Bundessozialgericht Beschluss, 26. Sept. 2017 - B 14 AS 177/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:260917BB14AS17717B0
bei uns veröffentlicht am26.09.2017

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. März 2017 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt K beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des LSG ist ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 f SGG), da der Kläger keinen der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe in der Begründung der Beschwerde schlüssig dargelegt oder bezeichnet hat(§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

2

Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat(Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist nicht zulässig.

3

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14). In der Beschwerdebegründung ist bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht (vgl BSG vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris, RdNr 15 mwN) formuliert. Aber selbst wenn die in der Beschwerdebegründung abschließend formulierten Fragen als Fragen zur Auslegung des § 21 Abs 5 SGB II über den ernährungsbedingten Mehrbedarf verstanden werden, mangelt es an Darlegungen zu ihrer grundsätzlichen Bedeutung, weil es sich um Fragen handelt, die von näheren Umständen des vorliegenden Einzelfalls geprägt sind und auf dessen unmittelbare Entscheidung abzielen(vgl BSG vom 21.5.2013 - B 14 AS 311/12 B - juris, RdNr 3).

4

Für die Bezeichnung einer Abweichung (Divergenz) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG aufgestellt hat, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung der Revision wegen Abweichung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).

5

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Soweit eine Abweichung des LSG zu einer rechtlichen Aussage des BSG zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostenzulagen in der Sozialhilfe vom 1.10.2008 (NDV 2008, 503) angeführt wird (BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 16 mwN), wird nicht bezeichnet, auf welchen hiervon abweichenden Rechtssatz das LSG seine Entscheidung tragend gestützt hat. Denn nach der Beschwerdebegründung habe sich das LSG "zunächst" auf andere Empfehlungen des Deutschen Vereins (vom 10.12.2014, NDV 2015, 1) und auf die Ergebnisse eines eingeholten Sachverständigengutachtens zur Ermittlung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 5 SGB II gestützt. Soweit die Beschwerdebegründung eine Abweichung zu einer Entscheidung des BSG zu § 21 Abs 6 SGB II(BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 30/13 R - BSGE 116, 86 = SozR 4-4200 § 21 Nr 18) anführt, wird nur das Ergebnis der Rechtsanwendung des LSG, nicht dessen rechtliche Argumentation, die die Entscheidung trägt und von einer rechtlichen Aussage des BSG abweicht, mitgeteilt.

6

Die hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert die substantiierte Darstellung der ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen, sodass allein anhand der Beschwerdebegründung darüber entschieden werden kann, ob der Verfahrensmangel in Betracht kommt (vgl nur BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl 2017, § 160a RdNr 16 mwN). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

7

Soweit ein Verstoß gegen § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 404 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 ZPO(ungeachtet des Einfügens des heutigen Abs 2 erst zum 15.10.2016, vgl Art 1 Nr 1a und Art 10 des Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts ua vom 11.10.2016, BGBl I 2222) gerügt wird, weil das LSG den Sachverständigen Dr. S am 13.6.2016 lediglich telefonisch zur Einholung eines Zusatzgutachtens durch Dr. Sc ermächtigt und dies dem Kläger erst auf Nachfrage nach Erstattung der Gutachten mitgeteilt habe, wird nicht dargelegt, ob dies trotz Kenntnis durch Übersendung des entsprechenden Aktenvermerkes nach Erhalt des Zusatzgutachtens im Berufungsverfahren gerügt wurde und daher keine Heilung des behaupteten Verfahrensmangels eingetreten ist (§ 202 Satz 1 SGG iVm § 556, § 295 Abs 1 ZPO).

8

Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) in Gestalt des Fragerechts an die Sachverständige Dr. Sc rügt (§ 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 397, § 402, § 411 Abs 4 ZPO, vgl nur BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273; BVerfG vom 24.8.2015 - 2 BvR 2915/14 - FamRZ 2015, 2042), sind Tatsachen für einen Verfahrensmangel nicht substantiiert dargetan. Denn der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass nach der in ihr mitgeteilten Übersendung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. Sc der Antrag auf Befragung der Sachverständigen aufrechterhalten wurde und welche zur Aufklärung der Sache dienlichen Fragen der Sachverständigen aus Sicht des Klägers noch vorzulegen waren. Denn für die Umschreibung des Fragenkomplexes (vgl Keller in Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl 2017, § 118 RdNr 12f mwN) genügt es - auch bei Fragen aus Sicht des Klägers zur Wahrung seines rechtlichen Gehörs - nicht, lediglich eine mangelnde Beseitigung nicht konkret bezeichneter Unstimmigkeiten des Zusatzgutachtens durch die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen zu behaupten.

9

PKH ist dem Kläger nicht zu bewilligen, da seine Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO). Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das angefochtene Urteil auf der Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. April 2014 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über das Bestehen von Versicherungspflicht der Klägerin als Studentin in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie über die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung.

2

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 4.4.2014 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels trotz ihres umfänglichen Vorbringens entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

4

Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 22.7.2014 auf alle drei Zulassungsgründe.

5

1. Bei Geltendmachung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

6

a) Die Klägerin wirft auf Seite 10 der Beschwerdebegründung die Frage auf,

        

"ob Studierende zur Promotion keine Studenten i.S.d. § 5 I Nr. 9 SGB V sind".

7

Die Frage sei durch ein Urteil des BSG vom 23.3.1993 (12 RK 45/92 - SozR 3-2500 § 5 Nr 10) nicht geklärt, weil es unter anderen hochschulrechtlichen und verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen ergangen sei. Die Rechtsfrage sei heute (wieder) höchstrichterlich ungeklärt. Damals habe noch das bundesrechtliche Hochschulrahmengesetz in seiner damaligen Form gegolten. Auch liege die Entscheidung weit vor dem sog "Bologna-Prozess". Die Struktur von Hochschulausbildung habe sich inzwischen grundlegend gewandelt und "das deutsche Verständnis von Studium" werde mit einer europäischen Perspektive überlagert. Zusätzlich gebe es neue Erkenntnisse zu den gesetzgeberischen Intentionen.

8

Hierdurch legt die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht dar. Sie zeigt die Klärungsbedürftigkeit ihrer Rechtsfrage nicht auf, weil sie nicht hinreichend darauf eingeht, dass ihre Frage vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2500 § 5 Nr 10) bezogen auf die allein entscheidungserhebliche Norm des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V wieder klärungsbedürftig geworden ist. Dazu bedürfte es jedoch unter Heranziehung der anerkannten Grundsätze der juristischen Methodenlehre der Darlegung von Gründen für eine rechtlich gebotene abweichende Auslegung der maßgebenden krankenversicherungsrechtlichen Norm des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V. Die Klägerin nimmt dazu nicht den weiten Gestaltungsspielraum des SGB V-Gesetzgebers in den Blick und befasst sich nicht in ausreichendem Maß mit der von ihr selbst angeführten Entscheidung des BSG (SozR 3-2500 § 5 Nr 10 S 36 f)und der dortigen Begründung, wonach die Promotion ein bereits erfolgreich "abgeschlossenes" Studium voraussetzt. Dass Doktoranden nicht zu den Studenten iS des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V gehören, lässt danach auch Halbs 2 der Vorschrift erkennen, wo von "Fachsemestern" und der "Fachstudienzeit" die Rede ist. Die Klägerin zeigt nicht hinreichend auf, inwieweit sich de lege lata neuer Klärungsbedarf trotz des unverändert gebliebenen Wortlauts von § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V als der streitentscheidenden Norm ergeben sollte(zur Schaffung eines eigenen Pflichtversicherungstatbestands für Promovierende de lege ferenda vgl Liedy, JuS 2010, Heft 10, XLVI, L) oder dass der "Bologna-Prozess" - etwa unter dem Blickwinkel höherrangigen Rechts - konkrete Auswirkungen auf die krankenversicherungsrechtliche Abgrenzung zwischen beitragsrechtlich privilegiertem Studium iS von § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V und nicht mehr privilegiertem Promotionsstudium haben könnte(vgl § 245 Abs 1 SGB V; zum Aspekt der Begrenzung der Versicherungspflicht als Student vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen , BR-Drucks 200/88 = BT-Drucks 11/2237, jeweils S 159 zu § 5).

9

Darüber hinaus legt die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit der Rechtsfrage zu der von ihr befürworteten Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals "Student" nicht dar. Es ist nämlich nicht erkennbar, dass das BSG in dem angestrebten Revisionsverfahren zu der aufgeworfenen Rechtsfrage entscheidungserheblich Stellung nehmen könnte. Teilte man die Ansicht, dass sich (auch krankenversicherungsrechtlich) der Studentenstatus im Kern letztlich nicht nach Bundesrecht, sondern nach dem Recht des jeweiligen betroffenen Bundeslandes richten müsse, so bedürfte es Darlegungen dazu, dass gerade auch der Status der Klägerin während ihres Promotionsstudiums im konkreten Fall - ausgehend von den für das Beschwerdegericht bindenden Feststellungen des LSG (vgl § 163 SGG)- landesrechtlich derart ausgestaltet war. Ausführungen dazu fehlen indessen. Der pauschale Hinweis auf Seite 10 unter d) der Beschwerdebegründung, sie sei "als Studentin eingeschrieben" gewesen, wird dem ersichtlich nicht gerecht.

10

b) Auf Seite 10 wirft die Klägerin die weitere Frage auf,

        

"ob mit nicht steuerbaren Einnahmen aus der Förderung eines Forschungsprojektes auch die damit entstehenden Forschungskosten zu verrechnen sind".

11

In der Rechtsprechung des BSG gebe es bislang keine allgemeine Aussage zum horizontalen Verlustausgleich (Hinweis auf BSGE 76, 34 = SozR 3-2500 § 240 Nr 19; BSGE 79, 133 = SozR 3-2500 § 240 Nr 27; SozR 3-2500 § 240 Nr 31). Die Frage sei bezüglich Stipendien noch ungeklärt.

12

Die Klägerin legt bereits die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht dar, weil sie sich mit der vom LSG auch zitierten umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu § 240 Abs 1 S 2 SGB V nicht hinreichend auseinandersetzt. Sie befasst sich insoweit nicht ausreichend mit dem geltenden "Bruttoprinzip" (vgl ua BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 14 RdNr 21 mwN; zur Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen im Rahmen einer einzelnen Einnahmeart - Vermietung und Verpachtung - vgl BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 31; zur Möglichkeit eines horizontalen Verlustausgleichs innerhalb derselben Einkunftsart zur Verminderung der Beitragsbemessungsgrundlage vgl BSGE 97, 41 = SozR 4-2500 § 240 Nr 8, RdNr 18; grundlegend zum Ausschluss eines Verlustausgleichs über verschiedene Einnahmearten hinweg <"vertikaler Verlustausgleich"> vgl BSGE 76, 34, 36 ff = SozR 3-2500 § 240 Nr 19 S 68 ff). Darüber hinaus legt die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit ihrer Frage nicht hinreichend dar: Sie setzt sich nicht damit auseinander, dass nach den Feststellungen des LSG von ihr keine Einkommensteuererklärungen abgegeben wurden. Vor diesem Hintergrund zeigt die Klägerin nicht auf, wie in einem Revisionsverfahren die von ihr aufgeworfene Frage angesichts der Maßgeblichkeit von Einkommensteuerbescheiden zum Nachweis des der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung zugrunde zu legenden Gesamteinkommens (= Summe der Einkünfte im Sinne des Einkommensteuerrechts, vgl § 16 SGB IV; vgl BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 19 RdNr 21; BSGE 104, 153 = SozR 4-2500 § 240 Nr 12, RdNr 15 ff) beantwortet werden könnte.

13

c) Auf Seite 12 der Beschwerdebegründung formuliert die Klägerin schließlich die Frage,

        

"welche Tatsachen geeignet sind, die ideelle Zielrichtung einer Förderung und damit eine von der Alimentation abweichende Zweckbestimmung zu belegen, und folglich festgestellt werden müssen".

14

Zur Begründung verweist sie auf Ausführungen zu einem insoweit geltend gemachten Verfahrensmangel.

15

Hierdurch legt die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht hinreichend dar. Sie formuliert bereits keine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - (vgl BSG vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; BSG vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage mit erkennbarem Bezug zu einer solchen Norm ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181). Die Klägerin formuliert lediglich eine völlig offene Frage, ohne nachvollziehbar einen konkreten Bezug zu einer Rechtsnorm herzustellen.

16

2. Auch den Zulassungsgrund der Divergenz legt die Klägerin nicht gemäß den hierfür geltenden Anforderungen dar. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das LSG eine höchstrichterliche Entscheidung nur unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewandt hat, sondern erst, wenn das LSG Kriterien, die ein in der Norm genanntes Gericht aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das LSG weicht damit nur dann iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG von einer Entscheidung ua des BSG ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der einer zu demselben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des BSG entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb aufzeigen, welcher abstrakte Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist, und welcher in der instanzabschließenden Entscheidung des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht, und darlegen, dass die Entscheidung hierauf beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 26 mwN).

17

a) Auf Seite 12 der Beschwerdebegründung trägt die Klägerin insoweit vor, die angefochtene Entscheidung weiche von dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 22.11.2011 (BSG SozR 4-4200 § 23 Nr 15) ab, indem das LSG eine Heranziehung der dort entwickelten Grundsätze für den hiesigen Fall ablehne. Nach der in Bezug genommenen Entscheidung müsse bei der Auslegung von Tatbestandsmerkmalen im Bundesrecht, die auf landesrechtliche Bestimmungen Bezug nehmen, die verfassungsrechtliche Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern beachtet werden. Da die Schulgesetzgebung in der Länderkompetenz liege, sei für die Auslegung des § 28 Abs 2 Nr 2 SGB II die landesrechtliche Einordnung maßgeblich. Demgegenüber habe das LSG nicht beachtet, dass die "ausschließliche Kompetenz der Definition des Studentenbegriffes" beim Landesgesetzgeber liege. Darüber hinaus habe sich der Bundesgesetzgeber nicht zu einer Begrenzung des Studentenbegriffs entschlossen. Das bedeute für den vorliegenden Fall, dass die Einschreibung als Student, die das einschlägige Landesrecht für Promovierende unterschiedslos vorsehe, maßgeblich für die Frage sei, ob eine Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V vorliege.

18

b) Auf Seite 14 der Beschwerdebegründung behauptet die Klägerin eine weitere Abweichung von Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18.12.2013 - B 12 KR 8/12 R - Juris). Danach sei die Frage, ob Promotionsstipendien eine von der Sicherung des Lebensunterhalts verschiedene Zwecksetzung hätten, als Tatsachenfrage anzusehen. Demgegenüber habe das LSG die Frage als Rechtsfrage betrachtet.

19

Die Beschwerdebegründung genügt auch insoweit nicht den Zulässigkeitsanforderungen, weil die Klägerin eine entscheidungserhebliche Divergenz nicht aufzeigt. Hinsichtlich des ersten Aspekts kann offenbleiben, ob sie der in Bezug genommenen Entscheidung des BSG überhaupt einen zum vorliegenden Gegenstand relevanten abweichenden Rechtssatz formuliert. Jedenfalls legt die Klägerin nicht dar, dass die von ihr der Entscheidung des BSG entnommene Rechtsauffassung überhaupt zu demselben Gegenstand erfolgt ist. Bezüglich des zweiten Aspekts setzt sich die Klägerin nicht hinreichend damit auseinander, dass eine zulässige Rüge einer Divergenz die Darlegung eines Widerspruchs im Grundsätzlichen voraussetzt. Dies erfordert die Darlegung, dass das LSG den mit der Rechtsprechung zB des BSG nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zugrunde gelegt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt, im Ergebnis also der abweichenden Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprochen hat. Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also zB fehlerhafte Subsumtion, unzutreffende Beurteilung oder Übersehen einer Rechtsfrage (vgl zum Ganzen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 14 mwN). Im Kern ihres Vorbringens rügt die Klägerin insoweit nur eine unrichtige Rechtsanwendung durch das LSG. Hierauf kann sie sich aber im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht berufen.

20

3. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug(vgl zB BSGE 2, 81, 82; 15, 169, 172 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann sich der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 S 1 SGG stützen. Ferner kann die Geltendmachung eines Verfahrensmangels auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungspflicht) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Prüfungsmaßstab ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG SozR 1500 § 160 Nr 33). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Ein entscheidungserheblicher Mangel des Berufungsverfahrens wird nur dann substantiiert bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht.

21

Auf Seite 15 der Beschwerdebegründung rügt die Klägerin einen Verstoß gegen § 103 SGG. Zu Unrecht sei das LSG davon ausgegangen, dass Promotionsstipendien im Sinne einer Rechtstatsache generell keine besondere Zweckbestimmung enthielten. Demzufolge sei das LSG auch nicht "den Anträgen" auf Auswertung von Publikationen und einer Zeugenbefragung der Zuständigen im BMBF sowie beim Förderwerk nachgekommen. Hierdurch hätte dargelegt werden können, dass der ideelle Charakter der Begabtenförderung deren eigentlicher Grund und daher eine Zweckbestimmung jenseits der reinen Alimentationsfunktion gewesen sei. Dieser Punkt sei in der mündlichen Verhandlung auch nochmals durch ihren Prozessbevollmächtigten thematisiert worden.

22

Die Beschwerdebegründung genügt insoweit nicht den Zulässigkeitsanforderungen. Insbesondere setzt sie sich nicht damit auseinander, dass die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nur darauf gestützt werden kann, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. In der Beschwerdebegründung wird nicht aufgezeigt, dass im Berufungsverfahren ein entsprechender Beweisantrag gestellt und in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich aufrechterhalten worden ist (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 18c mwN). Selbst wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, sie wolle insoweit eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend machen, weil das LSG ihren Ermittlungsansätzen nicht gefolgt sei, ohne ihr hierzu vorab die Möglichkeit einer Stellungnahme zu geben, würde es an einer zulässigen Rüge fehlen: Zum einen räumt die Klägerin selbst ein, dass "dieser Punkt" in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG thematisiert worden ist. Zum anderen würde es an einer detaillierten Darlegung fehlen, welches konkrete eigene Vorbringen vom LSG übergangen worden sein soll, und dass sich das vorinstanzliche Gericht auch unter Berücksichtigung seiner Rechtsauffassung mit dem Vorbringen hätte auseinandersetzen müssen (vgl Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl 2010, RdNr 697 mwN).

23

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG.

24

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wegen einer Laktoseintoleranz.

2

Bei der 1998 geborenen Klägerin, die mit ihrer 1970 geborenen Mutter in einer Wohnung lebt und wie diese Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bezieht, besteht eine Laktoseintoleranz. Am 27.12.2010 beantragte sie unter Vorlage eines ärztlichen Attests beim beklagten Jobcenter die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Sie dürfe wegen der Laktoseintoleranz Milch und Milchprodukte nicht bzw nur in sehr kleinen Mengen zu sich nehmen und sei auf laktosefreie Diätnahrung angewiesen, die teurer sei als normale Milchprodukte. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, weil die angegebene Krankheit keinen nach § 21 Abs 5 SGB II unabweisbaren Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts darstelle und nicht im Katalog der Mehrbedarfe für eine kostenaufwändige Ernährung enthalten sei. Bei einer Laktoseintoleranz seien laktosehaltige Nahrungsmittel zu meiden oder zu reduzieren, wodurch keine gravierend höheren Kosten entstünden (Bescheid vom 7.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 2.3.2011).

3

Hiergegen haben die Klägerin und ihre Mutter Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben und geltend gemacht, die Laktoseintoleranz führe zu höheren Kosten für Ernährung und damit zu einem Anspruch auf die Gewährung ernährungsbedingten Mehrbedarfs; das SG Bremen beziffere diesen Bedarf auf 53 Euro. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13.1.2012). Die Klage der Mutter sei unzulässig, weil diese durch die Ablehnung nicht beschwert sei. Die Klage der Klägerin sei unbegründet. Sie leide zwar nachgewiesenermaßen an einer Laktoseintoleranz, diese Krankheit bringe jedoch keinen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung mit sich. Der Milchzuckerunverträglichkeit könne durch die Vermeidung von laktosehaltiger Kost begegnet werden. Alle anderen Grundnahrungsmittel könnten konsumiert werden. Als Orientierungshilfe für einen etwaigen Mehrbedarf seien die Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1.10.2008 heranzuziehen. Dort werde ein Mehrbedarf für Erkrankungen, die keiner spezifischen Diät, sondern sogenannter Vollkost bedürften, verneint. Etwas anderes gelte nur für die aufgeführten verzehrenden Erkrankungen. Damit sei die Laktoseunverträglichkeit nicht vergleichbar, es handele sich um eine weit verbreitete Lebensmittelunverträglichkeit, bei der lediglich auf ausreichende Zufuhr von Kalzium durch andere Lebensmittel geachtet werden müsse. Im Übrigen böten wegen der weiten Verbreitung der Erkrankung auch viele Discounter zu günstigen Preisen laktosefreie Milchprodukte an. Die Klägerin habe keine Besonderheiten, insbesondere auch keine von den Empfehlungen abweichende Bedarfe substanziiert geltend gemacht, weshalb von weiteren Ermittlungen vorliegend abgesehen werden könne. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die Klägerin minderjährig sei, denn die Regelsätze für Kinder und Jugendliche seien bei der Neuberechnung der Regelsätze auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 neu ermittelt und kinderspezifische Bedarfe berücksichtigt worden. Damit sei für den vorliegend einschlägigen Zeitraum auch für Kinder und Jugendliche eine verlässliche Bezugsgröße vorhanden.

4

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht nur noch die Klägerin eine Verletzung von § 21 Abs 5 SGB II geltend. Das SG habe die Klage aufgrund unzutreffender tatsächlicher Annahmen abgewiesen. Es handele sich hier ausnahmsweise um Tatsachen, die der Beurteilung des Revisionsgerichts unterlägen. Die unzutreffenden tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts hinsichtlich der Frage, ob die Ernährung mit laktosefreier Kost kostenaufwändiger sei als laktosehaltige Nahrung, beruhe zwar auf verfahrensfehlerhafter Ermittlung, die vorliegend nicht gerügt werden könne. Allerdings seien die Mehrkosten am Nahrungsmittelmarkt keine individuelle Tatsache, sondern eine Rechtstatsache, die für die Auslegung, dh die Bestimmung des Inhalts des § 21 Abs 5 SGB II benötigt werde, weshalb die unzutreffenden Feststellungen des SG in Bezug auf die Kosten laktosefreier Ernährung der revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht entzogen seien.

5

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Januar 2012 und den Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis 31. März 2011 höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen medizinisch erforderlicher kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des SG und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz > ) begründet. Soweit die Klägerin die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 geltend macht, kann auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend entschieden werden, ob ihr ein weitergehender Anspruch zusteht.

9

1. Streitgegenstand im Revisionsverfahren ist noch das Begehren der Klägerin, für die Zeit vom 1.10.2010 bis zum 31.3.2011 höheres Sozialgeld zu erhalten. Ihre Mutter hat die von ihr ursprünglich eingelegte Revision zurückgenommen. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den sie ihr Begehren in der Sache stützt, kann entgegen der Auffassung des SG nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bestimmt werden. Zudem kann eine ablehnende Entscheidung hinsichtlich eines bestimmten Bedarfs wegen der in § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II vorgeschriebenen abschnittsweisen Bewilligung von Leistungen grundsätzlich keine Bindungswirkung für zukünftige Bewilligungsabschnitte entfalten(vgl nur BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14 f mwN). Dem hat die Klägerin Rechnung getragen und im Revisionsverfahren höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen besonders kostenaufwändiger Ernährung allein noch für den Zeitraum vom 1.10.2010 bis 31.3.2011 beantragt. Offen bleiben kann, ob auch unter Neufassung der §§ 19 bis 22 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 die Höhe von Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung weiterhin in prozessual zulässiger Weise getrennt von der Höhe der Leistungen für Regelbedarfe und Mehrbedarfe geltend gemacht werden kann; für eine solche Einschränkung gibt der Vortrag der Klägerin keinen Anhalt.

10

Gegenstand des Verfahrens sind neben dem Bescheid vom 7.1.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.3.2011 auch die Bewilligungsbescheide, die für die Klägerin die Höhe des Sozialgelds im streitigen Bewilligungszeitraum regeln. Neben dem Bescheid, der zum 1.10.2010 ergangen ist, ist auch ein ggf mit Inkrafttreten des RBEG zum 1.1.2011 ergangener Änderungsbescheid für die Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.3.2011 Gegenstand des Verfahrens geworden. Das SG wird diese Bescheide, die bislang nicht aktenkundig sind, in seine Prüfung einzubeziehen haben. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin den Mehrbedarf zwar erst am 27.12.2010 beim Beklagten geltend gemacht hat, sich aus ihrem weitergehenden Vortrag aber ergibt, dass dieser aus ihrer Sicht seit Oktober 2010 bestanden hat. Da ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nicht nur auf gesonderten Antrag hin gewährt wird (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN),ist vom SG zu überprüfen, ob im Zeitpunkt der Geltendmachung des Bedarfs bereits bestandskräftig gewordene Bescheide unter dem Blickwinkel der §§ 44, 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch zu ändern sind.

11

2. Die Revision ist auch im Übrigen zulässig. Mit ihrer Rüge, das SG sei fehlerhaft zu dem Schluss gekommen, bei einer Laktoseintoleranz handele es sich nicht um eine Erkrankung, die einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung auslösen könne, macht die Klägerin nicht nur einen Verfahrensmangel geltend. Sie behauptet damit zwar auch, das SG habe den Sachverhalt im Einzelfall, nämlich bezogen auf die Auswirkungen der Erkrankung bei ihr, nicht zutreffend ermittelt (§ 103 SGG; zur Verpflichtung zur Amtsermittlung im Hinblick auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs 5 SGB II vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 17). Mit einer solchen Rüge ist sie im Fall der Sprungrevision ausgeschlossen (vgl § 161 Abs 4 SGG). Sie hat aber ausreichend iS des § 164 Abs 2 SGG dargelegt, dass sich die Feststellungen des SG zu den ernährungsbedingten Einschränkungen wegen einer Laktoseintoleranz nicht auf den Einzelfall beschränkten, sondern vom Gericht (unzutreffend) als generelle Tatsachen (Rechtstatsachen) aufgrund des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes bei der Anwendung von § 21 Abs 5 SGB II unterstellt worden seien. Verstöße gegen das Prozessrecht (hier die unzureichende Aufklärung des Sachverhalts nach § 103 SGG), die sich nur als prozessuale Konsequenz aus der fehlerhaften Anwendung des materiellen Rechts ergeben, bleiben auch mit der Sprungrevision rügbar(Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 161 RdNr 10b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 344). Ob die dabei von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zum ernährungsbedingten Mehrbedarf wegen Laktoseintoleranz angesichts der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu anderen Erkrankungen (dazu sogleich) noch grundsätzliche Bedeutung haben, kann dahin stehen, denn der Senat ist an die Zulassung der Sprungrevision durch das SG gebunden.

12

3. Nach § 21 Abs 5 SGB II erhalten Leistungsberechtigte, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Voraussetzung für den Rechtsanspruch auf einen Mehrbedarf ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine besondere Ernährung erforderlich macht, deren Kosten höher ("aufwändiger") sind als dies für Personen ohne eine solche Einschränkung der Fall ist (vgl BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 21; BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 16; BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14 RdNr 15, jeweils mwN). Es muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer bestehenden oder einer drohenden Erkrankung oder Behinderung und der Notwendigkeit einer besonderen Ernährung vorliegen und diese besondere "Krankenkost" muss gegenüber der in der Bevölkerung üblichen, im Regelbedarf zum Ausdruck kommenden Ernährung kostenaufwändiger sein.

13

a) Die bei der Klägerin festgestellte Laktoseintoleranz (vgl ICD-10-GM E73) stellt eine gesundheitliche Beeinträchtigung iS des § 21 Abs 5 SGB II, nämlich eine Krankheit im Sinne eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustands dar. Unerheblich für den Begriff der gesundheitlichen Störung ist die Frage, wie verbreitet dieser krankhafte Zustand in der Bevölkerung ist, solange es sich um einen für sich genommen regelwidrigen Zustand handelt. Die von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem SG angesprochene weite Verbreitung der Laktoseintoleranz (insbesondere in asiatischen Ländern) kann allenfalls Anlass für die Prüfung geben, ob und in welchen Fällen durch die gesundheitliche Beeinträchtigung und das damit medizinisch begründete besondere Ernährungsbedürfnis auch höhere Kosten anfallen.

14

b) Ob die bei der Klägerin bestehende Laktoseintoleranz ein besonderes, medizinisch begründetes Ernährungsbedürfnis mit sich bringt, lässt sich auf Grundlage der Feststellungen des SG nicht beurteilen. Die Annahme des SG, eine Laktoseintoleranz begründe von vornherein keinen Mehrbedarf, weil lediglich bestimmte Nahrungsmittel vermieden und durch andere, vom Regelbedarf abgedeckte Grundnahrungsmittel ersetzt werden müssten, vermengt die bereits dargestellten Prüfungsschritte in unzutreffender Weise mit einander; insoweit hat das SG die Maßstäbe des § 21 Abs 5 SGB II verkannt.

15

Wie die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate bereits entschieden haben, haben die Gerichte einen streitig gebliebenen krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelfall aufzuklären (so bereits BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6 und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; vgl zur Laktoseintoleranz auch BSG Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 11/10 R - Juris RdNr 24). Dazu ist zunächst zu überprüfen, welches besondere Ernährungsbedürfnis medizinisch, dh durch die Erkrankung, begründet ist. Insbesondere wenn ein besonderes Ernährungsbedürfnis abhängig von der Schwere der Erkrankung ausgelöst wird, sind die Erfordernisse an die besondere Ernährung im jeweiligen Einzelfall zu überprüfen. Erst wenn feststeht, welches medizinisch begründete Ernährungsbedürfnis im Einzelfall besteht, kommt es darauf an, ob hierdurch auch höhere Kosten entstehen (dazu unter c). Die erforderlichen Prüfungsschritte wird das SG nach Zurückverweisung ausgehend von dem vorgelegten Attest nachzuholen haben.

16

Bei der Prüfung eines besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnisses lässt nicht schon die fehlende Auflistung der entsprechenden Erkrankung in den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 ( Mehrbedarfsempfehlungen 2008) den Schluss zu, dass es sich nicht um eine Erkrankung handelt, die einen Mehrbedarf auslösen kann. Der Senat schließt sich der Auffassung des 4. Senats an, wonach die Mehrbedarfsempfehlungen 2008 weder nach ihrer Konzeption noch nach ihrer Entstehungsgeschichte die Anforderungen an antizipierte Sachverständigengutachten erfüllen, die von den Gerichten in normähnlicher Weise angewandt werden könnten (vgl BSG Urteil vom 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 14). Wenn weit verbreitete Erkrankungen wie die Laktoseintoleranz in den Mehrbedarfsempfehlungen 2008 nicht genannt sind, kann dieser Umstand damit nur eine Orientierungshilfe sein, die den Umfang der Ermittlungen im Einzelfall steuert.

17

c) Auch wegen der Kosten, die aus einem besonderen, medizinisch begründeten Ernährungsbedürfnis entstehen, stellt § 21 Abs 5 SGB II erkennbar auf die Umstände des Einzelfalles ab. Dies lässt sich schon daraus ersehen, dass - abweichend von den in § 21 Abs 1 bis 4 SGB II genannten Fallgruppen eines Mehrbedarfs - keine Pauschalen für die entstehenden Bedarfe normiert sind. Im Anwendungsbereich des § 21 Abs 5 SGB II sind deshalb Fälle kaum denkbar, in denen sich für eine bestimmte Erkrankung, die - wie die Laktoseintoleranz - Einfluss auf die Ernährung haben, ein besonderer Kostenaufwand abschließend als generelle Tatsache (Rechtstatsache) mit Gültigkeit für jeden Einzelfall verneinen lässt(vgl bereits BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10). Ohnehin lassen die Ausführungen des SG, eine Laktoseintoleranz sei in allen denkbaren Fällen ohne höheren Kostenaufwand zu kompensieren, in keiner Weise erkennen, worauf es diese Schlussfolgerung stützt. Für das von ihm genannte Gutachten eines "Prof. Dr. H." lässt sich eine Quelle nicht finden; auch im Übrigen lassen sich die von dem SG getroffenen Schlüsse nicht auf allgemeinkundige Tatsachen zurückführen. Zwar ist denkbar, dass mit zunehmendem Alter eines Kindes sich Nahrungsmittel, die Milchzucker enthalten, besser vermeiden lassen. Je weiter außerdem eine Erkrankung, die eine besondere Ernährung erfordert, verbreitet ist, umso mehr wird dies das Ernährungsverhalten der gesamten Bevölkerung beeinflussen. Dies mag zu günstigeren Preisen für Ersatz- oder Ergänzungsnahrungsmittel (wie etwa die vom SG genannten laktosefreien Milchprodukte) führen und - sofern ein bestimmtes Ernährungsverhalten allgemein üblich wird - ggf auch die Höhe des Regelbedarfs mitbestimmen. Ob der Klägerin im Einzelfall nicht gleichwohl ein Mehrbedarf zusteht, lässt sich aber allein mit solchen Annahmen nicht ausschließen.

18

Das SG wird außerdem über die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu entscheiden haben.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts mit seiner am 2006 geborenen Tochter für den hier streitigen Zeitraum vom 1.7. bis zum 30.11.2010.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte dem alleinstehenden Kläger mit Bescheid vom 27.4.2010 für die Zeit vom 1.7.2010 bis zum 30.11.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 696 Euro (359 Euro Regelleistung - jetzt Regelbedarf - plus tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 337 Euro). In der Zeit vom 20.7. bis Ende September 2010 übte der Kläger eine geringfügige Beschäftigung aus, der Aushilfslohn betrug nach den Abrechnungen von August und September 2010 jeweils 31,50 Euro, nach der Abrechnung von Oktober 2010 112,10 Euro.

3

Nachdem das Sozialamt der Stadt Bielefeld zum 30.6.2010 die bisher dem Kläger erbrachten Zahlungen zur Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter eingestellt hatte, beantragte der Kläger am 8.7.2010 bei dem Beklagten einen "laufenden, nicht vermeidbaren, besonderen Bedarf zur Ausübung des Umgangsrechts". Das Umgangsrecht stand ihm ua auch in der streitgegenständlichen Zeit regelmäßig alle zwei Wochen samstags von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr zu. Er holte seine Tochter um 12.00 Uhr bei der Mutter ab und brachte sie um 17.00 Uhr wieder dorthin zurück. Für die Wegstrecke nutzte er seinen eigenen Pkw, die einfache Fahrtstrecke betrug ca 17 km.

4

Mit Bescheid ebenfalls vom 8.7.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab, weil die begehrte monatliche Zahlung unter 10 % der Regelleistung liege. Die Entfernung zum Wohnort der Tochter betrage 17 km und bei zweimaliger Hin- und Rückfahrt pro Umgangstag ergäben sich, ausgehend von einer Pauschale von 0,20 Euro je Entfernungskilometer, nur 13,60 Euro im Monat. Der Kläger sei vorrangig darauf zu verweisen, seinen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Im Übrigen sei ihm die Bestreitung der nicht übernommenen Kosten aus dem zur Verfügung stehenden Einkommen zumutbar. Der dagegen gerichtete Widerspruch ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 25.11.2010).

5

Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der genannten Bescheide verurteilt, dem Kläger zur Ausübung des Umgangsrechts weitere 27,20 Euro monatlich zu gewähren und eine Wegstreckenentschädigung von 0,20 Euro je Kilometer nach dem Bundesreisekostengesetz (BRKG) zugrunde gelegt (Urteil vom 23.2.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach deren Zulassung die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 21.3.2013). Aus der Regelung über die Rückzahlung von Darlehen sei keine allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ableitbar. Der Kläger könne auch weder auf seinen im streitigen Zeitraum erzielten Nebenverdienst verwiesen werden, noch sei ihm wegen der Zeitdauer seines Umgangsrechts die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.

6

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt die fehlerhafte Auslegung von § 21 Abs 6 SGB II durch das LSG. Der Bedarf des Klägers für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter sei nicht unabweisbar, denn bei diesem Tatbestandsmerkmal sei eine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistung zu berücksichtigen. Diese Grenze von 10 % ergebe sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010, in der davon ausgegangen werde, dass von Hilfebedürftigen erwartet werden könne, dass sie diese Teile des Regelbedarfs ansparen. Auch der Gesetzgeber gehe davon aus, dass eine 10 %ige Reduzierung der Regelleistung möglich sei, was das BVerfG nicht beanstandet habe. Dem stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entgegen, denn dieses habe speziell zu der Regelung von § 21 Abs 6 SGB II noch nicht Stellung genommen, sondern habe im Rahmen einer Entscheidung über einen Hygienemehrbedarf noch auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) abgestellt.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. März 2013 und des Sozialgerichts Detmold vom 23. Februar 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen des SG und des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Beklagten (§ 160 Abs 1, § 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen, denn die Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 6 SGB II im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II war rechtswidrig.

11

1. Gegenstand des Verfahrens sind neben den Urteilen des LSG und des SG der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010, mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 27.4.2010 den zusätzlich zur Regelleistung (jetzt Regelbedarf) geltend gemachten Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts zu gewähren. Der Bescheid vom 8.7.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2010 lässt zwar keine ausdrückliche Bezugnahme auf einen bestimmten Bewilligungsabschnitt erkennen, die Auslegung des Bescheids aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Beteiligten lässt aber allein den Schluss zu, dass der Beklagte die rechtlich einzig zulässige Regelung treffen wollte, über höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung des geltend gemachten Mehrbedarfs nur für solche Bewilligungsabschnitte zu entscheiden, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung in der Vergangenheit bzw der Gegenwart lagen und keine abschließende Entscheidung für die Zukunft treffen wollte (so bereits BSG Urteile vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 14; vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 15).

12

2. Die Vorinstanzen sind insofern zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit seiner zulässigen Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Ausübung des Umgangsrechts begehrt, denn die Gewährung eines Mehrbedarfs kann nicht in zulässiger Weise zum isolierten Streitgegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht werden (stRspr, siehe nur BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 13; Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13, RdNr 14). Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensmängel stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Die Berufung gegen das Urteil des SG ist zulässig, ohne dass es auf die Beschwerdesumme ankommt (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 SGG), denn das LSG hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin die Berufung mit Beschluss vom 26.9.2012 wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

13

3. Ebenfalls zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Bescheid vom 27.4.2010 unter dem Blickwinkel des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu ändern ist(vgl dazu BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 48/12 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 15 RdNr 10). § 44 Abs 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden kann, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist vorliegend einschlägig. Es liegt kein Fall des § 48 SGB X wegen des Wegfalls der Zahlungen des Sozialamts und der Antragstellung des Klägers beim Beklagten am 8.7.2010 vor, denn insofern handelt es sich nicht um eine Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen während des Bewilligungsabschnitts, vielmehr ist der Bescheid vom 27.4.2010 in der Sache von Anfang an rechtswidrig gewesen. Da es sich bei dem Mehrbedarf um eine laufende Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts handelt, musste dieser grundsätzlich nicht besonders beantragt werden (vgl nur Urteil des Senats vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14 mwN).

14

a) Der Kläger hatte bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten am 27.4.2010 für den hier streitbefangenen Leistungszeitraum einen Anspruch gegen das beklagte Jobcenter auf den geltend gemachten Mehrbedarf dem Grunde nach, nachdem das BVerfG es mit Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) als mit dem Grundgesetz unvereinbar angesehen hat, dass für einen atypischen Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II und bestimmter zusätzlicher Hilfen das SGB II keinen Anspruch des Hilfebedürftigen auf einen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf vorsieht, der zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums jedoch zwingend zu decken ist. Da Urteile des BVerfG gemäß § 31 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) iVm § 13 Nr 8a BVerfGG bindend sind und in Gesetzeskraft erwachsen(s dazu Pieroth in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 93 RdNr 65), hatte der Kläger bereits am 27.4.2010 dem Grunde nach einen Anspruch auf Mehrbedarf gegen den Beklagten. Dem stand nicht entgegen, dass der Bedarf bis dahin von einem zu diesem Zeitpunkt unzuständigen Träger, nämlich der Stadt Bielefeld als Sozialhilfeträger, gedeckt worden ist. Ebenso ohne Bedeutung ist, dass der Beklagte von dem Bedarf keine Kenntnis hatte, weil es für den Beurteilungszeitpunkt bezüglich der Frage, ob ein Verwaltungsakt wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückzunehmen ist, nicht auf den Stand der Erkenntnis bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt und somit eine rückschauende Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts geltenden Sach- und Rechtslage zugrunde zu legen ist (vgl nur Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 10 mwN).

15

b) Die weitere Voraussetzung, dass Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist ebenfalls gegeben. Der Kläger erfüllte nach den Feststellungen des LSG in dem streitigen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Alters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts. Im Übrigen ist er hilfebedürftig gewesen und hatte in der Zeit vom 1.7. bis zum 30.11.2010 einen Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von damals 359 Euro gemäß § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II in der seinerzeit gültigen Fassung sowie auf Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 337 Euro gemäß § 22 Abs 1 SGB II.

16

Daneben stand ihm ein Anspruch auf Leistungen für Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts zu. Dass Eltern im Rahmen des Arbeitslosengelds II (Alg II) grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit von ihnen getrennt lebenden Kindern haben, ergibt sich aus dem Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und dem daraufhin durch Gesetz vom 27.5.2010 (BGBl I 671) geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II, bei dem der Gesetzgeber ua auch speziell die Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern als Anwendungsfall der Härtefallklausel des § 21 Abs 6 SGB II vor Augen hatte(BT-Drucks 17/1465, S 9).

17

4. Nach § 21 Abs 6 SGB II in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.5.2010 erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige (jetzt: Leistungsberechtigte) einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht (dazu a.). Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen (Leistungsberechtigten) gedeckt ist (dazu b.) und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (dazu c.).

18

Die genannten Tatbestandsmerkmale sind hinsichtlich der Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts erfüllt. Dem Kläger stehen zumindest Fahrtkosten in Höhe von 27,20 Euro pro Monat als Mehrbedarf nach § 21 Abs 6 SGB II zu.

19

a) Es handelt sich zunächst um einen laufenden Mehrbedarf im Einzelfall, weil die Bedarfslage eine andere ist, als sie bei typischen Empfängern von Grundsicherungsleistungen vorliegt. Es ist insofern ein Mehrbedarf im Verhältnis zum "normalen" Regelbedarf gegeben, anders als der Einzelfall in § 23 Abs 1 SGB II alte Fassung (aF) bzw in § 24 Abs 1 SGB II in der seit 1.1.2011 gültigen Fassung, der für alle SGB II-Empfänger gleichermaßen gilt, die einen zum Regelbedarf gehörenden Bedarf ausnahmsweise nicht decken können.

20

Bei den Fahrtkosten zur Ausübung des Umgangsrechts handelt es sich ungeachtet der Tatsache, dass im Regelbedarf ein Anteil für Fahrtkosten enthalten ist, um einen besonderen Bedarf, weil er nicht nur die üblichen Fahrten im Alltag betrifft, sondern eine spezielle Situation darstellt, weil die Aufrechterhaltung des Umgangs mit einem Kind mit überdurchschnittlichen Schwierigkeiten verbunden ist, wenn die Wohnorte aufgrund der Trennung der Eltern weiter entfernt voneinander liegen (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 22).

21

Es handelt sich vorliegend auch um einen regelmäßig wiederkehrenden, dauerhaften, längerfristigen Bedarf (dazu eingehend S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 67 und 68; zur Frage, ob der Mehrbedarf regelmäßig und in kürzeren Abständen auftreten muss, siehe auch von Boetticher/Münder in LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 21 RdNr 42). Durch die regelmäßige Ausübung des Umgangsrechts - hier alle zwei Wochen an einem Samstag - entsteht der besondere Bedarf laufend, wobei die Einzelfallbetrachtung mit dem Ziel abzuwägen, ob die Fahrtkosten zur Abholung des Kindes erforderlich sind oder ob sie im Hinblick auf das Alter und den Entwicklungsstand des Kindes nicht (mehr) in Frage kommen (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 73) ergibt, dass der besondere Bedarf zunächst auf unabsehbare Zeit entstehen wird, weil bei einem im streitigen Zeitraum vierjährigen Kind nicht vorhergesagt werden kann, wann es in der Lage sein wird, die Wegstrecke eigenständig zu bewältigen.

22

b) Der Mehrbedarf für die Ausübung des Umgangsrechts ist vorliegend auch unabweisbar. Das Merkmal der Unabweisbarkeit wird auch in anderen Zusammenhängen verwendet (§ 23 Abs 1 Satz 1 SGB II aF, jetzt § 24 Abs 1 Satz 1 SGB II; und § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII aF, jetzt § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII), ohne dass in den genannten Vorschriften das Merkmal näher definiert wäre. In § 21 Abs 6 SGB II findet sich jedoch eine nicht abschließende Aufzählung ("insbesondere") von Voraussetzungen (Deckung des Mehrbedarfs durch Zuwendungen Dritter oder Einsparmöglichkeiten), bei deren Vorliegen die Unabweisbarkeit zu verneinen bzw zu bejahen ist.

23

aa) Die Möglichkeit der Bedarfsdeckung durch Zuwendungen Dritter scheidet nach den Feststellungen des LSG vorliegend aus.

24

bb) Ebenso wenig liegen nach den Feststellungen des LSG Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger Einsparmöglichkeiten hatte. Dies gilt zunächst für Einsparmöglichkeiten im engeren Sinne des Wortes, also für den Fall, dass der Kläger an den Bedarfen selbst sparen konnte. Solche Einsparmöglichkeiten müssten ausdrücklich festgestellt werden, ein Leistungsberechtigter muss die Möglichkeiten tatsächlich haben, also zB im Besitz einer Monatskarte sein. Hypothetische Einsparmöglichkeiten reichen insoweit nicht aus. Zu Recht hat das LSG in diesem Zusammenhang auch dem Ansinnen, der Kläger könne öffentliche Verkehrsmittel nutzen, eine Absage erteilt, denn allein durch die zusätzliche Fahrzeit würde sein ohnehin nur fünf Stunden dauerndes Umgangsrecht um eine weitere Stunde verkürzt, was angesichts der verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Rechts unzumutbar ist.

25

cc) Die im Grundsatz gegebene Einsparmöglichkeit durch "Umschichtung", also einer Präferenzentscheidung dahingehend, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen auszugleichen (BT-Drucks 17/1465, S 6 und 8) scheidet vorliegend aus, denn dieser Gedanke kommt nur zum Tragen bei Bedarfen, die dem Grunde nach vom Regelbedarf umfasst sind, was aber gerade hinsichtlich des hier im Streit stehenden Mehrbedarfs nicht der Fall ist.

26

dd) Ein Verweis auf den Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen (§ 12 Abs 2 Nr 4 SGB II) kann nicht herangezogen werden, denn dieser dient nur dazu, einmalige Bedarfe abzufangen. Müsste dieser Ansparbetrag für laufende Aufwendungen abgezweigt werden, stünde er gerade als Ansparbetrag für notwendige Anschaffungen nicht mehr zur Verfügung. Ebenso ist auch das Bestreiten des Bedarfs durch ein Darlehen (§ 24 Abs 1 SGB II) ausgeschlossen, denn insofern ist aufgrund der Entscheidung des BVerfG (Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175, 255 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 208) davon auszugehen, dass nur einmalig auftretende "Bedarfsspitzen" über die Darlehensregelung erfasst werden können, sodass dies kein denkbarer Weg ist, um die laufend auftretenden Kosten für die Ausübung des Umgangsrechts abzufangen.

27

ee) Der Kläger kann auch nicht zur Deckung seiner Kosten auf sein (geringfügiges) Einkommen verwiesen werden. Ohnehin führen die einen Freibetrag übersteigenden Einkommensanteile durch Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung zu verminderten Leistungen. Die Freibeträge selbst müssen nicht für die Wahrnehmung des Umgangsrechts eingesetzt werden, weil die vollständige Anrechnung von Erwerbseinkommen auf das Alg II zur Folge hätte, dass Arbeitslosen kein finanzieller Anreiz zur Arbeitsaufnahme verbliebe, was der gesetzlichen Funktion der Freibeträge bei Einkommen aus Erwerbstätigkeit zuwiderlaufen würde (vgl nur Behrend, in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 21 RdNr 89; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 21 RdNr 72). Dies findet seinen Niederschlag auch in den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Anwendung des SGB II, in denen zu § 21 unter Ziff 6.2 Abs 5 vermerkt ist, dass für den Fall, dass Erwerbseinkommen erzielt wird, dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs 3 SGB II außer Betracht zu bleiben hat.

28

c) Das Merkmal der Erheblichkeit gemäß § 21 Abs 6 SGB II ist vorliegend ebenfalls erfüllt. Der Bedarf des Klägers zur Aufwendung der Fahrtkosten für die Ausübung des Umgangsrechts mit seiner Tochter weicht seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab und unterfällt insofern nicht der speziellen Bagatellgrenze, die in § 21 Abs 6 SGB II selbst durch das Tatbestandsmerkmal "erheblich" festgelegt worden ist. Es handelt sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der in vollem Umfang überprüfbar ist. Erheblich ist nach der Systematik der Norm ein atypischer Bedarf dann, wenn er von einem durchschnittlichen Bedarf in nicht nur unbedeutendem wirtschaftlichen Umfang abweicht (vgl BSG Urteil vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3, RdNr 28). Anknüpfungspunkt ist letztlich die genannte Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) und damit die Frage, ob das menschenwürdige Existenzminimum durch die Mehraufwendungen nicht mehr gewährleistet ist (vgl BT-Drucks 17/1465, S 8). Eine erhebliche Abweichung vom durchschnittlichen Bedarf ist vorliegend sowohl hinsichtlich der Regelleistung von damals 359 Euro insgesamt und des in der damaligen Regelleistung enthaltenen Betrags für Fahrtkosten von hochgerechnet gut 20 Euro zu bejahen, zumal in der letztgenannten Position die Ausgaben für Pkw nicht berücksichtigt wurden. Der Kläger musste zur Ausübung seines Umgangsrechts alle zwei Wochen je 17 km für zweimal eine Hin- und Rückfahrt zurücklegen, sodass sich eine Gesamtkilometerzahl von 136 km ergibt. Selbst wenn nur eine Kilometerpauschale von 20 Cent zugrunde gelegt wird, wie sie in § 5 Abs 1 BRKG ausgewiesen ist, ergibt sich ein Betrag von zumindest 27,20 Euro pro Monat. Da auch die 20 Cent nach dem BRKG eine gegriffene Größe sind, die nicht die tatsächlichen Kosten in vollem Umfang widerspiegeln, sind die zugesprochenen 27,20 Euro pro Monat unter dem Blickwinkel der Sicherung des Existenzminimums jedenfalls nicht zu hoch gegriffen.

29

Eine Anknüpfung an § 6 Abs 1 Nr 3 Buchst b Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V), wonach nur die Entfernungskilometer, also die einfache Strecke, maßgeblich sind, verbietet sich in Fällen wie dem vorliegenden. Die Alg II-V hat schon vom Ansatz her eine andere Zielrichtung, sie ist nicht maßgebend für den Bedarf, sondern regelt als Anreiz für die Aufnahme einer Beschäftigung lediglich, welche Beträge bei dem Leistungsberechtigten belassen und nicht bei der Leistungsberechnung berücksichtigt werden. Dass bei einem tatsächlich zu deckenden Bedarf neben der Alg II-V auch das BRKG herangezogen werden kann, hat das BSG bereits in anderem Zusammenhang entschieden (BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 27/12 R - SozR 4-4225 § 6 Nr 2 - "Spesen").

30

5. Der Anspruch des Klägers scheitert auch nicht an einer - unabhängig von der Regelung des § 21 Abs 6 SGB II bestehenden - allgemein gültigen Bagatellgrenze. Eine Rechtsgrundlage für die vom Beklagten vertretene allgemeine Bagatellgrenze in Höhe von 10 % der Regelleistung ist nicht zu erkennen.

31

a) Zwar hat der erkennende Senat im Anschluss an eine Entscheidung des 7b-Senats (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 25)mit Urteil vom 19.8.2010 (B 14 AS 13/10 R - SozR 4-3500 § 73 Nr 3 RdNr 20) bekräftigt, dass unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel im Rahmen der Ermessenserwägungen sowohl Kosten (für das Umgangsrecht) beschränkt werden können, als auch daraus gefolgert, dass zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. In dem damals zu entscheidenden Fall, in dem der Kläger zusätzliche Hygienekosten auf 20,45 Euro monatlich beziffert hatte, hat der Senat jedenfalls ein Scheitern des Klagebegehrens bereits unter dem Gesichtspunkt einer in der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze" nicht gesehen.

32

Anerkannt worden ist auch in der Rechtsprechung des BSG das gesetzgeberische Ziel, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden (BSG Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 35/12 R - BSGE 111, 234 = SozR 4-1500 § 54 Nr 28; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35). Dabei ist Ausgangspunkt allerdings, dass auch geringfügige Eingriffe in die Rechtsposition eines Leistungsberechtigten nicht grundsätzlich allein mit dem gesetzgeberischen Ziel der Verwaltungsvereinfachung abgewiesen werden können. Es verbleibt danach aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich" dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung (in dem entsprechenden Fall ging es um die Regelungen zur "Rundung") entsprechende Regelungen erlässt. Dieser Entscheidung kann als Grenze aber lediglich entnommen werden, dass jedenfalls Leistungen im Centbereich unter eine Bagatellgrenze fallen würden.

33

b) Mit einer Rundungsregelung, die maximal 49 Cent abrundet, ist aber eine Bagatellgrenze, die nach den Vorstellungen des Beklagten bei 10 % des Regelbedarfs liegen soll (vgl Durchführungshinweise der BA zu § 21 SGB II unter 6.2 Abs 3), also derzeit bei 39 Euro pro Monat, nicht vergleichbar. Eine solche Bagatellgrenze kann insbesondere nicht über die Regelung des im streitigen Zeitraum maßgeblichen § 23 Abs 1 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung bzw nach § 42a SGB II neue Fassung (nF) begründet werden, wonach Rückzahlungsansprüche aus Darlehen durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelbedarfs getilgt werden können. Die genannten Regelungen passen schon im Ansatz nicht auf die Fälle, in denen es um nicht erfüllten Mehrbedarf geht, denn bei einer Darlehensgewährung haben die Betroffenen zur Deckung von Bedarfen das Geld tatsächlich erhalten, das sie dann an das Jobcenter zurückzahlen müssen, und nur im Rahmen der Tilgung wird davon ausgegangen, dass in Anbetracht der Ansparkonzeption des Gesetzgebers eine vorübergehende monatliche Kürzung der Regelleistung (des Regelbedarfs) in Höhe von 10 % im Grundsatz nicht zu beanstanden ist (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 3/09 und 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 150). Bei Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze würden dagegen Betroffenen Leistungen vorenthalten, obwohl sie einen Anspruch darauf haben. Im Übrigen sind die Grundsätze zur Rückzahlung von Darlehen auch deshalb nicht auf Fälle übertragbar, bei denen es um laufende, nicht nur einmalige Bedarfe geht, weil wiederkehrende Bedarfe einer darlehensweisen Gewährung grundsätzlich nicht zugänglich sind (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 146/10 R - BSGE 108, 235 = SozR 4-4200 § 20 Nr 13 RdNr 20; vgl § 24 SGB II nF; Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 24 RdNr 16). § 21 Abs 6 SGB II geht - wie aufgezeigt - bei seinen Tatbestandsmerkmalen (Einzelfall) davon aus, dass der Mehrbedarf abseits vom Regelbedarf des typischen SGB II-Empfängers entsteht, während die Darlehensregelungen Einzelfälle von Bedarfen umfassen, die im Regelbedarf enthalten sind und nur vorübergehend nicht gedeckt werden können.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl erfolgt durch das Prozessgericht. Es kann sich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken. An Stelle der zuerst ernannten Sachverständigen kann es andere ernennen.

(2) Vor der Ernennung können die Parteien zur Person des Sachverständigen gehört werden.

(3) Sind für gewisse Arten von Gutachten Sachverständige öffentlich bestellt, so sollen andere Personen nur dann gewählt werden, wenn besondere Umstände es erfordern.

(4) Das Gericht kann die Parteien auffordern, Personen zu bezeichnen, die geeignet sind, als Sachverständige vernommen zu werden.

(5) Einigen sich die Parteien über bestimmte Personen als Sachverständige, so hat das Gericht dieser Einigung Folge zu geben; das Gericht kann jedoch die Wahl der Parteien auf eine bestimmte Anzahl beschränken.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

Die Verletzung einer das Verfahren der Berufungsinstanz betreffenden Vorschrift kann in der Revisionsinstanz nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei das Rügerecht bereits in der Berufungsinstanz nach der Vorschrift des § 295 verloren hat.

(1) Die Verletzung einer das Verfahren und insbesondere die Form einer Prozesshandlung betreffenden Vorschrift kann nicht mehr gerügt werden, wenn die Partei auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet, oder wenn sie bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die auf Grund des betreffenden Verfahrens stattgefunden hat oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste.

(2) Die vorstehende Bestimmung ist nicht anzuwenden, wenn Vorschriften verletzt sind, auf deren Befolgung eine Partei wirksam nicht verzichten kann.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 26. September 2014 - 3 T 305/14 -, soweit er die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Zuschlagsbeschluss betrifft, und der Beschluss des Landgerichts Kassel vom 5. November 2014 - 3 OH 123/14 - verletzen die Beschwerdeführer in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden in diesem Umfang aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Kassel zurückverwiesen.

Das Land Hessen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zuschlagserteilung in einem Zwangsversteigerungsverfahren (Ausgangsverfahren).

2

1. Im Versteigerungstermin vom 30. Mai 2014 wurde das Eigenheim der Beschwerdeführer versteigert. Gegen den Zuschlagsbeschluss erhoben die Beschwerdeführer sofortige Beschwerde und stellten mit Schriftsatz vom 14. Juli 2014 den Antrag, das Verfahren gemäß § 765a ZPO einzustellen. Sie brachten vor, die Weiterführung des Zwangsversteigerungsverfahrens habe wegen schwerer körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen die Gefahr des Suizids der Beschwerdeführerin zu 1. zur Folge.

3

2. In dem daraufhin vom Landgericht eingeholten psychiatrischen Gutachten verneinte der Sachverständige zwar eine latente oder gar akute Suizidgefahr bei der Beschwerdeführerin zu 1. Für den Fall einer Zwangsräumung des Hauses sei ein raptusartig begangener Suizid jedoch nicht auszuschließen.

4

Das Landgericht Kassel übersandte das Gutachten an die Beschwerdeführer mit der Gelegenheit, binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen. In einem am Tag des Fristablaufs am 13. Oktober 2014 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz beantragten die Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden. Zur Begründung gaben sie an, der Sachverständige habe offengelassen, ob neben einer eventuellen Zwangsräumung nicht auch bereits die Zuschlagserteilung die Gefahr berge, dass die Beschwerdeführerin zu 1. raptusartig einen Suizid begehe. Das Beweisthema sei insoweit nicht erschöpfend behandelt, weshalb es der Anhörung des Sachverständigen bedürfe.

5

3. Bereits am 13. Oktober 2014 wies das Landgericht - durch den versehentlich auf den 26. September 2014 datierten Beschluss - die sofortige Beschwerde zurück. Es schloss sich den Darlegungen des Sachverständigen an, dass keine Anzeichen für eine latente oder gar akute Suizidalität bestünden. Soweit der Sachverständige bezüglich einer erst später gegebenenfalls anstehenden Zwangsräumung die Gefahr einer sich spontan entwickelnden Suizidgefahr beschreibe, stehe dies der Zuschlagserteilung nicht entgegen. Den am 13. Oktober 2014 eingegangenen Antrag der Beschwerdeführer, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, berücksichtigte das Landgericht nicht.

6

4. In ihrer Anhörungsrüge vom 4. November 2014 rügten die Beschwerdeführer, das Landgericht habe über die Beschwerde entschieden, ohne die fristgerechte Stellungnahme der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 zum Sachverständigengutachten abgewartet zu haben. Das Beschwerdegericht sei verpflichtet gewesen, den Sachverständigen zur Anhörung zu laden.

7

Das Landgericht hielt im angegriffenen Beschluss vom 5. November 2014 den Beschluss vom 26. September 2014 mit der Maßgabe aufrecht, dass das Be-schlussdatum 13. Oktober 2014 lauten müsse. Die Anhörungsrüge sei zwar begründet, weil die Beschwerdeentscheidung am 13. Oktober 2014 vor Ablauf der Stellungnahmefrist erlassen worden sei und die fristgerecht am 13. Oktober 2014 eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführer dem Einzelrichter bei Beschlussfassung nicht vorgelegen habe. Allerdings rechtfertigten die Ausführungen der Beschwerdeführer in ihrer Stellungnahme vom 13. Oktober 2014 keine andere Entscheidung, so dass die Beschwerdeentscheidung aufrechtzuhalten sei. Die von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwände erforderten keine ergänzende Anhörung des Sachverständigen, weil das Gutachten eindeutige und überzeugende Feststellungen enthalte. Der Einwand, der Sachverständige habe die Frage, ob bereits durch den Zuschlag die Gefahr für einen Suizid entstehe, nicht beantwortet, sei unzutreffend. Der Sachverständige sei gerade zu dieser Frage beauftragt worden. Der Zuschlag sei zudem bereits erteilt worden. Wenn dann der Sachverständige ohne Zweifel und auf umfassend ermittelter Tatsachengrundlage feststelle, dass derzeit keine akute oder latente Suizidgefahr bestehe, sei nicht nachzuvollziehen, inwieweit der Sachverständige die Beweisfrage nicht abschließend geklärt haben solle, sondern weitere Fragen an ihn gestellt werden müssten.

II.

8

1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör. Sie tragen vor, das Landgericht sei ihrem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen allein deshalb nicht nachgekommen, weil es das Gutachten für überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig gehalten habe. Gerade das solle jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs kein Grund sein, den Antrag zurückzuweisen, es sei denn, es liege ein missbräuchlicher oder nicht rechtzeitiger Antrag vor; beides sei hier jedoch nicht der Fall.

9

2. Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens und die Hessische Staatskanzlei hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

10

Die Hessische Staatskanzlei vertritt die Auffassung, die Verfassungsbeschwerde müsse Erfolg haben, soweit sie sich gegen den Beschluss vom 5. November 2014 richte; im Übrigen müsse sie aber erfolglos bleiben. Die unterlassene Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens sei mit Art. 103 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts habe ein Gericht den Verfahrensbeteiligten bei einem rechtzeitig gestellten Antrag zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs die Möglichkeit zu geben, sich das Gutachten vom Sachverständigen mündlich erläutern zu lassen. Diese Pflicht bestehe unabhängig davon, ob das Gericht seinerseits das Gutachten für erläuterungsbedürftig halte. Allenfalls besondere, etwa aus einer Verspätung des Ladungsantrags oder dem Verbot des Rechtsmissbrauchs abzuleitende Gründe könnten diesem Anspruch der Verfahrensbeteiligten entgegenstehen. Solche besonderen Gründe seien im Ausgangsfall aber weder zu erkennen noch seien sie vom Landgericht angenommen worden. Dem Landgericht könne aber nicht vorgeworfen werden, es habe gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 sei deshalb, nachdem das Landgericht den dort begangenen Gehörsverstoß durch den Beschluss vom 5. November 2014 behoben habe, nicht zu beanstanden.

11

3. Die Akten des Ausgangsverfahrens wurden beigezogen.

III.

12

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Annahme ist zur Durchsetzung des verfassungsmäßigen Rechts der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 BVerfGG). Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die Beschlüsse des Landgerichts vom 26. September 2014 und vom 5. November 2014 verstoßen gegen Art. 103 Abs. 1 GG.

13

1. Der Beschluss des Landgerichts vom 26. September 2014 verstößt, wie das Landgericht selbst erkannt hat, gegen Art. 103 Abs. 1 GG, weil das Landgericht den vor Ablauf der Stellungnahmefrist eingegangenen Schriftssatz der Beschwerdeführer vom 13. Oktober 2014 und den darin enthaltenen Antrag, den Sachverständigen zur Erläuterung des Gutachtens zu laden, vor Beschlussfassung nicht zur Kenntnis nahm.

14

2. Der Verstoß ist durch die Fortsetzung des Verfahrens durch das Landgericht nach § 321a Abs. 5 ZPO und den Beschluss vom 5. November 2014 nicht geheilt worden. Zwar nahm das Landgericht den Antrag der Beschwerdeführer nunmehr zur Kenntnis, wies ihn jedoch in einer noch immer gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßenden Weise zurück (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 26. November 2008 - 1 BvR 670/08 -, NJW 2009, S. 1584 <1585 Rn. 18, 20>).

15

a) Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes auch in Verfahren nach der Zivilprozessordnung gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 60, 305 <310>; 74, 228 <233>; BVerfGK 20, 218 <223>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347 Rn. 11>). Insbesondere haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, sich vor Erlass der gerichtlichen Entscheidung zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern. Dem entspricht die Verpflichtung der Gerichte, Anträge und Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfGE 60, 1 <5>; 67, 39 <41>).

16

aa) Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist den Verfahrensordnungen überlassen, die im Umfang ihrer Gewährleistungen auch über das von Verfassungs wegen garantierte Maß hinausgehen können. Nicht jeder Verstoß gegen Vorschriften des Verfahrensrechts ist daher zugleich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Schwelle einer solchen Verfassungsverletzung wird vielmehr erst erreicht, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör verkannt haben (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>). Verletzungen einfachrechtlicher Verfahrensvorschriften sind somit im Einzelfall daraufhin zu überprüfen, ob unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verkürzt worden ist (vgl. BVerfGE 60, 305 <311>).

17

bb) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger (BVerfGK 20, 218 <224>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, a.a.O.; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, a.a.O., Rn. 13).

18

(1) Nach § 402 in Verbindung mit § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. BGHZ 6, 398 <400 f.>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, NJW-RR 1987, S. 339 <340> und vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 f.). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986, a.a.O.). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21. Oktober 1986, a.a.O., und vom 17. Dezember 1996, a.a.O.; vgl. auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2273 f.).

19

(2) Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 15). In Betracht kommt etwa, den Sachverständigen stattdessen um eine schriftliche Ergänzung seines Gutachten zu bitten oder aber ein weiteres Gutachten (eines anderen Sachverständigen) einzuholen (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 -, NJW 1992, S. 1459 f.).

20

b) Einer Prüfung anhand dieser Maßstäbe hält der Beschluss vom 5. November 2014 nicht stand.

21

Das Landgericht lehnte die von den Beschwerdeführern beantragte Anhörung des Sachverständigen ab, weil das Gutachten zu den von den Beschwerdeführern vorgebrachten Einwänden "eindeutige und überzeugende Feststellungen" enthalte und die von den Beschwerdeführern aufgeworfene Frage entgegen deren Ansicht "abschließend geklärt" habe. Das Landgericht kommt dem Antrag somit allein deshalb nicht nach, weil ihm das Gutachten nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Das ist nach den dargelegten Maßstäben kein tauglicher Versagungsgrund, sondern begründet einen Gehörsverstoß.

22

3. Die angegriffenen Beschlüsse beruhen auch auf dem Gehörsverstoß. Es ist nicht auszuschließen, dass den Beschwerdeführern mit einer weiteren Befragung des Sachverständigen gelungen wäre, das Gutachten oder dessen Auslegung durch das Landgericht in Frage zu stellen und damit auch die Überzeugung des Landgerichts von dessen Richtigkeit zu erschüttern (vgl. BVerfGK 20, 218 <226>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998, a.a.O., S. 2274; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012, a.a.O., Rn. 21).

IV.

23

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts unterliegen infolgedessen der Aufhebung. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG).

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkostenhilfe mit Ausnahme des § 127 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. Macht der Beteiligte, dem Prozeßkostenhilfe bewilligt ist, von seinem Recht, einen Rechtsanwalt zu wählen, nicht Gebrauch, wird auf Antrag des Beteiligten der beizuordnende Rechtsanwalt vom Gericht ausgewählt. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer oder Rentenberater beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

(2) Prozeßkostenhilfe wird nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 9 vertreten ist.

(3) § 109 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt.

(4) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.

(5) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.

(6) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 4 und 5 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.

(7) § 155 Absatz 4 gilt entsprechend.

(8) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 4 und 5 kann binnen eines Monats nach Bekanntgabe das Gericht angerufen werden, das endgültig entscheidet.

(9) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 4 bis 8 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.

(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.