Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 09.02.2015 nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.02.2015 unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist nicht aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1. als Krankenschwester zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf € 15.441,52 festgesetzt.

7. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und um Weiterbeschäftigung.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen, das in Hamburg mehrere Krankenhäuser betreibt, u.a. das AK X. Es besteht ein Betriebsrat. Die am ... geborene Klägerin, die gegenüber zwei Kindern unterhaltspflichtig und alleinerziehend ist, ist bei der Beklagten - einschließlich der Zeit ihrer Ausbildung - seit dem 01.04.1991 als Krankenschwester beschäftigt, zuletzt in der Zentralen Notaufnahme des AK X. Ihr durchschnittliches Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt € 3.860,38. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin findet der Tarifvertrag für den Krankenhausarbeitgeberverband Hamburg e.V. (TV-KAH) Anwendung.

3

In der Zentralen Notaufnahme befindet sich für die Mitarbeiter der Beklagten ein Pausenraum (Raum 0.16). Zudem ist in den Räumlichkeiten der Zentralen Notaufnahme durch die Beklagte für externe Mitarbeiter der Feuerwehr (z.B. Rettungssanitäter) direkt am Eingang zur Zentralen Notaufnahme ein Dokumentations-/Aufenthaltsraum eingerichtet (Raum X...). In diesem Raum können die externen Mitarbeiter der Feuerwehr die Dokumentation fertigstellen. Zu den Räumlichkeiten wird Bezug genommen auf den Grundriss in Anlage B1 (Bl. 27 d.A.). Außerdem werden in diesem Raum von der Beklagten Softdrinks, Obst und belegte Brötchen kostenlos zur Verfügung gestellt. Streitig ist zwischen den Parteien, ob die Brötchen ausschließlich den externen Mitarbeitern vorbehalten sind oder ob diese zumindest in Ausnahmefällen auch von den anderen Mitarbeitern in der Zentralen Notaufnahme konsumiert werden können. Ein Stock tiefer - im Erdgeschoss - befindet sich ein Bäckerei-Café, in dem u.a. Backwaren gekauft werden können.

4

Die Klägerin arbeitete am 28.01.2015 in der Frühschicht. Gegen 09.30 Uhr begab sie sich in den Aufenthaltsraum für die externen Mitarbeiter und entnahm dem Kühlschrank ca. acht belegte Brötchenhälften, die sie auf einem Papptablett mit den ihren Pausenraum nahm. Dabei wurde sie von der Mitarbeiterin und Kollegin der Klägerin Frau S. sowie von zwei Mitarbeitern des Rettungsdienstes beobachtet. Frau S. hatte der Klägerin zuvor abgeraten, die Brötchen aus dem Pausenraum der externen Mitarbeiter zu holen. Die Brötchen wurden von den anderen Mitarbeitern aus der Schicht der Klägerin gegessen; die Klägerin verzehrte, nachdem sie zunächst ihre Arbeit fortgesetzt hatte, zumindest eine Hälfte. Während die Pflegekräfte die Brötchen aßen, betrat der an diesem Tag diensthabende Leiter der Zentralen Notaufnahme, Herr Dr. S1, den Aufenthaltsraum, ohne etwas zu den Brötchen zu sagen. Streitig ist zwischen den Parteien, ob anhand des Tabletts erkennbar war, dass die Brötchen aus dem Aufenthaltsraum der externen Mitarbeiter stammten.

5

Die Klägerin wurde am 02.02.2015 im Beisein des Betriebsrates, der Pflegedirektorin, der pflegerischen Leitung der Zentralen Notaufnahme und der Personalreferentin angehört. In diesem Gespräch räumte die Klägerin ein, dass sie die Brötchen genommen habe, da ihr Essen aus dem Kühlschrank gestohlen worden sei. Ihr sei auch bewusst gewesen, dass sie das nicht gedurft habe.

6

Mit Schreiben vom 03.02.2015 (Anlage B2, Bl. 28 ff. d.A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer „außerordentlichen Tatkündigung, hilfsweise zur außerordentlichen Tatkündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von 6 Monaten zum Ende eines Kalendervierteljahres zum nächstmöglichen Termin“ an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 04.02.2015 (Anlage B3, Bl. 31 d.A.).

7

Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 09.02.2015 eine außerordentliche und fristlose Kündigung, hilfsweise außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 30.09.2015 aus.

8

Mit Schriftsatz vom 20.02.2015, bei Gericht eingegangen vorab per Fax am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 25.02.2015, hat die Klägerin Kündigungsschutzklage erhoben.

9

Die Klägerin trägt vor, dass die Kündigung unwirksam sei. Die Brötchen im Aufenthaltsraum für die externen Mitarbeiter hätten in besonderen Belastungssituationen auch den Mitarbeitern der Zentralen Notaufnahme zugestanden. Zwar habe die Klägerin vorher den Chefarzt oder den Vertreter fragen müssen, was sie nicht getan habe. Die Wegnahme der Brötchen wäre aufgrund der besonderen Belastungssituation in der Notaufnahme an diesem Morgen jedoch genehmigt worden. Die Voraussetzungen für ein Essen der Brötchen durch die Pflegekräfte am 28.01.2015 hätten nach den zwar nicht schriftlich niedergelegten, aber allgemein praktizierten Regeln vorgelegen. Im Übrigen habe auch der an diesem Tag diensthabende Leiter der Zentralen Notaufnahme beim Betreten des Aufenthaltsraums gesehen, dass die Pflegekräfte die Brötchen gegessen hätte, was er nicht beanstandet habe, obwohl er aufgrund des charakteristischen Papptabletts habe erkennen müssen, dass die Brötchen aus dem Aufenthaltsraum der externen Mitarbeiter stammten. Da die Beklagte Wert darauf lege, dass sich die Mitarbeiter auch während ihrer Pause auf dem Stockwerk der Zentralen Notaufnahme aufhielten, habe die Klägerin kein Essen in dem Bäckerei-Café im Erdgeschoss gekauft. Die Motive der Klägerin, der es auch um die Versorgung ihrer Kolleginnen gegangen sei, seien damit überwiegend fürsorglich und nur untergeordnet eigennützig gewesen. Da die Klägerin lediglich die Verfahrensregeln nicht eingehalten habe, wäre eine mündliche Ermahnung ausreichend gewesen.

10

Die Klägerin beantragt zuletzt,

11

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und fristlose Kündigung der Beklagten vom 09.02.2015 nicht aufgelöst worden ist,

12

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.02.2015 unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist nicht aufgelöst worden ist,

13

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

14

4. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1. als Krankenschwester zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen.

15

Die Beklagte beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Die Beklagte trägt vor, dass die Klägerin entgegen der Weisung belegte Brötchenhälften aus dem Aufenthaltsraum für die externen Mitarbeiter entwendet habe. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen in den letzten Jahren habe die Beklagte allen Mitarbeitern der Zentralen Notaufnahme - beispielsweise im Winter 2009/2010 mit viel Glatteis und dementsprechend hohem Notfallaufkommen - ein Frühstück kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Beklagte habe hingegen zu keinem Zeitpunkt den Mitarbeitern der Zentralen Notaufnahme erlaubt, sich frei an den für die Rettungsdienste vorgehaltenen Brötchen zu bedienen. Dies sei auch der Klägerin bekannt gewesen, was sie im Rahmen der Anhörung am 02.02.2015 zugegeben habe. Am 28.01.2015 habe keine Überlastungssituation bestanden. Zudem seien die Mitarbeiter frei in ihrer Pausengestaltung, sodass sie auch die Station hätten verlassen und Nahrungsmittel in dem Bäckerei-Café kaufen können. Dies hätte auch nicht mehr Zeit in Anspruch genommen als der Gang in den Aufenthaltsraum der externen Mitarbeiter. Schließlich sei der Karton, mit dem die Klägerin die Brötchen in ihren Pausenraum transportiert habe, nicht den Rettungssanitätern zuzuordnen gewesen, sodass der Leitende Oberarzt, Herr Dr. S1, am 28.01.2015 bei einem kurzen Besuch im Aufenthaltsraum nicht wahrgenommen habe, dass dort die Brötchen der Rettungssanitäter auf dem Tisch gestanden hätten.

18

Aufgrund der Wegnahme der Brötchen sei das Vertrauen in die Redlichkeit der Klägerin irreparabel zerstört worden. Insofern gehe die Interessenabwägung zu ihren Lasten aus. Auch eine Abmahnung sei als milderes Mittel nicht geeignet, um das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin, das durch die vorsätzliche Pflichtverletzung objektiv erschüttert worden sei, wieder herzustellen.

19

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien, ihrer Beweisantritte und der eingereichten Unterlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 313 Abs. 2 ZPO).

Entscheidungsgründe

20

Die Klage ist - bis auf den Antrag zu 3. - zulässig und begründet.

I.

21

1. Die Klage ist im Wesentlichen zulässig.

22

Das für die Feststellungsanträge erforderliche besondere Feststellungsinteresse folgt schon aus der Fiktion der Kündigungen als sozial gerechtfertigt nach § 13 Abs. 1 S. 2, § 4 S. 1, § 7 KSchG, wenn keine Kündigungsschutzklage erhoben wird, unabhängig davon, ob die nach § 23 KSchG für die Anwendbarkeit des § 1 KSchG maßgebliche Beschäftigtenzahl erreicht ist.

23

Hinsichtlich des Antrags zu 3. ist die Klage bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse für den allgemeinen Feststellungsantrag.

24

Mit dem Antrag zu 3. begehrt die Klägerin die allgemeine Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände beendet wurde, sondern ungekündigt fortbesteht. Für diesen Antrag fehlt der Klägerin das erforderliche Feststellungsinteresse. Bei derartigen allgemeine Feststellungsanträge bedarf es eines besonderen Feststellungsinteresses, das nicht automatisch aus der Rechtsfolge der §§ 4 und 7 KSchG folgt (Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge, ArbGG, 8. Aufl. 2013, § 46 Rn. 110 m.w.N.). Für das Feststellungsinteresse muss für einen solchen Antrag vorgetragen werden, dass möglicherweise weitere Beendigungstatbestände in Frage kommen können (BAG v. 13.03.1997 - 2 AZR 512/96 -, Rn. 16, juris). Der Klägerin fehlt ein rechtlich schutzwürdiges Interesse an dieser Feststellung (§ 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG, § 256 Abs. 1 ZPO). Sie hat nicht behauptet, dass das Arbeitsverhältnis durch andere Beendigungstatbestände als die mit den Anträgen zu 1. und 2. angegriffenen Kündigungen beendet worden sein könnte.

25

2. Die Klage hat - soweit sie zulässig ist - in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Klägerin endete weder aufgrund der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 09.02.2015 noch aufgrund der außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vom 09.02.2015.

26

a. Die Klägerin ist nach § 34 Abs. 2 TV-KAH ordentlich unkündbar. Unstreitig findet der TV-KAH auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin Anwendung. Die Klägerin hat auch das 40. Lebensjahr überschritten und ist mehr als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt, sodass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 2 TV-KAH vorliegen. Nach § 34 Abs. 2 S. 1 TV-KAH kann das Arbeitsverhältnis der Klägerin nur noch aus einem wichtigen Grund gekündigt werden.

27

b. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (BAG v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 -, juris; v. 25.03.2004 - 2 AZR 341/03 -, juris).

28

Nach dieser Bestimmung ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung der Um-stände des Einzelfalls und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Es ist zunächst zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung abzugeben. In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen zumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen (vgl. BAG v. 27.04.2006 - 2 AZR 386/05 -, juris).

29

c. Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ergibt sich, dass die Klägerin durch die Wegnahme und den Verzehr der Brötchenhälften ohne vorherige Genehmigung in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen hat. In Ansehung der Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der widerstreitenden Interessen ist eine Kündigung gleichwohl nicht gerechtfertigt.

30

aa. Die Klägerin hat nach der Überzeugung der Kammer in schwerwiegender Weise gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem sie aus dem Aufenthaltsraum der externen Mitarbeiter Brötchen genommen und in den Pausenraum der Mitarbeiter der Beklagten gebracht hat, wo sie zumindest eine Brötchenhälfte verzehrt hat. Unstreitig durfte sich die Klägerin ohne Genehmigung eines Vorgesetzten bei den Brötchen nicht bedienen. Die Kammer hat im Übrigen erhebliche Zweifel an dem Vortrag der Klägerin, dass die Brötchen, jedenfalls nach Genehmigung durch den Chefarzt, auch den eigenen Mitarbeitern der Beklagten zum Verzehr dienen sollten. Ein substantiierter Vortrag der Klägerin, wann und bei welchen Gelegenheiten sie die Brötchen gegessen hat, fehlt. Konkretisiert wurden lediglich besondere Ausnahmesituationen, in den die Beklagte allen Mitarbeitern ein Frühstück zur Verfügung gestellt hat. Auf der anderen Seite hat die Beklagte nicht substantiiert dargelegt, wann und auf welche Art und Weise sie die Mitarbeiter - und damit auch die Klägerin - davon unterrichtet hat, dass die Brötchen ausschließlich den externen Mitarbeitern der Feuerwehr zur Verfügung gestellt werden. Eine schriftliche Anweisung gab es nicht. Auch in dem Aufenthaltsraum der externen Mitarbeiter bzw. an dem dortigen Kühlschrank, in dem sich die Brötchen befanden, war dies nicht durch Schilder kenntlich gemacht. Warum die Beklagte davon ausgeht, dass das jedem bekannt sei, war für die Kammer insofern nicht erkennbar. Hierauf kommt es letztlich nicht an, da die Klägerin ohne die erforderliche Genehmigung eines Vorgesetzten die Brötchen genommen hat. Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen (LAG Hamburg v. 30.07.2014 - 5 Sa 22/14 -, Rn. 34, juris). Mit der Wegnahme der Brötchen ohne Genehmigung oder generelle Erlaubnis hat die Klägerin gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme verstoßen. Dies kommt als Grund für eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich in Betracht. Der Wert der Brötchen ist dabei nicht ausschlaggebend (vgl. LAG Hamburg v. 30.07.2014 - 5 Sa 22/14 -, Rn. 37, juris). Gegen das Eigentum des Arbeitgebers gerichtete Handlungen können auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder sie zu einem nur geringfügigen oder gar keinem Schaden geführt hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 27.01.2015 - 2 Sa 170/14 -, Rn. 32, juris).

31

bb. Die anzustellende Interessenabwägung fällt zugunsten der Klägerin aus. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles überwiegen die Interessen der Klägerin an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung. Eine Abmahnung als milderes Mittel wäre nach der Überzeugung der Kammer vorliegend ausreichend gewesen, um das zerstörte Vertrauen wieder herzustellen.

32

(1) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf zu berücksichtigen (BAG v. 25.10.2012 - 2 AZR 495/11 -, Rn. 15, juris).

33

Für eine verhaltensbedingte Kündigung gilt dabei das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen. Die vergangene Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken (BAG v. 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 -, Rn. 14, juris m. w. N.). Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde auch zukünftig arbeitsvertragliche Pflichten nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine vorausgegangene einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist die Abmahnung als milderes Mittel in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Kündigung vorzuziehen, wenn durch ihren Ausspruch das Ziel - ordnungsgemäße Vertragserfüllung - erreicht werden kann (BAG v. 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 -, Rn. 14, juris m.w.N.).

34

Eine Abmahnung kann bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne Weiteres genauso erkennbar wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG v. 23.06.2009 - 2 AZR 283/08 -, Rn. 14, juris m.w.N.). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht (LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 27.01.2015 - 2 Sa 170/14 -, Rn. 42, juris).

35

(2) Vorliegend hat die Klägerin zwar in erheblicher Art und Weise gegen ihre vertraglichen Pflichten verstoßen. Gleichwohl ist es der Beklagten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortzusetzen.

36

Auszugehen ist zunächst davon, dass die Klägerin ihren Vertragsverstoß nicht heimlich gemacht hat, sondern ganz offen. Unbestritten hatte sie in der Frühschicht Hunger. Aus diesem Grund holte sie die Brötchen aus dem Aufenthaltsraum der Mitarbeiter der Feuerwehr, um die Brötchen in den Pausenraum der Mitarbeiter der Beklagten zu bringen. Dort wurden die Brötchen von ihren Kolleginnen und ihr verzehrt. Die Klägerin hat sogar zunächst mit einer Kollegin über das Holen der Brötchen gesprochen. Diese Kollegin hat ihr zwar abgeraten, was dafür spricht, dass der Klägerin bewusst war, dass ihr Verhalten gegen Arbeitsanweisungen verstoßen würde. Gleichwohl hat die Klägerin ganz offen gehandelt, wobei sie nicht nur ihren eigenen Vorteil, sondern auch das Wohlergehen ihrer Kolleginnen im Blick hatte, mit denen sie in der Frühschicht eingeteilt war. Insofern ging es der Klägerin auch darum, die Einsatzbereitschaft ihrer Schicht aufrechtzuerhalten, sodass ihr Verhalten nur zu einem geringen Teil eigennützig war. Angesprochen auf ihr Fehlverhalten hat sie schließlich nicht versucht, das Geschehen zu vertuschen. Vielmehr hat sie freimütig zugegeben, einen Fehler gemacht zu haben. Insofern hat sie auch - nach dem Vortrag der Beklagte - Unrechtsbewusstsein und Reue gezeigt. Bereits diese Umstände sprechen dafür, dass der Klägerin nicht bewusst war, dass sie mit ihrem Verhalten ihren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen würde.

37

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin bestand bereits seit sehr langer Zeit, nämlich seit über 23 Jahren - einschließlich der Ausbildung -, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen ist. Die für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird (BAG v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 -, Rn. 47, juris). Weiterhin war bei der Interessenabwägung das noch recht junge Alter der Klägerin, die guten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt einerseits, andererseits aber die bestehenden Unterhaltspflichten gegenüber ihren minderjährigen Kindern und dabei der Status der Klägerin als alleinerziehender Mutter zu berücksichtigen (vgl. LAG Hamburg v. 30.07.2014 - 5 Sa 22/14 -, Rn. 40, juris).

38

Bei einer Gesamtwürdigung all dieser Umstände kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass es der Beklagten zumutbar ist, mit der Klägerin in Zukunft weiter zusammenzuarbeiten, zumal davon auszugehen ist, dass angesichts des Unrechtsbewusstseins der Klägerin und ihrer gezeigten Reue es nicht zu weiteren derart schwerwiegenden Vertragsverletzungen kommen wird. Im Übrigen hat die Klägerin nicht heimlich gehandelt (vgl. zu diesem Aspekt im Rahmen der Abwägung LAG Düsseldorf v. 01.07.2013 - 9 Sa 205/13 -, Rn. 44, juris), sondern offen und in wesentlichen Teilen uneigennützig zugunsten der in ihrer Schicht beschäftigten Kolleginnen. Aus dem Verhalten der Klägerin folgt gerade nicht, dass sie sich auch in Zukunft über die berechtigten Belange der Beklagten hinwegsetzen würde. Aus diesem Grund hätte eine Abmahnung als mildere Sanktion statt einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgereicht, um das Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung arbeitsvertraglicher Pflichten wieder herzustellen.

39

d. Das Arbeitsverhältnis wird auch nicht durch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist beendet.

40

Da die Klägerin nach § 34 TV-KAH ordentlich nicht mehr kündbar war, hat die Beklagte hilfsweise eine ordentliche Kündigung mit Auslauffrist ausgesprochen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass in den Fällen, in denen die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist, gleichwohl eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kommen kann (BAG v. 27.11.2003, 2 AZR 601/02, Rn. 50, juris mwN). Dies gilt jedoch grundsätzlich nur für betriebsbedingte und personenbedingte Gründe. Ob eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kommt, wenn die ordentliche Kündigung einzelvertraglich oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist, ist hingegen zweifelhaft (bejahend BAG v. 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 -, Rn. 19, juris; abgelehnt für Mandatsträger iSd § 15 KSchG und ausdrücklich offen gelassen für tariflich unkündbare Arbeitnehmer von BAG v. 21.06.2012 - 2 AZR 343/11 -, Rn. 14, juris). Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt nach der Rechtsprechung des BAG in Betracht, wenn der wichtige Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darin liegt, dass der Arbeitgeber wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung andernfalls gezwungen wäre, für Jahre an einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis festzuhalten (BAG v. 20.03.2014 - 2 AZR 288/13 -, Rn. 28, juris). Hieran fehlt es jedoch bei einer verhaltensbedingten Kündigung in der Regel. Bei dieser führt die Unkündbarkeit nicht zu einem strengeren Maßstab, der ansonsten die unkündbaren Arbeitnehmer benachteiligen würde. Die Unkündbarkeit bzw. die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Renteneintritt wirkt sich als Maßstab nicht zulasten des Arbeitnehmers aus. Einen solchen zeitlichen Prognosehorizont gibt es bei der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung nicht. Dementsprechend würde die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist nicht als milderes Mittel an die Stelle einer ansonsten zulässigen außerordentlichen fristlosen Kündigung treten (vgl. BAG v. 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 -, Rn.21, juris, zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist als Korrektiv auf Rechtsfolgenseite), sondern vielmehr faktisch eine ordentliche Kündigung ermöglichen, die jedoch gerade tarifvertraglich ausgeschlossen sein soll. Dies kann jedoch letztlich offen bleiben, da die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist vorliegend bereits aus anderem Grund unwirksam ist.

41

Auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist ist stets zu prüfen, ob als milderes Mittel eine Abmahnung ausreichend ist, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen. Dies ist vorliegend der Fall, sodass auf die obigen Ausführungen verwiesen werden kann, um Wiederholungen zu vermeiden.

42

e. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Krankenschwester weiterzubeschäftigen.

43

Ein Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung (§§ 611, 613, 242 BGB). Stellt ein Arbeitsgericht fest, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung unwirksam ist, hat der Arbeitgeber an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers kein schützenswertes Interesse mehr. Hierfür wären zusätzliche Umstände erforderlich, aus denen sich im Einzelfall ein besonderes Interesse des Arbeitgebers ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (vgl. BAG GS v. 27.2.1985 - GS 1/84, AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht -, juris).

44

Die Kündigungen der Beklagten vom 09.02.2015 sind aus oben dargelegten Gründen unwirksam. Dementsprechend besteht grundsätzlich ein Anspruch der Klägerin auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits. Zusätzliche Umstände, aus denen sich ein besonderes Interesse an der Nichtbeschäftigung der Klägerin ergeben könnte, hat die Beklagte hingegen nicht dargetan.

II.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. § 92 ZPO. Soweit der allgemeine Feststellungsantrag zurückgewiesen wurde, war der Klägerin nicht ein Teil der Kosten aufzuerlegen. Ein allgemeiner Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO ist neben einer Kündigungsschutzklage gemäß § 4 KSchG grundsätzlich nicht werterhöhend zu berücksichtigen (LAG Hamburg v. 30.6.2005 - 8 Ta 5/05 -, juris).

46

Der Wert des im Urteil festzusetzenden Streitgegenstandes beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG, § 3 ZPO, § 42 Abs. 2 GKG. Für den Kündigungsschutzantrag waren drei Bruttomonatsgehälter anzusetzen; der Antrag auf Weiterbeschäftigung war mit einem Bruttomonatsgehalt zu bewerten.

47

Die Zulässigkeit der Berufung hinsichtlich der Bestandsschutzanträge ergibt sich bereits aus § 64 Abs. 2 lit. c) ArbGG. Für den Antrag zu 4 ergibt sich die Zulässigkeit der Berufung zumindest aus § 64 Abs. 2 lit. b) ArbGG, da der Wert des Beschwerdegegenstandes € 600,00 übersteigt. Im Übrigen lagen die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vor.

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Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


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Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis


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Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 4 Anrufung des Arbeitsgerichts


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 313 Form und Inhalt des Urteils


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Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 7 Wirksamwerden der Kündigung


Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

Kündigungsschutzgesetz - KSchG | § 13 Außerordentliche, sittenwidrige und sonstige Kündigungen


(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 un

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 613 Unübertragbarkeit


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(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

(1) Das Urteil enthält:

1.
die Bezeichnung der Parteien, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Prozessbevollmächtigten;
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Richter, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben;
3.
den Tag, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist;
4.
die Urteilsformel;
5.
den Tatbestand;
6.
die Entscheidungsgründe.

(2) Im Tatbestand sollen die erhobenen Ansprüche und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel unter Hervorhebung der gestellten Anträge nur ihrem wesentlichen Inhalt nach knapp dargestellt werden. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden.

(3) Die Entscheidungsgründe enthalten eine kurze Zusammenfassung der Erwägungen, auf denen die Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht.

(1) Die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses werden durch das vorliegende Gesetz nicht berührt. Die Rechtsunwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung kann jedoch nur nach Maßgabe des § 4 Satz 1 und der §§ 5 bis 7 geltend gemacht werden. Stellt das Gericht fest, dass die außerordentliche Kündigung unbegründet ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat auf seinen Antrag das Gericht das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzulegen, zu dem die außerordentliche Kündigung ausgesprochen wurde. Die Vorschriften der §§ 10 bis 12 gelten entsprechend.

(2) Verstößt eine Kündigung gegen die guten Sitten, so finden die Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 und der §§ 10 bis 12 entsprechende Anwendung.

(3) Im Übrigen finden die Vorschriften dieses Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den in § 1 Abs. 2 und 3 bezeichneten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen.

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.

(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.
Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht (§ 4 Satz 1, §§ 5 und 6), so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam; ein vom Arbeitnehmer nach § 2 erklärter Vorbehalt erlischt.

(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.

(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 7. Juli 2014 abgeändert (4 Ca 290/14).

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. März 2014 nicht beendet wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Betriebsschlosser/Schlosser weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach der fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 13. März 2014.

2

Der 1960 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die einen landwirtschaftlichen Rinderhof betreibt, als Betriebsschlosser beschäftigt. Der Kläger arbeitet – unter wechselnden Arbeitgebern – seit 1986 auf diesem Rinderhof. In dem ersten Arbeitsvertrag – seinerzeit abgeschlossen mit dem VEG (P) F. – vom 6. Dezember 1985 ist zusätzlich eine Betriebszugehörigkeit seit 1977 anerkannt worden (Kopie dieses Arbeitsvertrags hier Blatt 34 f). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt 40 Stunden und er hat zuletzt ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.711,00 EUR bezogen.

3

Am 7. März 2014 hat die Beklagte beim Kläger nach Hinweisen aus dem Kreis der Kollegen zum Feierabend hin, als der Kläger das Betriebsgelände verlassen wollte, eine Rucksackkontrolle durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass der Kläger in dem Rucksack einen 5-Liter-Kanister bei sich geführt hat, der mit Heizöl gefüllt war. Es ist unstreitig, dass das Heizöl aus einem der Heizölfässer der Beklagten stammt, die diese auf dem Rinderhof einsetzt.

4

Das Heizöl wird von der Beklagten zum Befeuern mobiler Heizgeräte benötigt, die zur Beheizung der Stallungen eingesetzt werden, vorrangig dann, wenn sich dort kein Vieh befindet und die Stallungen gesäubert werden. Auf dem Hof sind im Regelfall zwei Heizgeräte im Einsatz, es gibt zusätzlich Ersatzgeräte. Zum Betreiben der mobilen Heizungen gibt es auf dem Hof mehrere 200-Liter-Blech-Fässer (Tanks), an die bei Bedarf das Heizgerät angeschlossen wird. Die genaue Anzahl der vorhandenen Fässer konnte nicht geklärt werden, unstreitig gibt es jedenfalls mindestens doppelt so viele Fässer wie Heizgeräte auf dem Hof. Die Fässer werden im Regelfall in einer Garage gelagert.

5

Das Anschließen und Bewegen der Heizungen und der dazu gehörenden Fässer gehört zu den Arbeitsaufgaben des Klägers. In Ergänzung seines schriftlichen Vortrags hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht mitgeteilt, dass sich in den Heizöl-Fässern bei längerer Lagerhaltung Kondenswasser bilde, das sich unten im Fass absetze. Beim Einrichten der Heizung müsse man daher darauf achten, den Ansaugschlauch des Heizgerätes nie ganz bis zum Boden des Tanks zu führen, damit das Wasser nicht mit angesaugt werde. Werde versehentlich das Wasser mit angesaugt, führe das immer zu einem schnellen und vollständigen Verstopfen der Filter und Ventile und damit zu einem Ausfall der Heizgeräte. Der danach notwendige Säuberungsvorgang sei aufwendig. Aufgrund dieser Vorgehensweise hätten sich auf dem Hof einige Fässer gesammelt, die nicht mehr zum Heizen benutzt worden seien, da sich darin nur noch "verdorbenes" Heizöl, also mit Wasser zersetztes Heizöl, befunden habe. Dem ist der in der mündlichen Verhandlung anwesende Prokurist der Beklagten, der mit den betrieblichen Verhältnissen vor Ort vertraut ist, nicht entgegengetreten.

6

Am 13. März 2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2014 (wegen der Einzelheiten wird auf das in Kopie zur Akte gereichte Kündigungsschreiben Bezug genommen, hier Blatt 8).

7

Die hiergegen vom Kläger angestrengte Kündigungsschutzklage, die der Kläger mit einem Weiterbeschäftigungsantrag für die Laufzeit des hiesigen Rechtsstreits verbunden hat, ist am 25. März 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen.

8

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat die Klage mit Urteil vom 7. Juli 2014 als unbegründet abgewiesen (4 Ca 290/14). Auf dieses Urteil wird wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

9

Mit der Berufung, die keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

10

Der Kläger meint, ein Grund zur Kündigung liege nicht vor.

11

Der Kläger behauptet, er habe sich lediglich "verdorbenes" Heizöl, also mit Wasser zersetztes Heizöl, in den Kanister gefüllt. Er habe das Heizöl als "Brennhilfe" benötigt, um das Holz, das beim Frühjahrsschnitt der Gehölze und Bäume entstanden sei, besser verbrennen zu können. Er sei sich sicher gewesen, dass es sich um "verdorbenes" Heizöl gehandelt habe, da es in der Garage, wo die Fässer lagern, zwei Fässer gegeben habe, die nicht mehr in Benutzung waren, da sich darin nur "verdorbenes" Heizöl befunden habe.

12

Es sei zwar richtig, dass er in der Anhörung durch den Arbeitgeber am 7. März 2014 zugegeben habe, dass er bereits früher einmal Heizöl des Arbeitgebers für private Zwecke mitgenommen habe. Dazu müsse allerdings beachtet werden, dass der Vorfall schon etwa 20 Jahre zurückliege und daher für die hier streitige Kündigung keine Bedeutung mehr haben könne. Außerdem sei die Mitnahme von Heizöl seinerzeit durch Herrn R. genehmigt gewesen.

13

Eine Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung komme für den vorliegenden Sachverhalt nicht in Betracht. Es wäre für die Beklagte ein Leichtes gewesen, ihn zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass sie auch die Mitnahme von an sich wertlosen Gegenständen nicht wünsche. Allein dieser Hinweis hätte ausgereicht, um die hier vorliegende Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen.

14

Für die Bewertung seines Verhaltens sei es auch ohne Bedeutung, dass es in jüngerer Vergangenheit angeblich schon einen ähnlichen Vorfall mit Diebstahl von Diesel gegeben habe. Er sei über die maßgeblichen Einzelheiten des seinerzeitigen Vorfalls nicht unterrichtet worden, weshalb man ihm keinen Vorwurf daraus machen könne, dass er sich die Folgen des Diebstahls für den Kollegen nicht habe zur Warnung gereichen lassen.

15

Im Rahmen der Interessenabwägung müsse mindestens seine Beschäftigungsdauer seit 1986 in der betriebsorganisatorischen Einheit berücksichtigt werden. Eigentlich müsste man sogar von einer Betriebszugehörigkeit bereits seit 1977 ausgehen, wie ihm dies Ende 1985 vertraglich zugesichert wurde. Während des gesamten Zeitraums seiner Beschäftigung bei der Beklagten hätte er sich niemals etwas zu Schulden kommen lassen. Selbst wenn man in seinem Verhalten einen Pflichtverstoß sehen würde, könne daher angesichts der Dauer der beiderseitigen Zusammenarbeit daraus nicht auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden.

16

Der Kläger beantragt,

17

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils,

18

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.03.2014 beendet wird;

19

2. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Betriebsschlosser/Schlosser weiterzubeschäftigen.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Die Beklagte verteidigt das ergangene Urteil. Der Kläger habe versucht, der Beklagten Heizöl zu stehlen und er habe in der Anhörung eingeräumt, dies zum wiederholten Male getan zu haben. Damit liege ein Grund zur Kündigung vor. Es sei eine Schutzbehauptung, dass es sich bei dem Heizöl im Kanister um "verdorbenes" Heizöl gehandelt habe. In der Garage, in der er das Heizöl abgefüllt haben will, seien auch Fässer mit gutem Heizöl gelagert. Außerdem sei es eine Schutzbehauptung, wenn sich der Kläger im Rechtsstreit dahin einlasse, dass der in der Anhörung eingeräumte weitere Vorfall bereits 20 Jahre zurückliege, davon sei in der Anhörung keine Rede gewesen. Das gelte auch für die ergänzende Behauptung, die seinerzeitige Mitnahme von Heizöl sei von Herrn R. auf Seiten der Beklagten genehmigt gewesen.

23

Einer vorherigen Abmahnung hätte es nicht bedurft. Dies gelte im vorliegenden Fall schon deshalb, weil es einige Monate zuvor im Betrieb einen Vorfall wegen Diebstahl von Diesel gegeben habe, der mit einer Kündigung eines Kollegen des Klägers geendet habe (als Vorgang in dieser Allgemeinheit unstreitig). Der Vorfall sei auch vergleichbar gewesen, denn seinerzeit sei es um den Diebstahl von 20 Liter Diesel in einem Kanister gegangen. Ergänzend behauptet die Beklagte dazu, über den seinerzeitigen Vorfall sei im Betrieb viel geredet worden, so dass man davon ausgehen könne, dass auch der Kläger registriert habe, dass die Beklagte auf derartige Vorgänge mit einer Kündigung reagiere.

24

Bei der notwendigen Abwägung der beteiligten Interessen sei die sehr lange Betriebszugehörigkeit des Klägers zu seinen Gunsten berücksichtigt worden. Die Beklagte habe sich dennoch zur Kündigung entschlossen, da das Tatgeschehen auf ein planvolles Vorgehen des Klägers hindeute, denn er müsse den leeren Kanister von zu Hause mitgebracht haben. Damit scheide die Annahme einer Gelegenheitstat aus. Dieser Umstand in Verbindung mit dem auch dem Kläger bekannten nur wenige Monate zurückliegenden Vorfall wegen des Diesel-Diebstahls zeige, mit welcher kriminellen Energie sich der Kläger über die Gesetze zum Schutz des Eigentums der Beklagten hinwegsetze. Damit sei das notwendige Vertrauen für die weitere Zusammenarbeit zerstört.

25

Ergänzend habe die Beklagte berücksichtigt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr unbelastet gewesen sei. Denn dem Kläger sei vor mehr als zwei Jahren der Führerschein wegen Fahrens unter Alkoholeinwirkung entzogen worden und der Kläger habe die Fahrerlaubnis bis heute nicht wieder zurückerhalten (insoweit unstreitig). Damit sei es nicht mehr möglich gewesen, den Kläger bei Not am Mann im Straßenverkehr einzusetzen. Ein Einsatz auf dem Feld wäre rechtlich zwar noch möglich gewesen, sei aber nur umständlich zu organisieren gewesen, da er dazu immer von weiteren Personen zum Feld und zum Feierabend von dort zurück habe transportiert werden müssen.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die klägerische Berufung ist begründet. Es liegt weder ein Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 BGB vor noch ein Grund zur ordentlichen Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Damit ist auch der ergänzend gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung während des Laufs des Kündigungsschutzprozesses begründet.

I.

28

Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 13. März 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB.

29

Nach § 626 Absatz 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Seiten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

1.

30

Mit dem Arbeitsgericht geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, dass die Entwendung von Heizöl, das im Eigentum des Arbeitgebers steht, eine besonders schwere Pflichtverletzung durch einen Arbeitnehmer darstellt, die es erlaubt, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung zu ziehen.

31

Durch die Schaffung eines Betriebes und durch die Einstellung von Arbeitnehmern für den Betrieb, schafft der Arbeitgeber zwangsläufig zahlreiche Gelegenheiten, sein Eigentum zu zerstören oder zu entwenden. Es gehört daher schon seit jeher zu den anerkannten Grundpflichten des Arbeitnehmers, die im Eigentum verkörperten Vermögenswerte des Arbeitgebers zu achten. Daraus folgt die arbeitsrechtliche Pflicht, Straftaten zu Lasten des Eigentums oder zu Lasten des Vermögens des Arbeitgebers zu unterlassen.

32

Gegen diese Pflicht hat der Kläger verstoßen. Am 7. März 2014 wurde er angetroffen, als er im Begriff war, das Betriebsgelände zum Feierabend hin mit dem Kanister Heizöl, das im Eigentum der Beklagten steht, im Rucksack zu verlassen. Damit hat er – auch im strafrechtlichen Sinne – versucht, einen Diebstahl zu Lasten seines Arbeitgebers zu begehen. Damit hat der Kläger zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Absatz 2 BGB) verletzt. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder sie zu einem nur geringfügigen oder gar keinem Schaden geführt hat (vgl. nur BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – BAGE 134, 349 = AP Nr. 229 zu § 626 BGB = DB 2010, 2395).

2.

33

Bezieht man allerdings Art und Ausmaß des klägerischen Fehlverhaltens in die Betrachtung mit ein, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung nicht erkannt werden. Zumindest ist die Beklagte in einem entscheidenden Punkt beweisfällig geblieben.

a)

34

Das Berufungsgericht muss im Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass der Kläger versucht hat, "verdorbenes" Heizöl zu entwenden.

35

Der Kläger hat sich schon schriftsätzlich immer darauf bezogen, dass das von ihm zur privaten Verwendung vorgesehene Heizöl für die betrieblichen Zwecke nicht mehr brauchbar gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu auf den physikalischen Zusammenhang (Bildung von Kondenswasser im Tank) und auf den betrieblichen Umgang mit dem Problem (Nichtnutzung des letzten Rest Heizöls in jedem Fass) hingewiesen. Dem ist der in der mündlichen Verhandlung anwesende und mit den betrieblichen Verhältnissen vor Ort vertraute Prokurist der Beklagten nicht entgegengetreten. Damit sind diese Zusammenhänge unstreitig.

36

Zwischen den Parteien ist es außerdem unstreitig geblieben, dass diese fast leeren und für den Betrieb unbrauchbaren Heizölfässer nicht alle zeitnah fachgerecht entsorgt werden, sondern sich stets eine gewisse Anzahl von ihnen auf dem Betriebsgelände befindet. Schließlich ist unstreitig, dass in der Garage, in der der Kläger nach Beobachtung seiner Kollegen das Heizöl abgezapft hat, sowohl Fässer mit verwendbarem Heizöl befinden, wie auch Fässer mit nicht mehr verwendbarem Heizöl.

37

Die Beklagte hat für ihre Behauptung, der Kläger habe versucht, noch unverdorbenes Heizöl zu entwenden, keinen Beweis angetreten. Nach dem Stand der Aufklärung des Sachverhalts, wie er sich in der Gerichtsakte widerspiegelt, ist von Seiten der Beklagten auch nie versucht worden, der Frage näher nachzugehen, welche Qualität das Heizöl hatte, das sich in dem beim Kläger aufgefundenen Kanister befunden hatte.

38

Die Beweislast für den Umstand, dass der Kläger gebrauchsfähiges Heizöl zu entwenden versucht hat, liegt bei der Beklagten. Die Beklagte als Arbeitgeberin trägt die Beweislast für die Darlegung des Kündigungsgrundes. Dies ist für die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers in § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG ausdrücklich so geregelt. Diese Beweislastregel gilt aber auch gleichermaßen für die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - AP Nr. 240 zu § 626 BGB).

39

Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung darzulegen. Will der Arbeitnehmer einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für sein Verhalten geltend machen, muss er dazu substantiiert vortragen. Darauf hat der Arbeitgeber substantiiert einzugehen. Gegebenenfalls ist Beweis zu erheben, wobei die objektive Beweislast beim Arbeitgeber verbleibt (vgl. nur BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 2012, 926 und BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262 = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 1992, 2446). Diese Regeln gelten gleichermaßen für sonstige entlastende Umstände, die der Arbeitnehmer vorträgt, die nicht das Gewicht von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen erreichen.

40

Wenn man den Umstand, dass es sich – nach Darstellung des Klägers – bei dem Heizöl in dem aufgefundenen Kanister um "verdorbenes" Heizöl gehandelt hat, hier einmal als einen entlastenden Umstand ansehen mag (Näheres dazu unten), gilt dieser Vortrag prozessual als unbestritten, denn die Beklagte hat dem nur die Behauptung des Gegenteils entgegengesetzt und hat keine ergänzenden Umstände vorgetragen, die das klägerische Vorbringen erschüttern. Zudem fehlt es an einem Beweisantritt der Beklagten für diese strittige Behauptung.

b)

41

Wenn man aufgrund des Sach- und Streitstandes davon ausgehen muss, dass der Kläger versucht hat, betrieblich nicht mehr nutzbares Heizöl zu entwenden, ist die ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig, denn es hätte ausgereicht, den Kläger durch Erteilung einer Abmahnung klar zu machen, dass die Beklagte auch eine solche Pflichtverletzung als so schwerwiegend ansieht, dass sie geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen.

42

Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis nur dann mit Kündigung beenden, wenn es keine milderen Alternativen gibt, mit denen das entstandene Problem behoben werden kann. Es ist daher stets zu prüfen, ob das entstandenen Problem auch durch eine Abmahnung hätte beseitigt werden können. Beruht die Vertragspflichtverletzung – wie vorliegend – auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 aaO).

43

Es kann nicht festgestellt werden, dass vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung sinnlos gewesen wäre, weil feststeht, dass eine Verhaltensänderung auf Seiten des Klägers nicht zu erwarten steht. Positive Anhaltspunkte dafür sind nicht vorgetragen. Die Reaktion der Beklagten auf den Diesel-Diebstahl wenige Monate vor dem hier streitigen Vorfall macht die Abmahnung im vorliegenden Falle nicht überflüssig. Zum einen ist es spekulativ geblieben, in welchem Umfang der Kläger über die tatsächlichen Hintergründe der seinerzeitigen Kündigung des Kollegen überhaupt unterrichtet war. Zum anderen sieht das Gericht auch objektiv erhebliche Unterschiede zwischen beiden Vorfällen, so dass selbst bei unterstellter vollständiger Kenntnis des Klägers von den Umständen des Diesel-Diebstahls, aus der Pflichtverletzung des Klägers nicht auf dessen Unbelehrbarkeit geschlossen werden kann. Zum einen war der Diesel für die Beklagte im Gegensatz zum hier betroffenen verdorbenen Heizöl noch verwertbar. Zum andern hat der Diebstahl von Landwirtschafts-Diesel immer auch eine steuerstrafrechtliche Dimension, weshalb es verständlich ist, dass die Beklagte in diesen Dingen einen besonders strengen Maßstab anlegt.

44

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die hier streitige Pflichtverletzung so schwer ist, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Wirtschaftlich betrachtet war das Heizöl, dass der Kläger entwenden wollte, nicht nur für die Beklagte wertlos, da es im Betrieb nicht mehr verwendet werden könnte, es hatte sogar einen negativen Wert, denn es hätte nur unter Kostenaufwand fachgerecht entsorgt werden können. In einer solchen Situation ist es nicht vorhersehbar, dass der Arbeitgeber die formale Verletzung seines Eigentumsrechts gleich zum Anlass einer Kündigung nehmen würde. Vielmehr liegt es näher anzunehmen, den Arbeitnehmer im Rahmen einer Abmahnung – oder auch nur auf sonstige Weise – klar zu machen, dass man als Arbeitgeber trotz der wirtschaftlichen Wertlosigkeit des entwendeten Gutes, auch die formale Verletzung der Eigentümerrechte an sich als zur Kündigung geeigneten Vorfall ansehe.

45

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte einen generellen Vertrauensverlust zum Kläger beklagt. Das Fehlverhalten beschränkt sich auf den Versuch, ein wirtschaftlich wertloses Gut des Arbeitgebers zu entwenden. Es gibt keine Grundlage für die Annahme, der Kläger neige generell dazu, seinen Arbeitgeber durch Diebstahl oder ähnliche Verhaltensweisen zu schädigen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger im Rahmen der Anhörung vor Ausspruch der Kündigung eingeräumt haben soll, dass er bereits früher einmal Heizöl mitgenommen habe. Die Beklagte hat diesen vorangegangenen Pflichtenverstoß des Klägers nicht weiter aufgeklärt und in den Rechtsstreit eingeführt, so dass mögliche Spekulationen zu diesem Vorfall auf sich beruhen können.

3.

46

Auch die Belastung, die das Arbeitsverhältnis in den letzten Jahren durch den alkoholbedingten Führerscheinentzug des Klägers – und seine sich andeutende Alkoholabhängigkeit - erlitten hat, macht für die Beklagte das weitere Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht unzumutbar.

47

Die Beklagte hat zu diesem Themenkomplex keine weiteren Einzelheiten vorgetragen, so dass nicht festgestellt werden kann, dass die Alkoholprobleme des Klägers und die betrieblichen Probleme, die aus der fehlenden Fahrerlaubnis resultieren, die Kündigung auch ohne den Vorfall mit dem Heizöl rechtfertigen könnten. Wenn aber weder der Heizölvorfall noch die Alkoholprobleme für sich geeignet sind, die Kündigung zu rechtfertigen, können sie diese auch bei gemeinsamer Betrachtung nicht rechtfertigen.

II.

48

Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. März 2014 zum 31. Oktober 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Denn es kann die soziale Rechtfertigung dieser Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG nicht festgestellt werden.

49

Wenn schon die außerordentliche Kündigung vorliegend nicht begründet ist, weil es ausgereicht hätte, den Kläger abzumahnen, gilt dies erst Recht für die ordentliche Kündigung. Wegen der Einzelheiten kann daher auf die Ausführungen oben zu I. verwiesen werden.

III.

50

Da der Kläger mit seinem Kündigungsschutzantrag obsiegt hat, hat er auch einen Anspruch auf weitere Beschäftigung gegen die Beklagte für die weitere Laufzeit des Kündigungsschutzprozesses.

IV.

51

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte, da der Kläger obsiegt hat (§ 91 ZPO).

52

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 2011 - 3 Sa 474/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier fristloser, hilfsweise fristgerechter Kündigungen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit 2005 als Chefarzt der Abteilung Allgemein- und Viszeralchirurgie beschäftigt.

3

In § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags vom 18. April 2005 heißt es:

        

„Dem Arzt obliegt die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich …“

4

Gem. § 20 Abs. 3 des Vertrags kann dieser „nach Ablauf der Probezeit … fristlos gemäß § 626 BGB aus wichtigem Grund gekündigt werden“.

5

Wenn der Kläger Operationen durchführte, nahm er den schnurlosen Handapparat seines Diensttelefons und sein privates Mobiltelefon mit in den Operationssaal und legte dort beide Geräte auf den Ablagetisch. Das private Mobiltelefon war in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet und dort mit einer Kurzwahlnummer hinterlegt.

6

Mit Schreiben vom 26. September 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger „aus wichtigem Grunde fristlos, hilfsweise zum nächstzulässigen ordentlichen Kündigungstermin“. Sie warf dem Kläger vor, er habe im Operationssaal häufiger Telefonanrufe angenommen oder während laufender Operationen von einem Mitglied des Operationsteams annehmen lassen. Mit Schreiben vom 14. und vom 22. Oktober 2008 kündigte die Beklagte erneut fristlos, hilfsweise fristgemäß.

7

Der Kläger hat gegen die Kündigungen rechtzeitig Klage erhoben. Er hat behauptet, im Krankenhaus der Beklagten sei die Nutzung von privaten Mobiltelefonen auch im Operationssaal allgemein üblich gewesen. Fast alle Anrufe während einer Operation seien als hausinterne auf dem Diensttelefon eingegangen und die übrigen nur deshalb auf seinem privaten Mobiltelefon, weil dieses in der internen Telefonliste des Krankenhauses aufgeführt sei. Die während einer Operation geführten Telefonate hätten sich erst in den Monaten Juli bis September 2008 gehäuft, weil seine Sekretärin erkrankt gewesen sei und ihm nur zu sehr eingeschränkten Zeiten eine Ersatzkraft zur Verfügung gestanden habe. Er habe für niedergelassene Ärzte jederzeit erreichbar sein müssen. Diesen habe er neben der Telefonnummer seines Sekretariats auch die seines privaten Mobiltelefons überlassen. Zu keiner Zeit sei ein Patient von ihm unsteril berührt worden. Zu einer zeitlichen Verzögerung von Operationen sei es nicht gekommen. Bei laufender Operation habe ihm ein anderes Mitglied des Operationsteams das Telefon an das Ohr gehalten. Im Übrigen führe selbst eine Verlängerung der Operation um wenige Minuten nicht zu einer Erhöhung der Komplikationsrate.

8

Der Kläger hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt

        

festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26. September, 14. Oktober und 22. Oktober 2008 weder fristlos noch zum jeweils nächst zulässigen Termin aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, schon die Kündigung vom 26. September 2008 sei als fristlose wirksam. Sie hat behauptet, der Kläger habe in zahlreichen Fällen Operationen zum Führen privater Telefonate unterbrochen. Insbesondere in den Monaten Juli, August und September 2008 habe er täglich mindestens ein Telefonat von bis zu fünf Minuten Länge geführt. Teilweise habe er den Operationssaal für die Dauer von deutlich mehr als fünf Minuten verlassen und dabei den noch nicht operierten Patienten zurückgelassen. Jede Verlängerung der Narkose bedeute für den Patienten eine erhebliche Belastung, die mit schwerwiegenden gesundheitlichen Risiken einhergehe.

10

Die Kündigung vom 14. Oktober 2008 beruhe darauf, dass der Kläger die Patienten auch in seiner Sprechstunde wegen privater Telefonate habe warten lassen. Im Jahr 2008 hätten zudem ca. 20 bis 25 Operationsberichte gefehlt. Ferner habe der Kläger bei der Landesärztekammer eine Weiterbildungsermächtigung unter Angabe falscher Daten beantragt. Die Kündigung vom 22. Oktober 2008 habe sie ausgesprochen, weil der Kläger die vorhergehende mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde zurückgewiesen habe.

11

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet.

13

A. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 26. September 2008 aufgelöst worden.

14

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 13, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 14, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36).

15

1. Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 14, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 26, AP BGB § 626 Rn. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, aaO; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses - zu erreichen (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, BAGE 134, 349).

16

2. Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, NJW 2013, 104; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37). Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist(vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, aaO).

17

II. Danach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das dem Kläger vorgeworfene Verhalten rechtfertige keine außerordentliche Kündigung, im Ergebnis nicht zu beanstanden.

18

1. Der Kläger hat allerdings seine Vertragspflichten in erheblicher Weise verletzt, indem er sein privates Mobiltelefon im Operationssaal auch zu privat veranlassten Telefonaten genutzt hat. Dies gilt auch angesichts des Umstands, dass die Beklagte Telefonate im Operationssaal keineswegs gänzlich und kategorisch untersagt hatte.

19

a) Nach § 4 Abs. 1 des Dienstvertrags obliegt dem Kläger die Führung und fachliche Leitung seiner Abteilung und die fachliche Aufsicht über die Operationsabteilung. Er ist für die medizinische Versorgung der Patienten, den geordneten Dienstbetrieb und die allgemeine Hygiene verantwortlich. Sowohl im Hinblick auf seine leitende Position als auch auf die gesteigerte Verantwortung für Leben und Gesundheit der Patienten während einer Operation trifft ihn danach die Verpflichtung, bei Ausführung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit Störungen, die die Konzentration aller Mitglieder des Operationsteams beeinträchtigen könnten und nicht durch Notfälle bedingt oder aus medizinischen Gründen erforderlich sind, zu vermeiden.

20

b) Diese Vertragspflicht hat der Kläger verletzt.

21

aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen für wahr erachtet, dass Mitglieder des Operationsteams auf Geheiß des Klägers während laufender Operationen Anrufe auch auf seinem privaten Mobiltelefon entgegengenommen und an ihn weitergeleitet haben. Der Kläger habe auf diesem etwa zwei bis drei Telefonate pro Vormittag für eine Dauer von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten geführt, teilweise bei offenem Operationsfeld. Insgesamt ein- oder zweimal sei seine Ehefrau am Apparat gewesen; den Umständen sei zu entnehmen gewesen, dass diese Telefonate rein privaten Charakter gehabt hätten.

22

bb) Die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts lässt keine Rechtsfehler erkennen. Sie hat den gesamten Inhalt der Verhandlung gewürdigt, ist in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze.

23

(1) Das Gericht hätte entgegen der Auffassung des Klägers nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen haben müssen, weil diese über Wartezeiten vor und Telefonate während laufender Operationen berichtet haben, ohne zu erwähnen, dass dies auch bei anderen Operateuren vorgekommen sei. Die Zeugen wurden zum Verhalten des Klägers und nicht zu den Üblichkeiten im Krankenhaus befragt.

24

(2) Das Ergebnis der Beweiswürdigung widerspricht - anders als der Kläger meint - nicht deshalb der Lebenserfahrung, weil dieser gar nicht befugt gewesen sei, die Entgegennahme privater Telefonate durch Mitglieder des Operationsteams anzuordnen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahin, dass ein Arbeitnehmer nur Aufgaben übernimmt, zu deren Übertragung der Anweisende berechtigt ist. Es erscheint keineswegs ausgeschlossen, dass sich Mitarbeiter eines Krankenhauses Anweisungen des Chefarztes aufgrund seiner hierarchischen Stellung weitgehend beugen.

25

(3) Das Landesarbeitsgericht hat keine wesentlichen Inhalte der Zeugenaussagen unberücksichtigt gelassen.

26

(a) Zwar hat die Beweisaufnahme ergeben, dass auch andere Operateure am Operationstisch telefonierten. Nach Aussage des betreffenden Zeugen erfolgte dies jedoch auf dem dienstlichen Handapparat. Das Landesarbeitsgericht musste hieraus nicht den Schluss ziehen, das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen sei üblich.

27

(b) Der Umstand, dass ein Zeuge nach eigener Aussage ebenfalls sein privates Mobiltelefon in den Operationssaal mitgenommen hat, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Der Aussage sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Beklagte dieses Verhalten geduldet hat.

28

cc) Das Vorbringen des Klägers, er habe während der Zeit der Krankheit seiner Sekretärin dienstliche Telefonate vermehrt selbst annehmen müssen, ist ohne Belang. Das Führen privat veranlasster Telefonate während laufender Operationen wird dadurch nicht gerechtfertigt.

29

dd) Soweit der Kläger geltend macht, die Nutzung von Mobiltelefonen bei Operationen sei gang und gäbe und habe sich im Sinne der Patientenversorgung sogar als vorteilhaft erwiesen, ist nicht ersichtlich, weshalb dies - die Richtigkeit des Vorliegens unterstellt - auch für private Telefonate gelten sollte.

30

2. Gleichwohl ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen. Angesichts der Umstände des Streitfalls hätte eine Abmahnung als Reaktion von ihrer Seite ausgereicht. Das vermag der Senat selbst zu entscheiden.

31

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Beurteilung der Fallumstände und Abwägung der Interessen durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (vgl. BAG 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 - Rn. 16, DB 2012, 2404; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 29, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36). Ein solcher Fall liegt hier vor.

32

b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwar habe es einer Abmahnung des Klägers nicht bedurft, im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung überwiege jedoch das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist. Dem folgt der Senat nur im Ergebnis. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Umstände des Streitfalls. Angesichts ihrer ist eine Abmahnung als Reaktion der Beklagten ausreichend.

33

aa) Bei der Beklagten besteht nicht etwa ein generelles Verbot, während einer Operation zu telefonieren. Vielmehr ist zwischen den Parteien unstreitig, dass dienstliche Telefonate während laufender Operationen von der Beklagten zumindest geduldet wurden. Dementsprechend hat sie die Mitnahme des Diensttelefons in den Operationssaal und dessen Benutzung durch den Kläger nicht beanstandet. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, sie habe Vorgaben für das Telefonieren während einer Operation dahingehend gemacht, dass dies nur in Not- oder Ausnahmefällen gestattet sei. Sie hat damit jedenfalls für Fälle dienstlich veranlasster Telefonate billigend in Kauf genommen, dass die Konzentration der Mitglieder eines Operationsteams durch Telefonate beeinträchtigt würde, auch ohne dass ein Not- oder Ausnahmefall vorläge. Der Kläger durfte zwar nicht annehmen, die Beklagte dulde in gleicher Weise auch das Führen privater Telefonate während laufender Operationen. Sein vertragswidriges Verhalten erscheint unter diesen Umständen aber in einem deutlich milderen Licht. Mit privaten Telefonaten ist keine andere Beeinträchtigung der ärztlichen Konzentration und Gefahr für die Sterilität der Umgebung verbunden als mit dienstlich veranlassten. Sie erhöhen die fraglichen Risiken nur in quantitativer, nicht in qualitativer Hinsicht. Zahlenmäßig wiederum waren die privat veranlassten Gespräche eher unbedeutend. So hat das Landesarbeitsgericht zwar für wahr erachtet, dass pro Vormittag im Operationssaal zwei bis drei Anrufe in einer Länge von teils wenigen Sekunden bis zu teils zwei Minuten auf dem privaten Mobiltelefon des Klägers zusätzlich zu denen auf dem Arzttelefon eingingen. Es steht aber nicht einmal fest, dass es sich dabei ausnahmslos - und nicht nur in den wenigen ausdrücklich erwähnten Einzelfällen - um private Anrufe handelte. Da die Rufnummer des Mobiltelefons in der internen Telefonliste des Krankenhauses verzeichnet war, kann dies auch nicht ohne Weiteres vermutet werden. Zudem ist nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts weder die seitens der Beklagten vorgetragene - längere - Dauer der Telefonate von bis zu fünf Minuten noch ihre Behauptung erwiesen, der Kläger habe Operationen wegen privat - und gerade nicht dienstlich - veranlasster Telefongespräche unterbrochen.

34

bb) Unter diesen Umständen war vor Ausspruch einer auf die erhobenen Vorwürfe gestützten Kündigung eine Abmahnung des Klägers nicht entbehrlich. Weder gibt es Anhaltspunkte für die Annahme, eine Abmahnung hätte eine Änderung im Verhalten des Klägers in der Zukunft nicht bewirken können, noch wiegt dessen Pflichtverletzung - nicht nur dienstlich veranlasste, sondern auch einige private Telefongespräche aus dem Operationssaal geführt zu haben - so schwer, dass selbst ihre einmalige Hinnahme der Beklagten objektiv unzumutbar wäre. Etwas anderes folgt - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht daraus, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme am 29. Mai 2008 verspätet zur Operation erschienen ist. Dies blieb ein vereinzelter Vorfall.

35

cc) Der Umstand, dass das Landesarbeitsgericht auf die mit dem Beweisbeschluss vom 2. Februar 2010 vorgesehene Einholung eines Sachverständigengutachtens zu Verhaltensanforderungen des medizinischen Personals bei Operationen, zum Einfluss des Bereithaltens von Mobiltelefonen auf medizinisch-technische Geräte und zu den Gefahren einer Insterilität des Telefons verzichtet hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

36

(1) Das Landesarbeitsgericht war nicht deshalb zur Beweiserhebung verpflichtet, weil es den entsprechenden Beweisbeschluss erlassen hat. Ein förmlicher Beweisbeschluss ist eine bloß prozessleitende Anordnung. Er ist für das Gericht nicht bindend (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 359 Rn. 1; Musielak/Stadler ZPO 9. Aufl. § 360 Rn. 2). Es kann vielmehr ganz oder teilweise von der Erledigung des Beschlusses absehen. Dessen formeller Aufhebung bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass dies - wie hier geschehen - im Urteil begründet wird (Zöller/Greger ZPO 29. Aufl. § 360 Rn. 1; Musielak/Stadler aaO).

37

(2) Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen nicht von einer Einholung des Gutachtens absehen dürfen, ist bereits unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO. Es fehlt an der Darlegung, welches Ergebnis das Gutachten voraussichtlich erbracht hätte und weshalb dieses Ergebnis zu einer anderen Entscheidung des Berufungsgerichts hätte führen können. Die Rüge ist überdies unbegründet. Auf die zunächst als erheblich angesehenen Beweisfragen kommt es für die Entscheidung nicht an. Die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung hängt nicht davon ab, ob und ggf. welche medizinisch relevanten Risiken mit der Benutzung von (Mobil-)Telefonen im Operationssaal und während laufender Operationen objektiv verbunden sind. Die Gerichte für Arbeitssachen haben im vorliegenden Zusammenhang nicht über die Einhaltung der Regeln der ärztlichen Kunst und der Hygiene im Hause der Beklagten zu urteilen. Zu entscheiden ist darüber, ob es der Beklagten unzumutbar ist, mit dem Kläger weiterhin zusammenzuarbeiten, weil dieser nicht nur dienstlich veranlasste Telefonate aus dem Operationssaal mit Arzt- und Mobiltelefon führte - was sie wusste und duldete -, sondern auch einige Privatgespräche. Dafür sind die im ursprünglichen Beweisbeschluss formulierten Fragen ohne Bedeutung.

38

B. Die Kündigung vom 26. September 2008 hat auch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung im Streitfall nicht ohnehin vertraglich ausgeschlossen war. Die Kündigung ist nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, den Kläger weiterzubeschäftigen und auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

39

C. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist ebenso wenig durch die Kündigungen vom 14. und 22. Oktober 2008 beendet worden. Die Vorinstanzen haben angenommen, das ihrer Begründung dienende Vorbringen der Beklagten sei unsubstantiiert und stütze den Kündigungsvorwurf nicht. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Verfahrensrügen hat die Beklagte in diesem Zusammenhang nicht erhoben.

40

D. Die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Rinck    

        

        

        

    F. Löllgen    

        

    Bartz    

                 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 7. Juli 2014 abgeändert (4 Ca 290/14).

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. März 2014 nicht beendet wurde.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtkräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Betriebsschlosser/Schlosser weiterzubeschäftigen.

4. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses nach der fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 13. März 2014.

2

Der 1960 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die einen landwirtschaftlichen Rinderhof betreibt, als Betriebsschlosser beschäftigt. Der Kläger arbeitet – unter wechselnden Arbeitgebern – seit 1986 auf diesem Rinderhof. In dem ersten Arbeitsvertrag – seinerzeit abgeschlossen mit dem VEG (P) F. – vom 6. Dezember 1985 ist zusätzlich eine Betriebszugehörigkeit seit 1977 anerkannt worden (Kopie dieses Arbeitsvertrags hier Blatt 34 f). Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers beträgt 40 Stunden und er hat zuletzt ein monatliches Bruttoeinkommen in Höhe von 1.711,00 EUR bezogen.

3

Am 7. März 2014 hat die Beklagte beim Kläger nach Hinweisen aus dem Kreis der Kollegen zum Feierabend hin, als der Kläger das Betriebsgelände verlassen wollte, eine Rucksackkontrolle durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, dass der Kläger in dem Rucksack einen 5-Liter-Kanister bei sich geführt hat, der mit Heizöl gefüllt war. Es ist unstreitig, dass das Heizöl aus einem der Heizölfässer der Beklagten stammt, die diese auf dem Rinderhof einsetzt.

4

Das Heizöl wird von der Beklagten zum Befeuern mobiler Heizgeräte benötigt, die zur Beheizung der Stallungen eingesetzt werden, vorrangig dann, wenn sich dort kein Vieh befindet und die Stallungen gesäubert werden. Auf dem Hof sind im Regelfall zwei Heizgeräte im Einsatz, es gibt zusätzlich Ersatzgeräte. Zum Betreiben der mobilen Heizungen gibt es auf dem Hof mehrere 200-Liter-Blech-Fässer (Tanks), an die bei Bedarf das Heizgerät angeschlossen wird. Die genaue Anzahl der vorhandenen Fässer konnte nicht geklärt werden, unstreitig gibt es jedenfalls mindestens doppelt so viele Fässer wie Heizgeräte auf dem Hof. Die Fässer werden im Regelfall in einer Garage gelagert.

5

Das Anschließen und Bewegen der Heizungen und der dazu gehörenden Fässer gehört zu den Arbeitsaufgaben des Klägers. In Ergänzung seines schriftlichen Vortrags hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht mitgeteilt, dass sich in den Heizöl-Fässern bei längerer Lagerhaltung Kondenswasser bilde, das sich unten im Fass absetze. Beim Einrichten der Heizung müsse man daher darauf achten, den Ansaugschlauch des Heizgerätes nie ganz bis zum Boden des Tanks zu führen, damit das Wasser nicht mit angesaugt werde. Werde versehentlich das Wasser mit angesaugt, führe das immer zu einem schnellen und vollständigen Verstopfen der Filter und Ventile und damit zu einem Ausfall der Heizgeräte. Der danach notwendige Säuberungsvorgang sei aufwendig. Aufgrund dieser Vorgehensweise hätten sich auf dem Hof einige Fässer gesammelt, die nicht mehr zum Heizen benutzt worden seien, da sich darin nur noch "verdorbenes" Heizöl, also mit Wasser zersetztes Heizöl, befunden habe. Dem ist der in der mündlichen Verhandlung anwesende Prokurist der Beklagten, der mit den betrieblichen Verhältnissen vor Ort vertraut ist, nicht entgegengetreten.

6

Am 13. März 2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31. Oktober 2014 (wegen der Einzelheiten wird auf das in Kopie zur Akte gereichte Kündigungsschreiben Bezug genommen, hier Blatt 8).

7

Die hiergegen vom Kläger angestrengte Kündigungsschutzklage, die der Kläger mit einem Weiterbeschäftigungsantrag für die Laufzeit des hiesigen Rechtsstreits verbunden hat, ist am 25. März 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen.

8

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat die Klage mit Urteil vom 7. Juli 2014 als unbegründet abgewiesen (4 Ca 290/14). Auf dieses Urteil wird wegen der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

9

Mit der Berufung, die keinen Zulässigkeitsbedenken unterliegt, verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

10

Der Kläger meint, ein Grund zur Kündigung liege nicht vor.

11

Der Kläger behauptet, er habe sich lediglich "verdorbenes" Heizöl, also mit Wasser zersetztes Heizöl, in den Kanister gefüllt. Er habe das Heizöl als "Brennhilfe" benötigt, um das Holz, das beim Frühjahrsschnitt der Gehölze und Bäume entstanden sei, besser verbrennen zu können. Er sei sich sicher gewesen, dass es sich um "verdorbenes" Heizöl gehandelt habe, da es in der Garage, wo die Fässer lagern, zwei Fässer gegeben habe, die nicht mehr in Benutzung waren, da sich darin nur "verdorbenes" Heizöl befunden habe.

12

Es sei zwar richtig, dass er in der Anhörung durch den Arbeitgeber am 7. März 2014 zugegeben habe, dass er bereits früher einmal Heizöl des Arbeitgebers für private Zwecke mitgenommen habe. Dazu müsse allerdings beachtet werden, dass der Vorfall schon etwa 20 Jahre zurückliege und daher für die hier streitige Kündigung keine Bedeutung mehr haben könne. Außerdem sei die Mitnahme von Heizöl seinerzeit durch Herrn R. genehmigt gewesen.

13

Eine Kündigung ohne vorausgehende Abmahnung komme für den vorliegenden Sachverhalt nicht in Betracht. Es wäre für die Beklagte ein Leichtes gewesen, ihn zunächst einmal darauf hinzuweisen, dass sie auch die Mitnahme von an sich wertlosen Gegenständen nicht wünsche. Allein dieser Hinweis hätte ausgereicht, um die hier vorliegende Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses zu beseitigen.

14

Für die Bewertung seines Verhaltens sei es auch ohne Bedeutung, dass es in jüngerer Vergangenheit angeblich schon einen ähnlichen Vorfall mit Diebstahl von Diesel gegeben habe. Er sei über die maßgeblichen Einzelheiten des seinerzeitigen Vorfalls nicht unterrichtet worden, weshalb man ihm keinen Vorwurf daraus machen könne, dass er sich die Folgen des Diebstahls für den Kollegen nicht habe zur Warnung gereichen lassen.

15

Im Rahmen der Interessenabwägung müsse mindestens seine Beschäftigungsdauer seit 1986 in der betriebsorganisatorischen Einheit berücksichtigt werden. Eigentlich müsste man sogar von einer Betriebszugehörigkeit bereits seit 1977 ausgehen, wie ihm dies Ende 1985 vertraglich zugesichert wurde. Während des gesamten Zeitraums seiner Beschäftigung bei der Beklagten hätte er sich niemals etwas zu Schulden kommen lassen. Selbst wenn man in seinem Verhalten einen Pflichtverstoß sehen würde, könne daher angesichts der Dauer der beiderseitigen Zusammenarbeit daraus nicht auf die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden.

16

Der Kläger beantragt,

17

unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils,

18

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.03.2014 beendet wird;

19

2. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Betriebsschlosser/Schlosser weiterzubeschäftigen.

20

Die Beklagte beantragt,

21

die Berufung zurückzuweisen.

22

Die Beklagte verteidigt das ergangene Urteil. Der Kläger habe versucht, der Beklagten Heizöl zu stehlen und er habe in der Anhörung eingeräumt, dies zum wiederholten Male getan zu haben. Damit liege ein Grund zur Kündigung vor. Es sei eine Schutzbehauptung, dass es sich bei dem Heizöl im Kanister um "verdorbenes" Heizöl gehandelt habe. In der Garage, in der er das Heizöl abgefüllt haben will, seien auch Fässer mit gutem Heizöl gelagert. Außerdem sei es eine Schutzbehauptung, wenn sich der Kläger im Rechtsstreit dahin einlasse, dass der in der Anhörung eingeräumte weitere Vorfall bereits 20 Jahre zurückliege, davon sei in der Anhörung keine Rede gewesen. Das gelte auch für die ergänzende Behauptung, die seinerzeitige Mitnahme von Heizöl sei von Herrn R. auf Seiten der Beklagten genehmigt gewesen.

23

Einer vorherigen Abmahnung hätte es nicht bedurft. Dies gelte im vorliegenden Fall schon deshalb, weil es einige Monate zuvor im Betrieb einen Vorfall wegen Diebstahl von Diesel gegeben habe, der mit einer Kündigung eines Kollegen des Klägers geendet habe (als Vorgang in dieser Allgemeinheit unstreitig). Der Vorfall sei auch vergleichbar gewesen, denn seinerzeit sei es um den Diebstahl von 20 Liter Diesel in einem Kanister gegangen. Ergänzend behauptet die Beklagte dazu, über den seinerzeitigen Vorfall sei im Betrieb viel geredet worden, so dass man davon ausgehen könne, dass auch der Kläger registriert habe, dass die Beklagte auf derartige Vorgänge mit einer Kündigung reagiere.

24

Bei der notwendigen Abwägung der beteiligten Interessen sei die sehr lange Betriebszugehörigkeit des Klägers zu seinen Gunsten berücksichtigt worden. Die Beklagte habe sich dennoch zur Kündigung entschlossen, da das Tatgeschehen auf ein planvolles Vorgehen des Klägers hindeute, denn er müsse den leeren Kanister von zu Hause mitgebracht haben. Damit scheide die Annahme einer Gelegenheitstat aus. Dieser Umstand in Verbindung mit dem auch dem Kläger bekannten nur wenige Monate zurückliegenden Vorfall wegen des Diesel-Diebstahls zeige, mit welcher kriminellen Energie sich der Kläger über die Gesetze zum Schutz des Eigentums der Beklagten hinwegsetze. Damit sei das notwendige Vertrauen für die weitere Zusammenarbeit zerstört.

25

Ergänzend habe die Beklagte berücksichtigt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits seit mehr als zwei Jahren nicht mehr unbelastet gewesen sei. Denn dem Kläger sei vor mehr als zwei Jahren der Führerschein wegen Fahrens unter Alkoholeinwirkung entzogen worden und der Kläger habe die Fahrerlaubnis bis heute nicht wieder zurückerhalten (insoweit unstreitig). Damit sei es nicht mehr möglich gewesen, den Kläger bei Not am Mann im Straßenverkehr einzusetzen. Ein Einsatz auf dem Feld wäre rechtlich zwar noch möglich gewesen, sei aber nur umständlich zu organisieren gewesen, da er dazu immer von weiteren Personen zum Feld und zum Feierabend von dort zurück habe transportiert werden müssen.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

27

Die klägerische Berufung ist begründet. Es liegt weder ein Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 BGB vor noch ein Grund zur ordentlichen Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Damit ist auch der ergänzend gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung während des Laufs des Kündigungsschutzprozesses begründet.

I.

28

Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 13. März 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund zur Kündigung im Sinne von § 626 Absatz 1 BGB.

29

Nach § 626 Absatz 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Seiten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

1.

30

Mit dem Arbeitsgericht geht auch das Landesarbeitsgericht davon aus, dass die Entwendung von Heizöl, das im Eigentum des Arbeitgebers steht, eine besonders schwere Pflichtverletzung durch einen Arbeitnehmer darstellt, die es erlaubt, eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung zu ziehen.

31

Durch die Schaffung eines Betriebes und durch die Einstellung von Arbeitnehmern für den Betrieb, schafft der Arbeitgeber zwangsläufig zahlreiche Gelegenheiten, sein Eigentum zu zerstören oder zu entwenden. Es gehört daher schon seit jeher zu den anerkannten Grundpflichten des Arbeitnehmers, die im Eigentum verkörperten Vermögenswerte des Arbeitgebers zu achten. Daraus folgt die arbeitsrechtliche Pflicht, Straftaten zu Lasten des Eigentums oder zu Lasten des Vermögens des Arbeitgebers zu unterlassen.

32

Gegen diese Pflicht hat der Kläger verstoßen. Am 7. März 2014 wurde er angetroffen, als er im Begriff war, das Betriebsgelände zum Feierabend hin mit dem Kanister Heizöl, das im Eigentum der Beklagten steht, im Rucksack zu verlassen. Damit hat er – auch im strafrechtlichen Sinne – versucht, einen Diebstahl zu Lasten seines Arbeitgebers zu begehen. Damit hat der Kläger zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Absatz 2 BGB) verletzt. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Absatz 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder sie zu einem nur geringfügigen oder gar keinem Schaden geführt hat (vgl. nur BAG 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – BAGE 134, 349 = AP Nr. 229 zu § 626 BGB = DB 2010, 2395).

2.

33

Bezieht man allerdings Art und Ausmaß des klägerischen Fehlverhaltens in die Betrachtung mit ein, kann ein wichtiger Grund zur Kündigung nicht erkannt werden. Zumindest ist die Beklagte in einem entscheidenden Punkt beweisfällig geblieben.

a)

34

Das Berufungsgericht muss im Ergebnis der mündlichen Verhandlung davon ausgehen, dass der Kläger versucht hat, "verdorbenes" Heizöl zu entwenden.

35

Der Kläger hat sich schon schriftsätzlich immer darauf bezogen, dass das von ihm zur privaten Verwendung vorgesehene Heizöl für die betrieblichen Zwecke nicht mehr brauchbar gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung hat er dazu auf den physikalischen Zusammenhang (Bildung von Kondenswasser im Tank) und auf den betrieblichen Umgang mit dem Problem (Nichtnutzung des letzten Rest Heizöls in jedem Fass) hingewiesen. Dem ist der in der mündlichen Verhandlung anwesende und mit den betrieblichen Verhältnissen vor Ort vertraute Prokurist der Beklagten nicht entgegengetreten. Damit sind diese Zusammenhänge unstreitig.

36

Zwischen den Parteien ist es außerdem unstreitig geblieben, dass diese fast leeren und für den Betrieb unbrauchbaren Heizölfässer nicht alle zeitnah fachgerecht entsorgt werden, sondern sich stets eine gewisse Anzahl von ihnen auf dem Betriebsgelände befindet. Schließlich ist unstreitig, dass in der Garage, in der der Kläger nach Beobachtung seiner Kollegen das Heizöl abgezapft hat, sowohl Fässer mit verwendbarem Heizöl befinden, wie auch Fässer mit nicht mehr verwendbarem Heizöl.

37

Die Beklagte hat für ihre Behauptung, der Kläger habe versucht, noch unverdorbenes Heizöl zu entwenden, keinen Beweis angetreten. Nach dem Stand der Aufklärung des Sachverhalts, wie er sich in der Gerichtsakte widerspiegelt, ist von Seiten der Beklagten auch nie versucht worden, der Frage näher nachzugehen, welche Qualität das Heizöl hatte, das sich in dem beim Kläger aufgefundenen Kanister befunden hatte.

38

Die Beweislast für den Umstand, dass der Kläger gebrauchsfähiges Heizöl zu entwenden versucht hat, liegt bei der Beklagten. Die Beklagte als Arbeitgeberin trägt die Beweislast für die Darlegung des Kündigungsgrundes. Dies ist für die ordentliche Kündigung des Arbeitgebers in § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG ausdrücklich so geregelt. Diese Beweislastregel gilt aber auch gleichermaßen für die außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - AP Nr. 240 zu § 626 BGB).

39

Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast darf sich der Arbeitgeber zunächst darauf beschränken, den objektiven Tatbestand einer Arbeitspflichtverletzung darzulegen. Will der Arbeitnehmer einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für sein Verhalten geltend machen, muss er dazu substantiiert vortragen. Darauf hat der Arbeitgeber substantiiert einzugehen. Gegebenenfalls ist Beweis zu erheben, wobei die objektive Beweislast beim Arbeitgeber verbleibt (vgl. nur BAG 3. November 2011 - 2 AZR 748/10 - AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 2012, 926 und BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 - BAGE 70, 262 = AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = DB 1992, 2446). Diese Regeln gelten gleichermaßen für sonstige entlastende Umstände, die der Arbeitnehmer vorträgt, die nicht das Gewicht von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen erreichen.

40

Wenn man den Umstand, dass es sich – nach Darstellung des Klägers – bei dem Heizöl in dem aufgefundenen Kanister um "verdorbenes" Heizöl gehandelt hat, hier einmal als einen entlastenden Umstand ansehen mag (Näheres dazu unten), gilt dieser Vortrag prozessual als unbestritten, denn die Beklagte hat dem nur die Behauptung des Gegenteils entgegengesetzt und hat keine ergänzenden Umstände vorgetragen, die das klägerische Vorbringen erschüttern. Zudem fehlt es an einem Beweisantritt der Beklagten für diese strittige Behauptung.

b)

41

Wenn man aufgrund des Sach- und Streitstandes davon ausgehen muss, dass der Kläger versucht hat, betrieblich nicht mehr nutzbares Heizöl zu entwenden, ist die ausgesprochene Kündigung unverhältnismäßig, denn es hätte ausgereicht, den Kläger durch Erteilung einer Abmahnung klar zu machen, dass die Beklagte auch eine solche Pflichtverletzung als so schwerwiegend ansieht, dass sie geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen.

42

Der Arbeitgeber darf das Arbeitsverhältnis nur dann mit Kündigung beenden, wenn es keine milderen Alternativen gibt, mit denen das entstandene Problem behoben werden kann. Es ist daher stets zu prüfen, ob das entstandenen Problem auch durch eine Abmahnung hätte beseitigt werden können. Beruht die Vertragspflichtverletzung – wie vorliegend – auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das künftige Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 10. Juni 2010 aaO).

43

Es kann nicht festgestellt werden, dass vorliegend der Ausspruch einer Abmahnung sinnlos gewesen wäre, weil feststeht, dass eine Verhaltensänderung auf Seiten des Klägers nicht zu erwarten steht. Positive Anhaltspunkte dafür sind nicht vorgetragen. Die Reaktion der Beklagten auf den Diesel-Diebstahl wenige Monate vor dem hier streitigen Vorfall macht die Abmahnung im vorliegenden Falle nicht überflüssig. Zum einen ist es spekulativ geblieben, in welchem Umfang der Kläger über die tatsächlichen Hintergründe der seinerzeitigen Kündigung des Kollegen überhaupt unterrichtet war. Zum anderen sieht das Gericht auch objektiv erhebliche Unterschiede zwischen beiden Vorfällen, so dass selbst bei unterstellter vollständiger Kenntnis des Klägers von den Umständen des Diesel-Diebstahls, aus der Pflichtverletzung des Klägers nicht auf dessen Unbelehrbarkeit geschlossen werden kann. Zum einen war der Diesel für die Beklagte im Gegensatz zum hier betroffenen verdorbenen Heizöl noch verwertbar. Zum andern hat der Diebstahl von Landwirtschafts-Diesel immer auch eine steuerstrafrechtliche Dimension, weshalb es verständlich ist, dass die Beklagte in diesen Dingen einen besonders strengen Maßstab anlegt.

44

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die hier streitige Pflichtverletzung so schwer ist, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist. Wirtschaftlich betrachtet war das Heizöl, dass der Kläger entwenden wollte, nicht nur für die Beklagte wertlos, da es im Betrieb nicht mehr verwendet werden könnte, es hatte sogar einen negativen Wert, denn es hätte nur unter Kostenaufwand fachgerecht entsorgt werden können. In einer solchen Situation ist es nicht vorhersehbar, dass der Arbeitgeber die formale Verletzung seines Eigentumsrechts gleich zum Anlass einer Kündigung nehmen würde. Vielmehr liegt es näher anzunehmen, den Arbeitnehmer im Rahmen einer Abmahnung – oder auch nur auf sonstige Weise – klar zu machen, dass man als Arbeitgeber trotz der wirtschaftlichen Wertlosigkeit des entwendeten Gutes, auch die formale Verletzung der Eigentümerrechte an sich als zur Kündigung geeigneten Vorfall ansehe.

45

Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte einen generellen Vertrauensverlust zum Kläger beklagt. Das Fehlverhalten beschränkt sich auf den Versuch, ein wirtschaftlich wertloses Gut des Arbeitgebers zu entwenden. Es gibt keine Grundlage für die Annahme, der Kläger neige generell dazu, seinen Arbeitgeber durch Diebstahl oder ähnliche Verhaltensweisen zu schädigen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Kläger im Rahmen der Anhörung vor Ausspruch der Kündigung eingeräumt haben soll, dass er bereits früher einmal Heizöl mitgenommen habe. Die Beklagte hat diesen vorangegangenen Pflichtenverstoß des Klägers nicht weiter aufgeklärt und in den Rechtsstreit eingeführt, so dass mögliche Spekulationen zu diesem Vorfall auf sich beruhen können.

3.

46

Auch die Belastung, die das Arbeitsverhältnis in den letzten Jahren durch den alkoholbedingten Führerscheinentzug des Klägers – und seine sich andeutende Alkoholabhängigkeit - erlitten hat, macht für die Beklagte das weitere Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht unzumutbar.

47

Die Beklagte hat zu diesem Themenkomplex keine weiteren Einzelheiten vorgetragen, so dass nicht festgestellt werden kann, dass die Alkoholprobleme des Klägers und die betrieblichen Probleme, die aus der fehlenden Fahrerlaubnis resultieren, die Kündigung auch ohne den Vorfall mit dem Heizöl rechtfertigen könnten. Wenn aber weder der Heizölvorfall noch die Alkoholprobleme für sich geeignet sind, die Kündigung zu rechtfertigen, können sie diese auch bei gemeinsamer Betrachtung nicht rechtfertigen.

II.

48

Auch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. März 2014 zum 31. Oktober 2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Denn es kann die soziale Rechtfertigung dieser Kündigung im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG nicht festgestellt werden.

49

Wenn schon die außerordentliche Kündigung vorliegend nicht begründet ist, weil es ausgereicht hätte, den Kläger abzumahnen, gilt dies erst Recht für die ordentliche Kündigung. Wegen der Einzelheiten kann daher auf die Ausführungen oben zu I. verwiesen werden.

III.

50

Da der Kläger mit seinem Kündigungsschutzantrag obsiegt hat, hat er auch einen Anspruch auf weitere Beschäftigung gegen die Beklagte für die weitere Laufzeit des Kündigungsschutzprozesses.

IV.

51

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte, da der Kläger obsiegt hat (§ 91 ZPO).

52

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

2

Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.

3

Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.

4

Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.

5

Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.

6

Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.

7

Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.

8

Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.

9

Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.

10

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.

11

Die Klägerin hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

15

A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

16

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).

17

II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).

18

III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.

19

1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.

20

a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.

21

b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.

22

c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.

23

aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

24

bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.

25

2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.

26

a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

27

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.

28

c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).

29

d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).

30

e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

31

f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.

32

3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.

33

a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.

34

b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

35

c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).

36

aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

37

bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).

38

cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).

39

d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.

40

aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.

41

bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.

42

(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.

43

(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.

44

cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.

45

(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.

46

(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.

47

(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.

48

(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.

49

(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.

50

(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.

51

(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.

52

(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).

53

(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.

54

(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.

55

(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.

56

(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.

57

(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.

58

B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

59

C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.

        

    Kreft    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

    Berger    

        

        

        

    Torsten Falke    

        

    Bartz    

                 

(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(2) Die Kündigung eines Mitglieds einer Personalvertretung, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder einer Jugendvertretung ist unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit der in Satz 1 genannten Personen ist ihre Kündigung innerhalb eines Jahres, vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.

(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und daß die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, daß Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

(3a) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Abs. 3, § 17a Nr. 3 Satz 2, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes einlädt oder die Bestellung eines Wahlvorstands nach § 16 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 4, § 17a Nr. 4, § 63 Abs. 3, § 115 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 oder § 116 Abs. 2 Nr. 7 Satz 5 des Betriebsverfassungsgesetzes beantragt, ist vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; der Kündigungsschutz gilt für die ersten sechs in der Einladung oder die ersten drei in der Antragstellung aufgeführten Arbeitnehmer. Wird ein Betriebsrat, eine Jugend- und Auszubildendenvertretung, eine Bordvertretung oder ein Seebetriebsrat nicht gewählt, besteht der Kündigungsschutz nach Satz 1 vom Zeitpunkt der Einladung oder Antragstellung an drei Monate.

(3b) Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der Vorbereitungshandlungen zur Errichtung eines Betriebsrats oder einer Bordvertretung unternimmt und eine öffentlich beglaubigte Erklärung mit dem Inhalt abgegeben hat, dass er die Absicht hat, einen Betriebsrat oder eine Bordvertretung zu errichten, ist unzulässig, soweit sie aus Gründen erfolgt, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Der Kündigungsschutz gilt von der Abgabe der Erklärung nach Satz 1 bis zum Zeitpunkt der Einladung zu einer Betriebs-, Wahl- oder Bordversammlung nach § 17 Absatz 3, § 17a Nummer 3 Satz 2, § 115 Absatz 2 Nummer 8 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes, längstens jedoch für drei Monate.

(4) Wird der Betrieb stillgelegt, so ist die Kündigung der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung zulässig, es sei denn, daß ihre Kündigung zu einem früheren Zeitpunkt durch zwingende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.

(5) Wird eine der in den Absätzen 1 bis 3a genannten Personen in einer Betriebsabteilung beschäftigt, die stillgelegt wird, so ist sie in eine andere Betriebsabteilung zu übernehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen nicht möglich, so findet auf ihre Kündigung die Vorschrift des Absatzes 4 über die Kündigung bei Stillegung des Betriebs sinngemäß Anwendung.

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 2. November 2010 - 5 Sa 105/10 - teilweise aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 8. Februar 2010 - 5 Ca 966/09 - wird insgesamt zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Revisionsverfahren noch über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch eine - nach Umdeutung durch das Landesarbeitsgericht - ordentliche Kündigung der Beklagten.

2

Der Kläger war bei der Beklagten seit August 1995 als Lagerarbeiter und Staplerfahrer beschäftigt. Er war Mitglied des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats. Nach dessen Zustimmung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 28. April 2009 fristlos, da er seine Arbeit unter Alkoholeinfluss aufgenommen habe. Mit Schreiben vom 30. April 2009 kündigte sie - ebenfalls mit Zustimmung des Betriebsrats - erneut fristlos wegen eines entsprechenden Verdachts.

3

Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat beantragt

        

1.    

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 28. und 30. April 2009 nicht aufgelöst worden ist;

        

2.    

die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als „Lagerarbeiter“ weiterzubeschäftigen.

4

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Kündigung vom 28. April 2009 für wirksam gehalten. Der Kläger sei wiederholt unter Alkoholeinfluss zur Arbeit erschienen. Jedenfalls die Kündigung vom 30. April 2009 sei wegen eines entsprechenden Verdachts gerechtfertigt.

5

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentlichen Kündigungen vom 28. und 30. April 2009 nicht beendet worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, soweit es Gegenstand der Revision ist, und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die - unwirksame - außerordentliche Kündigung vom 30. April 2009 könne in eine ordentliche Kündigung zum 30. September 2009 umgedeutet werden.

7

I. Gegenstand der Revision ist das Berufungsurteil insoweit, wie es auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen hat. Dies betrifft den Kündigungsschutzantrag, soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. April 2009 mit Ablauf des 30. September 2009 beendet worden und es die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung vom 28. April 2009 hat dahinstehen lassen, sowie den Weiterbeschäftigungsantrag. Im Übrigen, soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, das Arbeitsverhältnis sei nicht durch die außerordentlichen fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 28. und 30. April 2009 beendet worden, ist die Entscheidung rechtskräftig.

8

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht mit dem 30. September 2009 geendet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist eine Umdeutung der außerordentlichen fristlosen (Verdachts-)Kündigung vom 30. April 2009 gem. § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung nicht möglich. Gegenüber dem Kläger als Betriebsratsmitglied ist gem. § 15 KSchG sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist aus Gründen in seinem Verhalten ausgeschlossen.

9

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, für die außerordentlichen Kündigungen vom 28. und 30. April 2009 habe ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorgelegen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei jedoch durch ordentliche Kündigung vom 30. April 2009 mit Ablauf der Kündigungsfrist zu Ende September 2009 beendet worden. Die außerordentliche (Verdachts-) Kündigung vom 30. April 2009 sei gem. § 140 BGB in eine aus verhaltensbedingten Gründen iSv. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigte ordentliche Kündigung umzudeuten. Dem stehe § 15 Abs. 1 KSchG nicht entgegen.

10

2. Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

11

a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Voraussetzung ist damit das Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Dem Arbeitgeber muss die Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sein (BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 18, BAGE 125, 267).

12

b) Eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist ist gem. § 15 KSchG gegenüber dem geschützten Personenkreis unzulässig(BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 27 ff., BAGE 125, 267). Kommt eine Vertragspflichtverletzung in Betracht, ist für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber iSv. § 15 Abs. 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund zur Kündigung berechtigen, auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Beschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam. Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ist gegenüber dem durch § 15 KSchG geschützten Personenkreis ausgeschlossen(BAG 12. Mai 2010 - 2 AZR 587/08 - Rn. 17, AP KSchG 1969 § 15 Nr. 67 = EzA KSchG § 15 nF Nr. 67; 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 25 ff., BAGE 125, 267). Ebenso ist eine vom Landesarbeitsgericht nach Umdeutung für möglich gehaltene ordentliche Kündigung gegenüber dem nach § 15 KSchG geschützten Personenkreis unzulässig.

13

aa) Die Zulassung einer auf Gründe im Verhalten gestützten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist und erst recht die Zulassung einer ordentlichen Kündigung gegenüber dem nach § 15 KSchG geschützten Personenkreis kommt nicht in Betracht. Sie würde die kündigungsrechtlichen Grenzen zwischen den kündbaren und den geschützten Arbeitnehmern verwischen. Sie führte in Fällen, in denen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zwar bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist, nicht aber bis zum Auslaufen des Sonderkündigungsschutzes zumutbar ist, zur Zulässigkeit einer Kündigung, die im Ergebnis der - ausgeschlossenen - ordentlichen Kündigung gleichkäme. Sie stellte damit für diese Fallgruppe das unkündbare Mitglied des Betriebsrats mit dem kündbaren Arbeitnehmer gleich. Sinn des Gesetzes ist es dagegen, das Betriebsratsmitglied mit Rücksicht auf seine besondere Stellung - abgesehen von den Fällen des § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG - von der Bedrohung durch eine ordentliche Kündigung auszunehmen. Bei Zulassung einer verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist oder ordentlichen Kündigung würde sich deshalb gerade die Gefahr realisieren, der der Gesetzgeber durch die Schaffung des § 15 KSchG begegnen wollte(BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 28, BAGE 125, 267; vgl. auch Bröhl Die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist S. 45; im Ergebnis ebenso KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 133; APS/Linck 4. Aufl. § 15 KSchG Rn. 129a; Eylert/Sänger RdA 2010, 24, 28; aA: KR/Etzel 9. Aufl. § 15 KSchG Rn. 22, 23; HWK/Quecke 2. Aufl. § 15 KSchG Rn. 43). Die durch § 15 KSchG bezweckte Sicherung der Unabhängigkeit der Mandatsträger und der Kontinuität der Betriebsratsarbeit erfordert bei verhaltensbedingten Kündigungen den vollen Schutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG(vgl. APS/Linck aaO). § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG verlangt das Vorliegen von Gründen, die zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Dies schließt es aus, bei der Zumutbarkeitsprüfung einen anderen Maßstab anzulegen und statt auf die Dauer der Kündigungsfrist auf die voraussichtlich verbleibende Amtszeit des Betriebsratsmitglieds (nebst Nachwirkungszeitraum) abzustellen (so aber KR/Etzel aaO; HWK/Quecke aaO).

14

bb) Soweit der Senat die Zulässigkeit einer Änderungskündigung mit Auslauffrist aus betrieblichen Gründen auch gegenüber Betriebsratsmitgliedern bejaht hat (vgl. BAG 21. Juni 1995 - 2 ABR 28/94 - BAGE 80, 185), ist diese Konstellation mit der vorliegenden nicht vergleichbar. Das Gesetz zeigt in § 15 Abs. 4 und Abs. 5 KSchG, dass der Sonderkündigungsschutz im Falle betriebsbedingter Umstände von vornherein eingeschränkt ist. Das beruht darauf, dass das Betriebsratsmitglied von solchen Umständen nicht allein und nur als solches betroffen ist. Dagegen realisiert sich bei verhaltensbedingten Kündigungen nicht das - letztlich alle Betriebsangehörigen gleich treffende - Betriebsrisiko, sondern es verwirklichen sich auf die einzelne Person bezogene Gefährdungen des Vertragsverhältnisses (BAG 17. Januar 2008 - 2 AZR 821/06 - Rn. 29, BAGE 125, 267).

15

cc) Der vom Landesarbeitsgericht angestellte Vergleich mit Arbeitnehmern, die aus anderen Gründen ordentlich unkündbar sind, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

16

(1) Zwar hat es der Senat für möglich gehalten, das Arbeitsverhältnis eines aufgrund tariflicher Regelung ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers auch aus Gründen in seinem Verhalten außerordentlich - mit einer der fiktiven Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist - zu kündigen, obwohl ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht bejaht werden könnte, wäre die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen(vgl. BAG 15. November 2001 - 2 AZR 605/00 - zu II 5 der Gründe, BAGE 99, 331; 13. April 2000 - 2 AZR 259/99 - zu II 3 d cc der Gründe, BAGE 94, 228; 11. März 1999 - 2 AZR 427/98 - zu B II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 150 = EzA BGB § 626 nF Nr. 177). Unabhängig davon, ob hieran festzuhalten ist, können die dem zugrunde liegenden Erwägungen auf den nach § 15 KSchG geschützten Personenkreis nicht übertragen werden.

17

(2) Gegen die erwähnte Rechtsprechung bestehen Bedenken.

18

(a) Eine außerordentliche Kündigung gegenüber tariflich nicht ordentlich kündbaren Personen ist zunächst beim Vorliegen betrieblicher Gründe für zulässig erachtet worden, obwohl es dem Arbeitgeber zumutbar gewesen wäre, die ordentliche Kündigungsfrist einzuhalten (vgl. BAG 28. März 1985 - 2 AZR 113/84 - zu B III 2 a der Gründe, BAGE 48, 220; 5. Februar 1998 - 2 AZR 227/97 - zu II 3 b der Gründe, BAGE 88, 10; 12. August 1999 - 2 AZR 748/98 - zu B II 2 der Gründe, AP SchwbG 1986 § 21 Nr. 7 = EzA SchwbG 1986 § 21 Nr. 10). Führt gerade der Ausschluss der ordentlichen Kündigung zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers, weil dieser den Arbeitnehmer zwar nicht mehr beschäftigen kann, aber für lange Zeit zur Zahlung des vereinbarten Entgelts verpflichtet bleibt, kann ausnahmsweise auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein (BAG 28. März 1985 - 2 AZR 113/84 - zu B III 2 b der Gründe, aaO; 5. Februar 1998 - 2 AZR 227/97 - zu II 3 b und d der Gründe, aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 748/98 - aaO). In diesem Fall ist zur Vermeidung einer Benachteiligung der durch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung gerade besonders geschützten Arbeitnehmer zwingend eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten (vgl. BAG 28. März 1985 - 2 AZR 113/84 - zu B IV 1 der Gründe, aaO; 5. Februar 1998 - 2 AZR 227/97 - zu II 3 c der Gründe, aaO; 12. August 1999 - 2 AZR 748/98 - aaO).

19

(b) Ähnlich ist die Interessenlage bei einer krankheitsbedingten Kündigung. Ist eine ordentliche Kündigung möglich, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist regelmäßig zumutbar; eine außerordentliche Kündigung - mit notwendiger Auslauffrist - kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn eine ordentliche Kündigung einzel- oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist (BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu II 3 der Gründe, BAGE 96, 65).

20

(c) Anders liegen die Dinge bei einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung. Für die Reaktion auf Pflichtverstöße des Arbeitnehmers besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kündigung. Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist insoweit nicht etwa grundsätzlich ausgeschlossen. Vielmehr bildet die Schwere der Pflichtverletzung - unter Berücksichtigung aller sonstigen relevanten Einzelfallumstände - den Maßstab für die Prüfung, ob eine ordentliche, eine außerordentliche oder gar keine Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, 37, BAGE 134, 349 ). Ist die Schwelle zum wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB überschritten, ist eine außerordentliche - fristlose - Kündigung zulässig, ohne dass es darauf ankäme, ob die ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist oder nicht. Ist die Schwelle zum wichtigen Grund nicht erreicht, kann eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein. Gegenüber einem ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmer ist diese aber ausgeschlossen. Pflichtverletzungen, die nicht zur sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses berechtigen, sollen eine (ordentliche) Kündigung gerade nicht rechtfertigen können. Es erscheint deshalb zweifelhaft, ob es mit dem Zweck der ordentlichen Unkündbarkeit zu vereinbaren ist, bei weniger schweren Pflichtverletzungen eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zu ermöglichen, die der ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung letztlich gleichkommt.

21

(3) Im Streitfall kann dies dahinstehen. Der vom Landesarbeitsgericht angestellte Vergleich der nach § 15 KSchG geschützten Mandatsträger mit einzel- oder tarifvertraglich nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmern lässt den Zweck des Kündigungsschutzes gem. § 15 KSchG außer Acht. Durch den Sonderkündigungsschutz nach dieser Bestimmung soll vermieden werden, dass die geschützten Personen ihr (Betriebsrats-)Mandat nicht sachangemessen wahrnehmen. Zugleich soll die Zusammensetzung des betreffenden Gremiums und damit die Kontinuität der Betriebsratsarbeit gewahrt bleiben. Dies erfordert mit Blick auf Gründe im Verhalten des Mandatsträgers den vollen Schutz nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG(vgl. APS/Linck 4. Aufl. § 15 KSchG Rn. 129a). Die geschützten Personen sollen mit Rücksicht auf ihre besondere Stellung von der Bedrohung durch eine ordentliche Kündigung - abgesehen von den Fällen des § 15 Abs. 4, Abs. 5 KSchG - ausgenommen werden. Das schließt es aus, eine außerordentliche fristlose Kündigung aus Gründen im Verhalten des Mandatsträgers, die als solche unwirksam ist, in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist oder gar - wie das Landesarbeitsgericht im Streitfall - in eine ordentliche Kündigung umzudeuten.

22

3. Das Landesarbeitsgericht hat sich mit einer Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen fristlosen (Tat-)Kündigung vom 28. April 2009 - aus seiner Sicht konsequent - nicht auseinandergesetzt. Sie scheidet aus den dargelegten Gründen ebenfalls aus.

23

III. Der Weiterbeschäftigungsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an. Er ist auf eine Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits gerichtet. Dieser ist rechtskräftig abgeschlossen.

24

IV. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat gem. § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO die Beklagte zu tragen.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Rachor    

        

        

        

    Krichel    

        

    Pitsch    

                 

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 14. November 2012 - 2 Sa 9/12 - im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, wie es das Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven vom 22. November 2011 - 4 Ca 4214/10 - teilweise abgeändert und festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10. Februar 2010 nicht zum 30. September 2010 aufgelöst worden ist.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

2

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Stahlindustrie. Der 1959 geborene Kläger war seit Ende Juni 1989 bei ihr tätig. Im Juli 2008 wurde er als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Im Arbeitsvertrag ist vereinbart, dass der Kläger in der Kaltwalzwerk-Adjustage als Packer, ggf. auch in anderen Betrieben/Abteilungen und mit anderen zumutbaren Arbeiten beschäftigt wird, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen.

3

Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg, Niederschelden und Wissen vom 15. März 1989 (MTV) idF vom 20. Juni 2000 Anwendung. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:

        

„§ 17 

        

Einstellung, Kündigung

        

…       

        

6.2     

Einem Arbeitnehmer, der das 50. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb oder Unternehmen mindestens 15 Jahre angehört, kann nur noch aus in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegendem wichtigen Grund oder bei Vorliegen eines Sozialplans oder bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien gekündigt werden.

        

…       

        
        

8.    

Im übrigen gelten für ordentliche Kündigungen die gesetzlichen Bestimmungen. Die gesetzlichen Bestimmungen über fristlose Kündigungen bleiben unberührt.“

4

Der Kläger arbeitete bis Ende Oktober 1993 als Packer und Vorbereiter bei der Verpackung von Feinblech als Coils. Nach Vorlage eines ärztlichen Attests, dem zufolge er die Tätigkeit nicht mehr ausüben dürfe, wurde er bis 2003 als sog. Haspelgrubenmann beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit traten zunehmend krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Werksärztliche Überprüfungen ergaben, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers stetig verschlechterte - bedingt durch psychische und physische Belastungen. Sie mündeten in die Empfehlung, der Kläger solle keine Teile von mehr als zehn Kilo Gewicht heben und keine Hitzearbeit leisten.

5

Eine Einarbeitung des Klägers zum sog. Flämmereimann wurde auf seinen Wunsch hin im Mai 2004 abgebrochen. Im Juni 2004 wurde er in den Dienstleistungsbereich VDD1 - Industrieservice - versetzt, dem er bis zuletzt zugeordnet war. Dort beschäftigte, überwiegend in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkte Arbeitnehmer rotieren in leicht erlernbaren Aufgabenstellungen: Baustelleneinrichtung, Transporte/Umräumarbeiten/Fahrdienst, Gebäudereinigung/-renovierung, Sicherheitspersonal, Helfer, Kran- und Tankreinigung, Bodenversiegelung/-reinigung, Maurerarbeiten (leichte)/Stemmarbeiten und industrielle Reinigung.

6

Ein im Jahr 2004 unternommener Versuch der Beklagten, den Kläger zum Fahrer eines Flurförderfahrzeugs zu qualifizieren, schlug fehl, da er die Prüfung nicht bestand. Ab dem Jahr 2006 wurde ihm trotz diverser gesundheitlicher Einschränkungen eine Tätigkeit innerhalb der Gebäudereinigung zugewiesen, die er zunächst im Rahmen einer gestuften Wiedereingliederung ausführte. Der Kläger empfand die Arbeit als zu schwer. Der Einsatz wurde von seinem Vorgesetzten als „nicht erfolgreich“ bewertet.

7

In der Folgezeit unternahm die Beklagte zwei weitere Male - nach einer Reha-Maßnahme und im Anschluss an eine teilstationäre Therapie - erfolglos den Versuch, den Kläger wiedereinzugliedern, ua. mit dem Ziel, ihn erneut in der Coilverpackung einzusetzen. Aus einer weiteren Reha-Maßnahme, die er vom 25. August 2009 bis zum 6. Oktober 2009 durchführte, wurde der Kläger mit der Empfehlung eines Einsatzes in der „Eingliederungswerkstatt“ entlassen. Im ärztlichen Bericht vom 14. Oktober 2009 heißt es, der Kläger könne die ihm übertragene Tätigkeit als Industriereiniger nicht mehr ausüben, da ansonsten mit einer psychischen Dekompensation zu rechnen sei. Mittelschwere bis teilweise schwere Arbeiten seien vollschichtig mit folgenden Einschränkungen möglich: „Keine Tätigkeit mit besonderen Anforderungen an Konzentrations- und Reaktionsvermögen, vor allem keine Personenbeförderung, keine Tätigkeiten mit erhöhter psychischer und Stressbelastung. Keine Nachtschichten. Keine Arbeiten mit besonderem Zeit- und Leistungsdruck (Akkord oder Fließband). Keine häufigen wechselnden Arbeitszeiten.“

8

Im Rahmen der nachfolgenden Wiedereingliederungsmaßnahme übertrug die Beklagte dem Kläger Reinigungsarbeiten. Mit der Begründung, die Tätigkeit tue ihm gesundheitlich nicht gut, bat dieser um Zuweisung einer anderen Aufgabe. Das lehnte die Beklagte - nach Einschaltung des Werksarztes - ebenso ab wie den Wunsch des Klägers nach einer erneuten gestuften Wiedereingliederung. Nach einer sich anschließenden, bis zum 6. Januar 2010 währenden Arbeitsunfähigkeit setzte sie den Kläger nicht mehr ein und leistete auch keine Vergütung mehr.

9

Mit Schreiben vom 10. Februar 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien - mit Zustimmung des Integrationsamts sowie nach Anhörung des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung - außerordentlich mit einer Auslauffrist zum 30. September 2010.

10

Der Kläger hat mit seiner fristgerecht erhobenen Klage geltend gemacht, die Kündigung sei mangels wichtigen Grundes unwirksam. Er sei im Kündigungszeitpunkt arbeitsfähig gewesen. Im Übrigen sei eine außerordentliche Kündigung - auch eine solche mit Auslauffrist - wegen der im MTV vorgesehenen Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien unverhältnismäßig.

11

Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10. Februar 2010 nicht aufgelöst worden ist.

12

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. Den Regelungen in § 17 Nr. 6.2 MTV sei nicht zu entnehmen, dass eine ordentliche Kündigung mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien gegenüber der außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vorrangig sei. Ein wichtiger Grund liege vor. Der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Eine Möglichkeit, ihn anderweitig zu beschäftigen, habe nicht bestanden. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement habe sie mehrfach durchgeführt. Bemühungen zur Wiedereingliederung des Klägers, um ihn leidensgerecht in der Gebäudereinigung zu beschäftigen, seien erfolglos geblieben. Andere geeignete Arbeitsplätze seien nicht vorhanden gewesen. Für die Jahre 2004 bis 2009 habe sie Entgeltfortzahlung in Höhe von knapp 27.000,00 Euro zuzüglich Sozialversicherungsbeiträge geleistet.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage - nach Einholung eines Sachverständigengutachtens - abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der von ihm gegebenen Begründung durfte dieses der Klage nicht stattgeben.

15

I. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts verletzt § 626 BGB, § 17 Nr. 6.2 MTV. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 10. Februar 2010 aufgelöst worden ist, steht noch nicht fest.

16

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund außerordentlich gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dem entspricht die Regelung in § 17 Nr. 6.2 MTV, soweit ihr zufolge Arbeitnehmern „nur noch aus in der Person oder im Verhalten … liegendem wichtigen Grund“ gekündigt werden darf. Verwendet ein Tarifvertrag den Ausdruck „wichtiger Grund“, ist regelmäßig davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ihn iSd. § 626 BGB verstanden wissen wollen(BAG 26. März 2009 - 2 AZR 879/07 - Rn. 29; 27. November 2003 - 2 AZR 601/02 - zu B I 5 a der Gründe). Der Umstand, dass gemäß § 17 Nr. 8 MTV das Recht zur fristlosen Kündigung „unberührt“ bleibt, steht dieser Bewertung nicht entgegen.

17

2. Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Regelmäßig ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 26; 18. Oktober 2000 - 2 AZR 627/99 - zu II 3 der Gründe, BAGE 96, 65).

18

3. Das Arbeitsverhältnis ist ein auf stetigen Leistungsaustausch gerichtetes Rechtsverhältnis (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - BAGE 136, 213). Ist der Leistungsaustausch auf Dauer umfassend gestört, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner Erkrankung auf unabsehbare Zeit keine Arbeitsleistung mehr erbringen wird, kann eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt sein. Deren Unwirksamkeit kann sich dann in der Regel nur noch aus der Abwägung der wechselseitigen Interessen ergeben (vgl. BAG 12. April 2002 - 2 AZR 148/01 - zu II 5 c der Gründe, BAGE 101, 39).

19

4. Danach hält die angefochtene Entscheidung einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die erklärte außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist sei schon deshalb unwirksam, weil der Beklagten als „milderes Mittel“ die ordentliche Kündigung mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien zur Verfügung gestanden habe.

20

a) Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts geht schon deshalb fehl, weil § 17 Nr. 6.2 MTV bei Vorliegen seiner Voraussetzungen eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers ausnahmslos ausschließt. Die Bestimmung lässt darauf gestützte Kündigungen nur aus „wichtigem Grund“ zu. Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ besteht nur, wenn dringende betriebliche Erfordernisse den Kündigungsgrund bilden. Das ergibt die Auslegung. Wegen des normativen Charakters von Tarifregelungen folgt diese den für Regelungen von Gesetzen geltenden Grundsätzen (BAG 17. Oktober 2007 - 4 AZR 1005/06 - Rn. 40, BAGE 124, 240; 30. Mai 2006 - 1 ABR 21/05 - Rn. 29 mwN).

21

aa) Bereits der Wortlaut und der Gesamtzusammenhang der Bestimmung sprechen dafür, dass die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien nur bei betrieblichen Gründen - in spezifischen Fällen - eröffnet bleibt.

22

(1) Die Tarifvertragsparteien schränken in § 17 Nr. 6.2 MTV das Kündigungsrecht des Arbeitgebers ein. Sie benennen im Rahmen dreier Tatbestände die Voraussetzungen, unter denen die Arbeitsverhältnisse von Arbeitnehmern im Alter von mindestens 50 Jahren und mit einer Betriebszugehörigkeit von mindestens 15 Jahren gekündigt werden können. Zulässig sind Kündigungen „aus in der Person oder im Verhalten … liegendem wichtigen Grund“. Um dieser Anforderung zu genügen, muss der zugrunde liegende Sachverhalt dem Erheblichkeitsgrad des § 626 Abs. 1 BGB genügen. Die beiden nachfolgend aufgeführten Tatbestände „bei Vorliegen eines Sozialplans“ und „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ stellen keine besonderen Anforderungen an das Gewicht des Kündigungsgrundes. In beiden Fällen soll die ordentliche Kündigung (weiterhin) möglich sein. „Unberührt“ von diesen Regelungen bleibt, wie sich aus § 17 Nr. 8 MTV ergibt, das Recht zur fristlosen Kündigung.

23

(2) Dadurch kommt zweierlei zum Ausdruck. Zum einen wird - durch die Worte „nur noch“ - das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung ausgeschlossen, soweit es nicht ausdrücklich für bestimmte Sachverhalte eröffnet ist. Zum anderen sind Kündigungen aus Gründen in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers insoweit einem besonderen Regime unterworfen, als das Arbeitsverhältnis in diesen Fällen nur „aus wichtigem Grund“ gekündigt werden kann. Dies legt sprachlich-syntaktisch die Annahme nahe, dass sich die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung auf betriebliche Gründe beschränkt. Das wird systematisch insoweit unterstützt, als die Kündigung „bei Vorliegen eines Sozialplans“ einen betrieblichen Anlass voraussetzt. Ein Sozialplan dient nach § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich oder der Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die Arbeitnehmern infolge einer geplantenBetriebsänderung entstehen.

24

bb) Zwar nimmt die in der Bestimmung vorgesehene Möglichkeit der ordentlichen Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ nicht in gleicher Weise auf betriebliche Gründe Bezug. Es ist deshalb sprachlich nicht völlig ausgeschlossen, sie in diesem Fall auch auf Gründe in der Person und im Verhalten des Arbeitnehmers zu beziehen. Sinn und Zweck der Tarifregelung sprechen aber gegen ein solches Verständnis.

25

(1) Die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ wurde im Jahr 1995 vor dem Hintergrund sozialversicherungsrechtlicher Regelungen zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Entlassungsentschädigung (jetzt § 158 SGB III, vormals § 143a SGB III aF und davor § 117 AFG)in den Tarifvertrag eingefügt. Nach den einschlägigen Vorschriften des SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn der Arbeitnehmer ohne Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet und ihm wegen der Beendigung eine Abfindung gezahlt wird, bis zu dem Tag, an dem das Arbeitsverhältnis bei Einhaltung der Kündigungsfrist geendet hätte. Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei zeitlich unbegrenztem Ausschluss eine (fiktive) verlängerte Kündigungsfrist von 18 Monaten. In Fällen, in denen dem Arbeitnehmer - etwa aufgrund eines Tarifvertrags - ausschließlich bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden kann, ruht der Anspruch bis zum Ablauf einer (fiktiven) Kündigungsfrist von einem Jahr (§ 158 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 1, Satz 4 SGB III, § 143a Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 1, Satz 4 SGB III aF und davor § 117 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Nr. 1, Satz 4 AFG). Dies gilt auch für den Fall, dass aus Anlass einer Betriebsänderung eine Abfindung aus einem Sozialplan gezahlt wird (bspw. BSG 24. Mai 2006 - B 11a AL 21/05 R - Rn. 14; zum Ganzen auch ErfK/Rolfs 14. Aufl. § 158 SGB III Rn. 24 ff.). Die fiktive Kündigungsfrist greift nur dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber - die ordentliche (tarifliche) Kündigungsmöglichkeit bei Entlassungsentschädigung hinweggedacht - zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist berechtigt gewesen wäre, weil mangels anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit eine Lohnfortzahlung über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus zu einer unzumutbaren Belastung des Arbeitgebers geworden wäre. In solchen Fällen ist entsprechend § 158 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III(§ 143a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB III aF und davor § 117 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 AFG)die Kündigungsfrist zugrunde zu legen, die gegolten hätte, wenn die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen gewesen wäre (BSG 29. Januar 2001 - B 7 AL 62/99 R - BSGE 87, 250).

26

(2) Diesen sozialrechtlichen Folgen trägt die „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ eröffnete Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung Rechnung. Sie ist dem erkennbaren Bemühen der Tarifvertragsparteien geschuldet, ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Gewährung einer Entlassungsentschädigung zu vermeiden (zu einer ähnlichen Tarifregelung vgl. Weiss Kommentar zum EMTV 5. Aufl. § 20 Anm. 13). Bis zu ihrer Einführung ließ § 17 Nr. 6.2 MTV die Kündigung lediglich „aus einem in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden wichtigen Grund“ oder „bei Vorliegen eines Sozialplans“ zu. Die zusätzlich eröffnete Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung zielt ersichtlich darauf, den sich aus § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III bzw. den entsprechenden Vorläuferregelungen ergebenden Folgen bei Entlassungsentschädigungen auf der Grundlage eines Sozialplans auszuschließen. Dagegen fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten „bei ihrer Zustimmung“ nunmehr eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung auch als ordentliche zulassen wollen. Es erschiene einigermaßen sachfremd, die Antwort auf die Frage, ob der Arbeitgeber im Einzelfall trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 17 Nr. 6.2 MTV mit Blick auf Gründe in der Person oder im Verhalten des betreffenden Arbeitnehmers eine ordentliche - und nicht mehr nur aus wichtigem Grund eine außerordentliche - Kündigung soll aussprechen können, den Tarifvertragsparteien zu übertragen. In deren originäre Kompetenz fällt die Beurteilung wirtschaftlicher Parameter und der ökonomischen Lage einer bestimmten Branche oder auch eines einzelnen Arbeitgebers. Dagegen ist ihre Kompetenz zur Beurteilung der Eignung eines bestimmten einzelnen Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung auch künftig zu erbringen, oder zur Beurteilung der Schwere der Pflichtwidrigkeit eines bestimmten individuellen Verhaltens und seiner Zumutbarkeit für den Arbeitgeber nicht ausgewiesen. Es wäre angesichts dessen gänzlich ungewöhnlich, dass Tarifvertragsparteien eine Regelung hätten beschließen wollen, der zufolge ab einem bestimmten Lebensalter und einer bestimmten Betriebszugehörigkeit eine Kündigung aus Gründen in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers zu dessen Schutz „eigentlich“ nur noch außerordentlich aus wichtigem Grund, bei ihrer beider Zustimmung aber im Einzelfall weiterhin auch als ordentliche möglich sein soll. Wird ferner berücksichtigt, dass auch die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund jedenfalls bei Gründen in der Person des Arbeitnehmers regelmäßig nur mit einer Auslauffrist erklärt werden kann, ergäbe sich daraus für keine Partei des Arbeitsvertrags ein Vorteil. Sinn und Zweck der Möglichkeit ordentlicher Kündigungen „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ verbieten deshalb die Annahme, mit eben dieser Zustimmung sei auch eine personen- oder verhaltensbedingte Kündigung eines langbeschäftigten älteren Arbeitnehmers weiterhin als ordentliche möglich.

27

b) Im Übrigen ist die angefochtene Entscheidung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn zugunsten des Klägers unterstellt wird, der Tarifvertrag lasse die Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ auch aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, eine solche Kündigung sei gegenüber der außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus wichtigem Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB vorrangig.

28

aa) Eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kommt in Betracht, wenn der wichtige Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB darin liegt, dass der Arbeitgeber wegen des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung andernfalls gezwungen wäre, für Jahre an einem sinnentleerten Arbeitsverhältnis festzuhalten(vgl. zuletzt BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28; 20. Juni 2013 - 2 AZR 379/12 - Rn. 16). Ist das Arbeitsverhältnis noch ordentlich kündbar, scheidet eine außerordentliche Kündigung - auch eine solche mit Auslauffrist - von vornherein aus.

29

bb) Eine ordentliche Kündbarkeit in diesem Sinne ist nicht schon dann gegeben, wenn eine tarifvertragliche Regelung, die - wie § 17 Nr. 6.2 MTV - das Recht des Arbeitgebers zur ordentlichen Kündigung grundsätzlich ausschließt, im Einzelfall die Möglichkeit vorsieht, das Arbeitsverhältnis „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ ausnahmsweise doch ordentlich zu kündigen. Die hypothetische Möglichkeit einer solchen Zustimmung hebt den Sonderkündigungsschutz nicht auf. Es verbleibt, solange die Zustimmung nicht vorliegt, beim Ausschluss der ordentlichen Kündigung. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Tarifregelung selbst einen solchen Vorrang nicht begründet. Davon ist hier auszugehen.

30

(1) Die dem Arbeitgeber gemäß § 17 Nr. 6.2 MTV verbliebenen Kündigungsmöglichkeiten stehen eigenständig nebeneinander. Das bringt ihre Verknüpfung durch die Konjunktion „oder“ zum Ausdruck. Die Tarifregelung bietet ihrem Wortlaut nach keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ Vorrang vor einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist zukommen soll.

31

(2) Ein solches Rangverhältnis lässt sich ebenso wenig dem Zweck der zusätzlichen Kündigungsmöglichkeit entnehmen. Dieser besteht nicht darin, praktisch vorrangige ordentliche Kündigungen gegenüber den besonders geschützten älteren Arbeitnehmern zu ermöglichen. Die Regelung verfolgt - wie dargelegt - das Ziel, im Rahmen des rechtlich Zulässigen durch eine vorherige Aufhebung des Sonderkündigungsschutzes Nachteile zu vermeiden, die bei (fort-)bestehendem Schutz etwa dann entstehen können, wenn für den Arbeitnehmer aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch auf Entlassungsentschädigung begründet wird. Solche Nachteile stehen nicht zu erwarten, wenn die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus Gründen in der Person oder dem Verhalten vorliegen.

32

cc) Der Arbeitgeber, der bei Vorliegen eines wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB das Arbeitsverhältnis außerordentlich - mit oder ohne Auslauffrist - kündigen will, muss auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zuvor erfolglos versucht haben, die Zustimmung der Tarifvertragsparteien einzuholen und damit eine (Wieder-)Eröffnung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung zu erreichen. Zwar ist auch eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist iSv. § 626 Abs. 1 BGB nur wirksam, wenn dem Arbeitgeber sämtliche „milderen“ Reaktionsmöglichkeiten verschlossen oder unzumutbar sind(BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11 - Rn. 41). Die ordentliche Kündigung „bei Zustimmung der Tarifvertragsparteien“ ist aber in ihrer Ausgestaltung durch § 17 Nr. 6.2 MTV kein gleich wirksames Gestaltungsmittel wie die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist. Die Tarifbestimmung legt für die Zustimmung keine abstrakten Maßstäbe fest. Sie sieht auch keinen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen die Tarifvertragsparteien über ein an sie herangetragenes Gesuch zu befinden hätten. Schon deshalb kann dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, trotz Vorliegen eines wichtigen Grundes von seinem Kündigungsrecht bis zu einer Bescheidung durch die Tarifvertragsparteien keinen Gebrauch zu machen.

33

II. Die Sache ist nicht entscheidungsreif. Der Senat kann nicht selbst beurteilen, ob die Kündigung vom 10. Februar 2010 in Anbetracht des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung auf einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, § 17 Nr. 6.2 MTV beruht. Auf einen anderen Unwirksamkeitsgrund iSv. § 13 Abs. 3 KSchG hat sich der Kläger nicht berufen.

34

1. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht konsequent - nicht geprüft, ob im Kündigungszeitpunkt von einer dauernden Unfähigkeit des Klägers auszugehen war, seine geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ebenso wenig hat es geprüft, ob die Möglichkeit eines Einsatzes auf einem anderen Arbeitsplatz gegeben war. Es hat hierzu keine, zumindest keine eindeutigen Feststellungen getroffen, und es hat die erstinstanzlich erhobenen Beweise nicht umfassend gewürdigt. Das wird es im Rahmen der neuen Verhandlung nachzuholen haben.

35

a) Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger nach § 615 BGB Vergütung aus Annahmeverzug für Zeiten während der durch die Kündigung vom 10. Februar 2010 bestimmten Kündigungsfrist zuerkannt. Das Berufungsurteil ist insoweit rechtskräftig geworden. Soweit das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang konkrete Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit des Klägers getroffen hat, beziehen diese sich auf den 7. Januar 2010. Im Übrigen hat es angenommen, die Beklagte habe hinsichtlich einer den Verzugslohnanspruch beendenden Arbeitsunfähigkeit keinen hinreichenden Vortrag gehalten.

36

b) Diese Würdigung bietet dem Senat keine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Sie bezieht sich nicht auf die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist. Darauf aber kommt es für die Entscheidung über den Feststellungsantrag an. Das betreffende Vorbringen der Beklagten ist auch nicht offensichtlich unschlüssig.

37

aa) Der Kläger war spätestens seit dem Jahr 2006 aufgrund verschiedener Krankheitsursachen in seiner Leistungsfähigkeit deutlich eingeschränkt. Insbesondere psychische Erkrankungen waren - bis zuletzt - nicht ausgeheilt. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit angenommen, der Kläger befinde sich „in einem Grenzbereich zwischen Arbeitsunfähigkeit und Arbeitsfähigkeit“. Die Vielzahl der Reha-Maßnahmen, ambulanten wie auch stationären Behandlungen und Wiedereingliederungen deuten zudem an, dass der Kläger vor Zugang der Kündigung nicht in der Lage war, eine vollwertige Arbeitsleistung zu erbringen, und sei es auch in der sog. Eingliederungswerkstatt.

38

bb) Das erstinstanzlich eingeholte arbeitsmedizinische Gutachten kommt zu dem Ergebnis, der Kläger sei im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung dauerhaft nicht in der Lage gewesen, seine vertraglich geschuldeten Pflichten zu erbringen. Es bestätigt insoweit den Befund im ärztlichen Entlassungsbericht vom 14. Oktober 2009. Ein im Anschluss an die betreffende Reha-Maßnahme unternommener Arbeitsversuch wurde vom Kläger nach kurzer Zeit abgebrochen. Unter diesen Umständen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass im Kündigungszeitpunkt - trotz eines vorhandenen „Restleistungsvermögens“ - von einer dauerhaften krankheitsbedingten Unfähigkeit des Klägers auszugehen war, die vertraglich geschuldete oder eine infrage kommende andere Tätigkeit sachgerecht auszuführen. Dabei kann auch die Entwicklung nach Zugang der Kündigung - nach Behauptung der Beklagten eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit und die Durchführung weiterer Reha-Maßnahmen - in den Blick zu nehmen sein, soweit sich darin die Prognose der Beklagten bestätigt haben sollte (BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 32; 13. Mai 2004 - 2 AZR 36/04 - zu III der Gründe).

39

cc) Sollte es dem Landesarbeitsgericht auf das Sachverständigengutachten ankommen, wird es dieses in seinen Grundlagen (Befund- und Zusatztatsachen) und in seinen Schlussfolgerungen in einer für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbaren Weise auf seine Richtigkeit zu überprüfen haben. Soweit es - wie bei seiner Entscheidung über den Zahlungsantrag - zu dem Ergebnis gelangen sollte, die Sachverständige habe Befunde, die der werksärztliche Dienst gestellt habe, keiner „hinreichend kritischen Analyse“ unterzogen, wird es erwägen müssen, ob Anlass besteht, auf ein Ergänzungsgutachten hinzuwirken oder das Erscheinen der Sachverständigen zum Verhandlungstermin zwecks Erläuterung des Gutachtens anzuordnen (vgl. Musielak ZPO/Huber 11. Aufl. § 411 Rn. 7 mwN).

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2. Das Landesarbeitsgericht wird außerdem zu berücksichtigen haben, dass nicht nur die dauerhafte Leistungsunfähigkeit ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein kann. Auch häufige kürzere Erkrankungen können dazu führen, dass ein Einsatz des Arbeitnehmers nicht mehr sinnvoll und verlässlich geplant werden kann und dieser damit zur Förderung des Betriebszwecks praktisch nichts mehr beiträgt. Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen sinnentleerten Arbeitsverhältnisses kann dem Arbeitgeber auch im Falle eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers unzumutbar sein (vgl. BAG 23. Januar 2014 - 2 AZR 582/13 - Rn. 28; 12. Januar 2006 - 2 AZR 242/05 - Rn. 27; 18. Januar 2001 - 2 AZR 616/99 - zu II 4 c cc der Gründe). Es erscheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass es der Beklagten aufgrund der zuletzt deutlich angewachsenen Fehlzeiten des Klägers in Verbindung mit einer stetigen Verschlechterung seines Gesundheitszustands, der Vielzahl ergebnislos verlaufener Wiedereingliederungsversuche und weiterer vom Kläger abgelehnter Tätigkeiten nach einem strengen Prüfungsmaßstab unzumutbar war, an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten. Soweit sich die Beklagte selbst (nur) auf den Kündigungsgrund einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit berufen hat, ist diese Einschätzung für die gerichtliche Bewertung unbeachtlich.

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3. Die Beklagte hat in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen unternommen, den Kläger mit unterschiedlichen Aufgaben zu beschäftigen. Sie hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mehrfach ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt, ohne dass der Kläger diesbezüglich Rügen erhoben hätte. Allerdings ist es im Rahmen der außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, von vornherein darzulegen, dass er alles Zumutbare unternommen hat, um den Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten. Er muss dies nicht erst dann tun, wenn der Arbeitnehmer geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten aufgezeigt hat (vgl. BAG 26. November 2009 - 2 AZR 272/08 - Rn. 46, BAGE 132, 299). Soweit es noch darauf ankommen sollte, wird das Landesarbeitsgericht diese Prüfung, ebenso wie eine abschließende Interessenabwägung, nachzuholen haben.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Berger    

        

        

        

    Perreng    

        

    Wolf    

                 

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste im Zweifel in Person zu leisten. Der Anspruch auf die Dienste ist im Zweifel nicht übertragbar.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.

(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.

(1) Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit kann Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde.

(2) Bis zum Schluss derjenigen mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, kann der Kläger durch Erweiterung des Klageantrags, der Beklagte durch Erhebung einer Widerklage beantragen, dass ein im Laufe des Prozesses streitig gewordenes Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt, durch richterliche Entscheidung festgestellt werde.

Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Im Falle des § 2 ist die Klage auf Feststellung zu erheben, daß die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist. Hat der Arbeitnehmer Einspruch beim Betriebsrat eingelegt (§ 3), so soll er der Klage die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen. Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.

(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.

(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.

(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

(1) Bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen aus einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, einer Dienstpflicht oder einer Tätigkeit, die anstelle einer gesetzlichen Dienstpflicht geleistet werden kann, bei Ansprüchen von Arbeitnehmern auf wiederkehrende Leistungen sowie in Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, ist der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen maßgebend, wenn nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist. Ist im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit die Höhe des Jahresbetrags nicht nach dem Antrag des Klägers bestimmt oder nach diesem Antrag mit vertretbarem Aufwand bestimmbar, ist der Streitwert nach § 52 Absatz 1 und 2 zu bestimmen.

(2) Für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses ist höchstens der Betrag des für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend; eine Abfindung wird nicht hinzugerechnet. Bei Rechtsstreitigkeiten über Eingruppierungen ist der Wert des dreijährigen Unterschiedsbetrags zur begehrten Vergütung maßgebend, sofern nicht der Gesamtbetrag der geforderten Leistungen geringer ist.

(3) Die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge werden dem Streitwert hinzugerechnet; dies gilt nicht in Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen. Der Einreichung der Klage steht die Einreichung eines Antrags auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe gleich, wenn die Klage alsbald nach Mitteilung der Entscheidung über den Antrag oder über eine alsbald eingelegte Beschwerde eingereicht wird.

(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.

(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,

a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.

(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft
a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen,
b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder
c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.

(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.

(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.

(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.

(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.

(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.