah am 6. Dezember 2004.

10

Am 18. November 2004 forderte der Beschwerdeführer zwecks Vermeidung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von der Steuerberaterkammer die Bestätigung, dass der Kammervorstand sich in seiner Sitzung am 15. Dezember 2004 - falls er beabsichtige, ihn nicht wieder als Steuerberater zu bestellen - nicht abschließend mit dem Antrag befassen, sondern ihm zuvor rechtliches Gehör gewähren werde. Diese Bestätigung gab die Steuerberaterkammer nicht ab. Auf telefonische Anfrage teilte ihr Hauptgeschäftsführer dem Beschwerdeführer am 25. November 2004 mit, dass die Kammer ihm bereits mit Schreiben vom 15. September 2004 zugesagt habe, ihm im Falle einer ablehnenden Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren, und deshalb keine Notwendigkeit bestünde, ihn nochmals zu bescheiden.

11

Der Beschwerdeführer versuchte daraufhin, nachdem er zunächst das Verwaltungsgericht F. angerufen hatte, am 1. Dezember 2004 bei dem Finanzgericht eine einstweilige Anordnung gegen die Kammer zu erwirken. Nachdem er am 7. Dezember 2004 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und die Steuerberaterkammer sich am 10. Dezember 2004 der Erledigungserklärung angeschlossen hatte, beschloss das Finanzgericht am 13. Dezember 2004, dem Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil die Kammer ihm zu keinem Zeitpunkt Anlass zu der Annahme gegeben habe, sie werde ihm kein rechtliches Gehör gewähren.

12

Am 8. Dezember 2004 ging bei der Steuerberaterkammer ein Schreiben des Beschwerdeführers ein, in dem er ihr eine Verletzung des Amtsgeheimnisses vorwarf, da sie der Rechtsanwaltskammer Unterlagen aus früheren Verfahren gegen den Beschwerdeführer zur Verfügung gestellt habe. Dazu nahm die Kammer am 10. Dezember 2004 Stellung. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2004 ließ der Beschwerdeführer der Kammer weitere rechtliche Ausführungen im Hinblick auf seinen Wiederbestellungsantrag zukommen. Außerdem beantragte er mit Schreiben vom 14. Dezember 2004, die Rechtsauffassung in Bezug auf die Weitergabe von Unterlagen zu überprüfen. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2004 machte er einen Amtshaftungsanspruch gegen die Steuerberaterkammer geltend.

13

Mit Schreiben vom 21. Dezember 2004 teilte die Steuerberaterkammer dem Beschwerdeführer mit, dass sich ihr Vorstand in seiner Sitzung am 15. Dezember 2004 mit seinem Antrag befasst habe und hierzu die Auffassung vertrete, dass seine Wiederbestellung als Steuerberater nicht vor Ablauf von acht Jahren erfolgen könne. Vor einer abschließenden Befassung des Kammervorstands werde ihm Gelegenheit gegeben, sich bis spätestens zum 26. Januar 2005 zu äußern. Hiervon machte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26. Dezember 2004 Gebrauch.

14

Auf telefonische Anfrage nach den Vorstandsmitgliedern übersandte die Steuerberaterkammer dem Beschwerdeführer am 6. Januar 2005 Kopien der Amtlichen Mitteilungsblätter. Am 7. Januar 2005 bestätigte sie ihm den Eingang seines Schriftsatzes vom 26. Dezember 2004 und teilte ihm mit, dass sich der Vorstand in seiner Sitzung am 3. Februar 2005 mit der Angelegenheit befassen werde; die Kammer werde von sich aus auf die Angelegenheit zurückkommen. Am 28. Januar 2005 fand auf Wunsch des Bevollmächtigten des Beschwerdeführers eine Unterredung mit dem Vizepräsidenten der Steuerberaterkammer über den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederbestellung zum Steuerberater statt. Am 2. Februar 2005 stellte der Beschwerdeführer gegen die Mitglieder des Kammervorstands einen Befangenheitsantrag, worin er dem Vorstand mit umfassender zwölfseitiger Begründung willkürliches Verhalten vorwarf. Der Verfahrensbevollmächtigte erhielt am gleichen Tag Akteneinsicht. Die von ihm gewünschten 257 Kopien wurden ihm mit Kostenrechnung vom 8. Februar 2005 übersandt. Der Kammervorstand beschloss in seiner Sitzung vom 3. Februar 2005, den Befangenheitsantrag als unbegründet zurückzuweisen. Hierüber wurde der Beschwerdeführer durch Bescheid vom 16. Februar 2005 unterrichtet. Tags zuvor war eine aus sechs Seiten bestehende Gegenvorstellung - so die Bezeichnung des Beschwerdeführers - eingegangen, in der er nochmals zu dem Urteil des Landgerichts F. vom 15. August 2000 Stellung nahm.

15

Im Anschluss daran befasste sich der Kammervorstand erneut mit dem Antrag des Beschwerdeführers auf Wiederbestellung zum Steuerberater und beschloss, unter Berücksichtigung seiner Stellungnahme vom 26. Dezember 2004, seinen Antrag abzulehnen. Hierüber wurde der Beschwerdeführer durch Bescheid des Präsidenten der Steuerberaterkammer vom 18. Februar 2005 informiert. Das Landgericht habe in seinem Einstellungsurteil vom 15. August 2000 ausdrücklich in Betracht gezogen, ihn im Hinblick auf Gewicht und Vielzahl der gegen ihn erhobenen Vorwürfe und im Hinblick auf seine innere Einstellung, die seine beruflichen Fehlleistungen begleitet habe, aus dem Beruf des Steuerberaters auszuschließen. Zur Überzeugung des Landgerichts habe er sich in seinem Denken und Handeln vom Berufsbild des Steuerberaters entfernt und sei nicht mehr zu einer sachlich prüfenden Distanz sich selbst gegenüber sowie zu dem angemessenen Maß an Rücksicht auf berechtigte Erwartungen seines beruflichen Umfelds im Hinblick auf Fairness und Respekt bereit. Sein Verhalten nach seinem Verzicht auf die Bestellung als Steuerberater, insbesondere die Beleidigungen, die er im Wiederbestellungsverfahren gegen verschiedene Amtsträger geäußert habe, begründe die Besorgnis, dass er auch künftig seinen Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen werde.

16

c) Gegen die Ablehnung seiner Wiederbestellung zum Steuerberater hat der Beschwerdeführer im März 2005 Klage (39 Seiten Klagebegründung nebst Anlagen, die weitere Tatsachen- und Rechtsausführungen enthalten) vor dem Finanzgericht erhoben und außerdem den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf vorläufige Bestellung zum Steuerberater beantragt.

17

Den sodann eingereichten und mit fünf Seiten begründeten Befangenheitsantrag gegen den Senatsvorsitzenden hat das Finanzgericht am 7. Juni 2005 zurückgewiesen, nachdem es zuvor eine dienstliche Stellungnahme eingeholt hatte und eine aus acht Seiten bestehende Stellungnahme des Beschwerdeführers eingegangen war. Gegen die Zurückweisung seines Ablehnungsgesuchs hat der Beschwerdeführer eine mit 11 Seiten begründete Anhörungsrüge erhoben. Diese hat das Finanzgericht durch Beschluss vom 7. September 2005 zurückgewiesen. Das Bemühen des Finanzgerichts, das Verfahren mit Blick auf ein gegen den Beschwerdeführer anhängiges berufsrechtliches Verfahren zum Ruhen zu bringen, scheiterte daran, dass er damit nicht einverstanden war. Die außerordentliche Beschwerde gegen die Zurückweisung seiner Anhörungsrüge hat der Bundesfinanzhof durch Beschluss vom 22. Februar 2006 als unzulässig verworfen.

18

Im Frühjahr 2007 versuchte das Finanzgericht, unter anderem Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht beizuziehen; dem ist der Beschwerdeführer im Mai 2007 entgegengetreten. Auf eine Anfrage der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers teilte das Finanzgericht durch den Berichterstatter unter dem 26. Oktober 2007 mit, wegen der von der Staatsanwaltschaft abgelehnten Aktenvorlage sei "hier noch keine abschließende Entscheidung getroffen", Termin zur mündlichen Verhandlung sei für Februar 2008 vorgesehen. Zur angekündigten Terminierung kam es indessen nicht; auch andere Maßnahmen des Finanzgerichts sind aus den beigezogenen Verfahrensakten nicht zu ersehen. Erst im September 2009 hat das Finanzgericht schließlich Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 9. November 2009 bestimmt. Hierauf teilte die Steuerberaterkammer mit, dass sie erwäge, den Beschwerdeführer wieder als Steuerberater zu bestellen, da die achtjährige Sperrfrist (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG) nunmehr abgelaufen sei. Mit Blick auf diese Mitteilung hat das Finanzgericht den Termin zur mündlichen Verhandlung vom 9. November 2009 gegen den Willen des Beschwerdeführers aufgehoben und neuen Termin auf den 1. Dezember 2009 bestimmt. Durch Urteil vom 1. Dezember 2009 hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Entscheidung der Steuerberaterkammer sei nicht zu beanstanden, weil die Voraussetzungen für eine Wiederbestellung gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG nicht vorgelegen hätten. Der Gesetzgeber sehe bei einem Verzicht auf die Bestellung als Steuerberater im Zusammenhang mit einem berufsgerichtlichen Verfahren besonderen Anlass zur Prüfung, ob die Wiederbestellung eines Bewerbers wegen der Besorgnis zu versagen sei, dieser werde den Berufspflichten als Steuerberater nicht genügen. Die Steuerberaterkammer habe ihr diesbezügliches Ermessen pflichtgemäß ausgeübt; Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Das Finanzgericht hat die Revision nicht zugelassen und außerdem einen Tatbestandsberichtigungsantrag des Beschwerdeführers durch Beschluss des Finanzgerichts vom 22. Februar 2010 zurückgewiesen.

19

Im April 2010 hat der Beschwerdeführer Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und diese auf 25 Seiten begründet. Am 3. August 2010 hat der Bundesfinanzhof die Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts zur Klärung der Frage zugelassen, ob bei der Entscheidung über die Wiederbestellung eines Steuerberaters gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 StBerG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung oder auf die gegenwärtige Lage abzustellen sei. Mit Schriftsatz vom 20. September 2010 hat der Beschwerdeführer seine Revision begründet.

20

2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 12 Abs. 1 GG. Die Steuerberaterkammer und die Fachgerichte hätten bei ihrer Arbeitsweise nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Vorschriften über die Zulassung als Steuerberater die Freiheit der Berufswahl beschränkten und eine zögerliche behördliche oder gerichtliche Bearbeitung des Wiederzulassungsantrags einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf freie Berufswahl darstelle. Das Vorgehen der Hoheitsträger führe zu einem faktischen Berufsverbot, das in seiner Härte tief in seine berufliche und familiäre Existenz eingreife. Die Steuerberaterkammer hätte ihre Prüfung innerhalb weniger Tage abschließen und die diesbezügliche Entscheidung innerhalb eines Monats treffen können und müssen. In Anbetracht der Dringlichkeit der Sache hätte zudem das Finanzgericht innerhalb von drei Monaten ein Urteil erlassen können und müssen. Um das Verfahren zu beschleunigen, hätte es auch die Revision gegen sein Urteil zulassen müssen. Auch das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof verlaufe - insbesondere in Anbetracht der Dauer des behördlichen und des finanzgerichtlichen Verfahrens - zu zögerlich. Es sei nicht nachvollziehbar, warum es bis zur Bescheidung seiner Nichtzulassungsbeschwerde etwa fünf Monate gedauert habe. Ein Monat habe ausgereicht, um zu erkennen, dass die Revision zuzulassen sei; es gehe nur um die Beantwortung einer einfachen Rechtsfrage und um die Verfahrensfehler. Das zögerliche Vorgehen der Fachgerichte und insbesondere die Nichtbeantwortung aller seiner Anfragen begründeten den Verdacht, dass er willkürlich zum Objekt des Verfahrens herabgewürdigt worden sei. Die gerügten Grundrechtsverletzungen hätten wegen ihrer Intensität und ihrer erheblichen finanziellen Folgen sowie wegen seines Alters besonderes Gewicht.

21

3. In ihrer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde hat die Steuerberaterkammer die Auffassung vertreten, ihr sei eine überlange Dauer des Verfahrens nicht vorzuwerfen. Jedenfalls habe sie den Antrag auf Wiederbestellung entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht innerhalb weniger Tage prüfen und über ihn auch nicht innerhalb eines Monats entscheiden können.

22

Das Bundesministerium der Justiz und das Land Hessen haben von der Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

23

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

24

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr gemäß § 93c BVerfGG statt, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Finanzgericht wendet. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet. Ihre Annahme ist insoweit zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers (Art. 19 Abs. 4 GG) angezeigt. Im Übrigen, soweit es um die Verfahrensdauer vor der Steuerberaterkammer und vor dem Bundesfinanzhof geht, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

25

1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen die Dauer des Verfahrens vor dem Finanzgericht wendet, nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an. Sie ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet. Ihre Annahme ist gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers auf einen effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich. Das Finanzgericht hat durch seine Verfahrensgestaltung gegen das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer verstoßen und verletzt dadurch den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).

26

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet für den Bereich des öffentlichen Rechts (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>) - ebenso wie die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Rechtsschutzgarantie in zivilrechtlichen Streitigkeiten - nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern garantiert auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, juris, Rn. 11). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, a.a.O.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, a.a.O.; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris, Rn. 14).

27

Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -, a.a.O.; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 -1 BvR 352/00 -, a.a.O.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, a.a.O.).

28

b) Hieran gemessen hat das Finanzgericht gegen das Verbot einer überlangen Verfahrensdauer verstoßen. Die Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens von nahezu fünf Jahren ist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht mehr vertretbar. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Finanzgericht - und das ist entscheidend - das Verfahren über nahezu zwei Jahre hinweg in keiner Weise gefördert hat.

29

Die anfänglichen Verzögerungen des finanzgerichtlichen Verfahrens insbesondere bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs über die außerordentliche Beschwerde mögen auch durch das Prozessverhalten des Beschwerdeführers - durch seinen Befangenheitsantrag sowie die Einlegung der Anhörungsrüge und der außerordentlichen Beschwerde - bedingt sein. Im weiteren Verlauf des Verfahrens ist das Finanzgericht jedoch nahezu zwei Jahre völlig untätig geblieben, ohne dass hierfür Gründe ersichtlich sind.

30

Die vollständige - und offenbar grundlose - Untätigkeit des Finanzgerichts im Zeitraum von Oktober 2007 bis September 2009 verletzt das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Obwohl das Verfahren bei der Beantwortung der Anfrage Ende Oktober 2007 schon zweieinhalb Jahre anhängig war, hat sich das Finanzgericht nicht darum bemüht, es beschleunigt zu bearbeiten, sondern hat im Gegenteil dessen weitere Bearbeitung zunächst gänzlich eingestellt. Erst mit der Terminierung im September 2009 hat das Finanzgericht dem Verfahren wieder Fortgang gegeben. Das dargestellte Versäumnis wiegt umso schwerer, weil es dem Beschwerdeführer um eine Wiederzulassung als Steuerberater und damit um die Möglichkeit ging, seinen Beruf als Steuerberater für die ihm verbleibende - aufgrund seines Alters ohnehin überschaubare - Lebensarbeitszeit auszuüben.

31

2. Im Übrigen nimmt die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.

32

a) Der tatsächliche Ablauf des Verfahrens vor der Steuerberaterkammer gibt keinen Anhaltspunkt für eine unzureichende Förderung des Verfahrens. Der Beschwerdeführer - der den Ablauf des Verfahrens nur selektiv und unvollständig schildert - hat die Dauer und den Ablauf des Verfahrens durch seine Verfahrensführung selbst zu verantworten. Seine zahlreichen umfassenden Stellungnahmen und Anfragen standen einem früheren Abschluss des Verfahrens entgegen. Im Übrigen stellt der Beschwerdeführer mit Blick auf eine realistische Bearbeitungsdauer völlig überzogene Anforderungen, wenn er meint, das Verfahren habe in einem Monat erledigt werden können und erledigt werden müssen.

33

Angesichts dieser tatsächlichen Umstände kann offen bleiben, ob und inwieweit das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz überhaupt "Vorwirkungen" auf Verwaltungsverfahren, die dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgelagert sind, entfaltet, so dass auch diese in angemessener Zeit erledigt werden müssen (zu den Vorwirkungen vgl. BVerfGE 22, 49 <81 f.>; 61, 82 <110>; 69, 1 <49>; 118, 168 <207>).

34

b) Nach Abwägung aller Umstände ist die bisherige Dauer des Verfahrens vor dem Bundesfinanzhof in verfassungsrechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden. Dem Bundesfinanzhof muss, auch wenn er sich angesichts der bisherigen Verfahrensdauer nachhaltig um eine Beschleunigung zu bemühen hat, genügend Zeit zur Verfügung stehen, um die gesamte Angelegenheit sorgfältig und umfassend sowie in Erfüllung seiner besonderen Aufgaben als Revisionsgericht zu prüfen. Der damit vorgegebene zeitliche Rahmen ist bislang nicht überschritten.

35

Zunächst hat der Bundesfinanzhof zügig in weniger als vier Monaten zugunsten des Beschwerdeführers über die Nichtzulassungsbeschwerde entschieden. Soweit der Beschwerdeführer auch hier eine schnellere Entscheidung fordert, entfernt er sich erneut von realistischen Vorstellungen über die benötigten Bearbeitungszeiten.

36

Auch die seit Begründung der Revision durch den Beschwerdeführer vergangene Zeit ist derzeit von Verfassungs wegen noch nicht zu beanstanden. Ausweislich des Beschlusses über die Zulassung der Revision will der Bundesfinanzhof mit der Bestimmung des für die Voraussetzungen der Wiederbestellung maßgeblichen Zeitpunkts eine umstrittene Frage von grundsätzlicher Bedeutung klären. Dies verlangt eine besonders intensive Vorbereitung der Entscheidung und insbesondere eine eingehende Sichtung und Bewertung der vorliegenden Rechtsprechung und des Meinungsstandes in Literatur und Wissenschaft. Die hierfür erforderliche Zeit muss dem Revisionsgericht angesichts seiner speziellen Verantwortung für die Wahrung der Einheitlichkeit und für die Fortentwicklung der Rechtsprechung verbleiben. Zwar darf demgegenüber - zumal wegen der seitherigen Verfahrensdauer - das Interesse des Beschwerdeführers an einer umgehenden Entscheidung nicht völlig zurücktreten, auch unter Berücksichtigung dieses Umstands gibt aber die Dauer des Revisionsverfahrens gemessen an verfassungsrechtlichen Maßstäben aktuell noch keinen Anlass zu Beanstandungen. Allerdings sind keine Umstände ersichtlich, die den Bundesfinanzhof nunmehr an einer Entscheidung über die Revision in nächster Zeit hindern könnten.

37

3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG und berücksichtigt den nur teilweisen Erfolg der Verfassungsbeschwerde.

38

4. Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 27. Januar 2006 (Klageeingang) bis zum 23. März 2012 (Urteilszustellung) vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg anhängigen Verfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Erbe nach seinem im Jahr 1996 verstorbenen Vater (V). Auf Antrag des Klägers, der die Werthaltigkeit des Nachlasses zunächst nicht hatte einschätzen können, ordnete das Nachlassgericht Nachlassverwaltung an. Diese wurde am 9. August 2000 mit der Begründung aufgehoben, ihr Zweck sei durch die Berichtigung der bekannten Nachlassverbindlichkeiten erreicht.

3

Zum Nachlass gehörte auch eine Beteiligung an einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GbR. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen veräußerte eine KG, an der die GbR beteiligt war, im Jahr 1996 den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Die Liquidation der GbR fand im Jahr 2002 (Streitjahr des Ausgangsverfahrens) ihren Abschluss durch förmliche Auflösung der Gesellschaft.

4

Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns der GbR für das Jahr 2002 wurde für den Kläger ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 12.028,89 € festgestellt. Dies entsprach dem seinerzeitigen Stand des negativen Kapitalkontos des Klägers. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage vor dem FG Münster, mit der er eine Beschränkung seiner Erbenhaftung auf der Grundlage der §§ 1975 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltend machte. Das FG Münster wies die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2006  1 K 3381/04 F ab und führte zur Begründung aus, allein der Kläger --nicht aber V oder der Nachlass-- habe im Jahr 2002 den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklicht, weil er Gesellschafter der GbR geworden sei. Der im Jahr 2003 ergangene Feststellungsbescheid sei schon deshalb nicht gegen den Nachlassverwalter zu richten gewesen, weil die Nachlassverwaltung bereits im Jahr 2000 beendet worden sei. Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung könne erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.

5

Bereits zuvor, am 17. Mai 2003, hatte das Berliner Wohnsitz-Finanzamt (FA) gegen den Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2002 erlassen. Darin setzte es die Einkünfte aus der GbR entsprechend dem Feststellungsbescheid an. Es ergab sich eine Steuernachzahlung, die nach dem Vorbringen des Klägers dadurch "vollstreckt" (getilgt) wurde, dass das FA sie mit anderweitigen Steuerguthaben des Klägers verrechnete. Eine Beschränkung der Erbenhaftung lehnte das FA ab.

6

Mit seiner am 27. Januar 2006 vor dem damaligen FG Berlin erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin die Beschränkung seiner Erbenhaftung geltend. Am 27. März 2006 begründete er die Klage. Schon in der Klagebegründung erklärte er, die Steuernachzahlungen hätten im Falle eines frühzeitigen Hinweises des Betriebs-FA bereits vom Nachlassverwalter beglichen werden können, da genügend Masse vorhanden gewesen sei.

7

Mit einem am 2. Juni 2006 beim FG eingegangenen Schriftsatz des Klägers endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten. Ausweislich der finanzgerichtlichen Akten erwog das FG in diesem Stadium des Verfahrens, einen Gerichtsbescheid zu erlassen. Tatsächlich wurde das FG aber zunächst nicht weiter tätig. Auf eine am 12. Oktober 2007 eingegangene Sachstandsanfrage des Klägers teilte der Berichterstatter mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 mit, der Zeitpunkt einer Terminierung sei wegen der Vielzahl der anhängigen älteren Verfahren ungewiss.

8

Mit Verfügung vom 17. Februar 2010 forderte das FG --mittlerweile war die Zuständigkeit auf das neugegründete FG Berlin-Brandenburg übergegangen-- die Steuerakten des FA sowie die Gerichtsakte des FG Münster an. Auf den Hinweis des FG Münster, die Aktenübersendung setze die Vorlage einer Einverständniserklärung des Klägers voraus, bat das FG den Kläger mit Schreiben vom 1. März 2010, eine solche Erklärung abzugeben. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Das FG sah in der Folgezeit von einem weiteren Tätigwerden ab.

9

Am 18. Januar 2012 verfügte der Senatsvorsitzende des FG die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 1. März 2012. Zugleich erteilte er dem Kläger einen rechtlichen Hinweis, wonach die Klage unbegründet sein dürfte, weil die Einkommensteuer 2002 keine Nachlassverbindlichkeit darstelle.

10

Mit einem am 3. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zur Begründung führte er aus, es habe sich nachträglich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebiger gewesen sei als zunächst angenommen. Das FG wies den Kläger am 7. Februar 2012 darauf hin, dass es an einer Hauptsacheerledigung fehlen dürfte, weil nach Rechtshängigkeit kein erledigendes Ereignis eingetreten sei. Vielmehr dürfte die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sein. Es regte eine Klagerücknahme an.

11

Hierauf rügte der Kläger mit einem am 14. Februar 2012 eingegangenen Schreiben unter Hinweis auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) eine überlange Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er vertrat die Auffassung, das rechtlich und tatsächlich unkomplizierte Verfahren hätte spätestens innerhalb von zwei Jahren beendet sein müssen. Aufgrund der Verfahrensdauer könne der Kläger Teile der maßgebenden Unterlagen nicht mehr einsehen. Insbesondere sei die für den Nachlassverwalter geltende Aktenaufbewahrungsfrist abgelaufen. Ferner beantragte der Kläger Akteneinsicht und die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung.

12

Das FG lehnte den Terminaufhebungsantrag ab, führte die mündliche Verhandlung durch und wies die Klage ab. Zu entscheiden sei nur noch über den Antrag, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen. Eine solche Feststellungsklage sei unbegründet, da die ursprüngliche Verpflichtungsklage schon bei ihrer Erhebung unbegründet gewesen sei. Denn dem Kläger sei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, dass der Nachlass zur Zahlung der Steuern ausgereicht hätte. Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 23. März 2012 zugestellt.

13

Am 9. Juli 2012 hat der Kläger die streitgegenständliche Entschädigungsklage "aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" erhoben. Er verweist darauf, dass ein finanzgerichtliches Verfahren im Durchschnitt 17,5 Monate --bei einer Spanne zwischen den einzelnen Bundesländern von 10,1 bis 24,7 Monaten-- dauere. Auf dieser Grundlage sieht er im konkreten Verfahren eine Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer um vier Jahre. Die erforderliche Verzögerungsrüge sei in seiner am 12. Oktober 2007 gestellten Sachstandsanfrage zu sehen. Im Übrigen dürfte die sechsjährige Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bereits in den Grenzbereich der absoluten überlangen Verfahrensdauer hineinreichen. In derartigen Fällen sei eine Rüge entbehrlich, da die von ihr ausgehende Warnfunktion angesichts der offenkundigen Überlänge nicht mehr eintreten könne.

14

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg 10 K 1037/06 B eine Entschädigung in Höhe von 4.800 € zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

16

Er ist der Auffassung, die Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 könne keine Wirkung für den davor liegenden Zeitraum entfalten, weil sie entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 erhoben worden sei. Zudem müsse ein Entschädigungsanspruch nach dem Gesetzeszweck dann entfallen, wenn das Gericht --wie hier-- das Verfahren unmittelbar nach Erhebung der Verzögerungsrüge abschließe. Denn die Rüge solle als Warnung an das Gericht dienen; diese Warnfunktion werde bei einem zügigen Verfahrensabschluss erfüllt.

17

Selbst wenn eine sachliche Prüfung der Entschädigungsklage vorzunehmen sein sollte, wäre keine Geldentschädigung auszusprechen. Vielmehr wäre gemäß § 198 Abs. 4 GVG die bloße Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer als Wiedergutmachung ausreichend. Dem Kläger sei aufgrund der Dauer des Verfahrens weder ein materieller noch --abgesehen von der Überlänge als solcher-- ein immaterieller Schaden entstanden. Zudem zeige das Unterbleiben einer Reaktion des Klägers auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010, dass er spätestens ab diesem Zeitpunkt selbst kein besonderes Interesse mehr an einer Fortsetzung des Verfahrens gehabt habe.

18

Jedenfalls sei die entschädigungspflichtige Verzögerung erheblich geringer als der vom Kläger angeführte Zeitraum von vier Jahren. Beim Eingang des letzten vorbereitenden Schriftsatzes am 2. Juni 2006 sei eine Terminierung wegen der zum 1. Januar 2007 durchgeführten Fusion der Finanzgerichte der Länder Berlin und Brandenburg nicht mehr möglich gewesen. Das neue FG Berlin-Brandenburg sei erst nach dem Auspacken und Verteilen der Akten im April 2007 in vollem Umfang funktionstüchtig gewesen. Für die Zeit vom 17. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 sei eine Verzögerung zu verneinen, weil der Kläger auf die Anfrage des FG hinsichtlich der Einverständniserklärung nicht reagiert habe. Danach verbleibe eine "untechnische Verfahrensruhe" von drei Jahren und neun Monaten. Da eine Verfahrensdauer von zwei Jahren und sechs Monaten nicht zu beanstanden sei, ergebe sich vorliegend ein Entschädigungsanspruch allenfalls für ein Jahr und drei Monate.

II.

19

1. Obwohl der Kläger seinen Anspruch als "auf dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" beruhend bezeichnet, legt der Senat die Klage als Entschädigungsklage nach § 198 GVG, nicht aber als auf einen Amtshaftungsanspruch gestützte Schadensersatzklage aus. Maßgebend hierfür ist, dass der Kläger die Klage beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht und er in seiner Klageschrift auf § 198 GVG verwiesen hat.

20

2. Der Senat hält die durch § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung vorgenommene Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit für Entschädigungsklagen aus dem Bereich der Finanzgerichtsbarkeit an den BFH für vereinbar mit Art. 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG). Danach darf der ordentliche Rechtsweg für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung nicht ausgeschlossen werden.

21

Zwar ist es denkbar, dass die Einführung der Entschädigungsklage zu einem Rückgang der Amtshaftungsklagen in diesem Bereich führen wird. Denn Gegenstand der §§ 198 ff. GVG kann --wie bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zeigt-- auch eine Entschädigung für materielle Nachteile und Schäden sein (zutreffend BTDrucks 17/3802, 17); in diesem Bereich gelten nach Auffassung des Gesetzgebers die §§ 249 ff. BGB --mit Ausnahme eines Anspruchs auf Ersatz des entgangenen Gewinns-- uneingeschränkt (BTDrucks 17/7217, 27 f.). Zudem wird die Geltendmachung eines auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsanspruchs für den Anspruchsteller schon wegen des fehlenden Erfordernisses der Führung eines Verschuldensnachweises wesentlich einfacher sein als die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs.

22

Gleichwohl führt die Einführung der Entschädigungsklage und deren Zuweisung an die Fachgerichtsbarkeiten nicht zu einer Aushöhlung der Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG. Denn es bleibt dem Anspruchsteller unbenommen, sein Begehren im Wege einer Amtshaftungsklage durchzusetzen. Beide Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen parallel zueinander. Während sich die Entschädigungsklage durch erleichterte Voraussetzungen (fehlendes Verschuldenserfordernis), die Vermutung des Eintritts von Nichtvermögensschäden sowie die Möglichkeit eines pauschalierten Ersatzes dieser Schäden auszeichnet, eröffnet die Amtshaftungsklage demgegenüber auch die Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz für entgangenen Gewinn. Von einem "Ausschluss" des ordentlichen Rechtsweges, der durch Art. 34 Satz 3 GG allein untersagt würde, lässt sich danach ungeachtet eines möglichen faktischen Rückgangs der Amtshaftungsklagen nicht sprechen.

Entscheidungsgründe

23

III. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

24

Sie ist gegen den richtigen Beklagten gerichtet (unten 1.). Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (unten 2.). Das finanzgerichtliche Verfahren, dessen Dauer vorliegend zu beurteilen ist, ist unangemessen verzögert worden (unten 3.). Ein Anspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Ausgangsgericht das Verfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu Ende geführt hat (unten 4.) oder die Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (unten 5.). Allerdings ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer für die erforderliche Wiedergutmachung ausreichend; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu (unten 6.). Weil ein derartiger Feststellungsausspruch keine vorherige Verzögerungsrüge des Klägers voraussetzt, kann offenbleiben, ob der Kläger die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren noch "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben hat (unten 7.).

25

1. Der Kläger hat mit dem Land Berlin den richtigen Beklagten bezeichnet.

26

a) Die Bestimmung des Anspruchsgegners bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer richtet sich nach § 200 Satz 1 GVG. Danach haftet das Land für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind. Da das FG Berlin-Brandenburg gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2004, 380) --Staatsvertrag-- ein gemeinsames Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut des § 200 Satz 1 GVG unmittelbar noch keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen.

27

Nach Auffassung des erkennenden Senats --die vom Kläger und nunmehr auch vom Beklagten geteilt wird-- üben die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes aus, aus dem das Ausgangsverfahren stammt. Der Senat verweist insoweit auf die ausführlichen Darlegungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 45/06 (juris, unter II.1.a), denen er sich anschließt. Der Verfassungsgerichtshof hat sich dabei insbesondere auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit gestützt. Demgegenüber hat er denjenigen Einzelregelungen im Staatsvertrag, die an das Sitzprinzip anknüpfen, keine entscheidende Bedeutung zugemessen (Rz 32 des Beschlusses). Dieser Auffassung ist auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Beschluss vom 10. Mai 2007  8/07 (juris, unter B.I.1.). Beiden Beschlüssen lagen jeweils Verfahren aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde.

28

In Übereinstimmung damit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eines Richters am früheren FG Berlin, der sich unmittelbar gegen den Staatsvertrag gewandt hatte, ausgeführt, das FG Berlin-Brandenburg sei ein Gericht, "welches (auch) zur Berliner Landesgerichtsbarkeit gehört" (Beschluss vom 14. Juli 2006  2 BvR 1058/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 1030, unter III.2.b aa). Die richterliche Tätigkeit an einem länderübergreifenden Gericht stelle sich als "Ausübung der Rechtsprechung für die an dem Gericht beteiligten Länder dar" (BVerfG-Beschluss in HFR 2006, 1030, unter III.2.b bb). Damit hat auch das BVerfG eine Anwendung des reinen Sitzprinzips --maßgeblich wäre danach stets der Sitz des gemeinsamen FG im Land Brandenburg-- abgelehnt.

29

b) Vorliegend stammt das Ausgangsverfahren aus dem Land Berlin, da eine Berliner Finanzbehörde den Ablehnungsbescheid erlassen hatte, der zu der vom Kläger vor dem damals noch bestehenden FG Berlin erhobenen Verpflichtungsklage geführt hat. Auch soweit ab dem 1. Januar 2007 das FG Berlin-Brandenburg an die Stelle des FG Berlin getreten ist, übte es im Ausgangsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Berlin aus, das damit Anspruchsgegner im Entschädigungsklageverfahren ist.

30

2. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg (Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641) ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich.

31

a) Organisationsregelungen innerhalb eines Ressorts werden traditionell nicht dem zwingenden Gesetzesvorbehalt unterstellt. Die Exekutive hat hier eine eigene Organisationsgewalt (vgl. hierzu Krebs in Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, § 108 Rz 99, m.w.N.).

32

Diese Organisationsgewalt unterliegt aber in doppelter Hinsicht Begrenzungen.

33

aa) Zum einen darf der Parlamentsgesetzgeber hierauf jederzeit Zugriff nehmen und ausdrückliche gesetzliche Organisationsregelungen treffen (Ossenbühl in Handbuch des Staatsrechts, a.a.O., § 101 Rz 72). Solange indes derartige Spezialregelungen nicht existieren, bleibt es bei der Organisationsgewalt der Exekutive.

34

bb) Zum anderen verpflichten das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip den Parlamentsgesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dieser "Wesentlichkeitsvorbehalt" gilt zwar vor allem für den Bereich der Grundrechtsausübung, erfasst darüber hinaus aber auch andere für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen (ausführlich, auch zum Folgenden, Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1999  11/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 1243, m.w.N., betr. Zusammenlegung des Innen- und Justizministeriums). Danach fallen Organisationsentscheidungen dann unter den Gesetzesvorbehalt, wenn sie wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte oder anderer tragender Verfassungsprinzipien (z.B. Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt) oder die Wahrnehmung der Staatsleitung sind.

35

b) Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage der organisationsrechtlichen Zuständigkeit für die Vertretung des Landes in Entschädigungsklageverfahren sind landes- oder bundesgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich. § 200 Satz 1 GVG bestimmt lediglich, wer in Entschädigungsfällen der richtige Beklagte ist (das Bundesland). Zu der Vertretung innerhalb des Bundeslandes enthält das GVG keine Regelungen, was in einem Bundesgesetz auch nicht möglich wäre.

36

Die in der Vertretungsanordnung getroffene Organisationsregelung enthält auch keine Entscheidung, die so wesentlich wäre, dass sie vom Gesetzgeber hätte getroffen werden müssen. Sie berührt weder die Verwirklichung der Grundrechte noch anderer tragender Verfassungsprinzipien oder die Wahrnehmung der Staatsleitung. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass der FG-Präsident in Entschädigungsklageverfahren lediglich Vertreter eines Verfahrensbeteiligten, nicht aber entscheidungsbefugt ist.

37

3. Das finanzgerichtliche Verfahren ist unangemessen verzögert worden. Diese --auf den konkreten Streitfall bezogene-- Würdigung ist möglich, ohne dass der Senat bereits den vorliegenden Einzelfall zum Anlass nehmen müsste, allgemeine Leitlinien für die vom Rechtsschutzsuchenden im Regelfall noch hinzunehmende Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu entwickeln.

38

a) Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

39

Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR, wonach die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Entschädigungsklägers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen ist (Urteil vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/ Deutschland--, NJW 2010, 3355, Rz 41, m.w.N.).

40

Auch das BVerfG geht von vergleichbaren Kriterien aus. Danach lässt sich nicht generell festlegen, ab wann von einer überlangen, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes unzumutbar beeinträchtigenden und deshalb verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung und Entscheidung im Einzelfall. Dabei sind vor allem die Bedeutung der Sache für die Parteien (Beteiligten), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Parteien zuzurechnende Verhalten sowie vom Gericht nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbare Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen, in Rechnung zu stellen. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich allerdings die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung entschieden, dass bei einem Instanzgericht jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (Beschluss vom 13. August 2012  1 BvR 1098/11, Europäische Grundrechte Zeitschrift --EuGRZ-- 2012, 666, unter B.I.2.). Vor dem BVerfG selbst kann mit Rücksicht auf den abweichenden Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften (vgl. § 97a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG-- einerseits und § 198 GVG andererseits) sowie die besonderen Aufgaben des BVerfG eine längere Verfahrenslaufzeit hinzunehmen sein, insbesondere wenn ein Pilotverfahren ausgewählt wird und entsprechende Parallelverfahren vorerst zurückgestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 1. Oktober 2012  1 BvR 170/06 - Vz 1/12, juris).

41

Diese vom EGMR und dem BVerfG entwickelten Kriterien sind nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes --bei dem es sich um eine Reaktion auf die häufigen Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) durch den EGMR handelt-- zum Ausdruck kommt, auch der Prüfung nach § 198 GVG zugrunde zu legen (BTDrucks 17/3802, 18).

42

b) Da im Ausgangsverfahren der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 2. Juni 2006 endete, war das erstmalig am 17. Februar 2010 erkennbare Tätigwerden des FG (Aktenanforderung) erheblich zu spät. Geht man mit der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass "jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten" den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt (Beschluss in EuGRZ 2012, 666, unter B.I.2.), das Gericht also im Regelfall nach etwa 24 bis 30 Monaten tätig werden muss, hätte das FG das Ausgangsverfahren im ersten Halbjahr 2008 zumindest in die Richtung einer Entscheidung vorantreiben müssen.

43

c) Der Staat kann sich zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen (so zutreffend BTDrucks 17/3802, 19, unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG und EGMR). Deshalb ist die Zusammenlegung der Finanzgerichte Berlin und Brandenburg zum 1. Januar 2007 bereits dem Grunde nach kein Umstand, der vom Kläger zu vertreten wäre und eine Verlängerung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer rechtfertigen könnte. Danach kann der Senat offenlassen, ob der Beklagte sein Vorbringen, der Umzug des FG Berlin nach Cottbus habe zu einer zehnmonatigen Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit des vormaligen FG Berlin und des späteren FG Berlin-Brandenburg geführt, hinreichend substantiiert hat.

44

d) Dem Kläger ist allerdings im Rahmen der Prüfung der Gründe für die eingetretene Verzögerung der Umstand zuzurechnen, dass er es unterlassen hat, auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010 zu reagieren. Nicht beizupflichten ist jedoch dem Beklagten darin, dass die unterbliebene Reaktion des Klägers das FG für das gesamte Jahr 2010 von der Pflicht zur weiteren Förderung des Verfahrens befreit hat. Das Schweigen des Klägers auf die Anfrage hätte für das Gericht angesichts der bereits in diesem Zeitpunkt eingetretenen Verzögerung des Verfahrens vielmehr entweder Anlass sein müssen, den Kläger an die ausstehende Antwort zu erinnern, oder dem FG die Möglichkeit eröffnet, ohne Berücksichtigung der betroffenen Akten --und ggf. unter Anwendung eines reduzierten Beweismaßes zu Lasten des insoweit nicht an der Sachaufklärung mitwirkenden Klägers (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, unter II.2.)-- zu entscheiden. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich --wie oben dargelegt-- die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Gleichwohl ist das FG erst wieder am 18. Januar 2012 tätig geworden.

45

e) Danach bewegt sich die dem Beklagten zuzurechnende Verzögerung des Verfahrens jedenfalls in der Nähe des vom Kläger seiner Entschädigungsforderung zugrunde gelegten Zeitraums von vier Jahren, ohne dass der Senat --der sich auf den Ausspruch einer Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beschränkt (siehe unten 6.)-- im Streitfall nähere Festlegungen treffen müsste.

46

4. Ein auf § 198 GVG gestützter Feststellungs- oder Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das FG das Ausgangsverfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 zu Ende geführt hat.

47

Die gegenteilige vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung kann jedenfalls in Fällen, die --wie vorliegend-- eine Verzögerung betreffen, die bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetreten ist, nicht zutreffend sein. Denn schon vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes war die Bundesrepublik Deutschland aufgrund Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren. Ferner musste die Bundesrepublik Deutschland gewährleisten, dass für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine  wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung stand (Art. 13 EMRK). Würde nun eine vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer --erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen-- Verzögerungsrüge beendet, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom EGMR mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar.

48

Im Übrigen hat der EGMR im Urteil vom 29. März 2006  36813/97 --Scordino/Italien-- (NJW 2007, 1259, Rz 185) ausgeführt: "Es versteht sich, dass in Ländern, in denen eine Konventionsverletzung wegen der Dauer des Verfahrens schon eingetreten ist, ein nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf, so wünschenswert er für die Zukunft ist, zur Wiedergutmachung nicht ausreicht, wenn das Verfahren offensichtlich schon übermäßig lang gedauert hat." In diesem Sinne ist die vom deutschen Gesetzgeber nunmehr geschaffene Verzögerungsrüge ein "nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf", der allein aber zur Wiedergutmachung einer in der Vergangenheit liegenden Verzögerung nicht ausreichen kann, wenn der neue Rechtsbehelf in der Vergangenheit noch gar nicht zur Verfügung stand.

49

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, EuGRZ 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bei der Auslegung der durch das ÜberlVfRSchG in das deutsche Recht aufgenommenen Normen auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen. Mit diesem wäre es unvereinbar, wenn eine bereits eingetretene Verzögerung durch nachträgliches staatliches Handeln ohne Zuerkennung einer Wiedergutmachung ungeschehen gemacht werden könnte.

50

5. Ein Anspruch des Klägers scheitert auch nicht daran, dass die Erhebung der Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

51

Der Beklagte meint insoweit, der Kläger habe die Verzögerungsrüge angesichts des drohenden Prozessverlusts im Ausgangsverfahren als Druckmittel einsetzen wollen, um eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erreichen. Da dies nicht gelungen sei, sei die spätere Erhebung der Entschädigungsklage als "Trotzreaktion" anzusehen, die rechtlich unbeachtlich sei.

52

Dem ist nicht beizupflichten. Nach allgemeinen Grundsätzen sind Prozesshandlungen im Interesse der erforderlichen Rechtsklarheit bedingungsfeindlich (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644, unter II.2.). Grund hierfür ist das im gerichtlichen Verfahren in besonderer Weise bestehende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit. Daraus folgt aber zugleich, dass auch eine Motivforschung in Bezug auf Prozesshandlungen --insbesondere hinsichtlich der Gründe für die Erhebung einer Klage-- ausscheidet.

53

6. Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend für die erforderliche Wiedergutmachung; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu.

54

a) Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dies beruht auf der Rechtsprechung des EGMR, der "eine starke, aber widerlegbare Vermutung" dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat (Urteil in NJW 2007, 1259, Rz 204).

55

Vorliegend ist diese gesetzliche Vermutung weder durch das Vorbringen des Beklagten noch durch den sonstigen Akteninhalt widerlegt.

56

b) Ist die Vermutungsregel --wie hier-- nicht widerlegt, ordnet § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Erleiden eines solchen Nichtvermögensnachteils an, dass eine Geldentschädigung "nur beansprucht werden [kann], soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist". Die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht ist im Gesetz ausdrücklich als eine der Möglichkeiten bezeichnet, Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zuerkennung eines Geldanspruchs zu leisten (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG).

57

Für das Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen "Geldentschädigung" einerseits und "Feststellungsausspruch" andererseits gilt danach weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel. Damit ist jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut vor der Zuerkennung einer Geldentschädigung jeweils konkret zu prüfen, ob Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch möglich ist.

58

Soweit demgegenüber in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten wird, ein Feststellungsausspruch müsse sich auf diejenigen Ausnahmefälle beschränken, in denen sich der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren rechtsmissbräuchlich verhalten habe (so Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2177), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das von dieser Auffassung als Beleg angeführte EGMR-Urteil vom 10. Dezember 1982  8304/78 --Corigliano/Italien-- (EGMR-E 2, 199, Rz 53) enthält zwar einen bloßen Feststellungsausspruch. Allerdings lässt sich der genannten Entscheidung nicht entnehmen, dass dieser Ausspruch auf einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des dortigen Beschwerdeführers beruht. Vielmehr führt der EGMR aus, bereits durch die Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK sei eine hinreichende Entschädigung für den immateriellen Schaden bewirkt worden. Das darüber hinaus angeführte EGMR-Urteil vom 13. November 2008  26073/03 --M.O./ Deutschland-- (juris) ist als Beleg für die Gegenauffassung schon deshalb ungeeignet, weil dem dortigen Beschwerdeführer --eine Person, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt war-- durch die überlange Dauer eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und dessen Öffentlichkeitswirkung unstreitig ein erheblicher immaterieller Schaden entstanden war.

59

c) Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802, 20) soll ein derartiger Feststellungsausspruch beispielsweise in Verfahren ausreichen, die für "einen Verfahrensbeteiligten" (gemeint kann indes nur der Entschädigungskläger sein, nicht aber dessen Gegner im Ausgangsverfahren) keine besondere Bedeutung hatten, in denen ein Verfahrensbeteiligter durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder der Beklagte darlegt, dass der Entschädigungskläger --abgesehen von der Überlänge des Verfahrens als solcher-- keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat.

60

d) Auch in Bezug auf diese Rechtsfrage bietet der Streitfall keine Veranlassung, allgemeine Grundsätze zur Auslegung des § 198 Abs. 4 GVG aufzustellen oder sich abschließend zu den in den Gesetzesmaterialien angestellten Erwägungen zu äußern.

61

Die angeführten Erwägungen des Gesetzgebers könnten allerdings insoweit auf Bedenken stoßen, als eine dem Entschädigungskläger zuzurechnende Verzögerung bereits bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob überhaupt der Tatbestand einer unangemessenen Verfahrensdauer erfüllt ist, und dann nicht nochmals bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen einer als unangemessen zu beurteilenden Verfahrensdauer berücksichtigt werden darf. Auch könnte das Verlangen nach einem Nichtvermögensschaden, der über das Erdulden der Überlänge als solcher hinausgeht, in einem Spannungsverhältnis zu der Forderung des EGMR nach einem effektiven Rechtsschutz gegen Verfahrensverzögerungen stehen. Im Streitfall kommt hinzu, dass dem finanzgerichtlichen Verfahren --jedenfalls abstrakt-- auch eine "besondere Bedeutung" für den Kläger nicht abzusprechen war, da Gegenstand seiner Klage immerhin ein streitiger Steuerbetrag im Umfang von ca. einem Drittel der insgesamt für den Veranlagungszeitraum 2002 gegen den Kläger festgesetzten Einkommensteuer war.

62

e) Im Streitfall ist die Beschränkung auf einen bloßen Feststellungsausspruch aber deshalb gerechtfertigt, weil die Klage unschlüssig, d.h. bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar unbegründet war. Denn der Kläger hat schon in der --kurz nach Klageerhebung eingereichten-- Klagebegründung vom 24. März 2006 eingeräumt, dass im Nachlass genügend Masse vorhanden war, um die Steuernachzahlung begleichen zu können. Damit hätte die vom Kläger begehrte Beschränkung seiner Erbenhaftung auf den Nachlass aber von vornherein nicht zu einer Reduzierung seiner Pflicht zur Zahlung der festgesetzten Einkommensteuer führen können.

63

aa) Soweit der Kläger erstmals im Entschädigungsklageverfahren --ohne Substantiierung durch Vorlage von Unterlagen-- behauptet, ab dem Jahr 2001 seien weitere Forderungen gegen den Nachlass geltend gemacht worden, was im Jahr 2004 zum Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens geführt habe, ist dies für die Beurteilung durch den Senat ohne Bedeutung. Denn ob eine Klage sich als unschlüssig darstellt, ist aus der --verobjektivierten-- Sicht des zur Entscheidung über diese Klage berufenen Spruchkörpers zu beurteilen. Im Übrigen vermag der Senat dieses neue Vorbringen nicht nachzuvollziehen, da es zu den früheren Tatsachenbehauptungen des Klägers in Widerspruch steht. So hat er nicht nur in der Klagebegründung vom 24. März 2006 --lange nach der angeblichen Erhebung weiterer Forderungen und dem behaupteten Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens--, sondern nochmals im Schreiben vom 2. Februar 2012 erklärt, letztlich habe sich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebig gewesen sei.

64

In einem solchen Fall, in dem sich allein aus der kurz nach Klageerhebung eingereichten Klagebegründung ohne weitere Ermittlungshandlungen des Gerichts die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens ergibt, hat das verzögerte Verfahren --jedenfalls bei konkreter Betrachtung-- für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung. Denn dann ist für jeden Rechtskundigen von Anfang an klar, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben kann.

65

Selbst wenn sich --was der Senat vorliegend nicht zu entscheiden braucht-- aus einer EMRK-konformen Auslegung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein gewisser Vorrang der Geldentschädigung ergeben könnte, zeigt die Rechtsprechung des EGMR, dass auch dieser in vielen Fällen lediglich einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung ausreichen lässt (vgl. die umfassende Zusammenstellung dieser Rechtsprechung bei Steinbeiß-Winkelmann/ Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, Anhang 2). Es sind aber kaum Fallgruppen denkbar, in denen die Betroffenheit des Klägers durch eine überlange Verfahrensdauer geringer ist als bei einer nach dem eigenen Klagevorbringen bereits unschlüssigen Klage. Die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in diesen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Unschlüssigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine weiteren Risiken oder Nachteile für die prozessuale oder sonstige Situation des Klägers verbunden.

66

bb) Betrachtet man die Rechtsprechung des EGMR bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, ist zwar festzustellen, dass der EGMR Deutschland in Fällen überlanger Verfahrensdauer zunehmend zur Zahlung von Geldentschädigungen verurteilt und sich nicht auf die --gemäß Art. 41 EMRK ebenfalls mögliche-- bloße Feststellung einer Verletzung der EMRK beschränkt hat. Bei genauer Betrachtung liegt dies aber daran, dass der EGMR im Zeitablauf zu der Erkenntnis gelangt ist, dass in Deutschland seinerzeit ein strukturelles Problem vorhanden gewesen sei. Deutschland wurde daher in den jüngeren Entscheidungen nicht allein wegen einer Verletzung des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist) verurteilt, sondern vor allem auch wegen einer Verletzung des in Art. 13 EMRK garantierten Rechts auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der EMRK bei einer innerstaatlichen Instanz (vgl. EGMR-Urteil vom 8. Juni 2006  75529/01 --Sürmeli/ Deutschland--, NJW 2006, 2389). Eine solche Beschwerdemöglichkeit in Fällen überlanger Gerichtsverfahren (Untätigkeitsbeschwerde, Verzögerungsrüge) fehlte in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG; dieses strukturelle Problem der deutschen Gesetzgebung --und nicht nur die tatsächliche Verzögerung eines gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall-- hat der EGMR mit der Zuerkennung von Geldentschädigungen sanktionieren wollen (vgl. EGMR-Urteil in NJW 2006, 2389, Rz 136 ff.).

67

Mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ist das strukturelle Problem beseitigt worden. Im Vordergrund steht nunmehr wieder die Einzelfallbetrachtung der Umstände des konkreten Verfahrens. Damit würde --hätte der EGMR über einen derartigen Fall zu entscheiden-- wieder die Grundregel des Art. 41 EMRK zur Anwendung kommen, wonach der EGMR nur dann über die bloße Feststellung einer Konventionsverletzung hinaus eine "gerechte Entschädigung" (Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden) zuspricht, wenn das innerstaatliche Recht "nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung" gestattet. Die Hauptsacheentscheidung des EGMR liegt in der Feststellung einer Konventionsverletzung; die darüber hinausgehende Zuerkennung einer Geldentschädigung ist nur eine unselbständige Nebenentscheidung (so Dörr, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 33 Rz 10). Der EGMR spricht nur dann eine Geldentschädigung zu, wenn der Betroffene aufgrund der Rechtsverletzung nachweislich einen "spürbaren Nachteil" erlitten hat (Dörr, in: Grote/Marauhn, a.a.O., Kap. 33 Rz 18).

68

7. Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger seine am 14. Februar 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des ÜberlVfRSchG erhoben hat.

69

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

70

Der Beklagte meint --unter Verweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, die wiederum die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB heranzieht (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78, BAGE 32, 237, unter IV.2.)--, Verzögerungsrügen in Übergangsfällen hätten innerhalb von zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, also bis zum 17. Dezember 2011, erhoben werden müssen, um einen Anspruch auch für die Vergangenheit zu wahren.

71

b) Der Senat kann offenlassen, ob eine solche Auslegung unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen sachgerecht und mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar wäre. So steht z.B. für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz eine einjährige Frist zur Verfügung (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Zudem gilt für die Beschwerden zum EGMR eine sechsmonatige Frist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Auch geht es darum, mittels der Auslegung des ÜberlVRSchG eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (vgl. EGMR-Entscheidung in EuGRZ 2012, 514, Rz 45).

72

Indes bedarf es im Streitfall, in dem lediglich die Feststellung einer Verfahrensverzögerung auszusprechen ist, der vorherigen (unverzüglichen) Erhebung einer Rüge durch den Kläger nicht. Denn die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer kann --im Gegensatz zur Zuerkennung einer Geldentschädigung-- nach der ausdrücklichen Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch dann ausgesprochen werden, "wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind". Die Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge ist aber --neben anderen-- in § 198 Abs. 3 GVG genannt. Diese Obliegenheit entfällt, wenn das Entschädigungsgericht sich auf einen bloßen Feststellungsausspruch beschränkt, nicht nur im gesetzlichen Regelfall des § 198 Abs. 3 GVG, sondern auch in Fällen der --vorliegend einschlägigen-- Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG. Denn nach dieser Vorschrift "gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss". Von dem Verweis der genannten Übergangsregelung auf § 198 Abs. 3 GVG ist daher auch die in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG angeordnete Ausnahme vom Erfordernis des § 198 Abs. 3 GVG umfasst.

73

Da der Senat vorliegend einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung für ausreichend hält, war die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht erforderlich.

74

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn --wie hier-- zwar kein Entschädigungsanspruch besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird.

75

Diese Regelung soll auch dann eine "angemessene Kostenentscheidung" ermöglichen, wenn ein Kläger seine Rügeobliegenheit nicht erfüllt hat, gleichwohl aber eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird (BTDrucks 17/3802, 26). In einem solchen Fall soll sogar eine vollständige Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits möglich sein (BTDrucks 17/3802, 19, zu § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

76

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem (1.) tatsächlich eine erhebliche Verfahrensverzögerung gegeben ist, (2.) deren Größenordnung weitgehend mit derjenigen Zeitspanne deckungsgleich ist, die der Kläger seiner monetären Entschädigungsforderung zugrunde gelegt hat, und (3.) der Kläger die Höhe seiner Entschädigungsforderung auf den gesetzlichen Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beschränkt hat, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten auch dann den weitaus überwiegenden Teil der Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn das Gericht letztlich keinen Entschädigungsanspruch gewährt, sondern lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellt.

77

Auch der EGMR hat in seinem Urteil in NJW 2007, 1259 (Rz 201) ausgeführt, die Vorschriften über die Kosten in Entschädigungsklageverfahren könnten vom allgemeinen Kostenrecht abweichen, um zu vermeiden, dass Parteien in Fällen, in denen die Klage begründet ist, eine übermäßige Last tragen.

78

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Erwägung des Beklagten, das konkrete Prozessverhalten des Klägers im Entschädigungsklageverfahren zeige, dass es diesem wirtschaftlich auf die Erlangung einer Geldentschädigung ankomme und der Feststellungsausspruch für ihn nur von untergeordneter Bedeutung sei, was sich auch in der Kostenentscheidung widerspiegeln müsse. Denn nach der menschenrechtlichen Konzeption der §§ 198 ff. GVG dient sowohl der Feststellungsausspruch als auch die Zuerkennung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden --auf die der Kläger seinen Antrag beschränkt hat-- der Genugtuung für die erlittenen immateriellen Nachteile eines unangemessen verzögerten Gerichtsverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist --auch-- für die Kostenentscheidung der Umstand, dass das Entschädigungsgericht eine Verfahrensverzögerung in der vom Kläger geltend gemachten Größenordnung bejaht, von größerem Gewicht als die Wahl zwischen den verschiedenen Rechtsfolgenaussprüchen.

79

In Anwendung dieser Grundsätze legt der Senat diesen "weitaus überwiegenden", in derartigen Fällen vom Beklagten zu tragenden Teil der Verfahrenskosten typisierend auf 75 % fest.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 27. Januar 2006 (Klageeingang) bis zum 23. März 2012 (Urteilszustellung) vor dem Finanzgericht (FG) Berlin-Brandenburg anhängigen Verfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Der Kläger ist Erbe nach seinem im Jahr 1996 verstorbenen Vater (V). Auf Antrag des Klägers, der die Werthaltigkeit des Nachlasses zunächst nicht hatte einschätzen können, ordnete das Nachlassgericht Nachlassverwaltung an. Diese wurde am 9. August 2000 mit der Begründung aufgehoben, ihr Zweck sei durch die Berichtigung der bekannten Nachlassverbindlichkeiten erreicht.

3

Zum Nachlass gehörte auch eine Beteiligung an einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform der GbR. Nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen veräußerte eine KG, an der die GbR beteiligt war, im Jahr 1996 den wesentlichen Teil ihres Vermögens. Die Liquidation der GbR fand im Jahr 2002 (Streitjahr des Ausgangsverfahrens) ihren Abschluss durch förmliche Auflösung der Gesellschaft.

4

Im Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gewinns der GbR für das Jahr 2002 wurde für den Kläger ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 12.028,89 € festgestellt. Dies entsprach dem seinerzeitigen Stand des negativen Kapitalkontos des Klägers. Hiergegen erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage vor dem FG Münster, mit der er eine Beschränkung seiner Erbenhaftung auf der Grundlage der §§ 1975 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geltend machte. Das FG Münster wies die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2006  1 K 3381/04 F ab und führte zur Begründung aus, allein der Kläger --nicht aber V oder der Nachlass-- habe im Jahr 2002 den Tatbestand der Einkunftserzielung verwirklicht, weil er Gesellschafter der GbR geworden sei. Der im Jahr 2003 ergangene Feststellungsbescheid sei schon deshalb nicht gegen den Nachlassverwalter zu richten gewesen, weil die Nachlassverwaltung bereits im Jahr 2000 beendet worden sei. Die Einrede der beschränkten Erbenhaftung könne erst im Zwangsvollstreckungsverfahren geltend gemacht werden.

5

Bereits zuvor, am 17. Mai 2003, hatte das Berliner Wohnsitz-Finanzamt (FA) gegen den Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2002 erlassen. Darin setzte es die Einkünfte aus der GbR entsprechend dem Feststellungsbescheid an. Es ergab sich eine Steuernachzahlung, die nach dem Vorbringen des Klägers dadurch "vollstreckt" (getilgt) wurde, dass das FA sie mit anderweitigen Steuerguthaben des Klägers verrechnete. Eine Beschränkung der Erbenhaftung lehnte das FA ab.

6

Mit seiner am 27. Januar 2006 vor dem damaligen FG Berlin erhobenen Klage machte der Kläger weiterhin die Beschränkung seiner Erbenhaftung geltend. Am 27. März 2006 begründete er die Klage. Schon in der Klagebegründung erklärte er, die Steuernachzahlungen hätten im Falle eines frühzeitigen Hinweises des Betriebs-FA bereits vom Nachlassverwalter beglichen werden können, da genügend Masse vorhanden gewesen sei.

7

Mit einem am 2. Juni 2006 beim FG eingegangenen Schriftsatz des Klägers endete der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten. Ausweislich der finanzgerichtlichen Akten erwog das FG in diesem Stadium des Verfahrens, einen Gerichtsbescheid zu erlassen. Tatsächlich wurde das FG aber zunächst nicht weiter tätig. Auf eine am 12. Oktober 2007 eingegangene Sachstandsanfrage des Klägers teilte der Berichterstatter mit Schreiben vom 23. Oktober 2007 mit, der Zeitpunkt einer Terminierung sei wegen der Vielzahl der anhängigen älteren Verfahren ungewiss.

8

Mit Verfügung vom 17. Februar 2010 forderte das FG --mittlerweile war die Zuständigkeit auf das neugegründete FG Berlin-Brandenburg übergegangen-- die Steuerakten des FA sowie die Gerichtsakte des FG Münster an. Auf den Hinweis des FG Münster, die Aktenübersendung setze die Vorlage einer Einverständniserklärung des Klägers voraus, bat das FG den Kläger mit Schreiben vom 1. März 2010, eine solche Erklärung abzugeben. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Das FG sah in der Folgezeit von einem weiteren Tätigwerden ab.

9

Am 18. Januar 2012 verfügte der Senatsvorsitzende des FG die Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 1. März 2012. Zugleich erteilte er dem Kläger einen rechtlichen Hinweis, wonach die Klage unbegründet sein dürfte, weil die Einkommensteuer 2002 keine Nachlassverbindlichkeit darstelle.

10

Mit einem am 3. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Zur Begründung führte er aus, es habe sich nachträglich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebiger gewesen sei als zunächst angenommen. Das FG wies den Kläger am 7. Februar 2012 darauf hin, dass es an einer Hauptsacheerledigung fehlen dürfte, weil nach Rechtshängigkeit kein erledigendes Ereignis eingetreten sei. Vielmehr dürfte die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sein. Es regte eine Klagerücknahme an.

11

Hierauf rügte der Kläger mit einem am 14. Februar 2012 eingegangenen Schreiben unter Hinweis auf das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I 2011, 2302) eine überlange Dauer des finanzgerichtlichen Verfahrens. Er vertrat die Auffassung, das rechtlich und tatsächlich unkomplizierte Verfahren hätte spätestens innerhalb von zwei Jahren beendet sein müssen. Aufgrund der Verfahrensdauer könne der Kläger Teile der maßgebenden Unterlagen nicht mehr einsehen. Insbesondere sei die für den Nachlassverwalter geltende Aktenaufbewahrungsfrist abgelaufen. Ferner beantragte der Kläger Akteneinsicht und die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung.

12

Das FG lehnte den Terminaufhebungsantrag ab, führte die mündliche Verhandlung durch und wies die Klage ab. Zu entscheiden sei nur noch über den Antrag, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen. Eine solche Feststellungsklage sei unbegründet, da die ursprüngliche Verpflichtungsklage schon bei ihrer Erhebung unbegründet gewesen sei. Denn dem Kläger sei zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, dass der Nachlass zur Zahlung der Steuern ausgereicht hätte. Das Urteil des FG wurde dem Kläger am 23. März 2012 zugestellt.

13

Am 9. Juli 2012 hat der Kläger die streitgegenständliche Entschädigungsklage "aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" erhoben. Er verweist darauf, dass ein finanzgerichtliches Verfahren im Durchschnitt 17,5 Monate --bei einer Spanne zwischen den einzelnen Bundesländern von 10,1 bis 24,7 Monaten-- dauere. Auf dieser Grundlage sieht er im konkreten Verfahren eine Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer um vier Jahre. Die erforderliche Verzögerungsrüge sei in seiner am 12. Oktober 2007 gestellten Sachstandsanfrage zu sehen. Im Übrigen dürfte die sechsjährige Verfahrensdauer nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bereits in den Grenzbereich der absoluten überlangen Verfahrensdauer hineinreichen. In derartigen Fällen sei eine Rüge entbehrlich, da die von ihr ausgehende Warnfunktion angesichts der offenkundigen Überlänge nicht mehr eintreten könne.

14

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg 10 K 1037/06 B eine Entschädigung in Höhe von 4.800 € zu zahlen.

15

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

16

Er ist der Auffassung, die Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 könne keine Wirkung für den davor liegenden Zeitraum entfalten, weil sie entgegen Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG am 3. Dezember 2011 erhoben worden sei. Zudem müsse ein Entschädigungsanspruch nach dem Gesetzeszweck dann entfallen, wenn das Gericht --wie hier-- das Verfahren unmittelbar nach Erhebung der Verzögerungsrüge abschließe. Denn die Rüge solle als Warnung an das Gericht dienen; diese Warnfunktion werde bei einem zügigen Verfahrensabschluss erfüllt.

17

Selbst wenn eine sachliche Prüfung der Entschädigungsklage vorzunehmen sein sollte, wäre keine Geldentschädigung auszusprechen. Vielmehr wäre gemäß § 198 Abs. 4 GVG die bloße Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer als Wiedergutmachung ausreichend. Dem Kläger sei aufgrund der Dauer des Verfahrens weder ein materieller noch --abgesehen von der Überlänge als solcher-- ein immaterieller Schaden entstanden. Zudem zeige das Unterbleiben einer Reaktion des Klägers auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010, dass er spätestens ab diesem Zeitpunkt selbst kein besonderes Interesse mehr an einer Fortsetzung des Verfahrens gehabt habe.

18

Jedenfalls sei die entschädigungspflichtige Verzögerung erheblich geringer als der vom Kläger angeführte Zeitraum von vier Jahren. Beim Eingang des letzten vorbereitenden Schriftsatzes am 2. Juni 2006 sei eine Terminierung wegen der zum 1. Januar 2007 durchgeführten Fusion der Finanzgerichte der Länder Berlin und Brandenburg nicht mehr möglich gewesen. Das neue FG Berlin-Brandenburg sei erst nach dem Auspacken und Verteilen der Akten im April 2007 in vollem Umfang funktionstüchtig gewesen. Für die Zeit vom 17. Februar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 sei eine Verzögerung zu verneinen, weil der Kläger auf die Anfrage des FG hinsichtlich der Einverständniserklärung nicht reagiert habe. Danach verbleibe eine "untechnische Verfahrensruhe" von drei Jahren und neun Monaten. Da eine Verfahrensdauer von zwei Jahren und sechs Monaten nicht zu beanstanden sei, ergebe sich vorliegend ein Entschädigungsanspruch allenfalls für ein Jahr und drei Monate.

II.

19

1. Obwohl der Kläger seinen Anspruch als "auf dem Gesichtspunkt der Amtshaftung" beruhend bezeichnet, legt der Senat die Klage als Entschädigungsklage nach § 198 GVG, nicht aber als auf einen Amtshaftungsanspruch gestützte Schadensersatzklage aus. Maßgebend hierfür ist, dass der Kläger die Klage beim Bundesfinanzhof (BFH) eingereicht und er in seiner Klageschrift auf § 198 GVG verwiesen hat.

20

2. Der Senat hält die durch § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung vorgenommene Zuweisung der Rechtswegzuständigkeit für Entschädigungsklagen aus dem Bereich der Finanzgerichtsbarkeit an den BFH für vereinbar mit Art. 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG). Danach darf der ordentliche Rechtsweg für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wegen Amtspflichtverletzung nicht ausgeschlossen werden.

21

Zwar ist es denkbar, dass die Einführung der Entschädigungsklage zu einem Rückgang der Amtshaftungsklagen in diesem Bereich führen wird. Denn Gegenstand der §§ 198 ff. GVG kann --wie bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zeigt-- auch eine Entschädigung für materielle Nachteile und Schäden sein (zutreffend BTDrucks 17/3802, 17); in diesem Bereich gelten nach Auffassung des Gesetzgebers die §§ 249 ff. BGB --mit Ausnahme eines Anspruchs auf Ersatz des entgangenen Gewinns-- uneingeschränkt (BTDrucks 17/7217, 27 f.). Zudem wird die Geltendmachung eines auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsanspruchs für den Anspruchsteller schon wegen des fehlenden Erfordernisses der Führung eines Verschuldensnachweises wesentlich einfacher sein als die Geltendmachung eines Amtshaftungsanspruchs.

22

Gleichwohl führt die Einführung der Entschädigungsklage und deren Zuweisung an die Fachgerichtsbarkeiten nicht zu einer Aushöhlung der Rechtswegzuweisung des Art. 34 Satz 3 GG. Denn es bleibt dem Anspruchsteller unbenommen, sein Begehren im Wege einer Amtshaftungsklage durchzusetzen. Beide Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen parallel zueinander. Während sich die Entschädigungsklage durch erleichterte Voraussetzungen (fehlendes Verschuldenserfordernis), die Vermutung des Eintritts von Nichtvermögensschäden sowie die Möglichkeit eines pauschalierten Ersatzes dieser Schäden auszeichnet, eröffnet die Amtshaftungsklage demgegenüber auch die Möglichkeit der Erlangung von Schadensersatz für entgangenen Gewinn. Von einem "Ausschluss" des ordentlichen Rechtsweges, der durch Art. 34 Satz 3 GG allein untersagt würde, lässt sich danach ungeachtet eines möglichen faktischen Rückgangs der Amtshaftungsklagen nicht sprechen.

Entscheidungsgründe

23

III. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

24

Sie ist gegen den richtigen Beklagten gerichtet (unten 1.). Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden (unten 2.). Das finanzgerichtliche Verfahren, dessen Dauer vorliegend zu beurteilen ist, ist unangemessen verzögert worden (unten 3.). Ein Anspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Ausgangsgericht das Verfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge zu Ende geführt hat (unten 4.) oder die Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre (unten 5.). Allerdings ist nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer für die erforderliche Wiedergutmachung ausreichend; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu (unten 6.). Weil ein derartiger Feststellungsausspruch keine vorherige Verzögerungsrüge des Klägers voraussetzt, kann offenbleiben, ob der Kläger die Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren noch "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben hat (unten 7.).

25

1. Der Kläger hat mit dem Land Berlin den richtigen Beklagten bezeichnet.

26

a) Die Bestimmung des Anspruchsgegners bei Entschädigungsklagen wegen überlanger Verfahrensdauer richtet sich nach § 200 Satz 1 GVG. Danach haftet das Land für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind. Da das FG Berlin-Brandenburg gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Staatsvertrags über die Errichtung gemeinsamer Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg vom 26. April 2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin 2004, 380) --Staatsvertrag-- ein gemeinsames Fachobergericht der Bundesländer Berlin und Brandenburg ist, seinen Sitz aber im Land Brandenburg hat, lässt sich dem Wortlaut des § 200 Satz 1 GVG unmittelbar noch keine Bestimmung des richtigen Beklagten entnehmen.

27

Nach Auffassung des erkennenden Senats --die vom Kläger und nunmehr auch vom Beklagten geteilt wird-- üben die gemeinsamen Fachobergerichte der Länder Berlin und Brandenburg jeweils Rechtsprechungsgewalt desjenigen Bundeslandes aus, aus dem das Ausgangsverfahren stammt. Der Senat verweist insoweit auf die ausführlichen Darlegungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin im Beschluss vom 19. Dezember 2006 45/06 (juris, unter II.1.a), denen er sich anschließt. Der Verfassungsgerichtshof hat sich dabei insbesondere auf die Gesetzesmaterialien zum Staatsvertrag sowie die einfachere staatsrechtliche Handhabbarkeit gestützt. Demgegenüber hat er denjenigen Einzelregelungen im Staatsvertrag, die an das Sitzprinzip anknüpfen, keine entscheidende Bedeutung zugemessen (Rz 32 des Beschlusses). Dieser Auffassung ist auch das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg im Beschluss vom 10. Mai 2007  8/07 (juris, unter B.I.1.). Beiden Beschlüssen lagen jeweils Verfahren aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugrunde.

28

In Übereinstimmung damit hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seiner Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde eines Richters am früheren FG Berlin, der sich unmittelbar gegen den Staatsvertrag gewandt hatte, ausgeführt, das FG Berlin-Brandenburg sei ein Gericht, "welches (auch) zur Berliner Landesgerichtsbarkeit gehört" (Beschluss vom 14. Juli 2006  2 BvR 1058/05, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2006, 1030, unter III.2.b aa). Die richterliche Tätigkeit an einem länderübergreifenden Gericht stelle sich als "Ausübung der Rechtsprechung für die an dem Gericht beteiligten Länder dar" (BVerfG-Beschluss in HFR 2006, 1030, unter III.2.b bb). Damit hat auch das BVerfG eine Anwendung des reinen Sitzprinzips --maßgeblich wäre danach stets der Sitz des gemeinsamen FG im Land Brandenburg-- abgelehnt.

29

b) Vorliegend stammt das Ausgangsverfahren aus dem Land Berlin, da eine Berliner Finanzbehörde den Ablehnungsbescheid erlassen hatte, der zu der vom Kläger vor dem damals noch bestehenden FG Berlin erhobenen Verpflichtungsklage geführt hat. Auch soweit ab dem 1. Januar 2007 das FG Berlin-Brandenburg an die Stelle des FG Berlin getreten ist, übte es im Ausgangsverfahren Rechtsprechungsgewalt des Landes Berlin aus, das damit Anspruchsgegner im Entschädigungsklageverfahren ist.

30

2. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf den Präsidenten des FG Berlin-Brandenburg (Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20. September 2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641) ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich.

31

a) Organisationsregelungen innerhalb eines Ressorts werden traditionell nicht dem zwingenden Gesetzesvorbehalt unterstellt. Die Exekutive hat hier eine eigene Organisationsgewalt (vgl. hierzu Krebs in Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band V, § 108 Rz 99, m.w.N.).

32

Diese Organisationsgewalt unterliegt aber in doppelter Hinsicht Begrenzungen.

33

aa) Zum einen darf der Parlamentsgesetzgeber hierauf jederzeit Zugriff nehmen und ausdrückliche gesetzliche Organisationsregelungen treffen (Ossenbühl in Handbuch des Staatsrechts, a.a.O., § 101 Rz 72). Solange indes derartige Spezialregelungen nicht existieren, bleibt es bei der Organisationsgewalt der Exekutive.

34

bb) Zum anderen verpflichten das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip den Parlamentsgesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. Dieser "Wesentlichkeitsvorbehalt" gilt zwar vor allem für den Bereich der Grundrechtsausübung, erfasst darüber hinaus aber auch andere für das Gemeinwesen grundlegende Entscheidungen (ausführlich, auch zum Folgenden, Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 1999  11/98, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1999, 1243, m.w.N., betr. Zusammenlegung des Innen- und Justizministeriums). Danach fallen Organisationsentscheidungen dann unter den Gesetzesvorbehalt, wenn sie wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte oder anderer tragender Verfassungsprinzipien (z.B. Rechtsstaatsprinzip, Gewaltenteilung, Sicherung einer eigenständigen und unabhängigen rechtsprechenden Gewalt) oder die Wahrnehmung der Staatsleitung sind.

35

b) Für die vorliegend entscheidungserhebliche Frage der organisationsrechtlichen Zuständigkeit für die Vertretung des Landes in Entschädigungsklageverfahren sind landes- oder bundesgesetzliche Regelungen nicht ersichtlich. § 200 Satz 1 GVG bestimmt lediglich, wer in Entschädigungsfällen der richtige Beklagte ist (das Bundesland). Zu der Vertretung innerhalb des Bundeslandes enthält das GVG keine Regelungen, was in einem Bundesgesetz auch nicht möglich wäre.

36

Die in der Vertretungsanordnung getroffene Organisationsregelung enthält auch keine Entscheidung, die so wesentlich wäre, dass sie vom Gesetzgeber hätte getroffen werden müssen. Sie berührt weder die Verwirklichung der Grundrechte noch anderer tragender Verfassungsprinzipien oder die Wahrnehmung der Staatsleitung. Dabei ist vor allem von Bedeutung, dass der FG-Präsident in Entschädigungsklageverfahren lediglich Vertreter eines Verfahrensbeteiligten, nicht aber entscheidungsbefugt ist.

37

3. Das finanzgerichtliche Verfahren ist unangemessen verzögert worden. Diese --auf den konkreten Streitfall bezogene-- Würdigung ist möglich, ohne dass der Senat bereits den vorliegenden Einzelfall zum Anlass nehmen müsste, allgemeine Leitlinien für die vom Rechtsschutzsuchenden im Regelfall noch hinzunehmende Dauer eines finanzgerichtlichen Verfahrens zu entwickeln.

38

a) Nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

39

Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR, wonach die Angemessenheit der Verfahrensdauer im Lichte der Umstände der Rechtssache sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Entschädigungsklägers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen ist (Urteil vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/ Deutschland--, NJW 2010, 3355, Rz 41, m.w.N.).

40

Auch das BVerfG geht von vergleichbaren Kriterien aus. Danach lässt sich nicht generell festlegen, ab wann von einer überlangen, die Gewährung effektiven Rechtsschutzes unzumutbar beeinträchtigenden und deshalb verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbaren Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung und Entscheidung im Einzelfall. Dabei sind vor allem die Bedeutung der Sache für die Parteien (Beteiligten), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Parteien zuzurechnende Verhalten sowie vom Gericht nicht oder nur eingeschränkt beeinflussbare Tätigkeiten Dritter, etwa von Sachverständigen, in Rechnung zu stellen. Mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich allerdings die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Vor diesem Hintergrund hat das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung entschieden, dass bei einem Instanzgericht jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (Beschluss vom 13. August 2012  1 BvR 1098/11, Europäische Grundrechte Zeitschrift --EuGRZ-- 2012, 666, unter B.I.2.). Vor dem BVerfG selbst kann mit Rücksicht auf den abweichenden Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften (vgl. § 97a des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG-- einerseits und § 198 GVG andererseits) sowie die besonderen Aufgaben des BVerfG eine längere Verfahrenslaufzeit hinzunehmen sein, insbesondere wenn ein Pilotverfahren ausgewählt wird und entsprechende Parallelverfahren vorerst zurückgestellt werden (BVerfG-Beschluss vom 1. Oktober 2012  1 BvR 170/06 - Vz 1/12, juris).

41

Diese vom EGMR und dem BVerfG entwickelten Kriterien sind nach dem Willen des Gesetzgebers, der im Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes --bei dem es sich um eine Reaktion auf die häufigen Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) durch den EGMR handelt-- zum Ausdruck kommt, auch der Prüfung nach § 198 GVG zugrunde zu legen (BTDrucks 17/3802, 18).

42

b) Da im Ausgangsverfahren der Wechsel der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten am 2. Juni 2006 endete, war das erstmalig am 17. Februar 2010 erkennbare Tätigwerden des FG (Aktenanforderung) erheblich zu spät. Geht man mit der jüngeren Rechtsprechung des BVerfG davon aus, dass "jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten" den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt (Beschluss in EuGRZ 2012, 666, unter B.I.2.), das Gericht also im Regelfall nach etwa 24 bis 30 Monaten tätig werden muss, hätte das FG das Ausgangsverfahren im ersten Halbjahr 2008 zumindest in die Richtung einer Entscheidung vorantreiben müssen.

43

c) Der Staat kann sich zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen (so zutreffend BTDrucks 17/3802, 19, unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG und EGMR). Deshalb ist die Zusammenlegung der Finanzgerichte Berlin und Brandenburg zum 1. Januar 2007 bereits dem Grunde nach kein Umstand, der vom Kläger zu vertreten wäre und eine Verlängerung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer rechtfertigen könnte. Danach kann der Senat offenlassen, ob der Beklagte sein Vorbringen, der Umzug des FG Berlin nach Cottbus habe zu einer zehnmonatigen Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit des vormaligen FG Berlin und des späteren FG Berlin-Brandenburg geführt, hinreichend substantiiert hat.

44

d) Dem Kläger ist allerdings im Rahmen der Prüfung der Gründe für die eingetretene Verzögerung der Umstand zuzurechnen, dass er es unterlassen hat, auf die Anfrage des FG vom 1. März 2010 zu reagieren. Nicht beizupflichten ist jedoch dem Beklagten darin, dass die unterbliebene Reaktion des Klägers das FG für das gesamte Jahr 2010 von der Pflicht zur weiteren Förderung des Verfahrens befreit hat. Das Schweigen des Klägers auf die Anfrage hätte für das Gericht angesichts der bereits in diesem Zeitpunkt eingetretenen Verzögerung des Verfahrens vielmehr entweder Anlass sein müssen, den Kläger an die ausstehende Antwort zu erinnern, oder dem FG die Möglichkeit eröffnet, ohne Berücksichtigung der betroffenen Akten --und ggf. unter Anwendung eines reduzierten Beweismaßes zu Lasten des insoweit nicht an der Sachaufklärung mitwirkenden Klägers (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. März 2011 X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, unter II.2.)-- zu entscheiden. Denn mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtet sich --wie oben dargelegt-- die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen. Gleichwohl ist das FG erst wieder am 18. Januar 2012 tätig geworden.

45

e) Danach bewegt sich die dem Beklagten zuzurechnende Verzögerung des Verfahrens jedenfalls in der Nähe des vom Kläger seiner Entschädigungsforderung zugrunde gelegten Zeitraums von vier Jahren, ohne dass der Senat --der sich auf den Ausspruch einer Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer beschränkt (siehe unten 6.)-- im Streitfall nähere Festlegungen treffen müsste.

46

4. Ein auf § 198 GVG gestützter Feststellungs- oder Entschädigungsanspruch des Klägers ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das FG das Ausgangsverfahren kurzfristig nach Erhebung der Verzögerungsrüge vom 14. Februar 2012 zu Ende geführt hat.

47

Die gegenteilige vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung kann jedenfalls in Fällen, die --wie vorliegend-- eine Verzögerung betreffen, die bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetreten ist, nicht zutreffend sein. Denn schon vor Inkrafttreten des genannten Gesetzes war die Bundesrepublik Deutschland aufgrund Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verpflichtet, Rechtsschutz in angemessener Zeit zu gewähren. Ferner musste die Bundesrepublik Deutschland gewährleisten, dass für Fälle der Verletzung des genannten Anspruchs eine  wirksame Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung stand (Art. 13 EMRK). Würde nun eine vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG eingetretene Verzögerung dadurch rückwirkend "geheilt", dass das Gericht das Verfahren kurzfristig nach einer --erstmals ab dem Inkrafttreten des Gesetzes überhaupt möglichen-- Verzögerungsrüge beendet, stünde dem Betroffenen hinsichtlich der eingetretenen Verzögerung weder ein wirksamer Rechtsbehelf noch ein Entschädigungsanspruch zu. Dies wäre mit den aus der EMRK folgenden und vom EGMR mehrfach festgestellten Pflichten Deutschlands unvereinbar.

48

Im Übrigen hat der EGMR im Urteil vom 29. März 2006  36813/97 --Scordino/Italien-- (NJW 2007, 1259, Rz 185) ausgeführt: "Es versteht sich, dass in Ländern, in denen eine Konventionsverletzung wegen der Dauer des Verfahrens schon eingetreten ist, ein nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf, so wünschenswert er für die Zukunft ist, zur Wiedergutmachung nicht ausreicht, wenn das Verfahren offensichtlich schon übermäßig lang gedauert hat." In diesem Sinne ist die vom deutschen Gesetzgeber nunmehr geschaffene Verzögerungsrüge ein "nur auf Beschleunigung gerichteter Rechtsbehelf", der allein aber zur Wiedergutmachung einer in der Vergangenheit liegenden Verzögerung nicht ausreichen kann, wenn der neue Rechtsbehelf in der Vergangenheit noch gar nicht zur Verfügung stand.

49

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, EuGRZ 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat bei der Auslegung der durch das ÜberlVfRSchG in das deutsche Recht aufgenommenen Normen auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen. Mit diesem wäre es unvereinbar, wenn eine bereits eingetretene Verzögerung durch nachträgliches staatliches Handeln ohne Zuerkennung einer Wiedergutmachung ungeschehen gemacht werden könnte.

50

5. Ein Anspruch des Klägers scheitert auch nicht daran, dass die Erhebung der Entschädigungsklage als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre.

51

Der Beklagte meint insoweit, der Kläger habe die Verzögerungsrüge angesichts des drohenden Prozessverlusts im Ausgangsverfahren als Druckmittel einsetzen wollen, um eine ihm günstige Kostenentscheidung zu erreichen. Da dies nicht gelungen sei, sei die spätere Erhebung der Entschädigungsklage als "Trotzreaktion" anzusehen, die rechtlich unbeachtlich sei.

52

Dem ist nicht beizupflichten. Nach allgemeinen Grundsätzen sind Prozesshandlungen im Interesse der erforderlichen Rechtsklarheit bedingungsfeindlich (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juli 2005 XI R 15/04, BFHE 210, 4, BStBl II 2005, 644, unter II.2.). Grund hierfür ist das im gerichtlichen Verfahren in besonderer Weise bestehende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und -klarheit. Daraus folgt aber zugleich, dass auch eine Motivforschung in Bezug auf Prozesshandlungen --insbesondere hinsichtlich der Gründe für die Erhebung einer Klage-- ausscheidet.

53

6. Nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ist die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer ausreichend für die erforderliche Wiedergutmachung; ein Entschädigungsanspruch in Geld steht dem Kläger nicht zu.

54

a) Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Dies beruht auf der Rechtsprechung des EGMR, der "eine starke, aber widerlegbare Vermutung" dafür annimmt, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat (Urteil in NJW 2007, 1259, Rz 204).

55

Vorliegend ist diese gesetzliche Vermutung weder durch das Vorbringen des Beklagten noch durch den sonstigen Akteninhalt widerlegt.

56

b) Ist die Vermutungsregel --wie hier-- nicht widerlegt, ordnet § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Erleiden eines solchen Nichtvermögensnachteils an, dass eine Geldentschädigung "nur beansprucht werden [kann], soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist". Die Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer durch das Entschädigungsgericht ist im Gesetz ausdrücklich als eine der Möglichkeiten bezeichnet, Wiedergutmachung auf andere Weise als durch Zuerkennung eines Geldanspruchs zu leisten (§ 198 Abs. 4 Satz 1 GVG).

57

Für das Verhältnis zwischen den Rechtsfolgen "Geldentschädigung" einerseits und "Feststellungsausspruch" andererseits gilt danach weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel. Damit ist jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut vor der Zuerkennung einer Geldentschädigung jeweils konkret zu prüfen, ob Wiedergutmachung durch einen bloßen Feststellungsausspruch möglich ist.

58

Soweit demgegenüber in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten wird, ein Feststellungsausspruch müsse sich auf diejenigen Ausnahmefälle beschränken, in denen sich der Entschädigungskläger im Ausgangsverfahren rechtsmissbräuchlich verhalten habe (so Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2177), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Das von dieser Auffassung als Beleg angeführte EGMR-Urteil vom 10. Dezember 1982  8304/78 --Corigliano/Italien-- (EGMR-E 2, 199, Rz 53) enthält zwar einen bloßen Feststellungsausspruch. Allerdings lässt sich der genannten Entscheidung nicht entnehmen, dass dieser Ausspruch auf einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten des dortigen Beschwerdeführers beruht. Vielmehr führt der EGMR aus, bereits durch die Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK sei eine hinreichende Entschädigung für den immateriellen Schaden bewirkt worden. Das darüber hinaus angeführte EGMR-Urteil vom 13. November 2008  26073/03 --M.O./ Deutschland-- (juris) ist als Beleg für die Gegenauffassung schon deshalb ungeeignet, weil dem dortigen Beschwerdeführer --eine Person, die einer breiten Öffentlichkeit bekannt war-- durch die überlange Dauer eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und dessen Öffentlichkeitswirkung unstreitig ein erheblicher immaterieller Schaden entstanden war.

59

c) Nach den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802, 20) soll ein derartiger Feststellungsausspruch beispielsweise in Verfahren ausreichen, die für "einen Verfahrensbeteiligten" (gemeint kann indes nur der Entschädigungskläger sein, nicht aber dessen Gegner im Ausgangsverfahren) keine besondere Bedeutung hatten, in denen ein Verfahrensbeteiligter durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat oder der Beklagte darlegt, dass der Entschädigungskläger --abgesehen von der Überlänge des Verfahrens als solcher-- keinen weitergehenden immateriellen Schaden erlitten hat.

60

d) Auch in Bezug auf diese Rechtsfrage bietet der Streitfall keine Veranlassung, allgemeine Grundsätze zur Auslegung des § 198 Abs. 4 GVG aufzustellen oder sich abschließend zu den in den Gesetzesmaterialien angestellten Erwägungen zu äußern.

61

Die angeführten Erwägungen des Gesetzgebers könnten allerdings insoweit auf Bedenken stoßen, als eine dem Entschädigungskläger zuzurechnende Verzögerung bereits bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob überhaupt der Tatbestand einer unangemessenen Verfahrensdauer erfüllt ist, und dann nicht nochmals bei der Entscheidung über die Rechtsfolgen einer als unangemessen zu beurteilenden Verfahrensdauer berücksichtigt werden darf. Auch könnte das Verlangen nach einem Nichtvermögensschaden, der über das Erdulden der Überlänge als solcher hinausgeht, in einem Spannungsverhältnis zu der Forderung des EGMR nach einem effektiven Rechtsschutz gegen Verfahrensverzögerungen stehen. Im Streitfall kommt hinzu, dass dem finanzgerichtlichen Verfahren --jedenfalls abstrakt-- auch eine "besondere Bedeutung" für den Kläger nicht abzusprechen war, da Gegenstand seiner Klage immerhin ein streitiger Steuerbetrag im Umfang von ca. einem Drittel der insgesamt für den Veranlagungszeitraum 2002 gegen den Kläger festgesetzten Einkommensteuer war.

62

e) Im Streitfall ist die Beschränkung auf einen bloßen Feststellungsausspruch aber deshalb gerechtfertigt, weil die Klage unschlüssig, d.h. bereits auf der Grundlage des eigenen Tatsachenvortrags des Klägers erkennbar unbegründet war. Denn der Kläger hat schon in der --kurz nach Klageerhebung eingereichten-- Klagebegründung vom 24. März 2006 eingeräumt, dass im Nachlass genügend Masse vorhanden war, um die Steuernachzahlung begleichen zu können. Damit hätte die vom Kläger begehrte Beschränkung seiner Erbenhaftung auf den Nachlass aber von vornherein nicht zu einer Reduzierung seiner Pflicht zur Zahlung der festgesetzten Einkommensteuer führen können.

63

aa) Soweit der Kläger erstmals im Entschädigungsklageverfahren --ohne Substantiierung durch Vorlage von Unterlagen-- behauptet, ab dem Jahr 2001 seien weitere Forderungen gegen den Nachlass geltend gemacht worden, was im Jahr 2004 zum Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens geführt habe, ist dies für die Beurteilung durch den Senat ohne Bedeutung. Denn ob eine Klage sich als unschlüssig darstellt, ist aus der --verobjektivierten-- Sicht des zur Entscheidung über diese Klage berufenen Spruchkörpers zu beurteilen. Im Übrigen vermag der Senat dieses neue Vorbringen nicht nachzuvollziehen, da es zu den früheren Tatsachenbehauptungen des Klägers in Widerspruch steht. So hat er nicht nur in der Klagebegründung vom 24. März 2006 --lange nach der angeblichen Erhebung weiterer Forderungen und dem behaupteten Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens--, sondern nochmals im Schreiben vom 2. Februar 2012 erklärt, letztlich habe sich herausgestellt, dass der Nachlass ergiebig gewesen sei.

64

In einem solchen Fall, in dem sich allein aus der kurz nach Klageerhebung eingereichten Klagebegründung ohne weitere Ermittlungshandlungen des Gerichts die Unschlüssigkeit des Klagevorbringens ergibt, hat das verzögerte Verfahren --jedenfalls bei konkreter Betrachtung-- für den Entschädigungskläger objektiv keine besondere Bedeutung. Denn dann ist für jeden Rechtskundigen von Anfang an klar, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben kann.

65

Selbst wenn sich --was der Senat vorliegend nicht zu entscheiden braucht-- aus einer EMRK-konformen Auslegung des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ein gewisser Vorrang der Geldentschädigung ergeben könnte, zeigt die Rechtsprechung des EGMR, dass auch dieser in vielen Fällen lediglich einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung ausreichen lässt (vgl. die umfassende Zusammenstellung dieser Rechtsprechung bei Steinbeiß-Winkelmann/ Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, Anhang 2). Es sind aber kaum Fallgruppen denkbar, in denen die Betroffenheit des Klägers durch eine überlange Verfahrensdauer geringer ist als bei einer nach dem eigenen Klagevorbringen bereits unschlüssigen Klage. Die Betroffenheit durch die Verzögerung beschränkt sich in diesen Fällen auf den Umstand, dass der Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens lange auf sich hat warten lassen. Angesichts der von Beginn an feststehenden Unschlüssigkeit der Klage sind mit der Verzögerung aber keine weiteren Risiken oder Nachteile für die prozessuale oder sonstige Situation des Klägers verbunden.

66

bb) Betrachtet man die Rechtsprechung des EGMR bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, ist zwar festzustellen, dass der EGMR Deutschland in Fällen überlanger Verfahrensdauer zunehmend zur Zahlung von Geldentschädigungen verurteilt und sich nicht auf die --gemäß Art. 41 EMRK ebenfalls mögliche-- bloße Feststellung einer Verletzung der EMRK beschränkt hat. Bei genauer Betrachtung liegt dies aber daran, dass der EGMR im Zeitablauf zu der Erkenntnis gelangt ist, dass in Deutschland seinerzeit ein strukturelles Problem vorhanden gewesen sei. Deutschland wurde daher in den jüngeren Entscheidungen nicht allein wegen einer Verletzung des Art. 6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist) verurteilt, sondern vor allem auch wegen einer Verletzung des in Art. 13 EMRK garantierten Rechts auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der EMRK bei einer innerstaatlichen Instanz (vgl. EGMR-Urteil vom 8. Juni 2006  75529/01 --Sürmeli/ Deutschland--, NJW 2006, 2389). Eine solche Beschwerdemöglichkeit in Fällen überlanger Gerichtsverfahren (Untätigkeitsbeschwerde, Verzögerungsrüge) fehlte in Deutschland bis zum Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG; dieses strukturelle Problem der deutschen Gesetzgebung --und nicht nur die tatsächliche Verzögerung eines gerichtlichen Verfahrens im Einzelfall-- hat der EGMR mit der Zuerkennung von Geldentschädigungen sanktionieren wollen (vgl. EGMR-Urteil in NJW 2006, 2389, Rz 136 ff.).

67

Mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ist das strukturelle Problem beseitigt worden. Im Vordergrund steht nunmehr wieder die Einzelfallbetrachtung der Umstände des konkreten Verfahrens. Damit würde --hätte der EGMR über einen derartigen Fall zu entscheiden-- wieder die Grundregel des Art. 41 EMRK zur Anwendung kommen, wonach der EGMR nur dann über die bloße Feststellung einer Konventionsverletzung hinaus eine "gerechte Entschädigung" (Geldentschädigung für Nichtvermögensschäden) zuspricht, wenn das innerstaatliche Recht "nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung" gestattet. Die Hauptsacheentscheidung des EGMR liegt in der Feststellung einer Konventionsverletzung; die darüber hinausgehende Zuerkennung einer Geldentschädigung ist nur eine unselbständige Nebenentscheidung (so Dörr, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG, Konkordanzkommentar zum europäischen und deutschen Grundrechtsschutz, 2006, Kap. 33 Rz 10). Der EGMR spricht nur dann eine Geldentschädigung zu, wenn der Betroffene aufgrund der Rechtsverletzung nachweislich einen "spürbaren Nachteil" erlitten hat (Dörr, in: Grote/Marauhn, a.a.O., Kap. 33 Rz 18).

68

7. Der Senat kann offenlassen, ob der Kläger seine am 14. Februar 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" des ÜberlVfRSchG erhoben hat.

69

a) Gemäß der Übergangsregelung des Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG ist das genannte Gesetz auch auf Verfahren anwendbar, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

70

Der Beklagte meint --unter Verweis auf die Rechtsprechung der Zivilgerichte zu § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, die wiederum die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB heranzieht (Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78, BAGE 32, 237, unter IV.2.)--, Verzögerungsrügen in Übergangsfällen hätten innerhalb von zwei Wochen nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG, also bis zum 17. Dezember 2011, erhoben werden müssen, um einen Anspruch auch für die Vergangenheit zu wahren.

71

b) Der Senat kann offenlassen, ob eine solche Auslegung unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen sachgerecht und mit der Rechtsprechung des EGMR vereinbar wäre. So steht z.B. für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz eine einjährige Frist zur Verfügung (§ 93 Abs. 3 BVerfGG). Zudem gilt für die Beschwerden zum EGMR eine sechsmonatige Frist (Art. 35 Abs. 1 EMRK). Auch geht es darum, mittels der Auslegung des ÜberlVRSchG eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (vgl. EGMR-Entscheidung in EuGRZ 2012, 514, Rz 45).

72

Indes bedarf es im Streitfall, in dem lediglich die Feststellung einer Verfahrensverzögerung auszusprechen ist, der vorherigen (unverzüglichen) Erhebung einer Rüge durch den Kläger nicht. Denn die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer kann --im Gegensatz zur Zuerkennung einer Geldentschädigung-- nach der ausdrücklichen Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG auch dann ausgesprochen werden, "wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind". Die Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge ist aber --neben anderen-- in § 198 Abs. 3 GVG genannt. Diese Obliegenheit entfällt, wenn das Entschädigungsgericht sich auf einen bloßen Feststellungsausspruch beschränkt, nicht nur im gesetzlichen Regelfall des § 198 Abs. 3 GVG, sondern auch in Fällen der --vorliegend einschlägigen-- Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG. Denn nach dieser Vorschrift "gilt § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss". Von dem Verweis der genannten Übergangsregelung auf § 198 Abs. 3 GVG ist daher auch die in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG angeordnete Ausnahme vom Erfordernis des § 198 Abs. 3 GVG umfasst.

73

Da der Senat vorliegend einen Feststellungsausspruch als Wiedergutmachung für ausreichend hält, war die Erhebung einer Verzögerungsrüge nicht erforderlich.

74

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 201 Abs. 4 GVG. Danach entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen, wenn --wie hier-- zwar kein Entschädigungsanspruch besteht, aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt wird.

75

Diese Regelung soll auch dann eine "angemessene Kostenentscheidung" ermöglichen, wenn ein Kläger seine Rügeobliegenheit nicht erfüllt hat, gleichwohl aber eine überlange Verfahrensdauer festgestellt wird (BTDrucks 17/3802, 26). In einem solchen Fall soll sogar eine vollständige Freistellung des Klägers von den Kosten des Entschädigungsrechtsstreits möglich sein (BTDrucks 17/3802, 19, zu § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG).

76

In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem (1.) tatsächlich eine erhebliche Verfahrensverzögerung gegeben ist, (2.) deren Größenordnung weitgehend mit derjenigen Zeitspanne deckungsgleich ist, die der Kläger seiner monetären Entschädigungsforderung zugrunde gelegt hat, und (3.) der Kläger die Höhe seiner Entschädigungsforderung auf den gesetzlichen Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beschränkt hat, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten auch dann den weitaus überwiegenden Teil der Verfahrenskosten aufzuerlegen, wenn das Gericht letztlich keinen Entschädigungsanspruch gewährt, sondern lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer feststellt.

77

Auch der EGMR hat in seinem Urteil in NJW 2007, 1259 (Rz 201) ausgeführt, die Vorschriften über die Kosten in Entschädigungsklageverfahren könnten vom allgemeinen Kostenrecht abweichen, um zu vermeiden, dass Parteien in Fällen, in denen die Klage begründet ist, eine übermäßige Last tragen.

78

Zu keinem anderen Ergebnis führt die Erwägung des Beklagten, das konkrete Prozessverhalten des Klägers im Entschädigungsklageverfahren zeige, dass es diesem wirtschaftlich auf die Erlangung einer Geldentschädigung ankomme und der Feststellungsausspruch für ihn nur von untergeordneter Bedeutung sei, was sich auch in der Kostenentscheidung widerspiegeln müsse. Denn nach der menschenrechtlichen Konzeption der §§ 198 ff. GVG dient sowohl der Feststellungsausspruch als auch die Zuerkennung einer Geldentschädigung für immaterielle Schäden --auf die der Kläger seinen Antrag beschränkt hat-- der Genugtuung für die erlittenen immateriellen Nachteile eines unangemessen verzögerten Gerichtsverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist --auch-- für die Kostenentscheidung der Umstand, dass das Entschädigungsgericht eine Verfahrensverzögerung in der vom Kläger geltend gemachten Größenordnung bejaht, von größerem Gewicht als die Wahl zwischen den verschiedenen Rechtsfolgenaussprüchen.

79

In Anwendung dieser Grundsätze legt der Senat diesen "weitaus überwiegenden", in derartigen Fällen vom Beklagten zu tragenden Teil der Verfahrenskosten typisierend auf 75 % fest.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

Für die Entschädigung gelten die §§ 16 bis 26, ausgenommen § 16 Abs. 2 Satz 2, des Bundesrückerstattungsgesetzes. Bei Vermögensgegenständen, für die ein Einheitswert festgestellt wird, bemisst sich die Höhe der Entschädigung nach dem Vierfachen des vor der Schädigung zuletzt festgestellten Einheitswertes. Hat der Berechtigte Bruchteilseigentum an einem Vermögensgegenstand, den anteiligen Verkehrswert oder eine entsprechende Beteiligung an einem Unternehmen nach § 3 Abs. 1 Satz 4 bis 10 des Vermögensgesetzes erlangt, so ist der Verkehrswert zum Zeitpunkt des Eigentumserwerbs abzüglich zu erstattender Kosten nach § 3 Abs. 1 Satz 9 des Vermögensgesetzes von der Entschädigung des Unternehmens abzuziehen. Ist die Restitution von Bruchteilseigentum, die Zahlung des anteiligen Verkehrswertes oder die Einräumung einer entsprechenden Beteiligung an einem Unternehmen ausgeschlossen, wird zu der Entschädigung für das Unternehmen keine gesonderte Entschädigung für das Betriebsgrundstück gewährt, wenn dieses in der Bemessungsgrundlage für die Entschädigung des Unternehmens berücksichtigt wird. § 3 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 bis 6 und § 4 Abs. 2 bis 4 des Entschädigungsgesetzes gelten entsprechend; in den Fällen des § 4 Abs. 2a des Entschädigungsgesetzes ist der Abgeltungsbetrag dem Einheitswert vor der Vervierfachung hinzuzurechnen; § 3 Abs. 4 des Entschädigungsgesetzes findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die in der Zeit vom 15. September 1935 bis 8. Mai 1945 entstandenen Verbindlichkeiten unberücksichtigt bleiben und die übrigen Verbindlichkeiten vorbehaltlich des Nachweises eines höheren verfolgungsbedingten Anteils mit der Hälfte ihres zum Zeitpunkt der Schädigung valutierenden Nennwertes abgezogen werden. Sind Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit Schäden, die in diesem Zeitraum eingetreten sind, bereits im Rahmen anderer Wiedergutmachungsregelungen entschädigt worden, sind diese Leistungen nach § 3 in Abzug zu bringen. Bei Synagogen und jüdischen Friedhöfen sowie sonstigen unbeweglichen Vermögenswerten, die im Eigentum einer jüdischen Gemeinde oder einer sonstigen jüdischen Vereinigung standen, bemisst sich die Entschädigung für das Grundstück mindestens nach dem Zweifachen des Wertes am 1. April 1956 in dem damaligen Geltungsbereich des Bundesrückerstattungsgesetzes. Bei den übrigen Vermögenswerten bemisst sich die Entschädigung nach dem Zweifachen des Schadensersatzbetrages nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des Bundesrückerstattungsgesetzes, wobei für die Berechnung des Wiederbeschaffungswertes nach § 16 Abs. 1 des Bundesrückerstattungsgesetzes auf den Wert abzustellen ist, den der Vermögenswert am Stichtag in dem damaligen Geltungsbereich des Bundesrückerstattungsgesetzes hatte. Ab dem 1. Januar 2004 bis zum Kalendermonat vor der Bekanntgabe des Bescheides wird der Entschädigungsbetrag verzinst. Der Zinssatz beträgt monatlich 1/2 vom Hundert. Die Zinsen werden mit der Entschädigung festgesetzt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.